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[Regionalforum-Saar] SZ: St. Wendeler Altstadtfreunde mit neuer Spitze
Datum 2010/01/08 10:16:37
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[Regionalforum-Saar] SZ: St. Wendeler Altstadtfreunde mit neuer Spitze
Autor 2010/01/08 10:16:37
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[Regionalforum-Saar] Tagber: Die biographische Methode in der Regionalgeschichte

Date: 2010/01/08 10:13:47
From: rolgeiger <rolgeiger(a)...

From:    Christine Witte <christine.witte(a)...   08.01.2010
Subject: Tagber: Die biographische Methode in der Regionalgeschichte
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LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte
25.09.2009, Münster

Bericht von:
Pablo Holwitt / Marina Kramm, Münster
E-Mail: <pholwitt(a)...


Am 25. September 2009 fand in Münster der Workshop "Die biographische
Methode in der Regionalgeschichte" statt, der vom LWL-Institut für
westfälische Regionalgeschichte ausgerichtet wurde. Im Fokus des
Workshops standen nicht nur Überlegungen zur biographischen Methode in
der Regionalgeschichte, sondern auch Beziehungen und Wechselwirkungen
zwischen Biographik und Institution, Raum oder Generation. Weiterhin
wurde die biographische Geschichtsschreibung des "kleinen Mannes" und
die Rolle der "gender"-Forschung thematisiert. Hierzu stellten sechs
Referenten ihre Beiträge vor.

Im ersten Beitrag des Workshops referierte THOMAS SPECKMANN (Düsseldorf)
über besondere Möglichkeiten und Probleme einer biographischen Analyse
der sogenannten "kleinen Leute". Anhand seiner biographischen Studie
über den ehemaligen Vorsitzenden der thüringischen CDUD Hugo Dornhofer
erläuterte er, welche Erkenntnisse aus einer
geschichtswissenschaftlichen Untersuchung von historischen
Persönlichkeiten, deren Wirkmächtigkeit auf den ersten Blick gering
erscheint, erwachsen können und wie diese einen Beitrag zu einem
besseren Verständnis historischer Erfahrung liefern können. Speckmann
bezog sich hierbei auf Hagen Schulze, der 1978 auf die Gefahr hinwies,
allein historisch herausragende Figuren zum Gegenstand biographischer
Untersuchungen zu machen.[1] Vielmehr gelte es, die Lebensläufe
durchschnittlicher Persönlichkeiten zu untersuchen, um ein
vollständigeres Bild historischer Prozesse zu erlangen. Bei der
Erläuterung seiner Arbeitsweise unterschied Speckmann zwei methodische
Zugriffe: Zunächst widmete er sich der Frage, wie Dornhofer
zeitgeschichtliche Ereignisse in seinen Tagebüchern darstellte und
verglich diese Befunde mit biographischen Zeugnissen von Zeitgenossen
Dornhofers. Anschließend untersuchte er die Aussagen Dornhofers im
Lichte weiterer Quellen, die eine Relativierung gewisser Aussagen
Dornhofers ermöglichten. Dabei unterstrich Speckmann die Bedeutung
alltäglicher persönlicher Erfahrungen, die zwar in biographischen
Quellen selten reflektiert würden, jedoch oftmals Einfluss auf wichtige
Entscheidungen hätten. Gleichzeitig räumte er ein, dass es problematisch
sei, diese Faktoren mit der gängigen Methodik biographischer
Untersuchungen zu greifen. Am Beispiel von Dornhofer erläuterte er den
prägenden Einfluß von Raum und Milieu auf den Einzelnen und seine
Biographie: Dornhofers Werdegang sei ohne Berücksichtigung seiner
Herkunft aus dem katholisch geprägten Eichsfeld nicht zu verstehen.

In dem Vortrag 'Schauplätze des Lebens' befasste sich EWALD FRIE
(Tübingen) mit dem Zusammenhang der Begriffe Räume - Menschen -
Biographik - Regionalgeschichte. Hierzu gliederte er seine Ausführungen
in drei Abschnitte, die unter den Überschriften ´Menschen prägen Räume´,
´Menschen definieren Räume´, ´Räume definieren Menschen´ und ´Räume
prägen Menschen´ den Zusammenhang zwischen den Teilgebieten aufzeigen
sollten. Im zweiten Teil seines Referats ergänzte Frie diese
Überschriften um den Faktor Biographik und warf die Frage auf, ob die
Biographik die Fragen, die das Verhältnis von Menschen und Räumen
aufwerfe, adäquat abbilde. Er machte hierbei vor allem auf das Problem
der Wandelbarkeit von Räumen aufmerksam, die immer menschlich
produziert, gedeutet und ausgehandelt seien. Auch Räume, so Frie,
könnten demnach eine ´Biographie´ haben. Im dritten und abschließenden
Gliederungspunkt ging Frie darauf ein, welche Konsequenzen das Problem
der Verhältnisbestimmung von Mensch und Raum für die Regionalgeschichte
hat. Der biographische Ansatz schien ihm besonders geeignet zu sein,
einen neuen und frischen Blick auf die Raumkonstruktion insbesondere des
19. Jahrhunderts zu werfen. Dieser Zugriff führte dazu, dass die
dominierenden politisch-administrativen und hochkulturellen
Raumkonstruktionen abgeblendet würden mit dem Ergebnis einer radikalen
Historisierung von Räumen. Diese fließenden Gebilde zwischen politischen
Grenzen und kulturellen Raumkonstruktionen seien von den Menschen über
einen langen Zeitraum als Einheit begriffen und geprägt worden. Auf der
Basis dieser Raumdefinition müsse die Regionalgeschichte neu gefordert
und auf neue Wege geführt werden.

JULIA PAULUS (Münster) stellte in ihrem Referat zum Thema ´Biographie
und Geschlecht´ ihr laufendes Forschungsprojekt zu Parlamentarierinnen
in Westfalen und dem Rheinland vor. Im ersten Teil des Vortrages zeigte
sie auf, dass ´berühmte´ Frauen gegenüber ´berühmten´ Männern in den
traditionellen Lexika bisher vernachlässigt wurden. Mit der Einführung
der Kategorie ´gender´ sei ´Geschlecht´ analog zu den Kategorien Ethnie
und Schicht beziehungsweise Klasse als ein wesentliches Strukturmerkmal
einer Gesellschaft etabliert worden. Hierbei sei Geschlecht nicht mehr
als eine statische Kategorie, sondern als Variable, als ´doing gender´,
welches zwischen gesellschaftlicher Zuweisung und persönlicher Aneignung
steht, betrachtet worden. Somit gerate auch die Biographik aufgrund der
Vernachlässigung von Frauen in die Kritik und müsse neu nach dem Modell
des autonomen Subjektes überarbeitet werden, so Paulus. Hierauf
aufbauend erläuterte sie das Projekt ´Parlamentarierinnen in Westfalen´.
Dieses befasst sich mit der Frage, inwieweit die Zuschreibung "Frau" in
Bezug auf die soziale Praxis von weiblichen Politikerinnen Bedeutung
erlangte sowie mit der Frage nach der Wahrnehmung gesellschaftlich
sanktionierter Rollenmuster und wie sich Frauen dazu verhielten. Das
angestrebte Projekt versucht darzulegen, dass die politische
Partizipation der Frau als umfassendes Engagement zu verstehen ist und
nicht nur als ein eingeschränktes, auf soziale und kulturelle Belange
bezogenes, politisches Interesse. Unter dieser Prämisse soll
insbesondere dem Selbstverständnis, dem Politisierungsprozess, den
politischen Strategien, den (geschlechts-)spezifischen Zugangs- und
Handlungsmöglichkeiten sowie dem Umgang mit Macht von Frauen in einer
von Männern dominierten politischen Struktur nachgegangen werden. Damit
stehen die Fragen nach den Karrieremöglichkeiten von
Parlamentarierinnen, Politikerinnen und Lobbyistinnen im Zentrum des
Forschungsprojektes.

MARCUS WEIDNER (Münster) stellte in seinem Vortrag das neue zukünftige
Modul "Westfälische Biografie Online (WBO) innerhalb des
Internet-Portals "Westfälische Geschichte" [2] vor, welches in
Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern in den nächsten Jahren
realisiert werden soll. Das Ziel des Projektes ist die Erarbeitung eines
umfassenden, thematisch vielseitigen, online verfügbaren biographischen
Lexikons zur Geschichte Westfalen-Lippes. Weidner führte aus, dass
aufgrund der besonderen Bedeutung der Biographik für die historische
Forschung die Integration online verfügbarer Kurzbiographien das
bisherige Angebot des Internet-Portals sinnvoll ergänzen würde. In der
Forschung gehe es nicht mehr nur um die "Großen Männer" der Geschichte,
sondern auch individuelle, sozial- und strukturgeschichtliche
Fragestellungen würden in biographische Überlegungen einfließen. Der
Mensch werde in das Umfeld einer sozialen Gruppe und historischen
Lebenswelt integriert gesehen. Die Einbindung der WBO in das
Internetportal ´Westfälische Geschichte´ garantiere eine einheitliche
Struktur in Bezug auf Inhalt und Ausgestaltung, zum anderen den leichten
und unbeschränkten Zugang jenseits von Anfahrtswegen oder Fernleihen, so
Weidner. Mit der WBO werde ein modernes Personen-Lexikon für
Westfalen-Lippe geschaffen, das durch die Nutzung neuer
internetgestützter Informationstechnologien zukunftsfähig sei.

Zum Thema Autobiographie und Generation referierte VOLKER DEPKAT
(Regensburg). Den scheinbaren Gegensatz der Begriffe Autobiographie und
Generation löste er auf, indem er Autobiographien als "kollektive Texte"
und "Akte sozialer Kommunikation" definierte. Eine Autobiographie sei
demnach nie nur auf den Schreibenden allein ausgerichtet, sondern
enthalte immer auch kollektive Bezüge. Dies trete beispielsweise zutage,
wenn der Autobiograph sein Leben als typisch für eine bestimmte soziale
Gruppe, Region, Berufsgruppe, politische Bewegung oder eben Generation
auffasst und beschreibt. Über die Autobiographie, so Depkat, könnten
auch verschiedene Dimensionen des Begriffs Generation untersucht werden.
Er sprach hier von drei Polen des Begriffs Generation: Erstens
Generation als objektive, nach Alterskohorten geordnete soziale
Formation, die durch eine altersgruppenspezifische Schichtung von
Erfahrungen definierbar ist. Zweitens Generation als Diskursphänomen
interessegeleiteter Selbst- und Fremdthematisierung im sozialen Kontext
und drittens Generation als privates, sich in Abstammung, Genealogie und
Generativität von Familien manifestierendes Phänomen. Als
erfolgversprechendsten Ansatz betrachtet Depkat die Analyse von
"Generation" als Selbst- und Fremdthematisierungsformel im Kontext
sozialer Selbstbeschreibungsprozesse. Die Autobiographie kann ein Medium
dieser generationellen Selbstthematisierung sein, muss aber immer in
ihrem jeweiligen historischen Kontext betrachtet werden. Dies brachte
Depkat auf die Formel, dass das "Was" der autobiographischen
Kommunikation stets durch das "Wie" und "Warum" bestimmt sei. Jedoch
seien generationelle Selbst- und Fremdzuschreibungen stets wandelbar und
könnten durch Zäsurerfahrungen beeinflusst und verändert werden. Depkat
wies darauf hin, dass Generation nur eine von mehreren möglichen
Kategorien der autobiographischen Selbstkollektivierung sei; weitere
Kategorien seien beispielsweise Klasse, Beruf, Schicksal oder Region.

CHRISTINE MÜLLER-BOTSCH (Berlin) bereicherte den Workshop mit einem
Referat zum Thema Biographie und Institution. Sie legte anknüpfend an
ihre Dissertation über untere NS-Funktionäre von 1933 bis 1945 ihren
methodischen Zugriff zur Auswertung biographischer Selbstzeugnisse dar.
Ihre Methode speist sich sowohl aus geschichtswissenschaftlicher
Quellenanalyse als auch aus sozialwissenschaftlicher Biographieanalyse:
Ausgehend von der Rekonstruktion der spezifischen Entstehungskontexte
bestimmter Ego-Dokumente werden diese zunächst getrennt voneinander
analysiert und dann miteinander kontrastiert. Solche biographischen
Fallrekonstruktionen können eine Grundlage für Typenbildungen bei
spezifischen Forschungsfragen bilden, so Müller-Botsch. Das Verhältnis
von Biographie und Institution lasse sich laut Müller-Botsch anhand
dieser biographischen Fallrekonstruktionen und daraus formulierten
theoretischen Verallgemeinerungen herausarbeiten. Hierbei trete ein
Wechselverhältnis zwischen Mensch und Institution zutage: Durch die
Auswertung biographischer Zeugnisse könne der Einfluss von Menschen auf
Entwicklung, Wandel und Praxis von Institutionen mit Rücksicht auf ihre
biographische Handlungsorientierung untersucht werden. Ebenso lasse sich
nachvollziehen, wie institutionelle Vorgaben Selbstsicht und
Handlungsweisen der Akteure beeinflussen. In diesem Zusammenhang machte
Müller-Botsch darauf aufmerksam, dass sich die Biographieforschung auch
als sinnvolle Ergänzung zur Institutionen- und Organisationsforschung
anbiete.

In den Diskussionsrunden wurden vor allem Fragen zum Verhältnis von Raum
und Region zum Individuum, zur Methodik biographischer Studien, zu den
Zielen der genannten Forschungsprojekte und dem speziellen Nutzen
biographischer Studien für die Regionalgeschichte aufgeworfen und
diskutiert. In der Diskussion wurde deutlich, dass die Ergebnisse
regionalgeschichtlicher Forschung eine wichtige Folie für biographische
Studien darstellen: So könnten mit regionalgeschichtlichen Befunden
operierende Kollektivbiografien erarbeitet werden, um auf diese Weise
regionale Vergleiche zu ermöglichen. Die Referate des Workshops werden
in einem Sammelband zusammengefasst, der im nächsten Jahr in der Reihe
"Forum Regionalgeschichte" des LWL-Instituts für westfälische
Regionalgeschichte veröffentlicht wird.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Moderation
Prof. Dr. Bernd Walter (Münster)

Einführung
Martin Dröge (Münster)

Thomas Speckmann (Düsseldorf)
Die Welt als Wille und Vorstellung.
Chancen und Probleme einer biografischen Geschichtsschreibung des
"kleinen Mannes"

Ewald Frie (Tübingen)
Schauplätze des Lebens

Julia Paulus (Münster)
Biographie und Geschlecht

Marcus Weidner (Münster)
Die "Westfälische Biografie Online" (WBO)

Volker Depkat (Regensburg)
Autobiographie und Generation

Christine Müller-Botsch (Berlin)
Biographie und Institution

Anmerkungen:
[1] Vgl. Hagen Schulze: Die Biographie in der "Krise der
Geschichtswissenschaft", in: GWU 29 (1978), H. 8, S. 513f.
[2] <http://www.westfaelische-geschichte.de> (22.12.2009).

URL zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2942>

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