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2011/04/24 15:09:35
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Wareswald oder Varuswald
Datum 2011/04/26 11:18:29
Johannes Naumann
Re: [Regionalforum-Saar] Wareswald oder Varuswald
2011/04/14 18:48:01
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Ein Weltkrieg im 18. Jahrhundert
Betreff 2011/04/28 18:25:42
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Homburger Schlossberg
2011/04/24 15:09:35
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Wareswald oder Varuswald
Autor 2011/04/26 21:36:49
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Lottner, Fürstenthum Lich tenberg, Verordnungen

[Regionalforum-Saar] Funktionalisierte Keltenbilder

Date: 2011/04/25 21:47:43
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Kistler, Erich: Funktionalisierte Keltenbilder. Die Indienstnahme der
Kelten zur Vermittlung von Normen und Werten in der hellenistischen
Welt. Berlin: Verlag Antike 2009. ISBN 978-3-938032-36-7; 432 S., 46
Taf.; EUR 79,90.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Holger Müller, Historisches Institut, Universität Stuttgart
E-Mail: <holger.mueller(a)... zu den Kelten füllen inzwischen ganze Bibliotheken, und obwohl
die wissenschaftliche Betrachtung dieser Volksgruppe eine lange
Tradition hat, finden sich immer noch unbehandelte Themen. Das
Grundproblem der Kelten-Forschung ist die Quellenlage: Die Zeugnisse
stammen für die Antike fast ausschließlich aus der Feder griechischer
und römischer Autoren und damit aus der Sicht der militärischen Gegner.
Dass das durch diese entworfene Bild nicht ohne Wertung ist, wurde
bereits mehrfach in der Forschung problematisiert; auch die
Instrumentalisierung dieses Bildes in der Literatur wurde behandelt.[1]

Der Innsbrucker Archäologe Erich Kistler fokussiert in seiner Arbeit zur
Indienstnahme der Kelten den Blick auf die Epoche des Hellenismus und
vergleicht hier literarische und archäologisch-ikonographische
Überlieferungen. Dass dieses Thema auch von aktueller Relevanz ist,
zeigt der Autor bereits zu Beginn des Buches (S. 11-14). Weiterhin
widmet sich das erste Kapitel dem wissenschaftlichen und methodischen
Vorgehen, wobei Kistler betont, dass in seiner Arbeit "vom
soziologischen oder kulturanthropologischen Problem zur historischen und
archäologischen Quelle gedacht" werde (S. 21). Kistler behandelt daher
seine Frage ausgehend von fünf Leitthemen, die jeweils ein
eigenständiges Kapitel bilden, und hat nicht den Anspruch, eine
vollständige Übersicht zu allen Keltenbildern zu liefern (S. 22).

In den antiken Schriftquellen tauchen Kelten vor allem im militärischen
Zusammenhang auf, und so erscheint es sinnvoll, dass Kistler sein
zweites Kapitel der Keltomachie widmet. Beginnend mit einem Überblick zu
den wichtigsten militärischen Ereignissen des gewählten
Untersuchungszeitraums, an denen Kelten beteiligt waren, wendet sich der
Autor den verschiedenen Darstellungen der Keltomachien zu. In diesem
Zusammenhang werden die unterschiedlichen inschriftlich festgehaltenen
Ehrungen regionaler und überregionaler "Retter" erörtert, wobei zu Recht
darauf hingewiesen wird, dass der Grad der Ehrung nicht immer im
Verhältnis zur erbrachten Leistung stand (S. 42). Anschließend
untersucht Kistler ausgewählte Beispiele für Keltomachien näher.
Vergleichend werden hierbei auch literarische Belege herangezogen.
Hervorzuheben ist Kistlers neuer Rekonstruktionsvorschlag zum "Kleinen
Attalischen Weihegeschenk" (S. 65-78).

Im dritten Kapitel vergleicht der Autor ausgehend von einem Diodor-Zitat
die Darstellung von Kelten sowie Satyrn und Kentauren. Kistler kommt zu
dem Schluss, dass die Basis dieser Beschreibung ein in spätarchaischer
Zeit begründetes Bildchiffre sei. Zu Beginn des Kapitels behandelt
Kistler die literarischen Belege, in denen das Aussehen der Kelten
beschrieben wird, um anschließend verschiedene Beispiele der bildenden
Kunst heranzuziehen und diese mit ausgewählten Satyrn- und
Kentaurendarstellungen zu vergleichen, dabei werden die
unterschiedlichen Darstellungsmuster von "Wildheit" bzw. "Zivilisation"
verdeutlicht. Auch ein Seitenblick auf die Skythen-Darstellungen, vor
allem in Hinblick auf Trunkenheit, fehlt an dieser Stelle nicht: Durch
die Betrachtung der Skythen und ihrer (angeblichen) Trinkgewohnheiten
zeigt der Autor deutlich die Ambivalenz auf, mit der die Griechen die
Nordbarbaren betrachtet haben. Weiterhin werden in diesem Kapitel die
antiken Keltenklischees thematisiert.

Die Dämonisierung der Kelten ausgehend von einem Pausanias-Zitat
behandelt das vierte Kapitel. Kistler hält fest, dass selbst "über den
früheren Erzfeind der Griechen, über die Perser, [...] nichts annähernd
Vergleichbares niedergeschrieben worden" sei (S. 192). Die Kelten, so
der Autor, seien aufgrund der Beschreibung von Nekrophilie und
Anthropophagie mythologisiert worden (S. 193). Um diese These zu
untermauern, thematisiert Kistler intensiv das antike
Menschenfresserbild, beginnend mit Homers Beschreibung des Polyphem.
Kistler zieht dabei eine deutliche Linie von der durch die Griechen real
erlebten Grausamkeit (wie der Kopfjagd) zur nachträglich auf die Kelten
projizierten Grausamkeit, weist aber auch auf gegensätzliche
Auffassungen hin, die die Kelten als "edle Wilde" vorstellen. Dass die
Darstellungsmerkmale von Kelten und Giganten ähnlich waren, wird
anschaulich anhand von Beispielen gezeigt.

Mit der Sicht auf plündernde Kelten befasst sich Kistler im fünften
Kapitel. In der Bildenden Kunst werden die Plünderer stets für ihre Tat
von höheren Mächten bestraft; der Autor thematisiert dieses Motiv im
interkulturellen Vergleich seit den Etruskern. Kistler spricht dabei der
Darstellung von Furien und anderer Dämonen als Motive eine große
Bedeutung zu. Inwiefern dieses Motiv von antiken Autoren
instrumentalisiert und rezipiert wurde, zeigt Kistler anhand des
Brennos-Raubzuges in Griechenland im Jahr 280/279 v.Chr., der zur
Plünderung Delphis führte. Dass aber auch Kelten selbst als Werkzeuge
der Götter fungierten, wird anhand der Brennus-Geschichte mit der
Schlacht an der Alia und der Plünderung Roms (387 v.Chr.) erörtert. Den
Abschluss des Kapitels bilden "Drei Fallstudien zur Indienstnahme der
Bild- und Denkfigur 'Strafende Götter und Dämonen - bestrafende Kelten'"
(S. 275). Hierzu gehört die Analyse der gesellschaftlichen Funktion der
Schalenbilder aus Cales, der Tempelraubbestrafungsszenen auf
etruskischen Plastiken sowie des von Augustus geweihten Apollontempels
und der hier befindlichen Darstellung der Vernichtung keltischer
Tempelräuber am Parnassos.

Im sechsten Kapitel beschäftigt sich der Autor schließlich mit
Darstellungen, die die Kelten positiv bewerten. Hierzu gehört nicht nur
eine Negierung der üblichen Topoi, sondern auch ein Vergleich mit
mythologisch-archaischen Heroen. Einer genaueren Untersuchung unterzieht
Kistler die "Keltengruppe Ludovisi", wobei er ausführlich auch auf die
Forschungsgeschichte dieser Statuengruppe eingeht, sowie den "Sterbenden
Galater". Doch auch die Rolle der Kelten in griechischen Genealogien
wird behandelt. Im siebten Kapitel betrachtet Kistler schließlich die
Sicht auf die Kelten im ptolemäischen Ägypten, wo man sich im Rahmen des
ersten Syrischen Krieges keltischer Söldner entledigen musste, später
aber wiederholt auf solche zurückgriff und diese sogar in die
Gesellschaft integrierte. Kistler setzt mit der Ankunft der Söldner in
Ägypten ein Fixdatum, mit dem die Funktionalisierung dieser Gruppe zur
Vermittlung von Normen einsetzte. Der so klar definierte geographische
und zeitliche Rahmen ermöglicht es Kistler, exemplarisch eine
"Konfliktgeschichte" aufzuzeigen. Dieses Kapitel soll, so der Autor, der
Ersatz eines "generalisierenden Schlusswortes" (S. 351) sein. Ein
solches hätte dem Werk trotzdem nicht geschadet.

Eine umfangreiche Bibliographie, ein Quellen-, Personen- und
Sachregister, ein Bildnachweis sowie die Tafeln runden das gelungene
Werk ab. Kritik (weniger am Autor als am Verlag) muss am Umgang mit den
Abbildungen geäußert werden: Die wichtigsten angesprochenen Abbildungen
befinden sich in einem Abbildungsanhang, und der Autor bemüht sich um
eine möglichst exakte Beschreibung. Doch hätte es die Arbeit mit dem
Buch wesentlich vereinfacht, wenn die Abbildungen an den entsprechenden
Stellen eingefügt worden wären, sind die dargestellten Objekte doch
Hauptbestandteil der Argumentation. Dies fällt vor allem dann ins
Gewicht, wenn der Autor verschiedene Objekte vergleicht (so etwa S.
330f.).

Zusammenfassend kann man feststellen, dass sich der Autor nicht vor
schwierigem Material scheut, wobei er die ganze Breite
altertumswissenschaftlicher Quellen heranzieht. Auf den ersten Blick
wirken einige Exkurse oft sehr weit ausgeholt, zeugen aber insgesamt
betrachtet von einer fundierten Kenntnis des für die Untersuchung
relevanten Materials.

Anmerkung:
[1] Erinnert werden soll hierbei u.a. an Bernhard Kremer, Das Bild der
Kelten bis in augusteische Zeit, Stuttgart 1994.