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2012/07/20 07:57:20
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Die letzte Million
Datum 2012/07/20 17:47:35
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Konf: Buergerliche Lebenswelten im Spaetmittelalter und in der fruehen Neuzeit
2012/07/19 11:14:19
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Veranstaltung in Tholey, Olga Schwind betreffend
Betreff 2012/07/12 09:16:11
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[Regionalforum-Saar] Was Cusanus in St. Wendel bewirkt hat
2012/07/20 07:57:20
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[Regionalforum-Saar] Die letzte Million
Autor 2012/07/20 17:47:35
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Konf: Buergerliche Lebenswelten im Spaetmittelalter und in der fruehen Neuzeit

[Regionalforum-Saar] Von Zeit und Raum und anderen Dingen

Date: 2012/07/20 08:04:03
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

(Mein Rat: Überfliegen Sie die vielen Fremdwörter in der Einleitung und schauen sich dann die Besprechung der einzelnen Vorträge an).
 
Yvonne Antoni, Helena Barop, Benjamin Brendel, Julia Harpers, Thomas
Hirt, Vít Kortus, Jonas Lindner, Daniel Stinsky (alle Freiburg im
Breisgau)
04.05.2012-06.05.2012, Freiburg im Breisgau

Bericht von:
Vít Kortus / Jonas Lindner, Historisches Seminar,
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
E-Mail: <Vit.Kortus(a)... <JLindner84(a)... semantische Feld des Begriffs Raum müsste - dies dürfte spätestens
seit dem spatial turn deutlich geworden sein - neu vermessen sowie
parzelliert werden. Jener Übergang der "sich drehenden" Historiographie
vom intuitiv gebrauchten Räumlichen (einer naiv-geographisch gedachten
Einheit) zu einer reflektierten, sozial und kulturell konstruierbaren
Raumvorstellung ermöglichte die Verwendung des Raums als analytische
Kategorie: Raum als erkenntnisorientierte Metapher; als eine von
historischen Akteuren erfahrene (und dementsprechend repräsentierte)
Wirklichkeit; als Ergebnis von persönlichen Praxen; als eine Größe, die
überhaupt Reisen, Handel oder Transfer ermöglicht und somit Verbindungen
mitkonstituiert. Alle diese Raum-Termini standen im Mittelpunkt der
Offenen studentischen Tagung, die vom 4. bis zum 6. Mai 2012 an der
Universität Freiburg stattfand und auf eine eigenständige studentische
Initiative zurückging.

Das theoretische Diktum, Raum und Zeit würden soziokulturell konstruiert
oder imaginiert, veranschaulichte CHRISTOF DEJUNG (Konstanz) in seinem
Eröffnungsvortrag. Er identifizierte hierbei die den Weltausstellungen
zugrunde liegenden Raum- und Zeitkonzeptionen: Die einzelnen
europäischen Staaten inszenierten sich mithilfe von Elementen der
Vergangenheit sowie der Zukunft. Den "heterochronen" Charakter des
Spektakels sowie dessen "Heterotopie" (Michel Foucault) unterstrichen
die zuweilen jenseits der Nationalpavillons befindlichen Nachahmungen
außereuropäischer sozialer Biotope, die sowohl als Räume der
Vergangenheit als auch als Essenz Außeneuropas wahrgenommen wurden.
Diese Repräsentationen sollten die koloniale Überlegenheit Europas
zementieren: eine ideologische Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen par
excellence. Die Welt wurde den Besuchern hiermit durch die räumliche
Abgrenzung als Mikrokosmos von Beziehungen unter Nationalstaaten sowie
zwischen denselben und Kolonien geradezu normativ vor-gestellt.

Die Begegnung mit dem Fremden, welche die Abgrenzung des Eigenen zutage
zu fördern vermag, bildete den thematischen Brennpunkt des ersten
Panels. PAUL SCHLIEFSTEINER (Graz) befasste sich im Kontext der
mittelalterlichen Reiseliteratur mit den Berichten der Rabbiner Benjamin
von Tudela und Petachja von Regensburg. Den Referenten interessierte
hierbei weniger das Dargestellte an sich, sondern vielmehr die Art und
Weise, wie das Fremde - freilich immer im Rückbezug auf das im Eigenen
erworbene Wissen - bewertet wurde. Dabei musste er sich zwischen der
Skylla der Tradition der jüdischen Reiseliteratur und der Charybdis der
mittelalterlichen "Autorschaft" bewegen, was klare Aussagen erschwerte.
Dennoch konnte man den Texten plausible inhaltliche Tendenzen entnehmen:
Diese hätten unter anderem in der Würdigung der jüdischen, durch die
Abgrenzung gegenüber der Außenwelt definierten Diaspora-Gemeinden
bestanden. In der Reisepraxis von Diaspora zu Diaspora scheine die
Spezifik des jüdischen Reisens zu bestehen.

Das Phänomen der Gastfreundschaft gegenüber den habsburgischen
Diplomaten des 16. Säkulums an der Hohen Pforte untersuchte ATTILA
MAGYAR (Berlin). Ohne den Terminus zu definieren, kategorisierte der
Referent die frühneuzeitliche osmanische Gastlichkeit: Erstens handele
es sich um die institutionalisierten Formen der Gastfreundschaft, die an
Karawansereien oder Gasthäuser gebunden waren. Ferner gehe es um die
ritualisierten Formen der Gastfreundschaft an den Höfen der Sultane.
Drittens sei der Umstand von Bedeutung, dass die europäischen Diplomaten
selbst als Gastgeber Delegationen empfingen. Die ausgewählten
Blickpunkte verdeutlichten die Ambivalenz der osmanischen Gastlichkeit:
Sie sei zwischen den in Europa bekannten Umgangsweisen und dem
Misstrauen den potentiellen Spionen gegenüber oszilliert, das jedoch
ebenso als Schutz der Christen vor Entführungen ausgelegt werden konnte.
Dadurch wurde aber die (wahrgenommene) Räumlichkeit der Gastlichkeit
reglementiert: Der Raum beeinflusste die Osmanenbilder des Abendlandes.

Das zweite Panel widmete sich den wissenschaftlichen Beschreibungen
eines zu erschließenden hic-sunt-leones-Raumes. FELIX LÜTTGE (Berlin)
stellte am Beispiel der Royal Society vor, wie ab dem 17. Jahrhundert
die Welt mithilfe von säkularisierten Apodemiken - theoretischen
Reiseinstruktionen - zum Labor der experimentierenden Wissenschaft
gemacht worden sei. Den Mitgliedern der Royal Society sei es zunächst
darum gegangen, neue geographische Daten im Zeichen der
wissenschaftlichen Überprüfbarkeit (mit genauen Angaben zur zeitlichen
und räumlichen Verortung der Messung) sammeln zu lassen. Bald
entwickelten sich aber die dazu bestimmten Instrumente zum
Untersuchungsobjekt: Die Daten bezogen sich nicht mehr direkt auf die
Welt, sondern auf das Messgerät selbst (Beobachtung zweiter Ordnung).
Sie ließen sich in der Londoner Zentrale zu Gesetzmäßigkeiten
aggregieren, woraus man schließlich Naturgesetze ableitete. Die
Universalisierung von Naturgesetzen habe den heterogenen Raum bestritten
und einen einheitlichen Welt-Raum erschaffen.

Einen auf die eigene Anschauung bedachten Gegenpart zu den Mitgliedern
der Royal Society belebte in seinem Vortrag CHRISTIAN SCHÄFER (Potsdam).
Berichtet wurde über Charles-Marie de La Condamine, der während seiner
Amazonasreise (1743-1745) jenes Gebiet kartographiert und weitere
Beobachtungen gesammelt hatte. Eine wichtige Rolle habe hierbei der
aufklärerische Zeitgeist gespielt: Das Kartieren des Amazonas sei auf
die Vorstellung zurückgegangen, dadurch das Unbekannte zu überwinden.
Obendrein lasse sich die Tendenz La Condamines beobachten, innerhalb des
seriösen wissenschaftlichen Diskurses zu verbleiben und das Abenteuer
als eine außerwissenschaftliche Motivation zu vermeiden. Neben
Kartographie wurden je nach Gelegenheit auch Mythen, Natur oder
Astronomie akribisch behandelt. Diese "zusätzliche" Schilderung
benötigte insofern ein schriftstellerisches Talent, als mit dem Bericht
der Anerkennung halber zwei Öffentlichkeiten angesprochen werden sollten
- die Wissenschaftler sowie die aufgeklärte Gesellschaft.

Das dritte Panel lotete Räume aus, deren Signum neben der geographischen
Qualität ein besonderes Maß an jeweils spezifischer Gewalt bildet.
KORBINIAN BÖCK (Freiburg) untersuchte, wie das Baltikum im Presseorgan
der ehemaligen Freikorps "Reiter gen Osten" gedeutet worden war. Ihre
Aufgabe bestand nach 1918 darin, den deutschen Abzug aus dem Baltikum
vor Ort zu koordinieren und die neuen Grenzen gegen die Ausbreitung des
leninistisch-bolschewistischen Gedankenguts sowie des russischen
Bürgerkrieges zu sichern. In der Vorstellungswelt der Freikorps wurde
das Baltikum zum Bollwerk, bei dessen Darstellung sie sich einer
gegenasiatischen Feindsemantik bedienten. Jener Topos, der auf die
mythisierte Tätigkeit des Deutschritterordens daselbst rekurrierte,
diente der Intention der Freikorps, deren Taten in
kolonial-kulturmissionarischer Manier zu legitimieren. Jene
Baltikum-Raummythen suggerierten somit einen
mittelalterlich-romantisierten Deckmantel für zeitgenössische Ziele:
Fortführung des Krieges, Kampf gegen den Bolschewismus sowie Aussicht
auf eine Besiedlung eines Raumes im Osten.

ZLATKO VALENTIC (Freiburg) analysierte - ausgehend von der klassischen
moralisch-historischen Fragestellung - die Gründe für den Staatszerfall
des ehemaligen Jugoslawien und den anschließenden Bürgerkrieg. Die
enorme Heterogenität der jugoslawischen Gesellschaft hätten drei
Elemente überbrückt, die nach dem Tod Titos (1980) sukzessiv geschwunden
seien: Wirtschaft, "Gesellschaft" und Politik. Das hermeneutische Prisma
der historischen Anthropologie von Valentic ("Jugologie") setzte hier
an: Das be-ding-te Denken habe die Entmenschlichung zur Folge gehabt,
weil die Akteure auf dem Balkan sich gegenseitig als Dinge aufgefasst
hätten. Dies impliziere zweierlei: Der gewaltsame Umgang mit den so
interpretierten Menschen unterliege nicht dem Völkerrecht und die
Sicherheit eines Raumes sei lediglich durch homogenisierende Gruppen mit
klaren Grenzen herzustellen. Die Herausforderung für die Historiker (des
Balkans) bestehe, so das Abschlussplädoyer, indes darin, bedingungslos
zu denken und somit Grenzen abzubauen.

Das vierte Panel der Tagung beschäftigte sich mit der Selbstverortung
von historischen Akteuren und Gruppen in Raum und Zeit. Dabei wurden
Fragen diskutiert, die auf die Konstituierung und Projizierung von
räumlichen Strukturen durch individuelles oder soziales Handeln
abzielten. TILL GROSSMANN (Berlin) analysierte in seinem Vortrag die
Praxis der Korrespondenz des "Großstadttheoretikers" Georg Simmel. In
Anlehnung an Judith Butlers Konzept der Materialisierung durch
regulierende Praktiken wird "Raum" in diesem Kontext als eine Einheit
verstanden, die durch soziale Handlungen entstehe und somit greifbar
werde. Großmann untersuchte Simmels Selbstbild und -verortung einerseits
an den Inhalten seiner überwiegend wissenschaftlich orientierten
Korrespondenz, andererseits an der Bewegung seiner Briefe im Raum an
sich. Der Referent bezeichnete dies als "objektivierende Praxis".
Gleichzeitig ordneten Simmels Briefe Personen, Lokalitäten und zeitliche
Strukturen und setzte diese miteinander direkt in Verbindung.

Der Beitrag von ANNA NEDLIN (Freiburg) widmete sich zeitgenössischen
Hoffnungen deutscher Juden auf Integration in die deutsche Gesellschaft
während der Weimarer Republik. Als Fallbeispiel diente ihr die
deutschnationale, jüdisch geprägte Studentenverbindung "Neo Friburgia"
an der Universität Freiburg, die sich vor allem im Konflikt mit anderen
Studentenverbindungen im universitären Raum gesehen hat. Die Referentin
legte dar, dass die Wahrnehmung der eigenen erfolgreichen Integration
der Verbindung in die Universitätslandschaft weitaus ausgeprägter
gewesen sei, als bislang von der historischen Forschung vermutet worden
sei. Diese habe sich laut Nedlin zu lang mit einer teleologischen, auf
den Holocaust und eine exklusive "Opferrolle" fixierten und somit
zeitlich ausgerichteten Perspektive auf deutsche Juden in der Weimarer
Republik beschäftigt.

Daran anschließend verknüpfte das fünfte Panel "Migration und Identität"
vorangegangene Aspekte mit Migrationsprozessen. LINDA RICHTER (Berlin)
legte in ihrem Beitrag die Bedeutung von Nahrungsmittelknappheit und
Hunger als eine der grundlegenden Motivationen für deutsche
Migrationsbewegungen nach Amerika in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts dar. Die durch die Hungersnot 1816/17 provozierte
Entwicklung liege einerseits in der Notlage in der Heimat begründet, sei
andererseits durch Briefe aus der "Neuen Welt" eigener zuvor
ausgewanderter Verwandter beflügelt worden, die Amerika als
"Schlaraffenland" mit paradiesischen Bedingungen für die Ernährung
darstellten. Die Imaginierung einer idealisierten Lokalität - Amerika -
und daran anschließende Migrationen seien laut Richter bedeutende und
bisher unterschätzte Faktoren für Auswanderungsbewegungen gewesen.

FARIBA MOSLEH (Wien) setzte mit ihrem Vortrag bei dem Resultat von
Migrationsbewegungen am Beispiel der sogenannten Wiener Chinatown an.
Aus der interdisziplinären Sicht von Kultur- und Sozialanthropologie
stellte Mosleh dar, ob und wie das Konzept der institutionalisierten,
historisch geprägten und stereotypisch tradierten Chinatown in Wien in
den 1980er- und 1990er-Jahren realisiert und als von innen und außen
konstruierter Raum etabliert wurde. Die Chinatown versteht Mosleh als
hybriden, dritten Raum, der mit dem Begriff des "kulturellen Clusters"
analysiert werden könne. Demzufolge habe sich das Stadtviertel von innen
durch Institutionen, soziale Praktiken, Infrastrukturen und Symbole, von
außen hingegen durch homogenisierend wirkende Einflüsse aus Medien und
Politik konstituiert.

Im sechsten Panel "Wissensräume" verbanden die Vortragenden das erhöhte
Interesse an räumlichen Kategorien mit Formen von Wissensakkumulation,
-transfer und -tradierung. MICHAEL SCHONHARDT (Freiburg) eröffnete mit
einer Untersuchung wissenschaftlicher Diagramme in der zweibändigen
Arnsteinbibel von 1172, aus der Rückschlüsse auf die Wissenskultur des
Prämonstratenserstifts Arnstein an der Lahn gezogen werden sollten.
Unter der Prämisse, dass Wissen immer verortet und somit räumlich
fixiert sei, verfolgte der Referent in seinen Ausführungen das Ziel der
Aufhebung einer strikten Trennung von Wissensräumen zwischen
mittelalterlichen Klöstern, Kathedralschulen und "Protouniversitäten".
Der primär über Bücher stattfindende Wissenstransfer zwischen diesen
Institutionen sei eine viel häufigere Praxis gewesen, als bisher
angenommen. Weiterhin stellte der Referent somit frühere
Interpretationen des Stadt-Land-Kontrastes als zeitliche
Entwicklungsstufen zugunsten von räumlich orientierten Arbeiten in
Frage.

ANNABELL ENGEL (Heidelberg) referierte über die Verbreitung von Wissen
durch Raum und Zeit in Form von apokalyptischen Vorhersagen über den
Untergang der bekannten Welt durch Sturm und Flut. Eine durch eine
bestimmte Konjunktion von Erde und gewissen Himmelskörpern verursachte
Naturkatastrophe wurde wiederholt vom 12. Jahrhundert bis ins 16.
Jahrhundert in Briefen und später Flugschriften angekündigt. Engel geht
von multipolaren Ursprüngen der Prophetien aus, die sich über große
Teile des Orients und Okzidents erstreckten, sich jedoch spätestens im
16. Jahrhundert auf Zentraleuropa zu konzentrieren schienen. Die
Nachrichten erhielten Autorität über den gesellschaftlich hohen Status
der Astrologie und verbreiteten sich horizontal über ein komplexes
Netzwerk von Herrscherhöfen, Klöstern, Kreisen des Weltklerus und
Universitäten, sowie vertikal durch mündliche Tradierung und populäre
Flugschriften.

ERIK RICHTER (Magdeburg) schloss das Panel mit einer Untersuchung zweier
Schriften von Martin Waldseemüller (1509) und Sebastian Franck (1534),
in der er mögliche Rückwirkungen von Seefahrten, die neue Teile der
bekannten Welt entdeckten, auf das naturphilosopisch-theologische
Weltbild im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit prüfte. Er
zeigte hierbei, wie kartographische und theologische Vorstellungen
nebeneinander existiert und sich mit unterschiedlichen Dynamiken
verändert haben. Die Rückbindung an Gott als Schöpfer und Ordnungsmacht
sei dabei immer präsent gewesen. Der Referent arbeitete den Konflikt
zwischen althergebrachtem autoritärem und neuem empirischem Wissen
heraus und illustrierte auf diese Weise die doppelte Projektion von
"Weltbild" in räumlicher wie mentaler Dimension.

In der Abschlussdiskussion wurde primär die Frage nach der
Sinnhaftigkeit und Verwendungsfähigkeit des sogenannten spatial turn für
die Geschichtswissenschaft und "Raum" und "Räumlichkeit" als
Forschungskategorien auf teils methodischer, teils theoretischer Ebene
diskutiert. Unter Bezugnahme auf neuere Forschungen wurde weiterhin zwar
hinter der Metapher des turns eine gewisse Trendhaftigkeit vermutet, den
es genauer zu definieren und einzuordnen gilt. Allerdings wurden
gleichzeitig damit verbundene Konjunkturen in der Forschungswelt
grundsätzlich begrüßt. Die Tagung zeigte, dass das Konzept nicht
universal einsetzbar sei, wie beispielsweise bei
identitätsgeschichtlichen Forschungen. Allerdings waren für die
Teilnehmer klare Vorzüge durch die ergänzende räumliche Perspektive zu
erkennen. Bei der methodischen Umsetzung wurden individuelle, klare
Definitionen von "Raum" und "Räumlichkeit" als notwendig erachtet, wie
sie während der Tagung allerdings nicht gebildet werden konnten. Als
einen Aufgabenbereich für die Geschichtswissenschaft formulierte das
Plenum schließlich die Auflösung bzw. Relativierung des klassischen,
rein chronologischen Narrativs. Als ein Beispiel für die bereits
bestehende Praxis diente dabei die histoire géographie, wie sie in der
französischsprachigen akademischen Welt praktiziert wird. Dass die
unbedingte Einbeziehung von "Raum" in historische Betrachtungen,
besonders durch ihre Institutionalisierung in der Lehre und Forschung
wie im letztgenannten Beispiel, nicht durchgehend vorteilhaft ist, wurde
dabei ebenfalls verdeutlicht.

Konferenzübersicht:

Öffentlicher Einführungsvortrag

Einführung: Helena Barop

Christof Dejung (Konstanz): Zeitreisen durch die Welt. Temporale und
territoriale Ordnungsmuster auf Weltausstellungen während der
Kolonialzeit

Panel I: Bewegung und Erkenntnis

Leitung: Vít Kortus, Benjamin Brendel

Paul Schliefsteiner (Graz): Wenn Rabbis reisen. Jüdische Reisende im
Mittelalter und ihre Begegnung mit dem "Fremden"

Attila Magyar (Berlin): Reisen als Gast im Osmanischen Reich. Eine
Untersuchung zu Phänomenen von Gastfreundschaft in Berichten von
Diplomaten über das Osmanische Reich im 16. Jahrhundert

Panel II: Vermessung der Fremde

Leitung: Benjamin Brendel, Helena Barop

Felix Lüttge (Berlin): 1666 - Die Welt als Labor oder die Kunst,
wissenschaftlich zu reisen

Christian Schäfer (Potsdam): Charles-Marie de La Condamine (1701-1774).
Reisende Wissenschaft in der Aufklärung

Panel III: Raum- und Gewaltvorstellungen

Leitung: Julia Harpers, Daniel Stinsky

Korbinian Böck (Freiburg): "Reiter gen Osten". Das Baltikum im Spiegel
der Freikorpsliteratur der 1920er-Jahre und 1930er-Jahre

Zlatko Valentic (Freiburg): Die ethnischen Vertreibungen im ehemaligen
Jugoslawien der 1990er-Jahre - eine hermeneutische Perspektive

Panel IV: Selbstverortung in Raum und Zeit

Leitung: Thomas Hirt, Yvonne Antoni

Till Großmann (Berlin): Simmels Raum. Das Briefeschreiben als Strategie
der Selbstverortung am Beispiel Georg Simmels vor und während des Ersten
Weltkrieges

Anna Nedlin (Freiburg): Selbstwahrnehmung und historische Bewertung der
Integration von Juden in der Weimarer Republik: Zwei Seiten derselben
Medaille?

Panel V: Migration und Identität

Leitung: Jonas Lindner, Thomas Hirt

Linda Richter (Berlin): "Könnt ihr denn diesem Lande nicht den Rücken
kehren?" Essen im Migrationsprozess deutscher Auswanderer in die USA
1816-1856

Fariba Mosleh (Wien): Vienna Chinatown (In-)Visible. Zur Verortung der
chinesischen Community in Wien

Panel VI: Wissensräume

Leitung: Daniel Stinsky, Jonas Lindner

Michael Schonhardt (Freiburg): Ortus ventorum sunt comfi philosophorum.
Die wissenschaftlichen Diagramme der Arnsteinbibel - Wissensformen
zwischen Bernhard und Abelard

Annabell Engel (Heidelberg): Vom Toledobrief zur Sinnflutdebatte.
Verbreitung einer Unglücksprophetie durch Raum und Zeit

Erik Richter (Marburg): Von der antik-mittelalterlichen Kugelspekulation
zur realen Erfahrung des Raumes und dessen Deutung am Beginn der Frühen
Neuzeit

Abschlussdiskussion

Leitung: Jonas Lindner, Vít Kortus

URL zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=4314>