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2023/09/07 13:19:59 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Einladung für Sonntag, den 24. September 2023 |
Datum | 2023/09/11 17:20:43 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Dieter Robert Bettinger ist gestorben. |
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2023/09/27 09:24:45 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Familientrennungen im nationalsozi alistischen Krieg. Erfahrungen und Praktiken in Deutschland u nd im besetzten Europa 1939–1945 |
Betreff | 2023/09/20 18:53:17 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Gedenktafeln der Kriegsgräber fürsorge auf dem St. Wendeler Friedhof eingeweiht |
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2023/09/07 13:19:59 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Einladung für Sonntag, den 24. September 2023 |
Autor | 2023/09/11 17:20:43 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Dieter Robert Bettinger ist gestorben. |
Date: 2023/09/07 21:44:22
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Freideutsch. Programm und Praxis einer
kulturellen
Avantgarde in Deutschland im 20. Jahrhundert
Autor: Christian Volkholz
Reihe Ordnungssysteme
Erschienen Berlin 2022: De
Gruyter Oldenbourg
Anzahl Seiten 360 S.
Preis € 69,95
ISBN 978-3-11-078338-4
Rezensiert für H-Soz-Kult von Barbara Stambolis,
Kulturwissenschaftliche
Fakultät, Universität Paderborn
Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert schlossen sich eine ganze
Reihe
Schüler:innen höherer Schulen in Gemeinschaften Gleichaltriger
zusammen. Es
gelang ihnen, sich der Kontrolle Erwachsener zumindest zeitweise
zu entziehen.
Im „Wandervogel“, mit dem die bürgerliche Jugendbewegung ihren
Anfang nahm,
waren junge Menschen aus zumeist bürgerlichen Elternhäusern in der
Natur
unterwegs. Die jugendbewegten Anfänge um 1900 fügten sich in ein
breites
Spektrum kulturkritischer und lebensreformerischer Initiativen
ein, in denen
mit Stichworten wie „Licht, Luft und Sonne“ für Breitensport,
Freibäder,
gesunde Ernährung und anderes mehr geworben wurde.[1]
Christian Volkholz unternimmt es in der vorliegenden Studie, der
überarbeiteten
Fassung seiner Dissertation, eine Akteursgruppe innerhalb der
bürgerlichen
Jugendbewegung systematisch in den Blick zu nehmen, die
„Freideutschen“. Was
sie von anderen Jugendbewegten der Jahrhundertwende unterscheidet,
ist ihr
Selbst- und Lebensentwurf. Sie leiteten aus ihren Erfahrungen in
der
Jugendbewegung wert- und handlungsleitende Orientierungen ab,
formulierten hohe
Ansprüche an sich selbst und ihre Aufgaben bzw. ihre künftige
Verantwortung in
der Gesellschaft. Bereits in ihrer Studienzeit nannten sie sich
„Freideutsche“.
Weltanschaulich und nach dem Ersten Weltkrieg dann auch politisch
vertraten sie
ausgesprochen unterschiedliche, teils kaum miteinander in Einklang
zu bringende
Positionen. Viele blieben dennoch miteinander bis ins Alter
freundschaftlich
verbunden. Sie bildeten eine Erinnerungsgemeinschaft mit großem
Interesse an
der Selbsthistorisierung, welche zusammen mit der Pflege von
Gründungsmythen in
der bürgerlichen Jugendbewegung insgesamt gesehen sehr ausgeprägt
war.
Aspekte bewegter Jugend um die Jahrhundertwende und in der
Zwischenkriegszeit
sind in den letzten Jahren mehrfach untersucht worden.[2] Historiker:innen haben
auch die
„Freideutschen“ wiederholt in den Blick genommen.[3] In diese
Forschungszusammenhänge fügt
sich die Arbeit von Christian Volkholz ein. Die „Freideutschen“
seien, so der
Autor, eine „im 20. Jahrhundert sozial- und kulturpolitisch
bedeutende Elite
mit avantgardistischer Geselligkeitspraxis“ gewesen (S. 5). Seine
Ausführungen
sind zum einen ideengeschichtlich fundiert, sie spiegeln nicht
zuletzt
Grundlegendes der Arbeiten seines Doktorvaters Anselm
Doering-Manteuffel wider.
Des Weiteren nimmt Volkholz generationelle Einordnungen der
Akteure vor und
spricht von den Freideutschen – Karl Mannheim folgend – als von
einer
„Generationseinheit benachbarter Jahrgänge im Rahmen der größeren
Generationslagerung
der bürgerlichen Jugendbewegung.“ (S. 15) Außerdem befasst sich
die Studie mit
der Organisationsform des Kreises, die für die „Freideutschen“ von
besonderer
Bedeutung ist.
Die Arbeit ist in vier Teile gegliedert, mit beschreibenden, einer
historischen
Chronologie folgenden sowie einordnend typisierenden Abschnitten.
Im ersten
Block geht es um die Herausbildung des freideutschen Profils vor
1914 im
Kontext der bürgerlichen Jugendbewegung und zeitspezifischer
Herausforderungen.
Hier spricht der Autor u.a. historische Bezüge zu den
studentischen
„Freischaren“ der nationalen Aufbruchsbewegung in Deutschland zu
Beginn des 19.
Jahrhunderts an.
Im zweiten Teil stehen freideutsche Publikationen und
Kommunikationsorte im
Mittelpunkt. Zeitlich spannt sich der Bogen vom Jahre 1905, der
Gründung des
„Hamburger Wandervereins“ über den „Freideutschen Jugendtag 1913“
zur
Errichtung des „Freideutschen Jugendlager(s) Klappholttal auf
Sylt“ im Jahre
1919. In seiner Beschreibung trennt Volkholz strukturierend
zwischen „Programm“
und „Praxis“ der „Freideutschen“. Um ein Beispiel zu geben: Einer
der
prominentesten, der Arzt Knud Ahlborn, wird sowohl mit
maßgeblichen Gedanken zu
gesellschaftlicher Verantwortung und Einmischung als auch mit
seinen konkreten
sozialen und erzieherischen Initiativen vorgestellt. Insbesondere
Ahlborns
zusammen mit dem ebenfalls jugendbewegten Ferdinand Goebel ins
Leben gerufene
Heimvolkshochschule auf Sylt erscheint in der Studie als
exemplarisch für
freideutsches gesellschaftliches Engagement.
Der dritte Abschnitt mündet in eine Zusammenfassung dessen, was
die
freideutschen Akteure im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts
ausmachte, und
zwar eine „kreisbezogene Praxis“ (217), die an moralisch ethischen
Werten,
Selbsterziehung und die Übernahme sozialer Verantwortung in einem
demokratisch
verfassten zivilgesellschaftlichen Gesamtgefüge orientiert war.
Volkholz
wörtlich: „Wer wie die Freideutschen beabsichtigte, die
Gesellschaft
langfristig von innen heraus zu verändern, kam nicht umhin,
speziell die
Jugendgenerationen und ihre Erziehung in den Mittelpunkt seiner
kulturpolitischen Agenda zu stellen.“ (S. 276) Politisch
gegensätzliche
Anschauungen waren nach 1918 ebenso kennzeichnend für die
Freideutschen wie
ihre recht vagen und facettenreich interpretierbaren
Volksgemeinschaftsvorstellungen. Volkholz betont weniger die
daraus
erwachsenden Dissonanzen und politischen Gegensätze als vielmehr
ihr
vorrangiges „Ziel einer politisch und sozial geeinten
Gesellschaft“ (S. 276).
Demokratische, auch pazifistische Vorstellungen hebt er für die
1920er-Jahre
als handlungsleitend hervor und, auch für die Zeit nach 1945, die
„Idee einer
abendländischen Werte- und Kulturgemeinschaft“ (S. 287).
Damit leitet Volkholz zum vierten und letzten Teil seiner Studie
über, die sich
den „Freideutschen Kreisen“ nach Ende des Zweiten Weltkriegs
widmet. In diesen
pflegten sie ihre Freundschaften, standen in schwierigen
Lebenssituationen
füreinander ein und rangen um neue gesellschaftliche und
kulturpolitische
Standortbestimmungen. Die Mehrheit der Freideutschen hätten sich
in der NS-Zeit
angepasst, so Volkholz knapp, ohne auf Einzelheiten einzugehen,
inwiefern der
Schatten mangelnder Distanz gegenüber dem nationalsozialistischen
Unrechtsregime sie belastete. In Klappholttal etwa war die
Bildungsarbeit des
„Nordseelagers“, wie die Bildungsstätte an der Nordsee nun hieß,
unter dem
organisatorischen Dach des nationalsozialistischen Reichsbundes
für Volkstum
und Heimat weiter betrieben worden. Nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs spielte
die NS-Vergangenheit kaum eine Rolle. Das Schwergewicht der Arbeit
lag auf
Begegnungen von Menschen unterschiedlicher Herkunft und
Auffassungen, auf
Natur- und Umweltschutz. Es ist Ahlborn und auch anderen
„Freideutschen“
zeitlebens schwergefallen, sich mit der NS-Zeit kritisch
auseinanderzusetzen.
Letzterer Aspekt wird bei Volkholz lediglich gestreift. Ebenso
ließen sich
einige weitere kritische Anmerkungen bzw. Ergänzungen hinzufügen:
Die
ausgeprägte Kreisbedürftigkeit dieser jugendbewegten Avantgarde
könnte wohl
auch unter Hinweis auf Victor Turners Überlegungen zu „Liminalität
und
Communitas“ für die freideutschen Gemeinschaftspraktiken ergänzt
werden.[4] Ferner: Gefahren, die in
den 1950er- und
1960er-Jahren von völkischen Traditionen für die
demokratisch-politische
Ordnung der Bundesrepublik ausgingen, beschäftigten die
„Freideutschen“ kaum.
Und schließlich: Nicht alle, die zeitweise überzeugt „freideutsch“
gewesen
waren, blieben dies auch nach den politischen Katastrophen des 20.
Jahrhunderts. So hatte der von Volkholz mehrfach erwähnte
deutsch-jüdischen
Pädagoge und Psychologe Curt Bondy nach 1945 ein ausgesprochen
distanziertes
Verhältnis zu einstigen freideutschen Freunden.[5] Und auch für weitere
Jugendbewegte dieses
Samples, wie z.B. den Sozialdemokraten Kurt Löwenstein (S. 23)
dürften andere
Bindungen und Vernetzungen wichtiger gewesen sein als die
freideutschen. Die
kritischen Anmerkungen schmälern indes keineswegs die Verdienste
der hier
besprochenen gründlich recherchierten und methodisch anregenden,
insgesamt
facettenreichen und lesenswerten Studie. Ihre Lektüre sei allen
empfohlen, die
sich mit der bürgerlichen Jugendbewegung in einem weiten
historischen Bogen
über das 20. Jahrhundert hinweg befassen.
Anmerkungen:
[1] Zu den zeitgeschichtlichen
Rahmungen:
Barbara Stambolis, Jugendbewegungen. Aufbruch und Selbstbestimmung
1871 bis
1918, Wiesbaden 2023; dies., Jugend und Jugendbewegungen.
Erfahrungen und
Deutungen, in: Nadine Rossol / Benjamin Ziemann (Hrsg.), Aufbruch
und Abgründe.
Das Handbuch der Weimarer Republik, Darmstadt 2022, S. 677–696.
[2] Vgl. Markus Raasch, Rezension
zu: Harms,
Antje: Von linksradikal bis deutschnational. Jugendbewegung
zwischen
Kaiserreich und Weimarer Republik, Frankfurt am Main 2020, in:
H-Soz-Kult,
25.06.2021, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-93433
(30.07.2023); Franziska Meier, Rezension zu: Ahrens, Rüdiger:
Bündische Jugend.
Eine neue Geschichte 1918–1933, Göttingen 2015, in: H-Soz-Kult,
26.01.2016, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-23065
(30.07.2023).
[3] Vgl. Ann-Katrin Thomm, Alte
Jugendbewegung,
neue Demokratie. Der Freideutsche Kreis Hamburg in der frühen
Bundesrepublik
Deutschland, Schwalbach, Ts. 2010; Sabiene Autsch, Erinnerung –
Biographie –
Fotografie. Formen der Ästhetisierung einer Generation im 20.
Jahrhundert,
Potsdam 2000.
[4] Vgl. Victor W. Turner,
Liminalität und
Communitas, in: Andréa Belliger / David J. Krieger,
Ritualtheorien: Ein
einführendes Handbuch, 3. Aufl., Wiesbaden 2006, S. 249–260;
Roland Eckert,
Gemeinschaft, Kreativität und Zukunftshoffnungen. Der
gesellschaftliche Ort der
Jugendbewegung im 20. Jahrhundert, in: Barbara Stambolis / Rolf
Koerber
(Hrsg.), Erlebnisgenerationen – Erinnerungsgemeinschaften. Die
Jugendbewegung
und ihre Gedächtnisorte, Schwalbach, Ts. 2008, S. 25–40.
[5] Vgl. Barbara Stambolis, Curt
Bondy –
Jugendpsychologie und Jugendsozialarbeit in Hamburg vor 1933 und
nach 1945, in:
dies. (Hrsg.), Flucht und Rückkehr. Deutsch-jüdische Lebenswege
nach 1933,
Gießen 2020, S. 173–194, hier S. 191f.
Zitation
Barbara Stambolis: Rezension zu: Volkholz, Christian: Freideutsch.
Programm und
Praxis einer kulturellen Avantgarde in Deutschland im 20.
Jahrhundert. Berlin
2022 , ISBN 978-3-11-078338-4,,