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2024/03/11 20:49:43 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] „Monumente des Krieges und das Wesen des Deutschseins“ |
Datum | 2024/03/15 10:39:31 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Wie ein Deutscher Südfrankrei ch (er)lebt |
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2024/03/31 19:24:42 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] SB71 Alt Saarbrücken 1799-187 1 erschienen |
Betreff | 2024/03/11 20:45:18 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Vortrag "Das Grabtuch von Turin" |
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2024/03/11 20:49:43 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] „Monumente des Krieges und das Wesen des Deutschseins“ |
Autor | 2024/03/15 10:39:31 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Wie ein Deutscher Südfrankrei ch (er)lebt |
Date: 2024/03/13 08:42:14
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Schülerinnen- und Schülerleben im 19. und
frühen 20.
Jahrhundert. Aufwachsen, Alltag und Freizeit von Schülerinnen und
Schülern
höherer Schulen im deutschen Sprachraum und ihre Erforschung
Herausgeber Daniel Gerster, Carola Groppe
Erschienen Bad Heilbrunn 2023: Verlag
Julius Klinkhardt
Anzahl Seiten 365 S.
Preis € 24,90
ISBN 978-3-7815-2581-8
Inhalt => meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-78970.pdf
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung
Online bei
H-Soz-Kult von: Sandra Wenk, Institut für Pädagogik,
Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg
Der vorliegende Sammelband geht von einer bereits länger beklagten
Leerstelle
(erziehungs-)historischer Forschung aus.1 Trotz umfassender
Beschäftigung mit der
Geschichte von Jugend und Jugendlichen sowie einem neuen Interesse
an der
Kindheitsgeschichte und damit verbundenen Appellen, die Agency von
Heranwachsenden ernst zu nehmen, sind Schüler als soziale Gruppe
und
Akteur:innen bisher kaum berücksichtigt worden. Der von Daniel
Gerster und
Carola Groppe herausgegebene Band verfolgt nun den Anspruch, sich
„erstmals
intensiv mit der Frage [auseinanderzusetzen], wie sich Aufwachsen,
Alltagsleben
und Freizeitverhalten von Schülerinnen und Schülern höherer
Schulen gestalteten
und welche Wege ihrer Erforschung es gibt“ (S. 10). Er bezieht
sich (mit
Ausnahme eines komplementär angelegten Beitrags) auf höhere
Schulen im deutschsprachigen
Raum im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Wie Gerhard Kluchert in
der
inhaltlichen, die Forschung systematisierenden Einführung mit
Blick auf den
Anteil dieser Schülergruppe an den Gleichaltrigen herausstellt,
werden damit
„ausgesprochene Ausnahmeerscheinungen“ fokussiert. Zwar war der
Schulbesuch für
fast alle Heranwachsenden seit dem späten 19. Jahrhundert zu einer
Alltagserfahrung geworden, jedoch besuchte nur ein geringer Anteil
eines
Jahrgangs höhere Schulen. Erst gegen Ende der ersten deutschen
Republik, so
argumentiert Kluchert, hätte sich das Schülersein an den höheren
Schulen von
„einem exklusiven Randphänomen zu einer gängigen und stilbildenden
Jugend-Gestalt“ gewandelt (S. 18). Diese Engführung ist zu
berücksichtigen.
Doch besteht die Produktivität des Zuschnitts darin, dass der Band
die
Heterogenität dieser Gruppe höherer Schüler demonstriert und dabei
unterschiedliche Zugänge sowie die Analyse verschiedener
Quellenarten vereint.
Der Begriff des Schülerlebens ist gut gewählt, weil er im
Gegensatz zu den
vorliegenden kulturhistorischen schulgeschichtlichen Arbeiten vor
allem
außerunterrichtliche Aspekte in den Blick nimmt. Als Beitrag zur
im
deutschsprachigen Raum weitgehend vernachlässigten
Alltagsgeschichte von Schule
stellt er einen anregenden Perspektivwechsel zur lange
dominierenden Struktur-
und derzeit bestimmenden Expert:innen- und Wissensgeschichte dar.2
Mehrere Beiträge beschreiben die Ausbildung einer Schülerkultur an
höheren
Schulen im Spannungsfeld von schulischen Anforderungen und neu
entstandenen
Möglichkeitsräumen von Jugendlichen. Joachim Scholz widmet sich
frühen
Schülerzeitungen, deren Anfänge er entgegen der gängigen Deutung
nicht auf
pädagogische Ambitionen unter dem Einfluss von Jugendbewegung und
Reformpädagogik zurückführt, sondern auf Aktivitäten von Schülern
selbst „unter
dem Eindruck des sich ausbreitenden Pressewesens und einer sich
etablierenden
Schulöffentlichkeit und Schülerkultur an den höheren Schulen“ (S.
44). Vor
allem seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hätten sich
einige
überregionale Zeitungen mit hoher Auflage entwickelt. Sie blickten
zum Teil
spöttisch auf den Schulalltag und waren doch von ihm geprägt, da
etwa die
Themenstellungen Einflüsse des Aufsatzunterrichts erkennen ließen
und die
Haltung der Schreibenden einen gymnasialen Habitus offenbarte.
Die männliche Schülerkultur an den höheren Schulen war zudem durch
eine
Peerkultur charakterisiert, die sich an studentischen
Zusammenschlüssen
orientierte. Dennis Mathie und Carola Groppe zeigen, dass das in
Deutschland
weit verbreitete Pensionswesen – im frühen 20. Jahrhundert lebte
bis zu ein
Fünftel der höheren Schüler zeitweise in privaten Pensionen
außerhalb ihres
Heimatortes – Schülern Freiräume verschaffte und begünstigte, dass
sich
gleichaltrige Jugendliche in Korporationen zusammenschlossen.
Anders als an der
Universität waren diese Verbindungen streng verboten, was den
eigenen
Rechtsstatus von Schülern deutlich macht und vermutlich auf
unterschiedliche
Leitbilder beider Institutionen verweise.
Li Gerhalter untersucht Erinnerungspraktiken wie den Austausch von
Fotografien
oder Poesiealben in deutschen und österreichischen Mädchenschulen
des frühen
20. Jahrhunderts. In ihnen schlugen sich zeitspezifische
Emotionen, wie zum
Beispiel Schwärmereien gegenüber Mitschülerinnen und Lehrerinnen,
aber auch
schulische Hierarchien nieder, die durch technische Neuerungen wie
Amateurfotoapparate mitunter unterlaufen worden seien. Die rege
Zirkulation der
Erinnerungsgegenstände und deren genaue Dokumentation durch die
Schülerinnen
führt Gerhalter jedoch auf eine „Identifikation mit der
Institution Schule“ (S.
157) zurück.
Die Leistungsanforderungen und Bildungsaspirationen höherer
Schüler bilden
einen weiteren Schwerpunkt. Denise Löwe verfolgt am Beispiel von
sogenannten
„Bildungsgängen“ des frühen 20. Jahrhunderts – von
Abiturient:innen im Kontext
der Reifeprüfung zu verfassende Texte über ihren bisherigen
Bildungsweg –, wie
Schüler sich in Zeiten der Öffnung der höheren Bildung zu den an
sie gestellten
Ansprüchen positionierten. In den Lebensläufen werden neben dem
deutlichen
Einfluss der sozialen Herkunft Unterschiede zwischen
Freizeitaktivitäten und
außerschulischen Bildungsinteressen erkennbar. Während die Schüler
des
humanistischen Gymnasiums die Freizeit vor allem alleine und mit
„auf einen
Kanon der Hochkultur“ (S. 86) begrenzten Aktivitäten verbrachten,
beschrieben
Realgymnasiasten und Oberrealschüler stärker gemeinschaftliche und
jugendkulturell geprägte Tätigkeiten. Es wäre lohnend, diesem
interessanten
Hinweis auf die schulform- und schichtspezifische
Freizeitgestaltung und ihrem
Wandel weiter nachzugehen.
In Tagebüchern von männlichen Jugendlichen sei der Schulbesuch
erstaunlich
wenig präsent, hält Sylvia Wehren für die zweite Hälfte des 19.
Jahrhundert
fest. Zwar fänden sich summarische Berichte zu Stundenplänen,
Unterrichtsmethoden und Lehrpersonen wie zu besonderen
Ereignissen. Das
Alltägliche und „der eigene Status als Schüler“ (S. 113) hingegen
seien kaum
thematisiert worden. Demgegenüber seien individuelle
Bildungsprojekte akribisch
dokumentiert und berufliche Ambitionen reflektiert worden. Hieran
schließt sich
die Frage an, ob aus diesen ersten Befunden eher Schlüsse über die
kulturelle
Praxis des Tagebuchführens oder das Verhältnis
bildungsbürgerlicher Jungen zur
Schule zu dieser Zeit gezogen werden können.
Dass sich Schüler zu den an sie gestellten Leistungsnormen
eigensinnig
verhielten, zeigt Daniel Gerster anhand einer Auswertung von
Schülerbriefen der
Internatsschule Pforta. Die Jungen verfolgten „sehr
unterschiedliche Strategien
des Erwartungsmanagements“ (S. 130) und betonten bei schulischem
Misserfolg
etwa Erfolge auf anderen Gebieten. Auch Gerster beschreibt
Schülerverbindungen
als „Zentrum einer alternativen ‚eigensinnigen‘ ‚Schülerkultur‘“
(S. 122), zu
der Initiationsriten, Alkohol und Gewalt gehörten, wobei sich die
Briefe vor
allem auf Andeutungen beschränkten.
Zwei Beiträge widmen sich der erinnerten Schulzeit. Elke Kleinau
befasst sich
mit Lehrerinnenbildungsanstalten im Nationalsozialismus und stellt
eine
nachhaltige Prägung der Absolventinnen fest, die sich darin
äußere, dass die
Schulzeit als aufregende, unpolitische Episode erinnert werde. Pia
Schmid
argumentiert anhand von Autobiografien von Protagonistinnen der
bürgerlichen
und der proletarischen Frauenbewegung, dass nur in den Texten
letzterer die
soziale Klassenzugehörigkeit thematisiert wurde. Dabei ist eine
aufschlussreiche Pointe, dass der (außerschulische) Bildungs- und
Politisierungsprozess letztlich auch bei diesen Frauen zur
Entwicklung eines
(bürgerlichen) Ideals von Kindheit und Jugend als Moratorium
beitrug.
Weitere Beiträge behandeln Aspekte wie Schulreisen (Gräbe),
stellen
Überlegungen zu einem kindheitswissenschaftlichen Zugriff auf das
Internatsleben an (Leitner), kontrastieren das Schulleben an
höheren Schulen
mit der Schulsituation von in der Fabrikarbeit beschäftigten
Kindern (Schütz)
und skizzieren die Überlieferungssituation der Schulen aus
archivarischer Sicht
(Holzapfl, Hermes-Wladarsch).
Der Band demonstriert, welche Potentiale die Schülergeschichte
hat. Zu seinen
Vorzügen zählen die Überlegungen zu geeigneten Quellen und deren
differenzierte
Analysen. Schüler werden darin als Akteur:innen begriffen, ohne
dass die
Machtverhältnisse, in denen sie standen, außer Acht gelassen
werden. Die
Ergebnisse bestätigen zumeist Befunde zur bürgerlichen
Sozialisation. Hier
erscheint es gewinnbringend, noch genauer nach den Spezifika
schulischer
Bildung im bürgerlichen Aufwachsen zu fragen, vor allem aber auch
andere
Schulmilieus einzubeziehen. Dass sehr verschiedene Facetten des
Schülerseins
betrachtet werden, ist Stärke und Schwäche zugleich, denn damit
stellt sich
auch die Frage nach den übergreifenden Erkenntnisinteressen und
Perspektiven
einer Schülergeschichte. Zwar werden ältere Deutungen, die
Kluchert einführend
anspricht, etwa der Prozess der Scholarisierung als
Disziplinierung,
differenziert; übergreifende Fragen werden aber insgesamt wenig
diskutiert.
Bevor also weitere Details des Schüleralltags bis zum „Pausenbrot“
(S. 31)
ausgeleuchtet werden, wäre es gewinnbringend, noch stärker die
größeren
Anschlussperspektiven in Geschichts- und Erziehungswissenschaft
herauszustellen. Der gewählte Untersuchungszeitraum ist fraglos
zentral, weil
in ihm Schule nicht nur zu einer neuen zentralen
Sozialisationsinstanz für
Kinder und Jugendliche, sondern das erfolgreiche Absolvieren auch
zur
Voraussetzung „sozialen Aufstiegs und sozialer Reproduktion“ (S.
201) wurde.
Diesem grundlegenden Wandel für das Aufwachsen und der neuen
Rolle, die der
Schulbesuch etwa für politische Sozialisation oder die Erfahrung
sozialer
Ungleichheit hatte – gerade nicht nur als Ort der Vermittlung,
sondern auch als
sozialer Raum von Gleichaltrigen – sollte weiter nachgegangen
werden. Dabei
wäre es lohnend, die Schülerperspektive nicht allein für den
engeren Bereich
der Schulgeschichte, sondern auch für weitere Bereiche der
Kindheits- und
Jugendgeschichte wie zum Beispiel jugendliche Sexualität oder
Massen- und
Konsumkultur zu verfolgen.
Insgesamt wirft der Band Grundfragen der Schulgeschichte auf, wie
sie schon
lange nicht mehr gebündelt diskutiert wurden und er demonstriert
zudem, wie
wichtig eine stärkere Verschränkung von Kindheits- bzw. Jugend-
und
Schulgeschichte ist. Es wäre daher nur wünschenswert, wenn diese
Impulse
aufgegriffen würden.
Anmerkungen:
1 Vgl. Andreas Gestrich,
Vergesellschaftungen
des Menschen. Einführung in die Historische
Sozialisationsforschung, Tübingen
1999, S. 134–135.
2 Zu den Erträgen letzterer im
Bereich der Schülergeschichte
vgl. Philipp Eigenmann / Thomas Ruoss, Schüler in der historischen
Bildungsforschung, in: Hedda Bennewitz / Heike de Boer / Sven
Thiersch (Hrsg.),
Handbuch der Forschung zu Schülerinnen und Schülern, Münster 2022,
S. 25–32.
[3] Vgl. dazu Carola Groppe, Im deutschen Kaiserreich. Eine
Bildungsgeschichte
des Bürgertums 1871–1918, Wien 2018.
Zitation
Sandra Wenk, Rezension zu: Gerster, Daniel; Groppe, Carola
(Hrsg.): Schülerinnen-
und Schülerleben im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Aufwachsen,
Alltag und
Freizeit von Schülerinnen und Schülern höherer Schulen im
deutschen Sprachraum
und ihre Erforschung. Bad Heilbrunn 2023 , ISBN 978-3-7815-2581-8,
In:
H-Soz-Kult, 13.03.2024, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-137585>.