Vorträge gesucht: Extremereignis "Kältewinter" im
18. Jahrhundert – Spuren in der zeitgenössischen
Literatur, Kultur und Wissenschaft
Veranstalter Dr. Anna Axtner-Borsutzky (Univ. Bielefeld),
Dr. Joana van de Löcht (Univ. Münster)
Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der
Europäischen Aufklärung (IZEA) in Halle a. d. Saale
Gefördert durch Förderpreis für junge Aufklärungsforschung
2022 (IZEA)
06110 Halle a. d. Saale
Vom - Bis 06.10.2022 - 07.10.2022
Deadline 15.10.2021
Von Dr. Anna Axtner-Borsutzky, Fakultät für Linguistik und
Literaturwissenschaft, Universität Bielefeld
Interdisziplinärer Workshop zum Thema „Extremereignis
‚Kältewinter‘ im 18. Jahrhundert – Spuren in der
zeitgenössischen Literatur, Kultur und Wissenschaft“ am
06. / 07.10.2022 in den Räumlichkeiten des IZEA in Halle
a. d. Saale (ermöglicht durch den Förderpreis für junge
Aufklärungsforschung 2022).
Extremereignis "Kältewinter" im 18. Jahrhundert – Spuren
in der zeitgenössischen Literatur, Kultur und Wissenschaft
Das 18. Jahrhundert darf – nicht allein aufgrund des
Erdbebens von Lissabon 1755 – als Wendepunkt in der
Beschreibung und Deutung von Extremereignissen gelten. In
den Ausläufern der kleinen Eiszeit bieten vor allem durch
das Wetter verursachte Unglücke Zeugnisse, die diesen
Wandel dokumentieren. Während die Klima- und
Umweltgeschichte in den historischen Wissenschaften
bereits etabliert ist, verbleibt sie in den Kunst- und
Literaturwissenschaften bislang oft in einer Art
Motivgeschichte. Diesem Desiderat wird der geplante
Workshop neue Konzepte und Ideen entgegensetzen. Extreme
Winter, Hagel und Dürren zu Missernten resultieren in
Hunger, Seuchen, Krieg wie Revolutionen und schlagen sich
in der Historiographie nieder. Die Frage, welche
ideengeschichtlichen Konsequenzen langanhaltende
Klimaveränderungen haben, ist erst in Ansätzen geklärt, so
konnte Wolfgang Behringer etwa eindrucksvoll für das 16.
und 17. Jahrhundert zeigen, dass die Hexenverfolgung
maßgeblich durch die Kaltwetterperiode der kleinen Eiszeit
beeinflusst wurde (Behringer, Jerouschek 2003, S. 18–20).
Sind historische Klimaforschung und Umweltgeschichte
mittlerweile fest institutionalisierte Teildisziplinen
ihrer Fachkulturen, gilt für die Literaturwissenschaften
anderes: Noch ist die mediale und schriftliche Tradierung
von Katastrophenerinnerung weder in ihrer narrativen noch
ideengeschichtlichen Verfasstheit hinreichend erforscht,
ihr möglicher Beitrag für eine Unterstützung anderer
Disziplinen bleibt schwach.
Der Workshop möchte mit der Untersuchung von Kältewintern,
wie sie im Laufe des 18. Jahrhunderts mehrfach auftraten
(in außerordentlichem Maße 1709, 1740, 1783/84) einen
Beitrag leisten, der die Wechselwirkung zwischen Natur und
Kultur unter Einbezug literarischer Quellen zeigt und die
Funktion von Literatur als Möglichkeit, auf eine widrige
Umwelt zu reagieren, erhellt. Nicht zuletzt ist hierbei
eine europäische und medienübergreifende Perspektive
einzunehmen, da diese Kältewinter auf dem ganzen Kontinent
Auswirkungen zeigten und nicht allein im literarischen
Publikationswesen Niederschlag fand. Es stellt sich
zunächst die Frage, ob und wie ›Katastrophenerinnerung‹
(AG am KWI Essen, 2011) tradiert wird. Zu vermuten steht,
dass wiederkehrende Narrative und Strukturen in Text und
Bild zu finden sind, die sich möglicherweise insbesondere
im Laufe des 18. Jahrhunderts aufgrund der umfassenden
Transformationen in Gesellschaft, Wissenschaft und Medien
zeigen. Als Beispiel sei hier nur der Übergang von
Flugblättern und Flugschriften hin zu einem nie mehr in
diesem Maße produktiven Journalwesen des 18. Jahrhunderts
genannt.
Neben der Dokumentation von Extremwetterereignissen, wie
sie in der institutionalisierten Wetterbeobachtung seit
1781 mit der ›Societas Meteorologica Palatina‹ existiert,
entwickelt sich eine ästhetische Überformung von
Wetterphänomenen, an die kollektive
›Katastrophenerinnerung‹ anknüpfen können. In einem
zweiten Bereich geht es folglich darum, Praktiken der
Literatur zu untersuchen, die als Reaktion auf
Extremwetterereignisse gelten können. In
soziologischen-historischen Disziplinen ist der Begriff
des „window of opportunity“ geläufig. Er bezeichnet eine
Lücke, die in Folge einer Katastrophe entsteht, in der
sich Handlungsspielräume eröffnen (Lebow 1984, Parker
2000). Diese Spielräume können zur Veränderung von
Machtstrukturen führen, wie Wolfgang Behringer an der
Französischen Revolution als Folgeerscheinung des
Kältewinters 1783/84 zeigen konnte (Behringer 2010, S.
212ff). Mit diesem dritten Bereich soll neben einer
ästhetischen Produktivmachung von Extremwetterereignissen
gefragt werden, ob und wenn ja, welche Funktion für
Kältewinter und deren Folgen im Sinne eines
gesellschaftlichen Fortschreitens identifiziert werden
können. Ein Schwerpunkt soll hier auf der Begründung neuer
Ordnungen und deren narrative Strukturierung gelegt
werden. So ließe sich etwa im Anschluss an Hayden White
fragen, ob dem Extremwetterereignis in der
wissenschaftlichen Überformung durch den Historiker ein
der Dramentheorie folgendes Moment der Katharsis oder
Katastrophe zugesprochen wird.
Ziel des Workshops ist es, die Wechselwirkungen zwischen
Natur und Kultur anhand ausgewählter Quellen, darunter
Traktate, Observationes, Journalbeiträge,
(Reise-)Berichte, Briefwechsel, Flugblätter, aber auch
genuin literarische Formate zu untersuchen. Nicht zuletzt
aufgrund der weiträumigen Ausdehnung der Kältewinter über
ganz Europa von den britischen Inseln bis in das russische
Zarenreich, von den skandinavischen Gebieten bis zu den
südlichen Ausläufern am Mittelmeer ist der
intereuropäische, grenzüberschreitende Wissenstransfer ein
zentraler Gegenstand des Workshops. Wie gestaltete sich
der Austausch von Wissen? Welche Medien wurden dafür
verwendet? Ist mit dem Zeitalter der europäischen
Aufklärung ein Wandel im Denken über die Ereignisse der
Kältewinter zu konstatieren? Wie gestaltet sich die
Visualisierung der Erkenntnisse über die außergewöhnlichen
Wetterlagen? Und nicht zuletzt: Welche politischen und
gesellschaftlichen Auswirkungen sind in der Folge zu
beobachten?
Die Veranstaltung findet am 06. / 07. Oktober 2022 mit
Unterstützung des „Förderpreises für junge
Aufklärungsforschung 2022“ in den Räumlichkeiten des IZEA
in Halle a. d. Saale statt. Übernachtungs- und Reisekosten
werden übernommen. Eine Publikation der Beiträge ist
geplant.
Der Workshop versteht sich als interdisziplinär. Wir
freuen uns daher über Vorschläge aus der
Geschichtswissenschaft, Kunstwissenschaft, Philosophie,
Theologie, Soziologie wie aus den Literaturwissenschaften.
Wir laden insbesondere Nachwuchswissenschaftler:innen zu
einer Beteiligung am Workshop ein. Vorgesehen sind
30-minütige Beiträge mit anschließender Diskussion.
Insgesamt sind fünf Plätze zu vergeben.
Wir bitten um Zusendung der Abstracts (300 Wörter) mit
Kurzbiographie bis zum 15. Oktober 2021 an die
Organisatorinnen Dr. Anna Axtner-Borsutzky (Bielefeld) a.axtner-borsutzky(a)...
und Dr. Joana van de Löcht (Münster) van.de.loecht(a)...
Kontakt
Dr. Anna Axtner-Borsutzky
E-Mail: a.axtner-borsutzky(a)...
Dr. Joana van de Löcht
E-Mail: van.de.loecht(a)...
Zitation
Extremereignis "Kältewinter" im 18. Jahrhundert – Spuren
in der zeitgenössischen Literatur, Kultur und
Wissenschaft. In: H-Soz-Kult, 16.09.2021, <www.hsozkult.de/event/id/event-112838>.