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2012/08/26 17:07:52
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] die karte für die ritter is t wech
Datum 2012/08/28 08:36:29
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[Regionalforum-Saar] Schatzsuche am Ringwall
2012/08/11 08:59:13
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[Regionalforum-Saar] Ritt durch die Geschichte des Ritterturniers
Betreff 2012/08/28 08:36:29
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[Regionalforum-Saar] Schatzsuche am Ringwall
2012/08/26 17:07:52
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[Regionalforum-Saar] die karte für die ritter is t wech
Autor 2012/08/28 08:36:29
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Schatzsuche am Ringwall

[Regionalforum-Saar] R. Knapp: Römer im Scha tten der Geschichte

Date: 2012/08/26 21:14:46
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Rez. AG: R. Knapp: Römer im Schatten der Geschichte
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Knapp, Robert: Römer im Schatten der Geschichte. Gladiatoren,
Prostituierte, Soldaten: Männer und Frauen im Römischen Reich [Aus dem
Englischen von Ute Spengler]. Stuttgart: Klett-Cotta 2012. ISBN
978-3-608-94703-8; 398 S.; EUR 24,95.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Jörg Fündling, Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische
Hochschule Aachen
E-Mail: <Joerg.Fuendling(a)... zur antiken Sozial- und Alltagsgeschichte kann
es nicht genug geben. Der Neuzugang aus der Feder einer Autorität zu
Geographie und Quellenspektrum der Iberischen Halbinsel liest sich wie
eine persönliche Entdeckungsgeschichte des Themas. Das gilt für den
Schwung und Enthusiasmus, mit dem Robert Knapp seine exzellente, breit
gefächerte Quellenauswahl zu einem abgerundeten Lesebuch bündelt - das
gilt aber leider auch für seine teils haarsträubend eigenwilligen
Grundannahmen.

Im Blickpunkt steht die Bevölkerungsmehrheit des Römischen Reiches in
den ersten drei nachchristlichen Jahrhunderten. Diese "gewöhnlichen
Leute" oder "Unsichtbaren" stehen einer beim Dekurionat beginnenden
Oberschicht gegenüber, deren Zeugnisse Knapp - weil sie eine markant
elitäre Perspektive einnehmen - möglichst ausblendet. Einzelkapitel
behandeln "die normale Bevölkerung" nach Geschlechtern getrennt und
sodann in einem separaten Abschnitt die freigeborenen "Armen".
Freigelassene erscheinen neben den Sklaven separat; etwas überraschend
findet sich die Armee als Quasi-Randgruppe neben Prostituierten,
Gladiatoren sowie Räubern und Piraten. Ihren Existenzbedingungen und
-nöten begegnet Knapp mit großer Empathie und feiert ihren Willen, "in
einer Welt, die ihnen wenig Chancen bot, dennoch zu Erfolg zu kommen"
(S. 325).

"Der Mensch der römischen Antike" - in vielerlei Hinsicht erinnern
Konzept und Zuschnitt der neun Essays Knapps an dieses Vorbild[1] -
präsentiert sich wünschenswert vielschichtig; so wird der Alltag des
männlichen Durchschnittseinwohners (S. 11-64) über seine Wertmaßstäbe,
die praktizierte Sexualmoral, die religiös-magische Daseinssicherung und
die Formen der Geselligkeit erschlossen. Für die Sklaven fällt die
reizvolle Frage nach Möglichkeiten zur Eigeninitiative und inneren
Freiräumen (S. 157-161). Vieles regt zum Weiterdenken an, etwa Knapps
Vermerk, wie auffällig der Wunsch von Männern nach sexueller
Attraktivität in Artemidors Traumbuch und der astrologischen Literatur
fehlt, in Zauberpapyri (übrigens auch auf Defixionstäfelchen) dagegen
vorkommt (S. 33). Eine naheliegende Hypothese wäre, dass die magische
Selbsthilfe bei Versagensängsten weniger peinlich war, als sein Versagen
einem Experten für Zukunftsprognostik zu gestehen. Die These vom Baden
als Schmutzfaktor und Seuchenherd (S. 56f.) ist zumindest originell.

Dem gegenüber steht ein brachialer bis grob fahrlässiger Umgang mit
zentralen Begriffen. Die Aussage, die tonangebende Elite habe gerade 0,5
Prozent der Reichsbevölkerung umfasst, kann durchaus Staunen hervorrufen
- leider vor allem unter Althistorikern. Frauen und Kinder sind gar
nicht mitgezählt, obendrein taxiert Knapp die ordines decurionum auf
ganze 30-35.000, verteilt auf reichsweit "250 oder 300 Kleinstädte" (S.
12). Während Plinius der Ältere volle 175 oppida in der Baetica angibt
(nat. hist. 3,7), nennt ein Standardwerk allein für Italien mehr als 430
Städte mit vielleicht 30.000 Mitgliedern der einzelnen ordines.[2] Die
Existenz reicher Sklaven und Freigelassener bleibt ebenso außen vor wie
eine Diskussion des notorisch problembeladenen Elitebegriffs überhaupt.
Ähnlich problematisch bleibt die Behauptung, "dass die breite
Bevölkerung des Römischen Reiches an Armut litt" (S. 113), genauer,
"annähernd 65 Prozent" (S. 120) - eine Schätzung, die auf nicht
erläuterte Weise aus frühneuzeitlichen Analogien abgeleitet ist. "Armut"
steht dabei durcheinander für prekäre Arbeitsverhältnisse,
Arbeitslosigkeit und akute Existenzbedrohung.

Unzulässige Vereinfachungen stecken hinter der Annahme, Artemidors
Vorstellungen zur Sexualmoral seien repräsentativ für "die gewöhnlichen
Römer", anders als beispielsweise die Komödien des Plautus (S. 38).
Erstens liegen einige Jahre zwischen beiden, zweitens schreibt der
Ephesier natürlich für Leser, deren Moralkosmos beachtliche Unterschiede
zu den zeitgleichen (stadt-?)römischen aufweisen kann. Die Unterstellung
einer imperiumsweiten, jahrhundertelang konstanten Mehrheitssexualmoral
(und implizit einer kaiserzeitlichen Einheitsgesellschaft, in der
kleinasiatische Griechen im selben Bezugsrahmen leben wie eine
ägyptische Briefschreiberin oder ein Gladiator) ist, vorsichtig gesagt,
begründungsbedürftig.

Wohl die größte Schwachstelle sind die Thesen zum Sozialprestige der
Sklaven und Freigelassenen (exemplarisch S. 166 u. 219f.). Knapp macht
es sich allzu einfach, wenn er überlieferte Vorurteile zum Alleinbesitz
einer neidischen, aufsteigerfeindlichen Elite erklärt (dann aber
ausgerechnet den mehr als elitären Petronius als Protokollanten eines
ungebrochenen Selbstbewusstseins der liberti zitiert: S. 212). Die
offenkundige Integration - abzulesen an Begräbnissen, Vereinsleben und
sozialem Umgang - schließe das oft unterstellte Leben "unter dem
Schatten eines Stigmas" (S. 219) methodisch aus. Niemand behauptet aber,
Freigelassene wären beim Bäcker immer zuletzt bedient worden. Vorurteile
und Stigmatisierungen unterliegen keinem Entweder-Oder-Mechanismus. Sie
melden sich situativ; ein Zeitgenosse kann Appelle gegen
Ausländerfeindlichkeit unterschreiben, stößt aber vielleicht xenophobe
Flüche aus, wenn ihm beim Autofahren ein "Schwarzer" die Vorfahrt
schneidet. In einer statusorientierten Gesellschaft, die den einzelnen
vorwiegend als Gruppenangehörigen wahrnimmt, wäre das heldenhafte
Ignorieren von Statusdefiziten sensationell. Knapp selbst findet es mit
Recht "[h]öchst verblüffend", dass uns kein einziger Bericht eines
Exsklaven über sein Vorleben überliefert ist (S. 145) - wenn sie nun
nicht daran erinnert werden wollten?

Regelrecht konfus behandelt das Buch den Rechtsstatus der infamia. Für
Prostituierte akzeptiert Knapp sie als Teil des prätorischen Edikts (S.
269), beim Thema Gladiatoren ist sie auf einmal "bestenfalls ein
diffuser Begriff und ganz zweifellos keine Rechtsfloskel" (S. 314), "im
Wesentlichen ein Hirngespinst der Elite" (S. 316); dazwischen heißt es:
"Allerdings hatte die infamia rechtliche Auswirkungen" (S. 315). Hinter
solchen Widersprüchen steht der starke Wunsch des Autors, den realen
Verlust an Lebensqualität, der im Vorenthalten sozialer Privilegien
bestand, durchweg zu leugnen, um den Ausgesperrten innere Autonomie zu
verschaffen. Nicht nur einmal wird insistiert, den Freigelassenen,
"vielseitig, sozial gewitzt und ökonomisch gerüstet" (S. 220), wie den
Normalrömern überhaupt seien Aufstiegschancen egal gewesen: "Sie hatten
weder Hoffnung noch Ehrgeiz noch die geringste Absicht, sich in die
Reihen der lokalen Elite zu drängen, von der Elite des Reiches ganz zu
schweigen" (S. 198; vgl. S. 208, 216 u. 315). Dann versteht man weder
die täuschend echten Imitationen des Ritterrings noch die rückwirkende
Verleihung der freien Geburt, die Statussymbole der über 800
vicomagistri in Rom oder die ornamenta decurionalia, die offenkundig für
nicht 'ratsfähige' Personen erfunden sind. Woanders erscheint der
Dekurionat als Fernziel für angehende Soldaten, "denen der Sinn nach
Höherem stand" (S. 257) - also doch? Hier wie anderswo belastet Knapp
die Parteinahme für 'seine' ganz normalen Römer, die
99,5-Prozent-Gesellschaft, deren unbequeme Seiten, allen voran ihre
Werturteile, er in die bornierte, selbstbezogene Elite auslagern möchte.
Solcher Manichäismus scheitert an Charakterzügen der Unterschichten, die
Knapp selbst aus der Fabelliteratur gewinnt (S. 120-142, eine der
stärksten Passagen des Buches): eine von Fatalismus durchzogene Haltung
der Fügsamkeit und des gleichzeitigen Misstrauens der Obrigkeit wie der
eigenen Umgebung gegenüber.

Das ebenso sympathiegetriebene wie sympathische Buch hat schwer an
diesen blinden Flecken zu tragen - es ist nicht zu Ende gedacht. Noch
sein Schlusswort rennt offene Türen ein, wenn es gegen imaginären
Widerstand eine Lanze für den Quellenwert von Apuleius oder Petronius
bricht. Die "unsichtbaren Römer" sind schon einige Jahrzehnte lang
Gegenstand der Forschung und fester Lehrinhalt. Selten sind Paradestücke
der antiken Sozialgeschichte wie Lukian und Apuleius allerdings in
solchem Detailreichtum mit unterschiedlichsten Quellengattungen
zusammengeführt worden. Hierin liegt der bleibende Wert des oft
problematischen Rundblicks, nicht in der Pionier- und Verteidigerrolle,
in die Knapp selbst sich setzt.

Die Übersetzung hat mitunter ihre Mühe mit griechischen Eigennamen, ist
aber flüssig und transparent. Etwas umständlich erscheint die Anmerkung
S. 79 zur Redewendung "Schließ die Augen und denk an England", die
Kasernenbauten heißen S. 232-235 konsequent "Baracken", und die "nice
girls" (S. 290) sind statt "netten" sicher als "brave Mädchen"
wiederzugeben. Der quartermaster auf einem Piratenschiff ist nicht
"Quartiermeister", sondern Steuermann (S. 351). Unaufdringlich
ansprechend präsentiert sich die Buchausstattung, nur hat ein Scan
tüchtig Rasterpunkte hinterlassen (S. 98, Abb. 4). Sehr erfreulich ist
neben Auswahlbibliographie und Register ein Verzeichnis der für die
deutsche Version benutzten Textausgaben.


Anmerkungen:
[1] Andrea Giardina (Hrsg.), Der Mensch der römischen Antike, Frankfurt
am Main 1991.
[2] François Jacques / John Scheid, Rom und das Reich in der Hohen
Kaiserzeit 44 v.Chr.-260 n.Chr., Bd. 1: Die Struktur des Reiches,
Stuttgart 1998, S. 334; vgl. dort einleitend 334-342 zu den
Überschneidungen rechtlich-sozialer und finanzieller Spitzenstellungen.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Udo Hartmann <hartmannu(a)...