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[Regionalforum-Saar] Dokumentarfilm über Oberlin xweiler für die USA
Datum 2011/04/17 21:10:11
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Autor 2011/04/17 21:10:11
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[Regionalforum-Saar] Deutsches Militär auf kolon ialen Kriegsschauplätzen.

Date: 2011/04/17 21:08:30
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Kuß, Susanne: Deutsches Militär auf kolonialen Kriegsschauplätzen.
Eskalation von Gewalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts (= Studien zur
Kolonialgeschichte 3). Berlin: Christoph Links Verlag 2010. ISBN
978-3-86153-603-1; gebunden; 500 S.; EUR 49,90.

Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedensforschung bei
H-Soz-u-Kult von:

Arne Elias, Universität Duisburg-Essen
E-Mail: <arne.elias(a)... Kolonialkriege des Deutschen Kaiserreichs haben in den letzten
Jahren, nicht nur durch ihre runden Jahrestage, in Wissenschaft wie
Öffentlichkeit neue Aufmerksamkeit erregt. Neben den Genozidvorwürfen an
das Deutsche Reich hat dabei am deutlichsten die Suche nach der
Verbindung von kolonialer Gewalt und nationalsozialistischer Herrschaft
den Diskurs bestimmt. Susanne Kuß bringt mit ihrem Buch eine neue
Perspektive in diese Debatte. Mit dem Begriff des Kriegsschauplatzes
grenzt sie sich ab von bisherigen Erklärungsansätzen und versucht durch
die Einflussfaktoren des Raumes, an dem die kriegerischen
Auseinandersetzungen stattgefunden haben, die Eskalation der Gewalt zu
erklären. Denn Entstehung extremer Gewalt, so Susanne Kuß, ist im
Kolonialkrieg mit den Bedingungen des kolonialen Raumes verknüpft (S.
31) und resultiert weniger aus einer geplanten Vernichtungsstrategie,
noch direkt aus einer allgemein militaristischen Kultur im Deutschen
Reich.

Ihrer Analyse der kolonialen Kriegsschauplätze der drei großen
Kolonialkriege - Boxer-Aufstand 1900/01, Herero-Nama-Krieg 1904-1907 und
Maji-Maji-Krieg 1905-1908 - stellt Kuß einen kurzen Überblick der
Kriegsverläufe voraus (S. 49-126). Es folgt eine detailreiche und
quellennahe Untersuchung der Einflussfaktoren, die das Konzept des
Kriegsschauplatzes bilden: Die Vorbereitung auf den Dienst in Übersee
und die Ausrüstung der Truppe, der ideologische Hintergrund, die
geographischen Bedingungen der Kolonien und auch die Krankheiten vor Ort
werden auf ihre Wirkung auf den Krieg untersucht. Mit viel Liebe für
militärisch relevante Details zeichnet Susanne Kuß ein Bild, in dem die
räumlichen Bedingungen des Krieges die Form der Kriegsführung
beeinflussten und somit zur Eskalation der Gewalt beitrugen. Dabei ist
für Susanne Kuß klar: Gewalt ist eine anthropologische Konstante (S. 9).
Was als Eskalation der Gewalt und als Abweichung von europäischen Normen
der Kriegsführung erscheint, resultiert aus den speziellen Gegebenheiten
des kolonialen Kriegsschauplatzes. Nicht nur, dass Gewalt im kolonialen
System allgegenwärtig war, im kolonialen Krieg nahm sie neue Dimensionen
ein. Da europäische Konventionen keine Gültigkeit hatten, war die
Entgrenzung der Gewalt kaum eingeschränkt. Hierbei sind die deutschen
Kolonialkriege nicht als Sonderfälle europäischer Kriegsführung in
Übersee zu betrachten. Allerdings erkennt auch Susanne Kuß, dass der
Krieg in Deutsch-Südwestafrika unter den drei Verglichenen eine
herausragende Stellung einnimmt. Dies macht sie zum einen an den enormen
Krankheitsfällen der Schutztruppe fest, deren Ursache insbesondere im
Rahmen der Typhusepidemie den Einheimischen zugeschrieben wurde und
somit die Gewaltbereitschaft radikalisierte (S. 296). Aber auch das
Interesse der anderen Kolonialmächte am Herero-Nama-Krieg deute auf die
Sonderrolle der Ereignisse von 1904-1907 (S. 310). Dabei zeigt Susanne
Kuß, dass es nicht die Eskalation der Gewalt im deutschen Kolonialkrieg
war, die das Ausland interessierte, sondern vielmehr die Fähigkeiten der
deutschen Armee (S. 331, 341). So kommt sie zu dem Schluss, dass die
Unfähigkeit der deutschen Truppen, ihre mangelnde Vorbereitung auf den
Dienst in Übersee und geringe Erfahrung in der Aufstandsbekämpfung die
Form der Kriegsführung beeinflussten und folgt somit den Beobachtungen
zeitgenössischer britischer und französischer Kriegsberichterstatter.
Diese hatten sich für einen schnellen harten Schlag gegen die Herero
ausgesprochen, zu dem das Deutsche Reich jedoch nicht fähig schien (S.
332). Erst die Nachkriegssituation veränderte, durch wechselseitige
Anschuldigungen in deutschen und britischen Farbbüchern, den auf
internationaler Ebene geführten Diskurs um koloniale Gewalt (S. 340).

Ein wichtiger Faktor zur Erklärung der Unterschiede in den Gewaltformen
bleibt, dass das weite Land Südwestafrikas aufgrund seines subtropischen
Klimas als einziges unter den deutschen Kolonien als Siedlungsgebiet
auserkoren wurde. Im Konzept des Kriegsschauplatzes ist jedoch zu
bedenken, dass die kargen Steppen auch andere Grundlagen für die
Kriegsführung boten, als beispielsweise die tropischen Gegenden
Deutsch-Ostafrikas. Das Land, das selbst zu Friedenszeiten den deutschen
Truppen kaum ausreichend Ressourcen bot, wurde im Krieg zu einer
zusätzlichen Bedrohung. Eine Strategie der verbrannten Erde, wie sie
sowohl im Maji-Maji-Krieg als auch während des Boxeraufstandes
angewendet wurde, kam unter diesen geographischen Bedingungen nicht in
Frage. Die Soldaten erlebten Südwestafrika durch die Weite der Natur, in
der die wenigen "kulturarmen" Bewohner den Zivilisierungsphantasien kaum
Grenzen setzten. Für Susanne Kuß resultiert die Umsetzung der
Vernichtungsstrategie im Herero-Nama-Krieg aus der Anpassung an diese,
tatsächlichen oder so wahrgenommenen, Gegebenheiten des kolonialen
Raumes (S. 267f.). Allerdings kann sie an anderer Stelle zeigen, dass
gerade viele der "alten Afrikaner" den wirtschaftlichen Faktor der
Eingeborenen für die koloniale Entwicklung betonten (S. 136).
Strafexpeditionen und die Zerstörung einheimischer Kulturen erschienen
nur in den Gegenden als sinnvolles Mittel kolonialer Herrschaft, in
denen die kulturschaffende Leistung der Einheimischen als solche erkannt
wurde. In Deutsch-Ostafrika wurde die landwirtschaftliche Produktion der
Eingeborenen frühzeitig in die Kolonialplanung mit einbezogen und auch
das militärische Kartenmaterial reagierte auf den Überfluss an
Ressourcen in Ostafrika und China. Dieser Überfluss und die geringere
Zahl der deutschen Soldaten machte eine Anpassung des Krieges an den
Raum, in Form der Strategie der verbrannten Erde, erst möglich und nötig
(S. 261).

Im Vergleich der drei Kolonialkriege gelingt es Susanne Kuß sowohl die
prägenden Unterschiede der kolonialen Gewaltformen herauszuarbeiten, als
auch Gemeinsamkeiten zu finden. Die Heterogenität der Angehörigen der
Schutztruppe lässt, wie Susanne Kuß richtig analysiert, keine direkten
Schlüsse auf eine verallgemeinernde Gewaltdisposition deutscher Soldaten
in Übersee zu. Besondere Bedingungen des kolonialen Kriegsschauplatzes,
vor dem Hintergrund ideologischer Leitlinien wie dem Wort des Kaisers
"Pardon wird nicht gegeben", bilden dabei übergreifende Charakteristika
kolonialer Kriegsführung.

Susanne Kuß integriert in ihrem Kriegsschauplatz-Konzept viele Argumente
um einen universellen Analyserahmen abzustecken. In weiten Teilen
gelingt es ihr so auf die relevanten Faktoren vor Ort hinzuweisen, die
in der Debatte um die Verbindungslinien kolonialer Gewalt gerne
übersehen werden. Einer Tradition genozidialer Gewalt von den
Kolonialkriegen zum Zweiten Weltkrieg steht für Susanne Kuß schon das
Alter ehemaliger Kolonialsoldaten zur Zeit des Nationalsozialismus
entgegen. Trotz des Befundes der Übertragbarkeit kolonialer
Kriegsstrategien auf den europäischen Osten (S. 320) seien in der
Zwischenkriegszeit keine Kolonialkriegsdiskurse geführt worden, die auf
eine Kontinuität hindeuteten (S. 429). Dass die Kolonialkriege in
Reichswehr und Wehrmacht "überhaupt kein Thema" waren (S. 27) steht
jedoch durchaus im Widerspruch zur "Kolonialaufklärung des Heeres".[1]

Bei der deutlichen Betonung der geographischen Faktoren bleibt
sicherlich zu diskutieren, ob die Ursachen der Gewalteskalation in den
geographischen Bedingungen des kolonialen Raumes zu suchen sind oder
doch eher in dem europäischen Blick auf diesen Raum. Und an dieser
Stelle schließt sich auch der Kreis zu den Raumvorstellungen Ratzels und
Haushofers, zu denen Kuß zu Beginn einen Bezug ihres Konzeptes
herstellt. Die Raumvorstellungen der Zeit prägten nicht nur spätere
Lebensraum-Ideen der Nationalsozialisten (S. 35), sondern spiegeln auch
die sozialdarwinistische Weltsicht im Kaiserreich. Gerade die
radikalisierende Lobbypolitik des Alldeutschen Verbandes wäre stärker
mit einzubeziehen, wenn man bedenkt, dass die Raumkonzepte Ratzels und
Haushofers diesem Dunstkreis entsprangen.[2] In der Abarbeitung ihrer
Themen über die Grenzen der jeweiligen Kriege hinweg erscheint einiges
unstrukturiert, manches übergewichtet und wird dabei ihrem eigenem
Konzept des kolonialen Kriegsschauplatzes nicht immer gerecht.

Im Gesamten ist das Buch von Susanne Kuß eine hervorragend recherchierte
und gut in den wissenschaftlichen Diskurs eingebettete Untersuchung zur
Gewalt in der deutschen Kolonialgeschichte. Eine umfassende
vergleichende Studie zu den kolonialen Kriegen war besonders angesichts
der hitzig geführten Debatte um Kontinuitäten zwischen Kolonialismus und
Nationalsozialismus sicherlich wünschenswert. Susanne Kuß nimmt diese
Debatte auf und gibt mit ihrem Konzept des Kriegsschauplatzes wichtige
Denkanstöße. Durch ihre reichhaltige Quellenarbeit eröffnet ihr Werk den
Zugang zu wichtigen Einflussfaktoren der Kriegsführung. Gerade im Bezug
auf die aktuellen Mandate der Bundeswehr gibt Susanne Kuß ihren Thesen
eine Aktualität, die für mögliche Gewalteskalationen in
"out-of-area"-Einsätzen bedacht werden sollten (S. 18).

Anmerkungen:
[1] Vgl. Klaus Hildebrand, Vom Reich zum Weltreich. Hitler, NSDAP und
koloniale Frage, 1919-1945, München 1969, S. 69.
[2] Siehe z.B. Bruno Hipler, Hitlers Lehrmeister. Karl Haushofer als
Vater der NS-Ideologie, St. Ottilien 1996, S. 38.