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Datum 2016/05/04 07:20:16
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] ein Bundesstaat voller Migranten
2016/05/04 07:20:16
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] ein Bundesstaat voller Migranten
Betreff 2016/05/30 20:16:47
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Stadtarchiv St. Wendel: Max M üllers Quellen ab sofort zugänglich
2016/05/30 20:16:47
Roland Geiger
[Regionalforum-Saar] Stadtarchiv St. Wendel: Max M üllers Quellen ab sofort zugänglich
Autor 2016/05/30 20:02:42
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Wo einst Luises Wohnzimmer war

[Regionalforum-Saar] germanicus

Date: 2016/05/01 22:01:29
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Burmeister, Stefan; Rottmann,Joseph (Hrsg.): Ich Germanicus. Feldherr -
Priester - Superstar. Darmstadt: Theiss Verlag 2015. ISBN 9783806231410;
112 S.; EUR 19,95.

Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Philipp Altmeppen, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität
Mainz
E-Mail: quasi gar nicht eingenommen werden kann).

Obwohl es sich um einen Begleitband zu einer Ausstellung handelt und die
etwas reißerische Aufmachung durch die provokante Farbgebung und den
Titel auch keinen Hehl daraus macht, dass es sich um ein
populärwissenschaftliches Werk handelt, zeichnet sich die Mehrzahl der
Beiträge durch fachwissenschaftliche Tiefe und Differenziertheit aus.
Die altertumswissenschaftliche Arbeitsweise mit detaillierten Analysen
und (vor allem) kritischen Betrachtungen aller zur Lösung eines
Forschungsproblems zur Verfügung stehenden Quellen zieht sich wie ein
roter Faden durch den Band. Das Eingeständnis der Grenzen der Forschung,
die trotz der Vielzahl der möglichen Herangehensweisen an die gestellten
Fragen nur selten in der Lage ist, diese befriedigend zu beantworten,
ist Kennzeichen eines ehrlichen wissenschaftlichen Umgangs mit der
Thematik, der die Forschung nicht zugunsten der Publikumswirksamkeit
opfert. Insofern handelt es sich um eine sehr anspruchsvolle Lektüre für
Laien, keineswegs jedoch um eine Überforderung, da die behandelten
Probleme trotz der notwendigen Verkürzung nachvollziehbar bleiben und
durch qualitätsvolle Abbildungen und Kartierungen anschaulich gemacht
werden. Fachleute, die die neuesten Forschungsergebnisse der letzten
Jahre berücksichtigt haben, werden nichts Unbekanntes finden, ein
solcher Beitrag zur Forschung ist aber auch nicht beabsichtigt. Eine
Ausnahme hierzu bildet der Beitrag von S. Burmeister und R. Kaestner
(Oberst a.D.). Sie unternehmen den Versuch, sich den Motiven der
römischen Militäroperationen in Germanien auf andere, neue Weise zu
nähern, nämlich anhand der militärischen Lagebeurteilung, wie sie in den
Generalstäben der Welt üblich sei: Wie kann eine gegebene Armee mit
ihren Möglichkeiten unter den gegebenen Umständen operieren? Auch wenn
damit zweifelsohne neue Perspektiven und Ansätze für die Interpretation
der römischen Feldzüge geboten werden, bleibt hier die gleiche
Schwachstelle bestehen wie bei nahezu allen Theoriemodellen der Moderne,
die man für die Erforschung antiker Zustände nutzen möchte: ohne eine
drastische Vergrößerung der belastbaren Daten und Fakten wird jedes
Modell unbeweisbar bleiben. Neben dieser Anregung zum Beschreiten neuer
Wege können Fachleute auch von der prägnanten Darstellung der
Zusammenhänge und der für die Vermittlung guten Formulierung der anderen
Beiträge profitieren. Sowohl interessierte Laien (vielleicht
ursprünglich Besucher der Ausstellung) als auch Wissenschaftler haben
trotz fehlendem Anmerkungsapparat (der in diesem Format auch nicht
unbedingt nötig ist) die Möglichkeit zur Vertiefung des Gelesenen.
Häufigere Quellenzitate mit entsprechender Stellenangabe wären
allerdings für die Überprüfung des Zusammenhangs wünschenswert gewesen
(beispielsweise für die Nutzung durch Studenten oder an der Lektüre der
antiken Quellen Interessierte).

Auf die Publikumswirksamkeit wird aber auch nicht verzichtet: Ältere
(teils noch aus der Antike stammende) Stereotypen und Bilder des
Germanicus (aufstrebender, strahlender Liebling des Volkes in Konkurrenz
zu den despotischen, düsteren Kaisern Augustus und Tiberius) werden
aufgegriffen und mit dem modernen Vergleich des "Superstars" überspitzt
(der Begriff taucht nur im Titel, nicht in den Beiträgen auf). Dabei
wird die moderne Begrifflichkeit zur Erläuterung antiker Phänomene
bisweilen überdehnt: Der Begriff der "Patchworkfamilie" (S. 79) mag zwar
zur ersten assoziativen Einordnung hilfreich sein, wenn man mit dem
sozio-politisch komplexen römischen Familienbegriff nicht vertraut ist,
wird dem beschriebenen Gegenstand der kaiserlichen "Familie" der
julisch-claudischen Dynastie aber nicht gerecht. Ansonsten meistert Ch.
Kunst allerdings die schwierige Aufgabe, die sie sich gestellt hat: die
Abstammungs- und Verwandtschaftsverhältnisse im Kaiserhaus mit all den
persönlichen Animositäten und Intrigen nachvollziehbar zu erläutern und
zu demonstrieren, wie unzertrennlich persönliche Beziehungen und
politische Macht verbunden waren. Der Vergleich der "Trauerhysterie" (W.
Eck), die Rom bei der Nachricht des Todes des Germanicus erfasste, mit
der Reaktionen nicht nur der englischen Bevölkerung auf den Tod von
Prinzessin Diana 1997 ist einleuchtend, umso mehr, als die Emotionen
angesichts der Mittelmäßigkeit der Person unverständlich erscheinen.
Auch die Orientreise des Germanicus lässt sich mit dem Vergleich der PR-
oder "Werbetour" (S. 71) eines Prominenten gut umschreiben (S.
Burmeister und P. Kehne).

Insgesamt ist der vorliegende Band eine Sammlung plastischer und
ansprechender Präsentationen von Spannungsfeldern: Zwischen Personen
(Germanicus und Tiberius bzw. auch zwischen allen Mitgliedern des
julisch-claudischen Kaiserhauses untereinander), zwischen Forschern
(Kontroverse um die Örtlichkeit der Varusschlacht), zwischen
Quellengattungen (literarische Überlieferung gegenüber archäologischen
Befunden und Funden), zwischen Propaganda und Realität
(Eroberungsrhetorik in Germanien gegenüber dem Ausbleiben
durchschlagender Erfolge), zwischen Wissen und Nicht-Wissen (trotz all
der Fortschritte in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung der
letzten Jahre bleiben immer noch klaffende Lücken in unserem Wissen von
Roms Präsenz in Germanien und der Person Germanicus), letztlich zwischen
Erfolg und Versagen bei der (Re-)Konstruktion des Bildes eines
"Superstars" der Antike.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Lennart Gilhaus
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2016-2-073>