Musikkabarett „Duo Camillo“
gestern abend in der
St. Wendeler Stadtkirche.
„Ob sich das rentiert, daß wir hoit abend herkamen?“ frage ich
Steffi Krüger,
die Küsterin der evangelischen Pfarrei, als meine Frau und ich
gestern abend um
kurz vor sieben in die nicht schlecht besuchte Stadtkirche in
St. Wendel
eintraten. „Weiß ich nicht“ gibt sie zur Antwort, „ich hab die
beiden auch noch
nie gehört.“
Die beiden, das sind Martin Schultheiß und Fabian Vogt, die seit
gut vielen,
vielen Jahren als „Duo Camillio“ auftreten. Schultheiß ist
Physiker, spielt die
Orgel und singt, während Vogt Gitarre und Saxophon spielt und
die meisten
Lieder zum besten gibt.
Eine Viertelstunde später wissen wir, daß sich das Herkommen auf
jeden Fall
gelohnt hat. Pfarrerin Christine Unrath hat die beiden begrüßt,
und da haben
wir schon eine Kostprobe bekommen, als Christines Handmikro
nicht funktioniert
und Vogt von hinten ruft, vorn am Altar stünden auch richtige
Mikrophone. Dann
rennen die beiden nach vorne und nehmen ihre Plätze ein. Mich
irritieren die
Kappen, die sie auf dem Kopf tragen, schließlich und endlich
sind wir in einer
Kirche. Doch die Kappen gehören zum Programm. Vogt legt gleich
los - und wie.
Er freut sich, daß er nach St. Wendel kommen durfte, und hat
sich schon vorher
über die Stadt informiert. Über deren Website. Dort steht das
richtig Wichtige,
daß man als Außenstehender über St. Wendel wissen muß, nämlich
daß die
Kompostieranlage bis auf weiteres geschlossen ist. Da kommen die
ersten Lacher
aus dem Publikum. Vogt läßt sich nicht beirren und macht so
weiter. Dem ist es
wurschd, ob seine Zuhörer ihn mögen, und ich schaue mich um, ob
nicht die
ersten schon gehen oder gegangen sind. Aber wir lassen uns ja
gern beleidigen,
und so bleiben wir sitzen. Vogt läßt nichts aus, und mancher
Kalauer gibt sein
Stelldichein, selbst wenns nur die Rathauskläranlage ist. Dann
zieht er noch
über seinen Partner her, der am Klavier sitzend eine mehr oder
minder
gleichgültige Miene zeigt, eher ein Erdulder, der weiß, was
kommt. Irgendwann
zieht ihm Vogt die Kappe vom Kopf und präsentiert seine
Halbglatze, und wir
kommen mit dem Lachen nicht nach.
Schultheiß revanchiert sich, es folgt ein fast ebenso langer
Monolog, auch der
mit feinen und derben Spitzen, aber immer den Punkt treffend.
Vogt ist
Sonderpfarrer, erzählt er uns, seine Frau Sonderpfarrerin, seine
Kinder … da
läßt er uns vermuten. Aber den Sondermüll läßt er auch nicht
aus. Herrlich. Irgendwann
ist er bei Elton John angelangt und zieht Vogt die Kappe vom
Kopp, und,
verflixt, die Ähnlichkeit ist da. Obwohl Vogt ne ganze Ecke
jünger ist als Sir
Elton.
Dann folgt ein Lied, wie die meisten an diesem Abend
selbstgemacht, wie ich das
sehe, meistens von Fabian Vogt, der nebenbei auch Mitverfasser
zahlreicher
Bücher ist.
Und dann geht das den ganzen Abend so weiter. Ein Lied, dann
kommt eine
Ansprache, mal von dem einen, mal von dem anderen, oder auch mal
von beiden
hintereinander. Über die Kirche, über die Welt, über uns selbst
als Christen
und Menschen, immer pointiert, oft etwas übertrieben, fast immer
respektlos.
Warum der Islam der größte Feind der Christen ist? Nun, der
Pfarrer is’ lahm,
die Kirche is’ lahm. Ob die Heilige Familie wirklich so arm war?
Christus hatte
doch gleich bei der Geburt schon einen Krippenplatz. Auch die
Politik kriegt
ihr Fett ab: Stellen Sie sich vor, AKK hieße mit Familiennamen
„Friederike“.
Gut, bei dem dauert es etwas, bis die Leute reagieren. Eine Frau
ganz vorn
fängt plötzlich an zu lachen und kriegt sich nicht mehr ein, und
der Kommentar
kommt trocken „oh, auch kapiert“.
Dann machen es die beiden wie Reinhard May auf seinen
Schallplatten. Erst
kommen die lustigen Lieder, denen im späteren Programm die
ernsteren folgen.
Der Übergang ist fließend, aber der Ton wird ruhiger, die Späße
etwas weniger. Da
erzählt Vogt von einem Projekt mit Konfirmanten, die ein Jahr
lang alle zwei
Monate sich mit alten Leuten zusammensetzten und Erfahrungen und
Erlebnisse
austauschten. Da berichtet ein Opa vom ersten Kuss und seiner
Entscheidung, auf
einem Schiff anzuheuern, um die weite Welt zu sehen. Im Hafen
trifft er dann
die Frau seines Lebens. So, sagt er zu seinem jugendlichen
Zuhörer, das war mein
Leben, jetzt erzähl mir, was Deines ausmacht. Und als die
Konfirmanten nach dem
Jahr gefragt wurden, was ihnen am besten gefallen hat, sagten 45
von 45, das es
nicht die Abschlußfahrt war, nicht der Winterurlaub, sondern die
vier Treffen
mit der älteren Generation.
Das zweitletzte Lied ist ein Projektlied. Schultheiß will
wissen, was das Leben
in St. Wendel ausmacht. Weshalb wohnen Sie gern in St. Wendel?
Wie stellen Sie
sich das Zusammenleben hier vor? Es dauert ein paar Minuten, bis
das Eis
gebrochen ist, dann kommen ein paar Begriffe nach vorne
geflogen, irgendwas
über den heiligen Geist, Marathon, Autorennen, Wendelin,
Dibbelabbes, ich rufe
die Urgroßmutter der englischen Königin nach vorne (Kommentar:
ja, die habe ich
gesehen, als wir in die Stadt reinkamen), und mein Nachbar weist
auf die „Straße
des Friedens“ hin. Schultheiß versteht das meiste, manches
nicht, was durch die
Akustik im Raum nicht besser wird. Vogt macht Notizen, weil er
diese Stichwörter
nachher in einem Lied verwursteln will/wird. Dieses Lied wird
interessant, weil
es uns zeigt, was die Leute, die mit St. Wendel nix am Hut
haben, mit unserem
Altbekannten anfangen können. „Straße des Friedens“, das
assoziiert bei mir
sofort die Höhe vor Baltersweiler, die stehenden und liegenden
Steine, der Fuß,
der Atompilz, „sitze recht und scheue niemand“, Leo Kornbrust
und Fee
Frischmuth. Und Otto Freundlich. Vogt und Schultheiß hören den
Begriff zum
ersten Mal in ihrem Leben, ihnen sagt er überhaupt nichts. Und
so wird in ihrem
Lied, das Vogt aus diesen Bruchstücken zusammenbaut, mit der
„Skulpturenstraße des
Friedens“ das Schlußwort seines Refrains, während er sein Lied
singt und auf
seinem kleinen Zettel die Begriffe abhakt.
Ein wirklich starker Abend, was nicht nur der Applaus zeigt,
sondern auch das
Spendenkörbchen, das beim Ausgang gut gefüllt wird. Wir haben
uns köstlich
amüsiert und sind prächtig unterhalten worden, da weiß ich, was
ich als
Eintrittsgeld gern gezahlt hätte.
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