in Kirchen und Theologie gedacht?
Welche Hoffnungen
und welche Wider-stände zeigen sich in der anhaltenden Diskussion?
Erinnerungsarbeit
und
Erinnerungskultur in Ottweiler
Eine
Anmerkung zur Ausstellungseröffnung „Gebrochene Säule – Von
der Integration zur
Deportation“ am 14.10.2012 (Hans-Joachim Hoffmann)
Werte Gäste, liebe Freunde des
Stadtmuseums,
in dem Vorwort der Broschüre zur
Ausstellung habe ich das
Wesentliche über den jüdischen Friedhof Ottweiler ausgeführt.
Ich hoffe, dass
Sie die Broschüre nicht nur käuflich erwerben und damit die
Arbeit des
Stadtmuseums unterstützen sowie das finanzielle Engagement aller
Spender
anerkennen, sondern sie auch lesen, damit Sie nachvollziehen
können, dass die
ehemalige jüdische Gemeinde Ottweiler es wert ist, zumindest im
Gedächtnis des
Ortes bewahrt zu werden. Daher beschränke ich mich auf einige
Anmerkungen zur
Erinnerungs-kultur. Erlauben Sie mir zunächst einen kurzen
Rückblick:
Die heutige
Ausstellung greift die
Erinnerungsarbeit an die ehemalige jüdische Gemeinde Ottweiler
wieder auf, die
meinerseits auf die gemeinsam mit dem Ottweiler Pfarrer
Hartmut Thömmes
durchgeführte Ausstellung über „Das ehemalige jüdische
Leben im
evangelischen Kirchenkreis Ottweiler“ in der Aula des
Gymnasiums Ottweiler
2006 ihren Anfang nahm. Herr Thömmes stellte auch für diese
Ausstellung sowohl
themenbezogenes Bildmaterial
als auch
Kultgegenstände des Judentums zur Verfügung; dafür sei ihm
recht herzlich
gedankt. Die Erinnerungsarbeit wurde fortgesetzt durch die
Veröffentlichung der
„Lebenswege jüdischer Mitbürger“ (2009) mit
Unterstützung des
Landkreises Neunkirchen; mit Unterstützung der Stadt Ottweiler
und des
Stadtgeschichtlichen Museums konnte eine Gedenktafel im
Histo-rischen
Sitzungssaal des Kreishauses an Nachfahren der Familie
Coblenz, nämlich Herrn
Walter Coblenz (USA) und Herrn Dr. François Van Menxel
(Münster) übergeben und am
Haus Goethestraße 1 (2009) angebracht
werden. Es freut mich, dass auch heute Dr. François Van Menxel
mit seiner Frau
Helga wieder den Weg nach Ottweiler gefunden hat. Eure
Anwesenheit, François
und Helga, zeigt, dass die lokalen Bemühungen gegen das
Vergessen auch
überregional wahrgenommen und geschätzt werden.
Im Umfeld der Entstehung des Buches „Lebenswege
jüdischer
Mitbürger“ und der Übergabe der Gedenktafel an Nachfahren
der
Familie Coblenz stellte ich an die Fraktionen des Ottwei-ler
Stadtrates den
Antrag, Adolf Hitler, Hermann Göring und Alois Spaniol die
bereits 1933, also
zu einer Zeit, als das Saargebiet noch dem Völkerbund
unterstand, verliehenen
Ehren-bürgerschaften der Stadt Ottweiler symbolisch
abzuerkennen, fand jedoch
keine ausreichende Unterstützung, die Initiative verlief im
Sande. Dass eine
solche symbolische Aberkennung keinerlei juristische Bedeutung
hat, war und ist
mir bewusst, doch glaubte und glaube ich immer noch, dass eine
solche Geste die
Erinnerungsarbeit glaubhafter erscheinen ließe und als Geste
gegenüber allen
Opfern der NS-Herrschaft angebracht erschiene. Konkret dachte
und denke ich
dabei an die in Ottweiler am 2. September 1922 geborene
Kommunistin Dora
Weyrich, geb. Schlosser, die das Lager Gurs mit ihrer Mutter und
Schwester durchleiden
musste und heute im AWO-Heim ihren Lebensabend verbringt. Eine
ernsthafte und
offene Diskussion dieser Frage fand meines Wissens in keiner
Stadtratssitzung
statt; noch nicht einmal alle Parteien reagierten mit einer
Stellungnahme auf
meine Anregung.
Während also einerseits eine symbolische
Handlung versagt
wurde, entschied man sich in einem anderen Bereich des
politischen Lebens der
Stadt für eine symbolische Vereinbarung: Im Mai 2011 erfolgte
die symbolische
Unterzeichnung einer Vereinbarung zur Verbindung von Familie und
Beruf, einem
Aufruf der Bundesfamilienministerin Kristina Schröder folgend.
Auch diese
symbolische Vereinbarung verpflichtet zu nichts, verlangt
keinerlei konkrete
Maßnahmen, bleibt eine Geste. Die Frage stellt sich: Warum
verweigert man
einerseits eine symbolische Geste, vollzieht sie aber
andererseits?
Um die
Erinnerungsarbeit
fortzusetzen, unterbreite ich am Ende meines Vorwortes zwei
Vorschläge:
- die Einbeziehung des jüdischen
Friedhofs in den Tag der offenen Museen,
- die Verlegung von Stolpersteinen,
die die Namen der Deportierten im öffentlichen Bewusstsein
festhalten.
Die Einbindung
des jüdischen
Friedhofs in den „Tag der offenen Museen“ wird wohl
kaum Widerspruch
hervorrufen, so dass ich auf eine ausführlichere Begründung
verzichten kann.
Nur soviel sei gesagt: Der jüdische Friedhof stellt die „versteinerte
Lebensgeschichte“ der jüdischen Gemeinde Ottweiler dar;
er bestätigt die
Feststellung Michael Brockes über jüdische Friedhöfe: „Boden
und Steine
begründen in ihrer Einschreibung Geschichte und Gedächtnis
für die Nahen wie
für die Fernen... Das vergehende Leben der Gemeinschaft wird
geerdet und
aufgerichtet, aufbewahrt und hinübergewünscht in das Land
der Lebendigen, des
Lebens.“ Das vergangene Leben der jüdischen Gemeinde
Ottweiler kehrt
zumindest für die Zeit der Ausstellung „in das Land der
Lebendigen, des
Lebens“ zurück. Dies ließe sich durch die Einbeziehung
des jüdischen
Friedhofs in den „Tag der offenen Museen“ vertiefen.
Warum die
Anregung, Stolpersteine
zu verlegen? In Ottweiler verweisen vier Straßen-bezeichnungen
auf ehemalige
Ottweiler Bürger bzw. Lokalpolitiker: Die „Schmalwasser-straße“
erinnert
an den in Ottweiler geborenen und in Wien 1808 verstorbenen
Juwelier Johann
Christian Heinrich Schmalwasser, der eine Stiftung für seine
Heimatstadt
begrün-dete, „damit arme Kinder den Schulunterricht zu
genießen haben.“
Die „Weylstraße“ und die „Anton-Hansen-Straße“
bewahren Personen
des 19. Jahrhunderts vor dem Vergessen, die das politische,
konfessionelle und
wirtschaftliche Leben Ottweilers entscheidend mitprägten: Der
katholische
Pfarrer Hansen setzte sich u.a. vehement für die politische
Gleichberech-tigung
der katholischen Bevölkerung im protestantisch geprägten
Preußen ein; die
wirtschaft-lich erfolgreiche protestantische Familie Weyl
engagierte sich auch
in der Lokalpolitik und suchte, die Vorrechte der Protestanten
mit Nachdruck zu
wahren.
Die „Dr.
Maximilian-Rech-Straße“ erinnert an den Landrat des
Kreises Ottweiler Dr.
Maxi-milian Rech. Er bekleidete seit 1920 diese Funktion,
wurde am Kriegsende
vorübergehend seines Amtes enthoben und durch Herrn Heinrich
Strauss,
bisheriger Amtsgerichtsrat in St. Wendel, ersetzt. In seiner
Funktion als
Landrat und „Untertreuhänder des jüdischen Vermögens im
Kreis Ottweiler“
– so die Angabe im Briefkopf des Schreibens – erließ Dr. Rech
am 5. Dezember
1940 ein Schreiben an die Amtsbürgermeister des Kreises (außer
Spiesen und
Elversberg) sowie die Bürgermeister von Ottweiler und
Neunkirchen mit der
Bitte, die Einheitswerte der jüdischen Grundstücke derjenigen
Personen zu
ermitteln, die am 22. Oktober 1940 evakuiert wurden - von
deportiert ist in den
amtlichen Schreiben keine Rede. Dies geschah mit der
Zielsetzung, „dass der
jüdische Besitz jetzt umgehend in deutsche Hände zu
überführen ist.“ (Saar-
und Blieszeitung Nr. 266, S. 5).
Landrat Dr.
Maximilian Rech
bildete nur ein kleines Zahnrädchen in der
Verwaltungs-hierarchie des
NS-Systems; aber das Ineinandergreifen der vielen kleinen
Rädchen ermöglichte
letztendlich die bürokratisch organisierte und industriell
durchgeführte
Vernich-tung der jüdischen Bevölkerung, der politischen Gegner
auf Seiten der
Kommunisten und der SPD, der Sinti und Roma, der Homosexuellen
und das
Euthanasie-Programm. Die Verstrickung von Dr. Rech in das
Unrechtssystem des
Nationalsozialismus möge einerseits für die politisch und
gesellschaftlich
Verantwortlichen heute auf allen Ebenen Mahnung sein bei der
Umsetzung von
Vorgaben, andererseits die Bevölkerung zur Wachsamkeit und zu
Engagement
aufrufen. Die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft
sollten sich
zumindest gelegentlich bei politischen Grundsatzentscheidungen
und ihrer
Umsetzung der Aufforde-rung Günter Eichs zu erinnern:
Seid
unbequem,
seid
Sand,
nicht
das
Öl
im
Getriebe der Welt!
Dr. Rech setzte
mit seinem
Schreiben vom 5. Dezember 1940 eine Vorgabe höherer
politischer Stellen
konsequent um, er war Öl, nicht Sand im Getriebe der Welt.
Mir drängt
sich die Frage auf: „Welche Haltung soll ich ihm gegenüber
einnehmen, welche
Haltung soll ich denen gegenüber einnehmen, die in das
Unrechtssystem des
Nationalsozialismus verstrickt waren?“
Die Haltung des
1923 in Wien
geborenen und seit 1963 an der FU Berlin lehrenden Rabbiners
und
Religionsphilosophen Jacob Taubes (1923 – 1987) gegenüber dem
„Kronjuristen“
des Dritten Reiches Carl Schmitt (1888 – 1985), der zwischen
1933 und 1945 in
Köln und Berlin seine Jurastudenten auf den Führer einschwor,
gibt
Anhaltspunkte, zeigt den Weg. Taubes sagte zu sich: „Hör
mal, Jacob, du bist
nicht der Richter, ... denn als Jude warst du nicht in der
Versuchung. Wir
waren in dem Sinne begnadet, dass wir gar nicht dabei sein
konnten. Nicht, weil
wir nicht wollten, sondern man uns nicht ließ ... ich kann
nicht sicher über
mich selbst sein, ich kann nicht sicher über irgendeinen
sein, dass er vom
Infekt der nationalen Erhebung nicht angesteckt wird und ein
oder zwei Jahre
verrückt spielt, hemmungslos...“
Aus der Haltung
des Juden Jacob
Taubes gegenüber Carl Schmitt, der sich nach 1945 nie vom
NS-Regime
distanzierte, ziehe ich für mich die Schlussfolgerung: Dr.
Maximilian Rech zu verurteilen
steht mir als einem Vertreter der nachgeborenen Generation
nicht zu; denn ich
konnte gar nicht dabei sein.
Dr. Rech fand
seine letzte
Ruhestätte auf dem katholischen Friedhof Neumünster. Lassen
Sie mich auch an
dieser Stelle Jabob Taubes das Wort geben: Anlässlich des
Todes von Carl
Schmidt stellte Jacob Taubes für sich fest, er traue sich
nicht, „jemanden
zu richten, der den Frieden mit der Kirche gemacht hat und
in ihr gestorben ist...“
Auch Dr. Rech
scheint den
Frieden mit der Kirche gemacht zu haben und in ihr am
13.12.1949 gestorben zu
sein. Er verantwortete sich – dem jüdischen und
christlichen Verständnis
folgend – vor dem göttlichen Gericht. Vielleicht hat auch er „ein
oder zwei
Jahre verrückt gespielt, hemmungslos...“ Sein
politisches Wirken insgesamt
zu beschreiben und zu beurteilen, bleibt noch zu
erledigende Aufgabe des
Historikers.
Die
Straßenbezeichnung,
entschieden durch den Stadtrat Ottweilers am 14. Mai 1954,
weil Dr. Rech „über
20 Jahre mit vorzüglicher Arbeitskraft und unparteiisch für
den Kreis und die
Stadt Ottweiler Großes geleistet hat“, hält die
Erinnerung an ihn wach.
Über diese Begrün-dung mag sich jeder der hier Anwesenden
seine eigenen
Gedanken machen.
„Großes“
leisteten andere
Personen für die Stadt Ottweiler, ohne dass eine
Straßenbe-nennung die
Erinnerung an sie bewahrt: Ich denke dabei z.B. an den
protestantischen Pfarrer
Georg Christian Woytt (1694 – 1764), ich denke an Samuel Levy,
den Lehrer der jüdischen
Elementarschule Ottweiler von 1825 – 1875, ich denke an die
jüdischen Familien
Coblenz und Albert, die das Leben der jüdischen Gemeinde
Ottweiler und der
Stadt Ottweiler im 19. Jahrhundert maßgeblich mitprägten. Ich
denke an all die
in der Öffentlichkeit Namenlosen, die ihrer Heimat, in der sie
tief verwurzelt
waren, treu geblieben sind, die Ottweiler treu geblieben sind,
treu bis in den
Tod.
Wenn also eine
Straßenbezeichnung
die Erinnerung an Dr. Maximilian Rech bewahrt –erscheint es
dann nicht nachdenkenswert,
ja angebracht, durch Stolpersteine an die jüdischen
Bewohner Ottweilers
zu erinnern, deren Vermögen Dr. Rech als Untertreuhänder in
deutsche Hände
überführte, vielleicht wissend, dass die Deportierten nie mehr
zurückkommen
werden? Geben wir den fast Vergessenen durch Stolpersteine
ihre Namen
zurück. Denn : Ein Mensch ist erst dann tot, wenn sein
Name vergessen ist.
Bewahren wir die Namen der Deportierten durch Stolpersteine
vor dem
Vergessen, damit auch die jüdische Gemeinde in ihrer Endphase
„im Land der
Lebendigen, des Lebens“ erhalten bleibt.
In aller
Bescheidenheit beschließe
ich meine Rede mit einem Gedicht von Bert Brecht, das dieser
1933, also 23
Jahre vor seinem Tode verfasste, und hoffe, dass meine
Vorschläge zu einer
offenen und ernsthaften Diskussion über die Fortsetzung der
Erinnerungsarbeit
führen:
„Ich
benötige
keinen Grabstein, aber
Wenn
ihr
einen für mich benötigt
Wünschte
ich,
es stünde darauf:
Er hat Vorschläge gemacht. Wir
Haben
sie
angenommen.
Durch
eine
solche Inschrift wären
Wir
alle
geehrt.“
Ich wünsche Ihnen
trotz der
nachdenklich stimmenden Thematik der Ausstellung noch einen
schönen Sonntag.
Vielen Dank.