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[Regionalforum-Saar] Großeinsatz der Polizei in Köln

[Regionalforum-Saar] Stalag X B Sandbostel

Date: 2015/11/05 23:31:40
From: Rolgeiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

Ehresmann, Andreas (Hrsg.): Das Stalag X B Sandbostel. Geschichte und
Nachgeschichte eines Kriegsgefangenenlagers. Katalog der
Dauerausstellung. München: Dölling und Galitz Verlag 2015. ISBN
978-3-86218-074-5; Hardcover; 400 S., 514 Abb.; EUR 29,90.

Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Reinhard Otto, Lemgo
E-Mail: <otto.lemgo(a)... den letzten Jahren haben KZ-Gedenkstätten vermehrt mit neu
konzipierten Ausstellungen auf sich aufmerksam gemacht und für deren
Besucher umfangreiche und großformatige Kataloge bereitgestellt. Zu
nennen sind hier etwa Bergen-Belsen, Flossenbürg und Mauthausen. Völlig
anders sieht es dagegen mit Gedenkstätten aus, die an den - zumeist
abgelegenen - Orten früherer Kriegsgefangenenlager entstanden sind. Sie
fristen oft ein Schattendasein: wenige Besucher, wenig Personal, kaum
finanzielle Mittel, das öffentliche Interesse ist vergleichsweise
gering. Dabei sind sie ebenso Stätten nationalsozialistischen Unrechts
wie die Konzentrationslager, und manche Kriegsgefangenenfriedhöfe
übersteigen jegliches Vorstellungsvermögen: Zeithain bei Riesa mit vier
Friedhöfen und mehr als 25.000 Toten oder die sogenannten
Russenfriedhöfe in der Senne (15.000) oder Bergen-Belsen (20.000). Dass
der Bundespräsident zur 70-jährigen Wiederkehr des Kriegsendes die Senne
besucht hat, kann immerhin als ein offizielles Zeichen gewertet werden,
auch an diesen Orten die Erinnerungskultur aufwerten zu wollen.

Umso bemerkenswerter ist es, dass zum Gedenkjahr 2015 erstmals eine
Gedenkstätte an einem früheren Lagerstandort einen nicht nur im Wortsinn
gewichtigen Katalog zur Geschichte des Ortes vorlegt: die
Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel am Standort des früheren
Stammlagers (Stalag) X B. Die dem Katalog zugrunde liegende Ausstellung
war schon zwei Jahre zuvor, am 29. April 2013, zur 68-jährigen
Wiederkehr des Befreiungstages durch die britische Armee 1945 der
Öffentlichkeit präsentiert worden.

In Sandbostel hatte die deutsche Wehrmacht im Spätsommer 1939 ein Lager
für zunächst 10.000 Kriegsgefangene eingerichtet, das bis 1945 Gefangene
aus vielen Nationen durchliefen, zuerst Polen, dann Westeuropäer, 1941
serbische und sowjetische Kriegsgefangene, später (1943) italienische
Militärinternierte und 1944 schließlich Angehörige der Polnischen
Heimatarmee, die sich beim Warschauer Aufstand der Wehrmacht ergeben
hatten. Vermutlich ab dem 12. April 1945 wurden etwa 9500 KZ-Häftlinge
aus dem KZ Neuengamme und dessen Außenlagern nach Sandbostel
transportiert und in einem abgetrennten Bereich des Stammlagers
untergebracht, den die SS verwaltete, sodass für eine kurze Zeit zwei
verschiedene Organisationen das Lager nutzten. Die Todesrate unter
diesen Häftlingen war wegen der unsäglichen Lebensbedingungen immens -
weitaus höher, als sie je im Kriegsgefangenenlager gelegen hatte;
britische Soldaten, die bei der Befreiung mit dem Grauen konfrontiert
wurden, bezeichneten den Bereich sehr schnell als "kleines Belsen".

Die Nachkriegsnutzung war vielfältig: bis 1948 Internierungslager
vorwiegend für SS-Angehörige und höhere NS-Funktionäre, danach dienten
die noch erhaltenen Baracken als Strafgefängnis (bis 1952) und als
Notaufnahmelager für jugendliche männliche DDR-Flüchtlinge (bis 1960).
Später nutzte die Bundeswehr die noch vorhandenen Bauten, anschließend
entstand dort ein Gewerbegebiet. Seit 1992 bemühte sich der Verein
"Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel" darum, am Ort des
ehemaligen Lagers in den noch erhaltenen Baracken eine Gedenkstätte
einzurichten. Seine beharrliche Arbeit hatte 2007 Erfolg.

Insoweit ist die Ausgangssituation ähnlich wie an anderen früheren
Lagerstandorten, z.B. in der ostwestfälischen Senne oder im
nordhessischen Ziegenhain. Dass sich die Gedenkstätte Sandbostel dann
anders und vorbildlich entwickelt hat, liegt - neben den vielen noch
erhaltenen Gebäuden - in erster Linie an einem übergreifenden
politischen Konsens hinsichtlich der Gedenkstättenarbeit, der sich 2004
in der Gründung einer Stiftung manifestierte, durch die unter anderem
Bund, Land, Kreis, Kommunen und Kirchen eingebunden wurden. Eigentlich
beinahe ein Wunder!

Der Katalog orientiert sich an der Chronologie und fasst eigentlich zwei
Ausstellungen zusammen. Teil 1, etwa drei Viertel des Buches, hat die
Geschichte des Stalag X B bis zum April 1945 zum Gegenstand. In mehreren
Kapiteln werden Lageralltag und Arbeitseinsatz der Kriegsgefangenen in
vielen Facetten dargestellt, wobei die Autorinnen und Autoren den
sowjetischen Kriegsgefangenen und den italienischen Militärinternierten
ein eigenes Kapitel widmen, da beide Gruppen in der
Kriegsgefangenen-Hierarchie aus rassistischen und politischen Gründen
ganz unten angesiedelt waren und die meisten Opfer aus ihren Reihen
stammten. Hier wäre es eventuell vorteilhafter gewesen, das den ersten
Teil abschließende große Kapitel über die verschiedenen Nationalitäten
aus Vergleichsgründen unmittelbar anzuschließen. Ausführlich wird das
zwar zeitlich kurze, aber grauenhafteste Kapitel der Lagergeschichte
geschildert, das Leben und vor allem der massenhafte Tod der Neuengammer
KZ-Häftlinge. Bemerkenswert ist ein eigenes Kapitel über die
Wachmannschaften des Kriegsgefangenenlagers.

Teil 2 beginnt mit der Befreiung, eine Einteilung, die sich nur
nachvollziehen lässt, wenn man weiß, dass die Ausstellung in zwei
unterschiedlichen Gebäuden gezeigt wird. Im Katalog wäre dieser Textteil
thematisch als Abschluss von Teil 1 sinnvoller gewesen, zumal es dort
schon ein Kapitel "Befreiung und Leben nach dem Krieg" gibt. Ansonsten
stellt jener zweite Teil eigentlich die typische vielfältige Nutzung
ehemaliger Lagerstandorte bis heute dar.

In jedem Kapitel findet der Leser zunächst etwa zehn bis zwölf Seiten
mit vielen unbekannten Fotos nicht zuletzt aus Privatbesitz, was
sicherlich auch als Zeichen für die Akzeptanz der Gedenkstätte innerhalb
der Bevölkerung zu werten ist. Hinzu kommen Pläne oder - gelegentlich
etwas klein geratene - Aktenreproduktionen, versehen mit kurzen, aber
informativen Kommentaren. In Teil 2 nehmen die Fotos
überlieferungsbedingt einen breiteren Raum ein. Hervorzuheben ist der
häufige Perspektivwechsel: Immer wieder stellen Fotos und Dokumente
individuelle Schicksale in den Vordergrund, etwa Privataufnahmen vom
Kriegsgefangeneneinsatz in der Landwirtschaft (S. 154f.),
Filmstandbilder von der Befreiung (S. 280f.), die Lebensverhältnisse des
Gefängnisaufsehers Wanninger Anfang der 1950er-Jahre (S. 316f.) oder
Besuche von Angehörigen ehemaliger Häftlinge bzw. Kriegsgefangenen. Das
gilt auch für das Kapitel "Arbeitskommandos", das mit seinem
geographischen Bezug für Besucher aus der Region von besonderem
Interesse sein dürfte.

Jedem Kapitel folgt eine etwa fünf Seiten umfassende, leicht
verständliche Einordnung in den historischen Zusammenhang, die sich
nicht nur auf der Höhe des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes
befindet, sondern auf auch auf Forschungslücken im Themenbereich
"Kriegsgefangene" aufmerksam macht. Forschung zu Sandbostel selbst fand
und findet, wie anderenorts auch, freilich nur im Rahmen der regionalen
Erinnerungskultur statt. An Universitäten sucht man solche Themen nahezu
vergebens.

Schon 1991 hatten Werner Borgsen und Klaus Volland mit ihrer Monographie
zum Stalag X B Sandbostel die erste größere Publikation zu einem
Kriegsgefangenenlager überhaupt vorlegt[1] und damit Maßstäbe gesetzt,
vor allem, weil sie sehr stark die mündliche Überlieferung in ihre
Darstellung einfließen ließen. Jetzt, 24 Jahre später, setzt dieser
Katalog ähnliche Maßstäbe, und soweit in fernerer Zukunft andere
Gedenkstätten finanziell dazu in der Lage sein sollten, einen
Ausstellung nebst einem vergleichbaren Katalog zusammenzustellen, werden
ihre Darstellungen an diesem Buch gemessen werden. Die Latte liegt
hoch.


Anmerkung:
[1] Werner Borgsen / Klaus Volland, Stalag X B Sandbostel. Zur
Geschichte eines Kriegsgefangenen- und KZ-Auffanglagers in
Norddeutschland 1939-1945, Bremen 1991.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Ulrich Prehn <prehnulr(a)... zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2015-4-100>