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2010/01/26 20:47:47
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Fortbildung "Schluss mit mueden Monologen - Fuehrungen interessant gestalten
Datum 2010/01/30 17:14:16
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] ohne Worte - da hab ich einfach keine mehr
2010/01/08 10:16:37
rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Kriegerwitwen
Betreff 2010/01/30 17:14:16
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] ohne Worte - da hab ich einfach keine mehr
2010/01/26 20:47:47
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Fortbildung "Schluss mit mueden Monologen - Fuehrungen interessant gestalten
Autor 2010/01/30 17:14:16
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] ohne Worte - da hab ich einfach keine mehr

[Regionalforum-Saar] L. Schmugge: Ehen vor Gericht

Date: 2010/01/26 20:50:00
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

In einer eMail vom 26.01.2010 18:12:48 Westeuropäische Normalzeit schreibt hsk.mail(a)...
From:    Julia Ilgner <julia.ilgner(a)...   27.01.2010
Subject: Rez. MA: L. Schmugge: Ehen vor Gericht
------------------------------------------------------------------------

Schmugge, Ludwig: Ehen vor Gericht. Paare der Renaissance vor dem Papst.
Berlin: Berlin University Press 2008. ISBN 978-3-940432-23-0; geb.; 289
S.; EUR 44,90.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Julia Ilgner, Historisches Seminar, Universität Freiburg
E-Mail: <julia.ilgner(a)... der Ehe muss man sich manchmal streiten, nur so erfährt man etwas
voneinander", wusste bereits Goethe zu verkünden, "um die Ehe"
allerdings auch, möchte man nach der Lektüre Ludwig Schmugges
hinzufügen. Während der Dichterfürst hier den Liebesbund jedoch wohl
eher mit Martin Luther als "ein eusserlich, weltlich Ding"
apostrophiert, nimmt der Schweizer Historiker die Ehe aus
kirchenrechtlicher Perspektive in den Blick.

Ludwig Schmugge, emeritierter Ordinarius für Geschichte des Mittelalters
an der Universität Zürich und langjährig mit der Herausgabe des
'Repertorium Poenitentiariae Germanicum' befasst,[1] unternimmt in der
vorliegenden Monografie eine Betrachtung des spätmittelalterlichen
Ehewesens ex negativo, in der Widerspiegelung der geistlichen
Gerichtsbarkeit, an die sich die Petenten immer dann wandten, wenn etwas
an ihrer Ehe nicht kanonischen Regeln entsprach. Als Grundlagen dienen
ihm dafür exakt 6387 Bittschriften (Suppliken), die in der vatikanischen
Pönitentiarie (Paenitentiaria Apostolicae), einer noch heute bestehenden
kirchlichen Behörde, zwischen 1455 und 1492/1500 eingereicht wurden.[2]

In insgesamt fünf Kapiteln leuchtet Ludwig Schmugge in einem akribischen
wie quellengetreuen Parlando alle erdenklichen Schattierungen des
mittelalterlichen Ehewesens aus. Kanonische Voraussetzungen der
Eheschließung gelangen ebenso zur Darstellung wie Ehehindernisse
(impedimenta), etwa die Blutsverwandtschaft (consanguinitas), die
Schwägerschaft (affinitas), die geistliche Verwandtschaft (cognatio
spiritualis) durch Tauf- oder Firmpatenschaft sowie die Bindung durch
das Gelübde (votum) oder Verstöße gegen das Eherecht, seien sie
vorsätzlich geschehen oder nicht. Auf den einleitenden Teil, der
propädeutisch zunächst den Untersuchungsgegenstand konturiert (Kapitel
1) und die kanonischen Bestimmungen des Eherechts darlegt (Kapitel 2),
folgt eine differenzierte Zusammenstellung der Begebenheiten, mit denen
der diözesane Eheprozess befasst sein konnte (Kapitel 3). Unter dem
Titel "Geschichten aus den römischen Suppliken" entfaltet Ludwig
Schmugge ein Panorama matrimonialer Eventualitäten, die er anhand
zahlreicher Fallbeispiele illustriert. Über unter Eheversprechen (per
verba de futura) vorgenommene Verführungen liest man ebenso wie über
außerehelichen Geschlechtsverkehr - beides galt, da die Ehe ohne
feierliche Einsegnung (solemnatio) nicht legitim war, als Sünde. Die
Auflösung kirchlich nicht sanktionierter, sogenannter Klandestinehen
(matrimonium clandestinum) oder zu Unrecht geschlossener Ehen
(matrimonium praesumptum), die aufgrund paternalistischer Tradition
"unter Zwang und Furcht" (vi et metu) geschlossen wurden, bildeten
ebenfalls einen wiederholten Verhandlungsgegenstand. Selbst wenn man
sich in einer legitimen Verbindung befand, konnte die Nichterfüllung der
ehelichen Pflichten oder mangelnde Übereinstimmung der Partner zur
Auflösung führen. So liest man in einem nicht zufällig an Shakespeare,
zutreffender jedoch an Keller gemahnenden Unterkapitel ("Romeo und Julia
in Deutschland", S. 166-169) von der "mutigen Anna" (S. 167), die sich
einer in minderjährigem Alter (unter zwölf Jahren) oktroyierten Ehe
widersetzte. Dem Mann übergeben, entfloh sie nach nur sechs Wochen, ohne
die Ehe vollzogen zu haben.

Die Bandbreite der juristischen Streitfälle bildet die Grundlage des
vierten Kapitels, das mit dem "Eheprozess" die geistliche
Gerichtsbarkeit im Reich eingehender betrachtet, wobei den Bistümern
Konstanz und Chur besondere Aufmerksamkeit zuteil wird. Auch die
weiteren Beispiele dürften insofern nicht nur für den
landesgeschichtlich ambitionierten Leser von Interesse sein, als die
Auswahl paradigmatisch unterschiedlichen topografischen Faktoren
Rechnung trägt. Während mit Passau eine vergleichsweise große Diözese
betrachtet wird, handelt es sich bei Regensburg und Augsburg um
mittelgroße, bei Eichstätt und Worms um kleine bzw. kleinste Bistümer.
Mit Köln erfährt hingegen nicht nur das Erzbistum, sondern zugleich die
Reichsstadt Würdigung.

Das als knappes Resümee konzipierte fünfte Kapitel leitet den Blick
zurück auf die übergreifende Ebene des Reiches und den Konnex zwischen
den hiesigen Ordinarien und der Pönitentiarie in Rom. Wesentliche
Ergebnisse werden summiert und mit einem Ausblick auf künftige
Forschung, etwa die Auswertung von Notariatsregistern und
-imbreviaturen, einer vorläufigen Wertung unterzogen. Ein knapp
gehaltenes Nachwort, Anmerkungsapparat und Bibliografie beschließen die
Studie.

Die inhaltliche Konzeption des Bandes ist zweifellos gelungen. Dass sich
die Makrostruktur der Argumentation im Einzelnen als zweckdienlich
erweist, zeigt sich etwa darin, dass sich der Text nicht einer
sequentiellen Lektüre versperrt, sondern verschiedene Zugriffe
ermöglicht. Zwar verhindert das Fehlen eines Namen-, Orts- oder
Sachregisters einen lexikalischen Zugang. Jedoch gleicht die
zugrundeliegende Edition der Suppliken im Rahmen des RPG dies mehr als
aus.[3]

Durchgängig beeindruckt auch, wie es Ludwig Schmugge angesichts der
Vielzahl und des Variantenreichtums der Einzelfälle gelingt, immer
wieder auf die jeweilige historische Gemengelage zu rekurrieren. Die für
das Spätmittelalter charakteristische Omnipräsenz von Fehden und
Häresie, demografische Veränderungen durch die regelmäßig
wiederkehrenden Pestepidemien, klimatische Instabilität und Missernten
werden ebenso berücksichtigt wie politische Großereignisse, seien es der
Hundertjährige Krieg oder die Bedrohung durch Hussitenkrieg und
Türkeneinfälle.

Obschon die eingangs herausgestellte differenzierte Darstellung
vornehmlich den zahlreichen (über hundert) Fallbeispielen zu verdanken
ist, die Ludwig Schmugge zumeist paraphrasierend oder unter Zitation
(Übersetzung) besonders aussagekräftiger Formulierungen supplementär in
den Text integriert, wäre stellenweise eine stärkere Ausdeutung (und
Ausdünnung) des Materials wünschenswert gewesen. Das Intendierte ließe
sich zumeist auch an zwei bis drei Beispielen zeigen, als dass
stellenweise fünf bis sechs - zweifellos allesamt lohnende Einzelfälle -
angeführt würden, was bisweilen an ein onomastisches Kompendium
gemahnt.

Zwar ist es Ludwig Schmugge zugutezuhalten, dass ein solches
Darstellungsverfahren sich der heuristischen Methode des Historikers
selbst annähert, der Leser mithin - ganz Quellenkritiker - die
Gelegenheit erhält, Wissenschaft in statu nascendi nachzuerleben. Die
wiederholt aufgeworfenen Fragen des Autors bezüglich möglicher Lesarten
der präsentierten Geschehnisse ("Wie ging es weiter?", S. 114) schüren
eine solche Rezeption. Narrative Strategien und eine Spannung wie
Unmittelbarkeit suggerierende Wortwahl (Temporaladverbien, verkürzte
Syntax) stehen in selbiger Funktion, sodass, wie bereits an anderer
Stelle bemerkt,[4] sich die Paraphrase der Suppliken wie eine Lektüre
novellistischer Renaissanceliteratur im Stile Bandellos, Grazzinis oder
Boccaccios ausnimmt. So faszinierend die schillernde Welt des
Cinquecento mit seiner hochartifiziellen Liebeskasuistik auch sein mag,
bedarf es am Ende doch der Rückführung in das Untersuchungsfeld des
Historikers. Dies ist immer dann gelungen, wenn der Verfasser als
solcher transparent bleibt und sich nicht hinter dem Kompilator (selten)
oder dem Erzähler (gelegentlich) verbirgt: Eine knapp gehaltene Synopsis
am Ende der Einzelkapitel, sei sie auch aufgrund der Quellenlage
präsumtiv, tut der Plastizität der Sache keinen Abbruch, leider fehlt
sie mitunter.

Diese angesichts Anlage, Umfang und Durchführung des Projekts
unbeträchtlichen Monita sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ludwig
Schmugge die Ehe als bestimmende Lebensgemeinschaft neu positioniert und
damit einen entscheidenden Beitrag zur Sozial- und Mentalitäts-, aber
auch zur Kirchen- und Rechtsgeschichte des Spätmittelalters geleistet
hat. Mit den eruierten Aussagen gelingt es zum einen, in der Frage um
die Verbreitung des Kanonischen Rechts im "gemeinen Volk", an die
Forschung anzuknüpfen und bestehende Urteile zu verifizieren.[5] Auch im
Bereich der Rechtspraxis, meines Erachtens eine der wesentlichen
Leistungen des Bandes, erweisen sich die Resultate als anschlussfähig:
So war die Konsultierung geistlicher Gerichte durch die Laien bereits
Gegenstand der Arbeiten Christina Deutschs.[6] Hinsichtlich der
Kooperation geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit wäre künftig
(zumindest im Falle Churs und Konstanz') eine Lektüre Ludwig Schmugges
vergleichend mit Thomas Albert lohnend.[7] Zum anderen gelingt eine die
Arbeiten Filippo Tamburinis[8] fortführende Ausdifferenzierung der
Ehepraxis, die Annahmen über die Klandestinehe als causa essendi
gravierender Sozialprobleme (Beatrice Gottlieb[9]) relativieren.

Schließlich ermöglicht Ludwig Schmugges Betrachtung der Suppliken in
einem breiteren, die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts umfassenden
zeitlichen Rahmen, eine Neubewertung seiner eigenen Forschungen. Die
Vernetzung mit Phänomenen wie der Sozialdisziplinierung oder der
Verbreitung einer Rechtskultur mag dabei nicht nur als Brückenschlag hin
zur Frühen Neuzeit, sondern auch zu einer erweiterten Leserschaft
fungieren, die nach beschlossener Lektüre wahrhaftig "so manches
erfahren hat".

Anmerkungen:
[1] Seit 1992 sind bislang sieben Bände erschienen, die den Zeitraum von
1431-1492 abdecken: Deutsches Historisches Institut in Rom, Repertorium
Poenitentiariae Germanicum (RPG): Verzeichnis der in den
Supplikenregistern der Pönitentiarie vorkommenden Personen, Kirchen und
Orte des Deutschen Reiches, <http://www.dhi-roma.it/rep_poen_germ.html>
(15.11.2009).
[2] Zur Geschichte der Pönitentiarie, die 1913 wiederentdeckt und seit
1986 als Archiv der Wissenschaft zugänglich ist vgl. die Ausführungen
Ludwig Schmugges an anderer Stelle: Ludwig Schmugge, Kirche, Kinder,
Karrieren. Päpstliche Dispense von der unehelichen Geburt im
Spätmittelalter, Zürich 1995.
[3] Vgl. Anm. 1. Für den vorliegenden Zeitraum sind die Bände II
(Nikolaus V., 1447-1455) bis VII. (Innozenz VIII., 1484-1492) von
Relevanz.
[4] Michael Borgolte, Meine Ehe ist ungültig. Ludwig Schmugge über eine
Alternative zur Scheidung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.9.2009,
S. 41.
[5] Frederik Pederson, The Legal Sophistication of Litigants in Marriage
Cases from Medieval York, in: Kenneth Pennington / Keith H. Kendall
(Hrsg.), Proceedings of the 10th International Congress of Medieval
Canon Law, Vatikanstadt 2001, S. 965-984.
[6] Christina Deutsch, Ehegerichtsbarkeit im Bistum Regensburg
(1480-1538), Köln 2005.
[7] Thomas D. Albert, Der gemeine Mann vor dem geistlichen Richter.
Kirchliche Rechtsprechung in den Diözesen Basel, Chur und Konstanz vor
der Reformation, Stuttgart 1998.
[8] Filippo Tamburini, Le dispense matrimoniali come fonte storica nei
documenti della Penitentieria Apostolica (sec. XIII-XVI), in: Le modèle
familial européen. Normes, deviances, contrôles du pouvoir, Actes des
séminaires, org. par l'Ecole Française de Rome et l'Università di Roma,
Rom 1986, S. 9-30.
[9] Beatrice Gottlieb, The Meaning of Clandestine Marriage, in: Robert
Wheaton / Tamara K. Hareven (Hrsg.), Family and Sexuality in French
History, Philadelphia 1980, S. 49-83.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Harald Müller <mueller(a)... zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-1-062>

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right holders. For permission please contact H-SOZ-U-KULT(a)... Sie Fragen oder Anmerkungen zu Rezensionen haben, dann schreiben
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<hsk.redaktion(a)...   HUMANITIES - SOZIAL- UND KULTURGESCHICHTE
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From:    Julia Ilgner <julia.ilgner(a)...
Date:    27.01.2010
Subject: Rez. MA: L. Schmugge: Ehen vor Gericht
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Schmugge, Ludwig: Ehen vor Gericht. Paare der Renaissance vor dem Papst.
Berlin: Berlin University Press 2008. ISBN 978-3-940432-23-0; geb.; 289
S.; EUR 44,90.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Julia Ilgner, Historisches Seminar, Universität Freiburg
E-Mail: <julia.ilgner(a)...

"In der Ehe muss man sich manchmal streiten, nur so erfährt man etwas
voneinander", wusste bereits Goethe zu verkünden, "um die Ehe"
allerdings auch, möchte man nach der Lektüre Ludwig Schmugges
hinzufügen. Während der Dichterfürst hier den Liebesbund jedoch wohl
eher mit Martin Luther als "ein eusserlich, weltlich Ding"
apostrophiert, nimmt der Schweizer Historiker die Ehe aus
kirchenrechtlicher Perspektive in den Blick.

Ludwig Schmugge, emeritierter Ordinarius für Geschichte des Mittelalters
an der Universität Zürich und langjährig mit der Herausgabe des
'Repertorium Poenitentiariae Germanicum' befasst,[1] unternimmt in der
vorliegenden Monografie eine Betrachtung des spätmittelalterlichen
Ehewesens ex negativo, in der Widerspiegelung der geistlichen
Gerichtsbarkeit, an die sich die Petenten immer dann wandten, wenn etwas
an ihrer Ehe nicht kanonischen Regeln entsprach. Als Grundlagen dienen
ihm dafür exakt 6387 Bittschriften (Suppliken), die in der vatikanischen
Pönitentiarie (Paenitentiaria Apostolicae), einer noch heute bestehenden
kirchlichen Behörde, zwischen 1455 und 1492/1500 eingereicht wurden.[2]

In insgesamt fünf Kapiteln leuchtet Ludwig Schmugge in einem akribischen
wie quellengetreuen Parlando alle erdenklichen Schattierungen des
mittelalterlichen Ehewesens aus. Kanonische Voraussetzungen der
Eheschließung gelangen ebenso zur Darstellung wie Ehehindernisse
(impedimenta), etwa die Blutsverwandtschaft (consanguinitas), die
Schwägerschaft (affinitas), die geistliche Verwandtschaft (cognatio
spiritualis) durch Tauf- oder Firmpatenschaft sowie die Bindung durch
das Gelübde (votum) oder Verstöße gegen das Eherecht, seien sie
vorsätzlich geschehen oder nicht. Auf den einleitenden Teil, der
propädeutisch zunächst den Untersuchungsgegenstand konturiert (Kapitel
1) und die kanonischen Bestimmungen des Eherechts darlegt (Kapitel 2),
folgt eine differenzierte Zusammenstellung der Begebenheiten, mit denen
der diözesane Eheprozess befasst sein konnte (Kapitel 3). Unter dem
Titel "Geschichten aus den römischen Suppliken" entfaltet Ludwig
Schmugge ein Panorama matrimonialer Eventualitäten, die er anhand
zahlreicher Fallbeispiele illustriert. Über unter Eheversprechen (per
verba de futura) vorgenommene Verführungen liest man ebenso wie über
außerehelichen Geschlechtsverkehr - beides galt, da die Ehe ohne
feierliche Einsegnung (solemnatio) nicht legitim war, als Sünde. Die
Auflösung kirchlich nicht sanktionierter, sogenannter Klandestinehen
(matrimonium clandestinum) oder zu Unrecht geschlossener Ehen
(matrimonium praesumptum), die aufgrund paternalistischer Tradition
"unter Zwang und Furcht" (vi et metu) geschlossen wurden, bildeten
ebenfalls einen wiederholten Verhandlungsgegenstand. Selbst wenn man
sich in einer legitimen Verbindung befand, konnte die Nichterfüllung der
ehelichen Pflichten oder mangelnde Übereinstimmung der Partner zur
Auflösung führen. So liest man in einem nicht zufällig an Shakespeare,
zutreffender jedoch an Keller gemahnenden Unterkapitel ("Romeo und Julia
in Deutschland", S. 166-169) von der "mutigen Anna" (S. 167), die sich
einer in minderjährigem Alter (unter zwölf Jahren) oktroyierten Ehe
widersetzte. Dem Mann übergeben, entfloh sie nach nur sechs Wochen, ohne
die Ehe vollzogen zu haben.

Die Bandbreite der juristischen Streitfälle bildet die Grundlage des
vierten Kapitels, das mit dem "Eheprozess" die geistliche
Gerichtsbarkeit im Reich eingehender betrachtet, wobei den Bistümern
Konstanz und Chur besondere Aufmerksamkeit zuteil wird. Auch die
weiteren Beispiele dürften insofern nicht nur für den
landesgeschichtlich ambitionierten Leser von Interesse sein, als die
Auswahl paradigmatisch unterschiedlichen topografischen Faktoren
Rechnung trägt. Während mit Passau eine vergleichsweise große Diözese
betrachtet wird, handelt es sich bei Regensburg und Augsburg um
mittelgroße, bei Eichstätt und Worms um kleine bzw. kleinste Bistümer.
Mit Köln erfährt hingegen nicht nur das Erzbistum, sondern zugleich die
Reichsstadt Würdigung.

Das als knappes Resümee konzipierte fünfte Kapitel leitet den Blick
zurück auf die übergreifende Ebene des Reiches und den Konnex zwischen
den hiesigen Ordinarien und der Pönitentiarie in Rom. Wesentliche
Ergebnisse werden summiert und mit einem Ausblick auf künftige
Forschung, etwa die Auswertung von Notariatsregistern und
-imbreviaturen, einer vorläufigen Wertung unterzogen. Ein knapp
gehaltenes Nachwort, Anmerkungsapparat und Bibliografie beschließen die
Studie.

Die inhaltliche Konzeption des Bandes ist zweifellos gelungen. Dass sich
die Makrostruktur der Argumentation im Einzelnen als zweckdienlich
erweist, zeigt sich etwa darin, dass sich der Text nicht einer
sequentiellen Lektüre versperrt, sondern verschiedene Zugriffe
ermöglicht. Zwar verhindert das Fehlen eines Namen-, Orts- oder
Sachregisters einen lexikalischen Zugang. Jedoch gleicht die
zugrundeliegende Edition der Suppliken im Rahmen des RPG dies mehr als
aus.[3]

Durchgängig beeindruckt auch, wie es Ludwig Schmugge angesichts der
Vielzahl und des Variantenreichtums der Einzelfälle gelingt, immer
wieder auf die jeweilige historische Gemengelage zu rekurrieren. Die für
das Spätmittelalter charakteristische Omnipräsenz von Fehden und
Häresie, demografische Veränderungen durch die regelmäßig
wiederkehrenden Pestepidemien, klimatische Instabilität und Missernten
werden ebenso berücksichtigt wie politische Großereignisse, seien es der
Hundertjährige Krieg oder die Bedrohung durch Hussitenkrieg und
Türkeneinfälle.

Obschon die eingangs herausgestellte differenzierte Darstellung
vornehmlich den zahlreichen (über hundert) Fallbeispielen zu verdanken
ist, die Ludwig Schmugge zumeist paraphrasierend oder unter Zitation
(Übersetzung) besonders aussagekräftiger Formulierungen supplementär in
den Text integriert, wäre stellenweise eine stärkere Ausdeutung (und
Ausdünnung) des Materials wünschenswert gewesen. Das Intendierte ließe
sich zumeist auch an zwei bis drei Beispielen zeigen, als dass
stellenweise fünf bis sechs - zweifellos allesamt lohnende Einzelfälle -
angeführt würden, was bisweilen an ein onomastisches Kompendium
gemahnt.

Zwar ist es Ludwig Schmugge zugutezuhalten, dass ein solches
Darstellungsverfahren sich der heuristischen Methode des Historikers
selbst annähert, der Leser mithin - ganz Quellenkritiker - die
Gelegenheit erhält, Wissenschaft in statu nascendi nachzuerleben. Die
wiederholt aufgeworfenen Fragen des Autors bezüglich möglicher Lesarten
der präsentierten Geschehnisse ("Wie ging es weiter?", S. 114) schüren
eine solche Rezeption. Narrative Strategien und eine Spannung wie
Unmittelbarkeit suggerierende Wortwahl (Temporaladverbien, verkürzte
Syntax) stehen in selbiger Funktion, sodass, wie bereits an anderer
Stelle bemerkt,[4] sich die Paraphrase der Suppliken wie eine Lektüre
novellistischer Renaissanceliteratur im Stile Bandellos, Grazzinis oder
Boccaccios ausnimmt. So faszinierend die schillernde Welt des
Cinquecento mit seiner hochartifiziellen Liebeskasuistik auch sein mag,
bedarf es am Ende doch der Rückführung in das Untersuchungsfeld des
Historikers. Dies ist immer dann gelungen, wenn der Verfasser als
solcher transparent bleibt und sich nicht hinter dem Kompilator (selten)
oder dem Erzähler (gelegentlich) verbirgt: Eine knapp gehaltene Synopsis
am Ende der Einzelkapitel, sei sie auch aufgrund der Quellenlage
präsumtiv, tut der Plastizität der Sache keinen Abbruch, leider fehlt
sie mitunter.

Diese angesichts Anlage, Umfang und Durchführung des Projekts
unbeträchtlichen Monita sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ludwig
Schmugge die Ehe als bestimmende Lebensgemeinschaft neu positioniert und
damit einen entscheidenden Beitrag zur Sozial- und Mentalitäts-, aber
auch zur Kirchen- und Rechtsgeschichte des Spätmittelalters geleistet
hat. Mit den eruierten Aussagen gelingt es zum einen, in der Frage um
die Verbreitung des Kanonischen Rechts im "gemeinen Volk", an die
Forschung anzuknüpfen und bestehende Urteile zu verifizieren.[5] Auch im
Bereich der Rechtspraxis, meines Erachtens eine der wesentlichen
Leistungen des Bandes, erweisen sich die Resultate als anschlussfähig:
So war die Konsultierung geistlicher Gerichte durch die Laien bereits
Gegenstand der Arbeiten Christina Deutschs.[6] Hinsichtlich der
Kooperation geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit wäre künftig
(zumindest im Falle Churs und Konstanz') eine Lektüre Ludwig Schmugges
vergleichend mit Thomas Albert lohnend.[7] Zum anderen gelingt eine die
Arbeiten Filippo Tamburinis[8] fortführende Ausdifferenzierung der
Ehepraxis, die Annahmen über die Klandestinehe als causa essendi
gravierender Sozialprobleme (Beatrice Gottlieb[9]) relativieren. 

Schließlich ermöglicht Ludwig Schmugges Betrachtung der Suppliken in
einem breiteren, die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts umfassenden
zeitlichen Rahmen, eine Neubewertung seiner eigenen Forschungen. Die
Vernetzung mit Phänomenen wie der Sozialdisziplinierung oder der
Verbreitung einer Rechtskultur mag dabei nicht nur als Brückenschlag hin
zur Frühen Neuzeit, sondern auch zu einer erweiterten Leserschaft
fungieren, die nach beschlossener Lektüre wahrhaftig "so manches
erfahren hat".

Anmerkungen:
[1] Seit 1992 sind bislang sieben Bände erschienen, die den Zeitraum von
1431-1492 abdecken: Deutsches Historisches Institut in Rom, Repertorium
Poenitentiariae Germanicum (RPG): Verzeichnis der in den
Supplikenregistern der Pönitentiarie vorkommenden Personen, Kirchen und
Orte des Deutschen Reiches, <http://www.dhi-roma.it/rep_poen_germ.html>
(15.11.2009).
[2] Zur Geschichte der Pönitentiarie, die 1913 wiederentdeckt und seit
1986 als Archiv der Wissenschaft zugänglich ist vgl. die Ausführungen
Ludwig Schmugges an anderer Stelle: Ludwig Schmugge, Kirche, Kinder,
Karrieren. Päpstliche Dispense von der unehelichen Geburt im
Spätmittelalter, Zürich 1995.
[3] Vgl. Anm. 1. Für den vorliegenden Zeitraum sind die Bände II
(Nikolaus V., 1447-1455) bis VII. (Innozenz VIII., 1484-1492) von
Relevanz.
[4] Michael Borgolte, Meine Ehe ist ungültig. Ludwig Schmugge über eine
Alternative zur Scheidung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.9.2009,
S. 41.
[5] Frederik Pederson, The Legal Sophistication of Litigants in Marriage
Cases from Medieval York, in: Kenneth Pennington / Keith H. Kendall
(Hrsg.), Proceedings of the 10th International Congress of Medieval
Canon Law, Vatikanstadt 2001, S. 965-984.
[6] Christina Deutsch, Ehegerichtsbarkeit im Bistum Regensburg
(1480-1538), Köln 2005.
[7] Thomas D. Albert, Der gemeine Mann vor dem geistlichen Richter.
Kirchliche Rechtsprechung in den Diözesen Basel, Chur und Konstanz vor
der Reformation, Stuttgart 1998.
[8] Filippo Tamburini, Le dispense matrimoniali come fonte storica nei
documenti della Penitentieria Apostolica (sec. XIII-XVI), in: Le modèle
familial européen. Normes, deviances, contrôles du pouvoir, Actes des
séminaires, org. par l'Ecole Française de Rome et l'Università di Roma,
Rom 1986, S. 9-30.
[9] Beatrice Gottlieb, The Meaning of Clandestine Marriage, in: Robert
Wheaton / Tamara K. Hareven (Hrsg.), Family and Sexuality in French
History, Philadelphia 1980, S. 49-83.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Harald Müller <mueller(a)...

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<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-1-062>

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