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2024/11/05 13:40:31
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Aufzeichnung „Deutsche Aus wanderung und Siedlungsgebiete in Amerika vom 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg“
Datum 2024/11/09 08:35:55
Marx FJ via Regionalforum-Saar
Re: [Regionalforum-Saar] Unsichtbar
2024/11/20 10:01:34
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] online Vortrag heute abend "Fahrendes Volk: Gaukler, Schausteller, Wanderberufe"
Betreff 2024/11/09 08:35:55
Marx FJ via Regionalforum-Saar
Re: [Regionalforum-Saar] Unsichtbar
2024/11/05 13:40:31
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Aufzeichnung „Deutsche Aus wanderung und Siedlungsgebiete in Amerika vom 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg“
Autor 2024/11/10 19:48:55
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Das Grabtuch von Turin

[Regionalforum-Saar] Unsichtbar

Date: 2024/11/08 21:31:29
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Das Hotel „Angel’s“, das von vielen Besuchern „Äinschels“ gesprochen wird, woran meines Erachtens das falsche Apostroph-„s“ dran schuld ist, hat vier Eingänge, d.h. eigentlich nur einen seitlich des langen Gebäudes, das mal drei einzelne Häuser waren, in der Seitenstraße, die vom Dom - so nennen wir unsere große Kirche, obwohl sie natürlich keiner ist, weil wir hier keinen Bischof haben, wir sie aber so nennen, weil sie ne große Kirche ist - zur ehemaligen Stadtmauer führte, die ursprünglich jenseits der Josefstraße entlanglief und von der heute nichts mehr übrig ist - es sei denn, sie zählen das Stück in der Oberstadt hinzu, das aber „nur“ die Rückseite einer vor 100 Jahren abgerissenen Scheune ist -, während die anderen drei Eingänge die alten Türen der drei genannten ehemaligen Einzelhäuser sind. Von denen ist die linke immer zu, die rechte führt zur Cocktailbar, die mittlere in das Restaurant, das nicht „Angel’s“, sondern „Luise“ heißt, offiziell nach der Herzogin, inoffiziell nach der Mutter des Gründers.

Auf das Hotel zu steuern heute abend vier Menschen mittleren Alters, zwei Männlein und zwei Weiblein, die je einen radbewehrten Koffer hinter sich herziehen. Ich stehe an der Nordwestecke der Kirche und harre der Gäste, die heute abend nicht kommen werden. Ich bin standesgemäß gekleidet - wie es sich für den Nachtwächter von St. Wendel gehört. Mittelalterlich braune Hose, modern braune Schuhe, schwarze … nee, die Farbe meiner Unterhose brauchen Sie nicht zu wissen, so wenig, daß ich ein blaukariertes Hemd trug. Darauf meinen altehrwürdigen schweren schwarzen Kutschermantel und auf dem Kopf mein alter Zylinder, in der einen Hand die Laterne mit echter Kerze (es gibt welche, die laufen ohne guten Grund mit Batterie betriebenen Lämpchen), mich mit der anderen Hand an meiner Pike festhaltend, die anderswo Hellebarde genannt wird (wobei an dem Ding nix Helles ist - das Holz ist dunkelbraun, die Schneide fleckig). Eigentlich bin ich nicht zu übersehen, aber irgendwie bringen die das fertig.

Sie stehen vor dem Hotel und wissen nicht „ein“.
Hilfsbereit - wie man als guter Nachtwächter von St. Wendel ist - rufe ich ihnen zu: „Wenn Sie ins Hotel wollen - da links durch die Seitengasse.“
Kein Kopf dreht sich, niemand schaut herüber.
Sie steuern auf den Mitteleingang zu - hm, dort durchs Restaurant und mit den dicken Koffern - nicht so gut.
„Am besten, Sie gehen links“ ruft der freundliche Nachtwächter von nebenan. Keine Reaktion. Hm, vielleicht Nicht-Deutschsprechende.
„Entrance to the left“ rufe ich. Keine Reaktion, kein Zögern, als wenn ich nicht da bin.
Gut, bin ich halt nicht da. Sie gehen erst nach links zu der Tür, die keine ist, wenden sich dann nach rechts, wuchten die schweren Koffer die drei Stufen hoch, laufen dann aber an der Tür vorbei und steigen die acht oder neun Stufen zur Tür in die Cocktailbar hoch. Und verschwinden.
Hm, die haben mich sicher nicht gesehen, weil es dunkel ist und ich ein wenig im Schatten stehe. Oder …

Auf der anderen Domseite laufen Leute vorbei, da mache ich die Probe aufs Exempel.
„Guten Abend“ mit Hut vom Kopf und Verbeugung.
Sie lachen.
„Sie sehen mich?“ frage ich mit angstvollem Ton.
„Klar“ sagen sie, „aber wir fragen uns, was Sie darstellen?“
Ich staune und sage: „Hm, mit schwarzem Mantel, Hellebarde, Hut und Mantel - was meinen Sie?“
„Ich weiß“ sagt einer, „Sie sind der … der … na, der Heilige, nach dem die Stadt benannt ist.“
„Nein“ entgegne ich indigniert, „der Heilige Wendelin ist tot und liegt dort in der Kirche. Der wandert schon lange nicht mehr umher.“
„Und Sie sind?“ Hilfloser Blick.
„Ich bin nur der Nachtwächter von St. Wendel.“
Da wendet sich der Nachtwächter mit Grausen. Zieht den Hut, nickt ihnen höflich zu und macht sich vom Acker.

Endlich unsichtbar.