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2011/07/04 21:41:37
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Historisches Kupferbergwerk D üppenweiler
Datum 2011/07/07 08:48:18
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Remmesweiler, Tractus


Betreff 2011/07/27 07:57:54
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[Regionalforum-Saar] Buchvorstellung der Familienchronik Klesen
2011/07/04 21:41:37
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[Regionalforum-Saar] Historisches Kupferbergwerk D üppenweiler
Autor 2011/07/07 08:48:18
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[Regionalforum-Saar] Remmesweiler, Tractus

[Regionalforum-Saar] Autobiographien von Frauen

Date: 2011/07/06 18:51:35
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

G. Wedel: Autobiographien von Frauen
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Wedel, Gudrun: Autobiographien von Frauen. Ein Lexikon. Köln: Böhlau
Verlag Köln 2010. ISBN 978-3-412-20585-0; 1440 S.; EUR 179,00.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Marleen von Bargen, Historisches Seminar, Universität Hamburg
E-Mail: marleen.von.bargen(a)... rund 40 Jahren sucht und sammelt die Historikerin Gudrun Wedel mit
großer Leidenschaft autobiographische Texte von Frauen. Nun ist ein
umfangreiches Nachschlagewerk erschienen, in dem erstmals über 2.000
Autorinnen, die zwischen 1800 und 1900 im deutschsprachigen Raum geboren
wurden, samt ihren autobiographischen Schriften vorgestellt werden. Für
dieses von der DFG geförderte Projekt erhielt Wedel im Jahre 2000 den
Margherita-von-Brentano-Preis.

Ziel des Lexikons ist es, die "Fülle und Vielfalt" von publizierten
autobiographischen Texten von Frauen aufzuzeigen und darzulegen, aus
welchen Gründen und in welchem Ausmaß autobiographische Texte entstanden
sind (S. VII). So wurden neben bekannten auch bislang unbekannte und
anonyme Frauen aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten in das
Lexikon aufgenommen. Eine weitere Zielsetzung sieht Wedel darin,
autobiographisches Schreiben in weiblichen Lebensläufen sichtbar zu
machen und dieses mit Ereignisgeschichte sowie Publikations- und
Rezeptionsgeschichte zu verknüpfen, um das Wirken einzelner
Autobiographinnen bis in die Gegenwart hinein rekonstruieren zu können.
Wedel legt hierbei einen "weite[n] Begriff von Autobiographie zugrunde,
um die Formenvielfalt und Komplexität von autobiographischen Texten in
den Blick zu bekommen" (S. VII). Unter der Bezeichnung Selbstzeugnisse
summiert Wedel unterschiedliche literarische Textformen, die in
verschiedenen inhaltlichen Zusammenhängen autobiographische
Informationen beinhalten.

Die einzelnen Artikel gliedern sich in verschiedene Unterpunkte. Nach
dem Namen bzw. der Namensform folgt eine Kurzbiographie der
Autobiographin. In der Kurzbiographie befinden sich zusätzliche Hinweise
zu Nachlassstandorten und Lexika, die weiterführende biographische
Informationen liefern. Am Ende dieses Abschnitts werden andere
Autobiographinnen aus dem Lexikon aufgeführt, die mit der vorgestellten
Autorin in persönlicher Beziehung standen. So wird nicht nur ein
"umfangreiches internes Netz der Autobiographinnen" (S. XI) erkennbar,
sondern auch eine Grundlage für weiterführende Untersuchungen zu
Frauennetzwerken geschaffen. Darüber hinaus können diese Angaben den
Ausgangspunkt für Einordnungen der einzelnen Autorinnen in bestimmte
Kontexte und gesellschaftliche Diskursfelder bilden.

Im anschließenden Hauptteil der Artikel werden ausführlich die
autobiographischen Publikationen - insgesamt erfasst das Lexikon über
6.000 Titel - in chronologischer Reihenfolge angeführt. Durch eine
Auflistung der behandelten Themen in Stichworten gewinnen Leser/innen
einen ersten Eindruck von dem Inhalt der autobiographischen
Publikationen, die als Bücher bzw. als Beiträge in Sammelbänden oder
Periodika einer größeren oder kleineren Öffentlichkeit zugänglich
gemacht worden sind. Weitere Hinweise, die etwa die
Entstehungssituation, die Auflagenhöhe oder Rezensionen betreffen,
ermöglichen Einsichten in den Prozess des autobiographischen Schreibens
und in die Rezeption der autobiographischen Texte. Tagebücher, Briefe
und Reisebeschreibungen werden gesondert als "weitere publizierte
Selbstzeugnisse" aufgeführt. Die Trennung begründet Wedel damit, dass
letztere in geringen zeitlichen Abständen zum Erlebten aufgeschrieben
wurden und meist nicht den gesamten Lebenslauf abdecken. Außerdem werden
noch weitere publizierte Werke angeführt, die "dem Titel nach einen
autobiographischen Bezug vermuten lassen" (S. XIII) sowie
"Selbstzeugnisse im Umfeld" der jeweiligen Autobiographin. Hinweise auf
weiterführende Sekundärliteratur beschließen die einzelnen Artikel.

Die Zuordnung der Selbstzeugnisse innerhalb der Artikelunterpunkte
verdeutlicht, dass eine klare Trennung der Texte nach Art und Umfang der
autobiographischen Informationen kaum vollzogen werden kann.[1] So wird
es aber für die Selbstzeugnisforschung durchaus gewinnbringend sein,
wenn Texte ergänzend hinzugezogen werden, die üblicherweise nicht in den
Fokus biographischer Untersuchungen rücken würden. Als Beispiel sei das
für Anna Siemsen als autobiographische Publikation gelistete Buch
"Erziehung im Gemeinschaftsgeist" angeführt, das in der Regel nur als
pädagogisch-philosophische Abhandlung untersucht wird.

Neben einem Quellen- und Literaturverzeichnis bietet das Lexikon zudem
ein Personen-, Orts- und Sachregister, so dass auch nach anderen
Kriterien als dem Namen gesucht werden kann. Statt einer Einleitung
werden Hinweise zur Benutzung gegeben, in denen nur knapp Ziele und
Schwerpunkte des Lexikons umrissen werden. Anschließend erläutert Wedel
im Wesentlichen die Quellen und die Struktur der Artikel. Eine
Einleitung, in der das Lexikon in größere Forschungskontexte, wie zum
Beispiel in die Autobiographie- und Selbstzeugnisforschung oder in die
Frauen- und Geschlechtergeschichte eingeordnet und seine Bedeutung für
die interdisziplinäre Forschung herausgestellt würde, fehlt jedoch.
Wedel formuliert allenfalls, dass die von ihr gesammelten
autobiographischen Schriften "einen bedeutenden Teil der
Erinnerungskultur" darstellen und in den "Übergangsbereich vom
,kommunikativen' [...] zum ,kulturellen' Gedächtnis" (S. VIII)
hineinreichen würden, ohne jedoch näher auf diesen
forschungstheoretischen Ansatz einzugehen.

Dabei leistet Wedel mit dem Lexikon einen wesentlichen Beitrag, eine
große Lücke in der Autobiographie- und Selbstzeugnisforschung zu
schließen. Das Lexikon zeigt, dass autobiographische Texte von Frauen
aufgrund ihrer literarischen Mischformen eben nicht dem "klassischen"
Gattungsbegriff entsprechend klassifiziert werden können. Dies ist
zunächst keine neue Erkenntnis. Seit den 1980er-Jahren wurden vor allem
aus literaturwissenschaftlicher Sicht vermehrt Kritik an dem Ausschluss
von Frauen aus der Geschichte der Autobiographie sowie Forderungen nach
einer Revision der kanonischen Grenzziehungen laut. Hinterfragt wurde
die traditionelle Definition der Autobiographie, die sich
gattungsgeschichtlich an dem sich selbst historisierenden männlichen,
bürgerlichen Subjekt orientierte, das auf ein in sich geschlossenes
Leben zurückblickt. Hierfür hatte vor allem Goethes Selbstinszenierung
in seinen Lebenserinnerungen "Dichtung und Wahrheit" Vorbildcharakter
erlangt. Die sich aus weiblichen Lebens- und Handlungsbedingungen
ergebenen Formen des autobiographischen Schreibens von Frauen wurden
daher aus dem gattungsgeschichtlichen Kanon ausgeklammert.[2] Wedels
Sammlung verschiedener autobiographischer Schriften von Frauen zeigt
erstmals neben bereits existierenden exemplarischen Einzelstudien in
einer Zusammenschau die Vielfalt dieser Texte auf und ermöglicht damit
künftigen Forschungen, "das Spektrum der behandelten Themen auszuloten,
Standardthemen sichtbar zu machen und dabei die Varianten der formalen
Gestaltung festzuhalten" (S. VII).

Daneben ist das Lexikon auch für geschlechtergeschichtliche und
kulturgeschichtliche Fragestellungen relevant. Autobiographische Texte
entstanden immer dann, wenn ein Individuum sich seiner Selbst
vergewissern und seinem Leben eine bestimmte Sinndeutung verleihen
wollte. Autobiographische Texte geben daher Aufschluss über
Sinnstiftungsprozesse und Identitätskonstruktionen in Auseinandersetzung
mit gesellschaftlichen Strukturen. Insbesondere Krisen oder
Umbruchsituationen vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen
Modernisierungs- und Individualisierungsprozesse beförderten gegen Ende
des 19. Jahrhunderts das Verfassen autobiographischer Texte von
Personen, die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten angehörten.
Gerade auch Frauen beteiligten sich in steigender Anzahl an dieser
Praxis. Die damals entstehenden Schreibformen der autobiographischen
Texte lassen den Schluss zu, dass es veränderte Selbstwahrnehmungen,
Lebensbedingungen und Handlungsspielräume waren, die einer Sinngebung
und spezieller Ausdrucksmöglichkeiten bedurften.[3] Vor diesem
Hintergrund mag sich auch Wedels Vorgehen erklären, autobiographische
Texte von jenen Frauen zu sammeln, die zwischen 1800 und 1900 geboren
wurden. Angesichts der seit dem Mittelalter überlieferten
autobiographischen Texte von Frauen ist eine zeitliche Einengung auch
für ein Lexikon unumgänglich und sinnvoll. Dennoch hätte eine Begründung
für die zeitliche Eingrenzung erfolgen können.

Gudrun Wedels Lexikon ist eine Pionierarbeit, die trotz des stolzen
Preises von 179 Euro Wissenschaftler/innen, die zu biographischen oder
geschlechtergeschichtlichen Themen arbeiten, zur Anschaffung empfohlen
sei. Zu guter Letzt ist noch Wedels Vorhaben, eine Internet-Datenbank zu
erstellen, positiv hervorzuheben. Hierfür soll das in gedruckter Form
vorliegende Lexikon als Basis dienen. Die Internet-Datenbank soll nicht
nur autobiographische Texte aus dem 19. und 20. Jahrhundert von Frauen,
sondern auch von Männern beinhalten. Damit kann ein Grundstein gelegt
werden, autobiographische Texte von Frauen nicht länger als randständige
Erscheinung der Autobiographie-Forschung zu betrachten, sondern
männliche wie weibliche Autobiographien nebeneinander zu stellen, um auf
diese Weise neue Einsichten und weitergehende Erkenntnisse für die
(Auto-)Biographieforschung insgesamt zu gewinnen.

Anmerkungen:
[1] Zur Diskussion des Begriffes "Selbstzeugnis" in der Forschung siehe
die DFG-Forschergruppe "Selbstzeugnisse in transkultureller Perspektive"
unter <http://www.fu-berlin.de/dfg-fg/fg530/> (23.05.2011).
[2] Exemplarisch: Michaela Holdenried, Einleitung, in: dies. (Hrsg.),
Geschriebenes Leben. Autobiographik von Frauen, Berlin 1995, S. 9-20,
bes. S. 9f.
[3] Charlotte Heinritz, Auf ungebahnten Wegen. Frauenautobiographien um
1900 (Aktuelle Frauenforschung), Königstein im Taunus 2000, bes. S.
10-16.


Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Kirsten Heinsohn