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2021/08/21 09:01:32
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Der Tod eines Stahlindustriellen an der Heimatfront, 1944
Datum 2021/08/24 08:54:24
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Kommentar zu "Als Bomben auf T ürkismühle fielen" gestern in der SZ
2021/08/21 09:01:32
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Der Tod eines Stahlindustriellen an der Heimatfront, 1944
Betreff 2021/08/31 23:30:57
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Kinderlosigkeit. Ersehnte, verweigerte und bereute Elternschaft im Mittelalter
2021/08/21 09:01:32
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Der Tod eines Stahlindustriellen an der Heimatfront, 1944
Autor 2021/08/24 08:54:24
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Kommentar zu "Als Bomben auf T ürkismühle fielen" gestern in der SZ

[Regionalforum-Saar] Interview "Inge Plettenbergs Buc h über Tod von Hermann-Röchling-Sohn Carl Theodor"

Date: 2021/08/21 09:07:33
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Inge Plettenbergs Buch über Tod von Hermann-Röchling-Sohn Carl Theodor

Wie nah standen sich Vater und Sohn? Hermann Röchling wurde als NS-Verbrecher verurteilt, sein Sohn soll durch SS-Sicherheitskräfte ermordet worden sein. Hier sieht man die beiden auf dem Flugfeld in St. Arnual um 1938. Foto: Archiv Saarstahl

Völklingen Über die Ermordung Carl Theodor Röchlings in der Völklinger Hütte kursieren zwei Versionen. Aber welche ist wahr? Das versucht jetzt ein Buch zu klären – und belastet zwei russische Zwangsarbeiter.

Von Cathrin Elss-Seringhaus, Reporterin

Am 17. Dezember 1944 wurde der einzige Sohn des Stahl-Magnaten und Hitler-Vertrauten Hermann Röchling in der Völklinger Hütte erschossen. Nie wurden die Tatumstände ganz aufgeklärt. Das ließ die Saarbrücker Historikerin Dr. Inge Plettenberg nie ganz los. Mit ihrem jüngst erschienenen Buch „Mordfall Röchling. Der Tod eines Stahlindiustriellen an der Heimatfront, 1944“ (Geistkirch Verlag, 27,90 Euro) gelingt ihr ein Kunststück. Sie rekonstruiert nicht nur minutiös ein Verbrechen, sie beleuchtet auch die Lebensumstände in der Hütte kurz vor Ende des Krieges, taucht hinab in die Lebensverhältnisse der Zwangsarbeiter und in die Familienverhältnisse der für die Hütte Verantwortlichen. Der Leser wird hinein gezogen in eine spannende Ermittlunsarbeit in Sachen historische Wahrheit. 

Statt eines klassischen Geschichtsbuchs haben Sie eine Art Krimi geschrieben, schildern Ihre detektivische Spurensuche in einem Tötungsdelikt, das vor 76 Jahren stattfand. Warum wählten Sie diese ungewöhnliche Form?

Dr. Inge Plettenberg ist freie Journalistin und hat zahlreiche Fernsehdokumentationen zu historischen Themen realisiert. Bis 2011 war sie beim Saarländischen Rundfunk beschäftigt.  Seither ist sie als Buchautorin tätig und führte für das Weltkulturerbe Völklinger Hütte Forschungsarbeiten zum Thema Zwangsarbeit in der Völklinger Hütte durch.

Plettenberg
Sachlich ist meine Darstellung hoffentlich dennoch. Ich wollte den Leser meinen eigenen Erkenntnisprozess nachvollziehen lassen. Es lagen zwei Versionen vor zur Ermordung Carl Theodor Röchlings am 17. Dezember 1944, und es konnten ja nicht beide wahr sein. Ich wollte auch für mich die Details im Hintergrund klären, Schritt für Schritt zur Wahrheit vordringen. Dafür bot sich meiner Ansicht nach das auktoriale Erzählen nicht an.

Hängt das nicht auch damit zusammen, dass Sie ahnten, die Botschaft „Fall gelöst, ich weiß Bescheid, wie es wirklich war“ – nämlich dass es russische Zwangsarbeiter waren, die Carl Theodor Röchling und seinen Begleiter Hermann Koch erschossen, und nicht etwa der SS-Sicherheitsdienst, – dass diese Version also auf massiven Widerstand stoßen würde? Was macht es eigentlich bis heute so heikel, irgendetwas zum Thema Röchling zu veröffentlichen?



Carl Theodor Röchling um 1920 auf dem Pferd seines Vaters Hermann Röchling. Der glühende Hitler-Verehrer Hermann Röchling erlebte den Tod seines Sohnes an der „Heimatfront“, die er selbst idealisiert hatte. Foto: Rainald Gußmann/Familienalbum von Gemmingen;

Plettenberg
Ich erlebe das als regionales Problem. Es wird sich erst erledigen, wenn die letzten Röchlingianer gegangen sind, die in Hermann Röchling nur den Wohltäter sehen. Mit ihnen geht dann auch das Narrativ, das Ende der 50er Jahre wichtig war für das Firmenimage, nämlich dass Carl Theodor Röchling dem NS-Regime kritisch gegenüber stand und sich dem Nero-Befehl Hitlers widersetzte, die Hütte zu zerstören, bevor sie dem Feind in die Hände fiel. Dass dieser Befehl erst im März 1945 erging, als Carl Theodor Röchling bereits tot war, wird übersehen. Man definiert Röchling Junior als Anti-Nazi, NS-Opfer und Retter tausender Arbeitsplätze im Saarland.

Aber kurioserweise haben auch Röchling-Kritiker Interesse an dieser Version, weil für sie die Nazis grundsätzlich die Bösen und Verbrecher sind, und es ins Bild passt, wenn man damals Russen unschuldig zum Tode verurteilte...

Plettenberg
Manche Leute neigen dazu, alle Verbrechen der Nationalsozialisten an der Person Hermann Röchlings festzumachen. Oft wird mit Allgemeinplätzen argumentiert, man ist gar nicht so sehr an Fakten interessiert. Das beobachte ich auch im Umgang mit meinen Forschungsergebnissen zur Zwangsarbeit in der Völklinger Hütte. Wenn ich als Historikerin genau wissen will, wie die Lebensumstände dieser Menschen waren, und nicht einfach nur sage: Sie lebten „menschenunwürdig“, dann wird dies bereits als distanzlos gegenüber den Röchlings kritisiert. Doch wenn man Hermann Röchling zur Unperson erklärt, sich nur an ihm festbeißt, übersieht man, wieviele andere saarländische Hütten und Gruben ebenfalls Zwangsarbeiter beschäftigten. Solcherart Geschichtsbetrachtung mag das eigene Wohlgefühl stärken, dass man auf der moralisch richtigen Seite steht, aber zum Verständnis damaliger und heutiger Entwicklungen trägt es nicht bei.

Im Vorwort schreiben Sie, das Buch handle nicht nur von einem Kriminalfall, sondern auch von einer Tragödie, die sechs Familien umfasst. Wie meinen Sie das?

Plettenberg
Ich habe nicht nur die beiden erschossenen Männer, sondern auch ihre Familien, und darüber hinaus die Familien der als Täter Verurteilten im Blick. Besondere Bedeutung besitzt das Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Carl Theodor und Hermann Röchling. Letzterer erlebte ja ein persönliches Drama, weil sein Sohn an der „Heimatfront“ starb, die er, der Vater, in seiner Kriegsdenkschrift 1936 als Erfordernis des totalen Krieges beschrieben hatte. Und Carl Theodor Röchlings Witwe heiratet 1946 tatsächlich einen NS-Gegner, Dr. Ernst Röchling, der einen der Hitler-Attentäter von 1944 versteckte und dafür vom „Volksgerichtshof“ in Berlin zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Das allein ist eine besondere Geschichte. Und dann ist da die Ehefrau von Oberingenieur Koch, der zusammen mit Carl Theodor ermordet wurde: Sie war Jüdin. Welchen administrativen Schikanen sie ausgesetzt war, bereits bevor der „Holocaust“ begann, das habe ich erstmals aufgearbeitet. Auch um biographische Informationen zu den Russen, auf die Carl Theodor Röchling und Koch stießen, habe ich mich bemüht. Erstmals in Gänze publiziert wird auch das Interview, das ich 2010 im Auftrag des Saarländischen Rundfunks mit der letzten Überlebenden der Vorfälle in der Mordnacht geführt habe.

Diese Russin ist Ihre Hauptzeugin, um zu belegen, dass es tatsächlich ein Zufall war, dass Carl Theodor Röchling und Hermann Koch an diesem Dezembertag auf die vier jungen Russen trafen, die sich versteckten, nachdem der Fabrikbetrieb und die Beschäftigung aller ausländischen Arbeiter Anfang Dezember 1944 beendet worden waren. Und dass diese Männer sozusagen aus Notwehr handelten, weil sie davon ausgehen mussten, dass ihnen wegen ihres Verbleibs im Werk der Tod drohte.

Plettenberg
Deshalb hatte ich auch zunächst Probleme mit dem etwas reißerischen Titel „Mordfall Röchling“. Aber ich stütze meine Argumentation für diese These der Vorfälle auch darauf, dass es für diese Version behördliche Dokumente gibt, die im Rastatter Prozess auftauchten, insbesondere die Anklageschrift vom 21. Januar 1945 mit dem Ermittlungs-und Obduktionsbericht. Für die andere Version, die von einer Liquidierung von Carl Theodor Röchling durch den SS-Sicherheitsdienst ausgeht, gibt es nichts dergleichen, nur Aussagen Dritter über seine vermeintliche regimekritische Haltung. Die NS-Opfer-Version passte eben sehr gut zur Legendenbildung, die der Familie Röchling ab 1956 bei ihrem Neustart in Völklingen half.

Erwarten Sie, dass das Narrativ jetzt offiziell geändert wird?

Plettenberg
Nein. Für die heutigen Unternehmen, die unter dem Namen Röchling laufen, spielt die NS-Vergangenheit keine Rolle mehr. Und für die jungen Familienmitglieder, die ich kennen lernen konnte, liegen die Todesumstände eines Vorfahren im Jahr 1944 viel zu weit zurück. Wenn man sich überhaupt dafür interessiert, dann ist die junge Generation prinzipiell offen gegenüber allen Erkenntnissen.

Das Gespräch führte Cathrin Elss-Seringhaus