Florian Steger:
Antike Medizin. Einführung und Quellensammlung
Erschienen Stuttgart 2021: Anton
Hiersemann
Anzahl Seiten 543 S.
Preis € 39,00
ISBN 978-3-7772-2120-5
Rezensiert für H-Soz-Kult von Lutz
Alexander Graumann, Universitätsklinikum Gießen und Marburg
Einführungen in die Medizingeschichte mit Schwerpunkt auf die
Antike sind nicht
gerade rar gesät, aber im deutschsprachigen Raum eher
überschaubar.[1] Der neue Studienband von
Florian Steger
versucht hier eine aktuelle Übersicht von medizinischer Ideen- und
Alltagsgeschichte in der Antike anhand von zahlreichen Textquellen
im Original
und deutscher Übersetzung, von den frühen Hochkulturen bis zur
byzantinischen
Zeit, zu präsentieren. Der Titel „Einführung und Quellensammlung“
ist hierbei
Programm, zumal der Band aus einer Vorlesungsreihe an der
Universität Ulm
hervorgegangen ist (S. 10).[2]
In seinem Vorwort (S. 9–11) erläutert der Autor seine
Schwerpunkte, nämlich
Aufdeckung historischer Zusammenhänge, Alltagsgeschichte sowie
Kulturtransfer
unter dem Aspekt der mittlerweile etwas kritisch zu sehenden
„abendländischen
Medizin“. Er versucht eine frische Neuanordnung des altbekannten,
aber
mittlerweile überholten Lehrkanons der Geschichte der antiken
Medizin und
möchte dezidiert wegkommen von der berühmt-berüchtigten
Namen-Medizin.
Es folgen 15 Kapitel, chronologisch gestaffelt mit jeweils einer
eigenen
thematischen Einführung gefolgt von den vorher zitierten
Originalquellen
(griechisch, lateinisch, Keilschrift, ägyptisch, hebräisch,
arabisch) samt
deutscher Übersetzung und kurzen Hinweisen auf verwendete
Texteditionen. Dabei
werden die zeitlichen Übersichten (Medizin in den frühen
Hochkulturen, Medizin
in der Bibel, Hippokrates und das Corpus Hippocraticum, Asklepios,
Hellenistische Medizin, Griechische Medizin in Rom, Medizinische
Fachliteratur
in der frühen Kaiserzeit, Medizin nach Galen und Medizin in
Byzanz) mit
verschiedenen, interessanten thematischen Exkursen unterbrochen:
„Medizin und
Philosophie“ (S. 83–101), Ethik in der Medizin (S. 137–173),
Patientenperspektive (S. 327–347), „Ärzte: Ausbildung und
gesellschaftliche
Stellung“ (S. 349–395), Christliche Ärzte (S. 397–427) und
Nichtärztliche
Gruppierungen (S. 429–445). Auch innerhalb der jeweiligen
Einführungen finden
sich immer wieder kurze Exkurse Stegers, wie z.B. zum Thema
„Beschneidung“ (S.
50) und „Lepra“ (S. 52). Die Einführungen sind von
unterschiedlicher Länge und
Qualität: so ist beispielsweise das Thema „Asklepios“ ein
bekannter Schwerpunkt
Stegers (S. 177–239), während der Abschnitt über das Neue
Testament (S. 56–58)
recht kurz daherkommt. Aufgelockert wird das Ganze mit einigen,
wenigen, aber
passenden Abbildungen, teilweise vom Autor selbst gefertigt. Dem
Haupttext
beigefügt ist ein Abkürzungsverzeichnis der genannten Autoren und
Werke, der
verwendeten Referenzwerke, Inschriften, Papyri sowie die
Bildnachweise (S.
509–511). Am Ende folgt noch ein sehr umfangreiches,
empfehlenswertes
Literaturverzeichnis, aufgeteilt nach zitierten „Textausgaben und
Übersetzungen“ (S. 513–520) und „Sekundärliteratur (S. 520–543),
bis 2020
aktualisiert.
Insgesamt liegt hier eine relativ lesefreundliche,
deutschsprachige Übersicht
zum Thema Antike Medizin vor, insbesondere mit den inhaltlichen
Stärken beim
Thema „Asklepios“ und der Inklusion von außereuropäischem
(kleinasiatischem)
Material.[3] Auf weite Strecken werden
natürlich
Ansichten des (Haupt-)Autoren rezipiert, die teilweise, aber auch
nicht immer
die überwiegende Forschungsmeinung widerspiegeln.[4] Genauso muss man natürlich
diese Meinung
als kritischer Leser nicht immer teilen. Textfehler sind insgesamt
bei der
Fülle an Material überschaubar, leider fehlt ein Stichwortindex.
Stellt sich
schließlich noch die Frage, für wen eigentlich dieses Studienbuch
gedacht ist:
den Medizinstudent:innen mit Wunsch nach Vertiefung ins Fach
Antike Medizin,
den nicht-humanistisch gebildeten Ärzt:innen mit entsprechendem
Interesse? Der
Abdruck von Originaltexten nach jeweiliger Standardedition, aber
ohne
kritischen Apparat mag vielleicht den Textunkundigen beeindrucken.
Mit seinem
großzügig angelegten und stabil gebundenen Studienbuch „Antike
Medizin“ liefert
Florian Steger eine über 500 Seiten starke, willkommene, aktuelle
und dabei
besonders preiswerte Übersicht zur Medizin in der Antike.
Anmerkungen:
[1] Wie z.B. Robin Lane Fox, The
Invention of
Medicine, 2020 (dt. Die Entdeckung der Medizin: Eine
Kulturgeschichte von Homer
bis Hippokrates 2021); Laura M. Zucconi, Ancient Medicine: From
Mesopotamia to
Rome, 2019; Vivian Nutton, Ancient Medicine, 2nd edition, 2013;
Karl-Heinz
Leven (Hg.), Antike Medizin: Ein Lexikon, 2005.
[2] Solch ein umfangreiches
Studienbuch mit
unzähligen Quellenangaben und einem sehr umfangreichen
Literaturverzeichnis ist
heutzutage schwerlich, wie angegeben, das Werk eines einzigen
Autoren;
zumindest verweist Steger im Vorwort auf die umfängliche
Unterstützung hierbei
durch Vincenzo Damiani und Frank Ursin.
[3] Vielleicht hätte man das
Thema „spätantike
Collegia-Bildungen“ in der Medizin etwas ansprechen können.
Weiterhin handelt
es sich bei der Gesamtdarstellung („abendländische Medizin“) immer
noch um eine
sehr westliche (westeuropäische) Perspektive: es fehlen
Diskussionen über die
vergleichbaren antiken chinesischen, buddhistischen, islamischen
Medizintraditionen, Medizin in „lateinamerikanischen“
Frühkulturen; also
letzten Endes handelt es sich auch hier um keine antike „World
History“ der
Medizin.
[4] Z.B. nicht unbedingt
hilfreiche Aussagen
wie: „Allen Schriften [der Epidemienbücher] gemein ist, dass diese
von der
Forschung als empirisch, realistisch und besonders theoriefrei
beschrieben
werden“ (S. 112); welche ungenannte „Forschung“ agiert denn
aktuell noch so?
Ferner ist zumindest für die griechisch-römische Medizin folgende
Aussage
fragwürdig: „Hiervon zu trennen ist die Chirurgie als Handwerk,
welche erst um
1900 in die Medizin integriert wurde“ (S. 114).
Zitation
Lutz Alexander Graumann: Rezension zu: Steger, Florian: Antike
Medizin.
Einführung und Quellensammlung. Stuttgart 2021: ISBN 978-3-7772-2120-5, , In: H-Soz-Kult,
23.05.2022, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-98702>.