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Datum 2010/12/06 08:57:18
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Jst Kellners Assimentum
2010/12/27 10:43:19
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Zeitschrift für die Geschic hte der Saargegend 2010
Betreff

2010/12/11 16:58:27
Robert Groß
Re: [Regionalforum-Saar] SZ: Feldpostbriefe nach Winterbach
Autor 2010/12/06 08:57:18
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Jst Kellners Assimentum

[Regionalforum-Saar] über den römischen Gruß , den es so wohl nie gab

Date: 2010/12/06 08:51:44
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

From:    Alexander Juraske <alexander.juraske(a)...   06.12.2010
Subject: Rez. AG: M. M. Winkler: The Roman Salute
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Winkler, Martin M.: The Roman Salute. Cinema, History, Ideology.
Columbus: Ohio State University Press 2009. ISBN 978-0-8142-0864-9; XI,
223 S.; $ 54,95.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Alexander Juraske, Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde,
Papyrologie und Epigraphik, Universität Wien
E-Mail: <alexander.juraske(a)... die filmische Reproduktion der Vergangenheit oft durch Gesten und
kleine Symbole wirksamer funktioniert als über den Dialog oder
aufwendige Massenszenen, hat schon Roland Barthes in Bezug auf die
Verwendung der unauthentischen Stirnfransen in Joseph Mankiewicz'
Shakespeare-Adaption "Julius Caesar" (1953) festgestellt.[1] Der
produktive Historienfilmexperte und Professor of Classics an der George
Mason University Martin M. Winkler [2] hat sich in seiner nun
vorliegenden Monographie "The Roman Salute" mit einer dieser Gesten, dem
saluto romano, auseinandergesetzt, der fest mit dem Repertoire des
Antikfilmgenres verbunden scheint, wenngleich er über keine antiken
Wurzeln verfügt: "As will be seen, however, the term 'Roman salute' is a
misnomer. Not a single Roman work of art - sculpture, coinage, or
painting - displays a salute of the kind that is found in Fascism,
Nazism, and related ideologies. It is also unknown to Roman literature
and is never mentioned by ancient historians of either republican or
imperial Rome." (S. 2)

Gerade in der Eigendynamik der erfundenen und in die Antike
rückprojizierten Handbewegung, die über die Historienmalerei und das
Theater Aufnahme in das junge Medium Film fand und in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts von den autoritären Regimen Europas politisch
instrumentalisiert wurde, liegt für den Autor der Reiz der historischen
Beschäftigung. Die dem Hauptteil vorangestellten drei Einführungskapitel
"History and Ideology: Half-Truths and Untruths" (S. 1-5), "Ideology and
Spectacle: The Importance of Cinema" (S. 6-10) und "About This Book" (S.
11-16) bilden den gedanklichen Grundstock der weiteren Untersuchung und
nehmen das angestrebte Ziel des Autors vorweg: "My book aims to deepen
our understanding of a particular, and particularly effective, way in
which the past - imperial Rome - has been appropriated for purposes of
modern political propaganda and has become an integral, if incorrectly
understood, part of our view of this past" (S. 4f.).

Im ersten Abschnitt des Hauptteils "Saluting Gestures in Roman Art and
Literature" (S. 17-41) setzt sich Winkler mit Formen römischer
Handbewegungen - dextrarum iunctio und supinae manus - sowie mit den
beiden Begriffen fides und foedus auseinander, die mit eindeutigen
Gesten verbunden sind. Sowohl bei der Beschäftigung mit der antiken
Literatur, wobei sich der Autor auf Ammianus Marcellinus, Livius, Lucan,
Ovid und Quintilian stützt, als auch bei der Untersuchung der antiken
Bildzeugnisse, der Trajans- und der Marcussäule, des Augustus von
Primaporta sowie der Reiterstatue Marc Aurels, findet Winkler keine
antike Entsprechung der einschlägigen filmischen Handbewegung.

Das folgende Kapitel "Jacques-Louis David's Oath of the Horatii" (S.
42-56) beschreibt den Ursprung des saluto romano im Rückgriff der
Historienmalerei des 18. Jahrhunderts auf die antike Ikonographie.
Winkler veranschaulicht eindringlich, wie die pseudoantike Symbolik
Davids in der Ikonographie der Französischen Revolution und in der
Konstruktion eines neuen Gesellschaftsentwurfs ein festes Fundament
fand: "The raised arm, first stretched out as a symbol of righteous
fervor - as the Horatii evince it - and later as a symbol of political
allegiance and religious-political unity between a people and its
leader, becomes an important part of the iconography of new societies"
(S. 55); ein Phänomen, welches sich Jahrhunderte später auch beim
italienischen Faschismus und dem deutschen Nationalsozialismus vollzog.

Der dritte Abschnitt "Raised-Arm Salutes in the United States before
Fascism: From the Pledge of Allegiance to Ben-Hur on Stage" (S. 57-76)
beleuchtet im 1892 eingeführten "Pledge of Allegiance" eine
US-amerikanische Variante der charakteristischen Handbewegung und zeigt
ihre Popularisierung durch das Theater am Ende des 19. Jahrhunderts,
welche den entscheidenden Ausgangspunkt für die Übernahme in das junge
Medium Film bildete. Die filmische Adaption der Geste beschreibt Kapitel
4 "Early Cinema: American and European Epics" (S. 77-93): Sie vollzog
sich in den USA durch die erfolgreiche Überführung des Bestsellers "Ben
Hur" von der Bühne auf die Leinwand (1907) und in Italien durch die
Verwendung im Historienfilm der 1910er-Jahre, wobei die Geste noch in
unterschiedlichen Formen vorkam und nicht allein auf die römischen
Figuren beschränkt blieb. Die eigentliche Standardisierung erfolgte
durch Enrico Guazzonis "Marcantonio e Cleopatra" (1913). In dieser
Produktion wird die Handbewegung nur noch den römischen Protagonisten
zugeordnet, sie weist zudem hier diejenige Ausformung auf, die im
italienischen Faschismus prägend werden sollte.

Den stärksten Einfluss auf die Entwicklung des saluto romano billigt
Winkler im fünften Abschnitt "Cabiria: The Intersection of Cinema and
Politics" (S. 94-121) der Person des faschistischen Abenteurers Gabriele
D'Annunzio zu, der im Zuge der illegalen Besetzung der Stadt
Fiume/Rijeka 1919-1920 die Handbewegung als politische Geste verwendete
und den Grundstein zu ihrer militärischen Konnotation legte. Durch die
überaus erfolgreiche italienische Historienproduktion "Cabiria" (1914),
für die der hoch verschuldete D'Annunzio als publicityträchtiges
Zugpferd verpflichtet wurde, erfuhr die Geste endgültig ihre Verankerung
im Antikfilmgenre und wurde über das Vorbild D'Annunzios fixer
Bestandteil der Ikonographie des italienischen Faschismus.

Die spezielle nationalsozialistische Spielart, der "deutsche Gruß" [3],
seine Verwendung im filmischen Werk Leni Riefenstahls, der Gebrauch bei
Massenveranstaltungen am Beispiel der Olympischen Spiele 1936 in Berlin
sowie das Ausstrahlen der nationalsozialistischen Ikonographie auf die
US-amerikanischen Historienproduktionen unmittelbar nach dem Zweiten
Weltkrieg stehen im Mittelpunkt des folgenden Unterkapitels "Nazi Cinema
and Its Impact on Hollywood's Roman Epics: From Leni Riefenstahl to Quo
Vadis" (S. 122-150). Mit der MGM-Produktion "Quo Vadis" (1951) beginnt
die Gleichsetzung des imperialen Rom mit Nazideutschland und die
Verwendung des saluto romano als plakative Verbindung zwischen antiker
und nationalsozialistischer Ikonographie, die Winkler im letzten
Abschnitt des Hauptteils "Antiquity on the Screen from Quo Vadis to
Rome" (S. 151-177) bis zu den aktuellen TV-Produktionen weiterverfolgt,
wobei er zwischen Kino- und Fernsehproduktionen unterscheidet. In der
Auseinandersetzung mit den einschlägigen Filmen behandelt der Autor
neben den Klassikern der 1950er- und 1960er-Jahre ("Quo Vadis", 1951;
"Ben Hur", 1959; "Spartacus", 1960; "The Fall of the Roman Empire",
1964) sowohl die neueren Kinofilme "Titus" (1999) und "Gladiator" (2000)
als auch die aktuellen TV-Serien "Empire" (2005) und "Rome" (2005-2007),
wobei für Winkler die Gleichsetzung des kaiserzeitlichen Rom mit
Nazideutschland schwächer zu werden scheint: "By the time of Titus and
Gladiator the explicit analogies to Nazi Germany and Fascist Italy that
Roman-Empire films like Quo Vadis and others had used were less blatant
on the screen because Fascism and Nazism had themselves begun to fade
from popular memory" (S. 165).

Eine knappe Zusammenfassung (S. 178-184) sowie drei Appendizes zur
Livius-Darstellung der Horatier-Episode (S. 185-189), dem Schwur der
1926 gegründeten faschistischen Jugendorganisation Balilla (S. 190f.)
sowie weiterführender Literatur zu den Themen Faschismus,
Nationalsozialismus und ihrem Verhältnis zur Altertumswissenschaft (S.
192-194) schließen die Publikation ab.

Martin M. Winkler ist ein bemerkenswertes Buch gelungen, welches gerade
durch seine Berücksichtigung der unterschiedlichsten Forschungsfelder
mit Fragen zur antiken Geschichte, zur kulturellen und historischen
Entwicklung Italiens, Deutschlands und der USA sowie zur
Historienmalerei, zu Theater und Film ein breites Spektrum der
interdisziplinären Beschäftigung offenbart, die für Fragestellungen im
Themenbereich Antike und Film von essentieller Bedeutung ist und eine
ernstzunehmende Auseinandersetzung erst möglich macht.

Anmerkungen:
[1] Roland Barthes, Die Römer im Film, in: ders., Mythen des Alltags,
Frankfurt am Main 1964, S. 43-46.
[2] Zuletzt erschienen Martin M. Winkler, Cinema and Classical Texts.
Apollo's New Light, Cambridge 2009 sowie Martin M. Winkler (Hrsg.), The
Fall of the Roman Empire. Film and History, Malden 2009.
[3] Zur deutschen Version vgl. auch Tillman Allert, Der deutsche Gruß.
Geschichte einer unheilvollen Geste, Ditzingen 2010.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Udo Hartmann <hartmannu(a)... zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-4-167>

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