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Re: [Regionalforum-Saar] Wie einst A(l)sweiler Frauen wirtschafteten

[Regionalforum-Saar] Tod aus der Luft. Kriegsgesellschaft und Luftkrieg

Date: 2011/06/10 15:28:40
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

From:    Ralf Blank <ralf.blank(a)...   10.06.2011
Subject: Rez. NS: D. Süß: Tod aus der Luft
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Süß, Dietmar: Tod aus der Luft. Kriegsgesellschaft und Luftkrieg in
Deutschland und England. München: Siedler Verlag 2011. ISBN
978-3-88680-932-5; 717 S., 5 Abb.; 29,99.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Ralf Blank, Historisches Centrum Hagen
E-Mail: <ralf.blank(a)... Luftangriffe auf deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg rückten zu
Beginn des 21. Jahrhunderts verstärkt in den Fokus der
Geschichtswissenschaft. Das 2002 erschienene Buch "Der Brand" des
Schriftstellers Jörg Friedrich und die um 'Tabu und Trauma' entfachte
Debatte um die Verortung des Bombenkriegs in der deutschen Geschichte
und im Gedächtnis der Nachkriegsgesellschaft gaben wichtige Impulse.
Dass der damals wie heute kontrovers geführte Diskurs und die
Forschungen längst noch nicht abgeschlossen sind, belegt auch das
vorliegende Buch "Tod aus der Luft" von Dietmar Süß. Der Autor gehört zu
einer Gruppe von Historikerinnen und Historikern, die sich dem
Bombenkrieg in den vergangenen Jahren unter politischen sowie sozial-
und kulturhistorischen Aspekten angenähert haben.[1] Gerade diese
Sichtweise auf den Luftkrieg wurde lange Jahre vernachlässigt und
ignoriert, standen doch der Blick auf die Opfer und Zerstörungen sowie
streng militärhistorische Gesichtspunkte im Vordergrund des
überwiegenden Teils der Forschungen und Publikationen.

Militärgeschichtliche Darstellungen über den Luftkrieg ergehen sich
oftmals in endlosen Kolonnen von Zahlen und Statistiken von Todesopfern,
eingesetzten Flugzeugen, Abwurftonnagen, Bombentypen, Trümmermengen und
Produktionsverlusten sowie häufig minutiösen Schilderungen von
Operationen und Schlachten, um darüber den Blick auf die schwerwiegenden
Auswirkungen und nachhaltigen Folgen der Bombardierungen auf die
Kriegsgesellschaft in den betroffenen Ländern zu verlieren. Alle
bisherigen Versuche, die Deutungshoheit über den Bombenkrieg zu
gewinnen, wie es etwa die beiden Publizisten David Irving mit seinem
Buch "Und Deutschlands Städte starben nicht" (1964) und Jörg Friedrich
in "Der Brand" (2002) unternahmen, mussten ebenso wie weitere ähnliche
Publikationen schon im Ansatz scheitern. Denn bei näherer Betrachtung
erweist sich der Luftkrieg als ein dichtes Geflecht verschiedenster
Ereignisse, Rückwirkungen und Wahrnehmungen, das nicht so einfach
entwirrt und abschließend übergreifend dargestellt werden kann. Allein
die Auswertung der beinahe Legion zählenden Lokalstudien seit der frühen
Nachkriegszeit, eingebunden in ein engmaschiges Netz einer von Stadt zu
Stadt unterschiedlich ausgeprägten Erinnerungs- und Gedenkkultur,
erfordert eine eingehende Betrachtung.

Eine solche vorsichtige Betrachtung erscheint notwendig und sinnvoll,
ist der Luftkrieg doch ein Thema, das international, und hier besonders
in Deutschland und England, vorwiegend aus populärwissenschaftlicher und
militärtechnischer Sicht tradiert wird. Angefangen beim 1955
entstandenen Spielfilm "The Dam Busters" über den Spezialverband des
britischen Bomber Command, der im Mai 1943 die Staudämme von Möhne und
Eder "geknackt" hatte, über die melodramatische Fernsehproduktion
"Dresden" bis hin zu zahlreichen TV-Dokumentationen, vielfältigen
Internet-Angeboten und sogar Computerspielen erfährt der Luftkrieg bis
heute eine breite und umfassende öffentliche Rezeption. Dabei ist der
"Tod aus der Luft" auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer noch
gegenwärtig, wie die Kriege in Afghanistan und gegen den Irak sowie der
jüngste Nato-Einsatz in Libyen in aller Deutlichkeit zeigen.

Dietmar Süß' Buch "Tod aus der Luft", das auf seiner 2010 von der
Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena
angenommenen Habilitationsschrift fußt, wählt einen ungewöhnlichen
Ansatz. Im Mittelpunkt steht nicht allein der Bombenkrieg gegen
Deutschland und seine Auswirkungen, sondern eine vergleichende
Darstellung zwischen zwei unterschiedlichen Kriegsgesellschaften "unter
Bomben" im nationalsozialistischen Deutschland und demokratischen
England. Wer die vielschichtigen Aspekte der Luftkriegsführung auf
deutscher und alliierter Seite im Blick behält und die beinahe
unübersehbare Anzahl von Publikationen über den Luftkrieg auf lokaler,
regionaler und nationaler Ebene in Deutschland und Großbritannien
berücksichtigt, kann dem Mut des Autors, ein derartig schwieriges
Projekt zu beginnen und auch zu beenden, nur Bewunderung zollen.

Süß gliedert sein Buch in zehn Kapitel, denen als Forschungsüberblick
eine anspruchsvolle und inhaltlich zusammenfassende Einleitung
vorangestellt ist. Schon diese Einleitung zeigt, dass das Buch alles
andere als eine Wiederholung früherer Thesen und Deutungen enthält. Süß
räumt vielmehr gleich zu Beginn (S. 11 f.) mit manchen irrigen
Vorstellungen auf, wie beispielsweise der Mär vom "Bomber Harris", dem
Chef des britischen Bomber Command ab Februar 1942 Arthur T. Harris, dem
gerne und beharrlich bis heute die alleinige Schuld an den schlimmen
Auswirkungen der Flächenangriffe auf deutsche Städte zugeschoben wird.

Süß sieht den Luftkrieg als eine "spezifische Form von Gewalt moderner
Gesellschaften im 20. Jahrhundert" (S. 16). Gleichzeitig fordert der
Autor, dass die Geschichte des Luftkriegs sich "stärker als bisher mit
dem 'Krieg als Gesellschaftszustand' und damit mit der herrschafts-,
kultur- und erfahrungsgeschichtlichen Bewältigung der Bombardierungen in
Deutschland und England beschäftigen" sollte. Schließlich waren es
deutsche Bomber (und später auch Marschflugkörper und Fernraketen), die
englische Städte angegriffen haben. Auf der anderen Seite flogen
englische Bomber seit 1940 Nacht für Nacht und in der Kriegsendphase
auch am Tage ins Reichsgebiet, um bis April 1945 alle deutschen
Großstädte und zahlreiche Klein- und Mittelstädte in Schutt und Asche zu
legen.

Eingebettet in diesen Aufbau steht der Vergleich zwischen der
nationalsozialistischen Volksgemeinschaft und dem britischen People War.
Hier konstatiert Süß mit Recht, dass eine umfassende Studie zur Sozial-
und Kulturgeschichte des Luftkriegs, über die Kriegsgesellschaften an
der Heimatfront / Home Front, noch immer ein Desiderat ist.

Die zehn Kapitel des Buches spannen einen weiten Bogen über die in der
Einleitung skizzierten Fragestellungen und Thesen. Das Kapitel I ("Krieg
der Zukunft 1900-1939") gibt einen Überblick zur Vorgeschichte des
Luftkriegs sowie zu den Planungen und Konzepten vor Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs. Hier konnte Süß sich auf ein breites Spektrum
militärgeschichtlicher Publikationen stützen, die er kritisch bewertet
und zusammenfassend interpretiert. Gelungen sind dabei besonders auch
die Ausführungen über "Luftschutz und Volk", die für England und
Deutschland unterschiedliche Entwicklungen und Positionen nachzeichnet.
Während in Deutschland ab 1933 von staatlicher und parteiamtlicher Seite
ein politisierter und auch ideologisierter, in jedem Fall progressiv
forcierter Luftschutz betrieben wurde, rückte in England erst der
Spanische Bürgerkrieg und die Bombardierung von Guernica den Luftschutz
verstärkt in das öffentliche Interesse. Letztlich und im Vergleich zu
Deutschland waren die Bemühungen bis 1939 eher zurückhaltend und
bescheiden. Ob der Versuch einer volksgemeinschaftlichen Mobilisierung
durch den Luftschutz im nationalsozialistischen Deutschland tatsächlich
ein "Wettbewerbsvorteil" (S. 48) gewesen war, sei dahingestellt.
Tatsächlich brachen der Luftschutz in Deutschland, trotz des im Oktober
1941 befohlenen "LS-Führerprogramm" zur Errichtung von großen
Hochbunkern in den deutschen Großstädten, und seine straffe Organisation
seit 1943 infolge der massiven alliierten Bombardierungen recht schnell
in sich zusammen, weil die gravierenden Auswirkungen derartiger
Luftbombardements vor 1939 kaum vorstellbar waren. In England bestand
nach dem Ende der schweren deutschen Luftangriffe im Mai 1940 keine
Notwendigkeit für umfassende Luftschutzmaßnahmen mehr.

Das zweite Kapitel ("Bombenkrieg, Öffentlichkeit und Kriegsmoral")
widmet sich einem Kernpunkt des modernen Luftkriegs, nämlich dem Krieg
aus der Luft gegen die Gesellschaft eines Gegners. Auch in England
nahmen die Kriegsmoral und sie unterstützende Maßnahmen eine wichtige
Funktion ein. Einen wesentlichen Anteil hatte die "Mass-Observation" des
Informationsministeriums, mit deren Hilfe die öffentliche Meinung und
die Moral in der britischen Bevölkerung in den ersten Jahren des Kriegs
erforscht und gelenkt werden sollten - mit nur mäßigem Erfolg, wie sich
zeigen sollte. Im Frühjahr 1940 startete eine von Churchill initiierte
Kampagne gegen "Gerüchteverbreiter", mit der mittels von Plakaten
versucht wurde, die Verbreitung von persönlichen Ansichten zum
Kriegsverlauf zu unterbinden. Diese Kampagne erwies jedoch als
Fehlschlag, da vor allem die Presse massive Kritik übte. In Deutschland
hingegen fanden derartige Kampagnen aufgrund der gleichgeschalteten
Presse keine Grenzen - beispielhaft sei hier nur der "Kohlenklau" und
"Feind hört mit!" genannt.

An der nationalsozialistischen Heimatfront stand von Anfang an die
"Luftschutzgemeinschaft" im Vordergrund einer parteiamtlichen und
staatlich verordneten volksgemeinschaftlichen Abwehr gegen die
alliierten Bombardierungen. Ähnlich wie in England wurde auch in
Deutschland der Kampf gegen die Verbreitung von "Gerüchten" aufgenommen,
allerdings mit weitaus drakonischeren Strafen und Folgen für ihre
Urheber bzw. im Verdacht stehende Personen. Hier spielte der
Sicherheitsdienst der SS (SD) eine tragende Rolle. Süß zeichnet
detailliert und inhaltlich ergiebig für Deutschland das Bild der
Heimatfront "unter Bomben" und Parteidiktatur, die sich im Kriegsverlauf
immer stärker verschärfte und mehr und mehr in Terror mündete. Dicht und
quellennah gelingt es dem Autor, auch gesellschaftliche, soziale und
politische Aspekte in die Darstellung einzubeziehen, um so die
differenten Entwicklungen zweier Kriegsgesellschaften in
unterschiedlichen Systemen aufzuzeigen.

Eine ähnlich umfassende, quellennah geschriebene Darstellung findet sich
auch in den folgenden Kapiteln: III "Die Organisation der
Notstandsgesellschaft", IV "Stadt und Krieg", V "Die Kirchen und der
Luftkrieg", VI "Angst und Ordnung: Bunkerleben", VII
"Luftkriegserfahrungen", VIII "Tod im Luftkrieg", IX "Erinnerungen an
den Bombenkrieg in der frühen Nachkriegszeit" und X "Lehren des
Luftkriegs". Vor allem die Kapitel IX und X eröffnen trotz ihrer sehr
dichten und komplexen Schilderung neue Perspektiven und interessante
Aspekte, die noch in keiner anderen Veröffentlichung bisher so deutlich
und eindringlich behandelt wurden. Süß' Studie zeigt, dass auf
britischer Seite der Luftkrieg gegen Deutschland durchaus kontrovers
diskutiert wurde, vor allem auch wegen der hohen Verluste und
Sachschäden. Dennoch galten die Bomben auf Deutschland als ein
"notwendiges Übel" (S. 491). Das Gedenken an den militärischen Sieg war
allerdings mit der "Battle of Britain" wesentlich besser zu verknüpfen
als mit den Flächenbombardierungen deutscher Städte. Der Autor greift
anhand einiger bekannter Beispiele auch die mediale und filmische
Rezeption des Bombenkriegs, etwa im Film "The Dam Busters" (S. 495 f.)
auf. Sehr aufschlussreich ist auch die Darstellung über die Opfer des
Luftkriegs und über den Umgang mit seelischen Schäden, Psychiatrie und
Kriegserfahrungen in Deutschland und England. Diese Aspekte wurden in
der deutschsprachigen Literatur bisher nur rudimentär untersucht und
dargestellt, ebenso wie die Rolle der Kirchen, die Süß ausgiebig
thematisiert.

Im Kapitel X greift Süß unterschiedliche Bereiche auf, die von der
"Politik der Versöhnung", "Coventry und Dresden", "Monumentalisierung
und Zeitzeugenschaft" bis hin zu "Tabu" und "Traumatisierung" und das
"Ende des Good War" reichen. Hier sind vor allem die Darstellungen über
die beiden kommunalen Symbole für den Luftkrieg, Coventry und Dresden,
sowie über die seit dem umstrittenen Buch des Schriftstellers Jörg
Friedrich aufgekommenen Thesen von Tabu und Trauma besonders
interessant.

Auf den ersten Blick wirkt das Buch "Krieg aus der Luft" von Dietmar Süß
aufgrund des Vergleichs zwischen NS-Deutschland und England sowie wegen
der darin enthaltenen Thesen und Forschungsansätze ein wenig gewagt.
Doch schon nach der Lektüre der Einleitung erweist es sich als eine sehr
gut und nachvollziehbar geschriebene Studie. Das leichte Unbehagen, das
der Rezensent wegen des thematischen Rahmengerüsts verspürt hatte,
verflog spätestens bei der Durchsicht des zweiten Kapitels. Belohnt
wurde er mit einer profunden Darstellung und kenntnisreichen
Untersuchung, die zudem auch sprachlich fesseln kann. Hinzu kommt, dass
der deutsche Luftkrieg gegen England bislang nur aus
militärgeschichtlicher Sicht thematisiert wurde, während die
Auswirkungen und Folgen der deutschen Bombardierungen auf die britische
Bevölkerung in Deutschland weitgehend ausgeklammert geblieben sind. So
bleibt der mehr als zufriedene Eindruck eines besonders
empfehlenswerten, inhaltlich anspruchsvollen und längst überfälligen
Buches, das gute Grundlagen liefert und den Maßstab für weitergehende
Untersuchungen und Studien setzt.

Anmerkung:
[1] Vgl. Jörg Arnold/Dietmar Süß/Malte Thießen (Hrsg.), Die
"Katastrophe" im europäischen Gedächtnis - Erinnerung an den Luftkrieg
1940-2000, Göttingen 2009; Dietmar Süß (Hrsg.), Deutschland im
Luftkrieg. Geschichte und Erinnerung, München 2007.


Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Michael Wildt <michael.wildt(a)... zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-2-204>

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