From: Rüdiger Hachtmann
<hachtmann(a)... 21.07.2014
Subject: Rez.
NEG: Vincent Curcio: Henry
Ford
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Curcio,
Vincent: Henry Ford (= OUP USA Locke Lecture Series). New York:
Oxford
University Press 2013. ISBN 978-0-19-531692-6; XIII, 306 S.; $
24.95 / £
16.99.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Rüdiger Hachtmann, Zentrum für
Zeithistorische Forschung Potsdam
E-Mail:
<hachtmann(a)... sich grob über das Leben Henry Fords
(1863-1947) informieren will,
ist mit der hier vorzustellenden, leicht
lesbaren Biographie des
US-amerikanischen Automobilkönigs gut bedient.
Vincent Curcio ist kein
Historiker, sondern war jahrzehntelang Direktor des
White Barn Theater
in Norwalk / Connecticut; in den letzten Jahren hat er
sich erfolgreich
als Sachbuchautor versucht (unter anderem mit einer
Biographie über
Walter P. Chrysler).
Das jetzige Buch ist
übersichtlich in insgesamt elf Kapitel gegliedert.
In den ersten beiden
Kapiteln bietet Curcio aufschlussreiche, bisher
nicht oder kaum bekannte
Informationen aus den ersten drei
Lebensjahrzehnten Fords. In den folgenden
Kapiteln skizziert der Autor
den Aufstieg des Ford'schen
Unternehmensimperiums und liefert auch hier
interessante Einzelheiten. So
schildert Curcio zum Beispiel ausführlich,
dass Ford selbst an den damals
üblichen Autorennen teilnahm, obwohl ihm
diese eigentlich zuwider waren. Der
Grund: Der Sieg in einem solchen
Wettkampf konnte schon damals eine ungemeine
Werbekraft entfalten und
machte zahllose potentielle Käufer auf "sein" Auto
aufmerksam (S.
34ff.). Im fünften Kapitel wird die Vorgeschichte des
berühmten Modells
T (S. 58ff.) ausführlich dargestellt. Gerade hier zeigt
sich ein großer
Vorzug der Biographie Curcios: Er skizziert längerfristige
Veränderungen
und führt die Implementierung des Fließbandes in den Ford'schen
Werken
nicht etwa auf einen genialen Gedankenblitz Fords zurück,
sondern
beschreibt sie als Resultat einer längeren Entwicklung (S.
69ff.).
Etwas krampfhaft wirkt dagegen die Abgrenzung der Ford'schen
Prinzipien
von Frederic W. Taylor und dessen Konzept einer
systematischen
Arbeitszerlegung zwecks Intensivierung der Arbeit (S. 72f.).
Tatsächlich
war der Taylorismus Voraussetzung und Bestandteil der
Einführung
fordistischer Produktionsregime. Die enormen Belastungen für
den
einzelnen Arbeiter, die die monotone Bandarbeit und die
rücksichtslose
Heraufsetzung des Tempos des fließenden Bandes mit sich
brachten, deutet
Curcio an verschiedenen Stellen immerhin an - etwa wenn er
in Kapitel 7
schreibt, dass kein Arbeiter, der mit den Fließbändern
Fords
Bekanntschaft gemacht hatte, bei den berühmten ersten Szenen aus
Charlie
Chaplins "Modern Times" lachen konnte; "it was simply too true to
be
funny" (S. 128).
Ein weiteres Kapitel ist den politischen
Initiativen Fords gewidmet,
namentlich seiner gescheiterten Friedensmission
Ende 1915, als er mit
einem gecharterten Hochseedampfer gen Europa fuhr, die
Alte Welt jedoch
nicht davon überzeugen konnte, die Kriegsmetzeleien
einzustellen, sowie
seinen vergeblichen Versuchen, in den US-Kongress gewählt
zu werden und
als Präsident zu kandidieren - Kampagnen, die vordergründig
scheiterten,
gleichwohl seinen ohnehin hohen Bekanntheitsgrad weiter
steigerten und
damit indirekt seinem Unternehmen zugute kamen. Andere
Passagen
schildern die persönlichen Freundschaften Fords, etwa zu Thomas
Edison
und die Camping Trips beider. Die abschließenden Kapitel widmen sich
den
letzten Lebensjahrzehnten Fords. Auch hier erfährt man bisher
wenig
Bekanntes - etwa dass Ford, der aus seinen Arbeitern
puritanisch
sittsame Menschen und gute Familienväter machen wollte, diesen
Idealen
selbst nicht unbedingt folgte und mit seiner Sekretärin
einen
unehelichen Sohn zeugte (S. 193f.). Auf die Darstellung der
Geschichte
"Fordlandias", einer von Ford initiierten konkreten Sozialutopie
im
Amazonasbecken, die - konzipiert als riesige Kautschuk-Plantage
-
gleichzeitig exemplarisch für das autarkistische
Unternehmenskonzept
Fords steht, und anderer ähnlicher Projekte verzichtet
Curcio, mit
Verweis auf die tatsächlich großartige Darstellung von Greg
Grandin.[1]
Ärgerlich ist dagegen, dass es dem Leser nicht möglich
ist,
Feststellungen und Zitate Curcios genauer zu überprüfen.
Anmerkungen
fehlen, und die bibliographischen Hinweise zu den "Quellen"
bieten
lediglich einige Lesetipps. Nützlich ist dagegen das
elaborierte
Register.
Offensichtlich ist, dass Curcios Biographie vor
allem an
US-amerikanische Leser gerichtet ist. Nachsehen mag man dem
Verfasser,
dass er der in Europa je nach Nation sehr unterschiedlichen
Rezeption
der unter dem Schlagwort "Fordismus" höchst populären ökonomischen
wie
weltanschaulichen Vorstellungen Fords nicht weiter nachspürt; dies
hätte
zweifellos den Rahmen einer Biographie gesprengt. Doch werden auch
die
subjektive Sicht Fords selbst auf Europa und besonders
die
Konstellationen in Deutschland lediglich am Rande angesprochen
und
tendenziell auf Klischees verengt. Das Verhältnis Fords zur
NS-Bewegung
und zum NS-Regime ist Curcio nur wenige Zeilen wert. Interessant
ist
immerhin eine beiläufig eingeschobene Bemerkung: Die Frage, ob Ford
den
frühen Nazis Gelder habe zukommen lassen, könne heute nicht
mehr
beantwortet werden, da die Archivdokumente der Ford Motor Company in
den
1960er-Jahren vernichtet worden seien (S. 155).
Eine Reihe
grundsätzlicher Schwächen der Biographie ist nicht zu
übersehen. Die drei
wichtigsten: Erstens bagatellisiert Curcio wortreich
in einem eigenständigen
Kapitel den Antisemitismus Fords[2], etwa wenn
er mehrfach betont, dessen
Judenhass sei nicht mit demjenigen der Nazis
zu vergleichen. Ford habe sich
lediglich nostalgisch in eine "social
past" zurückgesehnt, als er seine
antisemitischen Pamphlete verfasste
(S. 138f.). Curcio verniedlicht Fords
Antisemitismus zu einem moderaten
"Anti-Judaismus" und macht letztlich andere
für dessen judenfeindliche
Ausfälle verantwortlich. Er suggeriert eine
Harmlosigkeit des Ford'schen
Antisemitismus, indem er feststellt, dass
anti-jüdische Tendenzen in den
1920er- und 1930er-Jahren in den USA weit
verbreitet gewesen seien (was
stimmt) und dass Ford selbst mit mehreren Juden
eng befreundet gewesen
sei - eine namentlich in der Bundesrepublik nach 1945
gern verwendete
exkulpatorische Rhetorik.
Zweitens: Harry Bennett und
der von diesem in den Ford-Werken
aufgebaute, brutale Sicherheitsdienst
werden zwar erwähnt, ebenso dessen
enge Kontakte zur Mafia, zum FBI sowie zu
den lokalen Dearborner
Faschisten (S. 224, S. 247). Angesprochen wird auch
der Hungermarsch von
entlassenen Ford-Arbeitern Anfang März 1937, den Bennett
rigoros
niederschießen ließ (vier Tote). Curcio geht jedoch nicht der
Frage
nach, ob Bennett, von 1915 bis 1944 einer der engsten Vertrauten
Fords
und diesem blind ergeben, mit seinen Schlägertrupps und
seinem
Spitzelsystem neben der Mafia europäischen Vorbildern (S. 224, S.
230)
folgte oder aber ob dieses System umgekehrt für die SA und andere,
gegen
die Arbeiterbewegung aufgebaute faschistische Milizen in Europa
zum
Vorbild wurde. In Deutschland jedenfalls fühlten sich 1933
Ford-Arbeiter
an Bennett und seinen "Werkschutz" erinnert, als sie
Bekanntschaft mit
Gestapo-Methoden machen mussten.[3]
Schwerer wiegt
drittens, dass Curcio sich zwar bemüht, die Ambivalenz
der Persönlichkeit
Fords herauszuarbeiten; er lässt dessen skurrile
Eigenheiten sowie sein
herrisches Auftreten nicht unerwähnt. Dennoch
macht er ihn unfreiwillig zur
Ikone, und zwar auf zwei Ebenen: zum
einen, indem er Ford mit Columbus,
Gutenberg und Luther vergleicht, die
als Persönlichkeiten gleichfalls ihre
Schattenseiten gehabt hätten (S.
IX, S. XIII, S. 274). Auch wenn Ford wie
kaum ein anderer Unternehmer
dem 20. Jahrhundert seinen Stempel aufgedrückt
hat, ist dies doch zu
viel der Ehre. Zum anderen - und dies ist gravierender
- dividiert
Curcio den angeblichen "Idealisten des Fünf-Dollar-Tages", der
seine
Belegschaft mit zahllosen weiteren sozialen Wohltätigkeiten
überschüttet
habe, einerseits sowie den Antisemiten und
Gewerkschaftsfeind
andererseits auseinander (z.B. S. 229f.). Dieser für
Curcio anscheinend
unerklärliche Zwiespalt hätte sich leicht auflösen lassen
- wenn er den
Terminus "Social Engineering" nicht nur beiläufig erwähnt (S.
48, S.
74), sondern als Konzept ernstgenommen hätte. Oder wenn er dem
Leser
wenigstens das 1922 erschienene, in Millionenauflage und in
zahlreichen
Sprachen verbreitete Werk "My Life and Work" näher vorgestellt
hätte.
Dann wäre er nicht so verwundert gewesen, dass Lockung und Zwang
für
Ford und viele seiner Zeitgenossen wie
selbstverständlich
zusammengehörten. Denn in diesem als Fords
"Autobiographie" verkauften
Opus - tatsächlich wurde es vom Journalisten
Samuel Crowther verfasst,
spiegelt jedoch treffend Fords Mentalität und
Weltanschauung - sind
seine Affinitäten zu durchsetzungsstarken "Führern", zu
autoritären
Regimen, seine Verachtung der unkalkulierbaren Massen und damit
auch
seiner Beschäftigten sowie die Ablehnung jeglicher Form inner-
wie
überbetrieblicher kollektiver Interessenvertretungen
der
Arbeitnehmerseite unverklausuliert zu Papier gebracht. Nur mit den
wenig
werbewirksamen antisemitischen Positionen, mit denen Ford zuvor
in
zahlreichen Kolumnen des von ihm aufgekauften "Dearborn Independent"
und
in weiteren Schriften Furore gemacht hatte, hielten er bzw.
sein
Ghostwriter sich in "My Life and Work" zurück.
Wenn man bereit
ist, über die genannten Schwächen hinwegzusehen, bietet
Curcios Biographie
einen guten Überblick zum Leben der "most significant
figure of our age" (S.
XII, S. 274) namens Henry Ford.
Anmerkungen:
[1] Greg Grandin,
Fordlandia. The Rise and Fall of Henry Ford's
Forgotten Jungle City, London
2010, sowie meine Rezension, in:
H-Soz-u-Kult,
29.11.2011,
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-151>
(27.06.2014).
[2]
Vgl. Christiane Eifert, Antisemit und Autokönig. Henry Fords
Autobiographie
und ihre deutsche Rezeption in den 1920er-Jahren, in:
Zeithistorische
Forschungen / Studies in Contemporary History 6 (2009),
S.
209-229,
<http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Eifert-2-2009>
(27.06.2014).
[3]
Vgl. James J. Flink, The Automobile Age, Cambridge 1990, S. 125;
Chip Berlet
/ Matthew N. Lyons, Rightwing Populism in America. Too Close
for Comfort, New
York 2000, S. 108.
Diese Rezension wurde redaktionell betreut
von:
Jan-Holger Kirsch