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2024/11/28 09:43:17 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Neue Erkenntnisse zur Baugeschichte der Abteikirche St. Mauritius zu Tholey |
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Betreff | 2024/11/01 20:22:23 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] am Montagabend: DEUTSCHE AUSWANDERUNG UND SIEDLUNGSGEBIETE IN AMERIKA VOM 19. JAHRHUNDERT BIS ZUM ERSTEN WELTKRIEG |
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2024/11/28 09:43:17 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Neue Erkenntnisse zur Baugeschichte der Abteikirche St. Mauritius zu Tholey |
Autor | ![]() |
Date: 2024/11/28 23:49:59
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Straßen im 16. Jahrhundert. Erhalt – Nutzung –
Wahrnehmung
von Alexander Denzler
Reihe Ding, Materialität, Geschichte
Erschienen Köln 2023: Böhlau
Verlag
Anzahl Seiten 539 S., 60 Abb.
Preis € 80,00
ISBN 978-3-412-52759-4
Rezensiert für H-Soz-Kult von Lina Schröder,
Lehrstuhl
Fränkische Landesgeschichte, Universität Würzburg
„Die gute Straße – danach strebten auch die Zeitgenossen des 16.
Jahrhunderts“
(S. 456). Mit diesem Satz beginnt Alexander Denzler zutreffend die
Schlussbetrachtung seiner Habilitationsschrift. In dieser
fokussiert der Autor
die außerurbanen Straßen nicht – wie bisher in Verkehrs- und
Infrastruktur-Geschichte (ISG) üblich – in erster Linie als
Transport- und
Verbindungslinien, die es Menschen, Waren und Nachrichten
ungeachtet aller
(baulichen) Widrigkeiten ermöglichten, von Punkt A nach Punkt B zu
gelangen.
Stattdessen analysiert er ihre vielfältigen Erscheinungsformen,
Nutzungsweisen,
Instandhaltungspraktiken und Aneignungsformen durch Menschen
zahlreicher
Statusgruppen in Abhängigkeit von der Natur (Kapitel 1, S. 58).
Damit bricht
Denzler mit der gängigen „Fließmetapher“, die sowohl die Verkehrs-
als auch ISG
bis heute dominiert, da dort vor allem der Austausch von Menschen,
Waren,
Nachrichten oder Ideen unter der Prämisse des Fließens im Kontext
des Verkehrs
im Vordergrund steht.1 Denzler unterstreicht
damit zugleich
einmal mehr, dass Infrastruktureinrichtungen eine weitaus
komplexere
Verankerung innerhalb der Gesellschaft aufweisen, als es die
Reduktion auf die
sogenannten „Fließmetapher“ suggeriert.
Sein umfangreiches Werk gliedert er bis zur Schlussbetrachtung in
sechs
Kapitel. Nach der Einleitung (Kapitel 1), welche die Lesenden
unter anderem
über Forschungsstand, Fragestellung und das methodische Vorgehen
des Autors
informiert, widmet er sich – unter anderem ausgehend von der die
Verkehrsgeographie dominierenden Straßentypologie Dietrich
Deneckes sowie von
zahlreichen kartographischen Darstellungen – seinem Thema aus
einer
praxeologischen Perspektive, indem er insgesamt fünf
Untersuchungsfelder im
Kontext der Straße fokussiert: Visualisierung und Begriffe
(Kapitel 2), Reisen
(Kapitel 3), Materialität (Kapitel 4), Herrschaft (Kapitel 5)
sowie
Mikromobilität (Kapitel 6). Hierdurch wird es, wie Denzler richtig
ausführt,
möglich, die großen und kleinen Straßen als Kontaktzonen und damit
als
„dynamischen, essentiellen Bestandteil vormodernen Lebens und
Herrschens zu
ergründen“ (S. 58). Anstelle der Konzentration auf den
Verkehrsfluss geraten so
beispielsweise die Ausstattung (Wegkreuze, Bildstöcke, Gräben
etc.),
Nutzungsbedingungen sowie -schwierigkeiten im Zusammenhang mit
Straßen in den
Blick, die, so Denzlers Ausgangsüberlegung, oft weniger aus der
baulichen
Qualität, sondern zuvorderst aus der Verletzlichkeit und
Angreifbarkeit (zum
Beispiel Krieg, Naturgefahren) der menschlichen und tierischen
Körper
resultierte (S. 58f., S. 64f.).
Als Untersuchungsraum nimmt er schwerpunktmäßig das sehr ländlich
geprägte
Oberdeutschland (Schwaben, Franken und Bayern) zum Ausgang, das
bereits im 16.
Jahrhundert eine Pluralität an Straßen und Wegen aufwies. Damit
fokussiert er
für seine Analyse der straßenorientierten Interessen und
Bedürfnisse einen
Raum, der einerseits von Herrschaftsvielfalt geprägt war
(territorium non
clausum) und andererseits in jener Zeit eine territoriale
Verdichtung erfuhr.
Mit der Reichsstadt Nürnberg ist dabei ferner auch ein vormoderner
Verkehrsknotenpunkt vertreten.
Dem praxeologischen Ansatz und der Komplexität seines
Untersuchungsgegenstandes
folgend, bedient sich Denzler überzeugend eines disparaten
Quellenkorpus: Es
enthält unter anderem Verwaltungsakten, Rechnungsbücher als
„kognitive
Artefakte“ (S. 265), Dorfordnungen, Itinerare, Reiseberichte und
medizinische
oder theologische Ratgeber. Insbesondere medizinische und
theologische
Schriften wurden im Kontext der Straßen- und
Infrastrukturforschung bis dato
vernachlässigt. Gerade aus praxeologischer Sicht geben sie jedoch
über
vielerlei Aspekte des „Doing Mobilität“ Auskunft. Beispielsweise
wurden dort
Möglichkeiten und Grenzen der Fortbewegung reflektiert und
klassifiziert.
Wichtige Aspekte waren dabei Wetter- und Natureinflüsse wie zum
Beispiel
verschiedene Jahreszeiten oder Unwetter. Auch gab es einen
Unterschied
bezüglich des Reisens mit und ohne Post; bezüglich der guten und
schlechten
Wege zu Land und zu Wasser spielten wiederum Wegkundige eine
wichtige Rolle.
Ebenso enthalten waren Distanzangaben und Informationen bezüglich
der
(Selbst)vergewisserung der Reiseleistung: die Reflexion der
körperlichen
Anstrengungen und der Reiseerfahrung, potentielle
(Lebens)Gefahren,
(Un)Planbarkeiten, durch Naturereignisse beeinflusste
Reisegeschwindigkeiten
(Lawinen, Steinschläge, Wellengang etc.), Angaben zum
Mensch-Tier-Verhältnis,
zur Reisememoria oder -sicherheit (S. 222). Mithilfe dieser
systematischen
Erweiterung der Perspektive auf das Reisen hinterfragt Denzlers
Studie zugleich
den bisherigen Forschungskonsens, dass außerurbane Straßen
durchweg in einem
„miserablen“ Zustand gewesen seien, erst recht im Vergleich zur
Zeit des
„glorreichen Chausseen-Baus“ im 18. Jahrhundert. Stattdessen
gelingt ihm durch
die in den einzelnen Kapiteln eingenommenen verschiedenen
Perspektiven ein Bild
vormoderner Straßen zu zeichnen, das den naturräumlichen und
materiellen
Bedingungen Raum gibt und jenseits der gängigen Fließmetapher das
ständige
Wechselspiel zwischen dem natürlich gegebenen und dem vom Menschen
materiell
geschaffenen Raum in den Vordergrund rückt. Dabei fokussiert er
nicht nur das
Unterwegssein sozialer Eliten, sondern zeigt, dass auch sesshafte
Untertanen
von und mit der Straße lebten (S. 55f.).
Es wird ferner deutlich, dass Straßen einen ähnlichen
Arbeitsturnus wie
beispielsweise das Deichwesen erforderten (Kapitel 4). Zur
Kontaktzone „Straße“
gehörten auch zahlreiche weitere Bauten wie etwa Brücken,
Gasthäuser, Gräben,
Böschungen, Kreuze oder Bildstöcke – sie alle sind Bestandteil der
„sorg und
arbeit des wegs“ (Kapitel 3) und fanden in zahlreichen
kartographischen
Darstellungen ihren Platz (Kapitel 2). Die Vielfalt der bereits
damals sich in
Gebrauch befindlichen Darstellungsformen (Augenscheine,
Straßenkarten,
Landesaufnahmen) unterstreicht die Bedeutung der Straße als
alltäglicher
Bestandteil des Lebens. Obgleich die in der Kartographie
visualisierten
Wegstrecken in der Regel über Generationen von Menschen genutzt
wurden, blieb
deren Nutzungsintensität nie gleich und konnte allein aufgrund der
Jahreszeit,
aber erst recht durch kriegerische Ereignisse in anderen Gebieten
erheblich
variieren. Temporalität und Nichtbeständigkeit müssen im Kontext
der
überlieferten Karten somit stets mitgedacht werden, sie ließen
sich naturgemäß
nicht ständig aktualisieren (S. 142f., S. 259). Jedes Dorf war
indes Zentrum
der Instandhaltung der Verkehrsinfrastruktur, „jeder Bewohner
Teilnehmer an
diesem Vollzugsgeschehen“ (S. 406): Bei Straßen und Wegen handelte
es sich wie
bei Allmenden und Gemeindewäldern um „gemeines Gut“ (Kapitel 6).
Insbesondere
zur Organisation und Umsetzung der Fronarbeit gibt es jedoch
bisher kaum
Forschung, womit an dieser Stelle laut Denzler ein größeres
Desiderat besteht
(S. 464f.).
Auch die Straße stellte, ähnlich wie das Deichwesen Herrschaft
durch
Landgewinnung und -festigung erst ermöglichte, eine obrigkeitliche
Basis dar:
Ohne Straßen konnte, so resümiert Denzler, im 16. Jahrhundert nur
schwerlich
geherrscht werden. Zu wichtig waren sie für die innerterritoriale
Organisation,
etwa für die Versorgung der eigenen Städte und Dörfer (Kapitel 5,
S. 317).
Straßen waren damit Anlass für spezifische Sicherheitsdiskurse,
Konflikte
zwischen einzelnen Herrschaften, für Visitationen und Beschwerden.
Denzlers
Analysen zeigen, dass sich die Zeitgenossen der von schlechten
Straßen
ausgehenden Fernwirkungen (Verlagerung des Verkehrs auf andere
Straßen,
unerlaubtes Befahren an der Straße liegender Äcker etc.) durchaus
bewusst waren
(S. 323, S. 399).
Denzlers Studie liefert einen sehr detaillierten Einblick in die
Organisation
und Gestaltung des vormodernen Verkehrs. Dabei gelingt es ihm,
über die breite
Quellenauswahl und den methodischen Ansatz ein anderes Bild der
vormodernen
Straßen zu präsentieren, das er durch seine gut lesbaren
Kartenausschnitte und
Diagramme zusätzlich veranschaulicht. Im Sinne der
Ressourcennachhaltigkeit
eine schöne Idee stellt dabei auch ein abgedruckter QR-Code dar
(S. 73), der
den Lesenden einen leichteren Zugriff auf online verfügbare
Digitalisate
ermöglichen soll. Denzler begreift vormoderne Straßen als
Kontaktzonen, wo
Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft sowie Geschlechts und
verschiedener
Intentionen miteinander in Berührung kamen. Gerade auch mit Blick
auf die
Verkehrs- und ISG liefert Denzlers Studie zahlreiche neue Aspekte
und
Anknüpfungspunkte: Wie andere Infrastruktureinrichtungen auch
lassen sich
Straßen eben nicht nur auf einen Fließvorgang reduzieren
beziehungsweise über
einen solchen in ihrer Funktion erklären.
Anmerkung:
1 Vgl. bezüglich der ISG etwa
Dirk van Laak,
Alles im Fluss, Frankfurt am Main 2018; Gerrit Jasper Schenk,
‚Knoten‘ im
‚Netz‘? Überlegungen zur Hafenstadt als ‚kritischer
Infrastruktur‘, in: Peter
Ettel / Achim Thomas Hack (Hrsg.), Sonderdruck RGZM – Tagungen/39
(Interdisziplinäre Forschungen zu den Häfen von der Römischen
Kaiserzeit bis
zum Mittelalter in Europa 7), Mainz 2019, S. 207–236; Gerrit
Jasper Schenk /
Stephanie Eifert, ‚Kritische Infrastrukturen‘ als Ergebnisse
individueller und
kollektiver Kritikalitätszumessungen – ein Ansatz für die
Mediävistik?, in:
Jens Ivo Engels / Alfred Nordmann (Hrsg.), Was heißt Kritikalität?
Zu einem
Schlüsselbegriff der Debatte um Kritische Infrastrukturen,
Bielefeld 2018, S.
47–96.
Zitation
Lina Schröder, Rezension zu: Denzler, Alexander: Straßen im 16.
Jahrhundert.
Erhalt – Nutzung – Wahrnehmung. Köln 2023 , ISBN
978-3-412-52759-4, in:
H-Soz-Kult, 29.11.2024, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-139239.