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2011/09/24 13:29:19
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] 6. Deutsch Pennsylvanischer Tag
Datum 2011/09/26 23:10:20
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[Regionalforum-Saar] Das Reichskammergericht
2011/09/24 13:29:19
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[Regionalforum-Saar] 6. Deutsch Pennsylvanischer Tag
Betreff 2011/09/19 11:13:25
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[Regionalforum-Saar] Chlodwigs Welt
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[Regionalforum-Saar] 6. Deutsch Pennsylvanischer Tag
Autor 2011/09/26 23:10:20
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[Regionalforum-Saar] Das Reichskammergericht

[Regionalforum-Saar] Alkibiades. Staatsmann und Feldherr

Date: 2011/09/25 21:30:39
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Heftner, Herbert: Alkibiades. Staatsmann und Feldherr (= Gestalten der
Antike). Darmstadt: Primus Verlag 2011. ISBN 978-3-89678-732-3; 240 S.;
EUR 29,90.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Sven Günther, Deutsche Schule Tokyo Yokohama
E-Mail: <guenther(a)... Politiker, begnadeter Redner und tatkräftiger Feldherr - das
sind nach wie vor die gängigen, von antiken Autoritäten wie Thukydides
und Xenophon vorformulierten modernen Urteile über Alkibiades (451-404
v.Chr.), einen der charismatischsten, aber auch umstrittensten Politiker
des klassischen Athens. Opportunist, Demagoge und "Macchiavelli" der
Antike - das sind demgegenüber bereits Wertungen der antiken Alkibiades
feindlichen Literatur, die nach und nach auch wieder in die kritische
Geschichtswissenschaft Einzug halten. Wie dieses von Widersprüchen
gekennzeichnete Bild dieser die Politik Athens im letzten Drittel des 5.
Jahrhunderts v.Chr. maßgeblich bestimmenden Figur zustande kommt, möchte
der Wiener Althistoriker Herbert Heftner in seiner in der Reihe
"Gestalten der Antike" erschienenen Biographie ergründen. Heftner ist
damit zwar entgegen dem Klappentext des Verlages nicht der erste moderne
Biograph dieser politischen Ausnahmeerscheinung[1], seine konzise und
die Quellen kritisch abwägende Darstellung, die an seine wohlwollend
aufgenommenen Studienbücher zur Römischen Republik erinnert[2] und
wissenschaftlich fundiert in seiner Habilitationsschrift gründet[3], ist
jedoch - um ein Gesamturteil vorwegzunehmen - als äußerst lesenswert
einzustufen.

Heftner beginnt seine Darstellung, die mit hilfreichen Endnoten versehen
ist, dabei nicht, wie sonst in Althistorikerkreisen üblich, mit einem
Überblick über Quellen und Forschungsliteratur, sondern geht gleich
mediam in personam, zur Kindheit und Jugend von Alkibiades über (S.
11-40). Schon hier erweist sich Heftner als äußerst versierter Biograph
in modernem Sinn, indem er nicht nur die Herkunft des Titelhelden,
sondern auch den politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und
geistigen Rahmen bei seinen Erwägungen mit in Betracht zieht. Dieser
fruchtbringende Zugriff offenbart einerseits die hohe, aristokratische
Abkunft des Alkibiades - väterlicherseits aus dem eupatridischen Hause
des Kleinias, mütterlicherseits aus dem weithin bekannten und
verzweigten Alkmeonidengeschlecht -, andererseits das
politisch-gesellschaftliche Klima der entwickelten, jedoch für Demagogie
anfälligen athenischen Demokratie in Form der "Herrschaft des ersten
Mannes" Perikles, des Vormunds des Alkibiades nach dem Tod des Vaters in
der Schlacht von Koroneia 447/46 v.Chr. Die geistig-kulturelle Blüte
dieser Zeit vor dem Peloponnesischen Krieg, die sophistischen
Rhetorikschulen sowie der in der antiken Literatur als Lehrer des
Alkibiades so prominent erscheinende Sokrates werden mit ihrer Wirkung
auf den jungen Aristokraten in gleichem Maße in Anschlag gebracht; die
Wirkung des Sokrates auf die geistige Verfasstheit des sowohl
hinsichtlich seiner Talente als auch seines Habitus exponierten wie
extrovertierten Sprösslings wird von Heftner aber ob der problematischen
Überlieferungslage zu Recht skeptisch beurteilt.

Alkibiades' erste Umtriebe in der athenischen Politik nach einem
militärischen Intermezzo im Vorfeld des Peloponnesischen Krieges bei
Poteidaia 432 v.Chr. sind Gegenstand des zweiten Großkapitels (S.
41-116). Heftner bietet hier wiederum eine geschickte Verknüpfung von
Ereignisgeschichte und Darstellung des persönlichen Ehrgeizes eines
äußerst egozentrischen Aufsteigers. Die privaten Eskapaden und verbalen
wie körperlichen Übergriffe kommen dabei ebenso zur Sprache wie die von
Alkibiades bereits wahrgenommenen öffentlichen Funktionen, vor allem die
Mitgliedschaft in der Kommission zur Neufestsetzung der Seebund-Tribute,
bei der eine gewisse Nähe zum nach dem Tod des Perikles die Geschicke
Athens lenkenden Kleon plausibel gemacht werden kann. Deutlich zeigt
Heftner dann das kalkulierte Machtspiel, das Alkibiades nach der
festgefahrenen Archidamischen Kriegsphase im Zuge des "faulen"
Nikias-Friedens von 421 v.Chr. zwischen Athen und Sparta fuhr: Die
Düpierung der spartanischen Gesandten vor der Ekklesia, die er zuvor im
privaten Kreise als seine Gastfreunde noch in Zuversicht und Sicherheit
gewogen hatte, und der damit erreichte Umschwung in der Bürgerschaft
zugunsten eines gegen Sparta gerichteten (Kriegs-)Bündnisses mit Argos
werden ebenso wie das hernach aus Zuckerbrot und Peitsche geschmiedete,
letztlich jedoch allzu brüchige Bündnissystem auf der Peloponnes als
rationale, risikoabwägende politische Meisterleistungen des Atheners
verdeutlicht.

Das innenpolitische Patt zwischen Alkibiades und Nikias, das auch das
turbulente Ostrakismos-Verfahren von 416 v.Chr. nicht zu lösen
vermochte, die Expansionsbestrebungen Athens bezüglich der Inselpolis
Melos, die Thukydides in seinem berühmten Melierdialog als Exemplum für
rigide Macht- und Realpolitik verarbeitete, sowie das prestigeträchtige,
jedoch aufgrund der Diskrepanz zwischen aristokratischem Anspruch und
demokratischem Ideal nicht unumstrittene siegreiche Auftreten des
Alkibiades bei den Olympischen Spielen des Jahres 416 v.Chr. führen
Heftner dann zu einer kurzen Zwischenbilanz (S. 79-86): Das in diesen
Ereignissen deutlich werdende geltungsbedürftige Persönlichkeitsprofil
von Alkibiades, gepaart mit einer äußerlich demokratisch verfassten
athenischen Bürgerschaft, die innerlich jedoch weiterhin einer
geschickten Demagogie Tribut und Ehrerbietung gezollt habe, dienen
Heftner hernach auch als Erklärungsmuster für die letztliche Zustimmung
zur Sizilienexpedition.

Sowohl die undurchsichtige Überlieferung zum Hermenfrevel und den
Mysterienexzessen als auch die konträren Forschungsmeinungen zur Rolle
des Alkibiades werden dann von Heftner aufgearbeitet und hinsichtlich
ihrer weiteren Auswirkung auf Alkibiades' Kommando bei der
Sizilienexpedition, die nach seiner Abberufung katastrophal scheiterte,
skizziert. Die auf Grund der Enthüllungen in der Heimat erfolgte
Abberufung des Feldherrn, die darauf folgende spektakuläre Flucht ins
Exil und die Aburteilung wegen dieses offenbaren Schuldeingeständnisses
führen Heftner sodann ins dritte Kapitel (S. 117-189), das vom Exil bis
zum Tode reicht. Der Seitenwechsel zu den Spartanern, die Alkibiades
bereitwillig als Informanten aufnahmen, jedoch machtpolitisch
kaltstellten, sowie die gescheiterten Ränkespiele mit den athenischen
Oligarchen zeigen erneut eindrucksvoll die Begabung des Alkibiades zum
Taktieren. Sie bilden zugleich die Vorgeschichte zu Alkibiades'
abermaligen Eingreifen in die Athener Politik: Er nutzt die sich ihm
bietende günstige Gelegenheit und stellt sich der demokratischen
Bewegung gegen die in Athen mittlerweile etablierte oligarchische
Herrschaft der 400 zur Verfügung. Heftner macht hier deutlich, wie die
teils zufälligen Ereigniskollisionen und die militärischen Erfolge zum
Stimmungsumschwung zugunsten des Alkibiades in Athen führten und dieser
seine zunächst triumphale Rückkehr auf die politische Bühne Athens
feiern konnte.

Das fast im gleichen Atemzug erfolgte erneute Drehen des Schicksalsrades
durch den militärisch-taktischen Missgriff bei der Ausübung des
Flottenkommandos und der daraufhin erfolgten Niederlage bei Notion 407
v.Chr. bildet dann bei Heftner den Auftakt des Endes der umstrittenen
Führungspersönlichkeit: Das Scheitern einer Rückberufung nach dem
Arginusen-Prozess dürfte so dem auf der Chersones im Exil als Feudalherr
lebenden Alkibiades vor Augen geführt haben, dass seine Zeit abgelaufen
war. Dies zeigt auch sein letzter Einmischungsversuch vor der
kriegsentscheidenden Schlacht bei Aigospotamoi 405 v.Chr., bei dem seine
isolierte Stellung ohne jeglichen politischen Rückhalt gegenüber den
befehlenden Strategen mehr als deutlich wird. In der Analyse der
widersprüchlichen Berichte über Alkibiades' Ermordung nach der
Übersiedlung zum persischen Satrapen Pharnabazos kann Heftner
wahrscheinlich machen, dass es sich nicht um eine lokale Racheaktion
einer Familie wegen einer verführten Verwandten oder eine eifersüchtige
Intrige des Satrapen Pharnabazos um die rechtzeitige Warnung des
Perserkönigs Artaxerxes II. vor einem Aufstand seines Bruders Kyros
handelte. Vielmehr dürfte es ein Auftragsmord der von Lysander nach der
Niederlage in Athen installierten "Tyrannis der Dreißig" gewesen sein,
der Alkibiades das Leben kostete.

Im abschließenden Kapitel wirft Heftner den Blick auf die im Urteil über
Alkibiades stark differierende antike wie moderne Literatur (S.
191-207). In Auseinandersetzung mit den teils bewundernden, teils
verdammenden Stimmen über die Persönlichkeit und das Wirken des
Alkibiades relativiert Heftner einerseits zu Recht die konkreten
Leistungen des Politikers und Feldherrn, macht andererseits jedoch auch
die antike wie moderne Faszination deutlich, die von seinem
charismatischen Auftreten ausgeht. Indem er ihn in die
Widersprüchlichkeit der athenischen Demokratie dieser Zeit einordnet,
die zwar theoretisch das Gleichheitsideal beanspruchte, jedoch in der
Praxis weiterhin von Führungsfiguren abhängig war, zeigt er deutlich
auf, dass das Handeln der Einzelpersönlichkeiten nur im Rahmen der
jeweiligen politischen Strukturen - hier der athenischen Polis - möglich
war. Dass Alkibiades insofern mit seinem selbstgerechten und überhöhten
Führungsanspruch an diesem vorgegebenen Rahmen scheiterte, da er weder
willens noch fähig war, diesen zu sprengen, wie dies später
beispielsweise Alexander der Große tat, ist sicherlich ein zutreffendes
Schlussurteil. Mithin bietet Heftner also nicht nur eine Biographie
dieser politischen Ausnahmeerscheinung, sondern erweist mit seiner
scharfblickenden Studie zum Peloponnesischen Krieg in dessen Auswirkung
auf Athen auch, wie und warum ein solcher Prototyp des Machtpolitikers
im Athen des letzten Drittel des 5. Jahrhunderts v.Chr. auf- und
absteigen konnte.


Anmerkungen:
[1] Vgl. nur die bewundernde Darstellung des Atheners bei Fritz Taeger,
Alkibiades, Gotha 1925 (2. Aufl. München 1943); kritisch die Studie von
Jean Hatzfeld, Alcibiade. Étude sur l'histoire d'Athènes à la fin du Ve
siècle, Paris 1940 (2. Aufl. 1953); neuer, jedoch weitaus unergiebiger
Walter M. Ellis, Alcibiades, London 1989. Vgl. nun auch Peter J. Rhodes,
Alcibiades. Playboy, general and traitor, Barnsley 2011. Demnächst soll
erscheinen: Harold Tarrant / Marguerite Johnson (Hrsg.), Alcibiades and
the Socratic lover-educator, Bristol 2011.
[2] Herbert Heftner, Der Aufstieg Roms. Vom Pyrrhoskrieg bis zum Fall
von Karthago, Regensburg 1997 (2. Aufl. 2005); ders., Von den Gracchen
bis Sulla. Die römische Republik am Scheideweg, Regensburg 2006.
[3] Herbert Heftner, Der oligarchische Umsturz des Jahres 411 v. Chr.
und die Herrschaft der Vierhundert in Athen, Frankfurt am Main 2001.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Udo Hartmann <hartmannu(a)... zur Zitation dieses Beitrages
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