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2014/07/18 09:19:12
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Lebenserinnerungen des Johann Ludwig Zeitz
Datum 2014/07/20 21:04:31
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Die Hungerkrisen der "Kleinen Eiszeit" (1300-1800).
2014/07/01 21:45:23
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Grenzen des Denken und Handelns
Betreff 2014/07/12 14:00:05
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Hof Haupenthal und Obersöte rn, Siedlungsgeschichte des Hochwaldes
2014/07/18 09:19:12
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Lebenserinnerungen des Johann Ludwig Zeitz
Autor 2014/07/20 21:04:31
Roland Geiger via Regionalforum-Saar
[Regionalforum-Saar] Die Hungerkrisen der "Kleinen Eiszeit" (1300-1800).

[Regionalforum-Saar] Henry Ford - eine Biographie

Date: 2014/07/20 21:03:49
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...

From:    Rüdiger Hachtmann <hachtmann(a)...   21.07.2014
Subject: Rez. NEG: Vincent Curcio: Henry Ford
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Curcio, Vincent: Henry Ford (= OUP USA Locke Lecture Series). New York:
Oxford University Press 2013. ISBN 978-0-19-531692-6; XIII, 306 S.; $
24.95 / £ 16.99.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Rüdiger Hachtmann, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
E-Mail: <hachtmann(a)... sich grob über das Leben Henry Fords (1863-1947) informieren will,
ist mit der hier vorzustellenden, leicht lesbaren Biographie des
US-amerikanischen Automobilkönigs gut bedient. Vincent Curcio ist kein
Historiker, sondern war jahrzehntelang Direktor des White Barn Theater
in Norwalk / Connecticut; in den letzten Jahren hat er sich erfolgreich
als Sachbuchautor versucht (unter anderem mit einer Biographie über
Walter P. Chrysler).

Das jetzige Buch ist übersichtlich in insgesamt elf Kapitel gegliedert.
In den ersten beiden Kapiteln bietet Curcio aufschlussreiche, bisher
nicht oder kaum bekannte Informationen aus den ersten drei
Lebensjahrzehnten Fords. In den folgenden Kapiteln skizziert der Autor
den Aufstieg des Ford'schen Unternehmensimperiums und liefert auch hier
interessante Einzelheiten. So schildert Curcio zum Beispiel ausführlich,
dass Ford selbst an den damals üblichen Autorennen teilnahm, obwohl ihm
diese eigentlich zuwider waren. Der Grund: Der Sieg in einem solchen
Wettkampf konnte schon damals eine ungemeine Werbekraft entfalten und
machte zahllose potentielle Käufer auf "sein" Auto aufmerksam (S.
34ff.). Im fünften Kapitel wird die Vorgeschichte des berühmten Modells
T (S. 58ff.) ausführlich dargestellt. Gerade hier zeigt sich ein großer
Vorzug der Biographie Curcios: Er skizziert längerfristige Veränderungen
und führt die Implementierung des Fließbandes in den Ford'schen Werken
nicht etwa auf einen genialen Gedankenblitz Fords zurück, sondern
beschreibt sie als Resultat einer längeren Entwicklung (S. 69ff.).

Etwas krampfhaft wirkt dagegen die Abgrenzung der Ford'schen Prinzipien
von Frederic W. Taylor und dessen Konzept einer systematischen
Arbeitszerlegung zwecks Intensivierung der Arbeit (S. 72f.). Tatsächlich
war der Taylorismus Voraussetzung und Bestandteil der Einführung
fordistischer Produktionsregime. Die enormen Belastungen für den
einzelnen Arbeiter, die die monotone Bandarbeit und die rücksichtslose
Heraufsetzung des Tempos des fließenden Bandes mit sich brachten, deutet
Curcio an verschiedenen Stellen immerhin an - etwa wenn er in Kapitel 7
schreibt, dass kein Arbeiter, der mit den Fließbändern Fords
Bekanntschaft gemacht hatte, bei den berühmten ersten Szenen aus Charlie
Chaplins "Modern Times" lachen konnte; "it was simply too true to be
funny" (S. 128).

Ein weiteres Kapitel ist den politischen Initiativen Fords gewidmet,
namentlich seiner gescheiterten Friedensmission Ende 1915, als er mit
einem gecharterten Hochseedampfer gen Europa fuhr, die Alte Welt jedoch
nicht davon überzeugen konnte, die Kriegsmetzeleien einzustellen, sowie
seinen vergeblichen Versuchen, in den US-Kongress gewählt zu werden und
als Präsident zu kandidieren - Kampagnen, die vordergründig scheiterten,
gleichwohl seinen ohnehin hohen Bekanntheitsgrad weiter steigerten und
damit indirekt seinem Unternehmen zugute kamen. Andere Passagen
schildern die persönlichen Freundschaften Fords, etwa zu Thomas Edison
und die Camping Trips beider. Die abschließenden Kapitel widmen sich den
letzten Lebensjahrzehnten Fords. Auch hier erfährt man bisher wenig
Bekanntes - etwa dass Ford, der aus seinen Arbeitern puritanisch
sittsame Menschen und gute Familienväter machen wollte, diesen Idealen
selbst nicht unbedingt folgte und mit seiner Sekretärin einen
unehelichen Sohn zeugte (S. 193f.). Auf die Darstellung der Geschichte
"Fordlandias", einer von Ford initiierten konkreten Sozialutopie im
Amazonasbecken, die - konzipiert als riesige Kautschuk-Plantage -
gleichzeitig exemplarisch für das autarkistische Unternehmenskonzept
Fords steht, und anderer ähnlicher Projekte verzichtet Curcio, mit
Verweis auf die tatsächlich großartige Darstellung von Greg Grandin.[1]
Ärgerlich ist dagegen, dass es dem Leser nicht möglich ist,
Feststellungen und Zitate Curcios genauer zu überprüfen. Anmerkungen
fehlen, und die bibliographischen Hinweise zu den "Quellen" bieten
lediglich einige Lesetipps. Nützlich ist dagegen das elaborierte
Register.

Offensichtlich ist, dass Curcios Biographie vor allem an
US-amerikanische Leser gerichtet ist. Nachsehen mag man dem Verfasser,
dass er der in Europa je nach Nation sehr unterschiedlichen Rezeption
der unter dem Schlagwort "Fordismus" höchst populären ökonomischen wie
weltanschaulichen Vorstellungen Fords nicht weiter nachspürt; dies hätte
zweifellos den Rahmen einer Biographie gesprengt. Doch werden auch die
subjektive Sicht Fords selbst auf Europa und besonders die
Konstellationen in Deutschland lediglich am Rande angesprochen und
tendenziell auf Klischees verengt. Das Verhältnis Fords zur NS-Bewegung
und zum NS-Regime ist Curcio nur wenige Zeilen wert. Interessant ist
immerhin eine beiläufig eingeschobene Bemerkung: Die Frage, ob Ford den
frühen Nazis Gelder habe zukommen lassen, könne heute nicht mehr
beantwortet werden, da die Archivdokumente der Ford Motor Company in den
1960er-Jahren vernichtet worden seien (S. 155).

Eine Reihe grundsätzlicher Schwächen der Biographie ist nicht zu
übersehen. Die drei wichtigsten: Erstens bagatellisiert Curcio wortreich
in einem eigenständigen Kapitel den Antisemitismus Fords[2], etwa wenn
er mehrfach betont, dessen Judenhass sei nicht mit demjenigen der Nazis
zu vergleichen. Ford habe sich lediglich nostalgisch in eine "social
past" zurückgesehnt, als er seine antisemitischen Pamphlete verfasste
(S. 138f.). Curcio verniedlicht Fords Antisemitismus zu einem moderaten
"Anti-Judaismus" und macht letztlich andere für dessen judenfeindliche
Ausfälle verantwortlich. Er suggeriert eine Harmlosigkeit des Ford'schen
Antisemitismus, indem er feststellt, dass anti-jüdische Tendenzen in den
1920er- und 1930er-Jahren in den USA weit verbreitet gewesen seien (was
stimmt) und dass Ford selbst mit mehreren Juden eng befreundet gewesen
sei - eine namentlich in der Bundesrepublik nach 1945 gern verwendete
exkulpatorische Rhetorik.

Zweitens: Harry Bennett und der von diesem in den Ford-Werken
aufgebaute, brutale Sicherheitsdienst werden zwar erwähnt, ebenso dessen
enge Kontakte zur Mafia, zum FBI sowie zu den lokalen Dearborner
Faschisten (S. 224, S. 247). Angesprochen wird auch der Hungermarsch von
entlassenen Ford-Arbeitern Anfang März 1937, den Bennett rigoros
niederschießen ließ (vier Tote). Curcio geht jedoch nicht der Frage
nach, ob Bennett, von 1915 bis 1944 einer der engsten Vertrauten Fords
und diesem blind ergeben, mit seinen Schlägertrupps und seinem
Spitzelsystem neben der Mafia europäischen Vorbildern (S. 224, S. 230)
folgte oder aber ob dieses System umgekehrt für die SA und andere, gegen
die Arbeiterbewegung aufgebaute faschistische Milizen in Europa zum
Vorbild wurde. In Deutschland jedenfalls fühlten sich 1933 Ford-Arbeiter
an Bennett und seinen "Werkschutz" erinnert, als sie Bekanntschaft mit
Gestapo-Methoden machen mussten.[3]

Schwerer wiegt drittens, dass Curcio sich zwar bemüht, die Ambivalenz
der Persönlichkeit Fords herauszuarbeiten; er lässt dessen skurrile
Eigenheiten sowie sein herrisches Auftreten nicht unerwähnt. Dennoch
macht er ihn unfreiwillig zur Ikone, und zwar auf zwei Ebenen: zum
einen, indem er Ford mit Columbus, Gutenberg und Luther vergleicht, die
als Persönlichkeiten gleichfalls ihre Schattenseiten gehabt hätten (S.
IX, S. XIII, S. 274). Auch wenn Ford wie kaum ein anderer Unternehmer
dem 20. Jahrhundert seinen Stempel aufgedrückt hat, ist dies doch zu
viel der Ehre. Zum anderen - und dies ist gravierender - dividiert
Curcio den angeblichen "Idealisten des Fünf-Dollar-Tages", der seine
Belegschaft mit zahllosen weiteren sozialen Wohltätigkeiten überschüttet
habe, einerseits sowie den Antisemiten und Gewerkschaftsfeind
andererseits auseinander (z.B. S. 229f.). Dieser für Curcio anscheinend
unerklärliche Zwiespalt hätte sich leicht auflösen lassen - wenn er den
Terminus "Social Engineering" nicht nur beiläufig erwähnt (S. 48, S.
74), sondern als Konzept ernstgenommen hätte. Oder wenn er dem Leser
wenigstens das 1922 erschienene, in Millionenauflage und in zahlreichen
Sprachen verbreitete Werk "My Life and Work" näher vorgestellt hätte.
Dann wäre er nicht so verwundert gewesen, dass Lockung und Zwang für
Ford und viele seiner Zeitgenossen wie selbstverständlich
zusammengehörten. Denn in diesem als Fords "Autobiographie" verkauften
Opus - tatsächlich wurde es vom Journalisten Samuel Crowther verfasst,
spiegelt jedoch treffend Fords Mentalität und Weltanschauung - sind
seine Affinitäten zu durchsetzungsstarken "Führern", zu autoritären
Regimen, seine Verachtung der unkalkulierbaren Massen und damit auch
seiner Beschäftigten sowie die Ablehnung jeglicher Form inner- wie
überbetrieblicher kollektiver Interessenvertretungen der
Arbeitnehmerseite unverklausuliert zu Papier gebracht. Nur mit den wenig
werbewirksamen antisemitischen Positionen, mit denen Ford zuvor in
zahlreichen Kolumnen des von ihm aufgekauften "Dearborn Independent" und
in weiteren Schriften Furore gemacht hatte, hielten er bzw. sein
Ghostwriter sich in "My Life and Work" zurück.

Wenn man bereit ist, über die genannten Schwächen hinwegzusehen, bietet
Curcios Biographie einen guten Überblick zum Leben der "most significant
figure of our age" (S. XII, S. 274) namens Henry Ford.


Anmerkungen:
[1] Greg Grandin, Fordlandia. The Rise and Fall of Henry Ford's
Forgotten Jungle City, London 2010, sowie meine Rezension, in:
H-Soz-u-Kult, 29.11.2011,
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-151>
(27.06.2014).
[2] Vgl. Christiane Eifert, Antisemit und Autokönig. Henry Fords
Autobiographie und ihre deutsche Rezeption in den 1920er-Jahren, in:
Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 6 (2009),
S. 209-229,
<http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Eifert-2-2009>
(27.06.2014).
[3] Vgl. James J. Flink, The Automobile Age, Cambridge 1990, S. 125;
Chip Berlet / Matthew N. Lyons, Rightwing Populism in America. Too Close
for Comfort, New York 2000, S. 108.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Jan-Holger Kirsch