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2024/01/30 09:03:37 Stefan Reuter via Regionalforum-Saar Re: [Regionalforum-Saar] Jahrestag |
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2024/01/07 20:22:22 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Die deutsche Gesellschaft der Stad t New=York veröffentlicht folgende Warnung (1868) |
Betreff | 2024/01/18 16:11:51 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Dorpat/Tartu. Geschichte einer E uropäischen Kulturhauptstadt |
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2024/01/29 21:30:21 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Jahrestag |
Autor | 2024/01/30 09:03:37 Stefan Reuter via Regionalforum-Saar Re: [Regionalforum-Saar] Jahrestag |
Date: 2024/01/31 22:37:45
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Die unsichtbare Guillotine. Das Fallbeil der
Weißen Rose und
seine Geschichte
von Ulrich Trebbin
Erschienen Regensburg 2023: Pustet
Anzahl Seiten 232 S.
Preis € 24,95
ISBN 978-3-7917-3387-6
Rezensiert für H-Soz-Kult von Hans Günter
Hockerts,
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Mindestens 1.180 Menschen sind in der NS-Zeit im Gefängnis
München-Stadelheim
mit der Guillotine hingerichtet worden – Zeugnis der barbarischen
Strafjustiz
im nationalsozialistischen Deutschland. Nach 1945 hielt sich lange
das Gerücht,
das Gerät sei bei Kriegsende in die Donau versenkt worden. Im Jahr
2013 stieß
der Journalist Ulrich Trebbin jedoch auf eine andere Spur, die zum
Bayerischen
Nationalmuseum führte. Der dort zuständige Referent nahm die
Anfrage zum Anlass
für eine intensive Recherche – mit dem Zwischenergebnis, dass es
sich bei den
im Depot verwahrten Einzelteilen sehr wahrscheinlich um die in
München-Stadelheim verwendete Guillotine handele.
Diese Meldung, von Trebbin 2014 veröffentlicht, fand ein starkes
mediales Echo,
sogar in der internationalen Presse.1 Dabei sorgte der
Prominenz-Faktor für
einen hohen Nachrichtenwert. Denn zu den Opfern des Stadelheimer
Fallbeils
zählten auch die Geschwister Scholl und mehrere Mitstreiter aus
dem Kreis der
Weißen Rose. Sogleich entbrannte eine Debatte über den richtigen
Umgang mit der
Tötungsmaschine: Sollte man sie ausstellen? Auf das Votum eines
Runden Tischs
gestützt, entschied der bayerische Kultusminister, dass die
Guillotine bis auf
weiteres nicht öffentlich ausgestellt werden dürfe. Allerdings ist
zu
vernehmen, dass einige Beteiligte sich in der Beratung überrumpelt
fühlten.
Neuerdings bekräftigte der Nachfolger des Ministers die ablehnende
Entscheidung, mit der Ulrich Trebbin jedoch ganz und gar nicht
einverstanden
ist. Daher möchte er eine öffentliche Debatte entfachen, für die
das
vorliegende Buch eine Grundlage bilden soll.
Der Autor greift bis zum Jahr 1854 zurück. Damals entschied der
bayerische
König Maximilian II, künftige Exekutionen nicht mehr mit
Schwerthieben, sondern
mit einer „Fallschwertmaschine“ durchführen zu lassen – den
Begriff
„Guillotine“ vermied man wohlweislich, weil er an die Terrorphase
der
französischen Revolution erinnerte. Den Konstruktionsauftrag
erhielt der
Münchner Turmuhrfabrikant Johann Mannhardt, der zwei vollständige
Guillotinen
(für München und Würzburg) lieferte und außerdem fünf Unterbauten
für weitere
Städte, zu denen die Scharfrichter dann mit dem „Fallbeilrahmen“
anzureisen
hatten. Trebbin folgt den Spuren ihrer Verwendung und nimmt dabei
auch übergreifende
Zusammenhänge in den Blick, insbesondere die Geschichte der
Todesstrafe, den
Wandel des Zeremoniells der Enthauptung und den zunehmenden
Ausschluss der
Öffentlichkeit. Er erläutert die Funktionsweise der Apparatur und
ihre
Veränderungen und flicht immer wieder Fallbeispiele ein, die ein
beklemmendes
Licht auf das Schicksal der Verurteilten werfen.
Bis 1932 starben unter der Münchner Guillotine 124 Männer und eine
Frau. Der
weibliche Sonderfall datiert aus der frühesten Phase (1857);
danach wurden zum
Tode verurteilte Frauen durchweg begnadigt. Die gewaltige
Steigerung in der
NS-Zeit verweist, wie Trebbin zeigt, auf die völkische Ideologie,
den
zertrümmerten Rechtsstaat und den Justizterror der Kriegsjahre. Zu
Recht betont
er, dass mit den Enthauptungen gleichwohl nur ein Teil der
Vernichtungspolitik
in den Blick kommt: Hinzu kamen mehr und mehr Hinrichtungen durch
den Strang
und die Erschießung verurteilter Gefangener sowie das Morden, das
sich gar
nicht mehr um einen justizförmigen Anschein bemühte. Trebbin
berichtet über die
wachsende Zahl der Hinrichtungsstätten und der eingesetzten
Guillotinen (elf
wurden im Gefängnis Berlin-Tegel hergestellt), er fasst die
Scharfrichter ins
Auge und stellt die Opfergruppen vor. Fast die Hälfte der
Stadelheimer Opfer
waren Ausländer, darunter Zwangsarbeiter und Widerstandskämpfer
aus den
annektierten Gebieten. Soweit es sich bei den Todesurteilen auch
nach heutiger
Rechtsauffassung um Straftaten handelte, reicht das Spektrum von
Bagatelldelikten bis zum Mord. In dieser Hinsicht trifft Trebbin
eine klare
Unterscheidung: Wir erinnern uns an Mörder „nicht in ihrer
Eigenschaft als
Gewalttäter, sondern als Opfer der Todesstrafe“ (S. 106). Vor
allem aber geht
es ihm um die Gruppe der politisch Verfolgten, deren Anteil er auf
27 Prozent
beziffert: „Die allermeisten von ihnen sind heute weitgehend
unbekannt“ (S.
124).
Bei Kriegsende wurde die Stadelheimer Guillotine in die
Strafanstalt Straubing
ausgelagert und 1949 zur Überprüfung ihrer Verwendungsfähigkeit –
es handelte
sich noch immer um die Mannhardt-Maschine von 1855 – nach
Regensburg gebracht.
Im bayrischen Justizministerium rechnete man also noch mit dem
Fortbestand der
Todesstrafe, die jedoch im selben Jahr mit der Einführung des
Grundgesetzes
abgeschafft wurde. Danach verstaubte das in Einzelteile zerlegte
Gerät auf dem
Speicher des Regensburger Gefängnisses, bis es 1974 – vermittelt
vom
Justizministerium – in das Depot des Bayerischen Nationalmuseums
kam. Die
Öffentlichkeit erfuhr von alldem nichts, und auch im Museum
befasste man sich
nicht näher mit diesem Depotbestand. Nur gerüchteweise blieben
dort die
Stichworte „Stadelheim“ und „Geschwister Scholl“ im Umlauf. Erst
2013 begann
ein neuer Referent, Sybe Wartena, mit der gründlichen
wissenschaftlichen
Aufarbeitung, und er konnte die Sachverhalte, die 2014 als
wahrscheinlich
eingestuft worden waren, inzwischen eindeutig klären.2 Im Kontakt mit ihm
informierte Ulrich
Trebbin eine breite Öffentlichkeit zunächst mit journalistischen
Berichten, nun
auch mit diesem Buch.
Man kann es auf zweierlei Weise lesen. Zum einen als
wissenschaftlich fundierte
Studie, die sich weitgehend auf die maßgebliche Forschung stützt,
darunter das
grundlegende Werk von Richard Evans über die Todesstrafe in der
deutschen
Geschichte3, aber mit Archivrecherchen
auch eigene
Akzente setzt. Zum anderen als erinnerungspolitische
Streitschrift. Dem
Freistaat Bayern wirft der Autor vor, die Münchner Guillotine
„jahrzehntelang
versteckt“ zu haben, und er hegt den Verdacht, dass damit
womöglich auch die
Geschichte der NS-Todesurteile aus dem Blick gerückt werden
sollte.
Zweifelsfrei belegbar ist dieses Motiv, das zeitweise eine Rolle
gespielt haben
mag, bisher allerdings nicht. Die Entscheidung des bayerischen
Kultusministers,
die Guillotine bis auf weiteres unter Verschluss zu halten, lehnt
Trebbin als
Akt der „Zensur“ ab. Zwar hält er manche Einwände für
bedenkenswert – so die
Gefahr des Voyeurismus und die Entwürdigung der Opfer, sofern die
Aura eines
Objekts aus der Sphäre der Täter nicht gebrochen wird. Doch
argumentiert er mit
gutem Grund, dass es eben auf die Präsentationsweise ankommt, auf
Sensibilität
und Kontextualisierung. So könnte dieser schreckliche Gegenstand
zum Mahnmal
werden; er könnte besonders wirkungsvoll zur kritischen
Auseinandersetzung mit
der Justiz in der NS-Zeit anregen und an ihre Opfer erinnern. Das
Buch gibt
Hinweise darauf, wie das möglich wäre. Den vielleicht besten
Vorschlag hat
indes der Leiter der Gedenkstätte Flossenbürg, Jörg Skriebeleit,
an anderer
Stelle ins Gespräch gebracht: „Das fände ich einen Kniff: die
Frage, ob man
diese Guillotine ausstellen darf, zum Thema einer Ausstellung zu
machen. Dann
könnte man das Objekt verwenden, zum Beispiel in einem zerlegten
Zustand“.4
Anmerkungen:
1 Vgl. zum Beispiel den Bericht
in The New
York Times, 10.01.2014, https://www.nytimes.com/2014/01/11/world/europe/a-guillotine-in-storage-bears-signs-of-a-role-in-silencing-nazis-critics.html
(27.01.2024).
2 Vgl. die prägnante
Darstellung seiner
Forschungsergebnisse: Sybe Wartena, Die Fallschwertmaschine in
Bayern. Zwischen
Humanisierung der Justiz und nationalsozialistischem Terrorregime,
in:
Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 85 (2022), S. 411–473.
Dort wird
auch ein Grundproblem der Recherche verdeutlicht: Es war
„unmöglich, die
Wahrscheinlichkeit einzuschätzen, ob die 1974 aus Regensburg
übertragene Teile
aus Stadelheim stammen könnten, solang das System der Ober- und
Unterteile und
die Gesamtzahl der Guillotinen nach dem Modell Mannhardts nicht
bekannt waren“
(S. 457). Trebbins Buch konnte sich bereits auf diese Abhandlung
stützen.
3 Richard J Evans, Rituale der
Vergeltung. Die
Todesstrafe in der deutschen Geschichte, 1532 – 1987, Berlin 2001.
An Trebbins
Kurzdarstellung der Weiße Rose ist zu korrigieren, dass Sophie
Scholl „den
Vervielfältigungsapparat“ der Gruppe beschafft habe (S. 129). Es
gab vielmehr
zwei Apparate, die von Hans Scholl und Alexander Schmorell besorgt
wurden.
4 Zitiert bei Josef Wirnshofer,
Hier gibt es
nichts zu sehen, in: Süddeutsche Zeitung, 21.02.2023.
Zitation
Hans Günter Hockerts, Rezension zu: Trebbin, Ulrich: Die
unsichtbare
Guillotine. Das Fallbeil der Weißen Rose und seine Geschichte.
Regensburg 2023
, ISBN 978-3-7917-3387-6, In: H-Soz-Kult, 01.02.2024, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-141633>.