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2017/02/05 18:44:17
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] 1816 - das Jahr ohne Sommer
Datum 2017/02/10 18:05:43
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Barock - Nur schöner Schein ?
2017/02/13 22:26:09
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Abseits der Geschichte. Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg in Ortschroniken
Betreff 2017/02/10 18:05:43
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Barock - Nur schöner Schein ?
2017/02/05 18:44:17
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] 1816 - das Jahr ohne Sommer
Autor 2017/02/10 18:05:43
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Barock - Nur schöner Schein ?

[Regionalforum-Saar] Amerika

Date: 2017/02/10 18:04:40
From: Roland Geiger <alsfassen(a)...

Amerika
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Bremen, 05.11.2016
Übersee Museum Bremen
WWW: <http://www.uebersee-museum.de/veranstaltungen/aktuelles/amerika/>

Katalog: Ahrndt, Wiebke; Übersee Museum Bremen (Hrsg.): Amerika (=
TenDenZen 2016. Jahrbuch XXIV). Bramsche: Rasch Verlag 2016. ISBN
978-3-89946-255-5; 180 S.; EUR 15,80.

Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Sarah Ehlers, CHF/Beckman Center for the History of Chemistry,
Philadelphia 
E-Mail: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/daten/2017/rezausstellungen-259--Abb1--public.jpg>
Abb. 1: Außenansicht Übersee-Museum Bremen
© Übersee-Museum Bremen, Foto: Matthias Haase

Mit dem Beibehalten der traditionellen Kontinent-Struktur setzt sich das
Museum von jüngeren Trends ethnologischer Ausstellungspraxis ab,
vorwiegend thematisch zu strukturieren. Innerhalb der geographischen
Sektionen (Asien, Afrika, Amerika, Ozeanien) gliedern allerdings
thematische Blöcke das Material. Die Sektion "Erleben, was die Welt
bewegt" ergänzt den kontinentalen Zugriff zudem mit Fragen zur
Globalisierung. In dieser Aufteilung zeigt sich ebenso wie in den
einzelnen Ausstellungen ein gestalterischer Zugriff, der insgesamt sehr
traditionell wirkt, jedoch punktuell Kritik und Anregungen zu
insbesondere ethnologischer Ausstellungspraxis aufnimmt. Deren Umsetzung
allerdings - um die Leitthese dieser Rezension vorwegzunehmen - ist
vielfach halbherzig und verkopft, so dass die Zuschauer/innen eher die
Zielsetzung der Kurator/innen durchschauen, als dass der gewünschte
Effekt auch tatsächlich eintritt.

Die Amerika-Ausstellung nimmt beide Kontinente in den Blick und setzt
dabei die Schwerpunkte auf die Länder USA, Brasilien und Mexiko. Die
vier Kapitel "Einwanderung", "Religion", "Politik & Gesellschaft" und
"Welthandel" sollen Amerika in seiner Vielfalt fassbar machen, indem sie
Verbindungen, Parallelen und Unterschiede zwischen Nord und Süd
herausstellen. Entsprechend der Tradition des Museums an der
Schnittstelle von Ethnologie und Naturkunde gerät die Tier- und
Pflanzenwelt dabei nicht aus dem Blick: So beschreibt die
Einwanderungssektion Wege von Puritanern und Sklaven neben denen von
Bison und Opossum während die Folgen des Welthandels für Bauern in
Chiapas sowie für Ökosysteme des Amazonas diskutiert werden. Ein
visueller Rahmen entsteht durch über 60 fotographische Portraits von
Amerikaner/innen in Bremen sowie einer Serie von Natur-, Architektur-
und Menschenaufnahmen von Kanada bis Brasilien. Zudem führen acht
Filmportraits durch die Ausstellung, in denen Menschen aus den
Schwerpunktländern über ihre Geschichte und ihr Leben reflektieren. Der
Begleitband zur Ausstellung liefert kurze Essays zur Vertiefung
einzelner Aspekte der vier Kapitel sowie zahlreiche Abbildungen
ausgestellter Objekte.

Bild:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/daten/2017/rezausstellungen-259--Abb2--public.jpg>
Abb. 2: Bison im Bereich Einwanderung
© Übersee-Museum Bremen, Foto: Matthias Haase

Am Anfang der Ausstellung steht die Auseinandersetzung mit Immigration
nach Amerika. Hier gibt die Darstellung der Einwanderungsschübe seit
1492 die Perspektive, um die im Folgenden erörterten Phänomene aus
Kultur, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu verstehen. Historisch
stehen Immigration aus Europa, Landkonflikte, die Indianerkriege,
Sklaverei und Plantagenwirtschaft in knappen Abhandlungen zur Diskussion
und werden mit vergleichsweise wenigen, aber ausführlich kommentierten
Objekten illustriert. Eine irokesische Perlenstickerei wird
beispielsweise hinsichtlich ihrer einzelnen europäischen und
indianischen Einflüssen entschlüsselt; ein Brandeisen ist nicht nur ein
voyeuristisches Accessoire zur Darstellung der Sklaverei, sondern wird
als Instrument benannter Sklavenbesitzer beschrieben und durch eine
Aufstellung ihrer Vermögensverhältnisse kontextualisiert. Auch die
Objekte aus Mittelamerika erzählen eine gewaltsame Geschichte der
Einwanderung: Masken aus Guatemala verarbeiten Eroberung und Zerstörung
durch die Kolonisatoren im 16. Jahrhundert, Handwerksgegenstände
illustrieren Ausbeutung und zerstörte Lebensgrundlagen.

Das zweite Kapitel der Ausstellung beschreibt die Suche europäischer
Auswanderer nach religiöser Freiheit, um dann Schlaglichter auf
verschiedene Religionen zu werfen. In sämtlichen Abhandlungen betonen
die Kurator/innen Verschmelzungen verschiedener Einflüsse und
Traditionen, was das Religiöse an das vorherige Kapitel bindet. Der Kult
um die Jungfrau von Guadeloupe beispielsweise dient als historisches
Prisma, an dem sich Konjunkturen jahrhundertelanger religiöser und
nationaler Identitätssuche Mexikos erkennen lassen. Vodou-Objekte wie
die kunstvoll verzierten Pakés öffnen den Blick darauf, wie verschleppte
Sklaven in der Karibik spirituelle Praktiken unter dem Deckmantel des
Katholizismus fortsetzten und diese Geschichte der Unterdrückung und
Unterwanderung die soziale Funktion der Religion im heutigen Haiti
prägt. Anhand des Sonnentanzes der Plains-Indianer wird der Kampf um
kulturelle Aneignung in den USA diskutiert. Filmausschnitte aus
Megakirchen, kreationistische Kinderbücher, Spielzeug wie Bibelbingo und
Jesus-Actionfiguren sowie Anti-Darwin-Accessoires repräsentieren
Evangelikale in den USA, während eine Portraitserie sämtlicher Kirchen
im US-amerikanischen Bremen, Indiana, protestantische Lebenswelten
veranschaulicht. Die Ausstellungsmacher/innen betonen anhand der
Kleinstadt im Mittleren Westen die soziale Funktion der Kirche, die sie
mit dem Fehlen eines staatlichen Sozialnetzes begründen und mit einer
monotonen Videoendlosschleifenfahrt durch die Tristesse der Stadt
illustrieren.

Bild:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/daten/2017/rezausstellungen-259--Abb3--public.jpg>
Abb. 3: Sonnentanzaltar im Bereich Religion
© Übersee-Museum Bremen, Foto: Matthias Haase

Der dritte Bereich "Politik und Gesellschaft" bietet ein Potpourri aus
gesellschaftlichen Impressionen von Nationalfesten, Wochenmärkten,
Highways, Kleidung und mehr. Bei den Besuchern beliebt ist die Vitrine
mit Handfeuerwaffen, die das Second Amendment illustriert. In Bezug auf
Lateinamerika stehen Fragen des gesellschaftlichen Friedens und der
sozialen Gerechtigkeit im Mittelpunkt, die durch Schautafeln zur
US-mexikanischen Grenze und Dollardiplomatie Fragen zum
Nord-Süd-Verhältnis aufwerfen. Den Bezug zu Deutschland und Bremen
stellt die Auseinandersetzung mit der Familie Klee-Ubico als Beispiel
von Machteliten in Guatemala dar. Das einflussreiche Familienbündnis
geht zurück auf das 19. Jahrhundert und den Geschäftsmann und
Generalkonsul der Hansestädte in Mittelamerika Carl Friedrich Rudolf
Klee. Nach Aufbau eines Farbstoff-Handelsimperiums stieg die Familie
später - wie so viele deutsche Einwanderer - in den Kaffeehandel ein,
wovon in erster Linie Bremer und Hamburger Handelshäuser profitierten.
In den 1930er-Jahren ermöglichte die Verbindung mit der Ubico-Familie es
dem Diktator Jorge Ubico Castañeda sich auf ein breites Netzwerk zu
stützen, deren Nachkommen noch heute über politische Posten und
beträchtlichen Landbesitz verfügen.

"Welthandel", das Schlusskapitel der Ausstellung, sucht anhand der
Themen Kaffee, Mais, Soja, Rinderzucht, Erdöl und Silber eine globale
Rahmung und diskutiert inneramerikanische Gefälle und Abhängigkeiten.
Hier ist mit dem Fokus auf Flächenverbräuche, Ökosysteme, Biodiversität
und indigene Lebensgrundlagen die Verzahnung zwischen natur-, volks- und
handelskundlicher Fragestellungen am besten gelungen. Mais in Mexiko
beispielsweise verweist auf die negativen Folgen von NAFTA für die
mexikanische Wirtschaft, auf den symbolischen Wert der Pflanze in der
Mythologie und auf die ökologischen Folgen des Anbaus von Monokulturen.

Zusammengenommen lässt die in weiten Teilen kritische und gelungene
Schau somit ein deutliches Bemühen erkennen, aktuelle Postulate
ethnologischen Ausstellens aufzunehmen. Davon zeugt der sparsame Umgang
mit Objekten bei gleichzeitig mühevoller Kontextualisierung, die
wiederkehrende Verknüpfung des Ausgestellten mit eigener, hier Bremer,
Geschichte, der Versuch, indigene Lebenswelten nicht statisch und in
Isolation, sondern in Aushandlung (beispielsweise mit Europäern) zu
thematisieren sowie die Übertragung der Deutungshoheit über die
gezeigten Objekte an Vertreter ihrer Kultur.

Eines der Probleme der Umsetzung ist allerdings, dass sie in weiten
Teilen nicht zu fesseln vermag. Objekte fremder Kulturen unter Glas
auszustellen, um sie dann mit ausführlichen, schulbuchartig strikten
Interpretationen zu ergänzen, ist ein zu zaghafter wie durchschaubarer
Versuch des Blickwechsels. Damit verbunden ist das altbekannte Problem
(ethnologischer) Ausstellungen, dass Besucher/innen häufig stärker am
Objekt als am Kontext interessiert sind. Diesen Kontrast erlebte ich
beim anschließenden Besuch des Schaumagazins, wo ein Großteil der 1,2
Millionen Objekte aus der Sammlung des Museums auf engem Raum und nur
mit spärlichsten Informationen versehen gezeigt wird - und wo das
Publikum auf einmal begeistert staunte. Ebenfalls eine Kopfgeburt ist
der Versuch einen Perspektivwechsel zu erreichen, indem portraitierte
Amerikaner/innen selbst Auskunft geben dürfen, was für sie das
Entscheidende am Leben in Amerika ist. Die kurzen Statements an den
Wänden der Ausstellung zeigen eine bemühte Vielfalt erwartbarer
Stichworte von Familie, Natur, Selbstverwirklichung zu Armut, Gewalt und
Diskriminierung, ändern in ihrer Oberflächigkeit die Blickachse aber
keineswegs. Die Videoportraits dagegen sind zwar in ihrer Begrenzung auf
acht Personen selektiv und in der Darstellung etwas sperrig, geben aber
in der Tat Deutungsmacht ab. Ernie LaPointe, Urenkel von Sitting Bull,
kann beispielsweise seine - durchaus kontroverse - Interpretation zur
Rolle des Lakota-Häuptlings darlegen und Reservate als
Konzentrationslager bezeichnen, ohne dass Kommentare seinen Auftritt
einhegen.

Was völlig fehlt, ist zudem die Frage nach der eigenen Perspektive. Die
Ausstellung ist insgesamt sehr US-kritisch, was anhand der Themen
vielleicht nicht verwundert, ohne Thematisierung deutscher
Amerika-Faszination und -Klischees und von Antiamerikanismus aber
schablonenhaft wirkt. Möglichkeiten dazu, wie auch zur
Auseinandersetzung mit deutscher Lateinamerika-Romantik, hätte es
zahlreiche gegeben. Allein das Interesse, das Ernie LaPointe bei seinen
Besuchen in Bremen von Presse und Öffentlichkeit entgegengebracht wird,
wäre hierzu eine Steilvorlage gewesen. Zur Verschleierung der eigenen
Perspektive gehört zudem, dass - obwohl seit Jahrzehnten und in
verschiedensten Tonarten an ethnologische Museen herangetragen - der Weg
der ausgestellten Objekte in die Sammlungen kein Thema ist.[1] Dass das
Übersee-Museum momentan an einer eigenen Ausstellung zur Geschichte
seiner Objekte arbeitet, ist zwar zu begrüßen, als Einwand allerdings
etwas schal. Selbstverständlich zielte die Kritik nicht darauf ab, die
Auseinandersetzung mit der Sammlungsgeschichte in Sonderausstellungen
oder Veröffentlichungen auszulagern, sondern die Ausstellungspraxis
selbst zu verändern.

Anmerkung:
[1] Siehe stellvertretend: Christina F. Kreps, Liberating Culture.
Cross-Cultural Perspectives on Museums, Curation and Heritage
Preservation, London 2003.