Danke für diesen Text! Ja, der Struwwelpeter! Hoch soll er leben!
Von meinem/meiner Galaxy gesendet
-------- Ursprüngliche Nachricht -------- Von: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)... Datum: 27.12.24 10:52 (GMT+01:00) An: Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)... Betreff: [Regionalforum-Saar] Der Struwelpeter wird 180 Jahre alt
Vor 180 Jahren erfand ein Frankfurter Arzt
Hanns Guck-in-die
Luft und den Suppen-Kaspar. Was als Weihnachtsgeschenk für seinen
Sohn gedacht
war, eroberte die Welt - und ist bis heute aktuell.
Ob ADHS, Magersucht oder aufs Handy schauen beim Laufen: Viele
Geschichten aus
dem "Struwwelpeter" erscheinen heute verblüffend aktuell. Dabei
wird
das Buch dieses Jahr zu Weihnachten 180 Jahre alt. Der Frankfurter
Arzt
Heinrich Hoffmann schrieb und zeichnete die Geschichten
ursprünglich als
Weihnachtsgeschenk für seinen dreijährigen Sohn.
Heute gibt es tausende Varianten der ursprünglichen
Struwwelpeter-Geschichten:
in unzähligen Sprachen und Dialekten, anders illustriert, als
Satire,
Gegenentwurf und für Propagandazwecke. Dass das Buch so langlebig
und so
wandelbar ist, liegt an seiner "Anschlussfähigkeit", sagt Beate
Zekorn-von Bebenburg, die Leiterin des Frankfurter
Struwwelpeter-Museums.
"Alle die Geschichten lassen sich im Kern sehr gut auf die
Gegenwart
übertragen."
Bei Hanns Guck-in-die Luft sieht der heutige Leser sofort
Jugendliche mit dem
Blick aufs Handy
wie ferngesteuert durch die Stadt laufen.
Bei der Geschichte vom Zappel-Philipp denkt man an ADHS
und
beim Suppen-Kaspar an Magersucht.
Auch wenn diese Diagnosen damals so noch nicht existierten:
Hoffmann war Arzt.
"Es ging ihm darum, Kinder vor Schaden zu bewahren", sagt
Zekorn-von
Bebenburg.
Die Geschichte vom Daumenlutscher warne vor Infektionen, Pauline
mit den
Streichhölzern vor unachtsamem Umgang mit Feuer. Den Struwwelpeter
selbst, das
Kind, das sich nicht Nägel und Haare schneiden lassen will, sieht
sie als
"eine Ikone der Rebellion".
Dass Hoffmanns Figuren als schwarze Pädagogik und damit auch
kritisch gesehen
werden, kann sie einerseits verstehen. Andererseits gehe es
Hoffmann auch immer
"um das Anderssein und das Anderssein dürfen".
Hoffmann (1809-1894) war jedenfalls alles andere als ein strenger,
autoritärer
Mensch, wie der Besucher im Struwwelpeter-Museum erfährt. Er
zeichnete
Karikaturen und schrieb Satiren, liebte schwarzen Humor und war
bisweilen ein
ziemlicher Kindskopf.
Er gründete er einen Club, in dem sich die Mitglieder als Gemüse
ansprachen.
Dort überredete Verleger "Spargel" den Arzt "Zwiebel", die
Struwwelpeter-Geschichten zu veröffentlichen.
Die erste Fassung erschien 1845 unter dem Pseudonym Reimerich
Kinderlieb.
"Der Schlingel hat sich die Welt erobert", wunderte sich Hoffmann,
als das Buch bald so bekannt ist, dass selbst Kaiser Wilhelm I.
ihn
kennenlernen will.
Die handgezeichnete Urfassung, die der kleine Carl 1844 von seinem
Vater zu Weihnachten
bekam, ist im Frankfurter Museum leider nicht zu sehen. Es gehört
dem
Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg.
Dass die Geschichten bis heute "funktionieren", liegt nach Ansicht
der Museumschefin daran, dass Hoffmann Konflikte darstellt, die
jedes Kind
erlebt, egal in welchem Land, welchem Staat, in welcher Zeit es
lebt: Es muss Gefahren
abschätzen, sich mit Regeln auseinandersetzen, sich seinen Ängsten
stellen.
Humor und Fantastik helfen dabei, die Bedrohlichkeit abzumildern.
So zeitlos die Vorlage ist mit ihren "archetypischen
Kindheitserfahrungen", so zeitgebunden wirken die jeweiligen
Adaptionen,
die es im Museum zu entdecken gibt: Einem Struwwel-Hitler tropft
das Blut von
den Händen, beim Anti-Struwwelpeter haben die Erwachsenen den
Schaden, eine
DDR-Variante wirbt für staatstreues Verhalten, eine Corona-Fassung
fürs
Händewaschen und Maske-Tragen.
Rund 30.000 Besucher kommen pro Jahr in das privat betriebene
Museum, das
bereits 1977 gegründet wurde und seit 2019 in der neuen
Frankfurter Altstadt zu
Hause ist.
Dass der gemeinnützige Inklusionsbetrieb Menschen mit psychischen
Beeinträchtigungen beschäftigt, hätte Hoffmann sicher gefallen.
Als Direktor
der städtischen "Irrenanstalt" wurde er - neben seiner Karriere
als
Kinderbuchautor - zum Pionier einer humanen Psychiatrie.
Quelle: Am 17. Dezember in der Saarbrücker Zeitung, Kultur,
erschienen
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