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2013/09/01 19:57:15
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] aus mangel des gesichts => die frau war blind!
Datum 2013/09/04 08:15:04
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Dachbodenfund in Niedersachsen
2013/09/01 19:13:13
Michaela Becker
[Regionalforum-Saar] Tag des offenen Denkmals in Wellesweiler am 08.09.2013
Betreff 2013/09/15 09:48:52
Jean Nicolas Bouschbacher
[Regionalforum-Saar] Veranstaltung in Forbach am 21 und 22 September 2013 Genealogie und Heimatkunde im Bassin Houiller de Lorraine
2013/09/01 19:57:15
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] aus mangel des gesichts => die frau war blind!
Autor 2013/09/04 08:15:04
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Dachbodenfund in Niedersachsen

[Regionalforum-Saar] Tagber: Formen mittelalterlicher Kommunikation

Date: 2013/09/04 08:09:21
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

From:    Ralf Lützelschwab <luetzel(a)...   03.09.2013
Subject: Tagber: Formen mittelalterlicher Kommunikation
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Deutsches Historisches Institut Paris (DHIP)
Organisation: Ralf Lützelschwab, Freie Universität Berlin; Julian
Führer, Rolf Große, DHIP; Martine Clouzot, Université de Bourgogne,
Dijon
07.07.2013-10.07.2013, Paris

Bericht von:
Ralf Lützelschwab, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität
Berlin
E-Mail: <luetzel(a)... wenn die Begrifflichkeit allgegenwärtig scheint: Eine verbindliche
Definition dessen, was unter "Kommunikation im Mittelalter" zu verstehen
ist, existiert nicht. Hinter dem Oberbegriff "Kommunikation" verbirgt
sich eine Vielzahl unterschiedlicher Verständigungs- und
Ausdrucksformen. Theorie und Praxis präsentieren sich ausgesprochen
vielschichtig: Definitorische Vereinfachungen verbieten sich deshalb von
selbst. Gleichwohl hat die mediävistische Kommunikationsforschung in den
vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl von Aspekten behandelt, die
Annäherungen an den Problemkomplex erlauben.

In einem vom Deutschen Historischen Institut Paris veranstalteten und
von der Deutsch-Französischen Hochschule in Saarbrücken maßgeblich
mitfinanzierten dreitägigen "Atelier" wurde über diese unterschiedlichen
Erklärungs- und Deutungsansätze diskutiert.

Eingeladen waren 20 Teilnehmer, vornehmlich Doktorandinnen und
Doktoranden aus Frankreich und Deutschland, die Einblick in ihre
laufenden Forschungsvorhaben gaben. Kommentiert wurden die jeweiligen
Präsentationen von zehn ausgewiesenen Kommunikationsforschern aus
Frankreich, den Niederlanden und Deutschland.

Nach einer Einführung in die Thematik durch RALF LÜTZELSCHWAB (Berlin)
richtete sich der Blick in der aus vier Vorträgen bestehenden ersten
Sektion zunächst auf den "Anderen" (L'"Autre"). KATHARINA TUGEND
(Duisburg-Essen) behandelte in ihrem Beitrag den Briefwechsel zwischen
Francesco di Marco Datini, einem wohlhabenden Kaufmann aus Prato, und
seiner Ehefrau Margherita (1384-1410). Das erhaltene Briefkorpus mit 434
Briefen legt Fragen nach der konkreten Ausgestaltung einer
"Fernbeziehung" nahe. Auf der Grundlage einer historischen
Diskursanalyse unter Berücksichtigung systemtheoretischer Ansätze wurden
nicht nur die verschiedenen Kommunikationsthemen erläutert, sondern auch
die Frage diskutiert, ob es einen Kommunikationscode "Liebe" gibt, der
in der Lage ist, eine briefliche Kommunikation zu strukturieren. Das
Medium des Briefes sollte auch in weiteren Vorträgen eine gewichtige
Rolle spielen, so in STEPHANIE CASPARIS (Bochum) Beitrag über
merowingische Königstöchter, deren Lebenswelten und Handlungsspielräume
im frühmittelalterlichen Europa. Unter Einbeziehung neuer, von der
Forschung kontrovers diskutierter Elitenkonzepte wurde Einblick in die
Analyse der schriftlichen Zeugnisse zu Königstöchtern als Formen
sozialer Kommunikation gegeben. VASILINA SIDOROVA (Moskau) sprach zum
Thema "Intercultural Communication and Perception of the "Other"
according to the French Historical Writings of the 10th-12th Centuries"
und verdeutlichte die Problematik regionenübergreifender Kommunikation
durch Reisende, Pilger, Diplomaten oder auch Soldaten. Mit einer
besonders herausgehobenen Legatenklasse beschäftigte sich ANDREAS
KISTNER (Düsseldorf): im Mittelpunkt standen die Kardinallegaten des
Avignoneser Papstes Innocenz VI., die - ähnlich wie bei den
Vorgängerpäpsten Johannes XXII. und Clemens VI. der Fall - als
Hauptprotagonisten päpstlicher Diplomatie anzusehen sind, deren Anzahl
aufgrund der schlecht erschlossenen Quellen jedoch derzeit noch schwer
abzuschätzen ist. Diskutiert wurde darüber, welche Kommunikationsmittel
und -wege von den päpstlichen Legaten vornehmlich verwandt wurden und
wie die Bedeutung des in den Quellen häufiger mit viva voce
umschriebenen mündlichen Austauschs heuristisch zu werten ist.

Die theologischen Dimensionen von Kommunikation standen im Fokus der
zweiten, abermals aus vier Vorträgen bestehenden Sektion, die von MARTA
BIGUS (Gent) mit Betrachtungen zur "Middle Dutch Exegesis of the
Decalogue" (1300-1550) eröffnet wurde. Auch hier ergaben sich
Anknüpfungspunkte zu bereits zuvor behandelten Aspekten: denn erfolgte
Exegese in Form von Predigt, ergibt sich zwangsläufig die Frage nach dem
performativen Akt und seiner Verschriftlichung. Welche Aussagen lassen
sich über die Beziehung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Medium
der Predigt treffen? HUGO PERINA (Dijon) näherte sich einem anderen
Medium und sprach über das kommunikative Potential von "L'Orgue alla
moderna. Diffusion d'un modèle florentin dans l'Italie renaissante
(1437-1550)". Er behandelte dabei sowohl das sonore als auch das
handwerklich-künstlerische Erscheinungsbild der italienischen
Renaissanceorgel und machte so auf ein Klangbild (mit seiner
architektonischen Hülle in Gestalt des Orgelgehäuses) aufmerksam, das
sich deutlich von dem unterschied, was nördlich der Alpen auf diesem
Gebiet anzutreffen war. IRINA REDKOVA (Moskau) richtete den Blick auf
"Kommunikationsformen in der monastischen Tradition des 12. Jahrhunderts
zwischen Norm und Realität" und berücksichtigte vor allem die konkreten
Auswirkungen des Schweigegebots in der klösterlichen kommunikativen
Praxis. Der kommunikativen Praxis von sozial marginalisierten Gruppen -
einem seit langem konstatierten Forschungsdesiderat - widmete sich
MICHAEL GORDIAN (London) und lieferte eine innovative Ergänzung zum
Komplex der symbolischen Kommunikation. Die Frage nach dem "Theater der
kleinen Leute" verweist auf Handlungen und Rituale, die sich zwar im
Kleinen entfalten, deshalb jedoch nicht unbedingt weniger "symbolisch"
sein müssen als das, was sich an der Spitze der Gesellschaft abspielt.

Die dritte Sektion widmete sich Aspekten von "Kunst und materieller
Kultur". Während EMILIE MARASZAK (Dijon) eindrücklich die politische
Aussagekraft von Miniaturen unter Beweis stellte, die sich in einer
heute in Dijon aufbewahrten, aus Akkon stammenden Handschrift aus der
zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts finden, verwies BRIGITTE HOTZ
(Aachen) auf das kommunikative Potential von Grabmalarchitektur bzw.
-skulptur während des Großen Schismas. In den Blick geriet
Sepulkralarchitektur, die als steingewordener Ausdruck päpstlicher
Legitimität post mortem zu begreifen ist, als letzte Äußerung in einem
Konkurrenzkampf, in dem sich Päpste und Gegenpäpste gegenüberstanden.

Medien der Heiligenverehrung im mittelalterlichen Svanetien bildeten den
Mittelpunkt der Ausführungen von MARINA KEVKHISVILI (Berlin/Florenz),
die Einblick in reiche, bisher nur ansatzweise erschlossene
hagiographische Quellen in Georgien gab - Artefakte, die häufig aus
Byzanz stammen und vor Jahrhunderten an einzelne Familien dieser
abgelegenen Region Georgiens zur sicheren Verwahrung übergeben worden
waren. Deren Nachfahren behüten sie noch heute und stehen dem Verlangen
der Forscher nach Katalogisierung und Beschreibung reserviert gegenüber.
URSULA GIESSMANN (Köln) richtete den Blick auf "Textilität - Die
Stofflichkeit Kölns im Spätmittelalter" und stellte ein umfangreiches
Quellenkorpus vor, das den spätmittelalterlichen städtischen Raum auf
ganz eigene Art und Weise prägte.

Die vierte Sektion beleuchtete das Verhältnis von "Kommunikation und
Historiographie".

Während ANASTASIA BRAKHMAN (Bochum) Formen literarischer Kommunikation
am ottonischen Herrscherhof vornehmlich am Beispiel Liutprands von
Cremona behandelte, richtete GIUSEPPE CUSA (Frankfurt a. M.) den Blick
auf kommunikative Aspekte in der Chronik des Paduaners Rolandinus und
hob dabei auf vier Beschreibungsebenen ab: inhaltlich,
stilistisch-konzeptuell, didaktisch-pädagogisch und rezeptiv. In beiden
Vorträgen war es das Verhältnis zwischen Verfasser der Chronik und
potentiellem Leser, das in den Blick geriet. Mit welchen Mitteln konnten
bestimmte Rezipientenkreise angesprochen und beeinflusst werden?

Aspekte von "Kommunikation und Konfliktlösung" wurden in der fünften
Sektion behandelt. Im Zentrum der Ausführungen von JEAN-DOMINIQUE DELLE
LUCHE (Paris) standen die Schützenfeste im spätmittelalterlichen Reich
und der daraus resultierende umfangreiche Briefverkehr zwischen den
einzelnen Teilnehmerstädten mit reichen Informationen zu Terminfindung,
Organisation, auftretenden Konflikten und deren Beilegung. FLORIAN DIRKS
(Erfurt) griff diese grundsätzlichen Fragen weiter auf und analysierte
die Mechanismen der Konfliktbeilegung auf spätmittelalterlichen
Tagfahrten zwischen Weser und Elbe. Im Beitrag von ARMANDO TORRES FAVAZ
(Dijon) wurden anhand der "enquêtes judiciaires" im Burgund des 12. und
13. Jahrhunderts Mechanismen der Informationsbeschaffung und
-übermittlung behandelt, während CHRISTINA WALDVOGEL (Leipzig) den Blick
auf drei spätmittelalterliche Gerichtsbücher aus Bautzen aus Sicht der
historischen Sprachwissenschaft richtete.

"Päpste und Kardinäle" bildeten schließlich den Mittelpunkt der sechsten
und letzten Sektion, in der SEBASTIAN T. ZANKE den Blick abermals auf
das Avignonesische Papsttum und den diplomatisch hocheffizienten Einsatz
von Legaten lenkte. VICTORIA TRENKLE (Erlangen) behandelte das Phänomen
des hochmittelalterlichen Kardinalats, dessen Vertreter sich - zumindest
bis ins späte 11. Jahrhundert - zumeist nur recht schemenhaft fassen
lassen. Hier soll prosopographische Grundlagenarbeit bald Abhilfe
schaffen. Beide Vorträge machten deutlich, dass die blühende
Kardinalatsforschung der vergangenen Jahre erfreulicherweise noch nicht
an ihr Ende gekommen ist.

Jeder Vortrag wurde zweifach kommentiert: ein Stipendiat und einer der
anwesenden Professoren richteten dabei den Blick sowohl auf inhaltliche
als auch auf methodische Aspekte - Aspekte, die ebenfalls Gegenstand der
lebhaften Diskussionen in Anschluss an jeden Vortrag waren. Diskussionen
fanden freilich nicht nur im Plenum statt: Ein Nachmittag war für
"Vier-Augen-Gespräche" zwischen Professoren und Stipendiaten
reserviert.

Insgesamt bewies das "Atelier" einmal mehr die interdisziplinäre
Anschlussfähigkeit des Konzepts "Kommunikation im Mittelalter".
"Symbolische Kommunikation" spielt dabei zwar nach wie vor eine zentrale
Rolle, doch wird das Lieblingskind kommunikationsgeschichtlicher
Untersuchungen der vergangenen Jahrzehnte inzwischen fruchtbringend
ergänzt durch Erkenntnisse weiterer historischer Disziplinen wie der
Realienkunde oder der Sprachwissenschaft.

Die Vorträge der Tagung sollen online in der Reihe des DHIP
"discussions" veröffentlicht werden.

Konferenzübersicht:

Ralf Lützelschwab (Berlin): Einleitung

Katharina Tugend (Duisburg-Essen): Die kommunikative Konstruktion des
Ehepaares. Der Briefwechsel Margheritas und Francesco di Marco Datinis
(1384-1410)

Stephanie Caspari (Bochum): Merowingische Königstöchter: verschwundene
Prinzessinnen?

Vasilina Sidorova (Moskau): Intercultural Communication and Perception
of the "Other" according to the French Historical Writings of the
10th-12th Centuries

Andreas Kistner (Düsseldorf): Das Legatenwesen unter Innocenz VI.

Marta Bigus (Gent): Middle Dutch Exegesis of the Decalogue (1300-1550)

Hugo Perina (Dijon): L'Orgue alla moderna. Diffusion d'un modèle
florentin dans l'Italie renaissante (1437-1550)

Irina Redkova (Moskau): Disciplina silentii und Kommunikationsformen in
der monastischen Tradition des 12. Jahrhunderts zwischen Norm und
Realität

Michael Gordian (London): Sprachen der Armut - Sprache der Armen.
Symbolische Kommunikation von sozialen Randgruppen im Spätmittelalter

Émilie Maraszak (Dijon): La communication par l'image dans les États
latins d'Orient. Les miniatures de l'histoire ancienne jusqu'à César,
Saint-Jean-d'Acre, 1260-1291

Brigitte Hotz (Aachen): Gebaute Memoria in Schismazeiten (1378-1455)

Marina Kevkhisvili (Berlin/Florenz): Medien der Heiligenverehrung im
mittelalterlichen Svanetien. Text, Bild, Ritual

Ursula Gießmann (Köln): Textilität - Die Stofflichkeit Kölns im
Spätmittelalter

Anastasia Brakhman (Bochum): Außenseiter und "Insider" in der
frühmittelalterlichen Historiographie. Literarische Kommunikation am
ottonischen Herrscherhof

Giuseppe Cusa (Frankfurt a. M.): Kommunikation in der Chronik des
Paduaners Rolandinus

Jean-Dominique Delle Luche (Paris): "vmb vnsern willen euwer
schießgesellen her zu vns senden": la communication entre les villes du
Saint-Empire à l'occasion des concours de tir (XVe siècle)

Florian Dirks (Erfurt): Sühnen, tagen, Frieden schließen. Die Beilegung
von Konflikten zwischen Weser und Elbe auf Tagfahrten 1380-1480.

Armano Torres Favaz (Dijon): Enquête judiciaire au Moyen Âge. Techniques
d'information et formes de communication (Bourgogne, XIIe-XIIIe siecle)

Christina Waldvogel (Leipzig): Drei spätmittelalterliche Gerichtsbücher
aus Bautzen

Sebastian T. Zanke (München): Politik und Kommunikation im Konflikt. Das
avignonesische Papsttum und die Herausforderung(en) des
spätmittelalterlichen Europa

Victoria Trenkle (Erlangen): Expertise und Ehre. Kardinäle im hohen
Mittelalter

URL zur Zitation dieses Beitrages
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=4993