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2023/04/29 10:28:23 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Arabisch? |
Datum | |||
2023/04/21 10:23:33 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Vortrag „Die Grablege im e hemaligen Kloster Wörschweiler. Eine Excursion zu Grafen , Rittern und Äbten" im Juli 2023 |
Betreff | |||
2023/04/29 10:28:23 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Arabisch? |
Autor | 2023/04/28 09:50:22 Stefan Reuter via Regionalforum-Saar Re: [Regionalforum-Saar] Artikel " Schul-Amoklauf in Saar brücken – nach dem 6. Schuss versagte der Revolver" und Ergänzung |
Date: 2023/04/30 11:51:52
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Über Stammbücher schreiben. Stand und
Perspektiven der
Erschließung und Erforschung von Freundschaftsbüchern (16.-19.
Jahrhundert)
Organisation: Niedersächsisches Landesarchiv; Herzog August
Bibliothek in
Wolfenbüttel
Förderer Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
38300 Wolfenbüttel
22.03.2023 - 24.03.2023
Von Julia Franziska Freisinger, Kunstgeschichte,
Ludwig-Maximilians-Universität
München
Manu propria scripsit, eigenhändig geschrieben. Unter dem Motto
„Über
Stammbücher schreiben. Stand und Perspektiven der Erschließung und
Erforschung
von Freundschaftsbüchern (16.-19. Jahrhundert)“ wurde das
Sammelmedium Stammbuch
innerhalb einer dreitägigen Veranstaltung unter internationalen
und transdisziplinären
Forschungsperspektiven beleuchtet und diskutiert.
Einen besonderen Anstoß für diese Tagung, die nach 1978 und 1986
fast schon
traditionsgemäß erneut in Wolfenbüttel stattfand, hatten zwei
Forschungsprojekte zur Digitalisierung und Erschließung von
Stammbüchern
gegeben: zum einen die auf drei Jahre angelegte Forschung zum
Großen Stammbuch
des berühmten Augsburger Kunsthändlers und politischen Agenten
Philipp
Hainhofer (1578–1647), das 2020 durch die Herzog August Bibliothek
(HAB)
erworben werden konnte; zum anderen die Digitalisierung und
Erschließung der
Stammbuchsammlung des Niedersächsischen Landesarchivs (NLA) –
Abteilung
Wolfenbüttel.
Am 22. März wurden die Teilnehmenden vor Ort und online in den
historischen
Räumen der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel empfangen:
Nach der
feierlichen Begrüßung in der Augusteerhalle durch PETER BURSCHEL,
dem Direktor
der HAB und SABINE GRAF, der Präsidentin des NLA, erfolgte die
thematische
Einführung von PHILIP HAAS (NLA) und SVEN LIMBECK (HAB).
Das erste Panel widmete sich der Erschließung und Bereitstellung
von
Stammbüchern: Zentrale Fragestellungen bildeten unter anderem die
mediale
Definition der Buchgattung als Sammelform unter Berücksichtigung
ihrer
Charakteristika sowie die fließenden Gattungsgrenzen zu Gäste-
oder
Besucherbüchern und die große Bedeutung der Nachhaltigkeit bzw.
Wiederverwendbarkeit von gewonnenen Daten.
Den Anfang markierte die digitale Edition des Gästebuchs von
Elisabeth Sophie
Marie von Brauschweig-Lüneburg, die von STEPHAN BIALAS-POPHANKEN
(Wolfenbüttel), MAXIMILIAN GÖRMAR (Wolfenbüttel) und JOËLLE WEIS
(Trier)
herausgegeben wird. Berichtet wurde über das buchförmige
Sammelmedium der
Erbprinzessin und späteren Herzogin, worin Inskriptionen von
Besuchern ihrer
Bibelsammlung aus dem 18. Jahrhundert eingeschrieben sind.
Thematisiert wurden
die Herausforderungen und die methodische Herangehensweise bei der
aktuell
entstehenden Kommentierung sowie Analyse von Eintragungstexten via
ediarum. Es
wurden Möglichkeiten zur digitalen Verlinkung der Inskribenten mit
Normdaten
und zur Visualisierung der Ortsregister aus den Herkunftsorten der
Eintragenden
aufgezeigt, wobei die Wiederverwendbarkeit von aktuell ungenutzten
Daten
dargelegt werden konnte. Neben Fragen zum Besucherpublikum, ihrem
Interesse und
Zugang zur Bibelsammlung sowie dem Sammlungskontext stand die
Verwendung des
Gästebuchs entlang von Gattungsgrenzen und einem möglichen
Funktionswandel im
Mittelpunkt des Beitrags.
Der Vortrag von SVEN LIMBECK (Wolfenbüttel) diskutierte gerade
diese Intermedialität
und materielle Hybridität der Alba Amicorum. Dabei wurde das
Stammbuch aus
mediologischer Perspektive als multifunktionale Sammelform
gezeigt, das in
inhaltlich und materiell vielseitiger Gestalt eine bedeutende
Quelle für die
transdisziplinäre Forschung darstellt. Die Alben seien weniger
unter ihrem
Objektcharakter als Bücher zu betrachten, vielmehr in ihrer
Funktion als
Kommunikationsmedium zu verstehen, deren buchförmiges Behältnis
die Sammlung
unterschiedlichster Inhalte aufbewahrte. Das Stammbuch als
multimediale
„Buchsimulation“ sollte folglich nicht nur als textgebundene
Schriftquelle
angesehen werden, sondern in einem sozio-ökonomischen
Kommunikationsprozess
begriffen werden.
Ein weiteres Beispiel, wie die durch die Stammbuchforschung
generierten Daten
nachhaltig gesammelt und verknüpft werden können, zeigte ANDREAS
SCHLÜTER
(Weimar), der das Vorhaben des neuen Thüringer Stammbuchportals in
seinen
Anforderungen und Herausforderungen vorstellte. Dem Ziel, die
Stammbuchbestände
aus über 500 Thüringer Kultureinrichtungen zu erfassen und für die
breite
Öffentlichkeit zugänglich zu machen, stellt sich das Projekt der
Herzogin Anna
Amalia Bibliothek der Klassik Stiftung Weimar: Mithilfe der
Datenverarbeitung
über Kulthura als digitales Kultur- und Wissensportal Thüringen
soll ein
Online-Portal mit übergreifenden Suchfunktionen, der
Bereitstellung von
Digitalisaten, ex- bzw. internen Datenverknüpfungen und weiteren
ergänzenden
Informationen zu den Stammbüchern entstehen. In diesem
Zusammenhang kam auch
die Forderung nach einem allgemein gültigen Datenmodell zur
Sprache.
Der zweite Themenschwerpunkt befasste sich mit Stammbüchern und
Netzwerken: Im
Vortrag von PHILIP HAAS (Wolfenbüttel) konnte die Bedeutung des
Stammbuchs als
Quelle zur Patronage- und Klientelforschung in Verbindung mit dem
frühneuzeitlichen Städtetyp der Autonomiestadt aufzeigt werden.
Präsentiert
wurden Untersuchungen zum politisch-diplomatischen Stammbuch des
Braunschweiger
Bürgermeisters Franz Dohausen (1605-1673) und den darin sichtbar
werdenden
sozialen Verflechtungsstrukturen. In der Kontextualisierung mit
weiteren
archivalischen Quellen wie Rechnungen, Briefen sowie Bittschreiben
konnten
anhand des Stamm- und Gästebuchs die Persönlichkeit Dohausens als
herzoglicher
Agent sowie politischer Akteur greifbar gemacht und seine
Interessen im
Klientelverhältnis offengelegt werden.
ROBYN DORA RADWAY (Wien) veranschaulichte die transkulturellen
Verbindungen
zwischen den mitteleuropäischen, von Habsburgern regierten
Territorien und dem
Osmanischen Reich, die in Stammbüchern des 16. Jahrhunderts
sichtbar werden. Um
die sozialen Netzwerke des Deutschen Hauses in Konstantinopel
sowie den
grenzübergreifenden Gebrauch von Alba Amicorum unter
Miteinbeziehung von
Reiseberichten zu erforschen, wurden Ansätze der Digital
Humanities angewandt.
Demonstriert wurden Möglichkeiten der digitalen Forschungsmethoden
als
Hilfsmittel zur Untersuchung bzw. Visualisierung von
Personengruppen und
wiederkehrenden Bildtypen mithilfe von Netzwerkgraphen. Im Zuge
dessen wurde
auf Standardisierungsprobleme und die Herausforderungen bei der
Analyse mit Big
Data in der Stammbuchforschung aufmerksam gemacht.
Die Erforschung von albuminternen Netzwerken stellte JULIAN SCHULZ
(Bonn)
anhand seines Dissertationsprojektes zum Stammbuch des Georg
Birkel vor, die
durch Leichenpredigten, Universitätsmatrikel sowie weitere Libri
Amicorum
ergänzt wird: Die digitale Transkription und Edition über das Tool
Squirrel
sowie die prosopographische Erschließung der Stammbuchträgerschaft
erlaubt
einen Einblick in Birkels ego-zentriertes Netzwerk und liefert
wichtige
Informationen zu seiner bisher nur wenig dokumentierten
Biographie. Die von
1599 bis 1616 gesammelten rund 860 enthaltenen Einträge sollen
Aufschlüsse über
ausgewählte Inskribenten, die Reiseanlässe und insbesondere die
Rolle Venedigs
in Bezug auf die Grand Tour geben. Die Analyse der
Stammbuchsprüche und
Dedikationspassagen sowie ihre Klassifikation in der
Differenzierung zwischen
Nähe und Ferne zeichnen ein Bild Birkels als Faktor, Agent und
Freund.
In seinem öffentlichen Abendvortrags erläuterte der
Stammbuchforscher und
Initiator der internationalen Stammbuch-Datenbank Repertorium
Alborum Amicorum
(RAA) WOLFGANG WILHELM SCHNABEL (Erlangen) die Geschichte, den
Stand und die
Perspektiven der Erschließung und Erforschung der
Freundschaftsalben von den
Anfängen bis in die heutige Zeit. Der Themenüberblick reichte von
der
Entstehung der Stammbuchsitte im protestantischen Milieu über das
Aufkommen von
Stammbuchdrucken, sowie der systematischen Analyse ab der ersten
wissenschaftlichen Abhandlung von Michael Lilienthal im 18.
Jahrhundert bis zur
Popularisierung mit dem Einhergehen der sozialen und regionalen
Ausweitung ab
dem späten 19. Jahrhundert. Das damit gestiegene Interesse an den
Alben
förderte die private und öffentliche Sammeltätigkeit,
Katalogisierung und
Ausstellung. Schnabel schilderte die Ausdifferenzierung von
Fragestellungen
unterschiedlicher Forschungsdisziplinen und die Vervielfältigung
von Untersuchungsinteressen
aufgrund der großen Variationsbreite an Gestaltungselementen und
Überschneidungsbereichen mit anderen Sammlungsformen. Der
Entwicklungsschub für
die Stammbuchforschung durch die beiden Wolfenbütteler Tagungen
1978 und 1986
brachte ab 1998 die weltweit bedeutendste, öffentlich zugängliche
Online-Datenbank RAA hervor. Zentral erscheint bis dato die Frage
nach den
Funktionen und Motivationen sowie dem inneren Kommunikationsgefüge
der
Stammbücher, die bereits für Zeitgenossen ein Rätsel darstellten.
Am 23. März wurde die Tagung im Bibelsaal der Biblioteca Augusta
fortgesetzt.
Die dritte Diskussionsrunde war der bildenden Kunst und der Musik
gewidmet.
MARIKA KEBLUSEK (Leiden) stellte die Bedeutung von visuellen
Elementen in
frühneuzeitlichen Stammbüchern in ihrer Verwandtschaft mit
Wappen-, Emblem-
sowie Kostümbüchern heraus. Hervorgehoben wurde die Rolle der
Alben als
Bildersammlungen. Mit anschaulichen Beispielen wurden dem Publikum
visuelle
Netzwerke vor Augen geführt: Dabei konnten die Verknüpfungen von
Bildinhalten
und Darstellungstypen in unterschiedlichen Medien, Orten und
Kontexten, auch
außerhalb der Stammbücher, deutlich gemacht werden. Aufgezeigt
wurde etwa der
Bildtransfer zwischen den meist von anonymen Briefmalern
gefertigten Stammbuchminiaturen
und den weit verbreiteten Druckgraphiken.
Dass Alba Amicorum als Kunst- und Wertobjekte aufgefasst werden
können, bewies
der Beitrag von SABINE JAGODZINSKI (Wolfenbüttel) zum Großen
Stammbuch Philipp
Hainhofers, eines der prächtigsten überlieferten
Freundschaftsalben überhaupt.
Die Bildauswahl der kunstvoll verzierten Seiten mit einer Fülle
von
künstlerischen Techniken, unter anderem Mikrographie und
Seidenmalerei,
veranschaulichten die Sammlung von Einträgen hochrangiger
Persönlichkeiten, wie
Herzögen, Fürsten, Königen und Kaisern. Erklärt wurde der Aufbau
und die
Nutzung der zeitnah veröffentlichten Website zum auf drei Jahre
angelegten
Tiefen-Erschließungsprojekt des Großen Stammbuchs: Neben dem
Digitalisat
beinhaltet die Website unter anderem kommentierte Transkriptionen,
die
Verschlagwortung mit Normdaten, Vergleichsabbildungen und
Literaturangaben.
Leser:innen erhalten zudem Informationen zu Besonderheiten,
Kontexten und
Bezugspunkten innerhalb des Albums. Durch das Projekt werden neue
Künstlerzuschreibungen
und die Rekonstruktion verlorener Inhalte möglich.
Mit WOLFGANG FUHRMANN (Leipzig) rückten nun die auditiven
Gestaltungselemente
in den Fokus der Betrachtungen. Unter dem Titel „Mobile Musik.
Fragmentarische
Formen und translokale Gemeinschaften im 19. Jahrhundert.“ wurden
Fragen nach
der Alltagspraxis und Verwendung von Philotheken im Spannungsfeld
zwischen
repräsentativer Öffentlichkeit und Intimität diskutiert.
Musikstammbücher waren
mit handschriftlichen Einträgen von Musikern oder mit Musiknoten
ausgestattet,
welche die Betrachtenden teils zum Entschlüsseln, musikalischen
Späßen und
Rätseln einluden. Mithilfe ausgewählter Stammbucheinträge konnten
Autographen
berühmter Musiker sowie Musikausschnitte im Zusammenhang mit
menschlichen Netzwerken
unterschiedlicher Personenkreise und Stammbuchbesitzer:innen
aufgezeigt werden.
Thematische Anknüpfungspunkte schuf KATERYNA SCHÖNING (Wien) in
ihrer
Präsentation zu den Wechselwirkungen zwischen Alba Amicorum und
Lautentabulaturen im 16. Jahrhundert. Künstlerische Bestandteile
der
frühneuzeitlichen Stammbücher waren Bilder mit eingefügten Noten
sowie
Darstellungen von Musizierenden, Noteneinträge und
Lautentabulaturen. Die
Notation von Musikstücken in der Verschränkung mit Philotheken ist
in unterschiedlicher
Ausprägung zu finden. Zu klären ist etwa, ob es sich dabei um
Stammbücher mit
integrierten bzw. angebundenen Lautentabulaturen oder um
Lautentabulaturen bzw.
Liederbücher mit Elementen von Libri Amicorum handelt.
Einen Höhepunkt der Tagung bildete die Präsentation von
ausgewählten
Doppelseiten des originalen Großen Hainhofer-Stammbuchs im
Lesesaal der Herzog
August Bibliothek, das von SABINE JAGODZINSKI zu den jeweiligen
Einträgen
begleitet wurde. Vorgestellt wurden das Porträt des Kaisers Rudolf
II. in
Seidenmalerei und die anbei befindliche Miniatur seiner Krönung im
Kreis von
sechs Kurfürsten, versehen mit seiner eigenhändigen Unterschrift.
Gezeigt wurde
zudem die in eine heraldisch-allegorische Darstellung eingebettete
Inskription
Herzog Philipps II. von Pommern Stettin und sein in Mikrographie
ausgeführtes
Porträt, bestehend aus kunstvoll drapierten,
religiös-philosophischen
Textelementen. Dem Publikum dargeboten wurden darüber hinaus zwei
unabhängige
Einträge: die Federzeichnung Lucas Kilians mit Obelisken-Motiv für
Herzog
August den Jüngeren von Braunschweig-Lüneburg und die
Wappendarstellung mit
weiblichen Figuren der Herzoginwitwe Ursula zu Württemberg,
Pfalzgräfin bei
Rhein.
Eingeleitet wurde das vierte Themenfeld zu Materialität und
Performanz durch
KARIN ECKSTEIN (München). Im Fokus der Untersuchungen stand der
Jüngere Titurel
aus der Bayerischen Staatsbibliothek und die Neuverwendung bzw.
Funktionserweiterung jener spätmittelalterlichen Handschrift zu
einem zeitweise
dicht beschriebenen Stamm- bzw. Gästebuch in einer späteren
Nutzungsphase.
Thematisiert wurden die restauratorischen Beobachtungen der teils
fragmentarischen Text- und Bildausstattung aus der frühen Neuzeit
und die
möglichen Motive für die über mehrere Generationen reichende
Umnutzung des
üppig mit Miniaturen ausgestatteten Epos im Familienbesitz der
Fernberger zu
Eggenberg.
DIETRICH HAKELBERG (Gotha) befasste sich mit den
Eintragungskontexten und der
Funktion des Gelehrtenstammbuchs von Johann Philipp Breyne.
Mithilfe von erhaltenen
Reisetagebüchern und Empfehlungsschreiben konnten die
Reisestationen des
Danziger Botanikers von 1702 bis 1704 rekonstruiert werden. Breyne
nutzte das
Gelehrtennetzwerk des Vaters nach und erweiterte dieses unter
anderem durch
Besichtigungen von naturwissenschaftlichen Sammlungen und Gärten.
In
Kombination mit seinen Reiseberichten konnte ein Bild seiner
Person und die
Reiseroute des Naturforschers quer durch Europa zum Zwecke der
Fortbildung und
Kontaktaufnahme gewonnen werden. Insbesondere beschäftigte die
Fragestellung,
welcher Inskribent sich bei welchen Gelegenheiten eingetragen
hatte oder auch
nicht.
MICHAEL WENZEL (Wolfenbüttel) beleuchtete in seinem Vortrag die
Stammbuchpraxis
der kunstdiplomatischen Vermittler-Persönlichkeit Philipp
Hainhofer aus
Augsburg. Neben dem hinzugezogenen, selbstrepräsentativen
Reisetage- und
Reisehandbuch (Reiserelationen) dokumentieren Hainhofers
Freundschaftsalben,
besonders das Große Stammbuch, die Besuche europäischer Herrscher
und Höfe.
Kernfragen des Vortrags bildeten die Auseinandersetzung mit
Hainhofers Akquise
von Stammbucheinträgern und den Strategien, durch welche sich das
Album zu
einem politisch wirkmächtigen agency tool entwickelte. Somit
stellte sich nicht
nur Hainhofer in seiner diplomatischen Reise- und Agententätigkeit
(u.a. für
Philipp II. von Pommern-Stettin) als Akteur heraus, sondern
vielmehr wurde das Große
Stammbuch als eigenständiger Aktant sowie als
grenzüberschreitendes Objekt
politischen Handels in Zeiten des Dreißigjährigen Krieges
sichtbar.
Am 24. März war das NLA in Wolfenbüttel Gastgeber der Tagung. Im
fünften Panel
stand zunächst die sprachliche und literarische Praxis in
Stammbüchern im
Mittelpunkt der Betrachtungen: SEBASTIAN CÖLLEN (Uppsala)
referierte über die
Strategien der Selbststilisierung in deutschsprachigen
Stammbucheinträgen des
17. Jahrhunderts. Mittels verschiedener Sprachen erfolgte die
Selbstdarstellung
und -inszenierung sowie Konstruktion der eigenen Persona wie eine
Theatermaske
auf der halböffentlichen Bühne des Stammbuchpublikums. Die Wahl
der Sprache
konnte mit dem Fokus auf mehrsprachige Stammbücher der frühen
Neuzeit in
schwedischen Sammlungen analysiert werden. Beobachtet werden
konnte der Einsatz
der deutschen Sprache vor allem bei humoristischen und auf
Innerlichkeit bzw.
Emotionalität ausgerichteten Texten, die situationsbezogene
Unmittelbarkeit und
persönliche Nähe ausdrücken oder simulieren. Dahingegen sollten
etwa klassische
Sprachen, wie Latein, Gelehrsamkeit und Selbstbeherrschung
suggerieren.
Die Verwendung romanischer Sprachen in Stammbucheinträgen der
Weimarer
Stammbuchsammlung wurde von REMBERT EUFE (Tübingen) untersucht und
der Tübinger
Stammbuchsammlung gegenübergestellt. Der Vortrag gab einen
Überblick über die
prozentuale Gewichtung des Sprachgebrauchs in den ausgewerteten
Textelementen:
Zum Vorschein kam die große Bedeutung von klassischen Sprachen,
Sprachen der
christlichen Tradition und Sprachen aus nicht lateinischen
Schriftsystemen, die
als Sammlerstücke galten. Besonders von süddeutschen und
österreichischen
Inskribenten wurden Einträge mit Italienisch präferiert, an deren
Beispielen
das sprachliche Niveau der Eintragenden und die mündliche
Tradition offenkundig
wurden. Vor allem wurde Mehrsprachigkeit mit italienischen und
französischen
Textelementen um des sozialen Prestiges willen inszeniert, deren
meist kurze
Textpassagen sich auch ohne direkte Sprachkenntnisse zum
Abschreiben eigneten.
Durch das Stammbuch, welches als Quelle für die Sprachenforschung
gilt, wurde
Freude an Sprachen und Mehrsprachigkeit ausgedrückt.
Landesübergreifende, literarische Netzwerke vom 16. bis ins 19.
Jahrhundert
zeigte hingegen MAGNUS ULRICH FERBER (Wolfenbüttel/ Bonn) auf.
Anhand der
Stammbuchsammlung des NLA Wolfenbüttel wurden literarische
Strömungen
unterschiedlichster Sprachgesellschaften und Gruppen vom Barock
bis zur
Romantik fassbar gemacht. Nachverfolgen ließ sich neben dem Wandel
des
Stammbuchgebrauchs, etwa in der Länge bzw. Gestalt der Einträge,
dass die
präsentierten Libri Amicorum als Autographensammlungen bekannter
und heute in
den Hintergrund getretener Schriftsteller dienten. In jenen
Freundschaftsalben
verewigten sich nicht nur Persönlichkeiten, wie Lessing, sondern
es definierten
sich Gruppenidentitäten durch literarische Beiträge und in der
Wahl von
Textzitaten zeitgenössischer bzw. klassischer Autoren.
Kontextualisiert wurden
diese Erkenntnisse etwa durch weitere literarische Quellen, wie
Zeitschriften,
in Zusammenhang mit Gruppierungen wie dem Göttinger Hainbund und
Vertretern des
Braunschweiger Collegium Carolinum.
Daran anschließend fand eine Führung durch die kleine Ausstellung
Monumente der
Freundschaft im Ausstellungssaal des Niedersächsischen
Landesarchivs statt, die
noch bis 30. Juni 2023 zu sehen sein wird. Sorgsam ausgewählte
Beispiele der
über dreihundert Objekte aus der internen, mithilfe der DFG
aktuell
erschlossenen und digitalisierten Stammbuchsammlung in
Wolfenbüttel wurden
durch Herrn FERBER und Herrn HAAS vorgestellt. In der
Kontextualisierung mit
Objekten aus dem Kreis- und Universitätsmuseum Helmstedt wurden
insgesamt
sieben Themenschwerpunkte beleuchtet: Eine Einleitung in die
Materie Stammbuch,
die Entstehung der Sammlung, ältere Stammbuchformen und der Weg
zur
Textgattung, die Gestaltung der Einträge, politische Stammbücher,
Stammbücher
von Frauen, Rezeption und Traditionslinien in Poesiealben und
Social Media.
Im letzten Themenbereich wurden ausgewählte Sammlungen und ihre
Bearbeitung
erörtert. Recherchemöglichkeiten für Stammbücher aus schwedischen
Sammlungen
zeigte DANIEL SOLLING (Uppsala) mithilfe des Online-Portals Alvin
auf, das sich
der Digitalisierung und Verbreitung von Kulturerbe widmet. Mittels
bedeutsamer
Stammbuchexemplare konnte ein Einblick in die Sammlung der
Universitätsbibliothek Uppsala gewährt und auf deren Vielfalt
aufmerksam
gemacht werden. Eine Besonderheit bildete der
Stammbuch-Zwillingsband von Erik
Drake af Hagelsrum, in welchem die Eintragenden nach ihrem
Geschlecht separiert
wurden. Solling gab Aufschluss über die Sammlungsschwerpunkte
sowie die Katalogisierung
und Erschließungspraxis der Stammbuchsammlung der
Universitätsbibliothek
Uppsala.
Durch KATHARINA BEIERGRÖßLEIN (Stuttgart) wurden Stammbücher im
Kontext
kommunaler Überlieferungen am Beispiel der Stammbuchsammlung des
Stadtarchivs
Stuttgart präsentiert. Die derzeit 79 Sammlungsobjekte vom späten
17. bis Mitte
des 20. Jahrhunderts, die unter dem Stichwort „Stammbuch“
erforscht werden,
wurden anhand der Häufigkeit von Namensnennungen im Hinblick auf
ihre sozialen
Netzwerke untersucht. Eine Graphenanalyse, in der
Namenswiederholungen
ausgewertet wurden, zeigte überraschende Ergebnisse: Die
Clusterbildung
offenbarte zeitübergreifende, direkte und indirekte Verbindungen
zwischen den
vornehmlich weiblichen Stammbucheinträgerinnen und den
Hauptakteurinnen als
„Spinnen“ im sozialen Netzwerk der Stammbuchsammlung.
Einen Überblick über die Freundschaftsalben und Stammbuchblätter
der
Staatsbibliothek Bamberg aus dem 16. bis 20. Jahrhundert
ermöglichte BETTINA
WAGNER (Bamberg), die Glanzpunkte der Sammlung, wie die
Rosendarstellung von
Maria Sibylla Merian, präsentierte. Berichtet wurde über die
Entstehung der
Sammlung sowie über das geplante Forschungsprojekt in der
Förderung der
Fritz-Thyssen-Stiftung ab Juli 2023 mit dem Ziel der
Digitalisierung sowie der
Grund- und Tiefenerschließung der Bamberger Stammbuchbestände. Die
Vortragende
gab einen Ausblick auf die Veröffentlichung der Ergebnisse über
die
Verbunddatenbank Kalliope.
In einer Zusammenfassung von PHILIP HAAS und SVEN LIMBECK wurden
die
wichtigsten Themen der Tagung nochmals hervorgehoben: Es konnten
Ideen und
bereits in der Umsetzung befindliche Projekte für die Erschließung
von
Stammbüchern in der sammlungs- und themenbezogenen Forschung unter
den
Anforderungen der jeweiligen Fachdisziplinen gezeigt werden. In
ihrer medialen
Hybridität konnten die Alba Amicorum entlang von Gattungsgrenzen
und
Überschneidungsbereichen näher definiert und mithilfe weiterer
Quellen
kontextualisiert werden. Neben der Forderung eines einheitlichen
Erschließungsstandards wurde der Wunsch nach der Erweiterung und
Erneuerung von
Stammbuchdatenbanken sichtlich. Zukunftsweisend erschienen nicht
nur die
Bündelung und Verknüpfung von Daten in gemeinsamen Datenbanken.
Auch in den
Untersuchungsmethoden des internationalen Fachpublikums wurde die
Orientierung
hin zur Digitalisierung deutlich, die neue Wege für die
Stammbuchforschung
eröffnet.
Konferenzübersicht:
Peter Burschel (HAB) / Sabine Graf (NLA): Begrüßung
Philip Haas (NLA) / Sven Limbeck (HAB): Thematische Einführung
Panel 1: Erschließung und Bereitstellung von Stammbüchern
Moderation: Michael Wenzel
Stephan Bialas-Pophanken (Wolfenbüttel) / Maximilian Görmar
(Wolfenbüttel) /
Joëlle Weis (Trier): „In dieses schöne Buch, soll ich auch etwas
setzen…”. Die
digitale Edition des Gästebuchs der Bibelsammlung von Elisabeth
Sophie Marie
von Braunschweig-Lüneburg
Sven Limbeck (Wolfenbüttel): Intermedialität und materielle
Hybridität.
Überlegungen zur Erschließung von Stammbüchern aus medio-logischer
Perspektive
Andreas Schlüter (Weimar): Das neue Thüringer Stammbuchportal
Panel 2: Stammbücher und Netzwerke
Moderation: Magnus Ulrich Ferber
Philip Haas (Wolfenbüttel): Autonomiestadt oder Patronage und
Klientel? Das
politisch-diplomatische Stammbuch des Braunschweiger
Bürgermeisters Franz Dohausen
(1605-1673)
Robin Radway (Wien): Stammbücher als soziale Netzwerke.
Möglichkeiten und
Gefahren der Forschung anhand von Beispielen des Deutschen Hauses
in
Konstantinopel
Julian Schulz (Bonn): Faktor, Agent, Freund. Georg Birckel als
Adressat von
Stammbucheinträgen deutscher Venedigbesucher am Vorabend des
Dreißigjährigen
Krieges
Öffentlicher Abendvortrag
Moderation: Philip Haas
Werner Wilhelm Schnabel (Erlangen): Stand und Perspektiven der
Erschließung und
Erforschung von Stammbüchern
Panel 3: Kunst und Musik in Stammbüchern
Moderation: Kerstin Losert
Marika Keblusek (Leiden): Images on the Move. Early Modern
Stammbücher as
Visual Networks
Sabine Jagodzinski (Wolfenbüttel): „eximii monumenta favoris“.
Erschließung und
Erforschung des Großen Stammbuchs Philipp Hainhofers
Wolfgang Fuhrmann (Berlin): Mobile Musik. Fragmentarische Formen
und
translokale Gemeinschaften im 19. Jahrhundert
Kateryna Schöning (Wien): Lautentabulatur – Liber amicorum –
Stammbuch. Mediale
und materielle Ausprägung im 16. Jahrhundert und die Rolle des
interdisziplinären Erinnerungs-modus
Präsentation des Großen Hainhofer-Stammbuchs
Panel 4: Materialität und Performanz
Moderation: Brage Bei der Wieden
Karin Eckstein (München): „durch frühere Besitzer verunstaltet“.
Der Jüngere
Titurel der Bayerischen Staatsbibliothek und seine Erschließung
für die
Stammbuchforschung
Earle Havens (Washington): Confessional Identity and Material
Adaption. Printed
and Interleaved Emblem Books Used as Alba Amicorum
Dietrich Hakelberg (Gotha): Stammbuch und Tagebuch im Gepäck. Mit
dem Botaniker
Johann Philipp Breyne auf Reisen, 1702-1704
Michael Wenzel (Wolfenbüttel): Das Album Amicorum als agency tool.
Selbstrepräsentationen seiner Stammbuchpraxis in Philipp
Hainhofers
Reiserelationen
Panel 5: Sprachliche und literarische Praxis in Stammbüchern
Moderation: Sabine Jagodzinski / Sven Limbeck
Sebastian Cöllen (Uppsala): Maskenspiele. Strategien der
Selbststilisierung in
deutschsprachigen Stammbucheinträgen des 17. Jahrhunderts
Rembert Eufe (Tübingen): Die Verwendung romanischer Sprachen in
den
Stammbüchern der Weimarer Sammlung
Magnus Ulrich Ferber (Wolfenbüttel/Bonn): Literarische Netzwerke.
Sprachgesellschaften und literarische Strömungen im Spiegel der
Stammbuch-sammlung des NLA Wolfenbüttel
Präsentation der Wolfenbütteler Stammbücher (Führung durch die
kleine
Ausstellung)
Magnus Ulrich Ferber / Philip Haas
Panel 6: Ausgewählte Sammlungen und ihre Bearbeitung
Moderation: Eva Raffel
Daniel Solling (Uppsala): Die Digitalisierung und Katalogisierung
der
Stammbuchsammlung der Universitätsbibliothek Uppsala (Schweden)
Katharina Beiergrößlein (Stuttgart): Das Stammbuch als Spinne im
Netz der
Bestände. Stammbücher im Kontext kommunaler Überlieferung am
Beispiel der
Stammbuchsammlung des Stadtarchivs Stuttgart
Bettina Wagner (Bamberg): Die Stammbuchsammlung der
Staatsbibliothek Bamberg
Zusammenfassung
Philip Haas / Sven Limbeck
Zitation
Tagungsbericht: Über Stammbücher schreiben. Stand und Perspektiven
der
Erschließung und Erforschung von Freundschaftsbüchern (16.-19.
Jahrhundert),
In: H-Soz-Kult, 29.04.2023, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-135806>.