Suche Sortierung nach Monatsdigest


Datum 2012/10/01 23:23:31
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Konferenz: Das "stille Örtchen". Fäkalien und ihre Entsorgung im Mittelal ter
2012/10/09 07:24:40
Elmar Peiffer
Re: [Regionalforum-Saar] Parken beim Stadtarchiv Trier nicht mehr möglich
Betreff 2012/10/25 12:24:18
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Stengel läßt grüßen
2012/10/14 20:46:21
Michaela Becker
[Regionalforum-Saar] Vortrag am 17.10.2012 bei m Wellesweiler Arbeitskreis für Geschichte, Lan deskunde und Volkskultur e.V.
Autor 2012/10/01 23:23:31
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Konferenz: Das "stille Örtchen". Fäkalien und ihre Entsorgung im Mittelal ter

[Regionalforum-Saar] Rezension: Die Pfarre in der Stadt

Date: 2012/10/01 23:22:18
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Rez. FNZ: W. Freitag (Hrsg.): Die Pfarre in der Stadt
------------------------------------------------------------------------

Freitag, Werner (Hrsg.): Die Pfarre in der Stadt. Siedlungskern -
Bürgerkirche - Urbanes Zentrum (= Städteforschung, Reihe A:
Darstellungen 82). Köln: Böhlau Verlag Köln 2011. ISBN
978-3-412-20715-1; 269 S.; EUR 39,90.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Dennis Hormuth, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu
Kiel
E-Mail: <hormuth(a)... hier zu besprechende Sammelband geht zurück auf die 38.
Frühjahrstagung des Instituts für vergleichende Städtegeschichte, die im
März 2008 unter dem Titel "Die Pfarre in der Stadt. Von der
Vergesellschaftung des Bürgerverbandes zur Mahlgemeinschaft der Wenigen"
stattfand. Die zehn Beiträge befassen sich mit dem Zusammenhang zwischen
Pfarrei und Stadtwerdung bzw. -entwicklung, mit gegenseitigen
Bedingtheiten und Einflüssen sowie mit den Handlungsmotivationen und
-möglichkeiten der Akteure.

Werner Freitag leitet als Herausgeber den Sammelband ein, indem er
prägnant Grundannahmen und Tendenzen der historischen Forschung
referiert und die folgenden Beiträge zum Mittelalter, zur Frühen Neuzeit
und zum 19./20. Jahrhundert kurz vorstellt. Er geht davon aus, dass die
Pfarre in allen drei Epochen eine notwendige Bedingung für Stadtwerdung
und Urbanität darstellte (S. XII).

Manfred Balzer untersucht die Rolle von Kirchen im Prozess der
hochmittelalterlichen Stadtbildung in Westfalen. Die Gründung von
Kirchen in einer spärlich besiedelten Landschaft habe ein Netz aus Orten
mit zentralen kultisch-religiösen Funktionen neu entstehen lassen. An
einigen Beispielen weist Balzer unter Zuhilfenahme der
Stadtkernarchäologie die topographisch zentrale Lage der
Stadtpfarrkirchen in der frühstädtischen Phase nach. Aufgrund der hohen
Bedeutung der Stadttopographie in seiner Argumentation wären
rekonstruierte Stadtpläne der Beispielstädte für ortsfremde Leser eine
hilfreiche Orientierung gewesen.

Felicitas Schmieder geht dem Ringen um die Kontrolle der Pfarrseelsorge
in Frankfurt am Main im 15. Jahrhundert nach. In Frankfurt existierte
nur eine einzige Pfarrei, und der zuständige Bischof habe aus
Machtambitionen kein Interesse daran gehabt, weitere Pfarreien
einzurichten. Durch kontinuierliche Gewichtsverschiebungen sei es
schließlich dem Rat gelungen, sich in einem mehrere Generationen
dauernden Prozess immer mehr Einfluss auf die Pfarrseelsorge in der
Stadt zu sichern.

Franz-Josef Arlinghaus wendet sich dem spätmittelalterlichen
Braunschweig zu. Er verweist auf die hohe Bedeutung der Stadtviertel im
politischen Gefüge der Gesamtstadt und hinterfragt die immer wieder
postulierte Einheit von politischer und religiöser Stadtgemeinde in der
vormodernen Stadt. Am Beispiel von Prozessionen und Gerichtstagen zeigt
er, dass diese als rituelle und performative Akte verstanden nicht die
Stiftung von Einheit widerspiegelten, sondern ihr Wesen im Austarieren
der gegensätzlichen Elemente Einheit und Differenz im Spannungsfeld von
Gesamtstadt und Stadtteilen fänden.

Renate Dürr weist anhand der Einführung der Hildesheimer
Konsistorialordnung von 1678 die lange Wirkmächtigkeit der lutherischen
Dreiständelehre nach, die sie als eine "ins Gesellschaftliche gewendete
Beziehungstheologie" (S. 100) versteht. In der Auseinandersetzung um
diese Konsistorialordnung hätten beide Seiten - Rat und opponierender
Pfarrer - Luthers Dreiständelehre als Argument für
Kompetenzbeschränkungen der Gegenseite genutzt. Zudem sei das
Hildesheimer Pfarrerwahlrecht so angelegt gewesen, dass ein Verfahren
nur dann erfolgreich abgeschlossen werden konnte, wenn alle drei Stände
- Stadtrat, Geistlichkeit und Gemeinde - zusammenarbeiteten.

Christine Schneider untersucht die Wiener Pfarren und Pfarrer im
Zusammenhang der Josephinischen Kirchenreform. Inklusive der Vorstädte
stieg die Anzahl der Wiener Pfarren schlagartig von acht auf 28. Trotz
der zeitgleichen ersten Welle von Klosteraufhebungen führte der Anstieg
der Pfarren zu einem als erheblich empfundenen Pfarrermangel. Die
Ausbildung der Pfarrer wurde verbessert, ihre Aufgaben erweitert und die
- auch und gerade staatliche - Aufsicht über sie intensiviert. Fortan
habe sich ein doppelter Druck auf die Pfarrer von oben durch ständige
neue Verordnungen und von unten durch das Misstrauen der Gemeinden gegen
die Pfarrer als Exekutoren und Verkünder unpopulärer Verordnungen
verstärkt.

Eva-Maria Seng beschäftigt sich in ihrem reich und sinnvoll bebilderten
Beitrag mit Kirchenneubauten und Pfarrgründungen im Zusammenhang schnell
wachsender Städte in der Zeit der Industrialisierung. An den Beispielen
Halle an der Saale und Stuttgart arbeitet sie heraus, dass der Staat
versuchte, sich aus der Finanzierung der Neubauten und auch der
Pfarrstellen herauszuziehen. Initiative und Finanzierung seien
Angelegenheiten insbesondere der Pfarrgemeinden und einzelner Bürger
gewesen, die sich durch Einzelspenden oder Mitgliedschaft in
Kirchenbauvereinen engagieren konnten.

Der Beitrag von Antonius Liedhegener ist weitgehend der Neuabdruck eines
Aufsatzes von 2001 über Forschungsstand und Forschungsperspektiven zu
Religion und Kirchen vor dem Hintergrund der Urbanisierung Deutschlands
an der Wende zum 20. Jahrhundert, den der Autor mit einem kurzen
Nachwort zu den letzten zehn Jahren erweitert hat. Hier bedauert
Liedhegener, dass sich die Forschung im Zuge des cultural turn von der
historisch-empirischen Behandlung der Säkularisation mit ihren
quantitativen wie qualitativen Methoden abgewendet habe. Zudem verdiene
der Zusammenhang von Religion und Zivilgesellschaft verstärkte
Aufmerksamkeit.

Hans-Walter Schmuhl behandelt den Kirchenkreis Bielefeld und hier
speziell die Stadt Bielefeld von 1817 bis in die Gegenwart. Für den im
Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung notwendig gewordenen
Gemeindeausbau sei ein typischer Dreischritt zu beobachten: Errichtung
einer Pfarrstelle - Bau einer Kirche - Abpfarrung, wobei der letzte
Schritt mit deutlicher Verzögerung typischerweise erst nach 1945 erfolgt
sei. Schmuhl stellt zudem die Bedeutung der Inneren Mission für das
Fallbeispiel Bielefeld heraus.

Der letzte Beitrag ist einem Ausblick gewidmet, in dem der Theologe
Reinhard Feiter insbesondere Überlegungen zu den Herausforderungen
anstellt, vor welche die Kirchen derzeit vor allem in den Städten
gestellt werden. Das Problem der Unterfinanzierung führe zu drei Typen
neuer parochialer Strukturen: Kooperationen von Pfarreien,
Verbandspfarreien und Großpfarreien. Allen Typen sei gemeinsam, dass sie
zu einem größeren pastoralen Raum führen. Um den Umbau sinnvoll
gestalten zu können, fordert Feiter zwei Perspektivenwechsel ein: Die
Veränderung der Pfarrstrukturen solle nicht nur als innere Angelegenheit
der Kirche wahrgenommen werden, sondern müsse stärker die Bedürfnisse
der Städte berücksichtigen. Zudem sei eine innere Differenzierung
notwendig, denn auch Gemeinden unterhalb der Pfarreiebene hätten sich
als lebensfähig und eigenverantwortlich erwiesen. Hierfür sei mehr
Vertrauen der Bischöfe und Pfarrer in die Gläubigen notwendig.

Der Sammelband nimmt sich mit dem Fragekomplex des Zusammenhangs von
religiöser und politischer Stadtgemeinde eines eher klassischen Felds
der vormodernen Städtegeschichtsforschung an und verlängert es in die
moderne Städtegeschichte. So liegt der besondere Reiz des Buches darin,
ein klar umrissenes Thema über die etablierten Epochengrenzen hinweg in
der longe durée in den Blick nehmen zu können. Mittelalter, Frühe und
Späte Neuzeit sind gleichermaßen vertreten. Zudem sind die Beiträge -
mit wenigen Ausnahmen einzelner Unterkapitel - erfrischend konsequent am
übergeordneten Thema "Pfarre in der Stadt" ausgerichtet. Den Autoren
gelingt es bei aller Vielfalt der konkreten Fragestellungen ein
Gesamtbild zu zeichnen, so dass es sich lohnt, diesen Sammelband nicht
nur als Steinbruch zu nutzen, sondern auch einmal von Buchdeckel zu
Buchdeckel durchzulesen. Konfessionell ist der Band nicht zu eng
gefasst, da evangelische wie katholische Beispiele behandelt werden. Für
weitere Betrachtungen dieser Art wäre eine Ausweitung auf reformierte,
aber auch jüdische und für die Zeitgeschichte aufgrund der Entwicklungen
der letzten Jahrzehnte selbst muslimische Gemeinschaften zwingend.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Niels Grüne <ngruene(a)...