Am 4. Januar 2021 erschien in der Saarbrücker
Zeitung
(vermutlich Regionalausgabe Saarbrücken) dieser Artikel:
Zum 200. Todestag von „Lenchen“
Demuth
Saarbrücken Karl Marx’ Haushälterin half Verletzten in
Saarbrücken.
Von Marco Reuther
Eine berühmte Saarländerin wäre am 31. Dezember 200 Jahre alt
geworden: Helena
„Lenchen“ Demuth, die tatkräftige Haushälterin der Familie von
Karl Marx.
„Lenchen“ war als junges Mädchen in den Haushalt der Eltern von
Jenny von
Westphalen eingetreten, der späteren Ehefrau von Karl Marx. 1845
wechselte
Helena Demuth in den Dienst der Familie Marx, die gerade von Paris
nach Brüssel
gezogen war. Sie organisierte den Haushalt, kümmerte sich um die
Kinder und um
die Finanzen. Dass die auch politisch aufgeschlossene Frau wohl
eher als
Familienmitglied betrachtet wurde, zeigt sich daran, dass sie nach
ihrem Tod
1890 im Grab an der Seite von Jenny und Karl Marx auf dem Highgate
Friedhof in
London bestattet wurde.
Heimatforscher Bernd Hartmann machte die SZ darauf aufmerksam,
dass Helena
Demuth offenbar auch beherzt helfend in Saarbrücken tätig war: Sie
soll 1870
gemeinsam mit der Dudweiler Gastwirtin Freudenberger und anderen
Frauen im
Pflegedienst für Verwundete in der Schlacht bei Spichern tätig
gewesen sein.
Hartmann beruft sich dabei auf die Schrift „Karl Marx, Lenchen
Demuth und die
Saar“ von Heinz Monz, ehemals Leiter des Karl-Marx-Hauses in
Trier. Helena
Demuth wäre somit eigens für diesen Einsatz von Brüssel an die
Saar gereist.
Mit ihrem Leben beschäftigt sich auch die neuere Biografie „Helena
Demuth“ von
Marlene Ambrosi (Verlag Michael Weyand, Trier, 17,95 Euro).
=>
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/200-todestag-von-lenchen-demuth-sie-wirkte-auch-in-saarbruecken_aid-55498557
----------------
Dazu habe ich Herrn Reuther eben eine Email geschrieben:
"Hallo, Herr Reuther,
ich nehme Bezug auf Ihren Artikel in der SZ vom 4. oder 5. Januar
2021 über den
200. Todestag von Helena Demuth.
Leider sind in dem Artikel einige gravierende Fehler, was schon
mit der
Überschrift anfängt. Denn gemeint ist wohl der Geburtstag, wie es
aus dem
ersten Satz des Artikels hervorgeht. Aber ob der 31. Dezember 1820
der
Geburtstag war ist auch nicht sicher: lt. Geburtseintrag im
Standesamt geschah
die Geburt um 1 Uhr morgens am 31. - übrigens in St. Wendel, was
im Artikel
völlig unterschlagen wird -, lt. Taufeintrag der Pfarrei St.
Wendelin in St.
Wendel war die Geburt am 30. Dezember, die Taufe am 31.
Natürlich war Helena Demuth keine Saarländerin, weil es das
Saarland noch nicht
gab. Es gab nicht einmal ein Deutschland. Sie wurde geboren im
Fürstentum
Lichtenberg, das dem Herzog von Sachsen-Coburg gehörte. Nach 1834
war sie
Preußin, was sie bis zu ihrem Tod blieb. Denn in England ließ sie
sich nicht
einbürgern.
Dafür, daß Helene in Trier im Haushalt der von Westphalen als
Hausmädchen
diente, gibt es nur einen einzigen hiebfesten Beleg, das
Einwohnerregister
Triers von 1840. Davor und danach wird sie nicht genannt. 1842 zog
die Witwe
von Westphalen nach (Bad) Kreuznach und kehrt im Herbst 1843 nach
Trier zurück
- ohne Helena, aber mit einer Dienstmagd namens Maria Ensch. Am
18.12.1843
wohnte Helena in ihrem
Elternhaus in St.
Wendel (Stadtarchiv St. Wendel, C2-18, Seite 30ff). In den
Haushalt von Karl
Marx kam sie vermutlich durch Vermittlung von dessen
Schwiegermutter, bei der
sie zu dem Zeitpunkt aber nicht mehr arbeitete.
Ihr Gewährsmann Heinrich Hartmann hat sich leider auf die Schrift
von Heinz
Monz verlassen - wie das auch Frau Ambrosi tat -, ohne die
Sachlage kritisch zu
untersuchen. Dann hätte er festgestellt (im Stadtarchiv Trier im
Nachlaß von
Dr. Monz) -, daß diese Vermutung auf Hörensagen-Vermuten beruht.
Monz hat 1970
den 81-jährigen Jakob Demuth (1889-1973) interviewt. Jakob war ein
Sohn von
Jakob Demuth (1847-1892) und Elisabeth Riotte (1855-1932) und ein
Enkel von
Helenas älterer Schwester Katharina (1815-1873).
Jakob Demuth jr erzählt Dr. Monz, er wisse von seiner Mutter, daß
Helena „oft“
nach Dudweiler kam und die Familie besuchte. Leider konnte sie
nicht bei ihren
Verwandten wohnen, sondern kam bei einer Witwe namens
Freudenberger unter.
Diese war als Marketenderin und im Pflegedienst tätig. Dr. Monz
stellte sofort
Recherchen an und kam über die Stadtverwaltung Dudweiler in
Kontakt mit einem
Herrn Baum aus Wahlschied, der erklärte, ein Verwandter von Frau
Freudenberger
zu sein. Er wußte zu berichten, daß die Witwe 1870 an der Front
unterwegs
gewesen sei.
Wenn Helena nun 1870 in Dudweiler war und des Krieges wegen nicht
mehr nach
England zurückkonnte, weil - ja, warum eigentlich? Wenn sie nicht
durch
Frankreich reisen konnte, stand ihr der Weg über Belgien oder
Holland offen.
Wenn sie also 1870 bei Frau Freudenberger in Dudweiler war, dann
kann es gewesen
sein, daß sie mit dieser an der Front oben auf den Spicherer Höhen
geholfen
hat, Verwundete zu pflegen. Das hätte sicher ihrer Natur
entsprochen.
Im Trierer Stadtarchiv finden sich im Nachlaß Heinz Monz zwei
Briefe des
deutschen Historikers Herbert Friedrich Andréas (1914-1984) an den
Trierer
Marx-Forscher Heinz Monz. Seit 1968 war er am „Institut
Universitaire de Hautes
Études Internationales“ in Genf in der Schweiz angestellt, wo sich
mit anderen
Historikern der Erforschung des Lebens von Marx und Engels von
1844 bis 1848
widmete.
Am 5. Juni 1970 schreibt Andréas an Heinz Monz:
„Lenchen als Pflegerin im dtsch-frz Kriege kommt mir etwas
unwahrscheinlich
vor, oder beseser gesagt, sehr unerwartet. Es gibt allerdings
ähnliche Fälle,
so zog die Mehrzahl der Sektion der Internationale in Zürich
ebenfalls als
freiwillige Samariter los. Aber Lenchen hätte das doch nur mit
Zustimmung der
Marxens getan, und ich habe niemals eine Spur von dieser
„aufsehenerregenden“
(im Familienkreise) Abenteuertour gesehen - und es ist doch
beinahe
unvorstellbar, dasz ein solches einschneidendes Ereignis im
Familienkreise in
den Briefen an Freunde unerwähnt geblieben wäre. Kann da keine
Verwechslung
oder Namensähnlichkeit vorliegen? Es könnte ja z.B. eine
gleichnamige Base
gewesen sein.“
Außerdem stellt sich die Frage, wo sich Helena im August 1870
überhaupt aufhielt
-am 30. August 1870 war sie jedenfalls mit Karl Marx und Familie
im englischen
Ramsgate in Ferien. An diesem Tag schreibt Karl Marx in einem
Brief an Friedrich
Engels: „Morgen früh mit steamer nach London zurück. Erstens ist
der Aufenthalt
hier per 5 Mann sehr teuer, da die Engländer infolge des Kriegs
alle Badeplätze
überströmt haben.“ Die „5 Mann“ waren Karl Marx, seine Frau Jenny
und ihre
Töchter Jenny und Eleanor und Dienstmädchen Helena, denn Tochter
Laura weilte
zu diesem Zeitpunkt in Paris. Um den 10. September ist Helene auf
jeden Fall
wieder in London: sie besucht mit Jenny Marx sr. zusammen das neue
Haus von
Friedrich Engels, in das er mit Lizzy Burns einziehen will. Die
beiden
inspizieren u.a. die vorhandenen Tapeten.
„Brüssel“ ist in dem Zusammenhang natürlich unsinnig, Marxens
wohnten schon
seit 20 Jahren in London.
Oben habe ich „oft“ in Anführungszeichen gesetzt, denn nur nach
ihrer Ankunft
in London sind nur drei Reisen Helenas ins Saargebiet nachweisbar
- 1863, 1873
und 1888.
Das Foto aus dem Stadtarchiv St. Wendel, das Sie abgedruckt haben,
zeigt nicht
Helena Demuth, sondern Mary Ellen Burns, eine Nichte von Friedrich
Engels.
Diese Daten habe ich meinem eigenen Buch „Lenchen Demuth“
entnommen, das 2018
im Zuge von Recherchen während und nach den Dreharbeiten zum Film
von Klaus
Gietinger entstand.
Mit freundlichen Grüßen
Roland Geiger"
|