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2015/07/07 23:39:02
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Konf: Familiengeschichten, Schatztruhen und andere Archive
Datum 2015/07/10 09:13:45
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Panorama-Freiheit bleibt erhalten
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Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Konf: Familiengeschichten, Schatztruhen und andere Archive
Autor 2015/07/10 09:13:45
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Panorama-Freiheit bleibt erhalten

[Regionalforum-Saar] Tod und Sterben im Spätmitt elalter

Date: 2015/07/07 23:42:00
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Appleford, Amy: Learning to Die in London, 1380-1540 (= The Middle Ages)
[3 Abb.]. Philadelphia: University of Pennsylvania Press 2015. ISBN
978-0-8122-4669-8; 336 S.; $ 65.00.

Bruggisser-Lanker, Therese: Musik und Tod im Mittelalter.
Imaginationsräume der Transzendenz [mit 31 farbigen, 7 s/w Abb. und 2
Notenbeispielen]. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010. ISBN
978-3-525-56800-2; Geb.; 431 S.; EUR 79,00.


Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Manuel Kamenzin, Historisches Seminar,
Ruprecht-Karls-Universität-Heidelberg
E-Mail: <manuel.kamenzin(a)... weite Themenfeld "Tod und Sterben im Mittelalter" genießt nach wie
vor großes Interesse in der Forschung. Dies schlägt sich auch in der
anhaltenden Publikation von Monographien nieder. Als aktuelle Beispiele,
die zugleich die Bandbreite der Forschungen veranschaulichen, seien die
Studie von Kathrin Pajcic zu spätmittelalterlichen Frauentestamenten aus
Lüneburg, Hamburg und Wien, Ashby Kinchs vielbeachtete Arbeit zur
bildlichen Darstellung des Todes und Romedio Schmitz-Essers
kulturgeschichtliche Aufarbeitung des Leichnams im Mittelalter
genannt.[1] Trotz der zahlreichen Arbeiten werden mit den hier
anzuzeigenden Bänden zwei Bereiche jeweils erstmals im Rahmen einer
Monographie behandelt: die Verbindung von Musik und Tod im Mittelalter
und die englischen Ars moriendi-Schriften des 15. und 16. Jahrhunderts.

Mit ihrer nun im Druck vorliegenden Habilitationsschrift hat Therese
Bruggisser-Lanker nicht nur die erste Monographie zum Zusammenhang von
"Musik und Tod im Mittelalter" verfasst, sondern sich auch einem
Gegenstand gewidmet, der auch im Rahmen von Aufsätzen bislang kaum
bearbeitet wurde. Anders als der Titel vermuten lässt, liegt allerdings
keine Überblicksdarstellung vor; stattdessen werden Beobachtungen zu
vier "Teilaspekten" (S. 7) mitgeteilt: Die "Zeit um 1000" (S. 35-121),
das Media vita in morte sumus als "Memento-mori-Lied" (S. 123-198),
Gesänge zur Zeit der Pest (S. 199-269) und Überlegungen zum
Schwanengesang (S. 271-354). Mit diesem Vorgehen soll exemplarisch das
Verhältnis von Musik und Tod beleuchtet werden (S. 7).

Im ersten Kapitel führt Bruggisser-Lanker zunächst anhand des
Evangelistars der Uta von Niedermünster (,Uta-Codex'/11. Jh.) in das
"Phänomen der Konsonanzen und de[r] damit korrelierten
Zahlenverhältnisse [als] universelles Ordnungsprinzip" (S. 63) ein und
zeigt damit auf, wie sich Musikalisches in Buchmalereien finden lässt.
Es folgen Einordnungen in die mittelalterliche Musiktheorie, in
Endzeit-Vorstellungen um 1000 und in die Verquickungen von Liturgie,
Memoria und Tod, die schließlich in epochenübergreifenden Überlegungen
zu "Kunst im Schatten des Todes" (S. 110-121) kulminieren.

Das zweite Kapitel widmet sich dem Motiv des Media vita in morte sumus
und verfolgt es ausgehend von der Narratio de morte Ottonis IV
imperatoris (S. 123-132) über andere Bereiche wie beispielsweise
liturgische Bezüge (S. 150-159) bis hin zur Rolle in den
spätmittelalterlichen Sterbebüchlein (S. 188-198). Unter dem Titel
"Gesänge im Angesicht des Schwarzen Todes" folgen im dritten Kapitel
zunächst eine Aufarbeitung zweier Werke des französischen Dichters und
Komponisten Guillaume de Machaut (Le Jugement dou Roy de Navarre;
Motette 21) (S. 204-221) und einige kurze Bemerkungen zu den Liedern der
italienischen Bruderschaften der Disciplinati (S. 221-225). Der
Hauptteil des Kapitels befasst sich in drei großen Teilabschnitten mit
den Liedern der Geißler (insgesamt S. 225-255), bevor das Kapitel
resümierend zusammengeführt wird (S. 255-269).

Im vierten und letzten inhaltlichen Kapitel wird schließlich das Motiv
des Schwanengesanges als letztes Lied vor dem Tod, zunächst bei Konrad
von Megenberg und Konrad von Würzburg (S. 271-277), darauffolgend in
Platons Phaidon (S. 277-284), verbunden mit den Vorstellungen von
Apollon und dem Schwan (S. 284-308) von Spätantike bis Spätmittelalter
betrachtet. Anschließend geht Bruggisser-Lanker auf einen
frühmittelalterlichen Schwanengesang (Planctus cigni) und eine in den
hochmittelalterlichen Carmina Burana enthaltene Schwanengesang-Parodie
ein, ehe der "Schwanen- und Orpheus-Mythos in der mittelalterlichen
Allegorese" (S. 321-332) in den Fokus rückt. Es folgt ein Ausblick unter
dem Titel "Die Nobilitierung der Musica poetica" (S. 333-354). Die
Monographie wird abgeschlossen mit einem zweigeteilten Epilog: "Musik
als Weltkonzept zwischen Zeit, Schönheit und Vergänglichkeit" (S.
355-373) und "Musik als Bewegung zwischen Leben, Sterben und Erlösung"
(S. 373-394).

Es wird ein breites Tableau geboten. Bruggisser-Lanker zeigt mehrfach
Verbindungen zwischen Musik und Tod auf, die nicht ohne weiteres
erwartet oder vorausgesetzt werden können. Die Ausführungen zum Motiv
des Media vita bieten die ausführlichste Darstellung dieser immer wieder
herangezogenen Worte seit dem maßgeblichen Artikel im
Verfasserlexikon.[2] Leider zeigt sich die Breite des Themas auch
teilweise an der Tiefe der Darstellung: Mehrfach bewegt sich die Arbeit
auch für das Jahr 2008 (als Datum der Abfassung; ob eine Überarbeitung
zur Drucklegung erfolgte, wird nicht angeführt) nicht auf der Höhe der
Forschung. So wird beispielsweise die mittlerweile ausführliche
Diskussion über die ,Endzeitstimmung' um die erste Jahrtausendwende auf
verkürzter Literaturbasis wiedergegeben.[3] Zudem vermisst man hier den
Hinweis, dass auch andere Jahreszahlen - etwa 1500[4] - ebenfalls
apokalyptisch aufgeladen wurden. Ein weiteres Beispiel ist die
Behandlung der Narratio de morte Ottonis IV imperatoris; hier wurden die
beiden einschlägigen Aufsätze von Claudia Lydorf nicht beachtet.[5]

Für den Zeitraum vom 10. bis zum beginnenden 16. Jahrhundert stellt
Therese Bruggisser-Lanker anhand von vier Themenbereichen das Thema
"Musik und Tod" exemplarisch vor. Die angeführten Monita schmälern dabei
den Wert des Bandes nur wenig, es handelt sich um die erste Anlaufstelle
zum Thema. Es bleibt zu hoffen, dass hierdurch weitere Forschungen
angeregt werden und auch die weiterhin fehlende Überblicksdarstellung
noch folgt.

Die Autorin des zweiten hier anzuzeigenden Bandes, Amy Appleford,
befasst sich bereits seit geraumer Zeit mit spätmittelalterlichen
englischen Ars moriendi-Schriften. In der Druckfassung ihrer
Dissertation behandelt sie eine Reihe solcher Texte, um auf dieser
Grundlage die Sterbekultur im London des 15. und 16. Jahrhunderts zu
untersuchen. Als Artes moriendi versteht sie dabei "texts that offer or
depict a way of dying well" (S. 4). Es wurden dabei Texte ausgewählt,
die nachweislich im Untersuchungszeitraum in London zirkulierten. Diese
werden in chronologischer Reihenfolge hinsichtlich ihrer Verbreitung in
London untersucht und kontextualisiert, um Veränderungen in den
Vorstellungen eines ,guten Todes' nachzuspüren.

So folgt Appleford im ersten Kapitel hauptsächlich dem Text des
Fürbittgebets Visitation of the Sick (S. 18-54), während im zweiten
Kapitel die Bemühungen des Londoner Klerikers John Carpenter, ein Bild
der Stadt als "mortality community" (S. 7) zu schaffen, vorgestellt
werden (S. 55-97). Im dritten Kapitel wiederum werden zwei Gruppen von
Schriften aus der Mitte des 15. Jahrhunderts behandelt, die beide auf
einem einschlägigen Kapitel von Heinrichs Seuses Horologium sapientiae
beruhen (S. 98-136). Mit einer Hinwendung zu dem Book of the Craft of
Dying erfolgt im vierten Kapitel eine Verschiebung des Fokus auf das
Ende des 15. Jahrhunderts (S. 137-180), wohingegen im fünften Kapitel
schließlich eine Reihe von Schriften aus den 1530er-Jahren (S. 181-216)
bearbeitet werden. Argumentation und Darstellung bleiben trotz der immer
wieder erfolgenden Wechsel von Quellengrundlage und Methoden schlüssig
und nachvollziehbar. Durch eine enge Verknüpfung von werkübergreifenden
Analysen, Kontextualisierung und kodikologischen Untersuchungen gelingt
es Appleford, die "death culture" Londons nachzuzeichnen.

Ein Augenmerk legt Appleford dabei auf die Rolle von Laien am
Sterbebett, besonders auf die Laikalisierung der Sterbebegleitung.
Detailliert wird, etwa an den verschiedenen Bearbeitungen der Visitation
of the Sick (besonders S. 43-54), eine Entwicklung geschildert, weg vom
obligatorischen priesterlichen Sterbebeistand, hin zu einem ,guten Tod',
der auch ohne priesterlichen Beistand oder Sakramente möglich sei (S.
151). Diesen Prozess macht Appleford auch anhand der Unterschiede
zwischen älteren und neueren Texten deutlich und bringt ihn mit
innerstädtischen Entwicklungen wie der Stiftung des Whittington
Almshouse, das Armen ein christliches Begräbnis ermöglichen sollte, in
Verbindung.

Auch Amy Appleford betritt Neuland. Der von ihr betrachtete Zusammenhang
wurde bislang nicht monographisch aufgearbeitet, auch liegen die
bisherigen Werke zur Ars moriendi-Tradition in England bereits etwas
zurück.[6] Gerade deshalb wäre ein detaillierter Forschungsüberblick mit
Einordnung der eigenen Position wünschenswert gewesen. Doch auch ohne
einen solchen bleibt "Learning to Die in London" eine Bereicherung für
den Blick auf die englischen Sterbe-Traktate und das London des 15. und
16. Jahrhunderts.

Die beiden hier angezeigten Bände zeigen, dass dem Thema "Tod und
Sterben im Mittelalter" auch nach langen Jahren intensiver Forschung
noch neue Facetten abzugewinnen sind. Sie bereichern nicht nur die
bereits vorhandene umfangreiche Forschungsliteratur, sondern eröffnen
ihrerseits neue Anknüpfungsmöglichkeiten.


Anmerkungen:
[1] Kathrin Pajcic, Frauenstimmen in der spätmittelalterlichen Stadt?
Testamente von Frauen aus Lüneburg, Hamburg und Wien als soziale
Kommunikation, Würzburg 2013; Ashby Kinch, Imago mortis. Mediating
Images of Death in late medieval Culture, Leiden 2013; Romedio
Schmitz-Esser, Der Leichnam im Mittelalter. Einbalsamierung, Verbrennung
und die kulturelle Konstruktion des toten Körpers, Ostfildern 2014. Vgl.
hierzu die Rezension von Jörg Rogge, in: H-Soz-Kult, 11.02.2015,
<http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-23178>
(01.07.2015).
[2] Walther Lipphardt, Art. "Media vita in morte sumus", in: Kurt Ruth
u.a. (Hrsg.), Die Deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon,
Bd. 6, Berlin 1987, Sp. 271-275. Ergänzungen: Bd. 11, Berlin 2004, Sp.
982.
[3] Keine der kritischen Studien hierzu kommt dabei zu Wort, wie etwa
Stephan Freund, Das Jahr 1000. Ende der Welt oder Beginn eines neuen
Zeitalters?, in: Enno Bünz / Rainer Gries / Frank Möller (Hrsg.), Der
Tag X in der Geschichte. Erwartungen und Enttäuschungen seit tausend
Jahren, Stuttgart 1997, S. 24-49.
[4] Exemplarisch: Johannes Schilling, Der liebe Jüngste Tag.
Endzeiterwartungen um 1500, in: Manfred Jakubowski-Tiessen u. a.
(Hrsg.), Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15.
bis zum 20. Jahrhundert, Göttingen 1999, S. 15-26.
[5] Claudia Lydorf, Das Testament Kaiser Ottos IV. Diplomatische
Untersuchung, sowie vergleichende Analyse der urkundlichen Überlieferung
und der Wiedergabe des Testamentstextes in der "Narratio de testamento
et morte Ottonis IV. imperatoris", in: forum historiae iuris 11 (2007),
<http://www.forhistiur.de/fr/2007-08-lydorf/> (01.07.2015); Dies., "Wem
nützt es, dass wir über mein Leben verhandeln, da es keines mehr ist?"
Testament und Tod Kaiser Ottos IV., in: Bernd Ulrich Hucker / Stefanie
Hahn / Hans-Jürgen Derda (Hrsg.), Otto IV. Traum vom welfischen
Kaisertum, Petersberg 2009, S. 281-288.
[6] Zu nennen sind Mary Catharine O'Connor, The Art of Dying well. The
Development of the Ars Moriendi, New York 1942, sowie die einführenden
Worte bei David W. Atkinson, The English Ars Moriendi, New York 1992.


Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Wolfgang Eric Wagner <wolfgang-eric.wagner(a)... zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2015-3-019>