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2013/05/05 21:18:03
Michaela Becker
[Regionalforum-Saar] Achtung Korrektur! Vortrag am 22 .05.2013 Wellesweiler Arbeitskreis für Geschichte, L andeskunde und Volkskultur e.V.
Datum 2013/05/13 08:30:12
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] (Kein Thema)
2013/05/05 17:08:58
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Rundfunkverbrechen
Betreff 2013/05/14 13:07:31
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Untersuchung zum Brand der Synagoge in St. Wendel 1947-1950
2013/05/05 17:08:58
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Rundfunkverbrechen
Autor 2013/05/13 08:30:12
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] (Kein Thema)

[Regionalforum-Saar] tanzwut

Date: 2013/05/07 21:12:32
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Rohmann, Gregor: Tanzwut. Kosmos, Kirche und Mensch in der
Bedeutungsgeschichte eines mittelalterlichen Krankheitskonzepts (=
Historische Semantik 19). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. ISBN
978-3-525-36721-6; 712 S.; EUR 99,99.

Inhaltsverzeichnis:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/beitraege/rezbuecher/toc_20173.pdf>

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Philip Knäble, Bielefeld Graduate School in History and Sociology,
Universität Bielefeld
E-Mail: <pknaeble(a)... Tanzwut gilt sicherlich als eines der schillerndsten Phänomene der
Vormoderne und bildet zusammen mit der Pest und dem wachsenden sozialen
Aufruhr einen festen Bestandteil in der Krisenerzählung des
Spätmittelalters. Eine intensive Beschäftigung mit der Tanzwut - wie
auch allgemein mit dem Thema 'Tanz' - ist von der Mediävistik allerdings
bisher kaum geleistet worden: Die einschlägigen Artikel zum Tanz im
Lexikon des Mittelalters etwa sind allesamt von Wissenschaftler/innen
aus der Neuzeit oder anderen Disziplinen verfasst worden. In seiner
umfangreichen Habilitationsschrift unternimmt Gregor Rohmann nun den
Versuch, die Genese der Tanzwut aus einer kulturhistorischen Perspektive
nachzuzeichnen und 'Tanz' als Forschungsgegenstand für die Mediävistik
zu öffnen.

Dabei widmet er sich in seiner Studie nicht den Tanzpraktiken vom 14.
bis zum 17. Jahrhundert, sondern interessiert sich in seiner
semantischen Herangehensweise vielmehr dafür, welches "Reservoir an
Zeichen" (S. 19) den Akteuren in diesem Zeitraum für die Beschreibungen
von Tanzwut zur Verfügung stand. Im Zentrum der Arbeit steht deshalb die
Entwicklung des Diskurses über unfreiwilligen, zwanghaften Tanz seit der
Spätantike bis zum Spätmittelalter.

Die Arbeit beginnt mit einem kritischen Überblick über den
Forschungsstand und zeigt auf, dass die einschlägigen Studien aus den
Bereichen Medizin, Volkskunde, Germanistik und Tanzwissenschaft
quellenfern und mit universalen Vergleichen operieren. Entgegen der
gängigen Interpretation der Tanzwut als Form der Massenhysterie, der
Besessenheit oder als paganes Residuum, schlägt Gregor Rohmann eine
kulturanthropologische Herangehensweise vor, die versucht, der
zeitgenössischen Eigenlogik der Tanzwut gerecht zu werden. Die Tanzwut
wird so als eine kulturell konstruierte Krankheit lesbar, die sich aus
der Auseinandersetzung des mittelalterlichen Christentums mit antiken
Mythen und Kosmologien sowie deren körperlichen Ausdrucksformen im Tanz
speist. Was unter Tanzwut verstanden wird, ist damit das Ergebnis
vielfältiger Aushandlungsprozesse zwischen Gelehrten, Klerus und Laien
in ihren jeweiligen Wahrnehmungshorizonten.

Das zweite Kapitel eröffnet die Diskursgenealogie mit der Diskussion
antiker Quellen zum unfreiwilligen Tanz, aus denen die mittelalterlichen
Autoren später selektiv auswählen und die sie umdeuten. Es ist vor allem
die neuplatonische Kosmologie, in der 'Tanz' als Nachahmung der
Sphärenharmonie verhandelt wird. Allerdings ist im Begriff der mania
bereits eine Ambivalenz angelegt, da der Tanz damit sowohl als
krankhafte Störung der Harmonie, wie auch als Ausdrucksform, um die
Harmonie wieder herzustellen, gedeutet werden kann. Das Christentum
übernimmt diese Doppeldeutigkeit und erbt somit das Problem, ob über
praktizierte Tänze eine Kommunikation mit Gott möglich oder gerade nicht
möglich und inwiefern Tanz eher spirituell oder körperlich zu deuten
sei.

Im Anschluss daran zeigt Gregor Rohmann im dritten Kapitel auf, wie
diese Fragen in der mittelalterlichen Theologie aufgenommen wurden. Er
kann demonstrieren, dass der Tanz keineswegs einheitlich von der Kirche
verdammt wurde, sondern nur bestimmte Tanzorte, Tanzzeiten und
Teilnehmende in der Kritik standen. Dies ermöglichte unterschiedliche
theologische Bewertungen von Tanz ebenso wie verschiedene Tanzpraktiken
im paraliturgischen Rahmen. Als dominante Sichtweise ging daraus die
Vorstellung hervor, den Tanz als Zustand der Gottessuche zu begreifen.
In der Körperpraxis Tanz konnten sowohl Heilsverlust, als auch das
Streben nach der Wiederaufnahme in die Heilsgemeinschaft so performativ
inszeniert werden.

Im vierten Kapitel wird die geografische Verbreitung der Tanzwut
verfolgt und untersucht, warum sie gerade im östlichen Frankreich, in
Belgien und dem Rhein-Main-Gebiet im Spätmittelalter entstand. Der Autor
erklärt die räumliche Konzentration mit der dortigen Überschneidung
zweier kultureller Großräume: das früh christianisierte Gallien und die
später bekehrten Gebiete des heutigen Deutschland. Im Merowingerreich
entstand durch die Aufnahme neuplatonischer Philosophie in den
Herrscherkult und die Heiligenverehrung ein Sinnhorizont, der den Tanz
als legitime Form der Frömmigkeit zuließ. Für das spätmittelalterliche
Frankreich lässt sich dann eine Vielzahl von Tanzpraktiken im
kirchlichen Bereich nachweisen. Die von angelsächsischen Missionaren
seit dem 7. Jahrhundert christianisierten Gebiete östlich des Rheins
zeichneten sich dagegen durch eine asketisch geprägte, den Tanz als
Devotionsform ablehnende Religiosität aus. Aus diesen theologischen
Spannungen, so Rohmanns These, entstand im Grenzbereich beider
Kulturräume die Tanzwut im Spätmittelalter.

Anhand von Heiligenviten aus dem Frühmittelalter führt Gregor Rohmann im
nächsten Kapitel aus, wie darin das Motiv des unfreiwilligen Tanzes für
den Zustand der Heilssuche ausformuliert wird. Am Beispiel der
Tanzlegende von Kölpigk (Kapitel sechs) verdeutlicht er, wie das Motiv
im elften Jahrhundert aktualisiert und popularisiert wurde. Indem er die
zeitgenössischen Überlieferungen auf ihre literarischen Vorbilder und
den Kontext ihrer Entstehung untersucht, kann der Verfasser zeigen, dass
in der Legende nicht ein blasphemischer Tanz als heidnisches Relikt,
sondern vielmehr Änderungen durch die Kirchenreform des elften
Jahrhundert im Zentrum standen. Die verbreitete Vorstellung der Kirche
als Reigen, die bis dahin in der Ekklesiologie vorgeherrscht hatte,
wurde nun durch das Bild der Kirche als Haus abgelöst. Die Kölpigker
Tanzlegende bildet damit laut Rohmann "die zentrale Scharnierstelle in
der Entwicklung von den antiken mania-Konzeptionen zur
spätmittelalterlichen Tanzkrankheit"(S. 371).

Im letzten Kapitel legt der Autor dar, dass im Spätmittelalter die
Tanzwut vor allem im Zusammenhang mit den Heiligenkulten von Johannes
dem Täufer (Johannistanz) und Vitus (Veitstanz) thematisiert wurde.
Gregor Rohmann erklärt diesen Umstand mit einem Rückblick auf die
spätantike Genese ihrer Heiligenviten, in denen Formen der
neuplatonischen mania verhandelt wurden. Beide Heiligenkulte griffen
mythische und kosmologische Inhalte der Spätantike auf und ihre
Hochfeste, 15. und 24. Juni, lagen im Umfeld der Sommersonnenwende. Als
"Hüter der Schwelle" (S. 622) waren beide im besonderen Maße als Mittler
zwischen Immanenz und Transzendenz für den Status zwischen Heilsferne
und Erlösung zuständig. Dies machte sie für den Tanz als Ausdrucksmittel
liminalen Verhaltens attraktiv, zumal Johannes und Veit ab dem 13.
Jahrhundert im Rhein-Mosel-Gebiet stark verehrt wurden. In der Tanzwut
manifestierte sich so der zeitlich begrenzte und ritualisierte
körperliche Ausdruck der Heilsferne in der Frömmigkeit. Die Tanzenden
zelebrierten somit keine heidnischen Kulte, sondern strebten im
christlichen Kontext der Heiligenverehrung eine Wiederaufnahme in das
Heilsgeschehen an.

Gregor Rohmann liefert mit seiner Habilitationsschrift einen wichtigen
Anstoß zum Verständnis der vielfältigen Tanzkultur im religiösen Kontext
des Spätmittelalters. Insbesondere das dritte Kapitel bietet eine
äußerst fundierte Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes zum
Tanz im kirchlichen Kontext und macht auf wichtige Desiderate
aufmerksam. Auch wenn es an einigen Stellen schwer fällt, den komplexen
Beziehungen zwischen antiken Mysterien und ihren früh- und
spätmittelalterlichen Adaptionen zu folgen, gelingt es Gregor Rohmann
stets, die Diskursstränge der Tanzwut differenziert darzustellen. Indem
er die bekannten Quellen um fundierte Kontextualisierungen ergänzt und
ihre literarischen Vorbilder aufzeigt, schafft er es, die Tanzpraktiken
in der mittelalterlichen Frömmigkeit zu entexotisieren. Dadurch
entstehen, wie etwa im sechsten Kapitel zur Tanzlegende von Kölpigk
ausgezeichnet dargestellt wird, entscheidende Perspektivwechsel, welche
die Verbindungen zu zeitgenössischen theologischen Auseinandersetzungen
nachzeichnen.

Gregor Rohmann demonstriert mit seinem Werk, wie fruchtbar eine
quellenkritische kulturhistorische Untersuchung der Tanzwut sein kann,
die interdisziplinäre Forschungsansätze aufgreift. Er erschließt mit dem
spannungsreichen Verhältnis von Tanz und Religiosität zugleich ein neues
Forschungsfeld für die Mediävistik.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Harald Müller <mueller(a)...