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2008/02/19 18:00:48
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] heute abend: Nachtwächter in Homburg
Datum 2008/02/25 11:39:14
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Seminar Vertiefende Familienforschung am 17. + 18. Mai 2008
2008/02/04 12:36:14
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Eckstein. Journal für Ges chichte, Januar 2008
Betreff 2008/02/19 18:00:48
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] heute abend: Nachtwächter in Homburg
2008/02/19 18:00:48
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] heute abend: Nachtwächter in Homburg
Autor 2008/02/25 11:39:14
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Seminar Vertiefende Familienforschung am 17. + 18. Mai 2008

[Regionalforum-Saar] Gedanken über den Nachtwä chter

Date: 2008/02/22 22:27:09
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Salü,

 

letztes Wochenende habe ich eine harte Kritik auf den neuen St. Wendeler Nachtwächter und seine Stadtführung hier ins Regionalforum gesetzt hat. Diesbezüglich hat es außerhalb des Forums erhebliche Aufregung gegeben.

 

Nun habe ich festgestellt, daß meine Kritik - gleichwohl man über die Wortwahl streiten kann - durchaus gerechtfertigt gewesen wäre - hätte es sich um eine Stadtführung gehandelt. Doch das ist nicht der Fall.

 

Der Nachtwächter - früher wie heute - macht zwar in seiner Kluft mit Horn und Pieke absolut was daher, doch fragt es sich, welch Geistes Kind dieser Mensch früher gewesen sein mag. Nachtstreife - das kenn ich von der Wunderwehr her - ist etwas, was keiner gerne tut, und oft als Strafe angesehen und eingesetzt wird. Insofern war in erster Linie eine respekt-, wenn nicht gar furchteinflößende Gestalt gefragt, Intellekt - und das unterscheidet den damaligen Nachtwächter von dem von heute in erheblichem Maße - aber wohl nur in zweiter Linie.

 

Daraus folgt allerdings, daß der damalige Nachtwächter über die Geschichte seiner Heimatstadt bestenfalls ein paar grundlegende Informationen hatte, aus welcher Basis auch herrührend. D.h. exakte Informationen, gar Details, durfte man nicht von ihm verlangen. Was er wußte, waren die Geschichtchen, die man sich auf der Straße und natürlich auch in der Gosse erzählt, Anekdoten, Zoten, Klatsch in Reinkultur.

 

Betrachte ich nun unter diesem Aspekt den Rundgang des Nachtwächters vor zwei Wochen, dann ist das, was er erzählt hat - oder besser nicht erzählt, weil weggelassen hat, - vor allem im Detailbereich, exakt das, was wohl vorgesehen gewesen sein mag. Gleichwohl er wiederum in Bezug auf seinen historischen Vorgänger zu viel gewußt haben mag.

 

Leider ist dieser Hintergrund im Vorfeld nicht klar gemacht worden. Im Zeitungsartikel stand darüber nichts drin, also woher sollte der unbedarfte, aber sachkundige Besucher das wissen?

 

Logisch, da wird natürlich aus der geschiedenen Luise - Scheidung war damals grad im stockkatholischen St. Wendel noch ein absolutes Fremdwort und wenn schon, dann den Evangelischen vorbehalten - ein zänkisches Weib, das seinem vom Stress und der Politik geplagten Ehemann keine Ruhe ließ und immer wieder Geld haben wollte. Dann wußte der Nachtwächter von irgendwelchen finsteren Gängen, die unten im Brunen in der Oberstadt münden und gemeinhin - außer von Ratten - nur von Leuten besucht wurden, die das Tageslicht scheuen oder vor einem eindringenden Feind fliehen wollen. Dann weiß der gute Mann zwar, daß St. Wendel eine Stadt ist und zwar schon lange, aber das drumherum kennt er nicht. "Wir ham ne Mauer und nen Bürgermeister, klar sind wir ne Stadt, blöde Frage". Dann wird er sich hüten, von den Vorgängen vom Hambacher Fest zu erzählen, als diese elenden Aufwiegler mit diesen Flausen im Kopp zurückkamen und den armen Coburger Präsidenten damit belästigten. Und bauernschlau wie er ist, wird er den Leuten erzählen: "Das rote Haus heißt rotes Haus, weil man Stierblut in die Farbe gemischt hat." Das ist insofern clever, als es einleuchtend ist und kurios ("So watt jibts nur in St. Wendel") und man auf keine anderen Gedanken mehr kommt. Die Stadtmauer hat er dann natürlich nicht mehr gekannt, nur von seinen Altvorderen davon reden hören. Er weiß, daß sie mal hier irgendwo war, aber dieser kümmerliche Stumpf, das ist sie sicher nicht.

 

Der heutige Nachtwächter weiß das alles natürlich, aber er muß sich noch mehr in die Rolle seines Vorgängers vor 100 Jahren hineinversetzen und sich - wie man bei uns sagt - "dümmer dran stellen als er wirklich ist". Er muß sich in das einfache Gemüt versetzen eines Mannes, der nachts einsam durch die Straßen streift, nichts Böses erwartet, doch nie sicher sein kann, daß hinter der nächsten Straßenecke nicht doch etwas lauert. Der die Wirte alle kennt und hier und dort gern zu einem kleinen Stärkungstrunk einkehrt, sein Schwätzchen hält und "Neuigkeiten" erfährt, so unsinnig die auch sein mögen: Wenn sie sich gut anhören, kann er sie auch gut weitererzählen.

 

Aber - zurück im Heute - das erfordert im Vorhinein eine Mitteilung an die Besucher, an manchem zu zweifeln, über einiges zu lachen und ansonsten den ganzen Rundgang nicht zu ernst zu nehmen. An der Sache muß der Nachtwächter (der heutige) noch feilen, weil der Übergang vom Wahren ins Fiktive nicht erkennbar war resp. es nicht klar war, daß das meiste, das erzählt wurde, nicht wahr sein kann. Ein Augenzwinkern hier und da, eine vorsichtmahnenden Geste dann und wann und ein leiser, aber hörbarer ironischer Unterton, das wäre eine feine Sache.

 

Dann hätte auch ich es von vorne rein gemerkt, und mein Kommentar zur "Stadtführung" wäre nie geschrieben worden. Denn wer über Absurditäten, die zu einem Zeitpunkt gebracht werden, bei dem jeder weiß, daß es solche sind, nicht lachen kann, ist selber schuld. Aber es muß einem schon gesagt werden.

 

Aber der Nachtwächter in St Wendel steht noch an seinem Anfang und wird noch einige Male laufen. Und noch genügend Gelegenheit haben, seine Geschichtchen an den Mann zu bringen (und natürlich die Frau).

 

Roland Geiger, St. Alsfassen, am 22. Februar 2008