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2012/04/17 17:18:34
Rolgeiger
Re: [Regionalforum-Saar] Statue der Helene Demuth heute in St. Wendel
Datum 2012/04/18 11:17:38
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Vortrag über die Reformatio n am 25. April 2012
2012/04/02 12:20:37
Elmar Peiffer
[Regionalforum-Saar] selbst graben in Reinheim
Betreff 2012/04/17 17:18:34
Rolgeiger
Re: [Regionalforum-Saar] Statue der Helene Demuth heute in St. Wendel
2012/04/17 17:18:34
Rolgeiger
Re: [Regionalforum-Saar] Statue der Helene Demuth heute in St. Wendel
Autor 2012/04/18 11:17:38
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Vortrag über die Reformatio n am 25. April 2012

[Regionalforum-Saar] Spätmittelalterliche Herold skompendien

Date: 2012/04/18 08:46:01
From: Rolgeiger <Rolgeiger(a)...

Rez. MA: T. Hiltmann: Spätmittelalterliche Heroldskompendien
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Hiltmann, Torsten: Spätmittelalterliche Heroldskompendien. Referenzen
adeliger Wissenskultur in Zeiten gesellschaftlichen Wandels (Frankreich
und Burgund, 15. Jahrhundert) (= Pariser Historische Studien 92).
München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2011. ISBN 978-3-486-59142-2;
geb.; 513, [16] S.; EUR 64,80.

Inhaltsverzeichnis:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/beitraege/rezbuecher/toc_13518.pdf>

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Klara Hübner, Departement für die Geschichte der Moderne und des
Mittelalters, Universität Fribourg
E-Mail: <klara.huebner(a)... ist es schick, in Büchern sperrige strukturgeschichtliche Begriffe
abzutasten oder den Nebel kulturhistorischer Turns zu durchwaten. Da
wirkt eine Arbeit, die sich mit der Analyse einer Quellengattung
auseinandersetzt zumindest irritierend. Um dieses Konkrete, nämlich
spätmittelalterliche Heroldskompendien aus dem französischen und
burgundischen Raum, geht es bei Thorsten Hiltmann. In einer klassischen
Quellenkunde würde man Heroldskompendien allerdings vergeblich suchen.
Betrachtet man nämlich die schriftlichen Hinterlassenschaften aus dem
Umfeld dieser schillernden Begleiter von Königen, Fürsten oder Baronen,
wird schnell klar, dass sie sich aufgrund ihrer Heterogenität jeder
Systematisierung entziehen. Was uns aus den Textkompilationen
entgegentritt, ist nicht die Schriftlichkeit, die sich mit der großen
Welt der spätmittelalterlichen Adelskultur auseinandersetzt, sondern
jene die 'von unten' kommt, quasi aus der Perspektive ihrer zudienenden
Akteure. Es erstaunt wenig, dass die meist schmucklos gehaltenen
Handschriften auch den Eindruck praxisnahen Gebrauchsschrifttums
erwecken. Der Inhalt dreht sich vorwiegend um "adeligen Kleinkram", dass
heißt Lebensweltliches aus ihrem Alltag. Die Palette reicht von der
Beschreibung des Adels und seinen Zeremonien über Abhandlungen zum
Kriegs- und Turnierrecht, gerichtlichen Zweikämpfen, Krönungsregeln und
Briefstellern, Länderkunden und Eidesformeln bis hin zum Entwurf
adäquater Obsequien für adelige Verstorbene.

Darüber hinaus enthalten die Kompendien jedoch auch (Selbst-)Reflexionen
zum Heroldsamt und dies angeblich von den Herolden selbst: Anweisungen
zur Auswahl und Ausbildung der Amtsträger, die Aufzählung ihrer
Tugenden, Pflichten und Privilegien bis hin zu legitimatorischen
Exkursen über die vermeintlich antike Herkunft des Amts. Solche
Selbstvergewisserungen, Abgrenzungen und natürlich auch die Werbung in
eigener Sache waren für das Überleben dieser zunächst freiberuflichen
Dienstleistergruppe existenziell. Schließlich galt es sich vom Milieu
der fahrenden Spielleute abzusetzen, aus welchem das Amt im Verlauf des
Spätmittelalters zur Stütze des europäischen Adels aufgestiegen war.
Obschon die Kompendien wichtige Etappen auf dem Weg zu dieser
repräsentativen Unentbehrlichkeit festhalten, wurden sie bislang fast
ausschließlich aus heraldischer Perspektive betrachtet.

Bei diesem einseitigen Umgang setzt auch die Kritik des Autors an. Die
Traktate zum Heroldswesen aus der Sicht der Heraldik, die im Zentrum der
älteren Forschung standen, machen nämlich nur einen kleinen Teil dieser
Textsammlungen aus. Dass Herolde etwa auch als Boten, Briefübermittler
oder Friedensemissäre tätig waren, spielte bisher eine untergeordnete
Rolle. Die vom Verfasser ausgewählten Beispiele aus einigen visuell
besonders ansprechenden Prachthandschriften propagieren Herolde vor
allem als Träger adeliger Zeichensysteme. Diese Betrachtungsweise geht
Hiltmann auf zweierlei Arten an: einerseits editionskritisch, indem er
versucht die Kompendien als Quellengruppe einzugrenzen, wozu er sich
ihrem Aufbau und den unterschiedlichen Überlieferungen widmet;
andererseits über den Inhalt, wobei er vor allem der Frage nachgeht,
welche Aussage die Quelle über das wirkliche Verhältnis zwischen Adel
und Herolden zulässt. Geht es dabei tatsächlich um Werke aus der Praxis
für die Praxis? Ist der Inhalt eher eine Kompilation beidseitigen
Wunschdenkens? Welche gemeinsamen Absichten von Adel und Herolden werden
in diesen Quellen vereint?

Sein Neuland betritt der Autor über die Analyse von 25 Kompendien - 24
Handschriften und einem Druck - aus dem Zeitraum zwischen circa 1430 und
1480. Alle Textsammlungen stammen aus jenen Regionen Frankreichs, in
denen sich die ritterlich-höfische Kultur entfalten konnte: dem Burgund,
Flandern, dem Hennegau, dem Anjou, Savoyen und Lothringen. Als Vergleich
dient ihm eines der besterforschten Beispiele aus der
spätmittelalterlichen Heroldsliteratur, das "Kompendium des Herolds
Sicile".

Sicile, mit bürgerlichem Namen Jean Courtois, ist nach 1416 als Herold
König Alphons' V. von Aragon bezeugt. Er gilt als einer der wenigen
Amtsinhaber, die ihr Kompendium zwar nicht selbst geschrieben, die
Zusammenstellung der zwischen 1435 und 1437 verfassten Traktate aber
beaufsichtigt haben. Seine Textsammlung fällt durch ihre systematische,
gut kommentierte Struktur auf. Der erste Teil enthält Abhandlungen über
das Heroldswesen, der zweite solche über adelige Zeremonien. In einem
dritten Teil werden schließlich die adlige Gesellschaft und ihre Zeichen
beschrieben. Nicht von ungefähr galt diese Zusammenstellung bisher als
Paradebeispiel eines Praxishandbuchs für künftige Amtsträger, und wurde
daher auch als Beleg für die voranschreitende Institutionalisierung des
Amtes herangezogen.

Hiltmann zeigt in großer Deutlichkeit, worauf solche Verallgemeinerungen
hinauslaufen: Weil viele Kompendien direkt im ritterlichen Milieu
entstanden, sind sie eher Projektionen eines Adelsideals denn
Selbstreflexionen einer subalternen Amtsträgergruppe. Dies zeigt er an
den Tücken dieser nicht alltäglichen Quellengruppe; so dem
Variantenreichtum und der unterschiedlichen Überlieferung einzelner
Abhandlungen, wobei Angaben zu Autorenschaft, Datierung oder Intention
meistens fehlen. Trotz des dichten regionalen Vorkommens der Kompendien
gab es zudem kaum Austausch zwischen den Kompilatoren. Persönliche
Interessen bestimmten die Textauswahl: Gerade sieben der rund 100
analysierten Abhandlungen kommen darin regelmäßig vor. Vage Hinweise auf
älteste Heroldskompendien gehen ins frühe 15. Jahrhundert zurück,
genaugenommen in die Zeit um 1407. Damals bemühten sich französische
Herolde um eine landesweite zünftische Organisation mit Sitz in der
Kirche Saint-Antoine-le-Petit in Paris und wurden dafür auch beim König
vorstellig. Von ihm wollten sie sich ihre angeblich aus altem Königs-
und Fürstendienst stammenden Privilegien bestätigen lassen. Dieser
Institutionalisierungsversuch scheiterte zwar, die Heroldsliteratur
erfreute sich in den darauf folgenden Jahrzehnten aber einer großen
Verbreitung, wofür auch die Überlieferung spricht, die von notizartigen
Privatkopien bis zur illuminierten Pergamenthandschrift reicht. Hierin
sieht Hiltmann auch den Schlüssel zum Gebrauch der Kompendien: Waren die
Textsammlungen noch zu Beginn des Jahrhunderts vor allem Wissensspeicher
für Amtsträger, wurden sie ausgangs des 15. Jahrhunderts zu den
eigentlichen Trägern adeliger Überlieferung und Rezeption.

Diesen langsamen Wandel spiegeln die Inhalte der Heroldskompendien
wieder, denen der Autor den zweiten Teil seiner Arbeit widmet. Die
frühesten Traktate versuchen Fürsten und dem Adel die Nützlichkeit des
Amtes vor Augen zu führen, zugleich aber auch Rechte und Privilegien
durchzusetzen, um das Amt durch eine klare Organisation gegenüber allen
freien Dienstleistern - insbesondere den Spielleuten - abzugrenzen. Die
Legitimierung erfolgt über das Konstrukt einer Geschichte des
Heroldswesens, wobei der Gründungsakt auf Julius Caesar zurückgeführt
wird: Im weit verbreiteten "selon-les-dits-Traktat" ernennt dieser vor
Karthago zwölf erfahrene, alte Ritter zu Herolden, die fortan die droits
des armes bewahren müssen. Weitaus dramatischer wird die Entstehung im
"Heroldstraktat des Jehan Hérard" beschrieben, welcher das Amt auf die
Tätigkeit von zwölf Jungfrauen zurückführt, die ursprünglich als
Botinnen für den diplomatischen Austausch zwischen Herrschern zuständig
waren. Dieser kommt jedoch zum Erliegen, weil sie wiederholt geschändet
werden.

Die heraldisch-praktischen Bedürfnisse des Adels werden in den frühen
Verschriftlichungen höchstens in Blasonierungs-, Farben- oder
Obsequientraktaten abgehandelt. Die Perspektive bleibt zunächst jene der
Herolde. Diese ändert sich erst in den Kompendien aus dem letzten
Drittel des 15. Jahrhunderts, deren Verfasser und Leser vermehrt die
Adligen selbst sind. Mindestens 40 Prozent der Überlieferungen lassen
sich diesem Umfeld zuordnen. Den Abhandlungen zur adeligen Gesellschaft
und ihren aktuellen Zeremonien kommt darin deutlich mehr Bedeutung zu.
Besonders häufig werden Tjosten oder zeitgenössische Turniergewohnheiten
aus allen Herren Ländern beschrieben, allerdings auch Historisches, wie
etwa die mêlées (Massenturniere), die seit dem 14. Jahrhundert nicht
mehr gepflegt wurde. Die Funktion der Überlieferung dieser Traditionen
erklärt Hiltmann mit dem Bemühen des Dienstadels, sich seinen festen
Platz an der Seite der Fürsten zu sichern.

Diesen eher praktischen Zusammenhängen zwischen Fürstendienst,
Kriegswesen und geburtsständischer Abgrenzung - das Adelsbild in den
Kompendien - sind die abschließenden Kapiteln der Studie gewidmet. Dies
tut der Verfasser vor allem über die Erläuterung der sozialen Funktion
der Herolde, denen es im ausgehenden 14. Jahrhundert gelungen war, sich
als Kommunikatoren adeliger Anliegen zwischen unterschiedlichen Gruppen
zu etablieren. Die Gunst der Stunde - so Gert Melville - kam mit dem
Hundertjährigen Krieg, als die französische Ritterschaft nicht mehr in
der Lage war, ihre Funktionen in Kriegs- und Fürstendienst zu vereinen.
Herolde füllten gewissermaßen diese Lücke, sublimierten die Ideale von
Ritterschaft und Vasallität und sorgten öffentlichkeitswirksam dafür,
dass sich das geburtsständische Rittertum gegen Stadtbürger und
Emporkömmlingen abgrenzen konnte.

Caesars loyale Ritter aus dem "selon-les-dits-Traktat" dienen ganz
dieser Rückbesinnung auf die wahren gesellschaftlichen Werte eines
kämpfenden Adels. Aus der Ritterschaft wird ein Tugend-Adel, das
Geburtsrecht und die Überbetonung des Waffenhandwerks wird über die
Ansprüche studierter Parvenüs gestellt. In dieser Aussage sieht Hiltmann
dann auch die größte Attraktivität der oftmals historisierenden
Kompendien. Sowohl im Bezug auf die Ritter als auch auf die Herolde wird
eine idealisierte Rückbesinnung zelebriert, die ganz auf den Zeichen des
Adels aufbaut - allen voran ihren Wappen. Mit der Beschreibung längst
veralteter Zeremonien wird ihre immerwährende Kontinuität manifestiert,
nicht im Sinne sklerotischer Festschreibungen, sondern als Legitimation,
die das gesamte Spektrum adeligen Selbstverständnisses enthält, oder mit
Hiltmanns eigenen Worten: das Kaleidoskop der spätmittelalterlichen
Adelskultur.

Und dieses Kaleidoskop hätte man nur schon wegen des umfassenden
Anhanges, welcher die Kerntexte der Heroldskompendien regestenartig
aufführt, gerne stärker schillern gesehen; in seiner gesamten
Lebensweltlichkeit, die nicht durch historisierende Schriftlichkeit
beschränkt wird; etwa im Untergang des Herzogtums Burgund oder im
sozialen Abstieg des französischen Ritteradels. Auch hätte man mehr über
das tägliche Leben der Herolde erfahren wollen, denn nicht jeder Herold
war automatisch ein Sicile. Welche Proletarisierung dem bel office der
Herolde widerfuhr, lässt sich nach 1450 zahlreichen fürstlichen aber
auch städtischen Rechnungsquellen entnehmen. Hier wird das
Auseinanderklaffen von schriftlichem Anspruch und Alltagsrealität, das
in den Kompendien gelegentlich zwischen den Zeilen aufblitzt, besonders
offenbar. Der Autor hat allerdings gut daran getan, dieses unabsehbar
große Forschungsfeld nicht auch noch zu betreten. Der Wert seiner Arbeit
wird dadurch nicht geschmälert, zumal es ihm auf anschauliche und
systematische Weise gelungen ist, ein textuelles Dickicht zu
durchdringen und daher einer breiteren Forscheröffentlichkeit zugänglich
zu machen. Weitere Studien werden diesem Beispiel hoffentlich folgen.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Harald Müller <mueller(a)... zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-2-048>

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