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2014/06/26 15:16:51
Hans-Joachim Kühn
[Regionalforum-Saar] Für den Erhalt des Fachs La tein und der Klassischen Philologie an der Universi tät des Saarlandes
Datum 2014/06/28 12:35:39
Geiger , Roland via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Ein amerikanischer Präsiden t gab den Saarländern die Wahl
2014/06/04 13:08:53
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] test
Betreff 2014/06/14 13:58:40
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Vortrag "Die Unternehmerfamilie Bruch in St. Wendel"
2014/06/25 13:40:26
Geiger , Roland via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Ortsfamilienbuch Bohnental
Autor 2014/06/28 12:35:39
Geiger , Roland via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Ein amerikanischer Präsiden t gab den Saarländern die Wahl

[Regionalforum-Saar] vom Ende des Kaiserreichs im Saargebiet

Date: 2014/06/28 12:34:33
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gestern in der SZ:
 
 

In der Niederlage bleibt die Ruhe erste Bürgerpflicht

Kriegsende: Erst Rätemacht, dann Franzosen im Saarrevier – SZ-Serie Teil 5 und Schluss

Von SZ-Redakteur Dietmar Klostermann

Als der Erste Weltkrieg in Saarbrücken zu Ende war, die Waffen schwiegen und ein Arbeiter- und Soldatenrat die Macht in der größten Stadt des Saarkohlebeckens übernommen hatte, wollte Werner Roth, 28, das nicht mehr miterleben. Die Saarbrücker Zeitung, bis in die letzten Kriegstage eine stramm kaisertreue Postille, trug seit Sonntag, dem 10. November 1918, für zwei Tage die Bezeichnung „Amtliches Bekanntmachungsblatt des Arbeiter- und Soldatenrates Saarbrücken“ im Titelkopf. Am Montag, 11. November, war auf Seite 3 der SZ in der Kategorie „Städtische Angelegenheiten“ zu lesen: „Freiwillig in den Tod gegangen ist am Samstag abend der Referendar, Reserveleutnant des Westfälischen Dragonerregiments Nr. 7 Werner Roth. Er hielt es mit seiner Gesinnung unvereinbar, die neuen Verhältnisse anzuerkennen. Diesen Charakterzug wird jeder hochachten, welcher politischen Gesinnung er auch sei. Der Arbeiter- und Soldatenrat hat für den wegen seiner politischen Grundsätze aus dem Leben Geschiedenen ein Begräbnis mit allen militärischen Ehren gestattet. Leutnant Werner stammt aus Westfalen, er erreichte ein Alter von 28 Jahren.“

In dieser kurzen Suizid-Meldung kristallisiert sich die politische Lage in Saarbrücken an einem historischen deutschen Wendepunkt: Kaiser Wilhelm II. hatte am 9. November abgedankt und befand sich auf der Flucht vom deutschen Hauptquartier in Spa nach Holland ins Exil. Mit Friedrich Ebert führte zum ersten Mal ein Sozialdemokrat in Berlin die Regierungsgeschäfte, in den deutschen Städten bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte, die vor allem eines in ihren Bekanntmachungen verkündeten: „Ruhe und Ordnung ist die erste Bürgerpflicht“. Die roten Fahnen, die sie mitführten, wirkten dennoch auf viele kaisertreue und national gesinnte Bürger erschreckend. Der Saarbrücker Arbeiter- und Soldatenrat drohte Plünderern strengste Strafen an. Und griff in seiner ersten Bekanntmachung am 9. November auf Seite 3 der SZ die „Degenfrage“ auf: „Den Soldaten wird aufgegeben, die Offiziere anständig zu behandeln. Der Degen darf den Offizieren nur von den dazu Beauftragten abgenommen werden, im weiteren sind sie nicht zu belästigen.“ Von Forderungen nach einer Besserstellung der Arbeiterschaft oder besserer Nahrungsmittelversorgung, gar von sozialistischen Ideen war hier keine Rede.

Dabei hätten die neuen Machthaber auch in Saarbrücken allen Grund gehabt, nach mehr als vier Jahren Kriegswirtschaft in einem undemokratischen Staat weitaus energischer die neue Zeit zu begrüßen. Im zweiten Aufruf des Arbeiter- und Soldatenrats, der am 10. November auf Seite 1 direkt unter der Schlagzeile „Der Kaiser hat abgedankt!“ zu Pflichtgefühl, Ruhe und Ordnung ermahnte, hieß es immerhin in der letzten Zeile „Hoch die neue Deutsche Freiheit, hoch die sozialistische Republik“. Der SZ-Kommentator schrieb denn auch erleichtert, dass die soziale Revolution, die vom Kieler Matrosenaufstand ausgehend über München und Berlin ganz Deutschland erfasst habe, sich in Saarbrücken „in völlig ruhigen Bahnen vollzog und Ausschreitungen nicht zu verzeichnen waren, wie es dem ruhigen Charakter der Arbeiterschaft des Saarreviers entspricht“.

Dabei lebten die Menschen an der Saar, die noch nicht wussten, dass man ihre Nachkommen einmal Saarländer nennen würde, wie überall im Reichsgebiet von der Hand in den Mund. Es gab für Kinder unter sechs Jahren 25 Gramm Leberwurst auf Marken in der Woche vom 11. bis 18. November. Die Woche vom 18. bis 24. November war „fleischlos“. Die Zeitungen waren nicht nur voll mit Todesanzeigen für Männer, die „im Felde“ geblieben waren, sondern auch viele Wilhelms, Emmas und Karlchens, die als Kleinkinder verstarben, wurden betrauert. Empört berichtete die SZ vom Diebstahl und der Schlachtung von zwei Schweinen aus dem Stall des Erholungsheims Rotenbühl am Stadtwald, der Villa des Bankiers Röchling, in der sich heute die Villa Europa mit dem Institut d'Études Française befindet. Andernorts wurden Kaninchen aus den Ställen gestohlen, in Friedrichsthal gleich zwei Kälber von der Weide. Damit wenigstens die Kartoffeln anrollen konnten, hatte die Saarbrücker Stadtverwaltung kurz vor der Feuerpause Eisenbahnwaggons „requiriert“. Am 7. November meldete die SZ, dass die Lebensmittelvorräte der Stadt Saarbrücken erschöpft sind, es reiche nur noch für 200 Gramm Graupen pro Person und Woche. Da mutete die Ankündigung des Saarbrücker Oberbürgermeisters just am Waffenstillstandstag 11. November fast wie ein Wunder an: Zum Martinsfest hatte die Stadtverwaltung lebende Gänse aus der Ukraine besorgt, die auf dem Schlachthof Burbach für 50 Mark pro Federvieh verkauft wurden.

Der große Krieg, der in Lothringen und an Maas und Schelde in Belgien zum Stillstand gekommen war, hatte das Saarrevier stets gestreift. Fast jeden Tag meldeten die Zeitungen Fliegerangriffe, wobei die Bomben, die fielen, noch zählbar waren, zwischen zehn und 20, und meist nur Sachschäden anrichteten. Doch immer mehr Versehrte, denen Gliedmaßen oder Sinnesorgane fehlten, humpelten zerlumpt durch die Straßen und kündeten von den Schrecken der Front, die nur 200 Kilometer entfernt war, wo Millionen starben. Jetzt, da der Waffenstillstand vom französischen Oberkommandierenden Marschall Ferdinand Foch für alle Truppen der Entente verkündet war, durchzogen Heerscharen deutscher Truppen auf dem Weg zu ihren Heimatgarnisonen das Saarrevier, das noch niemand Saarland nannte. Die Soldaten der Saarbrücker Garnisonen wurden am 15. November entlassen. Die Alliierten teilten mit, dass das linke Rheinufer komplett von deutschen Truppen zu räumen sei, Saarbrücken und Saarlouis mussten bis 21. November ohne deutsche Truppen sein. Unter Absingen des Deutschlandliedes von Hoffmann von Fallersleben „Deutschland, Deutschland über alles“ wurden die letzten deutschen Landwehrregimenter von tausenden Saarbrückern zum Bahnhof geleitet. Danach rückten am 22. November zwei französische Kompanien mit klingendem Spiel ein und belegten die Artilleriekasernen in St. Arnual.

Die Menschen im Saarland sahen zum ersten Mal Menschen mit dunkler Haut – viele Zeitgenossen konnten nun ihre rassistischen Vorurteile ausleben. Das hielt sogar bis mindestens 1945 an. Die französischen Offiziere trafen sich mit Oberbürgermeister Emil Mangold und dem Arbeiter- und Soldatenrat. Reisen nach Norden ins Reichsgebiet wurden einstweilen verboten, Richtung Lothringen war alles offen.

Die roten Fahnen auf dem Rathaus, dem Bahnhof und dem Schloss wurden heruntergeholt. Jetzt wehte dort die Tricolore. Und die Arbeiter- und Soldatenräte waren schon wieder Geschichte, ihre schmalen Spuren verwischten rasch.