Brutal,
blutrünstig und barbarisch?
Sie galten einst als die besten
Soldaten der Welt: die hessische Soldaten, die im Amerikanischen
Unabhängigkeitskrieg mitkämpften. Grausam sollen sie gewesen sein. Der Fund auf
einem Dachboden in Gilsa zeigt ein anderes Bild.
Der blutrünstige Hesse – dieses
Klischee hält sich eisern in amerikanischen Filmen. "Aber nun ist der Hesse
erwacht. Er ist auf seinem Rachefeldzug, schlägt jedem den Kopf ab, der seinen
Weg kreuzt." Was ist dran an diesem miserablen Ruf? Wer waren die "Hessians"
wirklich?
Im Staatsarchiv Marburg hütet Holger
Thomas Gräf den größten Schatz der "Hessians". Es sind ganz persönliche,
unzensierte Frontberichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Sechs Soldaten aus
der Gegend um Kassel haben sie verfasst. Es sind rund 130 Briefe.
Über 230 Jahre lang lagen sie dann
unbemerkt im nordhessischen Gilsa auf einem Dachboden. "Für mich war das eine
einzige Sternstunde als ich die im Familienarchiv von Gilsa gefunden habe im
März 2007", sagt Holger Thomas Gräf von der Historische Kommission für Hessen
und Mitverfasser eines gerade erschienenen Buches. "Es handelt sich ja um
Privatbriefe, die eben normalerweise am staatlichen Archiv nicht landen, sondern
in Privatbesitz sind und über die Jahrhunderte oft verloren gegangen sind."
Der Adressat der Briefe war Kriegsrat
Ernst von Gilsa. Aus dem Siebenjährigen Krieg kam er als Invalide zurück, konnte
deswegen nicht mit nach Amerika fahren. Einer seiner Kameraden bedauerte das
sehr: "Liebster Gilsa, Ihr Gedancke, bester Freund, mitzumarschieren, gefällt
mir. Schon tausendmal dachte ich, warum blieb doch mein vortrefflicher Gilsa
nicht beym Militär?"
Wie passt dieser liebevolle Ton zum
grausamen Ruf der Hessians? Waren sie wirklich so blutrünstig? 1776 kämpften
hessische Soldaten im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg auf der Seite der
britischen Kolonialherren gegen die amerikanischen Freiheitskämpfer. Entgegen
aller hartnäckigen Gerüchte: Die Hessians waren nicht zwangsrekrutiert, sondern
extrem disziplinierte und professionelle Berufssoldaten - auch die Kameraden von
Ernst von Gilsa!
"Die kannten sich teilweise schon aus
dem Siebenjährigen Krieg, waren teilweise also altgedient", so Gräf. "Und im
Offiziersrang. Bürgersöhne, die Offizier wurden, haben damit ja gleichzeitig
einen sozialen Aufstieg absolviert, das ging bis zur Erhebung in den
Adelsstand."
Viele dienten aber auch schlicht aus
reiner Not. Die hessische Bevölkerung war damals bitterarm. Die
landwirtschaftlichen Erträge gering. Immer wieder drohten Hungersnöte. Von dem
Geld, das die Soldaten nach Hause schickten, ist Ende des 18. Jahrhunderts so
manches Fachwerkhaus rund um Kassel gebaut worden, heißt es.
Auch Landgraf Friedrich II. von
Hessen-Kassel profitierte maßgeblich davon, dass er sein Heer an andere Staaten
- neben Großbritannien zum Beispiel auch an die Niederlande - ja, verkaufte.
Kaum zu glauben, aber Soldatenhandel war damals üblich und lukrativ! Auch das
Staatsbad Wilhelmsbad in Hanau wurde mit Einnahmen aus dem Soldatenhandel
gebaut. "Die hessischen Landgrafen, beziehungsweise Kurfürsten galten dann als
die reichsten Fürsten im deutschen Reich insgesamt", so Gräf.
Damals war das Kurstädtchen Bad
Karlshafen nördlich von Kassel das Tor zur Nordsee. Im März 1776 fuhren die
ersten Soldaten von hier aus die Weser hinab, Richtung Bremen - 200 Jahre später
aufwändig inszeniert in der hr-Produktion "Der Winter, der ein Sommer war." Fast
25.000 Hessians waren es am Ende, die über den Atlantik nach New York
aufbrachen.
Erst vier Monate später, im Juni,
kamen sie an. Schon kurz darauf eroberten die "Hessians" große Flächen Land
entlang der 2.500 Kilometer langen Ostküste. Gleichzeitig kämpften sie sich als
die Bösen für immer ins kollektive Gedächtnis der Amerikaner. Kaum dass es Kino
gab, entstand ein Stummfilm. Darin töten die Hessians einen amerikanischen
Kundschafter, essen und trinken, während der Tote daneben am Boden liegt.
Die "Hessians" sind ein willkommenes
Feindbild. Bis heute. "Entscheidend war", betont Gräf, "dass die amerikanische
Presse daran gearbeitet hat, ein negatives Feindbild aufzubauen. Was Amerika
auch dringend nötig hatte, wenn 13 Kolonien in den Aufstand eintreten, die eine
sehr hohe Eigenidentität hatten, die sehr unterschiedlich waren, – und hier hat
man die Hessen genutzt um ein gemeinsames Feindbild zu kreieren."
Doch nach nur sechs Monaten bekam der
Mythos der Unbesiegbarkeit deutliche Kratzer: Am 26. Dezember 1776 verloren die
Hessen bei Trenton eine entscheidende Schlacht. Die Amerikaner machten fast
1.000 Gefangene. Das war der psychologische Wendepunkt, sagt Gräf: "In den
ersten Monaten nach Trenton hat man eben auch gemerkt, dass man diesen Krieg
kaum gewinnen kann."
Ja, die Stimmung der "Hessians"
schlägt sogar um in eine regelrechte Bewunderung für die Amerikaner. "Ihr
Enthusiasmus für die Freiheit wird täglich größer. Ich zweifle nicht, daß die
americanische Nation andern Nationen nicht nur gleichkommen, sondern vorrücken
wird," schreibt einer der Kameraden an Ernst zu Gilsa. Doch erst sechs Jahre
später waren die Briten und damit auch die "Hessians" endgültig geschlagen.
An ihrem Ruf hat das nichts geändert.
Ihr Einsatz im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg ist wahrscheinlich das
spektakulärste Kapitel hessischer Militärgeschichte. Jetzt nachzulesen in diesem
neu erschienenen Buch.
Ein Beitrag von Dorothea Windolf
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Buchtipp
Holger Th. Gräf, Andreas Hedwig,
Annegret Wenz-Haubfleisch: Die Hessians im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg
(1776 - 1783): Neue Quellen, neue Medien, neue Forschungen.
Verlag: Historische Kommission für
Hessen. 2014.
ISBN-10: 3942225271. 28
Euro.