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2011/12/19 13:04:39
Franz Josef Marx
[Regionalforum-Saar] Neues Heimatheft der Heimatfreunde Urweiler
Datum 2011/12/21 17:08:37
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Epoche des Heiligen Römisch en Reiches Deutscher Nation im St. Wendeler Land
2011/12/04 18:04:48
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] quelle vergessen
Betreff 2011/12/17 10:33:04
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Saar und Welt im Spiegel der Saarbrücker Zeitung
2011/12/17 10:33:04
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Saar und Welt im Spiegel der Saarbrücker Zeitung
Autor 2011/12/21 17:08:37
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Epoche des Heiligen Römisch en Reiches Deutscher Nation im St. Wendeler Land

[Regionalforum-Saar] Reith, Reinhold: Umweltge schichte der Frühen Neuzeit

Date: 2011/12/20 22:05:30
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

From:    Bernd Herrmann <bherrma(a)...   21.12.2011
Subject: Rez. FNZ: R. Reith: Umweltgeschichte der frühen Neuzeit
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Reith, Reinhold: Umweltgeschichte der Frühen Neuzeit (= Enzyklopädie
deutscher Geschichte 89). München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2011.
ISBN 978-3-486-57622-1; X, 196 S.; EUR 19,80.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Bernd Herrmann, Historische Anthropologie und Humanökologie,
Georg-August-Universität Göttingen
E-Mail: <bherrma(a)... Begrenzung auf 1.000 bis 1.200 Wörter stellt den Rezensenten vor
ähnliche Schwierigkeiten wie den Autor, seine riesige Stoffmenge auf die
reihenübliche Breite eines kleinen Fingers zu reduzieren. Zumindest muss
die Ausgewogenheit unter dieser Vorgabe leiden. Der Rezensent bedauert
dies besonders deshalb, weil er das Werk, gemessen an seinen
Rahmenbedingungen, für eine im Grundsatz hervorragende Autorenleistung
und als Buch für ein exzellentes Preis-Leistungs-Angebot hält.

Der Band ist in drei Hauptabschnitte gegliedert: I. Enzyklopädischer
Überblick (69 S.), II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung (75
S.), III. Quellen und Literatur (45 S.); das Personen-, Orts- und
Sachregister umfasst 11 Seiten. Der erste Hauptabschnitt behandelt drei
Grundfragen. Er fragt, (1) was Umweltgeschichte sei, und beschreibt dann
(2) natürliche Umwelten und (3) anthropogene Umwelten. Der zweite
Hauptabschnitt identifiziert sieben Schwerpunkte, auf die sich die
Forschung konzentriere: (1) Klima und "Kleine Eiszeit", (2)
Naturkatastrophen, (3) Seuchen, (4) Wald, (5) Energie, (6) Stadt, (7)
Nachhaltigkeit und naturale Ressourcen. Das achte Unterkapitel behandelt
"Perspektiven". Die Vorstellung der Quellen und Literatur des dritten
Hauptabschnitts folgt im Wesentlichen der Gliederung des zweiten
Hauptabschnitts.

In räumlicher Hinsicht stellt sich dem Werk das Problem, dass es sich
nicht an Grenzen halten kann, obwohl der Reihentitel eine Konzentration
auf "deutsche Geschichte" suggeriert. Darauf geht Reith kurz ein, weil
das Thema Umwelt ohnehin nicht "deutsch" ist, auch nicht
deutsch-heilig-römisch. Wie jeder aus der Geographiestunde weiß, läuft
die Kontinentachse - und damit die naturale Vorgabe für das Thema - hier
von West nach Ost (in der naturalen Wirkung ist es umgekehrt,
selbstverständlich und auch schon vor Jared Diamond, als man von
Paläarktis sprach) und nicht von Nord nach Süd. Im vorliegenden Werk
geht es überwiegend tatsächlich auch um Mitteleuropa; gelegentlich, vor
allem im Literaturteil, wird es global.

Das ist eine thematisch zielführende Vorgehensweise. Interessanterweise
wird aber auf zwei fundamentale Aspekte keine Rücksicht genommen, die
für einen enzyklopädischen Überblick alles andere als nebensächlich
erscheinen. Zum einen expliziert Reith den Begriff "Umwelt" nicht und
reduziert den Begriff "Umweltgeschichte" inhaltlich auf die
minimalistische Formel von der "Interaktion von Mensch und Natur".
Wissenschaftstheoretisch ist das Übergehen einer Gegenstandsklärung
insofern bemerkenswert, als an anderen Stellen des Werks den im
eigentlichen Sinne geschichtswissenschaftlichen Begrifflichkeiten
ausgiebig Tribut gezollt wird. Verwendet wird also ein
umgangssprachliches Vorverständnis. Irgendwie, so der Eindruck des
Rezensenten, besteht aber bei einigen professionellen Historikern keine
sichere Differenzierung zwischen einer Milieugeschichte und einer
Umweltgeschichte, der eben nach ihrer Herkunft ökosystemare
Gesichtspunkte unterliegen. In diese Richtung wäre Belehrung erwünscht,
wenn man an den Orientierungswert denkt, den diese Reihe besitzt. Welche
Reaktionen würden ausgelöst, wenn eine historische Enzyklopädie
beispielsweise zum Thema "Macht" oder "Herrschaft" oder "Wirtschaft" so
verführe? Wobei diese Begriffe im umgangssprachlichen Verständnis
vermutlich ihren Gegenstand präziser treffen als im Falle von "Umwelt".

Dadurch wird es dem Autor auch möglich, seine aus Gründen der
verlegerisch auferlegten Kürze bevorzugte Dichotomie in "natürliche" und
"anthropogene" Umwelten zu bilden - und damit ein Dilemma zu offenbaren:
Umwelt ist eine subjektive Kategorie, der nicht einfach eine "Natur"
kategorial als gleichsam objektiv gegenübergestellt werden kann. Dass
"Naturkatastrophen" unter "Natürliche Umwelten" rangieren, schmerzt.
Denn Naturwissenschaftler wissen, dass es keine "Naturkatastrophen"
gibt. Möglicherweise gibt es in der Natur Extremereignisse oder
Elementarereignisse gewissen Ausmaßes, aber die Dinge der Natur sind
einfach, wie sie sind, und sie sind in ihrer Beschreibung frei zu halten
von Werturteilen. Dem Autor ist das sicherlich geläufig, und der Kenner
wird entsprechende Formulierungen finden, in denen er die einschlägige
Gedankenarbeit sieht. Es fehlt aber der Platz, diese Probleme dem um
Orientierung bemühten Leser zu vermitteln.

Welche Schwierigkeiten Kürze verursacht, wird zum Beispiel an der
Behandlung des Themas "Landschaft" deutlich, die als Problemfeld und
Gegenstand im vorliegenden Band nicht einmal thematisiert wird. Immerhin
handelt es sich bei "Landschaft" um das komplexeste Archiv, das Menschen
von ihrer auf "die Natur" gerichteten Handlung hinterlassen. War es
beispielsweise nicht einmal eine Grundfrage, ob Altlandschaften so
überformt werden könnten, wie man Palimpseste neu beschrieben hat? War
diese Frage nicht aus naturwissenschaftlichen Gründen verneint worden,
weil bewirtschaftete Böden gleichsam ein Gedächtnis für die "Sünden" der
Vorväter hätten? Hier landet man irgendwie bei physiokratischen Ideen
und findet das entsprechende Stichwort auf Seite 136. Das ist dort aber
völlig nebensächlich, unter anderem weil an dieser Stelle auch die
"Nachhaltigkeit" erklärt wird. Überrascht nimmt man zur Kenntnis, dass
die einzige hier zitierte Position, die in die Nähe ökosystemarer
Grundüberlegungen kommt, wenig geschätzt zu sein scheint. Dabei ist der
zitierte Donald Worster noch sehr zurückhaltend, wenn er das der
"Nachhaltigkeit" unterliegende Gedankengebäude in bestimmter Weise
qualifiziert.[1] Worster hat völlig Recht, wenn er für einen präziseren
Umgang mit Begriffen plädiert (siehe oben zu "Naturkatastrophen") und
auf die unterliegenden heimlichen Begrifflichkeiten und ideologischen
Positionen aufmerksam macht. "Nachhaltigkeit" hat nichts mit Stabilität
von Ökosystemen zu tun, sondern ist allein eine Utopie des Managements
naturaler Ressourcen. Darauf bzw. allgemeiner: auf solche Grundfragen
und Aporien müsste eine Enzyklopädie der Umwelt-Geschichte auch
wenigstens hinweisen. Hier hält sich das Werk auffällig zurück und
schlägt noch nicht einmal ein allgemeines Lehrbuch der Ökologie im
Literaturverzeichnis vor. Muss man wirklich daran erinnern, dass in den
Umweltwissenschaften die begriffliche Meinungsführerschaft nicht bei den
Historikern liegt?

Diese Bemerkung führt auf die zweite fehlende Rücksichtnahme, die für
Historiker vielleicht kaum erkennbar ist. Sie besteht in der wie
selbstverständlichen Verwendung des Wissens, das über Umwelt,
umwelthistorische Sachverhalte und auf naturale Umwelt zielende
Ingenieurleistungen usw. in Fächern und Wissenszusammenhängen außerhalb
der Geschichtsdisziplinen erarbeitet und zugänglich gemacht wurde. Zudem
stammt das zentrale Epistem des Gegenstandes gewiss nicht aus der
Geschichtswissenschaft. Schon allein deshalb lässt sich Umweltgeschichte
nicht ausschließlich unter der Rubrik "Geschichte" verkaufen. Ob eine
solche Verwendung nicht zu einer differenzierten Würdigung von Anteilen
bzw. zur Überprüfung von Zuständigkeiten führen könnte? Reiths Position
ist hierbei immerhin erfreulich zurückhaltender als diejenige im
Schwesterband von Frank Uekötter.[2]

Die Gliederung des zweiten Teils: "Grundprobleme und Tendenzen der
Forschung" ergibt sich möglicherweise aus der relativen Menge
einschlägiger Publikationen, nicht aber aus einer stringenten
thematischen Systematik. Hier bleiben Fragen offen. Wenn ein Kapitel
"Naturkatastrophen" angeboten wird, warum dann noch eines zu "Seuchen"
und "Kleiner Eiszeit"? Warum gibt es neben "Energie" ein eigenes Kapitel
"Wald"? Selbstverständlich ist der Wald mehr als Energie, aber es gibt
auch kein Kapitel "Eisen" oder ähnliches, wenn an Holz als Werkstoff
gedacht wird. Tiere, ach ja, Tiere, die künftigen Lieblinge historischer
Seminare - was lässt diese Umweltgeschichte von ihnen übrig, wo die
Menschen ohne sie nicht denkbar wären? Die Tiere, auf die Hans Zinsser
(gest. 1940), der große Fleckfieberforscher, verdienstvoll die
Aufmerksamkeit lenkte[3], kommen nolens volens vor. Aber Pferd und Rind?
Warum taucht unter Energie nicht auch die "Landwirtschaft" auf, sondern
nur Energie im weiteren Sinne für technische Prozesse? "Landwirtschaft"
wird überraschend nicht eigens behandelt, obwohl man sich in ihr seit
mehr als 10.000 Jahren global um Verstetigung abmüht (naturräumliche
Grundeignung gegeben).[4]

Neben dieser Skepsis geht es dem Rezensenten am Ende ein bisschen wie
beim Anschauen der Abendnachrichten im Fernsehen. Wenn einer
Regierungsperson die Grundzüge des Eurorettungsschirms in 45 Sekunden
ins Mikrofon abverlangt werden, wird deutlich: Gewisse Dinge könnten
etwas Länge vertragen. Tatsächlich ist dem Autor aber zu bescheinigen,
dass er mit dieser Mini-Enzyklopädie einen beachtlichen
Systematisierungsvorschlag gemacht hat und dafür aus Sicht des
Rezensenten allen Respekt und Beifall verdient. Jedenfalls lohnt der
Blick ins Buch und Literaturverzeichnis bestimmt, wenn man sich
orientieren will.


Anmerkungen:
[1] Donald Worster, Auf schwankendem Boden. Zum Begriffswirrwarr um
"nachhaltige Entwicklung", in: Wolfgang Sachs (Hrsg.), Der Planet als
Patient. Über die Widersprüche globaler Umweltpolitik, Berlin 1994, S.
93-112.
[2] Frank Uekötter, Umweltgeschichte im 19. und 20.Jahrhundert, München
2007.
[3] Hans Zinsser, Ratten, Läuse und die Weltgeschichte, Stuttgart 1949.
[4] Ausführlicher widmet sich der Band der Landwirtschaft nur im
Zusammenhang mit Klimaphänomenen; vgl. S. 12-15.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Niels Grüne <ngruene(a)... zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-207>

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