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2024/06/20 23:04:23 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Dienstag, 25. Juni 2024, Mit gliedertreffen der ASF mit Vortrag "Geschichte der Fürth er Recktenwaldsmühle" |
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2024/06/02 21:28:18 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Wie fördert man die Demokrati e? |
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2024/06/20 23:04:23 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Dienstag, 25. Juni 2024, Mit gliedertreffen der ASF mit Vortrag "Geschichte der Fürth er Recktenwaldsmühle" |
Autor |
Date: 2024/06/27 08:30:46
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Zuflucht auf Zeit. Juden aus Deutschland in den
Niederlanden
1933–1945
Autor Christine Kausch,
Erschienen Göttingen 2024: Wallstein
Verlag
Anzahl Seiten 529 S.
Preis € 58,00
ISBN 978-3-8353-3052-8
Rezensiert für H-Soz-Kult von Niels Pohl-Schneeberger,
Zentrum für
Holocaust-Studien, Institut für Zeitgeschichte München
Jenseits der populären Biographie von Anne Frank gab es eine
Vielzahl weiterer
deutscher Jüdinnen und Juden, die seit 1933 in das Nachbarland
Niederlande
flüchteten. Eine „Zuflucht auf Zeit“, so der treffende Titel des
Buches von
Christine Kausch, wurde das Land für diese Menschen – und zwar aus
unterschiedlichen Gründen und Perspektiven: Während einige auf
eine baldige Rückkehr
in ein vom NS-Regime befreites Deutschland spekulierten, bemühten
sich andere
um Fluchtmöglichkeiten ins entfernte Ausland. Für diejenigen, die
sich eine
längerfristige Perspektive im Land versprachen, zerschlugen sich
die Hoffnungen
seit Beginn der deutschen Besatzung im Mai 1940. Eine letzte
Rettung boten
Verstecke im Untergrund oder eine (vorläufige) Freistellung von
den
Deportationen. Für mehr als einhunderttausend Jüdinnen und Juden
endete die
Zuflucht mit ihrer Internierung und der Deportation in die
Konzentrations- und
Vernichtungslager – nur etwa fünftausend von ihnen kehrten lebend
zurück.
Wie Beate Meyer konstatiert, hat sich die Holocaust-Forschung seit
den
1980er-Jahren verstärkt den Aktionsräumen von Jüdinnen und Juden
zugewandt.1 Derweil stellt Kausch
fest, dass jüdische
Flüchtlinge bis heute nur als „Randfiguren“ (S. 19) beachtet
wurden. Und so
rückt sie die Schicksale der deutschen Juden in den Niederlanden
zwischen 1933
und 1945 in den Mittelpunkt ihrer Studie und nimmt, orientiert an
Saul
Friedländers Ansatz der „integrierten Geschichte“, die
rahmengebenden und
einflussnehmenden Verhaltensweisen der Umgebung (niederländische
Regierung,
deutsche Besatzungsherrschaft, nichtjüdische und jüdische
Bevölkerung)
ebenfalls in ihre Analyse auf. Unter Einbeziehung der
Selbstzeugnisse von rund
dreihundert Personen sowie der einschlägigen Forschungsliteratur
fragt Kausch
erstens nach den „individuellen und kollektiven Erfahrungswelten“
der
Flüchtlinge mitsamt aller relevanten Einflussfaktoren (S. 12) und
zweitens nach
den „Reaktionsmustern und Handlungsstrategien“ (S. 13), die sie im
Angesicht
ihrer Fluchtperspektiven, ihres Exilalltags und ihrer
Bedrohungslage
ausgestalteten. Untergliedert ist die Studie in zwei Teile mit
insgesamt acht
Kapiteln: Während der erste Part (Kapitel 2 bis 5) das Leben der
Flüchtlinge
bis zum deutschen Überfall 1940 thematisiert, widmet sich der
zweite Teil
(Kapitel 6 bis 8) der Zeitphase unter nationalsozialistischer
Besatzungsherrschaft, die schließlich zur ultimativen Lebensgefahr
für die dort
lebenden Juden wurde.
Auf dieser Zeitachse beschreibt Kausch die Niederlande als
Zufluchtsort
(Kapitel 2), der jedoch in Wirklichkeit weniger liberal als von
vielen
Flüchtlingen erhofft war: Aus Sorge um die ohnehin angeschlagene
Wirtschaft und
freilich auch geleitet von – mindestens latenten – antisemitischen
und
deutschfeindlichen Ressentiments, setzte die niederländische
Regierung eine
restriktive Flüchtlingspolitik um. Dass die soziale
(Nicht-)Eingliederung der
Emigranten (Kapitel 3) auf Schwierigkeiten stieß, ist zu erahnen.
Angesichts
des traumatischen Verlusts der Heimat und der unklaren Zukunft
hatten viele
weder Kraft noch Möglichkeiten, sich in die neue Umgebung zu
integrieren. In
der niederländischen Mehrheitsgesellschaft mischten sich unter die
dominierende
Indifferenz gegenüber den Flüchtlingen auch antijüdische
Einstellungen. Dass
Antisemitismus in den Niederlanden „gemäßigter und Anfang der
Dreißigerjahre
weder politisch verankert noch [...] innerhalb des
gesellschaftlichen Diskurses
eine größere Rolle“ spielte (S. 91), mag sicher zutreffen. Aber
trug die
„versäulte“ niederländische Gesellschaft, in der Juden keine
eigene „Säule“
besaßen und sich unter Assimilierungsdruck bestenfalls einer
anderen zuordnen
konnten, nicht zu einer (erzwungenen) Unsichtbarkeit genuin
jüdischer
Identitäten bei? Auch wenn Fragen nach dem Einfluss antijüdischer
Denkmuster
auf diese sozio-politischen Dynamiken weiterhin diskutabel
bleiben,
verdeutlicht die Studie die Vielschichtigkeit möglicher Antworten.
Denn neben
Desinteresse und Ablehnung wussten Betroffene auch von Zuspruch
und
Hilfsbereitschaft zu berichten.
Trotz aller Widrigkeiten bemühten sich viele deutsche Juden um
Arbeit (Kapitel
4), aber Zugangsbeschränkungen, fehlendes Eigenkapital und
mangelnde Marktkenntnisse
schränkten die Möglichkeiten ein. Auch die Flüchtlingspolitik
wurde verschärft:
Ab 1938 errichtete die niederländische Regierung Flüchtlingslager
(Kapitel 5)
für illegale, legale und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Sorgfältig
widmet sich Kausch diesem in der Forschung bislang nur rudimentär
bearbeiteten
Thema. Sie kommt zu der Einschätzung, dass die teils strenge
Isolation und
Überwachung mit der ordnungspolitischen Absicht der Regierung zu
begründen sei,
die Flüchtlingsbewegung „unter Kontrolle“ zu bringen. Hinzu sei
eine „rigide
Einstellung“ gegenüber Flüchtlingen gekommen, die mit einer
„gewissen
Stigmatisierung und Kriminalisierung“ einhergegangen sei (S. 276).
Zugleich
könne man, so Kausch, der Regierung einen „gewissen Entwicklungs-
und
Lernprozess“ nachweisen, denn mehrfach führten Proteste
internierter
Flüchtlinge zu einer tatsächlichen Verbesserung der Situation in
den Lagern.
Als Ende der Zuflucht (Kapitel 6) betitelt Christine Kausch den
deutschen
Überfall im Frühjahr 1940. Eine Flucht ins Ausland war kaum noch
möglich, und
die Bemühungen richteten sich fortan vor allem auf
Handlungsstrategien zum
(Über-)Leben unter deutscher Gewaltherrschaft. Kausch fragt in
diesem sowie in
den letzten beiden Kapiteln zur Zeit vor Beginn der Deportationen
(Kapitel 7)
und während ihrer Durchführung (Kapitel 8) nach Unterschieden im
Verhalten und
in der Verfolgung von deutschen und niederländischen Juden. Die
letztlich
höhere Überlebensquote deutscher gegenüber niederländischen Juden
erklärt Kausch
anhand einer Kombination verschiedener Faktoren: Aufgrund ihrer
frühen
Gewalterfahrungen unter dem NS-Regime hatten deutsche Juden die
drohenden
Gefahren eher erkannt und frühzeitig Rettungsoptionen wie etwa
Untertauchmöglichkeiten eruiert und Hilfsnetzwerke etabliert.
Letztlich – und
hier führt Kausch die Erfahrungswelten beider Gruppen wieder
zusammen – hatten
verfolgte Juden fortlaufend ihre Lage einzuschätzen, Optionen
abzuwägen und
Entscheidungen zu treffen. Passive Opfer waren sie nicht.
Behandelten schließlich auch die NS-Verfolgungsbehörden deutsche
und
niederländische Juden unterschiedlich? Entgegen bisherigen
Forschungsannahmen
erkennt Kausch hier „teils gravierende Unterschiede“ (S. 314). Als
Flüchtlinge
und Ausländer waren deutsche Juden bereits vor der Besatzung
frühzeitig
registriert worden. Diese Informationen ausnutzend, nahmen die
NS-Instanzen
deutsche Juden auch aus einem weiteren Grund priorisiert ins
Visier: Aufgrund
ihrer deutschen Staatsangehörigkeit (beziehungsweise ab November
1941 erzwungenen
Staatenlosigkeit) standen sie nicht unter dem diplomatischen
Schutz eines
anderen Landes. Im Gegensatz dazu wurden niederländische Juden aus
Rücksicht
auf die Schutzmacht Schweden sowie wegen grundsätzlicher staats-
und
vermögensrechtlicher Bedenken vorerst zurückhaltender verfolgt.
Auch wenn diese
Unterscheidung in der Praxis schließlich weitgehend aufgelöst
wurde, durchzogen
Staatsangehörigkeitsfragen sämtliche Ebenen der Verfolgung bis
hinein in die
Konzentrationslager: Kausch weiß von den Geschwistern Hanna und
Ruth Kalter zu
berichten, die durch die Beschaffung schwedischer Ausweispapiere
vor ihrer
Deportation gerettet wurden und Anfang 1943 aus Westerbork nach
Schweden
ausreisen durften.2 Bezieht man weitere Fälle
ein, werden die
Spezifika solcher Einzelfälle deutlich: Im selben Zeitraum wurden
die beiden
minderjährigen Juden Heinz und Alexander Bondy im
Konzentrationslager
Theresienstadt interniert, und obwohl auch sie über ihre Familie
schwedische
Pässe erhielten, wurde ihre Ausreise von denselben deutschen
Behörden
abgewiesen.3 Warum? Offensichtlich
vertrauten die
NS-Akteure der Täuschungskulisse Westerbork als „normalem“
Zwischenlager für
vermeintliche Zwangsarbeitslager in Osteuropa mehr als dem
ebenfalls
verharmlosend präparierten Lager Theresienstadt: Ein zentrales
Argument bei
solchen Vorgängen war, ob die Freizulassenden etwaige
„Greuelpropaganda“ im
Ausland verbreiten würden.
Anhand dieses spezifischen Aspekts wird beispielhaft sichtbar,
dass Kauschs
Studie neue Erkenntnisse bereithält, die sogleich für weitere
Forschungsfragen
nutzbar gemacht werden könnten. Dazu gehört auch – und dies ist
explizit kein
Kritikpunkt am vorliegenden Buch – eine vertiefte Analyse der
Entscheidungsstrukturen deutscher Verfolgungsinstanzen, zu denen
es weiterhin
offene Fragen gibt.4
Christine Kausch gelingt es, auf fünfhundert Buchseiten eine
ebenso profunde
wie eindrückliche Gesamtdarstellung zur Geschichte der deutschen
Juden in den
Niederlanden zwischen 1933 und 1945 vorzulegen. Durch die
Verflechtung
zahlreicher Selbstzeugnisse mit der Forschungsliteratur entsteht
ein
reichhaltiges Panorama, das die Wahrnehmungsräume und Reaktionen
der jüdischen
Flüchtlinge differenziert abbildet und sie zugleich mit den
unterschiedlichen
Bezugsrahmen verknüpft. In der Analyse jener Reziprozität zwischen
jüdischen
Handlungsweisen, dem Verhalten der einheimischen Bevölkerung, der
niederländischen „willfährigen Verwaltung“5 sowie der
nationalsozialistischen Politik
und Praxis der Judenverfolgung liegt ein substanzieller
Erkenntnisgewinn. Der
Blick in die mehr als zweitausend Fußnoten offenbart hierbei die
Quellendichte
und Qualität der Studie. An mancher Stelle hätte man sich sogar
eine stärkere
Sichtbarkeit der Primärquellen im Haupttext gewünscht, vermitteln
doch ihre
Aussagen einen unmittelbaren Eindruck der Lebens- und
Gefühlswelten dieser
Menschen. Stilistisch hätte eine etwas weiter ausgreifende
Überarbeitung –
unter anderem eine Reduzierung der allzu häufigen Querverweise auf
andere
Kapitel – den Lesefluss der ursprünglich als Dissertation
verfassten
Monographie abgerundet. Solche Kleinigkeiten können den positiven
Gesamteindruck und die inhaltliche Qualität jedoch in keiner Weise
trüben.
Anmerkungen:
1 Beate Meyer, Nicht nur
Objekte staatlichen
Handelns: Juden im Deutschen Reich und Westeuropa, in: Frank
Bajohr / Andrea
Löw (Hrsg.), Der Holocaust. Ergebnisse und neue Fragen der
Forschung, Frankfurt
am Main 2015, S. 213–236, hier insbes. S. 217.
2 In den behördlichen Akten
wird zudem
Siegfried Kalter als Bruder von Hanna und Ruth aufgeführt. Er
soll, folgt man
den überlieferten Vorgängen, gemeinsam mit seinen Schwestern
ausgereist sein.
Vgl. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA), RZ
214/99440.
3 Zu diesem Fall siehe
ebenfalls: PA AA, RZ
214/99440. Die Brüder sollten schließlich ins Geisellager
Bergen-Belsen
überführt werden, um im Falle einer späteren Ausreise ihre in
Theresienstadt
erlebten „Eindrücke zu verwischen“. Das tatsächliche Schicksal der
beiden ist
nicht abschließend geklärt, aber vermutlich starben sie vor 1945
in
Theresienstadt. Siehe ebd.
4 Erwähnt sei beispielsweise
die parallele
Befehlsstruktur von Hanns Albin Rauter: Als Generalkommissar für
das
Sicherheitswesen war er einerseits Reichskommissar Seyß-Inquart
unmittelbar
untergeordnet, in seiner Funktion als Höherer SS- und
Polizeiführer Nordwest
(der Oberabschnitt war auf Verwaltungsebene der SS sogar dem
Deutschen Reich
angegliedert) jedoch Reichsführer-SS Heinrich Himmler direkt
unterstellt.
5 Leni Yahil, Die Shoah.
Überlebenskampf und
Vernichtung der europäischen Juden, München 1998, S. 250.
Zitation
Niels Pohl-Schneeberger, Rezension zu: Kausch, Christine: Zuflucht
auf Zeit.
Juden aus Deutschland in den Niederlanden 1933–1945. Göttingen
2024 , ISBN 978-3-8353-3052-8,
In: H-Soz-Kult, 27.06.2024, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-140885>.