Monatsdigest

[Regionalforum-Saar] Stellenausschreibung des Vereins f ür Landeskunde im Saarland e.V. (VLS)

Date: 2024/02/01 11:50:00
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

 

 

Der Verein für Landeskunde im Saarland e.V. (VLS), zugleich Verband der geschichtlichen Organisationen Saarland, Rheinland-Pfalz, Lothringen, Luxemburg und Wallonie, ist ein expandierender grenzüberschreitender Geschichtsverband.

 

Wir suchen zum 01. März 2024 eine Bürokraft (m/w/d), die uns in der Geschäftsstelle in St. Wendel unterstützt. Als Bürokraft kümmern Sie sich um Besucherbetreuung, Auskunftsersuchen, Schriftverkehr und Tätigkeiten im organisatorischen Bereich.

 

Weiter Informationen entnehmen Sie bitte der als Anlage beigefügten Stellenausschreibung.

 

Zu Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

 

Friedrich Denne

  (1.Vorsitzender)

 

 

Kommunikation:

                      Verein für Landeskunde im Saarland e.V. (VLS)

Verband der geschichtlichen Organisationen in der europäischen Großregion

Saarland, Rheinland-Pfalz, Lothringen, Luxemburg und Wallonien

Association des organisations historiques de la Grande Région Européenne

la Sarre, Rhénanie-Palatinat, la Lorraine, le Luxembourg et la Wallonie

 

Friedrich Denne

Hauptstr. 90

(D)66578 Schiffweiler

Tel.:     (+49) 06821 - 962156

Mobil:  (+49) 0177 - 2532142

Mail:    Friedrich.Denne(a)T-Online.de

 

info(a)landeskunde-saarland.de

bergbaugeschichte(a)landeskunde-saarland.de

genealogie(a)landeskunde-saarland.de

kunstgeschichte(a)landeskunde-saarland.de

militaergeschichte(a)landeskunde-saarland.de

mundart(a)landeskunde-saarland.de

volkskunde(a)landeskunde-saarland.de

www.landeskunde-saarland.de

 

 

Geschäftsstelle:

Mommstr. 2

(D)66606 St. Wendel

(Bahnhof – Eingang Vorderseite)

Öffnungszeiten: mittwochs von 09.00 Uhr bis 13.00 Uhr

und von 15.00 Uhr bis 19.00 Uhr.

Oder nach Vereinbarung

 

Telefon, nur während der Öffnungszeiten: 06851 - 9390866

 



[Regionalforum-Saar] GenealogiaRS: 200 Years of Germans in Brazil - 2024 program:

Date: 2024/02/01 11:51:56
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Hello Everyone, greetings from Brazil!

I would like to share the preliminary Program that our Society (GenealogiaRS) is organizing to celebrate 200 years of Germans in Brazil:

image.png

Enclosed follows the invitation of our first event in Feb.24 - with a great lecture about "the Pomeranians" in Brazil:

I know that for most of you it might be hard to join any of our events, however, in case you are interested, you will be very welcomed!

Program updates will be shared too!

Best regards / mit herzlichen Grüssen / cordialmente

André HAMMANN
E-mail: andre.luis.hammann(a)gmail.com
Celular: +55 (55) 9-9938-2947
Skype: al.hammann

[Regionalforum-Saar] "In allen guten Buchhandlungen i st zu haben ...". Buchwerbung in Deutschland in der F rühen Neuzeit

Date: 2024/02/01 18:53:33
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

"In allen guten Buchhandlungen ist zu haben ...". Buchwerbung in Deutschland in der Frühen Neuzeit
von Marie-Kristin Hauke
Erschienen Leipzig 2023: Lehmstedt Verlag
Anzahl Seiten 587 S.
Preis € 68,00
ISBN 978-3-95797-148-7

Rezensiert für H-Soz-Kult von  Holger Böning, Deutsche Presseforschung, Universität Bremen

Die Entstehung von Werbung für Waren ist engstens mit dem Handel mit gedruckten Büchern verbunden, sie begann bereits in der Inkunabelzeit. Gleichzeitig finden sich in der Buchwerbung auch die Anfänge jener bis heute wichtigen Prozesse der Bedarfsweckung und Absatzförderung. Werbemittel waren und sind zum Teil bis heute das Titelblatt, Verlags-, Sortiments- und Messkataloge, Anzeigen in Zeitungen, Intelligenzblättern und Zeitschriften sowie bereits im 18. Jahrhundert buchhändlerische Fachzeitschriften. Die Historikerin und Buchwissenschaftlerin Marie-Kristin Hauke legt erstmals eine Gesamtdarstellung der Frühgeschichte der Buchwerbung in Deutschland vom 15. bis zum frühen 19. Jahrhundert vor. Zugleich wird eine Bibliographie von mehr als 1.000 Buchhandelskatalogen des 16. bis 18. Jahrhunderts geboten, von denen sich oft nur in ein einziges Exemplar erhalten hat.

Konkurrenzdenken und Gewinnstreben auf Kosten anderer galten in den mittelalterlichen Zunftordnungen als anstößig und unchristlich, war es schließlich Hauptziel der Zünfte, jedem ihrer Mitglieder ausreichende „Nahrung“ zu verschaffen. Es waren so die nichtzünftischen Gewerbe, die zuerst Flugschriften und Plakate nutzten, um auf ihre Dienstleistungen aufmerksam zu machen. Auch die Zeitungen und Intelligenzblätter wurden im 17. und 18. Jahrhundert vorwiegend genutzt, um Waren aus nichtzünftischer Produktion anzupreisen oder um auf importierte oder nur kurzzeitig verfügbare Waren hinzuweisen, bis es um die Mitte des 19. Jahrhunderts zur modernen Wirtschaftswerbung kam.

Es ist nun bemerkenswert, dass von dieser Periodisierung allein das Buch ausgenommen ist, das sich nicht nur durch seine massenhafte Produktion von anderen Waren unterschied. Es handelt sich nämlich um eine erste Ware modernen Stils, deren Produktion, wie die Autorin ausführt, im Gegensatz zum zünftischen Handwerk ein finanzintensives Risikogeschäft darstellte, das auf Bedarfsweckung und Absatzförderung angewiesen war. Obwohl diese innovative Leistung des Buchhandels von Wirtschaftshistoriker:innen nicht bestritten wird, fehlte es bisher an einer eigenständigen Studie zur Entwicklung der buchhändlerischen Werbung; überhaupt, so erfahren wir, sei die Werbung als zentrales Kommunikationsmittel zwischen Buchhändlern und Kunden ein Stiefkind wissenschaftlicher Untersuchungen. Gleiches hat für die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft zu gelten. Während die Werbehistorikerinnen und Werbehistoriker betonen, dass der Buchhandel die moderne Wirtschaftswerbung vorweggenommen haben, fehlte bis zur Arbeit der Autorin von buchwissenschaftlicher Seite eine übergreifende These.

Bemerkenswert vielfältig ist die Quellengrundlage der Darstellung Haukes. Beginnend mit Buchhandelskatalogen und anderen buchhändlerischen Werbemitteln wie Hand- und Novitätenzetteln, Subskriptions- und Pränumerationsplänen reicht die Auswertung bis zur zeitgenössischen Literatur, insbesondere von Satiren und von buchhändlerischen Streit- und Reformschriften. Auch die Entwicklung des Titelblattes von Büchern wird untersucht. Ein Hauptverdienst der Studie liegt in der umfassenden Berücksichtigung der Buchwerbung in der periodischen Literatur, insbesondere den 1605 entstehenden und sich im 17. Jahrhundert flächendeckend verbreitenden politischen Zeitungen. Zu diesen gesellte sich seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert eine sich rasant vermehrende Zeitschriftenliteratur bis hin zur Entstehung von ersten Fachzeitschriften seit den 1720er-Jahren. Bedeutung gewannen auch gelehrte Zeitungen und Rezensionsblätter sowie endlich die seit den 1720-Jahren flächendeckend im deutschen Sprachraum entstehenden Anzeigen- oder Intelligenzblätter.

Nach der Einleitung bietet das 2. Kapitel einen Überblick über die Anfänge der Buchwerbung in Antike, Mittelalter und Frühdruckzeit, um für das 16. Jahrhundert zu konstatieren, dass Titelblätter und Kataloge zu den wichtigsten gedruckten Werbemitteln geworden sind. Das 3. Kapitel stellt die Verdichtung der öffentlichen Kommunikation und die Kommerzialisierung des Buchmarktes im 17. und 18. Jahrhundert in den Mittelpunkt, behandelt den Aufstieg der periodischen Presse, die Entstehung des modernen Publikums sowie die Stellung der Autorinnen und Autoren im 17. und 18. Jahrhundert. Alles dies wird im Prozess der Entwicklung von Buchhandel und Buchproduktion und unter der Überschrift „Kommerz und Konkurrenz“ dargestellt.

Kapitel 4 ist sodann den gedruckten Werbemitteln des 17. und 18. Jahrhunderts gewidmet, die von den Rahmen- oder Paratexten des Buches wie Buchtitel und Titelblatt, Vorreden, Widmungen und Huldigungsgedichten über Kaufaufrufe und Subskriptionsaufforderungen, Subskriptions- und Pränumerationsplänen, Handzetteln, Prospekten und Werbebriefen bis zu den Buchhandelskatalogen, Messkatalogen und Kataloganhängen in Büchern und Zeitschriften reichen. Ein großer Teil dieses Kapitels ist den Buchanzeigen in der periodischen Presse gewidmet. Dabei werden die Entwicklungen von der Rumpf- zur Standardanzeige sowie von der Einzel- zur Sammelanzeige behandelt, des Weiteren die typographische Gestaltung ebenso wie die quantitative Ausbreitung der Anzeigen untersucht. Hinzu kommen Rezensionen und Selbstrezensionen als Sonderformen buchhändlerischer Anzeigen.

Hinzuweisen ist darauf, welche erstaunlichen Erkenntnismöglichkeiten unter der periodischen Literatur die publizistische Gattung des Intelligenz- oder Anzeigenblattes für die historische Buchwerbung, für die Buchgeschichte, besonders aber auch für die historische Leserforschung bietet, denn hier findet man Anzeigen der tatsächlich gelesenen Literatur. Es ist doch, wenn man die Buchanzeigen der örtlichen Buchhändler und Verleger liest, höchst überraschend, welche Vielfalt an Schriften einer Bevölkerung, die von Historiker:innen oft noch als leseunfähig beschrieben wird, angeboten wurde. Bemerkenswert, dass offenbar recht breite Bevölkerungsschichten auch noch mit Vergnügen lasen und lesen hörten, wovon hier ebenfalls berichtet wird. Die Intelligenzblätter bieten ein in der Forschungsliteratur noch nicht oft präsentes Bild der deutschen Aufklärung, auf dem mehr wahrzunehmen ist als beim Blick auf große Philosophen und die kanonisierte Romanliteratur. Hier finden sich nämlich jene Buchhandelsanzeigen, die von einem Literaturmarkt für aufklärerische Schriften zeugen, von dem die Literaturgeschichten in der Regel wenig wissen, da hier auch die massenhaft gelesene Literatur und Publizistik berücksichtigt ist. Die Literaturhistoriker:innen haben über die hohe Literatur, den Lesestoff von gerade einem Prozent der Erwachsenenbevölkerung im 18. Jahrhundert, fast alles in Erfahrung gebracht, über die Lesestoffe der übrigen 99 Prozent wissen sie hingegen nur wenig. Lange galt die Rede vom „Volk ohne Buch“, doch die Intelligenzblätter verraten, dass für einfache Leser zahllose Bücher zumindest geschrieben wurden und durch Buchbinder und Kolportagehändler auch vertrieben wurde. So gehört die volksaufklärerische Literatur quantitativ zu den bedeutenden Gattungen der zeitgenössischen Druckproduktion. Von ihren Anfängen etwa um die Mitte des 18. Jahrhunderts erschienen während des folgenden Zeitraumes von hundert Jahren etwa 10.000 Schriften, die sich entweder direkt an die unteren Stände der Bevölkerung wandten oder in denen darüber diskutiert wurde, mit welchen Mitteln, Zielen und Strategien aufklärerisches Gedankengut beim ‚Volk’ popularisiert werden könne. Weit mehr als 3.000 Autorinnen und Autoren griffen zur Feder und engagierten sich mit der Abfassung einer selbstständigen Schrift, von der Anleitung zur Stallfütterung über Informationen zur Bekämpfung von Viehseuchen oder zur Gesunderhaltung des Menschen bis zum unterhaltsamen Roman. Für die Anzeigen- und Intelligenzblätter ist nun charakteristisch, dass es gerade diese Literatur war, für die nicht allein durch Anzeigen geworben, sondern die den Lesern der Intelligenzblätter durch kleine Beiträge auch inhaltlich vorgestellt und empfohlen wurde. Daneben wurden mancherlei Bücher durch Anzeigen angeboten, die, obwohl tatsächlich offenbar in großer Masse vom Buchhandel angeboten und von den Lesern rezipiert, in keine aktuelle Literaturgeschichte Eingang gefunden haben. Dies gilt für eine breite Andachtsliteratur ebenso wie für eine erstaunlich ausdifferenzierte Sachliteratur und für Schriften zu allen Bereichen des Alltags. Es ist, um dies zusammenzufassen, in jeder Beziehung lehrreich, welche Schriften ganz gewöhnlichen Lesern der Anzeigenblätter angeboten und von ihnen sicherlich auch gekauft und gelesen wurden. Regelmäßig und über die Jahrzehnte hinweg verraten die Anzeigen, wie wichtig nicht nur für die Schöne Literatur, sondern auch für das Zeitungslesen Lesegesellschaften und Lesegemeinschaften waren. Kurz gesagt, finden sich in den Intelligenzblättern und in den volksaufklärerischen Schriften zentrale Quellen für die historische Lese- und Leserforschung, denn hier wurde überaus genau beobachtet, was vom gemeinen Mann gelesen wurde und wofür er eher nicht ansprechbar war.

Kapitel 5 endlich stellt den Prozess der Buchwerbung im Kommunikationsnetzwerk des Buchmarktes in den Mittelpunkt, wozu auch die Entwicklung der Werbemethoden und der Werbekosten gehört. Selbst buchhändlerische Werbekniffe im 17. und 18. Jahrhundert finden die Aufmerksamkeit der Autorin. Hochinteressant ist die Rolle der Autorinnen und Autoren im Werbeprozess und die Buchwerbung als Gemeinschaftsprojekt von Verlegern und Autoren. Dabei spielt die Werbung beim Selbstverlag eine eigene Rolle, stellte sie doch eine oft nicht hinreichend berücksichtigte Notwendigkeit dar, die von Einzelkämpfern unter den Autoren so einfach nicht zu bewältigen war.

In ihrem Resümee unterstreicht Marie-Kristin Hauke noch einmal die äußerst kreativ bewältigte Vorreiterrolle des Buchhandels für die Entstehung der modernen Wirtschaftswerbung. Spätestens am Ende des 17. Jahrhunderts sei kein Kommunikationsmittel mehr vor der Vereinnahmung durch den Buchhandel sicher gewesen. Dabei habe der sich verändernde Buchmarkt die entscheidenden Anstöße für die Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung der Werbemittel und Werbeaktivitäten gegeben, sodass die wichtigsten Schubphasen in den bewegtesten Buchhandelsepochen des 17. und 18. Jahrhunderts, nämlich in der Frühaufklärung und im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zu beobachten seien.

Die Umstrukturierung vom lateinischen Gelehrtenbuchmarkt zum nationalsprachigen, mehr und mehr alle Leserschichten ansprechenden Buchmarkt, die eng mit dem Aufstieg der modernen Kommunikationsmittel Zeitung und Zeitschrift einherging, sei, so Hauke, von einer innovations- und spekulationsfreudigen Buchhändlergeneration in Angriff genommen worden. Für das letzte Drittel des 18. Jahrhundert stellt die Autorin schließlich die Bedeutung der Auseinandersetzungen zwischen Netto- und Reichsbuchhändlern heraus, ebenso werden die beginnende Trennung von Verlag und Sortiment sowie die zahlreichen Selbstverlagsprojekte behandelt.

Am Ende des 18. Jahrhunderts, so lässt sich zusammenfassen, war die Buchwerbung praktisch unentbehrlich geworden, was vor allem dann sichtbar wurde, wenn der Werbeprozess aufgrund von Eingriffen der Zensurbehörden ins Stocken geriet. Bayern wird als ein Beispiel dafür vorgestellt, wie Anzeigenverbote und Anzeigenkontrollen sich höchst negativ auf den Absatz und die Überlebensfähigkeit von Buchhändlern auswirken konnten.

Die Studie ist ein Beispiel dafür, dass an den Quellen orientierte Grundlagenstudien nicht so leicht zu befürchten haben, dass sie veralten. Die in ihren Grundzügen vor einem Vierteljahrhundert entstandene Arbeit ist so jung, ergebnisreich und nützlich geblieben, wie sie es als Ergebnis bewundernswerten Fleißes 1999 war. Dabei ist die Geschichte dieser Studie selbst von wissenschafts- und publikationsgeschichtlichem Interesse, erschien sie doch nach der Fertigstellung als Dissertation im Jahre 1999 am Institut für Buchwissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als eine der ersten Onlinepublikationen. Diese damals verlockende neue Form des Publizierens, so muss festgestellt werden, hat die Erwartungen einer gegenüber gedruckten Dissertationen intensiveren Kenntnisnahme und Nutzung aber in keiner Weise erfüllt. So ist die Initiative des Verlegers sehr zu begrüßen, diese ungeheuer material- und informationsreiche Arbeit nun doch zwischen zwei Buchdeckel und in die buchgeschichtliche Reihe des Verlags gebracht zu haben, um ihr endlich die verdiente Aufmerksamkeit zu verschaffen. Für die Buchpublikation hat die Autorin ihr Werk mit den heutigen Möglichkeiten der Recherche ergänzt und bearbeitet.

Zitation

Holger Böning, Rezension zu: Hauke, Marie-Kristin: "In allen guten Buchhandlungen ist zu haben ...". Buchwerbung in Deutschland in der Frühen Neuzeit. Leipzig 2023 , ISBN 978-3-95797-148-7, In: H-Soz-Kult, 30.01.2024, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-140452>.




[Regionalforum-Saar] Fwd: "Asoziale" in der NS-Zeit

Date: 2024/02/02 07:23:41
From: Hans-Joachim Hoffmann via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Morgen an alle,

ich bitte folgende Nachricht weiterzuleiten wegen des links zu der Veranstaltung im Landtag von Rheinland-Pfalz anlässlich der Gedenkstunde zur Befreunng des KZ Auschwitz. Es sprachen Prof. Frank Nonnenmacher sowie Herr AlfonsIms, beide Betroffene verfolgter sog. "Asozialer" und "Berufsverbrecher". Zu dieser Kategorie der Verfolgten des NS liegen für den Bereich des heutigen Saarland noch keine (umfassenden) Forschungen vor. Mehr oder weniger durch Zufall stieß ich auf bei meinen Recherchen auf WILHELM DIESEL. Nach Aussage von Christine Frick (LAS) ist Wilhelm Diesel das erste nachgewiesene Opfer der sog. "Häftlings-Euthanasie" (ab 1941). Deshalb mag der Hinweis den Blick lokaler Historiker darauf lenken, ob es weitere Opfer der "Aktion 14f13" = "Häftlings-Euthanasie" im Raum des heutigen Saarland gibt.

Mit freundlichen Grüßen

Hans-Joachim Hoffmann



-------- Weitergeleitete Nachricht --------
Betreff: "Asoziale" in der NS-Zeit
Datum: Wed, 31 Jan 2024 10:48:50 +0100
Von: Alfons L. Ims <ali(a)imsystem.de>
Antwort an: ali(a)imsystem.de
Organisation: imSystem
An: hans-joachim-hoffmann(a)web.de


Lieber Herr Hoffmann,

ich habe über Google einen Heinweis auf den Artikel vom letzten Montag in der Saarbrücker Zreitung bekommen und habe soeben Ihr Gespräch  vom 19.4.2023 im SR angehört.

Ich beschäftige mich mit der "Asozialen"-Politik der Nazis, habe dazu eine Familienbiographie verfasst (siehe Anlage) und hatte die Ehre letzten Samstag im Landtag von Rheinland-Pfalz die Gedenkrede zu halten.

siehe: https://landtag-rheinland-pfalz.media.video.taxi/watch/v0P4HEquXxCI

Ich würde gerne mit Ihnen in Kontakt kommen.

Herzliche Grüße

Alfons L. Ims


--



_________________________
Alfons L. Ims
Finkenweg 8
69151 Neckargemünd
06223 - 715 80
ali(a)imsystem.de

Attachment: == Prospekt neu.docx
Description: application/vnd.openxmlformats-officedocument.wordprocessingml.document

[Regionalforum-Saar] Frage

Date: 2024/02/02 07:38:39
From: Hans-Joachim Hoffmann via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Morgen, Herr Geiger,

ich leitete soeben eine Nachricht mit Anhang an regionalforum weiter; da ich nicht weiß, ob sie wegen des Anhangs veröffentlicht werden kann,, schicke ich auch diese mail, also ohne Anhang.

Danke für die Weiterleitung.

Mit freundlichen Grüßen

Hans-Joachim Hoffmann


Lieber Herr Hoffmann,

ich habe über Google einen Heinweis auf den Artikel vom letzten Montag in der Saarbrücker Zreitung bekommen und habe soeben Ihr Gespräch  vom 19.4.2023 im SR angehört.

Ich beschäftige mich mit der "Asozialen"-Politik der Nazis, habe dazu eine Familienbiographie verfasst (siehe Anlage) und hatte die Ehre letzten Samstag im Landtag von Rheinland-Pfalz die Gedenkrede zu halten.

siehe: https://landtag-rheinland-pfalz.media.video.taxi/watch/v0P4HEquXxCI

Ich würde gerne mit Ihnen in Kontakt kommen.

Herzliche Grüße

Alfons L. Ims


Guten Morgen an alle,

ich bitte folgende Nachricht weiterzuleiten wegen des links zu der Veranstaltung im Landtag von Rheinland-Pfalz anlässlich der Gedenkstunde zur Befreunng des KZ Auschwitz. Es sprachen Prof. Frank Nonnenmacher sowie Herr AlfonsIms, beide Betroffene verfolgter sog. "Asozialer" und "Berufsverbrecher". Zu dieser Kategorie der Verfolgten des NS liegen für den Bereich des heutigen Saarland noch keine (umfassenden) Forschungen vor. Mehr oder weniger durch Zufall stieß ich auf bei meinen Recherchen auf WILHELM DIESEL. Nach Aussage von Christine Frick (LAS) ist Wilhelm Diesel das erste nachgewiesene Opfer der sog. "Häftlings-Euthanasie" (ab 1941). Deshalb mag der Hinweis den Blick lokaler Historiker darauf lenken, ob es weitere Opfer der "Aktion 14f13" = "Häftlings-Euthanasie" im Raum des heutigen Saarland gibt.

Mit freundlichen Grüßen

Hans-Joachim Hoffmann

Re: [Regionalforum-Saar] Frage

Date: 2024/02/02 11:45:51
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Hallo, Herr Hoffmann,

im System ist eingestellt , daß Anhänge einer bestimmten Größe nicht durchgeschickt werden.

Wenn die dann hängenbleiben, erhalte ich als ListAdmin eine entsprechende Meldung und entscheide dann ad hoc, ob ich sie durchgehen lasse oder nicht.

Ihre ging beim ersten Mal glatt durch.

Mit freundlichem Gruß

Roland


Am 02.02.2024 um 07:38 schrieb Hans-Joachim Hoffmann via Regionalforum-Saar:

Guten Morgen, Herr Geiger,

ich leitete soeben eine Nachricht mit Anhang an regionalforum weiter; da ich nicht weiß, ob sie wegen des Anhangs veröffentlicht werden kann,, schicke ich auch diese mail, also ohne Anhang.

Danke für die Weiterleitung.

Mit freundlichen Grüßen

Hans-Joachim Hoffmann


Lieber Herr Hoffmann,

ich habe über Google einen Heinweis auf den Artikel vom letzten Montag in der Saarbrücker Zreitung bekommen und habe soeben Ihr Gespräch  vom 19.4.2023 im SR angehört.

Ich beschäftige mich mit der "Asozialen"-Politik der Nazis, habe dazu eine Familienbiographie verfasst (siehe Anlage) und hatte die Ehre letzten Samstag im Landtag von Rheinland-Pfalz die Gedenkrede zu halten.

siehe: https://landtag-rheinland-pfalz.media.video.taxi/watch/v0P4HEquXxCI

Ich würde gerne mit Ihnen in Kontakt kommen.

Herzliche Grüße

Alfons L. Ims


Guten Morgen an alle,

ich bitte folgende Nachricht weiterzuleiten wegen des links zu der Veranstaltung im Landtag von Rheinland-Pfalz anlässlich der Gedenkstunde zur Befreunng des KZ Auschwitz. Es sprachen Prof. Frank Nonnenmacher sowie Herr AlfonsIms, beide Betroffene verfolgter sog. "Asozialer" und "Berufsverbrecher". Zu dieser Kategorie der Verfolgten des NS liegen für den Bereich des heutigen Saarland noch keine (umfassenden) Forschungen vor. Mehr oder weniger durch Zufall stieß ich auf bei meinen Recherchen auf WILHELM DIESEL. Nach Aussage von Christine Frick (LAS) ist Wilhelm Diesel das erste nachgewiesene Opfer der sog. "Häftlings-Euthanasie" (ab 1941). Deshalb mag der Hinweis den Blick lokaler Historiker darauf lenken, ob es weitere Opfer der "Aktion 14f13" = "Häftlings-Euthanasie" im Raum des heutigen Saarland gibt.

Mit freundlichen Grüßen

Hans-Joachim Hoffmann
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Regionalforum-Saar mailing list
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https://list.genealogy.net/mm/listinfo/regionalforum-saar

[Regionalforum-Saar] noch ein Jahrestag: 2. Februar 1859

Date: 2024/02/02 14:06:58
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Die Kreissparkasse St. Wendel und ihre ersten Kunden
komponiert von Roland Geiger, St. Wendel

Am 1. Januar ist die Kreissparkasse St. Wendel 165 Jahre alt geworden und hätte dieses Jubiläum als gutgehendes und hochangesehenes Unternehmen feiern können [was sie nicht tat, weil sie vor fünf Jahren das 160. groß feierte]. Dabei sahen ihre Anfänge gar nicht so sehr günstig. Nach vielen Versuchen und Rückschlägen wurde am 1. Januar 1859 der Betrieb aufgenommen. Das heißt: von „Betrieb“ konnte keine Rede sein. Der Geschäftsführer, der den Laden als Ein-Mann-Betrieb führte und sich Rendant nannte, wartete auf Kunden, und die kamen nicht. Nicht, daß in diesem ersten Monat keine Darlehen aufgenommen wurden, aber das geschah definitiv nicht bei der neuen Kreis=Spar= und Darlehnskasse in St. Wendel. Der Ackerer Jakob Messler und seine Ehefrau Anna Leist aus Marpingen gingen am 15. in St. Wendel lieber zum Gerichtsvollzieher Michel Eschrich, um bei ihm Geld zu leihen, und der Schuster Johann Marx aus Breiten und seine Ehefrau Maria Arnold haben lieber bei dem Ackerer Nikolaus Wagner in Oberlinxweiler Geld aufgenommen. Ob es daran lag, daß die neue Bank etwas zu sehr Offizielles an sich hatte, schließlich gehörte sie ja der Regierung oder war von der auf jeden Fall ins Leben gerufen worden. Und wenn nicht von der Regierung, so doch von der Verwaltung des Landkreises, an vorderster Front Landrat Rumschöttel, der höchstpersönlich Direktor dieser Anstalt war. Nicht, daß die Sparkasse teurer gewesen wäre als die anderen – privaten – Kreditgeber. Fünf Prozent Zinsen waren ortsüblich und schon seit Jahrzehnten auf gleichem Stand. Aber der Bauer in Oberlinxweiler und der Gerichtsvollzieher in St. Wendel stellten vielleicht nicht so viele Fragen – und: sie waren schon seit Jahren im Geschäft. Man kannte sie und vertraute ihnen – okay, bis zu einem gewissen Grad. Sagen wir so: man wußte, woran man an ihnen war. Aber die Sparkasse – nee, wen der Bauer nicht kennt, bei dem frißt er nicht. Und er frißt schon gar nicht bei einer Anstalt, die direkt dem Landrat unterstellt ist, denn der braucht doch nicht zu wissen, was ich so mit meinem Geld anstelle. Nachher …

So wartete der Rendant Michael Weynand, der übrigens aus Alsfassen stammte und mit der St. Wendelerin Katharina Göbel verheiratet war, in seinem Büro auf Kundschaft. Und da er einen ganzen Monat warten mußte, haben wir etwas Zeit, uns anzuschauen, wo dieses Büro eigentlich genau war. Weynand mußte eine Kaution aufstellen, da er für selbstverschuldete Verluste persönlich haftbar gemacht werden konnte. Deshalb wird er sich vermutlich nie sehr weit von seiner Geldkassette entfernt haben; denn dort lagen gleich zu Anfang 120 Taler drin, die ihm nicht gehörten, für die er aber verantwortlich war. Diese Kassette war natürlich vor allem nachts "gefährdet", weshalb er sie vermutlich zuhause aufbewahrte. Aber wo wohnten er und seine Ehefrau?

Im Juni 1859 kaufte das Ehepaar das Wohnhaus des vormaligen St. Wendeler Notars Friedrich Hen, das in der oberen Luisenstraße unterhalb des heutigen "Alten Rathauses" lag [Luisenstraße 2]. Deshalb lag die "Schalterhalle" demnach in dem dortigen Haus. Aber wo war sie das letzte halbe Jahr gewesen? Vermutlich auch in der Wohnung des Ehepaars Weynand, aber wo die beiden vorher wohnten, wissen wir nicht.

So, jetzt hat Herr Weynand genug gewartet, geben wir ihm etwas zu tun. Er wird sicher nicht den ganzen Monat nur herumgesessen und Däumchen gedreht haben. Aber Anfang Februar kam ihm ein Umstand zugute, der auch heute noch in der Zeit nach Weihnachten wieder die ersten Besucher aus den umliegenden Orten nach St. Wendel führt: der Lichtmeßmarkt.

Maria Lichtmeß wird traditionell am 2. Februar gefeiert und fiel 1859 auf einen Mittwoch. Unsere Oma lehrte uns den alten Spruch: " Maria Lichtmess, spénne fagess, bäi Daach se Naacht gess’". "Spénne fagess" – das bezieht sich auf die Arbeit der Bauern im Winter, wenn die Witterung die Arbeit draußen unmöglich macht; dann saßen die Leute drinnen am Webstuhl. Jetzt an Lichtmess begann das sog. "Bauernjahr", d.h. ab jetzt wurde die bäuerliche Arbeit draußen wieder aufgenommen und mit dem Spinnen hatte es mal wieder ein Ende; also: "vergessen wir das Spinnen". Abendessen gibt’s um halb sechs oder sechs, und Anfang Februar beginnt die Dunkelheit etwa um die Zeit oder sogar schon später. Also ist es noch Tag(hell), wenn wir das Abendbrot einnehmen: "bei Daach se Naacht gess!"

An dem Tage endete aber auch das Dienstbotenjahr, und den Mägden und Knechten wurde der Rest ihres Jahreslohnes ausbezahlt.

Der zugehörige Jahrmarkt fiel demnach auf den darauffolgenden Donnerstag, einen Tag später. An diesem Tag trafen sich Händler, Handwerker und Bauern aus den umliegenden Dörfern und Gemeinden in St. Wendel, aber nicht nur um den Markt zu besuchen und einzukaufen, sondern auch – und vielleicht auch vor allem – um miteinander zu reden, Neuigkeiten zu erfahren und den gesammelten Klatsch der letzten vier Monate loszuwerden. Der letzte Markt war der große Wendalinusmarkt Ende Oktober gewesen, und während der dunklen Monate bis nach Weihnachten werden sie kaum Gelegenheit gehabt haben, die Stadt zu besuchen, schon gar nicht, wenn der Schnee hoch lag und die Temperaturen nur tief im Keller zu finden waren. Auch jetzt Anfang Februar ist es noch nicht gerade warm, aber die Aussicht auf ein Wiedersehen mit Freunden und Bekannten hatte sie alle in die Stadt gelockt.

Und mit ihnen zogen ihre Mägde und Knechte in die Stadt, um ihren Dienstherren beim Einkauf und Heimtragen zu helfen. Und natürlich um mit ihresgleichen zu sprechen.

An diesem Donnerstag gab es etwas Neues in der Stadt, und zwar etwas, daß gerade die Gesindeleute hellhörig machte. Es gab behördlicherseits eine Institution, zu der sie ihr sauer erspartes Geld bringen konnten, und diese Institution versprach ihnen, darauf acht zu geben, so daß es sicher war. Bisher war es das nämlich nicht unbedingt gewesen. Zuhause sparten sie es in einem Strumpf auf oder unter der Bettmatratze. Gut versteckt vor Eindringlingen – und vor dem eigenen Dienstherrn. Wie oft hatten sie schon davon gehört, daß ein Bauer nicht nur das Bett einer Magd besuchte, wenn seine Frau der Meinung war, sie hätten jetzt genügend Kinder, und er solle doch lieber zur Magd gehen, sondern sich auch an ihrem Eigentum verging. Eine offizielle Beschwerde oder gar Anzeige war da nicht drin, an wen sollten sich die Mädchen denn wenden? Die Obrigkeit, bestehend aus preußischen Beamten, die die Nase noch höher trugen als 20 Jahren zuvor die Coburger? Die würden sie nur auslachen und wegschicken. Und wenn der Bauer das mitkriegen würde, wären sie gleich noch ihre Anstellung los. Das konnten sie sich nicht leisten. So gut waren solche Stellen nicht gesät. Also blieb ihnen nur, auf die Ehrlichkeit ihrer Hausherren zu hoffen und Verstecke zu finden, die nicht so leicht aufzustöbern waren. Natürlich waren nicht alle Dienstherren so; aber wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, wer weiß, was die Not aus den Menschen macht …

Zwei junge Frauen, Mägde aus Berschweiler und Mettweiler, mögen sich in St. Wendel getroffen haben; vielleicht sind sie auch den mehrstündigen langen Weg durch Eis und Schnee nach St. Wendel zusammen gestapft oder kannten sich gar schon von früher her. Ein junger Mann, Knecht in Mettweiler, einem weiteren Ort im ehemals Lichtenbergischen, war mit ihnen gekommen. Hier in St. Wendel trafen sie auf eine Leidensgenossin, die schon deutlich älter war als sie und schon einiges mitgemacht hatte. Neun Jahre zuvor hatte sie einen Sohn geboren, unehelich natürlich, und ihn nach nur Tagen wieder verloren. Jetzt – mit knapp neununddreißig Jahren – war sie eine alte Frau, müde und verbraucht. Aber immer noch am Leben und mit dem Ehrgeiz beseelt, den jungen Leuten, die sie von früheren Besuchen her kannte, einiges von dem zu ersparen, was sie erlebt hatte.

Sie hatte in den vergangenen Wochen immer wieder von der neuen Spar= und Darlehnskasse gehört. Sie nahm die drei jungen Leute beiseite und erzählte ihnen von der neuen Anstalt, wo ihr Geld sicher war vor dem Zugriff ihres Dienstherren. Und das beste hielt sie sich für den Schluß auf: die Sparkasse würde sie für das Geld, das sie dort hinterlegen würden, auch noch bezahlen. Für jeden Taler, den sie dort hinbrachten und einen Jahr dort liegen ließen, würden sie einen halben Silbergroschen oder 15 Pfennige für dieses Jahr bekommen, und sie brauchten nichts dafür zu tun, als das Geld dorthin zu bringen und einfach liegenlassen und ohne etwas dafür zu tun.

Was die jungen Leute schließlich überzeugt haben mag. Am nächsten Montagmorgen machten sie sich wieder auf den langen Weg nach St. Wendel, ihr Erspartes in der Tasche. Am ehemaligen oberen Tor trafen sie auf ihre Freundin Maria Marschall.

Und kaum öffnete Herr Weynand morgens seinen Laden, da standen sie schon vor der Tür und machten ihre Einzahlungen:

Elisabeth Walter aus Berschweiler mit 30 Talern,
Catharina Stephan aus Eckersweiler mit 29 Talern,
Maria Marschall aus St. Wendel mit 13 Talern
und
Jacob Loch aus Mettweiler gar mit 40 Talern.

Stolz erhielt jeder von ihnen ein Sparbuch. Ein kleines Heft, in dem vom Rendanten höchstpersönlich die Summe eingetragen worden war und natürlich der Zinssatz in Höhe von 5 vom hundert, neudeutsch: 5 Prozent. Und: das Heftchen war ein Dokument, über das nur sie selber verfügen konnten. Außer ihnen konnte niemand etwas damit anfangen.

Was muß das für ein Gefühl für diese einfachen Leute gewesen sein, einem der hohen Herrn ihr Geld zur Verfügung gestellt zu haben. Und dieser hohe Herr bedankte sich herzlich bei jedem von ihnen und versprach, auf ihr Geld aufzupassen und es sicher zu verwalten.

Das geschah am Montag, dem 2. Februar 1859.

Und es sprach sich herum. Und gleich am nächsten Freitag kamen die nächsten Einzahler, diesmal alle aus St. Wendel, mit anderen Beträgen, größeren und kleineren.

Und so geht das bis heute.

Und da haben wir die Verbindung zwischen den St. Wendeler Kaufleuten und der Kreissparkasse. Denn ohne die Kaufleute und Händler hätte es keinen Markt gegeben. Und ohne den Markt würden Herr Weynand und seine Nachfolger womöglich noch heute auf ihre ersten Kunden warten.


[Regionalforum-Saar] Auch nicht übel.

Date: 2024/02/03 17:03:02
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Auch nicht übel. Als der berühmte Philesoph Montesquieu in London war, besuchte er unter andern auch den Minister Walpole, und eröffnete, gegen die Gewohnheit der Franzosen, die sonst bei jedem Fremden Geläufigkeit in ihrer Sprache voraussetzen, die Unterredung in Englisch. Walpole hörte mit großer Aufmerksamkeit zu, schien aber auf die Idee des Galliers nicht einzugehen; denn ungeachtet mehrer Ruhepunkte und Pausen konnte dieser keine Antwort oder Entgegung erhalten. Endlich sprach der Minister in gebrochenem Französisch: „Monsieur, ich verstehe zwar französisch, allein ich bin an den mündlichen Verkehr so wenig gewöhnt, daß ich Sie bitten muß, englisch mit mir zu sprechen.“

Quelle:


Re: [Regionalforum-Saar] Auch nicht übel.

Date: 2024/02/03 18:42:36
From: Christa Lippold <franzundchrista(a)t-online.de>

Das ist ja köstlich! 😁



Von meinem/meiner Galaxy gesendet


-------- Ursprüngliche Nachricht --------
Von: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Datum: 03.02.24 17:13 (GMT+01:00)
An: Stefan Reuter via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Betreff: [Regionalforum-Saar] Auch nicht übel.

Auch nicht übel. Als der berühmte Philesoph Montesquieu in London war, besuchte er unter andern auch den Minister Walpole, und eröffnete, gegen die Gewohnheit der Franzosen, die sonst bei jedem Fremden Geläufigkeit in ihrer Sprache voraussetzen, die Unterredung in Englisch. Walpole hörte mit großer Aufmerksamkeit zu, schien aber auf die Idee des Galliers nicht einzugehen; denn ungeachtet mehrer Ruhepunkte und Pausen konnte dieser keine Antwort oder Entgegung erhalten. Endlich sprach der Minister in gebrochenem Französisch: „Monsieur, ich verstehe zwar französisch, allein ich bin an den mündlichen Verkehr so wenig gewöhnt, daß ich Sie bitten muß, englisch mit mir zu sprechen.“

Quelle:


[Regionalforum-Saar] Vergessene Ehefrauen. Wie Frauen aus der Geschichte verschwinden

Date: 2024/02/06 18:39:33
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Forgotten Wives. How Women Get Written Out of History
von Ann Oakley

Veröffentlicht Bristol 2021: Bristol University Press

256 Seiten

Preis £ 19,99

ISBN 978-1447355847

Rezensiert von Katerina Piro, Wirtschaftsgeschichte, Universität Mannheim
[Die Rezension ist im Original in Englisch; ich habe sie mit Hilfe Dr. Googles ins Deutsche übersetzt]

Biographen konzentrieren sich immer noch häufig auf berühmte Männer. Derzeit trauert die Welt um Jacques Delors und Wolfgang Schäuble, zwei Politiker, die zweifellos die Europäische Union und ein wiedervereintes Deutschland geprägt haben. Ihre Ehefrauen Marie und Ingeborg haben kaum eigene Spuren hinterlassen, wenn man die Anzahl der Biografien, den Platz auf Wikipedia oder die Erwähnungen in den Nachrufen ihrer Ehemänner betrachtet. Am häufigsten wurden sie dafür gelobt, dass sie ihre Ehemänner unterstützten und neben der Familienerziehung auch gemeinnützige Arbeit leisteten. Frauen scheinen immer noch aus der Geschichte verschwunden zu sein.

In ihrem tiefen Einblick in vier weibliche Biografien aus dem Großbritannien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts – mehr als ein Jahrhundert vor Delors und Schäuble – zeigt Ann Oakley, wie Frauen sowohl von Zeitgenossen als auch von Biographen wahrgenommen wurden. Einige ihrer Erkenntnisse sind auffallend einfach: Sie zeigt auf den gemeinsamen Grabstein von Charles und Mary Booth, der seine vielen Errungenschaften auflistet und alle ihre Errungenschaften auslässt (S. 63); Sie erklärt, dass die Shaw Library an der London School of Economics tatsächlich nach Charlotte und nicht nach ihrem berühmten Dramatiker-Ehemann George Bernhard Shaw benannt wurde (S. 66); Sie rechnet nach, um das männliche Ungleichgewicht im biografischen Schreiben über Paare aufzuzeigen. Sie erinnert uns daran, dass in Archiven Frauen unter den Namen ihrer Ehemänner katalogisiert werden, wodurch es schwieriger wird, die Geschichten von Ehefrauen zu finden. Dies zeigt, wie „die Erfahrungen und Erfolge von Frauen so leicht in den Sedimenten der Ehe versinken können“ (S. 100).

Ann Oakley ist keine Historikerin, sondern Soziologin; Ihre zahlreichen Bücher und Projekte konzentrieren sich auf Geschlechterverhältnisse und die unbezahlte Arbeit von Frauen im Haushalt. oder die Geschichte der sozialwissenschaftlichen Forschung und des Wohlfahrtsstaates. Sie hat Biografien und Romane verfasst. Ihr Buch über „vergessene Frauen“ entspringt ihrem lebenslangen Interesse an der Geschichte der sozialwissenschaftlichen Forschung und der London School of Economics (LSE), deren Gründungsmitglied ihr Vater war. Aus diesem Grund liest sich das Buch teilweise wie eine Geschichte der LSE, wenn auch ihrer weniger bekannten oder „vergessenen“ Geschichte.

„Vergessen“ ist für Oakley ein Überbegriff, der Handlungen und Filter wie Ignorieren, Abwerten, Marginalisieren, Verzerren (S. 3), Verschweigen oder Abseitsstellen von Beiträgen (S. 176), moralisches Urteilen (S. 171) und böswilliges Bewerten umfasst (S. 90), Stereotypisierung (S. 175), Aufrechterhaltung negativer oder unzutreffender Einschätzungen (S. 101f), aktives Vergessen (S. 197) oder Fehlerinnern (S. 7). Oakleys Buch steht in guter Gesellschaft mit anderen Studien, die versuchen, Frauen vor dem Vergessen zu bewahren. In gewisser Weise ist es beunruhigend, dass das Vergessen der Frau im 21. Jahrhundert noch nicht in größerem Maße überwunden ist.

Die Frauen, die Ann Oakley porträtiert, wurden zwischen 1847 und 1880 geboren und heirateten Männer, die entweder allgemein berühmt waren (George Bernhard Shaw oder William Beveridge, der als Vater des britischen Wohlfahrtsstaats gilt) oder maßgeblich an der Gründung oder Leitung großer sozialwissenschaftlicher Projekte beteiligt waren – darunter die junge LSE. Sie flankiert diese in der Einleitung und im Schluss mit einer Reihe anderer Frauengeschichten (wie Clara Schumann, Mileva Maric Einstein, Harriet Taylor Mill oder Sofia Tolstoi). Das Vergessen geschah sowohl durch die Ehemänner, d. h. indem sie ihre Werke ihren Frauen widmeten, ihnen aber keine Mitautorenschaft anboten (S. 62); von Gleichaltrigen und Zeitgenossen sowie späteren Biographen.

Selbst bekannte Frauen werden am häufigsten durch das betrachtet, was Oakley den „politischen Filter der Ehefrau“ (S. 2) nennt, und danach beurteilt, wie gut sie zu den Vorstellungen der Gesellschaft, eine gute Ehefrau zu sein, passen. Mindestens eine der dargestellten Frauen entsprach nicht dem Muster einer guten Ehefrau aus dem 19. Jahrhundert, und Oakley zeigt, wie hart sie heute sowohl von Zeitgenossen als auch von Biographen beurteilt wurde (S. 101f); Dies weist auf die langfristige Dynamik von Reputationen hin.2 Ehemänner haben nicht den gleichen Effekt auf die Beurteilung von Männern, und Oakley weist auf die (immer noch bestehende) „gähnende Kluft zwischen den Geschlechtern in den Erwartungen“ in Bezug auf die Ehe hin (S. 113).

Oakleys Hauptanliegen besteht nicht nur darin, die Biografien der Frauen auf der Grundlage umfangreicher Archivquellen wie Briefe, Tagebücher und Aufzeichnungen ihrer Schriften zu konkretisieren; sondern sich auf die Ehe als „primäre politische Erfahrung und Institution, die die Arbeit und Identität von Frauen definiert“ (S. 1) zu konzentrieren. Methodisch versucht sie einerseits die Fakten darzustellen und andererseits, wie die Frauen und ihre Ehen von Zeitgenossen oder Biographen (in der Regel die Biographen ihres Mannes) betrachtet wurden.

Während sie viel Privates und Intimes preisgibt, besteht ihr Hauptversuch darin, die Beziehungen der Frauen zur Arbeit ihres Mannes aufzuzeigen und zu beurteilen, wie wichtig ihr Beitrag war – sei es als Hausmeister oder Haushaltsverwalter, aber noch wichtiger als Ideengeber, Schriftsteller und Propagatoren . Es ist vielleicht nicht so überraschend, dass Oakley feststellt, dass die Bemühungen und Beiträge der Frauen stark heruntergespielt wurden – was tatsächlich überrascht, ist das Ausmaß der Abwertung oder des Vergessens. Sie findet die Arbeit von Ehefrauen „im Hintergrund, am Rande oder oft nur in Fußnoten“ (S. 27).

Manchmal gehen die einzelnen Biografien zu sehr ins Detail über Verwandtschaftsnetzwerke, Landhäuser oder Gremienarbeit. Zu anderen Zeiten versucht Oakley, die Frauen zu erhöhen, indem sie die Ehemänner vielleicht zu hart beurteilt; Auch sie selbst ist nicht davor gefeit, einige Stereotypen aufrechtzuerhalten, etwa indem sie den ersten Job einer der Frauen als „willkommene Abwechslung zum Schreiben für ihren Vater“ (S. 111) und nicht als Berufswahl beschreibt. Allerdings handelt es sich hierbei um geringfügige Kritikpunkte.

Ann Oakleys Buch ist für Historiker und Biographen gleichermaßen wichtig: Sie schlägt vor, das Leben von Frauen anders zu lesen und den Frauen in einer Partnerschaft und ihren Erfolgen oder Misserfolgen aufgrund ihrer Ehen viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Biographen sollten sich fragen: „Was hätte er ohne sie erreichen können?“ (S. 191), wenn sie die Leistungen von Männern bewerten. Ehemänner und Männer sollten stärker danach beurteilt werden, welche Unterstützung sie von ihren Frauen und anderen Frauen erhalten haben und ob sie ihre Frauen dazu gedrängt haben, etwas zu erreichen und anerkannt zu werden oder nicht. Auf jeden Fall wäre es fantastisch, mehr Biografien wie die der von Oakley porträtierten vergessenen Frauen zu sehen; Biografien, die die Auswirkungen der Ehe auf das Leben des Einzelnen kritisch bewerten.

Anmerkungen:
1 Henriette Hufgard / Kristina Steimer, [ausgeklammert]. Die Philosophinnen der Frankfurter Schule – eine unerhörte Geschichte, München 2023.
2 Dies erinnert an Yvonne Wards Buch über die männlichen Biographen von Königin Victoria, die ihr Bild über Jahrzehnte hinweg nicht nur prägten, sondern auch zensierten und zementierten. Siehe: Yvonne M. Ward, Zensur von Königin Victoria. Wie zwei Herren eine Königin bearbeiteten und eine Ikone schufen, London 2013.Zitation
Katerina Piro, Rezension zu: Oakley, Ann: Forgotten Wives. How Women Get Written Out of History. Bristol 2021 , ISBN 978-1447355847, In: H-Soz-Kult, 07.02.2024, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-138134>.



--
Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

--------------------

Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de

Re: [Regionalforum-Saar] Vergessene Ehefrauen. Wie Frauen aus der Geschichte verschwinden

Date: 2024/02/06 19:11:11
From: Christa Lippold <franzundchrista(a)t-online.de>

Sehr interessant! Danke!



Von meinem/meiner Galaxy gesendet


-------- Ursprüngliche Nachricht --------
Von: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Datum: 06.02.24 18:49 (GMT+01:00)
An: Stefan Reuter via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Betreff: [Regionalforum-Saar] Vergessene Ehefrauen. Wie Frauen aus der Geschichte verschwinden

Forgotten Wives. How Women Get Written Out of History
von Ann Oakley

Veröffentlicht Bristol 2021: Bristol University Press

256 Seiten

Preis £ 19,99

ISBN 978-1447355847

Rezensiert von Katerina Piro, Wirtschaftsgeschichte, Universität Mannheim
[Die Rezension ist im Original in Englisch; ich habe sie mit Hilfe Dr. Googles ins Deutsche übersetzt]

Biographen konzentrieren sich immer noch häufig auf berühmte Männer. Derzeit trauert die Welt um Jacques Delors und Wolfgang Schäuble, zwei Politiker, die zweifellos die Europäische Union und ein wiedervereintes Deutschland geprägt haben. Ihre Ehefrauen Marie und Ingeborg haben kaum eigene Spuren hinterlassen, wenn man die Anzahl der Biografien, den Platz auf Wikipedia oder die Erwähnungen in den Nachrufen ihrer Ehemänner betrachtet. Am häufigsten wurden sie dafür gelobt, dass sie ihre Ehemänner unterstützten und neben der Familienerziehung auch gemeinnützige Arbeit leisteten. Frauen scheinen immer noch aus der Geschichte verschwunden zu sein.

In ihrem tiefen Einblick in vier weibliche Biografien aus dem Großbritannien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts – mehr als ein Jahrhundert vor Delors und Schäuble – zeigt Ann Oakley, wie Frauen sowohl von Zeitgenossen als auch von Biographen wahrgenommen wurden. Einige ihrer Erkenntnisse sind auffallend einfach: Sie zeigt auf den gemeinsamen Grabstein von Charles und Mary Booth, der seine vielen Errungenschaften auflistet und alle ihre Errungenschaften auslässt (S. 63); Sie erklärt, dass die Shaw Library an der London School of Economics tatsächlich nach Charlotte und nicht nach ihrem berühmten Dramatiker-Ehemann George Bernhard Shaw benannt wurde (S. 66); Sie rechnet nach, um das männliche Ungleichgewicht im biografischen Schreiben über Paare aufzuzeigen. Sie erinnert uns daran, dass in Archiven Frauen unter den Namen ihrer Ehemänner katalogisiert werden, wodurch es schwieriger wird, die Geschichten von Ehefrauen zu finden. Dies zeigt, wie „die Erfahrungen und Erfolge von Frauen so leicht in den Sedimenten der Ehe versinken können“ (S. 100).

Ann Oakley ist keine Historikerin, sondern Soziologin; Ihre zahlreichen Bücher und Projekte konzentrieren sich auf Geschlechterverhältnisse und die unbezahlte Arbeit von Frauen im Haushalt. oder die Geschichte der sozialwissenschaftlichen Forschung und des Wohlfahrtsstaates. Sie hat Biografien und Romane verfasst. Ihr Buch über „vergessene Frauen“ entspringt ihrem lebenslangen Interesse an der Geschichte der sozialwissenschaftlichen Forschung und der London School of Economics (LSE), deren Gründungsmitglied ihr Vater war. Aus diesem Grund liest sich das Buch teilweise wie eine Geschichte der LSE, wenn auch ihrer weniger bekannten oder „vergessenen“ Geschichte.

„Vergessen“ ist für Oakley ein Überbegriff, der Handlungen und Filter wie Ignorieren, Abwerten, Marginalisieren, Verzerren (S. 3), Verschweigen oder Abseitsstellen von Beiträgen (S. 176), moralisches Urteilen (S. 171) und böswilliges Bewerten umfasst (S. 90), Stereotypisierung (S. 175), Aufrechterhaltung negativer oder unzutreffender Einschätzungen (S. 101f), aktives Vergessen (S. 197) oder Fehlerinnern (S. 7). Oakleys Buch steht in guter Gesellschaft mit anderen Studien, die versuchen, Frauen vor dem Vergessen zu bewahren. In gewisser Weise ist es beunruhigend, dass das Vergessen der Frau im 21. Jahrhundert noch nicht in größerem Maße überwunden ist.

Die Frauen, die Ann Oakley porträtiert, wurden zwischen 1847 und 1880 geboren und heirateten Männer, die entweder allgemein berühmt waren (George Bernhard Shaw oder William Beveridge, der als Vater des britischen Wohlfahrtsstaats gilt) oder maßgeblich an der Gründung oder Leitung großer sozialwissenschaftlicher Projekte beteiligt waren – darunter die junge LSE. Sie flankiert diese in der Einleitung und im Schluss mit einer Reihe anderer Frauengeschichten (wie Clara Schumann, Mileva Maric Einstein, Harriet Taylor Mill oder Sofia Tolstoi). Das Vergessen geschah sowohl durch die Ehemänner, d. h. indem sie ihre Werke ihren Frauen widmeten, ihnen aber keine Mitautorenschaft anboten (S. 62); von Gleichaltrigen und Zeitgenossen sowie späteren Biographen.

Selbst bekannte Frauen werden am häufigsten durch das betrachtet, was Oakley den „politischen Filter der Ehefrau“ (S. 2) nennt, und danach beurteilt, wie gut sie zu den Vorstellungen der Gesellschaft, eine gute Ehefrau zu sein, passen. Mindestens eine der dargestellten Frauen entsprach nicht dem Muster einer guten Ehefrau aus dem 19. Jahrhundert, und Oakley zeigt, wie hart sie heute sowohl von Zeitgenossen als auch von Biographen beurteilt wurde (S. 101f); Dies weist auf die langfristige Dynamik von Reputationen hin.2 Ehemänner haben nicht den gleichen Effekt auf die Beurteilung von Männern, und Oakley weist auf die (immer noch bestehende) „gähnende Kluft zwischen den Geschlechtern in den Erwartungen“ in Bezug auf die Ehe hin (S. 113).

Oakleys Hauptanliegen besteht nicht nur darin, die Biografien der Frauen auf der Grundlage umfangreicher Archivquellen wie Briefe, Tagebücher und Aufzeichnungen ihrer Schriften zu konkretisieren; sondern sich auf die Ehe als „primäre politische Erfahrung und Institution, die die Arbeit und Identität von Frauen definiert“ (S. 1) zu konzentrieren. Methodisch versucht sie einerseits die Fakten darzustellen und andererseits, wie die Frauen und ihre Ehen von Zeitgenossen oder Biographen (in der Regel die Biographen ihres Mannes) betrachtet wurden.

Während sie viel Privates und Intimes preisgibt, besteht ihr Hauptversuch darin, die Beziehungen der Frauen zur Arbeit ihres Mannes aufzuzeigen und zu beurteilen, wie wichtig ihr Beitrag war – sei es als Hausmeister oder Haushaltsverwalter, aber noch wichtiger als Ideengeber, Schriftsteller und Propagatoren . Es ist vielleicht nicht so überraschend, dass Oakley feststellt, dass die Bemühungen und Beiträge der Frauen stark heruntergespielt wurden – was tatsächlich überrascht, ist das Ausmaß der Abwertung oder des Vergessens. Sie findet die Arbeit von Ehefrauen „im Hintergrund, am Rande oder oft nur in Fußnoten“ (S. 27).

Manchmal gehen die einzelnen Biografien zu sehr ins Detail über Verwandtschaftsnetzwerke, Landhäuser oder Gremienarbeit. Zu anderen Zeiten versucht Oakley, die Frauen zu erhöhen, indem sie die Ehemänner vielleicht zu hart beurteilt; Auch sie selbst ist nicht davor gefeit, einige Stereotypen aufrechtzuerhalten, etwa indem sie den ersten Job einer der Frauen als „willkommene Abwechslung zum Schreiben für ihren Vater“ (S. 111) und nicht als Berufswahl beschreibt. Allerdings handelt es sich hierbei um geringfügige Kritikpunkte.

Ann Oakleys Buch ist für Historiker und Biographen gleichermaßen wichtig: Sie schlägt vor, das Leben von Frauen anders zu lesen und den Frauen in einer Partnerschaft und ihren Erfolgen oder Misserfolgen aufgrund ihrer Ehen viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Biographen sollten sich fragen: „Was hätte er ohne sie erreichen können?“ (S. 191), wenn sie die Leistungen von Männern bewerten. Ehemänner und Männer sollten stärker danach beurteilt werden, welche Unterstützung sie von ihren Frauen und anderen Frauen erhalten haben und ob sie ihre Frauen dazu gedrängt haben, etwas zu erreichen und anerkannt zu werden oder nicht. Auf jeden Fall wäre es fantastisch, mehr Biografien wie die der von Oakley porträtierten vergessenen Frauen zu sehen; Biografien, die die Auswirkungen der Ehe auf das Leben des Einzelnen kritisch bewerten.

Anmerkungen:
1 Henriette Hufgard / Kristina Steimer, [ausgeklammert]. Die Philosophinnen der Frankfurter Schule – eine unerhörte Geschichte, München 2023.
2 Dies erinnert an Yvonne Wards Buch über die männlichen Biographen von Königin Victoria, die ihr Bild über Jahrzehnte hinweg nicht nur prägten, sondern auch zensierten und zementierten. Siehe: Yvonne M. Ward, Zensur von Königin Victoria. Wie zwei Herren eine Königin bearbeiteten und eine Ikone schufen, London 2013.Zitation
Katerina Piro, Rezension zu: Oakley, Ann: Forgotten Wives. How Women Get Written Out of History. Bristol 2021 , ISBN 978-1447355847, In: H-Soz-Kult, 07.02.2024, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-138134>.



--
Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

--------------------

Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de

[Regionalforum-Saar] HANSE. QUELLEN. LESEN!

Date: 2024/02/07 10:54:17
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Liebe Freundinnen und Freunde der Familienforschung,

die Genealogisch-heraldische Arbeitsgemeinschaft Roland zu Dortmund möchte euch sehr herzlich zu ihrer folgenden Online-Veranstaltung auf Zoom einladen:

Roland-Online-Vortrag

HANSE. QUELLEN. LESEN!
Die Spätzeit der Hanse gemeinsam entdecken

mit der Referentin Vivien Popken

am Dienstag, dem 13. Februar 2024 um 19.00 Uhr auf Zoom!
Einlass in den Zoom-Meeting-Raum ab 18.30 Uhr.

Einladung mit Teilnahmemöglichkeit:

https://www.roland-dortmund.de/2024/01/09/online-vortrag-hanse-quellen-lesen-transkribus-am-13-02-2024/

Wir würden uns sehr darüber freuen, euch wieder sehr zahlreich zu dieser Online-Veranstaltung in unserem Zoom-Meeting-Raum begrüßen zu dürfen.

Viele liebe Grüße

Georg (Palmüller)


Genealogisch-heraldische Arbeitsgemeinschaft
ROLAND ZU DORTMUND e. V.
Beauftragter Roland-Öffentlichkeitsarbeit

[Regionalforum-Saar] Luxembourg Immigration to Southern Brazil

Date: 2024/02/08 18:53:20
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Betreff:
MKI Virtual Lecture: “Luxembourg Immigration to Southern Brazil," Febr. 28, 2024, 12pm CST
Von:
"'Antje Petty' via Max Kade Institute Email List" <mkifriends(a)g-groups.wisc.edu>
Datum:
08.02.2024, 18:40
An:
Antje Petty <apetty(a)wisc.edu>

Live Virtual Lecture

Luxembourg Immigration to Southern Brazil

 with

Carlo Krieger and Jean Ensch

Luxembourg

Wednesday, February 28, 2024

12:00 PM/noon Central Standard Time (Chicago Time)


Free and open to the public, but registration is required. 

Email Antje Petty (apetty(a)wisc.edu) to receive a link. 

​Links will be sent on February 27, 2024.

 

 

In the mid-1820s, the newly independent country of Brazil invited Europeans to settle its southern lands and provide a bulwark along the borders to Argentina and Paraguay. These efforts coincided with a period of economic hardship in the rural regions of Luxembourg and neighboring German lands. Fueled by the propaganda of emigration agents, it did not take long for “Brazil fever” to set in. In 1828, after a harrowing migration experience, the first thousand Luxembourgers arrived in Brazil — a generation before the first Luxembourg settlement in the US Midwest.  Since then, immigration to Brazil has continued quietly and steadily. Today 30,000 – 50,000 Brazilians are estimated to have Luxembourg ancestry.


In this presentation, Carlo Krieger and Jean Ensch will focus on the Luxembourg presence in southern Brazil today and the history of Luxembourg immigration to the region, while drawing  comparisons to the experiences of Luxembourg settlers and their descendants in the United States.

 

.     


Carlo Krieger holds a Ph.D. in social anthropology and is a retired Ambassador of the Grand Duchy of Luxembourg who had his final posting in Brasilia, Brazil. He serves on the Board of Directors of the Luxembourg American Cultural Society & Center in Belgium, Wisconsin, and as President of its Roots and Leaves Museum.

 

Jean Ensch is President of the Institut Grand Ducal (Section of linguistics, ethnology, and onomastics), a founding member of the Luxembourg Genealogical Society (ALGH), and a member of the Board of Directors of the Luxembourg American Cultural Society & Center in Belgium, Wisconsin.

 

For more information click HERE or contact Antje Petty (apetty(a)wisc.edu)


------

 

**The Max Kade Institute Virtual Lectures Series is made possible with the support of the Friends of the Max Kade Institute. ​To learn more about the Friends of the Max Kade Institute, including how to become a member, click HERE.

 

 

-----

Antje Petty, Associate Director

Max Kade Institute for German-American Studies

University of Wisconsin

432 East Campus Mall

Madison, WI 53706

608-262-7546

apetty(a)wisc.edu

http://mki.wisc.edu

--
To unsubscribe from this group and stop receiving emails from it, send an email to mkifriends+unsubscribe(a)g-groups.wisc.edu.

[Regionalforum-Saar] Regionalforum-Saar Nachrichtensammlung, Band 230, Eintrag 10

Date: 2024/02/09 12:26:54
From: Horst-Dieter Göttert via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Hallo in die Runde,
zur Auswanderung von Luxemburgern in den Süden Brasiliens gibt es im Anhang
zu meiner Arbeit aus dem Jahr 1999 mit dem Titel "Vom Moselland nach
Brasilien - Die Föhrener Familie Kreten-Götten", zwei Auswandererlisten.
Diese enthalten i.W. Auswanderer aus dem Raum Mosel-Eifel-Untere Saar, aber
auch einige, die aus dem benachbarten Luxemburg kamen.

Ziel war die brasilianische Provinz Santa Catarina mit einigen
Zwischenstationen, z.B. Rio Negro.
Fokusiert habe ich mich dabei auf den konkreten Auswanderungsgang der o.g.
Familie aus Föhren.

Die Veröffentlichung steht in diversen deutschen Bibliotheken, darunter die
Landeskundliche Abteilung der Stadtbücherei Saarbrücken.

Horst-Dieter Göttert  -  www.hdgoettert.de

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: regionalforum-saar-bounces(a)genealogy.net
[mailto:regionalforum-saar-bounces(a)genealogy.net] Im Auftrag von
regionalforum-saar-request(a)genealogy.net
Gesendet: Donnerstag, 8. Februar 2024 18:53
An: regionalforum-saar(a)genealogy.net
Betreff: Regionalforum-Saar Nachrichtensammlung, Band 230, Eintrag 10

Um E-Mails an die Liste Regionalforum-Saar zu schicken, nutzen Sie bitte die
Adresse

	regionalforum-saar(a)genealogy.net

Um sich via Web von der Liste zu entfernen oder draufzusetzen:

	https://list.genealogy.net/mm/listinfo/regionalforum-saar

oder, via E-Mail, schicken Sie eine E-Mail mit dem Wort 'help' in
Subject/Betreff oder im Text an

	regionalforum-saar-request(a)genealogy.net

Sie koennen den Listenverwalter dieser Liste unter der Adresse

	regionalforum-saar-owner(a)genealogy.net

erreichen

Wenn Sie antworten, bitte editieren Sie die Subject/Betreff auf einen
sinnvollen Inhalt der spezifischer ist als "Re: Contents of
Regionalforum-Saar digest..."


Meldungen des Tages:

   1. Luxembourg Immigration to Southern Brazil
      (Roland Geiger via Regionalforum-Saar)


----------------------------------------------------------------------

Message: 1
Date: Thu, 8 Feb 2024 18:53:10 +0100
From: "Roland Geiger via Regionalforum-Saar"
	<regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Subject: [Regionalforum-Saar] Luxembourg Immigration to Southern
	Brazil
To: Stefan Reuter via Regionalforum-Saar
	<regionalforum-saar(a)genealogy.net>,	saarland-l(a)genealogy.net,
Pfalz-L
	<pfalz-l(a)genealogy.net>,	Hunsrueck-L
<hunsrueck-l(a)genealogy.net>,
	"Transitional," <transitional-genealogists-forum(a)groups.io>,	KENT
	CUTKOMP via IGGP-L <iggp-l(a)genealogy.net>
Message-ID: <0eba8175-0048-430b-b963-b8b966ed7724(a)web.de>
Content-Type: text/plain; charset="utf-8"; Format="flowed"

Betreff:
MKI Virtual Lecture: ?Luxembourg Immigration to Southern Brazil," Febr.
28, 2024, 12pm CST
Von:
"'Antje Petty' via Max Kade Institute Email List"
<mkifriends(a)g-groups.wisc.edu>
Datum:
08.02.2024, 18:40

An:
Antje Petty <apetty(a)wisc.edu>


Live Virtual Lecture


  /Luxembourg Immigration to Southern Brazil/

  with

Carlo Krieger and Jean Ensch

Luxembourg

*Wednesday, February 28, 2024*

*12:00 PM/noon****Central Standard Time (Chicago Time)*


Free and open to the public, but registration is required.

Email Antje Petty (apetty(a)wisc.edu) to receive a link.

?Links will be sent on February 27, 2024.

In the mid-1820s, the newly independent country of Brazil invited Europeans
to settle its southern lands and provide a bulwark along the borders to
Argentina and Paraguay. These efforts coincided with a period of economic
hardship in the rural regions of Luxembourg and neighboring German lands.
Fueled by the propaganda of emigration agents, it did not take long for
?Brazil fever? to set in. In 1828, after a harrowing migration experience,
the first thousand Luxembourgers arrived in Brazil ? a generation before the
first Luxembourg settlement in the US Midwest.
  Since then, immigration to Brazil has continued quietly and steadily.
Today 30,000 ? 50,000 Brazilians are estimated to have Luxembourg ancestry.

In this presentation, Carlo Krieger and Jean Ensch will focus on the
Luxembourg presence in southern Brazil today and the history of Luxembourg
immigration to the region, while drawing  comparisons to the experiences of
Luxembourg settlers and their descendants in the United States.

*Carlo Krieger *holds a Ph.D. in social anthropology and is a retired
Ambassador of the Grand Duchy of Luxembourg who had his final posting in
Brasilia, Brazil. He serves on the Board of Directors of the Luxembourg
American Cultural Society & Center in Belgium, Wisconsin, and as President
of its Roots and Leaves Museum.

*Jean Ensch* is President of the Institut Grand Ducal (Section of
linguistics, ethnology, and onomastics), a founding member of the Luxembourg
Genealogical Society (ALGH), and a member of the Board of Directors of the
Luxembourg American Cultural Society & Center in Belgium, Wisconsin.

*For more information click HERE
<https://mki.wisc.edu/event/virtual-lecture-luxembourg-immigration-to-southe
rn-brazil/>or
contact Antje Petty (apetty(a)wisc.edu)*
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support of the***Friends of the Max Kade Institute*. ?To learn more about
theFriends of the Max Kade Institute, including how to become a member,
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Antje Petty, Associate Director

Max Kade Institute for German-American Studies

University of Wisconsin

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[Regionalforum-Saar] Über Deutschland

Date: 2024/02/09 21:39:46
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Abend,

Als ich ein Kind war, las ich einen Roman mit dem Titel „Tom und der lachende Fuchs“ (von Rolf Ulrici) über einen deutschen Jungen – Thomas – dessen Eltern gestorben waren und dessen Tante in Amerika ihn adoptiert hatte. Dort lernt er einen Indianer namens „Lachender Fuchs“ kennen, der ihm viel über Amerika und seinen Stamm usw. erzählt. Ich las es vor 45 Jahren, erinnere sich aber noch an die Szene, als sie sich zum ersten Mal trafen. Lachender Fuchs fragt, woher er kommt und Tom sagt es ihm. Reaktion von Lachender Fuchs: „Oh, Jahr, Deutschland, viel Bier und viel Juhu.“ Und Tom merkt, dass er München und Bayern meint, während Tom aus Köln kam.

Das hatte ich in den ersten Jahren im Hinterkopf, als Amerikaner zu Besuch kamen, und ich sie auf der Suche nach Stätten aus dem Zweiten Weltkrieg oder nach genealogischen Themen begleitete. Einige von ihnen dachten wirklich, dass Deutschland und Bayern dasselbe seien. Sie waren für zwei Wochen nach Deutschland gekommen. Tagelang verbrachten sie im Schloss Neuschwanstein, in München, Berlin, Köln und im Rheintal mit dem Loreley-Felsen – was sie aus dem Fernsehen kannten. Nur einen Tag nahmen sie sich Zeit dorthin zu gehen, woher ihre Vorfahren kamen. Ich wusste damals noch nicht, dass sie nur zehn Tage Urlaub pro Jahr zur Verfügung hatten. Während ich 30 Tage pro Jahr frei hatte, plus eine Reihe nationaler Feiertage wie Oster- und Pfingstmontag und mehrere Donnerstage wie Christi Himmelfahrt sowie den 1. Mai und 3. Oktober und den 15. August usw.

Das kam mir in den Sinn, als ich diesen kleinen Artikel in der „Wochenzeitung für St. Wendel County“ vom November 1842 fand:

„(12.11.1842] Die Neger in Westindien halten das gesammte Deutschland für ein großes weites Land, das den Namen Hamburg führt. Es ist unnütz, ihnen einreden zu wollen, Hamburg sei blos eine Stadt; sie entgegnen, es wäre nicht möglich, daß eine einzige Stadt so viele Schiffe ausrüsten und in die Welt schicken könnte. Von den deutschen Staaten wie Preußen, Bayern, Sachsen etc., glauben sie, daß es mehr oder weniger volkreiche Städte sind, die in dem großen Hamburg zerstreut umherliegen.“

Bene Vale
Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] Wege der Donauschwaben und vorhandene Forschungsquellen vor allem der josefinischen Ansiedlung

Date: 2024/02/12 08:36:56
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Jeden Mittwoch um 18 Uhr gibt es einen Vortrag über das Internet.
Dieses Mal wird uns Frau Schmalbach über die Wege der Donauschwaben informieren.

14. Februar 2024, 18 Uhr
Wege der Donauschwaben und vorhandene Forschungsquellen vor allem der josefinischen Ansiedlung
Inhalt:
- Herkunftsländer der Auswanderer
- Beispiel Pfalz: Gründe für hohes Auswanderungsbedürfnis
- Weg der Donauschwaben am Beispiel eines Auswanderers
- verschiedene vorhandene Quellen an den Stationen der Ansiedler
- knapper Abriss der Zeit der Donauschwaben in der Batschka
- erneute Vertreibung und Auswanderung ab ca. 1944/1945
- Rolle der IRO (International Refugee Organisation) und Quellenlage
Vortragende: Angelika SCHMALBACH
Bitte hier anmelden:
(
https://us06web.zoom.us/meeting/register/tZwsdOuppjkjEtfwo8zbnWBwKgI7XvyUO5cQ)

Hier finden Sie alle Themen unseres 4. Jahreskurses 2023/2024 und die links zur Anmeldung bei Zoom.
(
https://www.familia-austria.at/index.php/termine/1808-einladung-zum-4-virtuellen-jahreskurs-2023-2024-bei-familia-austria-vortraege-schulungen-und-analyseabende)
Die Teilnahme ist kostenlos und für alle interessierten Forscher, egal ob sie Mitglieder unserer Familia Austria sind oder nicht, offen.
Bitte geben Sie diese Einladung an andere Interessierte, Vereine, Mail-Listen, Foren usw. weiter.
 
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Brunner, Dr. Peter Haas, Günter Ofner, Angelika Schmalbach, Gabriele Stark, Dr. Alexander Weber und Claudia Weck
(der Vereinsvorstand)

[Regionalforum-Saar] Rezensionsessay: Denkmäler und Denkmalstürze in Demokratien

Date: 2024/02/13 08:36:55
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Brückle, Wolfgang; Mader, Rachel; Polzer, Brita (Hrsg.): Die Gegenwart des Denkmals. Auslegung, Zerstörung, Belebung. Zürich 2023 : diaphanes, ISBN 978-3-0358-0546-8 525 S. € 50,00

Faludi, Christian; Zänker, Stephan (Hrsg.): Nichts ist so unsichtbar wie ein Denkmal [für Ernst Thälmann]. Zur Geschichte eines umstrittenen Erinnerungsortes. Göttingen 2023 : Wallstein Verlag, ISBN 978-3-8353-5379-4 168 S. € 22,00

Shanken, Andrew M.: The Everyday Life of Memorials New York 2022 : Zone Books, ISBN 978-1-9421-3072-7 435 S. $ 35.00

Thompson, Erin L.: Smashing Statues. The Rise and Fall of America's Public Monuments. New York 2022 : W.W. Norton & Company, ISBN 978-0-3938-6767-1 264 S. $ 15.95

Widrich, Mechtild: Monumental Cares. Sites of History and Contemporary Art. Manchester 2023 : Manchester University Press, ISBN 978-1-5261-6811-5 238 S. £ 25.00

Rezensiert für H-Soz-Kult von Tanja Schult, Department of Culture and Aesthetics, Stockholm University

Die Konventionen des bürgerlichen Denkmals bildeten sich nach der Französischen Revolution heraus. Bei den Stadtumwandlungen des 19. Jahrhunderts gehörte das Denkmal auf den neu angelegten Plätzen und in den Parks einfach dazu. Inflationär wurden Denkmäler in die expandierenden Städte gepflanzt (Shanken, Life, S. 92, S. 132–135) – von London bis Kapstadt wurden so Schriftsteller, Komponisten und Erfinder geehrt. Dieses Inventar umgibt sich mit einer Aura des schon immer Dagewesenen und insistiert auf Bleiberecht.

Doch seit den Protestbewegungen Rhodes Must Fall (2015) und Black Lives Matter (ab 2013 bzw. verstärkt ab 2020) wurden diese naturalisierten Platzhalter weltweit infrage gestellt, zumindest in demokratischen Gesellschaften. Das eine oder andere Denkmal musste tatsächlich weichen – darunter eben auch die Rhodes-Statue an der Universität Kapstadt (was allerdings, vor allem in Südafrika, eine Ausnahmeerscheinung darstellt1). Etwas ist aber heute grundsätzlich anders als in Zeiten früherer Denkmalstürze: Es geht in der Regel nicht darum, ein Regime oder ideologisches Modell durch ein anderes zu ersetzen. Das Interessante an den jetzigen Denkmalstreitigkeiten ist, dass sie gerade keinen Regimewechsel wollen. Im Gegenteil: Sie wollen demokratische Gesellschaften demokratischer machen; nicht nur, aber auch durch die Umgestaltung des öffentlichen Raums. Die hier zu besprechenden Publikationen beschäftigen sich alle mit der Frage der Relevanz von Denkmälern in Demokratien.

Denkmalstreit und Denkmalsturz als Handlungsoptionen

In „Smashing Statues“ widmet sich Erin L. Thompson nicht nur dem Sturz, sondern auch der Entstehung amerikanischer Denkmäler. Teil I des Buches, Rising, behandelt die Anfänge moderner Denkmalkultur in den USA. Diese Zeit beginnt nicht mit der Errichtung eines Denkmals, sondern mit einem Denkmalsturz: der Zerstörung der Reiterstatue von George III. 1776 in New York. Die Protestierenden sahen es als ihr Recht an, den britischen König als Symbol kolonialer Unterdrückung vom Sockel zu stürzen und sein Abbild zu zerstören.

Thompson hat in Archiven gegraben und sich kritisch durch die umfangreiche Literatur gelesen. Sie zeigt die Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse hinter den scheinbar so unschuldigen Symbolen US-amerikanischen Selbstverständnisses. Die dem Denkmalsturz nachfolgende Welle neuer Setzungen war durchweg geprägt von den Produktionsbedingungen der Sklavenhaltung. Diese physischen Marker folgten also von Anfang an nicht dem Grundsatz der Gleichheit. Der große nationale Selbstbetrug der US-amerikanischen Gesellschaft war und ist, dass Gleichheit und Freiheit vor allem die weiße Einwanderergesellschaft meinen, die die Indigenen verdrängt hatte und schwarze Menschen ausbeutete. Die Denkmalproteste als Reaktion auf die Ermordung von George Floyd im Jahr 2020 haben ihre Ursache darin, dass die US-amerikanische Gedenklandschaft – wie die Gesellschaft an sich – weiter stark von Ideen weißer Vorherrschaft geprägt ist. Für den Wandel hin zu einer gerechteren Gesellschaft ist es unerlässlich, sich dieser kontaminierten Gedenklandschaft zu stellen. Selbst wenn eine solche Überzeugung nicht allgemein geteilt wird, hat sie neuerdings an Rückhalt gewonnen.2 Denkmäler sind untote Wiedergänger (Shanken, Life, S. 352), deren einstige Bedeutung durch Denkmalstreitigkeiten erneut zum Leben erweckt wird, sich durch diese Kontroversen meist aber auch verschiebt. Tatsächlich sind es gerade die gegenwärtigen Denkmalkonflikte, die zum Neu-Sehen der steinernen Hinterlassenschaften einladen und die Beteiligten anregen zu überlegen, wer sie als Gesellschaft sein wollen (ebd., S. 14).

Obgleich bereits in der Einleitung zur Anthologie „Die Gegenwart des Denkmals“3 betont wird, dass die Beseitigung von Denkmälern nicht einer Auslöschung von Geschichte gleichkommt und solche Pauschalisierungen schlicht ahistorisch sind (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 11), wird dieses irrige Argument im selben Band dennoch angeführt, ausgerechnet von Aleida Assmann, die zudem behauptet, Denkmäler seien „jahrhundertelang“ vergessen gewesen und nun plötzlich – „durch einen Normenwandel in der Gesellschaft“ und erst infolge von Migration – Gegenstand von Diskussionen geworden (ebd., S. 89). Thompson hält solcher Argumentation entgegen (mit Blick auf eine US-amerikanische Gesellschaft, die seit 500 Jahren vom Sklavenhandel geprägt ist), dass die Entscheidungsmacht, für wen oder was Denkmäler errichtet werden und ob diese stehen bleiben dürfen, äußerst ungerecht in der Gesellschaft verteilt ist. Menschen, die jahrelang gegen Denkmäler protestierten, wurden systematisch ignoriert. Sie sehen in der Vandalisierung oder dem Denkmalsturz ein letztes Mittel, überhaupt eine Reaktion auf ihr Anliegen zu erhalten (Thompson, Statues, S. 33). So dauerte es Jahrzehnte, bis es im Juni 2020 zum Sturz der Edward-Colston-Statue in Bristol kam, wie es Andrea Bruggmann in ihrem hervorragenden Artikel zeigt (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 231).

Anders als Assmann argumentiert im gleichen Sammelband Jules Pelta Feldman, die sich intensiv mit dem Mythos der Geschichtsauslöschung durch Denkmalsturz auseinandersetzt. Feldman verteidigt Denkmalstürze und macht deutlich, dass wir uns der Logik der auf uns gekommenen Denkmäler nicht unterwerfen müssen. Gerade wenn wir Denkmälern Wirkungsmacht zugestehen und diese Objekte bestimmte Werte transportieren, die den demokratischen Idealen fundamental entgegenstehen, haben wir laut Feldman nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, diese dem Stadtraum wieder zu entziehen (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 145). Das hat nichts mit Geschichtsvergessenheit oder -auslöschung zu tun. Es geht um den Entzug der Ehrerbietung, die ein Personendenkmal immer impliziert (Thompson, Statues, S. 171). Feldman erinnert daran, wie bei der Bewertung von Denkmalstürzen mit zweierlei Maß gemessen wird. Während es einigen Kritiker:innen einleuchtet, dass nach dem Ende der Sowjetunion oder des Regimes von Saddam Hussein Denkmäler fallen mussten, um von menschenverachtenden Systemen Distanz zu gewinnen, schelten teils dieselben Personen das Entfernen von Denkmälern für Sklavenhändler als Auslöschung der Geschichte.

Da Denkmal und Denkmalsturz seit der Antike zusammengehören, gilt es, den Denkmalsturz zu entdramatisieren (Shanken, Life, S. 301). Das Beispiel des gestürzten Colston und dessen Umzug ins Museum zeigen, dass die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus dadurch keineswegs beendet war. Im Gegenteil: Erst dank der musealen Kontextualisierung kommt es zu einer breiten Aufarbeitung vergangenen Unrechts und seiner Nachwirkungen in der Gegenwart. Feldman legt überzeugend dar, dass die Neukonzipierung oder Beseitigung von Denkmälern, die in bestimmten späteren Konstellationen als „toxisch“ empfunden werden, keine Abkehr von Verantwortung ist, sondern ein Bekenntnis zur Erinnerungsarbeit. Demnach sind Denkmalstürze Versuche, das kollektive Gedächtnis einer Auffrischung zu unterziehen. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erfolgt gerade auch durch das Abarbeiten an den etablierten Zeichensetzungen.

Es ist eher verhängnisvoll, wenn diese Form der Konfrontation nicht erfolgt – wie es Barbara Kristina Murovec am Beispiel der fast unverändert gebliebenen Stadtlandschaft Ljubljanas hervorhebt (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 189–209). Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens wurden die meisten Denkmäler in der slowenischen Hauptstadt aus den vorangegangenen Jahrzehnten weder zerstört noch musealisiert. Stattdessen wurden sie genutzt, um „in ideologisch-nostalgischer Verbrämung die Werte der kommunistischen Revolution [zu] bewahren“ (ebd., S. 192). Im Großen und Ganzen blieben die Manifestationen alter Wertvorstellungen erhalten. Wenn uns die Vehemenz der gegenwärtigen Denkmalstürze mitunter auch verstören mag, sind sie vor diesem Hintergrund doch eigentlich ein gutes Zeichen. Das Abarbeiten an Denkmälern birgt eine Chance; es kann – wie im Fall Colston – zur Revision des Selbstbildes und zu einem neuen Gemeinschaftssinn führen.

Stehen Denkmäler auch stramm und starr da wie unverrückbare Wahrheiten, sind sie doch keine Quellen über die historischen Ereignisse oder Personen, an die sie erinnern, selbst wenn sie immer wieder so gesehen werden (Shanken, Life, S. 35). Vielmehr geben sie Aufschluss darüber, wie zu einem bestimmten Zeitpunkt an ein bestimmtes Ereignis oder eine Person erinnert wurde. Oft geschieht dies in einem großen zeitlichen Abstand (ebd., S. 295f.). Die realisierten Werke spiegeln also in erster Linie die Wertvorstellungen der Denkmalsetzer:innen wider (S. 26, S. 287). Sie können durchaus dazu ermuntern, an einen historischen Moment zu erinnern oder sich damit auseinanderzusetzen. Mit ihnen steht und fällt aber nicht das geschichtliche Wissen. Diese Einsichten sind keineswegs neu, doch ist es immer wieder wichtig, sie zu vergegenwärtigen.

Wenn wir zudem erkennen, dass es oft einfach (männliche) Eitelkeit, Ruhmsucht und Größenwahn waren, die zu Durchführung der absurdesten Denkmalvorhaben führten, wird eine Entfernung dieser Objekte denkbar. Am Beispiel Gutzon Borglums (1867–1941) zeigt Thompson, wie Künstler Denkmalvorhaben strategisch nutzten, um ihre Karriere anzukurbeln und wirtschaftlich davon zu profitieren (Thompson, Statues, S. 19, S. 63–95). Borglum hängte wiederholt das Mäntelchen nach dem Wind und schreckte vor einer Mitgliedschaft im Ku-Klux-Klan nicht zurück, um das Stone Mountain Memorial bei Atlanta zu verwirklichen. Nach Streitigkeiten über dieses Projekt widmete er sich, auch aus finanzieller Not, in den 1920er- und 1930er-Jahren mit gleicher Hingabe Mount Rushmore in South Dakota. Diese gigantischen Bildhauerarbeiten locken jährlich Millionen von Tourist:innen.

Was tun mit ererbten Denkmälern?

Der zweite Teil von Thompsons Buch, Falling, widmet sich der Frage, was mit den auf uns gekommenen Zeugnissen geschehen soll. Konföderierten-Denkmäler visualisieren Ideen weißer Vorherrschaft. Sie waren Statements darüber, wer die Stadt kontrollierte, und sollten schwarze Amerikaner:innen einschüchtern. Zwar waren sie nur ein Machtmittel neben anderen (wie dem fehlenden Wahlrecht für Schwarze, den Lynchmorden etc.), aber sie waren sichtbar, Tag und Nacht: Sie wurden bewusst vor Gerichtsgebäuden aufgestellt – an Orten, die eigentlich für demokratische Teilhabe und Rechtsprechung standen. Schwarzen wurde immer aufs Neue eingebläut, dass sie Staatsbürger zweiter Klasse waren.4

Die meisten Autor:innen sind sich einig, dass visuellen Platzhaltern weißer Vorherrschaft, von Kolonialismus oder patriarchalen Ordnungen heute kritisch begegnet werden muss (Thompson, Statues, S. 57; Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 299). Nur wie dies geschehen soll, darin besteht keine Einigkeit. Mitunter werden diese Machtdemonstrationen aufgrund ihrer künstlerischen Gestaltung als bewahrenswert angesehen, was aber nicht zwangsläufig ihren Fortbestand im öffentlichen Raum impliziert. Überkommene Denkmäler als Lehrstücke, quasi zur Abschreckung stehen zu lassen, spielt die Erfahrungen von Menschen herunter, die weiter unter Rassismus, Antisemitismus, Imperialismus und Sexismus leiden, wie es Pelta Feldman überzeugend darlegt. Es ist naiv zu glauben, solche Denkmäler hätten keine Attraktionskraft, dienen sie doch rechtsradikalen Gruppen nicht selten als Versammlungsort. Zudem zeigt der Aufschrei über eine mögliche Entfernung umstrittener Denkmäler, dass die Werte, für die sie stehen, tatsächlich noch relevant sind (Shanken, Life, S. 300). Ginge es nur darum, historische Zeitschichten zu konservieren, wären eine Verlagerung ins Museum oder eine digitale Dokumentation annehmbare Alternativen. Wann ist ein Denkmal so kontaminiert, dass es aus dem öffentlichen Raum entfernt werden sollte, und wer entscheidet darüber? Letztlich geht es hier auch um Ressourcenverteilung: Innerhalb der vergangenen zehn Jahre wurden in den USA 40 Millionen Dollar für den Erhalt von Konföderierten-Gedenkorten ausgegeben (Thompson, Statues, S. 154).

Thompson stellt dar, wie der Denkmalschutz nicht einfach erhaltenswürdiges Kulturgut schützt, sondern etablierte Machtverhältnisse zementiert (Statues, S. 181). In den USA hat die schwarze Bevölkerung die Mythenbildung der Konföderierten-Denkmäler von Anfang an durchschaut und sich dagegen gewehrt, obgleich das Aufbegehren gegen diese Herrschaftszeichen mitunter lebensgefährlich war. Heute steht die Vandalisierung oder Zerstörung von Denkmälern unter Strafe. Es ist äußerst schwierig (und in den USA aufgrund der seit 2015 verschärften Gesetzgebung ganz besonders), selbst höchst problematische Denkmäler auf legalem Wege zu entfernen (ebd., S. 119). Dies geht soweit, dass in manchen Bundesstaaten selbst ein Verrücken untersagt ist. Thompson zeigt, dass es gerade diejenigen sind, die sich eifrig gegen Cancel Culture aussprechen, die jegliche Veränderung canceln (S. 194). Wer im öffentlichen Raum etwas ändern will, wird zu zivilem Ungehorsam gezwungen.

In ihrer radikalen Forderung, Denkmäler einzuschmelzen, die weiße Vorherrschaft proklamieren und damit Schwarzen weiter das Gefühl geben, unerwünscht zu sein (S. 44), unterscheidet sich Thompson von den meisten anderen Autor:innen. Für sie ist es keine Lösung, solche Denkmäler an den Stadtrand oder auf Friedhöfe umzusetzen. Sie vergleicht das mit einem Priester, der sich an Kindern vergangen hat. In einem Dorf mag er weniger Kindern begegnen als in der Stadt, aber kein einziges Kind darf Gewalt ausgesetzt werden (Thompson, Statues, S. 170). Thompson zufolge ist es der Selbstfindung sich wandelnder Gesellschaften durchaus zuträglich, vorhandene Denkmäler kritisch auf ihre Existenzberechtigung hin zu befragen (S. 182). Manchmal brauche es Tabula rasa, um Neuanfänge zu ermöglichen.

Vor diesem Hintergrund erstaunt das zähe Festhalten am 1958 eingeweihten Denkmal für Ernst Thälmann auf dem Weimarer Buchenwaldplatz. Der von Christian Faludi und Stephan Zänker herausgegebene Sammelband hat seinen Ursprung in den heftigen Debatten, die der von den Verfassern im November 2021 selbst initiierten, kurzfristigen Verhüllung des Weimarer Denkmals folgten. Es dauert gute 90 Seiten (und eigentlich bis S. 126), bevor erläutert wird, wer Thälmann war. Der von Nationalsozialisten ermordete KPD-Vorsitzende wurde in der DDR zu propagandistischen Zwecken ausgebeutet, gerade auch um Walter Ulbrichts eigenen Führungsanspruch zu legitimieren (Faludi in Faludi / Zänker, Denkmal, S. 60). Ohne Zweifel diente dieser prominenteste Vertreter des kommunistischen Widerstands als Symbolfigur des antifaschistischen Gründungsmythos der DDR immer wieder als Projektionsfläche. Der staatsoffizielle Thälmann-Kult blieb bis zum Ende der DDR unwidersprochen. Ausgeklammert wurde, dass der Moskau-treue Thälmann und seine Anhänger zur Destabilisierung der Weimarer Republik beigetragen und so den Nationalsozialisten den Weg bereitet hatten (Annette Leo in Faludi / Zänker, Denkmal, S. 126–129). Aber braucht die demokratische Erinnerungskultur in Deutschland wirklich einen Christo-Effekt für das Denkmal, um sich weiter an diesem männlichen Personenkult abzuarbeiten?

Das Plädoyer für die Erhaltung des Monuments, um damit das SED-Regime und seine im Stadtraum gewachsenen Geschichtsverdrehungen zu entlarven, verkennt, dass diese komplexen Strukturen schwer verständlich sind. Aufgabe des Stadtraums ist es nicht, permanent Geschichtslektionen anzubieten. Eine kritische Aufarbeitung Thälmanns kann auch erfolgen, ohne dass das Ehrenmal im öffentlichen Raum stehenbleibt. Der Band ist ein wichtiger Beitrag zur lokalen Erinnerungskultur (mit einem sehr lesenswerten Beitrag Annette Leos zum 1986 eingeweihten Thälmann-Denkmal in Berlin-Pankow), von dem man sich jedoch gewünscht hätte, dass er der internationalen Forschung mehr Beachtung geschenkt hätte.

Einigkeit im Umgang mit Denkmälern herrscht zumindest in einem Aspekt: Es ist nicht bedeutungslos, wer und was im öffentlichen Raum zu sehen ist, denn potenziell können diese Visualisierungen weiter Vorstellungen von Geschichte prägen und alternative Geschichtsbilder daran hindern, Sichtbarkeit zu erlangen (vgl. Thompson, Statues, S. 148). Wie können wir demokratische Strukturen schaffen, die nicht nur zur Errichtung neuer Denkmäler führen, sondern auch zur Entfernung solcher Denkmäler, die als überholt oder diskriminierend empfunden werden? Diejenigen Gruppen, die jetzt Denkmäler stürzen wollen, werden mitunter als nicht-repräsentativ für die Mehrheitsgesellschaft angesehen. Allerdings wurden auch die Denkmäler, die unsere Städte bis heute dominieren, zumeist von einer kleinen Gruppe einflussreicher Personen errichtet. Wer profitiert davon, dass bestimmte Denkmäler stehenbleiben?

Denkmalwollen und Alltag

Während Denkmäler immer wieder als Ausdruck nationalen Selbstverständnisses untersucht werden (so von Imke Girßmann am Beispiel des seit langem geplanten Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmals in Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart), zeigt der Architekturhistoriker Andrew M. Shanken, dass die Erwartung, ein Denkmal solle an jemanden oder etwas erinnern, nur eine von vielen Funktionen ist (Life, S. 31). Shanken interessiert sich für das Zusammenspiel von Stadtentwicklung und Denkmalaufstellung bzw. -verbleib. Er hebt hervor, dass es vielfach auch Zufälle und praktische Notwendigkeiten wie Fragen der Verkehrssicherheit sind, die über den Aufstellungsort bestimmen (S. 151).

Zwar verweisen Denkmäler darauf, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt die Möglichkeit hatte, sich in den Stadtraum einzuschreiben. Nach oft langwierigen Verhandlungen und mitunter pompösen Einweihungsfeiern sind Denkmäler aber einfach Teil des Stadtmobiliars, wie bestrebt sie auch immer sein mögen, etwas Besonderes zu sein (Shanken, Life, S. 32). Der Alltag ist allerdings ungnädig. Denkmäler werden von Hundedreck und parkenden Autos, blinkenden Reklameschildern und ratternden Straßenbahnen in Mitleidenschaft gezogen. Sie werden durch Luftverschmutzungen verunreinigt, werden vernachlässigt oder verfallen. Sie sind Wetter und Jahreszeiten ausgeliefert. Denkmalstürze sind also längst nicht die einzige Gefahr, die den meist doch auf Dauer angelegten Erinnerungszeichen drohen. Vernachlässigung oder Dekontextualisierung durch Umplatzierung können genauso – wenngleich weniger Aufsehen erregend – zu ihrer Diskreditierung oder Bedeutungslosigkeit beitragen (Shanken, Life, S. 18, S. 107, S. 193). Zudem war die Moderne oft schonungslos (S. 203) und priorisierte den Autoverkehr, statt die Bedeutungsaufladung von Denkmälern durch ihre Platzierung im Stadtraum zu respektieren. Um touristenfreundliche, nostalgisch verklärte, scheinbar historische Innenstädte zu kreieren, verkam das Denkmal vielerorts zu einem pittoresken Stadtverschönerungsobjekt (S. 180, S. 189, S. 199).

Denkmäler sind eben vieles gleichzeitig. Manches davon widerspricht sich. An sie werden hohe moralische, ja kathartische Erwartungen geknüpft, doch tatsächlich werden sie oft übersehen oder zu ganz anderen als den intendierten Zwecken genutzt (Shanken, Life, S. 8f., S. 17, S. 321–354). Die Wahrnehmung eines Werks hängt immer auch von den jeweiligen Rezipient:innen ab (ebd., S. 22, S. 27, S. 97). An manchen Tagen laufen wir gleichgültig an einem Denkmal vorbei, an anderen suchen wir es vielleicht ganz bewusst auf. Es kann als Treffpunkt dienen oder zur Orientierung im Stadtraum. Dabei verfehlt das Denkmal mitunter seine ursprünglich intendierte Funktion; funktionslos ist es dadurch aber nicht.

Trotz der meist starren Form ist die Bedeutung von Denkmälern nicht statisch (Shanken, Life, S. 15). Durch ihre Platzierung im öffentlichen Raum sind sie besonders anfällig für Veränderungen. Shanken zeigt, wie selbst durch minimale Eingriffe Bedeutungsverschiebungen entstehen (S. 61, S. 178), zumindest zeitweilig: Aufgeklebte Wackelaugen verleihen dem selbstzufriedenen Dichterfürsten eine ungewollte Komik; selbstgestrickte Kleidung auf bronzenem Leib entblößt die Absurdität weiblicher Nacktheit im öffentlichen Raum; und eine Gruppe erschöpfter, hungriger Tourist:innen, die die Stufen eines Denkmals für einen ihnen gleichgültigen General als Rückenlehne und Picknickplatz nutzt, beraubt es damit seines Anspruchs auf ernsthafte Ehrerbietung. Aber all diese, von den Denkmalsetzer:innen wohl kaum beabsichtigten Nutzungen laden auch zum steten (Neu-)Sehen der Werke ein.

Mitunter verschiebt oder verliert sich die Bedeutung von Denkmälern, wenn sie im Zuge von Urbanisierungsprozessen umplatziert oder ihnen andere Werke zur Seite gestellt werden. Shanken testet Begriffe wie „Musters“, „Clusters“, „Groupings“, um diese Bedeutungsverschiebung durch Ansammlung zu verstehen, und vergleicht die Wirkung mit derjenigen eines Eintopfs (S. 175, S. 233): Aus den einzelnen Zutaten entsteht etwas Neues. Der Autor veranschaulicht, dass die Bedeutung von Denkmälern niemals fixiert ist (S. 257), auch weil die Wahrnehmung von und das Verhalten an diesen Zeichensetzungen sich ständig ändern. Zeitlichkeit und Wertewandel sind die wichtigsten Parameter für Neuinterpretationen von Denkmälern. Monumente, die heute als toxisch empfunden werden – wie diejenigen zu Ehren von Christoph Kolumbus – waren einst Selbstermächtigungsprojekte: Die von anderen Weißen als minderwertig angesehenen Italiener versuchten ihren Anspruch auf Anerkennung einzufordern und ihre Verbundenheit mit den USA zu demonstrieren (Thompson, Statues, S. 103ff.). Damals spielte es keine Rolle, dass der „Entdecker“ bewohntes Land vereinnahmte. Proteste gegen die zahlreichen Kolumbus-Denkmäler gab es dann aber schon seit den 1970er-Jahren. Erst in jüngster Zeit kam es zu Konsequenzen – einige dieser umstrittenen Statuen wurden entfernt, wie in Chicago und San Francisco im Jahre 2020.

Denkmalverständnis heute: Globale Verflechtungen und Dissens als Denkmalfunktion

Denkmäler dienten immer wieder dazu, entstehende Nationalstaatlichkeit zu illustrieren und zu festigen. Die seit eh und je existierenden globalen Verflechtungen in der Denkmalkultur wurden dabei oft übersehen. Georg Kreis schildert (in Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart), wie sehr sich das nationale Denkmalschaffen in der Schweiz schon immer an internationalen Entwicklungen in der Kunst orientierte und auf transnationalen Kooperationen beruhte, vor allem was international tätige Künstler betraf. Thompson erinnert daran, dass die Denkmalproduktion in den USA jahrzehntelang auf den (kostspieligen) Import von kunsthandwerklichem Können aus Europa angewiesen war. Besonders relevant für die aktuellen Denkmaldebatten sind Izabel Barrosʼ Reflexionen. Sie verweist darauf, dass durch Denkmäler geehrte Persönlichkeiten Teil einer globalen Geschichte waren (wie Kolumbus oder Colston) und dass der Umgang mit dieser Geschichte daher nicht bloß national oder lokal gedacht werden kann. Sie plädiert dafür, „eine globale Geschichte global zu erzählen und eine verstrickte Geschichte verstrickt zu erzählen“. Dabei geht es nicht nur darum, nicht-weiße Menschen an Aufarbeitungsprozessen teilhaben zu lassen, sondern nicht-europäische Wissenschaftler:innen in Forschungen und Debatten einzubinden (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 223). Es geht um Mehrstimmigkeit, die zu weiteren Nuancen beiträgt, jenseits der etablierten Standarderzählung. Dabei ist die Entfernung als toxisch geltender Denkmäler nur der Anfang. Der breitere Anspruch ist es, die globalen Ungerechtigkeiten, die als Folge des Kolonialismus weiter bestehen, transnational wiedergutzumachen.5

Die von Wolfgang Brückle, Rachel Mader und Brita Polzer herausgegebene Anthologie „Die Gegenwart des Denkmals“ zeichnet sich durch ihren kunsthistorischen Schwerpunkt aus. Die spannendsten Beiträge finden sich unter den Überschriften „Kritik, Teilhabe und Kampf um Repräsentation“ sowie „Zentralität und Dezentralität“. Franz Krähenbühl zeigt, dass Denkmäler auch in gegenwärtigen Demokratien instrumentalisiert werden können, etwa zur Imageaufbesserung und zu nationaler Selbstvermarktung. Aufschlussreich ist auch ein Beitrag Brita Polzers, der sich der Rolle von Denkmälern in der Literatur widmet (S. 446ff.). Weitere solcher Streifzüge, vielleicht zu Denkmälern in Spiel- und Reklamefilmen, wären künftig wünschenswert, um das Wirken von Monumenten auch jenseits des im traditionellen Sinn „öffentlichen Raums“ zu verstehen.

Insgesamt veranschaulicht die Anthologie, wie sehr sich unsere Annahmen davon, was ein Denkmal ist, wie es aussieht, wer es errichtet, wie es wirkt und rezipiert wird, gewandelt haben. Weder ist das heutige Denkmal an genretypische Materialien gebunden (Granit, Marmor, Bronze) noch ist es notwendigerweise auf Dauer im öffentlichen Raum angelegt. Von Interesse ist zudem nicht nur das Werk selbst, sondern ebenso dessen aktive Nutzung sowie das Nachleben, auch in den von ihm ausgehenden Spinn-Offs.

In einem weiteren Beitrag bietet Brita Polzer einen historischen Abriss über die Entstehung und Eigenschaften des für das Genre so einflussreichen Gegendenkmals. Ihr Artikel zeigt anhand von sieben Fallbeispielen, wie sich durch die dialogische Gegenüberstellung von Denkmal und Gegendenkmal ein „im öffentlichen Raum materialisierte[s] Streitgespräch“ ergibt (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 166). Gegendenkmäler sind hier weit gefasst und schließen künstlerische Interventionen wie temporäre Lichtprojektionen mit ein. Es geht Polzer vor allem um das dieser Gattung zugrundeliegende Prinzip des Einschreibens von Gegenbotschaften, das Konfrontieren der sichtbar aufgestellten These mit einer Gegenposition. Durch diese kritische Befragung wird etwas Neues erzeugt und gesellschaftliches Umdenken angeregt (S. 185).

Verena Krieger widmet sich dem jungen Genre des dezentralen Denkmals, das sich durch den Aufruf zur Beteiligung, Recherchearbeit und Engagement auszeichnet. Das dezentrale Denkmal ist eine Form des kritisch-reflexiven Denkmals, das sich seit den 1980er-Jahren herausgebildet hat (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 258). Kriegers Beitrag veranschaulicht die Erneuerung des Genres, die aus dem Bemühen resultierte, sich insbesondere mit den nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen angemessen auseinanderzusetzen (S. 256). Dadurch hat sich das Genre radikal revitalisiert und demokratisiert. Denkmäler wollen nun vor allem Denkanstöße bieten statt festgefügte Botschaften verbreiten.6 Diese Überlegungen sind nicht unbedingt neu, aber in Anbetracht dessen, dass Denkmalvorstellungen hartnäckig vom omnipräsenten bürgerlichen Denkmal geprägt sind, weiter nötig.

Anhaltende Denkmalskepsis versus Plädoyers für weitere Denkmalsetzungen: Formwille und Wirkungsmacht von Denkmälern

Nach der Lektüre dieser spannenden Beiträge verwundern die in den Publikationen wiederholt geäußerten Zweifel, ob es überhaupt (noch) sinnvoll ist, Denkmäler zu errichten (Thompson, Statues, S. 23). Christina Schröer glaubt nicht an das Denkmal als Medium des Aufbruchs in eine pluralistische Gesellschaft, und Philip Ursprung behauptet gar, das Genre stelle kein dringendes Anliegen in der gegenwärtigen Kunstproduktion dar; er ist überzeugt: Die goldene Zeit der Denkmalskulptur sei vorbei (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 368, S. 402). So herrscht weiter Unsicherheit, ob Denkmäler sich durch die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte erneuert oder an Relevanz verloren haben (Shanken, Life, S. 51).

Allen wiederholt geäußerten Untergangszenarien zum Trotz: Das Genre hat immer wieder eine erstaunliche Resilienz und Innovationsfähigkeit bewiesen. Dass das nicht für die Mehrheit der Denkmäler zutrifft, hängt mit ihren Produktionsbedingungen und ihrer Funktionsgebundenheit zusammen, aber auch damit, dass sich das Genre stets aufs Neue gegen allzu eng gefasste Denkmalkonventionen und eine prinzipielle Denkmalskepsis behaupten muss. Das ist ermüdend. Viele Beispiele (gerade auch in Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart) beweisen die Lebendigkeit des Denkmals als Repräsentations- und Reflexionsform. Es mag am wiederholten Missbrauch des Genres liegen, der eine gebetsmühlenartige Wiederholung akademischer Distanzierung verlangt. Solche Litanei steht im Widerspruch zu den vielen interessanten Beispielen jüngerer Denkmalproduktion. Eine andere Auswahl hätte noch eher davon überzeugen können, dass vom gegenwärtigen Denkmalschaffen gesellschaftlich relevante und emanzipatorische Impulse ausgehen. Progressive und künstlerisch überzeugende Lösungen existieren durchaus.7

Denkmäler regen auf und regen an, aber sie stellen eben immer auch Versuche dar, sich in einer widersprüchlichen und stets veränderlichen Welt zurechtzufinden (Shanken, Life, S. 352). Vielleicht plädieren auch deshalb die meisten Autor:innen trotz aller Skepsis für weitere Denkmalsetzungen. Nur Thompson gibt zu bedenken, dass gerade die Leere nach einer Denkmalentfernung eine Chance sein kann – eine Auszeit, die Gelegenheit bietet zu überdenken, welche Art von Denkmal von wem zu welchem Zweck gebraucht wird. Tatsächlich ist es sinnvoll, wenn dem Durcharbeiten des Stadtraums Zeit gegeben wird. Welch fatale Folgen es hat, Unsummen in ein allzu rasches Make-over (hier allerdings nicht in demokratischer Absicht) zu investieren, zeigt Susanne Hefti am Beispiel „Skopje 2014“ (in Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart).

Denkmäler waren seit Thomas Nipperdey, Reinhart Koselleck und anderen lange Gegenstand historischer Forschung. Nun erhalten sie – ähnlich wie zur Zeit des „Gegendenkmals“ Ende der 1980er-Jahre – wieder verstärkt die Aufmerksamkeit der Kunstwissenschaft. Zunehmend wird das Denkmal nicht nur als Ausdruck der Ideengeschichte gelesen, sondern auch auf seine Ästhetik und seine Wirkungsmacht hin untersucht. Neben der Analyse von Formensprache, Materialwahl und Aufstellungsort rücken das körperliche Erfahren, die Interaktion mit dem Denkmal und die Aktionen an ihm in den Mittelpunkt des Interesses. Gleichzeitig wächst das Bewusstsein, dass klassische (kunst-)historische Methoden nicht ausreichen, die Wirkungsmacht von Denkmälern angemessen zu fassen.

Forschen und Schreiben über Denkmäler

Bereits 1916 stellte sich der Intellektuelle, Journalist und Aktivist Freeman H.M. Murray die Frage, wie Menschen auf die Konföderierten-Denkmäler reagierten (Thompson, Statues, S. 60f.). Das Schreiben über Denkmäler geschieht aber meist weiter vom Schreibtisch aus. Doch wer die Wirkungsmacht von Denkmälern erforschen will, muss vor Ort sein und die lokalen Bedingungen studieren. Harriet Senie wies 2008 darauf hin, dass wir eigentlich sehr wenig darüber wissen, wie Kunst im öffentlichen Raum tatsächlich wahrgenommen wird. Meist wird über sie erst geschrieben, wenn sie Gegenstand eines Skandals, von Vandalismus oder Denkmalsturz geworden ist.8 Im Hinblick auf die hohen Erwartungen, die an das Genre geknüpft werden, sollten wir auch Zeit dafür investieren, zu untersuchen, ob sich diese Erwartungen erfüllen oder was dem im Wege steht.

Um zu aussagekräftigen Urteilen darüber zu kommen, wie Menschen Denkmäler in ihrem Alltag wahrnehmen und was sie ihnen bedeuten, bedarf es empirischer Rezeptionsstudien. Anekdotische Betrachtungen reichen nicht aus. Rezeptionsstudien werden aber weiter gescheut. Sie sind zeitaufwendig und nicht Gegenstand kunstwissenschaftlicher Ausbildung. Wohlgemeinte ethische Auflagen und GDPR-Anforderungen (General Data Protection Regulation) machen solche Studien zunehmend schwierig. Schon die Abbildung von Interaktion an öffentlichen Denkmälern kann dem individuellen Recht widersprechen, nicht abgebildet zu werden (Shanken, Life, S. 208). Denkmäler sind aber eben mehr als nur ästhetische Zeichensetzungen. Wie kann ihr vielfältiger Gebrauch belegt werden, wenn die fotografische Dokumentation eingeschränkt ist? Die Suche nach angemessenen Methoden sollte fortgesetzt werden.9

Durch ihre Platzierung im öffentlichen Raum gehen Denkmäler potentiell alle Menschen an. Das trifft insbesondere für demokratische Gesellschaften zu. Wenn Denkmäler außerdem mit Steuergeld finanziert werden, wird die Frage noch dringlicher, wie über Kunst im öffentlichen Raum geschrieben wird und an wen sich diese Publikationen richten. Nach über 1.500 Seiten Lektüre fällt auf, dass die hier vorgestellten Bücher fast alle kürzer hätten ausfallen können. Sie richten sich in erster Linie an ein Fachpublikum, und die ansprechenden Buchtitel treffen leider oft nicht den Inhalt.

Letzteres trifft vor allem auf Mechtild Widrichs „Monumental Cares“ zu. Wie bereits ihr früheres Buch „Performative Monuments“ (2014) weckt auch der Haupttitel des neuen Bandes Erwartungen, die dann nicht erfüllt werden. Während Widrichs erstes Buch weniger performative Denkmäler behandelt als vielmehr darstellt – und das sehr überzeugend –, wie Performancekunst das Genre Denkmal nachhaltig beeinflusst hat, lässt der Titel des neuen Buches vermuten, dass es darum geht, wie Denkmäler in Gebrauch genommen werden, welche Öffentlichkeiten an Denkmälern interessiert sind, welche Bedeutungen ihnen zukommen, welche Rolle sie in unseren Gesellschaften spielen, wer sie pflegt und welche Interessen an ihnen ausgehandelt werden. In erster Linie untersucht die Autorin dann aber, ob es Künstler:innen gelingt, sich dem zu stellen, was uns heute als monumental erscheint, im Sinne von überwältigend – wie den großen Krisen der Gegenwart (Kriege, Flucht, Klimawandel). Widrich vertieft das Thema ihres ersten Buches und will verstehen, wie sich die Kunst entwickelt hat. Schwerpunkt ist nun die Frage, was „Öffentlichkeit“ in einer veränderten Mediengesellschaft meint und wie sich verschiedene künstlerische Praktiken mit geschichtlichen Ereignissen auseinandersetzen, diese materialisieren und zur Diskussion stellen. Widrich zufolge soll das dazu beitragen, die Bedingungen zeitgenössischer Denkmäler besser zu verstehen (S. 6).

Doch entgegen der Ankündigung, dass Denkmäler die Hauptrolle spielen und der Fokus auf der Gegenwart liegt (S. 14), geht es vor allem erneut um Performancekunst; der zeitliche Rahmen erstreckt sich bis in die 1950er-Jahre zurück. Insgesamt ist das Buch, auch rein sprachlich, schwer zugänglich. Wer sich dennoch auf die theorielastigen gut 200 Seiten einlässt, erhält ein paar wichtige Anregungen, etwa zur Frage, inwieweit sich heutige Wirklichkeit und durch Mobiltelefone vermittelte Wahrnehmungen dieser Wirklichkeit überlappen (S. 33f.). Physische und virtuelle Räume sind kaum mehr voneinander zu trennen (S. 44). Das Nachleben der Denkmäler erreicht erst durch die Vervielfältigung in den Social Media seine große Reichweite (S. 1, S. 5f.). Für Leser:innen, die genuin am Thema Denkmal interessiert sind, lohnt sich das (leider sehr kurze) Schlusskapitel. Dort werden die Erwartungen, die der Buchtitel weckt, am ehesten getroffen. Es ist zu hoffen, dass damit der Grundstein für ein weiteres Buch gelegt wurde.

Die anderen hier ausgewählten Publikationen reflektieren mehr oder weniger deutlich, wie ein Neudenken von Denkmälern auch ein anderes Schreiben über sie nach sich ziehen sollte. Ohne Zweifel wird der Sammelband von Brückle, Mader und Polzer seinem Anspruch gerecht, zum Verständnis der vielfältigen Aufgaben und Funktionen von Denkmälern, sowohl historisch wie gegenwärtig, beizutragen (S. 19). Die Anthologie enthält relevante Epochenüberblicke (wie von Georg Kreis, einem versierten Kenner der Schweizer Denkmalgeschichte, oder von Christina Schröer zu Denkmalsturz und Denkmalfeier in der Französischen Revolution), aber auch kürzere Artikel. Das funktioniert, doch zum assoziativen Schreiben wird hier nicht eingeladen.

Erin Thompson, Professorin für Kunstkriminalität, wendet sich direkt an die Leser:innen. Sie beginnt mit einem Fallbeispiel, das sich wie ein kleiner Krimi liest. Auch Andrew M. Shanken (dessen Buch eigentlich aus zweien besteht; hier unerwähnt blieb sein Interesse daran, wie das Verhältnis zum Tod auch das Denkmalschaffen prägte) versucht, den trockenen akademischen Ton zu vermeiden. Mitunter wirkt das etwas zu verspielt und langatmig. Aber wenn er zeigt, dass die durch Stau erzwungene Nahsicht eines auf eine Verkehrsinsel ausgelagerten Denkmals dessen erzwungene Trivialität begrübeln lässt, wird das Buch zum reinen Lesevergnügen (Shanken, Life, S. 157).

Anmerkungen:

1 Zur dortigen Übergangszeit siehe Sabine Marschall, Landscape of Memory. Commemorative Monuments, Memorials and Public Statuary in Post-Apartheid South Africa, Leiden 2010.

2 So argumentiert auch Susan Neiman, Learning from the Germans. Race and the Memory of Evil, London 2019; dt.: Von den Deutschen lernen. Wie Gesellschaften mit dem Bösen in ihrer Geschichte umgehen können, übersetzt aus dem Englischen von Christiana Goldmann, München 2020.

3 Der Band ist auch im Open Access zugänglich: https://www.diaphanes.net/titel/die-gegenwart-des-denkmals-7067 (01.02.2024).

4 Karen L. Cox, No Common Ground. Confederate Monuments and the Ongoing Fight for Racial Justice, Chapel Hill 2021, S. 9, S. 21f.

5 Auch Cox, No Common Ground, S. 4, sieht in den US-amerikanischen Denkmalstreitigkeiten nur einen ersten Schritt hin zu einer gerechteren Gesellschaft.

6 Christoph Heinrich, Strategien des Erinnerns. Der veränderte Denkmalbegriff in der Kunst der achtziger Jahre, München 1993, S. 162.

7 Siehe etwa Anna Louise Manly (Hrsg.), POWER MEMORY PEOPLE – Memorials of Today. Exhibition Catalogue, Køge 2015; Paul M. Farber / Kim Lum (Hrsg.), Monument Lab. Creative Speculations for Philadelphia, Philadelphia 2020; Annika Enqvist u. a. (Hrsg.), Public Memory, Public Art. Reflections on Monuments and Memorial Art Today, Stockholm 2022.

8 Harriet F. Senie, Reframing Public Art. Audience Use, Interpretation, and Appreciation, in: Andrew McClellan (Hrsg.), Art and its Publics. Museum Studies at the Millennium, Malden 2003, S. 185–200.

9 Hier nur zwei Beispiele: Danielle Drozdzewski / Carolyn Birdsall (Hrsg.), Doing Memory Research. New Methods and Approaches, Singapore 2019; Diana I. Popescu, Visitor Experience at Holocaust Memorials and Museums, London 2023.

Zitation

Tanja Schult, Rezension zu: Brückle, Wolfgang; Mader, Rachel; Polzer, Brita (Hrsg.): Die Gegenwart des Denkmals. Auslegung, Zerstörung, Belebung. Zürich 2023 , ISBN 978-3-0358-0546-8 / Faludi, Christian; Zänker, Stephan (Hrsg.): Nichts ist so unsichtbar wie ein Denkmal [für Ernst Thälmann]. Zur Geschichte eines umstrittenen Erinnerungsortes. Göttingen 2023 , ISBN 978-3-8353-5379-4 / Shanken, Andrew M.: The Everyday Life of Memorials New York 2022 , ISBN 978-1-9421-3072-7 / Thompson, Erin L.: Smashing Statues. The Rise and Fall of America's Public Monuments. New York 2022 , ISBN 978-0-3938-6767-1 / Widrich, Mechtild: Monumental Cares. Sites of History and Contemporary Art. Manchester 2023 , ISBN 978-1-5261-6811-5, In: H-Soz-Kult, 13.02.2024, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-133116>.




[Regionalforum-Saar] Neues Buch „Deutsche Auswa nderer Franz und Nikolaus Dill“

Date: 2024/02/13 08:52:52
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Neues Buch „Deutsche Auswanderer Franz und Nikolaus Dill“

Thalexweiler. Der Thalexweiler Verein für Heimatgeschichte e. V. hat das von Thomas Besse und Sergio Luis Dill aus Porto Alegre in Brasilien erstellte Buch „Deutsche Auswanderer Franz und Nikolaus Dill“ herausgegeben.

Beide Autoren erforschen darin die Geschichte der Thalexweiler Familie Dill und insbesondere ihre Auswanderung nach Südbrasilien (Rio Grande do Sul). Der Thalexweiler Bürger Nikolaus Dill (1785 bis 1864) gehörte zu den ersten Auswanderern aus Deutschland nach Südbrasilien, da er schon 1828 in die Neue Welt aufbrach.

1844 kehrte er zu Regelung von Erbangelegenheiten wieder nach Thal­exweiler zurück und reiste zusammen mit seinem Bruder Franz Dill (1791-1870) und dessen Familie ein Jahr ­später wieder nach Brasilien ­zurück.

Ihr Vorfahre, der Leinenweber Johann Dill, stammte aus Furschweiler und ist Ende des 18. Jahrhundert über Tholey nach Thalexweiler gekommen. Er bewohnte ab 1784 das heute unter Denkmalschutz stehende Scholzenhaus von 1715 in der Alemaniastraße. Er betrieb darin eine Schankwirtschaft neben dem Beruf des Leinenwebers. Im Jahr 1791 baute die Familie Dill ein Haus mit Wirtschaft in der Schaumberger Straße, der damaligen „Gass“.

Die als Band 36 der Schriften des Heimatgeschichtsvereins herausgegebenen Werk ist in Thalexweiler in der Bäckerei Conrad, bei Heißmangel Mink, in der Buchhandlung Treib in Lebach und direkt bei Klaus „Kulla“ Altmeyer vom Verein erhältlich.

[Ich konnte die Vereinswebsite nicht erreichen; auf der Site der Thalexweiler Vereine wird Thomas Besse als Vorsitzender angegeben; er weiß sicher, wie man Herrn Altmeyer erreichen kann: thomas(a)besse.de]

[Regionalforum-Saar] Esther am Christag.

Date: 2024/02/13 10:06:11
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Im Wochenblatt des Kreises St. Wendel steht dieses Gedicht in der Ausgabe vom 28. Dezember 1842:

Esther am Christag.
Ich sehe Lichter schimmern aller Orten,
In jeder Hütte brennt der Weihnachtsbaum;
Die Freude ziehet ein in alle Pforten,
Der harten Winterzeit gedenkt man kaum.
In ihren Herzen glüht des Lenzes Prangen,
Denn heute haben sie den Christ empfangen.

Wie klingen feierlich die Orgeltöne
Vom nahen Gotteshause zu mir her,
Und daß der Himmel selbst die Feier kröne,
Läßt er erglänzen seiner Sterne Heer.
Mir ist, als säh ich Engel niedersteigen,
Auf daß sie sein des Festes Zeugen.

Ich sitze einsam in der dunkeln Kammer,
Und blicke trauernd in die Nacht hinaus,
Nicht darf ich Jemand zeigen meinen Jammer,
Man stieße sonst mich grausam aus dem Haus.
Ein hart Gesetz ist wider mich verschworen,
Und ach! für mich ist nicht der Christ geboren!
                                                            W.

Die biblische Erzählung im Buch Ester beschreibt die Umkehrung eines geplanten Genozids (Völkermord) an den Juden im persischen Reich im 5. Jahrhundert vor Christus: Nachdem der persische König seine erste Frau verstoßen hat, wird die jüdische Waise Ester, die nach dem Tod ihres Vaters von ihrem Cousin Mordechai aufgezogen wurde, die neue Ehefrau des Königs, verheimlicht aber ihre jüdische Abstammung. Mordechai hat einen Posten am Tor des königlichen Palastes; als er einen Plan, den König zu ermorden, vereitelt, erwirbt er dessen Gunst, aber auch den Neid des höchsten Regierungsbeamten Haman. Der überzeugt den König, ein Edikt zu erlassen, am 13. Tag des 12. Monats (Adar) die jüdische Bevölkerung samt ihren Kindern zu vernichten. Ester erfährt von Mordechai von dem Edikt und spricht mit dem König. Der erkennt, dass Haman sein Vertrauen missbraucht hat und läßt Haman aufhängen. Da er sein eigenes Edikt aber nicht zurücknehmen kann, erläßt er ein zweites Edikt, das den Juden gestattet, für ihr Leben zu kämpfen und ihre Feinde zu vernichten. Mordechai organisiert die Juden, die am 13. Adar alle zehn Söhne Hamans und in allen 127 Provinzen 75.000 Männer umbringen. Ester bittet den König, die Geltung des Edikts in Susa um einen Tag zu verlängern, daraufhin werden in Susa am 14. Adar weitere 300 Männer getötet. So wird aus dem geplanten Genozid an den Juden ein Massenmord an den Feinden der Juden. Zur Erinnerung an ihre Rettung durch Ester feiern die Juden das Purimfest.

Den Zusammenhang mit dem o.a. Gedicht kann ich mir nur so erklären, daß Esther Jüdin war, für sie also das Neue Testament nicht gilt.

Hat jemand ggf. eine andere Idee?

--
Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

--------------------

Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de

[Regionalforum-Saar] Fwd: Jüdisches Leben in St . Wendel, powerpoint-Vortrag am 22.02.2024

Date: 2024/02/13 19:53:35
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>




-------- Weitergeleitete Nachricht --------
Betreff: Jüdisches Leben in St. Wendel, powerpoint-Vortrag am 22.02.2024
Datum: Tue, 13 Feb 2024 12:45:16 +0000
Von: Eberhard Wagner <eberhardwagner(a)hotmail.com>
An: Eberhard Wagner <eberhardwagner(a)hotmail.com>


Liebe Mitglieder und Freund(innen) des Vereins "Wider das Vergessen und gegen Rassismus",

zu Ihrer/eurer Information.

Am Donnerstag, dem 22. Februar 2024, halte ich in der Stadt- und Kreisbibliothek St. Wendel einen PowerPoint-Vortrag zum Thema "Jüdisches Leben im St. Wendel der 1930er Jahre". 19.30 Uhr, Eintritt frei.
Dazu lade ich ganz herzlich ein.

Herzliche Grüße
Eberhard Wagner, 
Vorsitzender Verein "Wider das Vergessen und gegen Rassismus"

Re: [Regionalforum-Saar] Esther am Christag.

Date: 2024/02/13 22:19:03
From: franzundchrista <franzundchrista(a)t-online.de>

Mit der biblischen Esther hat das Gedicht sicher nichts zu tun – es ist das junge jüdische Mädchen in St. Wendel um 1842, vielleicht Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie, in St. Wendel aufgewachsen, geht dort eventuell sogar zur Mädchenschule – aber durch Familientradition vom Christfest ausgeschlossen und dadurch von der Festfreude der christlichen Freundinnen in der Stadt getrennt. Diese Einsamkeit empfinden heute oft muslimische Mädchen, als Mädchen durch die Familientradition stärker gebunden als Jungen, die eher ausgehen dürfen, sich sogar einladen lassen bei deutschen Freunden.

Viele muslimische Familien bei uns haben jetzt einen Weihnachtsbaum für ihre Kinder und da die deutschen Klassenkameraden kaum noch in die Kirche gehen, gleicht sich die Festgestaltung an.

Dass es seit neuestem einen Ramadan-Kalender bei dm gibt, zeigt aber, wie sehr manche muslimische Kinder unsere Festbräuche sehnsüchtig beobachten.

 

Von: regionalforum-saar-bounces(a)genealogy.net <regionalforum-saar-bounces(a)genealogy.net> Im Auftrag von Roland Geiger via Regionalforum-Saar
Gesendet: Dienstag, 13. Februar 2024 10:06
An: Stefan Reuter via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Betreff: [Regionalforum-Saar] Esther am Christag.

 

Im Wochenblatt des Kreises St. Wendel steht dieses Gedicht in der Ausgabe vom 28. Dezember 1842:

Esther am Christag.
Ich sehe Lichter schimmern aller Orten,
In jeder Hütte brennt der Weihnachtsbaum;
Die Freude ziehet ein in alle Pforten,
Der harten Winterzeit gedenkt man kaum.
In ihren Herzen glüht des Lenzes Prangen,
Denn heute haben sie den Christ empfangen.

Wie klingen feierlich die Orgeltöne
Vom nahen Gotteshause zu mir her,
Und daß der Himmel selbst die Feier kröne,
Läßt er erglänzen seiner Sterne Heer.
Mir ist, als säh ich Engel niedersteigen,
Auf daß sie sein des Festes Zeugen.

Ich sitze einsam in der dunkeln Kammer,
Und blicke trauernd in die Nacht hinaus,
Nicht darf ich Jemand zeigen meinen Jammer,
Man stieße sonst mich grausam aus dem Haus.
Ein hart Gesetz ist wider mich verschworen,
Und ach! für mich ist nicht der Christ geboren!
                                                            W.

Die biblische Erzählung im Buch Ester beschreibt die Umkehrung eines geplanten Genozids (Völkermord) an den Juden im persischen Reich im 5. Jahrhundert vor Christus: Nachdem der persische König seine erste Frau verstoßen hat, wird die jüdische Waise Ester, die nach dem Tod ihres Vaters von ihrem Cousin Mordechai aufgezogen wurde, die neue Ehefrau des Königs, verheimlicht aber ihre jüdische Abstammung. Mordechai hat einen Posten am Tor des königlichen Palastes; als er einen Plan, den König zu ermorden, vereitelt, erwirbt er dessen Gunst, aber auch den Neid des höchsten Regierungsbeamten Haman. Der überzeugt den König, ein Edikt zu erlassen, am 13. Tag des 12. Monats (Adar) die jüdische Bevölkerung samt ihren Kindern zu vernichten. Ester erfährt von Mordechai von dem Edikt und spricht mit dem König. Der erkennt, dass Haman sein Vertrauen missbraucht hat und läßt Haman aufhängen. Da er sein eigenes Edikt aber nicht zurücknehmen kann, erläßt er ein zweites Edikt, das den Juden gestattet, für ihr Leben zu kämpfen und ihre Feinde zu vernichten. Mordechai organisiert die Juden, die am 13. Adar alle zehn Söhne Hamans und in allen 127 Provinzen 75.000 Männer umbringen. Ester bittet den König, die Geltung des Edikts in Susa um einen Tag zu verlängern, daraufhin werden in Susa am 14. Adar weitere 300 Männer getötet. So wird aus dem geplanten Genozid an den Juden ein Massenmord an den Feinden der Juden. Zur Erinnerung an ihre Rettung durch Ester feiern die Juden das Purimfest.

Den Zusammenhang mit dem o.a. Gedicht kann ich mir nur so erklären, daß Esther Jüdin war, für sie also das Neue Testament nicht gilt.

Hat jemand ggf. eine andere Idee?

--
Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

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[Regionalforum-Saar] FW: RE: Aw: Re: Es ther am Christag.

Date: 2024/02/14 09:03:32
From: Christa Lippold <franzundchrista(a)t-online.de>





Von meinem/meiner Galaxy gesendet


-------- Ursprüngliche Nachricht --------
Von: Christa Lippold <franzundchrista(a)t-online.de>
Datum: 14.02.24 08:48 (GMT+01:00)
An: Joerg Weinkauf <joweinkauf(a)gmx.de>
Betreff: RE: Aw: Re: [Regionalforum-Saar] Esther am Christag.

Das Gedicht Esther am Christtag findet offenbar die Beachtung, die es verdient. Ich möchte hinzufügen: Nicht Esther hat das Gedicht verfasst! Es stammt nach Form und Stil aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft, die sich dieser Einsamkeit bewusst war. Die Lösung ist nicht, den Weihnachrsbaum abzuschaffen - ganz und gar nicht. Sondern unsere jüdischen und muslimischen Nachbarn dazu einzuladen, ihnen zum Sabath Schalom und Chanukka zu gratulieren und zum Fastenbrechen ihre Einladung anzunehmen. Die Feste zu vermehren, nicht zu streichen! Wir sind aus verschiedenen Völkern, aber eine Nation. Das können wir feiern. 



Von meinem/meiner Galaxy gesendet


-------- Ursprüngliche Nachricht --------
Von: Joerg Weinkauf <joweinkauf(a)gmx.de>
Datum: 14.02.24 07:50 (GMT+01:00)
An: franzundchrista(a)t-online.de
Betreff: Aw: Re: [Regionalforum-Saar] Esther am Christag.

Jetzt erst verstehe ich das Gedicht. Vielen Dank für die Erläuterungen. Jörg Weinkauf.

--
Diese Nachricht wurde von meinem Android Mobiltelefon mit GMX Mail gesendet.
Am 13.02.24, 22:19 schrieb franzundchrista(a)t-online.de:

Mit der biblischen Esther hat das Gedicht sicher nichts zu tun – es ist das junge jüdische Mädchen in St. Wendel um 1842, vielleicht Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie, in St. Wendel aufgewachsen, geht dort eventuell sogar zur Mädchenschule – aber durch Familientradition vom Christfest ausgeschlossen und dadurch von der Festfreude der christlichen Freundinnen in der Stadt getrennt. Diese Einsamkeit empfinden heute oft muslimische Mädchen, als Mädchen durch die Familientradition stärker gebunden als Jungen, die eher ausgehen dürfen, sich sogar einladen lassen bei deutschen Freunden.

Viele muslimische Familien bei uns haben jetzt einen Weihnachtsbaum für ihre Kinder und da die deutschen Klassenkameraden kaum noch in die Kirche gehen, gleicht sich die Festgestaltung an.

Dass es seit neuestem einen Ramadan-Kalender bei dm gibt, zeigt aber, wie sehr manche muslimische Kinder unsere Festbräuche sehnsüchtig beobachten.

 

Von: regionalforum-saar-bounces(a)genealogy.net <regionalforum-saar-bounces(a)genealogy.net> Im Auftrag von Roland Geiger via Regionalforum-Saar
Gesendet: Dienstag, 13. Februar 2024 10:06
An: Stefan Reuter via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Betreff: [Regionalforum-Saar] Esther am Christag.

 

Im Wochenblatt des Kreises St. Wendel steht dieses Gedicht in der Ausgabe vom 28. Dezember 1842:

Esther am Christag.
Ich sehe Lichter schimmern aller Orten,
In jeder Hütte brennt der Weihnachtsbaum;
Die Freude ziehet ein in alle Pforten,
Der harten Winterzeit gedenkt man kaum.
In ihren Herzen glüht des Lenzes Prangen,
Denn heute haben sie den Christ empfangen.

Wie klingen feierlich die Orgeltöne
Vom nahen Gotteshause zu mir her,
Und daß der Himmel selbst die Feier kröne,
Läßt er erglänzen seiner Sterne Heer.
Mir ist, als säh ich Engel niedersteigen,
Auf daß sie sein des Festes Zeugen.

Ich sitze einsam in der dunkeln Kammer,
Und blicke trauernd in die Nacht hinaus,
Nicht darf ich Jemand zeigen meinen Jammer,
Man stieße sonst mich grausam aus dem Haus.
Ein hart Gesetz ist wider mich verschworen,
Und ach! für mich ist nicht der Christ geboren!
                                                            W.

Die biblische Erzählung im Buch Ester beschreibt die Umkehrung eines geplanten Genozids (Völkermord) an den Juden im persischen Reich im 5. Jahrhundert vor Christus: Nachdem der persische König seine erste Frau verstoßen hat, wird die jüdische Waise Ester, die nach dem Tod ihres Vaters von ihrem Cousin Mordechai aufgezogen wurde, die neue Ehefrau des Königs, verheimlicht aber ihre jüdische Abstammung. Mordechai hat einen Posten am Tor des königlichen Palastes; als er einen Plan, den König zu ermorden, vereitelt, erwirbt er dessen Gunst, aber auch den Neid des höchsten Regierungsbeamten Haman. Der überzeugt den König, ein Edikt zu erlassen, am 13. Tag des 12. Monats (Adar) die jüdische Bevölkerung samt ihren Kindern zu vernichten. Ester erfährt von Mordechai von dem Edikt und spricht mit dem König. Der erkennt, dass Haman sein Vertrauen missbraucht hat und läßt Haman aufhängen. Da er sein eigenes Edikt aber nicht zurücknehmen kann, erläßt er ein zweites Edikt, das den Juden gestattet, für ihr Leben zu kämpfen und ihre Feinde zu vernichten. Mordechai organisiert die Juden, die am 13. Adar alle zehn Söhne Hamans und in allen 127 Provinzen 75.000 Männer umbringen. Ester bittet den König, die Geltung des Edikts in Susa um einen Tag zu verlängern, daraufhin werden in Susa am 14. Adar weitere 300 Männer getötet. So wird aus dem geplanten Genozid an den Juden ein Massenmord an den Feinden der Juden. Zur Erinnerung an ihre Rettung durch Ester feiern die Juden das Purimfest.

Den Zusammenhang mit dem o.a. Gedicht kann ich mir nur so erklären, daß Esther Jüdin war, für sie also das Neue Testament nicht gilt.

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Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

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Roland Geiger
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[Regionalforum-Saar] Aufzeichnung des Vortrags "HANSE. QUELLEN. LESEN!"

Date: 2024/02/14 12:43:10
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Liebe Freundinnen und Freunde der Familienforschung,

die Aufzeichnung des Online-Vortrages

HANSE. QUELLEN. LESEN!
Die Spätzeit der Hanse gemeinsam entdecken!

mit der Referentin Vivien Popken von der Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums

findet ihr auf dem Roland-YouTube-Kanal unter folgendem Link:

https://youtu.be/XM5-lYtjd-Q?si=BJZbKGdIJSVesMEP

Wir wünschen euch eine interessante und informative Zeit beim Anschauen der Aufzeichnung und weiterhin viel Erfolg und Freude bei eurer familiengeschichtlichen Forschungsarbeit.

Viele liebe Grüße

Georg (Palmüller)



Genealogisch-heraldische Arbeitsgemeinschaft
ROLAND ZU DORTMUND e. V.
Beauftragter Roland-Öffentlichkeitsarbeit

Postfach 10 33 41
44033 Dortmund

E-Mail: georg.palmueller(a)roland-zu-dortmund.de

Homepage: www.roland-zu-dortmund.de
Facebook: www.facebook.com/RolandZuDortmund
_____________________________________
International German Genealogy Partnership (IGGP) mailing list
Write new topics to IGGP-L(a)genealogy.net
Mailing list administration
https://list.genealogy.net/mm/listinfo/iggp-l

IGGP website https://iggp.org/

Re: [Regionalforum-Saar] Fwd: Jüdisches Leben in St . Wendel, powerpoint-Vortrag am 22.02.2024

Date: 2024/02/15 17:29:32
From: Horst Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Hallo Roland
gehst Du da hin, ist das Intersant ?
Papa

Am 13.02.2024 um 19:53 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar:




-------- Weitergeleitete Nachricht --------
Betreff: Jüdisches Leben in St. Wendel, powerpoint-Vortrag am 22.02.2024
Datum: Tue, 13 Feb 2024 12:45:16 +0000
Von: Eberhard Wagner <eberhardwagner(a)hotmail.com>
An: Eberhard Wagner <eberhardwagner(a)hotmail.com>


Liebe Mitglieder und Freund(innen) des Vereins "Wider das Vergessen und gegen Rassismus",

zu Ihrer/eurer Information.

Am Donnerstag, dem 22. Februar 2024, halte ich in der Stadt- und Kreisbibliothek St. Wendel einen PowerPoint-Vortrag zum Thema "Jüdisches Leben im St. Wendel der 1930er Jahre". 19.30 Uhr, Eintritt frei.
Dazu lade ich ganz herzlich ein.

Herzliche Grüße
Eberhard Wagner, 
Vorsitzender Verein "Wider das Vergessen und gegen Rassismus"

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[Regionalforum-Saar] Drei preiswerte Bücher zum Th ema "Der preußische Hof"

Date: 2024/02/23 08:19:08
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Bittner, Anja; Holtz, Bärbel (Hrsg.): Der preußische Hof von 1786 bis 1918. Ämter, Akteure und Akteurinnen. Paderborn 2022 : Ferdinand Schöningh, ISBN 978-3-506-70833-5 XXX, 793 S. € 239,00

Große, Annelie; Holtz, Bärbel (Hrsg.): Die Hoffinanzierung in der preußischen Monarchie von 1786 bis 1918 Paderborn 2023 : Ferdinand Schöningh, ISBN 978-3-506-79544-1 VI, 1.005 S. € 299,00

Rathgeber, Christina; Spenkuch, Hartwin (Hrsg.): Instrumente monarchischer Selbstregierung. Zivil-, Militär- und Marinekabinett in Preußen 1786 bis 1918. Paderborn 2023 : Ferdinand Schöningh, ISBN 978-3-506-79545-8 VI, 713 S. € 249,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von Thomas Stamm-Kuhlmann, Historisches Institut, Universität Greifswald

Ein soziales Gebilde kann erst verstanden werden, wenn sein internes Geflecht von Machtverhältnissen zum Thema wird. Die Konstellationen von Personen, die einen Mächtigen umgeben, verdienen es, unabhängig von der Frage nach der „Größe“ oder „Bedeutung“ von Individuen behandelt zu werden. Unter einem kulturgeschichtlichen Ansatz gewinnen Macht- und Herrschaftsapparate neue Relevanz und darf die von Carl Schmitt einst formulierte Frage nach dem „Zugang zum Machthaber“ neu untersucht werden. Was früher als „Personengeschichte“ abgewertet wurde, kann im günstigen Fall eine Untersuchung von Mechanismen der Herrschaftsausübung werden, die für das Verständnis historischer Epochen wesentlich ist. Symbolik und Performanz der Hofgesellschaft können sogar im Verlauf des 19. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnen, und zwar, wie Christina Rathgeber und Hartwin Spenkuch in Erinnerung bringen, aus unterschiedlichen Gründen: in Großbritannien, um den schwindenden politischen Einfluss der Monarchin zu kompensieren; in Preußen und Österreich, um die weiterhin bestehenden konstitutionellen Befugnisse der Herrscher zu stärken (Bd. 3, S. 1).

Aus diesem Grund ist es verdienstlich, dass in der Neuen Folge der „Acta Borussica“ eine Reihe erscheint, die den „Praktiken der Monarchie“ gewidmet ist. Die ursprüngliche Machtzentrale der Monarchen war der Hof, der schrittweise eine zeremonielle Eigenbedeutung gewonnen hat, während sich das Kabinett, das Ministerium und der Behördenapparat als spätere Orte der Herrschaftsausübung aus ihm heraus entwickelt haben. Dieses Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften liefert detaillierte Sachkenntnis für Forschende, die ein Spezialinteresse an Preußen haben, und es ist gleichzeitig bestrebt, Performanz, Struktur und Ressourcen der Monarchie überhaupt zu verstehen.

Fast ein Jahrhundert, nachdem Norbert Elias begonnen hatte, eine soziologische Sicht auf den Hof jenseits bürgerlicher Vorbehalte zu entwickeln, und fast vierzig Jahre nach John C. G. Röhls populären Studien über den Hof Wilhelms II., wird – in der Form dreier Quelleneditionen – ein reiches empirisches Material geliefert. Diesen Editionen sind in Bd. 1 ein programmatischer Artikel von Wolfgang Neugebauer („Praktiken der späten Monarchie: Einführung in ein Editions- und Forschungsprogramm“) und eine 214-seitige Einleitung von Anja Bittner („Amtsorganisation, Akteurinnen, Akteure und die Arbeitswelt des Hofpersonals“), in Bd. 2 eine 166-seitige Einleitung von Annelie Große („Die Finanzierung von Hof und Königshaus in Preußen von 1786 bis 1918, Strukturen und Praktiken im Wandel“) sowie in Bd. 3 eine 148-seitige Einleitung von Christina Rathgeber und Hartwin Spenkuch („Monarchenbüro, Ausdruck königlicher Selbstregierung, extrakonstitutionelle Instanz: Zivil-, Militär- und Marinekabinett in Preußen 17861918“) vorangestellt. Eine Zusammenfassung der Editionsgrundsätze, die in allen drei Bänden textgleich ist, hat Bärbel Holtz beigesteuert. Seltsamerweise weicht Bd. 2 im Format von den beiden anderen Bänden der Reihe ab; er ist größer ausgefallen.

Bisher hat die Geschichtswissenschaft dem preußischen Hof gerade für die Ära geringe Beachtung geschenkt, in welcher der Hof seinen größten Umfang erreicht hat – nämlich dem Zeitraum vom Tod Friedrichs des Großen bis zum selbst verschuldeten Untergang der Monarchie 1918. Bereits die Einleitung zu dem Personal gewidmeten Bd. 1 von Anja Bittner mit ihren vorsichtigen Formulierungen macht deutlich, wie unterforscht das Gebiet bisher war. Bevor eine gewandelte Interessenlage die Forschung hätte anstoßen können, schufen Kriegsverluste in den Akten des Oberhofmarschallamts und der Schlösserverwaltung weitere Hindernisse (Bd. 1, S. 10).

Der preußisch-deutsche Hof nach der Reichsgründung scheint im Vergleich zu den Höfen von London, St. Petersburg und Wien in Umfang und Aufwand nicht aus dem Rahmen gefallen zu sein (Bd. 1, S. 13). Seine Finanzierung wurde bisher noch nie im Längsschnitt untersucht. Solange die Monarchie bestand, war die historische Forschung auf die Staatsfinanzen fixiert, ohne die Abgrenzung zwischen Hof und Staat zu thematisieren – das geschah erst im Zug der Vermögensauseinandersetzung zwischen dem Freistaat Preußen und dem ehemaligen Herrscherhaus (Bd. 2, S. 4). Im 20. Jahrhundert konnten Forschende, die sich einzelnen Monarchen widmeten, für die Finanzierung des Hofes nur wenig Aufmerksamkeit erübrigen. Auch die „Praktiken der Monarchie“ beschränken sich auf den abgeschlossenen Raum des Hofes, da der Umfang der preußischen Staatsfinanzen für das 19. Jahrhundert gar nicht klar umrissen sei (Bd. 2, S. 8). Mit dem Staatsschuldenedikt von 1820 wurde zum ersten Mal eine Kronrente fixiert, die zunächst jährlich 2,5 Millionen Taler betrug. Diese unterschied sich von einer Zivilliste dadurch, dass sie zumindest dem Begriff nach auf den Domänenbesitz des Staates radiziert und somit in ihrem Kern von einer ständischen Bewilligung unabhängig war; die vier Erhöhungen ab 1850 bedurften trotzdem parlamentarischer Genehmigung (Bd. 2, S. 28). Besonders ab 1868 trieb das Königshaus dann auch eine Trennung des Hausvermögens von der Hoffinanzierung voran (Bd. 2, S. 50, S. 165). Die Akribie, mit der in diesem Überblicksartikel ohne Vorläuferarbeiten aus der bisherigen Forschung Licht in das komplizierte Verhältnis von Kronfideikommiss, Hausfideikommiss und Schatulle gebracht wird, verdient Anerkennung. Es werden auch ausführliche Tabellen geboten.

Der Ruf König Friedrich Wilhelms II., ein Verschwender gewesen zu sein, bestätigt sich aus den hier konsultierten Quellen nicht (Bd. 2, S. 94f.). Vielmehr scheint sich sein schlecht beleumdeter Geheimer Kämmerer Ritz um Einsparungen bemüht zu haben. Nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch der „Staat“ in Gestalt des Finanzministeriums traten im Verlauf des 19. Jahrhunderts als Antagonisten der Dynastie bei der Finanzierung des Hofes in Erscheinung (Bd. 2, S. 57). Ab 1862 betrieb der Krontresor vorübergehend auch Anlagen in ausländischen Wertpapieren, um dem Königshaus eine Absicherung für den Fall seiner Entmachtung zu garantieren (Bd. 2, S. 67).

Anders als die auf Vollständigkeit abzielende Edition der Protokolle des Staatsministeriums stellt die Edition „Praktiken der Monarchie“ eine „thematisch definierte Quellenauswahl“ dar. Sie bietet „Schlüsseldokumente, die für den Forschungsansatz des Vorhabens von Anpassungspotenzialen der Monarchie beziehungsweise deren Grenzen aussagekräftig sind“ (Bd. 1, S. 217). Insofern Ausgaben und Schulden etwas über den Lebensstil einer Persönlichkeit des Königshauses aussagen, können die in Bd. 2 abgedruckten Dokumente auch von biografischem oder baugeschichtlichem Interesse sein, wie zum Beispiel im Fall des Prinzen Carl und seiner Kunstschätze in Schloss Glienicke (Bd. 2, Dok 124 a–g). Dok. 80 und 84 aus Bd. 1 sowie Dok. 10 und 11 aus Bd. 3 belegen die traditionsgebundene Formulierung der Bestallungsurkunden für Hofbeamte. Bd. 3 widmet sich dem Zivil-, Militär- und Marinekabinett. Er bietet Einblicke in die Personalia der Kabinettsräte und zeigt, welche Funktionen den Kabinetten beim Kampf um die königliche Letztentscheidung zufielen. So empörte sich der Präsident des Staatsrats, Herzog Carl zu Mecklenburg-Strelitz, darüber, dass das Mitglied des Staatsrats Wilhelm von Humboldt den Versuch unternahm, die Revision der Städteordnung, die den Staatsrat bereits passiert hatte, durch Intervention beim Chef des Militärkabinetts Job von Witzleben aufzuhalten. „H. vonWitzleben glaubt den Herr vHumboldt zu benutzen, aber er merkt es nicht, dass HvHumboldt ihn benutzt, um sich dem König zu nähern, um zu steigen.“ (Bd. 3, Dok. 39). Tatsächlich gelang es Witzleben, den eigentlich für den Vortrag von Zivilsachen zuständigen Kabinettsminister, den Generalmajor Grafen Lottum, zu überspielen (Bd. 3, Dok. 40). Kronprinz Friedrich Wilhelm träumte 1835 davon, es könnte zusätzlich noch ein Kultuskabinett unter seinem Freund Bunsen geben (Bd. 3, Dok. 43). Nach seiner Thronbesteigung ernannte Friedrich Wilhelm IV. den Generalleutnant Ludwig Gustav von Thile zum Kabinettsminister, der ihm auch Fragen der auswärtigen Politik vortrug. Thile legte dem König 1842 eine Kritik des Stils der Regierung aus dem Kabinett vor, die an die Argumente des Freiherrn vom Stein aus dem Jahr 1806 gemahnt (Bd. 3, Dok. 71).

Neben trockenen Dokumenten zur Besoldung der Kabinettsbeamten sowie zu Bau und Raumaufteilung der Kabinettshäuser finden sich in Bd. 3 weitere personenpsychologische Juwelen wie die Charakteristik Wilhelms I. und seiner Höflinge, die der ehemalige Flügeladjutant und spätere Generalstabschef Graf Waldersee 1897 zu Papier gebracht hat (Bd. 3, Dok. 249). Durch die hier vorgenommene Zuordnung der Geschichte der preußischen Kabinette ist bereits klargestellt, dass die Kabinette als Teil des Hofes und der monarchischen Regierung verstanden werden sollen und nicht dem Anstaltsstaat sowie seiner Bürokratie zugewiesen sind, was folgerichtig auch darin zum Ausdruck kommt, dass die Protokolle des 1817 durch Hardenberg endgültig formierten preußischen Staatsministeriums bereits als I. Reihe der Acta Borussica N.F. publiziert sind. Dass so der immer noch vorkommenden begrifflichen Verwechslung von Staatsministerium und Kabinett (zum Beispiel „das Kabinett Pfuel“ statt „das Ministerium Pfuel“) vorgebeugt werden kann, müssen wir hoffen. Auf jeden Fall gilt: „Trotz […] der Anpassungen an die staatliche Verwaltung entwickelte sich das Kabinett aber nie zu einer staatlichen Behörde“ (Bd. 3, S. 77).

Obwohl in Bd. 3, Dok. 48, 52 und 58 ausdrücklich erwähnt, ist das Kabinettsjournal im Rahmen dieser Edition keiner speziellen Auswertung unterworfen worden. Die verfassungsgeschichtliche Bedeutung der Kabinette im Allgemeinen war beträchtlich. Ihre Institution sei, so meint Hartwin Spenkuch, ein Ausdruck der den preußisch-deutschen Herrschern eigenen Entschlossenheit, weiter selbst zu regieren. So hätten deren Chefs – ursprünglich einmal Bürobeamte oder Adjutanten – als in der Verfassung nicht vorgesehene Berater vor allem im Kaiserreich Einfluss gewonnen (Bd. 3, S. 116). Das Militärkabinett im Besonderen geht auf die Entscheidung Friedrich Wilhelms II. im Jahr 1787 zurück, dass Kabinettsordern in Militärangelegenheiten im Büro des Generaladjutanten auszufertigen waren (vgl. Bd. 3, Dok. 283). Die Bedeutung des Militärkabinetts wuchs in dem Maß, in dem die unbegrenzte Kommandogewalt als Prärogative der Krone gegen den Konstitutionalismus verteidigt werden sollte. Hier weist Hartwin Spenkuch Edwin von Manteuffel und der Kamarilla Friedrich Wilhelms IV. die Schlüsselrolle zu. Deren Doktrin sei bis 1918 „zäh verteidigt“ worden, obwohl sie, wie Spenkuch im Widerspruch zu Ernst Rudolf Huber sagt, „gegen den Verfassungstext aufgestellt“ worden sei (Bd. 3, S. 120). Das Marinekabinett wurde dann durch Wilhelm II. in Analogie zum Militärkabinett geschaffen, womit eine „dysfunktionale“ Dreiteilung der Marineleitung in Reichsmarineamt, Marinekabinett und Flottenkommando entstand (Bd. 3, S. 156).

Die in Bd. 3 gebotenen Exempla für die Bearbeitung allgemeinpolitischer Themen durch die Kabinette werden sparsam aus der einschlägigen Spezialliteratur kommentiert, am ehesten durch Verweise auf Treitschkes Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Während verschiedentlich frühere Druckorte, auch auszugsweise, der in der Edition versammelten Quellen angegeben sind, ist nicht vermerkt, dass die Denkschrift Hardenbergs von 1797, die Kabinettsorder an das Staatsministerium vom 21. Oktober 1819 und das Schreiben des Kronprinzen an den Oberkammerherrn Fürsten Wittgenstein vom 31. Januar 1823 ausführlich bei Stamm-Kuhlmann, König in Preußens großer Zeit, zitiert sind.1 Hofbeamte wurden von Wilhelm II. nicht deshalb vom Hof entfernt, weil sie für die vom Kaiser gewünschte Kanalvorlage gestimmt hatten, sondern weil sie dagegen gewesen sind (Bd. 1, S. 79, vgl. Bd. 3, Dok. 252). Dass die 2009 veröffentlichte Dissertation „Wie mächtig war der Kaiser?“ von Alexander König2 das Thema des Oberbefehls und der Kabinettsregierung allgemein sowie die Unterschriftenlast Wilhelms II. behandelt, scheint den Bearbeitern von Bd. 3 ebenfalls entgangen zu sein.

Die Fragestellung nach der Anpassungsfähigkeit des Hofsystems ist sicherlich richtig. Im säkularen Verlauf nach 1820 wurde die Trennung des Hofes vom Staat immer schärfer, was dem zunehmend einerseits abstrakten, andererseits demokratisierten Staatsbegriff entspricht. Dennoch wird man die Antwort auf die Frage, warum manche europäischen Nationen ihre Monarchie beseitigt haben, während sie in anderen Ländern unverwüstlich scheint, woanders suchen müssen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Thomas Stamm-Kuhlmann, König in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III., der Melancholiker auf dem Thron, Berlin 1992, S. 116, S. 438, S. 468–469.
2 Vgl. Alexander König, Wie mächtig war der Kaiser? Kaiser Wilhelm II. zwischen Königsmechanismus und Polykratie von 1908 bis 1914, Stuttgart 2009, bes. S. 95, S. 262–263.

Zitation

Thomas Stamm-Kuhlmann, Rezension zu: Bittner, Anja; Holtz, Bärbel (Hrsg.): Der preußische Hof von 1786 bis 1918. Ämter, Akteure und Akteurinnen. Paderborn 2022 , ISBN 978-3-506-70833-5 / Große, Annelie; Holtz, Bärbel (Hrsg.): Die Hoffinanzierung in der preußischen Monarchie von 1786 bis 1918 Paderborn 2023 , ISBN 978-3-506-79544-1 / Rathgeber, Christina; Spenkuch, Hartwin (Hrsg.): Instrumente monarchischer Selbstregierung. Zivil-, Militär- und Marinekabinett in Preußen 1786 bis 1918. Paderborn 2023 , ISBN 978-3-506-79545-8, In: H-Soz-Kult, 23.02.2024, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-131560>.

[Regionalforum-Saar] Niemand darf in Sklaverei oder Lei beigenschaft gehalten werden“. Freiheit und Unfreihei t in Mitteleuropa (vom Frühmittelalter bis 1989)

Date: 2024/02/23 08:23:05
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden“. Freiheit und Unfreiheit in Mitteleuropa (vom Frühmittelalter bis 1989)

Organisatoren
Polnische Historische Mission, Julius-Maximilians-Universität Würzburg; Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń; Renata Skowrońska, Polnische Historische Mission, Julius-Maximilians-Universität Würzburg / Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń; Helmut Flachenecker / Lina Schröder, Julius-Maximilians-Universität Würzburg; Andrzej Radzimiński, Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń; Caspar Ehlers, Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie; Lisa Haberkern, Stiftung Kulturwerk Schlesien; Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg; Kolleg „Mittelalter und Frühe Neuzeit” (Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg)

Ausrichter Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg

Förderer Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales; Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit
Würzburg

Fand statt In Präsenz

Vom - Bis 28.09.2023 - 29.09.2023

Von Eva Strecker, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

In der epochen- und fachübergreifenden Tagung wurden sowohl das Konzept wie auch der Begriff der Sklaverei und deren verschiedene Ausprägungen im europäischen Raum – begonnen mit einem zusammenfassenden Blick der Alten Geschichte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts – thematisiert. Das absichtlich vage formulierte Thema wurde von Vertretern verschiedener Disziplinen und Spezialisten verschiedener Epochen aus mehreren Ländern rezipiert, so dass zum Ende der Tagung ein breites und buntes Netz aus Vorträgen für eine finale Diskussion der gefundenen Unterschiede und Gemeinsamkeiten an Arten der Unfreiheit entstanden war.

SZYMON OLSZANIEC (Toruń) begann mit dem spätrömischen Reich, das mittlerweile keine Expansionskriege mehr führte und auch schon in geraumer Zeit keinen militärischen Erfolg zu verzeichnen hatte. Somit war deren Hauptquelle an Sklaven nicht mehr zugänglich; stattdessen wandten sie sich verschärft dem Sklavenhandel zu, insbesondere die Gothen waren Hauptopfer dessen. Auch römische Einwohner wurden versklavt, entweder als juristische Strafe oder beispielsweise durch Verkauf durch die eigenen Eltern. Eine Konstante in dem römischen Umgang mit Sklaven war deren Stand als Besitzgegenstand des Herren: Erst ein Gesetz aus dem Jahr 319 n. Chr. verbat Mord oder schwere körperliche Verletzung des Sklaven als Bestrafung.

Mittelalterliche Arten der Unfreiheit wurden besonders im Hinblick auf die Rolle der Kirche untersucht. So stellte THOMAS WETZSTEIN (Eichstätt-Ingolstadt) die Verbindung zwischen Rechtslehre und Sklaverei her, da beide sich schon während römischer Zeit parallel zueinander entwickelten. Kirchenrecht formulierte Freiheit zwar als Geschenk Gottes, die Sklaverei wurde aber als durch die Erbsünde bedingten Naturzustand der Menschen angesehen. Die Kirche war der Sklaverei also nicht abgeneigt, wusste sie den Nutzen von Sklaven doch perfekt einzusetzen. Vielmehr formulierten sie die Gleichheit aller Menschen als Auftrag für die Zukunft. Der Vortrag durch EDUARD VISINTINI (Mainz) bestätigte diese Beteiligung sowie Weiterführung römischer Sklaverei im Mittelalter durch die Kirche und führte weiter aus, dass Sklaven in klarem Kontrast zu Gefangenen gesehen werden müssen und hier ein Unterschied zwischen gerechter und ungerechter Unfreiheit formuliert wurde. Das Mittelalter führte die Unfreiheit der Römer also weiter und rechtfertigte sie nun biblisch. Hier stieß die Tagung auch zuerst auf die Problematik des Begriffes: die ancillae im Kontrast zu Sklaven, slaves, serfs, Leibeigenen, dem lateinischen servus – die Quellensprache des Mittelalters macht eine exakte Begrifflichkeit ebenso schwierig wie die Antike.

Mit dem Vortrag durch JACEK BOJARSKI (Toruń) und MAŁGORZATA DERECKA (Olsztyn) wurde eine archäologische Sichtweise auf den (Un-)Freiheitsbegriff geworfen: In den von ihnen untersuchten Grabstätten ging es um die gesellschaftlichen Zwänge von insbesondere Frauen – und wie diese auch über den Tod hinaus bestanden, bedingt durch ihre Pose im Grab und Status als Grabbeigabe für Männer. Dieser von dem viel diskutierten Sklavereibegriff klar unterschiedenen Druck, dem Mann in den Tod zu folgen, und die Romantisierung dessen als eine Art der Unfreiheit warf erstmals die Frage des Bewusstseins auf – inwieweit ist es von Relevanz für die Forschung, ob die Zeitgenossen den beschriebenen Zustand ebenfalls als Unfreiheit kategorisieren würden?

Die Vorträge mit einem epochalen Schwerpunkt in der Frühen Neuzeit gingen insbesondere auf die Religionsfreiheit als verwehrtes Gut und die Kriegsgefangenschaft als eine zeitlich begrenzte Unfreiheit ein. WOLFGANG WÜST (Erlangen-Nürnberg) stellte die Kopplung von gesetzlicher Unfreiheit und gesellschaftlichem-sozialen Zwang am Beispiel des Kirchenzwangs im Anschluss des Augsburger Religionsfrieden 1555 dar. Wo „Policeyordnungen“ nicht galten – wie in Reichsstädten – oder wo es trotz des an den Landesherren gebundenen Religionszwangs beispielsweise ökumenische Beziehungen gab, griff oft persönlicher Ausschluss aus der Familie und damit verbundene Enterbung als soziale Einschränkung.

Sowohl MICHAŁ KURAN (Łódź) wie auch JAKUB SYTNIEWSKI (Opole) boten beide eine Perspektive auf eine polnische Geschichte der Freiheit. Kuran ging hier auf die „Beschreibung des sarmatischen Europas“ ein, in welcher der Autor Alexander Guagnini die Sklaverei als Antonym zu Freiheit sieht und somit einem freien Polen im Weg steht: „die Freiheit [öffne] die Tür zur Unabhängigkeit”. Sytniewski ging auf die Angriffe der Tataren und die folgenden Verschleppungen ein. Die hier Gefangenen wurden zeitgenössisch nicht für ihre unfreiwillige Unfreiheit verurteilt und hatten verschiedene Optionen, um ihre Freiheit wieder zu erlangen: Lösegeldzahlungen, Freilassungen, Flucht, Befreiungsmission (Rettung), die Konversion zum Islam oder in seltenen Fällen auch „Pobratymstwo“ (= Blutsbrüderschaft). Die Art und Weise, wie Gefangene behandelt wurden und welche Optionen ihnen damit offen waren, hing von ihrem Stand ab.

Mit dem 19. Jahrhundert liefen manche Formen der Unfreiheit langsam aus. ANDRZEJ MICHALCZYK (Bochum) und JAN OCKER (Kiel) gingen beide auf das umstrittene Konzept der Leibeigenschaft ein, insbesondere deren Auslaufen im 19. Jahrhundert: Mit dem wachsenden Industrie- und Dienstleistungssektor wurden die klassischen Formen der Leibeigenschaft für Feldarbeit immer obsoleter, diese endeten auch in deutschsprachigen Gebieten um diese Zeit. Doch Freiheit war damit nicht gegeben, weder Zug- noch Berufsfreiheit waren überall vorhanden. Auch KAVEH YAZDANI (Connecticut) sprach über den Wandel zur Lohnarbeit, dieser bedeutete jedoch keineswegs freiere Arbeitsmöglichkeiten. Vielmehr unterstrich Yazdani, wie fest Sklaverei und Unterdrückung durch Lohnarbeit Teil des nun entstandenen Kapitalismus waren. Die europäischen Kolonien waren nur durch Sklaverei profitabel zu halten und lediglich mit den Kolonien funktionierte der Motor der modernen Industrie. Die Unfreiheit nahm somit mehr zu als tatsächlich ab. Lohnkürzungen erwiesen sich als effizienter in Europa als Sklaverei und wurden so Teil der Wirtschaft.

VOLODYMYR ABASCHNIK (Charkiw) stellte mit seiner Diskussion zur Geschichte der Universität Charkiw den Gedankenaustausch deutscher und polnischer Gelehrter sowie den Einfluss vor, den dieser auf Diskussionen zu Freiheit von Lehre und Wissenschaft hatte, insbesondere deren Unterdrückung durch das zarische Russland.

Die Vorträge mit Schwerpunkt im 20. Jahrhundert konzentrierten sich insbesondere auf den politischen und gezielten Einsatz von Freiheitsentzug unter anderem in Form von Unterdrückung der Pressefreiheit und Gefängnissen.

ALEXANDRA PULVERMACHER (Klagenfurt) gab mit einem Fallbeispiel aus dem besetzten Polen und der dort eingeführten Schutzhaft die bis dato genaueste Angabe an, wie der Freiheitsentzug exakt verlief, von fadenscheinigen Gründen für Verhaftungen, die dann zu einer “Schutzhaft” in KZs führte, oft mit massiven Sterberaten. Die brutale Vorgehensweise führte zu einem massiven Zulauf für den polnischen Widerstand. Die hier gezielt eingesetzte Unfreiheit war willkürlich und grausam.

Ein letztes Beispiel an Unfreiheit kam von BARTOSZ KALISKI (Warschau), der an dem Beispiel des tschechischen Journalisten Jiří Lederer (1922–1983) die Möglichkeiten und Folgen einer zensierten und politisierten Presse ausmachte – eine Art der Unfreiheit, die sowohl den Journalisten sehr persönlich, aber auch dessen potenzielle Leser im Hinblick auf die Informationen, die ihnen frei zugänglich sind, einschränkt.

Durch die offene Themenstellung war es jedem Referenten möglich, seine persönliche Interpretation des Freiheits- und Unfreiheitsbegriffes in Bezug zum jeweiligen Feld zu geben. Auch deshalb waren die Themen so bunt und machten eine schlüssige und zusammenfassende Schlussfolgerung schwierig. Der abschließende Austausch war bestimmt durch Diskussion über die Semantik des Sklavereibegriffes, wobei der allgemeine Schluss war, dass bei Bezug auf Quellen immer das in der Quelle verwendete Wort in Originalsprache anzumerken sei und gerade das englische slave durch die amerikanischen Baumwollplantagen vorbelastet ist und ein Diskurs, der natürlich immer nötig bleibt, mit Nuance in dieser Hinsicht erfolgen muss.

Die Zeit der Tagung erlaubte nur einen kleinen Einblick in ein riesiges Feld der Freiheits- und Unfreiheitsforschung. Gerade der interdisziplinäre und epochenübergreifende Ansatz machte hier den Eindruck, dass kaum die Oberfläche des Themas angekratzt werden konnte. Man kann hier bestimmt noch mehr Forschung und Diskussion erwarten.

Konferenzübersicht:

Szymon Olszaniec (Toruń): Slavery in the late Roman Empire – An overview
Thomas Wetzstein (Eichstätt-Ingolstadt): Freiheit und Unfreiheit im mittelalterlichen Kirchenrecht
Kaveh Yazdani (Connecticut): Political economy, capitalism and discourses on free and unfree labor, ca. 17th to 19th centuries
Volodymyr Abaschnik (Charkiw): Beitrag polnischer und deutscher Gelehrter zu Freiheitsdiskussionen an der Universität Charkiw in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Wojciech Mrozowicz (Breslau): Freiheit als Wert in der schlesischen Historiografie und Hagiografie des Mittelalters
Michał Kuran (Łódź): Freedom and enslavement of nations and individuals in the European Sarmatian Chronicle (1611) by Alexander Gwagnin
Krzysztof Kwiatkowski (Toruń): Unfreie im spätmittelalterlichen Preußen. Zwischen Krieg und Besiedlung
Jakub Sytniewski (Opole): About mutual experience of captivity. The situation of prisoners of war from the Polish-Lithuanian state in the Crimea and Tatars captives in Polish-Lithuanian Commonwealth in 17th century
Alexandra Pulvermacher (Klagenfurt): Die Anwendung der „Schutzhaft“ im besetzten Polen am Beispiel der „Intelligenzaktion Zichenau“
Jacek Bojarski (Toruń) und Małgorzata Derecka (Olsztyn): Auch nach dem Tod zusammen. Freier Wille oder Religions- und Gesellschaftdiktat?
Eduard Visintini (Mainz): Rightful and Unrightful Unfreedom in the Early Middle Ages: The Case of Merovingian Church
Sebastian Kalla (Freiburg): Die ancillae im Hochmittelalter. Ein Fortbestehen der Sklaverei?
Wolfgang Wüst (Erlangen-Nürnberg): Konfessionszwang und Kirchenzucht nach dem Religionsfrieden von 1555. Religiöse Unfreiheit im Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation im Spiegel von Kirchen-, Policey- und Strafordnungen
Jan Ocker (Kiel): „das unsere undersaten [...] unsere liebeigen seindt“. Gedanken zur Geschichte, Struktur und Wahrnehmung der Gutswirtschaft in Holstein, Mecklenburg und Pommern (16. bis 19. Jahrhundert)
Andrzej Michalczyk (Bochum): Der Wandel soziokultureller Haltungen und Erwartungen in einer Post-Leibeigenschaft-Gesellschaft. Oberschlesien im langen 19. Jahrhundert
Marta Baranowska (Toruń) und Paweł Fiktus (Breslau): Analysis and criticism of the Slavery Convention of September 25, 1926 in Polish political and legal thought of the interwar period
Bartosz Kaliski (Warschau): Das tschechische Schicksal? Journalist Jiří Lederer (1922–1983) – Opfer zweier totalitären Systeme

Zitation
Eva Strecker, Tagungsbericht: Freiheit und Unfreiheit in Mitteleuropa (vom Frühmittelalter bis 1989), In: H-Soz-Kult, 23.02.2024, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-142091>.




[Regionalforum-Saar] Fwd: Tag der Archive am 2. M ärz 2024

Date: 2024/02/23 11:17:59
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Betreff: Tag der Archive am 2. März 2024
Datum: Fri, 23 Feb 2024 10:05:24 +0000
Von: Landesarchiv (Landesarchiv) <Landesarchiv(a)landesarchiv.saarland.de>
An: Landesarchiv (Landesarchiv) <Landesarchiv(a)landesarchiv.saarland.de>


Sehr geehrte Damen und Herren,

 

das Saarländische Landesarchiv bringt sich auch in diesem Jahr wieder mit einem vielfältigen Programm in den bundesweit veranstalteten „Tag der Archive“ ein, der am Samstag, den 2. März 2024, stattfinden wird. Unter Titel „MAHL-ZEITEN. Geschichten vom Essen und Trinken im Saarland“ widmen wir uns einem historisch wie kulturell ausgesprochen vielschichtigen Thema, das im Saarland wie kaum ein anderer Bereich die eigene Identität geprägt hat und noch immer prägt.

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie den beigefügten Flyer und das Plakat zu dieser Veranstaltung über Ihren Verteiler weiterleiten könnten.

Für Ihre Unterstützung danke ich Ihnen herzlich und verbleibe

 

mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag

Christine Frick

Titel: Wappen des Saarlandes - Beschreibung: Diese Grafik zeigt das Wappen des Saarlandes.

Landesarchiv
Diplom-Archivarin (FH)

 

Dudweilerstraße 1 · 66133 Saarbrücken-Scheidt
Tel.: +49(0)681 501-1927
· Fax: +49(0)681 501-1933
c.frick(a)landesarchiv.saarland.de · www.landesarchiv.saarland.de
Öffnungszeiten des Lesesaals: Di, Do, Fr  8.30-16.00 Uhr, montags und mittwochs geschlossen

Datenschutzhinweise des Landesarchivs:
https://www.saarland.de/landesarchiv/DE/services/datenschutz/datenschutz_node.html

Titel: Logo des Landesarchivs des Saarlandes - Beschreibung: Diese Grafik zeigt das Logo des Landesarchivs des Saarlandes.

Bitte bedenken Sie die Auswirkungen auf die Umwelt, bevor Sie diese E-Mail ausdrucken.
Merci de penser à l´environnement avant d´imprimer ce courriel.
Please consider the impact on the environment before printing this e-mail.

 

Attachment: Flyer A4_Tag der Archive_Landesarchiv_Final.pdf
Description: Adobe PDF document

Attachment: Plakat A3_Tag der Archive_Landesarchiv_Final.pdf
Description: Adobe PDF document

[Regionalforum-Saar] Am Dienstag, 27. Februar: Vo rtrag „Schwarzrock – Das Leben des Indianermiss ionars Joseph Jene“

Date: 2024/02/24 17:39:35
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

„Schwarzrock – Das Leben des Indianermissionars Joseph Jene“

Referent: Stephan Friedrich.

Joseph Jenes Leben (* 1902 Wustweiler + 1998 Hirzweiler) als Missionar im Spannungsfeld zwischen indianischer Tradition, Kulturverlust und der Notwendigkeit, die ihm anvertrauten Menschen auf vielfältige Weise zu unterstützen, ist sehr ungewöhnlich. Sein Weg als Priester und Missionar führte ihn 1933 zu den von der Welt vergessenen Sioux in South Dakota. Er setzte sich mit den Menschen auseinander, deren Sprache er nicht sprach und deren Kultur ihm zunächst fremd war, doch im Laufe der Jahre lernte er immer mehr von den Sioux und erkannte den Wert ihrer Traditionen und die Bedeutung der Erhaltung ihres kulturellen Erbes.

Der Vortrag geht über die Biografie Jenes hinaus und befasst sich mit seinen Begegnungen mit den alten Kriegern und Häuptlingen, herausragenden Persönlichkeiten wie Nicolas Black Elk, dem „heiligen Mann“ der Sioux, dem Missionar Eugen Buechel und dessen Forschungen zur Rettung indigener Sprache und Kultur.

Viele Fotografien aus Jenes Nachlass dokumentieren das Leben auf der Cheyenne River Reservation und seine Bemühungen, den Menschen spirituell und materiell aus ihrem Elend zu helfen und ihnen den Respekt entgegenzubringen, den sie verdienen.

Am Dienstag, 27. Februar 2024, um 17.30 Uhr im Lesesaal des Landesarchiv Saarbrücken, Saarbrücken-Scheidt

Eine Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft für Saarländische Familienkunde (ASF).


[Regionalforum-Saar] Buchbindermeister Anspach

Date: 2024/02/26 08:54:51
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Morgen,

im Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler von 1842 fand ich diesen Artikel:

Buchbinder Anspach in St. Wendel nimmt Lehrlinge.
Bei dem Buchbinder Anspach in St. Wendel können sogleich 2 Knaben in die Lehre aufgenommen werden
Derselbe empfiehlt sich zugleich mit allen Schul= und Gebetbüchern, sowohl im Einzelnen, als in größern Parthien, und unterhält ein wohl assortirtes Schreibmaterialien=Geschäft, wobei er prompte Bedienung und die billigsten Preise verspricht.“

Was mich neugierig machte, weil der Name Anspach in St. Wendel heute unbekannt ist.

Viel habe ich trotz intensiver Suche nicht herausgefunden:

„Andreas Anspach, evangelisch
geb. ? in ?
+ nach 18.04.1858 in Bitburg“

Auf das Datum „18.04.1858“ komme ich durch einen Notariatsvertrag:

„Notar Keller, Nr. 4555 vom 18.04.1858
Philipp Maull, Kataster-Conducteur in Nohfelden, verkauft an Andreas Anspach, Buchbinder in St. Wendel, und Ehefrau Christiane Maull ein 3-stöckiges Wohnhaus in St. Wendel oben an der Grabengasse neben Wilhelm Lithard, Friedrich Tritsch, Nikolaus Jochem und der Straße, Nr. 368 des älteren Kastasters.
Der Verkäufer hat das Wohnhaus vor Notar Artois in Ottweiler am 02.12.1844 von den heutigen Ankäufern selbst erworben; diese hatten vor Notar Ackermann vom 24.11.1841 von Anton Koch erhalten.
Übergang bereits erfolgt
Preis 500 Thaler“

Später wird mir klar, ich kann sogar noch einen draufsetzen:

„Notar Euler, Nr. 650 vom 01.10.1858
der Buchbinder Andreas Anspach und seine Ehefrau Christina Maull aus St. Wendel verkaufen ein einstöckiges Wohnhaus mit Bering, Flur 6 Nr. 460, Hausnummer 26, an den St. Wendeler Kaufmann Nikolaus Jochem
die Verkäufer haben dieses Haus lt. Akt vor Notar Keller vom 18.04.1858 gekauft von Philipp Maul, Kaster-Condukteur in Nohfelden.“

Also gestorben nach 01.10.1858.

Das gilt auch für Anspachs Ehefrau Christiana Amalia Maul. Auch sie stammt nicht aus St. Wendel, und wie ihr Ehemann ist sie auch nicht hier gestorben, also woanders, und auch nach 01.10.1858.

Das Ehepaar hatte vier Kinder:

i. Eeonora Wilhelmina Carolina Anspach * 31.05.1839 in St. Wendel.
ii. Juliana Maria Katharina Anspach *02.02.1841 in St. Wendel + .09.1844 in St. Wendel.
iii. Richard Jakob Anspach *05.02.1843 in St. Wendel + 06.05.1847 in St. Wendel.
iv. Paul Andreas Anspach * 12.03.1845 in St. Wendel + 17.01.1906 in Saarbrücken.

Paul Andreas’ Sterbedaten fand ich in Ancestry mit Scan des Sterbeeintrags.
Dort steht: „Sohn der Eheleute Andreas Ansprach, Buchbindermeister, und Amalie geborene Maul, ohne Stand, beide verstorben, ersterer zu Bitburg, letztere zu Ottweiler“

[Bei den Mormonen sind die Zivilstandsregister von Ottweiler abgebildet, aber nur bis 1875. Dort fand ich die Ehefrau weder unter „Anspach“ noch unter „Maul“.]

Zu Paul findet sich in Ancestry, diesmal ohne Scan des Eintrags, daß er am 7 Sep 1869 in Bitburg Elisabeth Justine Gerlach aus Wetzlar heiratete.

Also sind die Anspachs von St. Wendel nach Bitburg verzogen. Ich suche in google und finde auf der Website der Stadt Bitburg einen interessanten Artikel, verfaßt von „P.N.“:
=> https://www.bitburg.de/eo/cms?_SID=c8ce4344079e8212f9c3e9e1b52ffda18a9fa63100400508833837&_sprache=de&_bereich=artikel&_aktion=detail&idartikel=208252&_template_variant=

Aus dem Stadtarchiv. 4.4.2019.
In Bitburg wusste man 1869 wenig oder nichts über „Potographie“
Im Februar 1868 stellte sich ein gewisser Paul Andreas Anspach bei Bürgermeister Prim vor. Er behauptete, dass er die Kunst der „Potographie“ beherrsche und dass er sie in der Stadt auszuüben wolle. Offenbar wussten weder der Bürgermeister noch die wenigsten Stadtratmitglieder, was „Potographie“ war. In seiner Sitzung am 2. März 1869 beriet der Stadtrat und fasste folgenden Beschluss:
„Auf das Gesuch des Potographen Paul Andreas Anspaden um Überlassung eines Raumes im Stadthausgarten behufs Aufstellung eines Apparates zu Potographierung ist Petent (= Anspach) abschlägig zu bescheiden, da der Platz anderweitige Bestimmungen hat.“
Anspach nennt sich zwar „Potograph“, aber eindeutig handelt es sich bei ihm um einen Photographen/Fotografen, der nach Bitburg kam und der Land und Leute ablichten wollte. Trotz des abschlägigen Bescheides blieb er zumindest für einige Zeit in unserer Stadt, hier heiratete er 1869 Elisabeth Gerlach, die aus Wetzlar stammte. Anspach selbst stammte aus St. Wendel, noch 1871 ist er in Bitburg nachweisbar, er nannte sich nun zwar Photograph, aber er war gleichzeitig Buchbinder. Wo und wann er starb, ist in Bitburg nicht feststellbar. In einem Verzeichnis aller Fotografen Mitteleuropas von 1866 fehlt sein Name. Ob er trotz der Schwierigkeiten, die man ihm machte, das alte Stadthaus und die Liebfrauenkirche als Hintergrund für einige Aufnahmen wählte, ist leider unbekannt. Mit Bedauern stellen wir heute fest, dass der Bitburger Stadtrat nicht erkannte, welche Bedeutung - vor allem für die Nachwelt – die damals neue Kunst des Fotografierens hatte.!
Die Kunst des Photographierens hatte seit der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung gewonnen. Erste Photographien der Stadt besitzen wir von Joseph Lemling, dessen Vater aus Sülm stammte und der bereits kurz vor 1860 erste Aufnahmen von Bitburg und Prüm machte. P.N.“

Das sah ich als Gelegenheit, sich auszutauschen. Die Bitburger würden sicher gern erfahren, daß Paul Andreas Anspach mit Elisabeth Gerlach kurz nach ihrer Hochzeit nach Prüm verzog und dann später nach Wittlich:

i. Edmund Wilhelm * 29.01.1871 in Prüm.
ii. Wilhelm * 01.01.1873 in Prüm.
iii. Paul Andreas * 10.04.1874 in Wittlich.
iv. Julius * 1875 in Wittlich + 23.04.1881 in Ottweiler.

Also schickte ich meine damaligen Ermittlungen an das Stadtarchiv in Bitburg und bat quasi im Gegenzug um die Mitteilung, wann Andreas Anspach senior in Bitburg verstorben sei. Das Archiv zeigte sich sehr dankbar und sandte heute morgen diese Antwort:

Am 26.02.2024 um 07:50 schrieb Kreisarchiv Bitburg-Prüm:
„Sehr geehrter Herr Geiger,
Gerne sind wir Ihnen bei der Suche nach Herrn Aspach sen. behilflich. Hier im Kreisarchiv werden die Zivil- und Personenstandsregister des gesamten Eifelkreises Bitburg-Prüm ab 1798 verwahrt. Wir müssen vorher allerdings noch auf unsere Gebührenverordnung hinweisen: Für jeden Auftrag berechnen wir pro angefangene Viertelstunde mit 13,80 €, Kopien der Urkunden kosten 0,50 €/St. DIN A4 und 1,00 €/St. DIN A3 (je nach Größe des Urkundenbuchs), zuzüglich Portokosten, da wir die Urkunden grundsätzlich nur in Papierform versenden. Nach unserer Erfahrung sind die Kosten für Recherchen zeitlich schwer abzuschätzen, wenn Sie uns eine Preisobergrenze nennen, können wir dann im vorgegebenen Rahmen recherchieren, eine Erfolgsgarantie kann selbstverständlich nicht gegeben werden. Es ist auch möglich sich persönlich - nach vorheriger Absprache - hier bei uns auf die Suche zu machen. Diese Suche ist kostenfrei, lediglich das eigenständige Digitalisieren wird mit einer Jahresgebühr von 15,00 € berechnet. Bitte teilen Sie uns die weitere Vorgehensweise und - bei Auftragserteilung - auch Ihre vollständige Anschrift mit.
Herzliche Grüße
Tabea Skubski
Kreisverwaltung des Eifelkreises Bitburg-Prüm, Amt 16 – Kultur und Sport, Trierer Str. 1 - 54634 Bitburg Tel: 06561/15-1660, Fax: 06561/15-1000, Zimmer D 166
E-Mail: skubski.tabea(a)bitburg-pruem.de, Internet: www.bitburg-pruem.de
Eifelkreis Bitburg-Prüm - Aktiv im Klimaschutz. Sparen Sie pro Seite ca. 200 ml Wasser, 2 g CO2 und 2 g Holz. Bitte prüfen Sie, ob diese Mail wirklich ausgedruckt werden muss!“

Bevor ich auf das Angebot des Kreisarchivs eingehe, wollte ich doch aber lieber nochmal fragen, ob mir jemand dazu helfen kann. Ich weiß, ich sollte besser in der Eifelliste fragen, aber dort hab ich mich mal angemeldt und flog am gleichen Tag wieder raus, als ich ehrlich-dumm in meiner Vorstellung mitteilte, daß ich auch genealogische Forschungen gegen Honorar anbiete. Das ist zwar schon gut 15 Jahre her, aber seitdem hab ichs dort nicht mehr versucht.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] De rebus bellicis. Waffen und Fi nanzen in der Spätantike

Date: 2024/02/26 09:03:52
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

De rebus bellicis. Waffen und Finanzen in der Spätantike

Herausgeber: Gräf, Stefanie; Meißner, Burkhard
Erschienen Darmstadt 2023: wbg Philipp von Zabern
Anzahl Seiten 128 S.
Preis € 130,00
ISBN 978-3-8053-5356-4

Inhalt => meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-79426.pdf

Rezensiert für H-Soz-Kult von Frank Schleicher, Institut für Altertumswissenschaften, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die kleine spätantike lateinische Schrift De rebus bellicis eines unbekannten Verfassers hat wohl nicht zuletzt wegen ihrer eindrucksvollen Illustrationen seit dem 16. Jahrhundert immer wieder die Aufmerksamkeit der Gelehrten gefunden. Sie enthält eine Reihe von mehr oder weniger praktikablen Reformvorschlägen zur Behebung der Missstände in Verwaltung, Münzwesen, Justiz und Militär im spätantiken Römischen Reich sowie Beschreibungen von mehr oder weniger brauchbaren Militärmaschinen. Aufgrund des uneinheitlichen Charakters des Werkes wurde es in der Forschung sehr kontrovers diskutiert. Zuletzt hat sich Stefanie Gräf in ihrer 2018 erschienenen Dissertation intensiv mit dem Text auseinandergesetzt.1 Zusammen mit dem Spezialisten für antike Militärtechnik Burkhard Meißner hat Gräf nun die in München aufbewahrte Handschrift des Textes als Faksimile mit lateinischem Text und deutscher Übersetzung herausgegeben, um ihn einem breiteren Publikum in anschaulicher Form zugänglich zu machen.

Das vorliegende Werk wird vom Zabern-Verlag in hochwertiger Form präsentiert. Papier, Einband und Druck sind von gewohnter Qualität, ebenso die zahlreichen groß- und kleinformatigen Abbildungen. Dem Werk des Anonymus ist eine Einleitung von Meißner vorangestellt. Meißner skizziert anschaulich und leicht verständlich die Überlieferungs- und Forschungsgeschichte der Handschrift und betont besonders – wie später auch Gräf –, dass das Werk in den Handschriften zusammen mit der Notitia Dignitatum überliefert ist; dies ist dann auch für Gräfs Argumentation zur Intention der Schrift relevant. Dass sich in den Codices aber auch eine ganze Reihe anderer Texte mit im weitesten Sinne geographischem Inhalt befindet (so etwa die Descriptio urbis Romae oder die Kosmographia des Aethicus), Notitia Dignitatum und De rebus bellicis also nicht unbedingt eine direkte Zweckgemeinschaft bilden müssen, wird nicht erwähnt. Besonderer Wert wird auf die Einordnung der Forschungsmeinungen in den Kontext ihrer Zeit gelegt. Meißner geht auch kurz auf Titel, Aufbau und Inhalt der Handschrift ein, wobei er die Thesen Gräfs anreißt, ohne ihnen allzu sehr vorzugreifen.

Der zweite Teil des vorliegenden Buches besteht aus der Präsentation der Schrift selbst: Grundlage der Faksimile-Abbildungen ist der Codex aus München (Codex Monacensis latinus 102921) aus dem Jahr 1542. Über dessen Geschichte hätte sich der Rezensent mehr Informationen gewünscht.2 Die Abbildungen der Seiten des Münchner Kodex sind dem parallel gestellten lateinischen Text und der deutschen Übersetzung jeweils vorangestellt. Der lateinische Text der Ausgabe und der kritische Apparat sind der aktuellen Edition von Philippe Fleury entnommen. Die Übersetzung folgt dem Fleury-Text. Wo es Abweichungen zum Text der Münchner Handschrift gibt, wird speziell darauf hingewiesen. Der deutsche Text ist durchweg gut lesbar und präsentiert sich in moderner Sprache. Sofern den einzelnen Kapiteln in der Handschrift Abbildungen vorangestellt sind, finden sich diese (in Graustufen) auch vor den entsprechenden Kapiteln von Text und Übersetzung in der Edition.

Ein zweiter Satz von Abbildungen, der dem Münchner Kodex beigegeben ist, wird nach dem Text präsentiert. Diesem dritten Teil des Buches widmet Gräf eine gelungene Einführung, die auch auf Aspekte der antiken Buchmalerei eingeht. Besonders aufschlussreich sind die Ausführungen zum Umgang der antiken und mittelalterlichen Zeichner mit ihren Vorlagen. Gängige Forschungsmeinung ist, dass sich die erhaltenen Illustrationen eng an die karolingischen Vorlagen und diese sich wiederum eng an die spätantiken Handschriften halten. Gräf vermutet indes, dass die Zeichnungen häufig zeitgenössisch überarbeitet, verändert oder auch ergänzt worden seien (sie nennt dies „darstellerische Migration“, S. 74).

Im vierten Abschnitt diskutiert Gräf die Struktur der Schrift. Hier geht es um Fragen der Textgattung, der Datierung, des Konzepts und der Textstruktur. Dabei wird das Werk als Kompilation vorhandener Texte beschrieben, die durch neue Passagen aus der Feder des Autors ergänzt wurden (S. 92). Das Zielpublikum habe nicht aus Spezialisten, sondern aus Menschen mit einer gewissen Bildung bestanden (S. 93). Als Verfasser oder Adressaten der Schrift will Gräf, auch wegen der Sorge um die Steuerzahler, am ehesten einen defensor civitatis sehen (S. 103). Es handele sich um einen Sammeltext mit Mustercharakter, der als Textvorlage für Eingaben an den Kaiser (libelli) gedient habe (S. 103). Hierzu werden auch die Münzbilder besprochen. Den Rezensenten hätte dabei interessiert, was es mit den im Text genannten Leder- und Keramikmünzen auf sich hat. Dass die Verwendung solcher Zahlungsmittel auch in anderen Quellen erwähnt wird, erfahren wir nicht.3

Anzumerken ist zudem, dass die ausführliche Kritik, die von Brendel und Eich 4 an den in Gräfs Dissertation formulierten Thesen zum Autor und zur Intention des Textes geübt wurde, in diesem Beitrag nicht berücksichtigt wird. Zwar gibt es in der Forschung zur Natur der Schrift bislang keine communis opinio, gerade im Hinblick auf die zu erwartende Leserschaft des Buches wäre es aber wichtig gewesen, die gängigen Forschungsmeinungen stärker zu berücksichtigen. Da Text und Apparat genutzt wurden, hätte zumindest auf die ausführliche Einleitung in der Edition Fleurys verwiesen werden können. Dass es sich bei dem Werk um einen libellus, also eine Eingabe an einen Kaiser handelt, scheint dem Rezensenten eine der wenigen weitgehend akzeptierten Thesen zum Zweck der Schrift zu sein.

Das letzte Kapitel, verfasst von Meißner, beschäftigt sich explizit mit den im libellus beschriebenen Kriegsmaschinen. Es wird festgestellt, dass der Autor zwar technische Details erläuterte, aber kein Erfinder war. Die Besonderheit der Darstellung liegt vielmehr darin, dass der Einsatz der Maschinen im Heeresverband beschrieben wird (S. 104). Es folgt die Vorstellung einiger vom Verfasser rekonstruierter funktionsfähiger Ballisten und eine gut verständliche Erläuterung ihrer Funktionsweise sowie die Einordnung der Beschreibungen in den jeweiligen historischen Kontext anhand von Vergleichsbeispielen. Meißner kommt zu dem Schluss, dass die beschriebenen Geräte keineswegs neu und zum Teil zur Zeit der Abfassung der Schrift bereits veraltet waren. Zudem habe die Darstellung kaum praktischen Nutzen für einen möglichen Nachbau. Zwei Dinge zeichnen den spätantiken Autor jedoch besonders aus: Er ist sehr an der Einsparung von Ressourcen und Manpower sowie an militärischen Wirkungszusammenhängen interessiert.

Ein Anhang mit Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln, einem knappen Literatur- und Quellenverzeichnis sowie Bildnachweisen beschließt den Band. Der Nutzen des Quellenverzeichnisses für den Leser erschließt sich dem Rezensenten nicht: Weder werden die verwendeten Ausgaben und Übersetzungen angegeben, noch handelt es sich um ein Verzeichnis der Stellen, an denen die Quellen verwendet wurden. Es ist auch fraglich, ob der unvorbereitete Leser die verwendeten Abkürzungen der Quellen kennt. Hier wäre etwas mehr Aufwand sinnvoll gewesen. Im Literaturverzeichnis fehlen verwendete Werke und Autoren wie die Dissertation von Gräf und eine Arbeit von Gérard Genette. Einige kleinere Druckfehler stören dagegen kaum (so erscheint öfter „belliciS“).

Alles in allem handelt es sich um ein sehr schönes Buch, das dem an spätantiker Militär interessierten Leserinnen und Lesern zu empfehlen ist. Insbesondere die Erläuterungen zu den Maschinen und die Abbildungen tragen zum Verständnis der Schrift, aber auch der antiken Kriegstechnik bei. Die Aussagen über den Autor und den Zweck der Schrift überzeugen den Rezensenten hingegen nicht, im universitären Kontext kann die Kommentierung des Textes daher nur mit Einschränkungen verwendet werden.

Anmerkungen:
1 Stefanie Gräf, Der Anonymus de rebus bellicis. Eine morphologische Untersuchung, Hamburg 2018. Auf das Werk wird im vorliegenden Buch nur einmal von Meißner verwiesen (S. 14), obwohl die zentralen Argumentationspunkte des Abschnittes über die Struktur der Schrift dort ausführlich diskutiert werden.
2 Knapp dazu beispielsweise Edward A. Thomson, A Roman Reformer and Inventor. Being a new Text of the Treatise De Rebus Bellicis with Translation and Introduction, Oxford 1952, S. 8–10.
3 Suda A 4126.
4 Raphael Brendel, Rez. zu Gräf, Anonymus de rebus bellicis, in: Theologische Literaturzeitschrift 145 (2020), S. 1184–1186; Armin Eich, Rez. zu Gräf, Anonymus de rebus bellicis, in: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 22 (2019), S. 1051–1055.

Zitation

Frank Schleicher, Rezension zu: Gräf, Stefanie; Meißner, Burkhard (Hrsg.): De rebus bellicis. Waffen und Finanzen in der Spätantike. Darmstadt 2023 , ISBN 978-3-8053-5356-4, In: H-Soz-Kult, 26.02.2024, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-139660>.




[Regionalforum-Saar] Vortrag zur Geschichte der Stadt Z weibrücken am 8. März

Date: 2024/02/28 09:03:48
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Morgen,

am Freitag, 8. März, findet im Stadtmuseum Zweibrücken ein Vortrag mit dem Titel "Geschichte der Stadt Zweibrücken vom 30-jährigen Krieg bis zur französischen Revolution" statt.
Beginn ist um 16 Uhr.

Des vorhandenen Raumes wegen wird um vorherige Anmeldung gebeten an Stefan Bender unter "stefan.a.bender(a)gmx.de".

Mit freundlichem Gruß

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] „Ohne Moos nix los … “ Kirchenfinanzierung im Wandel der Zeiten

Date: 2024/02/29 14:05:38
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

„Ohne Moos nix los …“ Kirchenfinanzierung im Wandel der Zeiten

Organisatoren
Geschichtsverein und Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Weingarten

Fand statt in Präsenz
Vom - Bis 14.09.2023 - 16.09.2023

Von Joachim Bürkle, Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Die Finanzen der Kirchen gerieten in der letzten Zeit immer wieder in den Fokus des öffentlichen Diskurses. Dabei standen zuletzt insbesondere die Staatsleistungen an die Kirchen im Zentrum, sahen doch verschiedene Gesetzesanträge aus ganz unterschiedlichen politischen Richtungen eine Ablösung derselben vor, und auch im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien wurde zuletzt ein im Dialog mit den Ländern und Kirchen zu erarbeitendes Grundsätzegesetz anvisiert, das einen fairen Rahmen für diesen Prozess gewährleisten solle. Dies trifft sich mit einem fortschreitenden Verständniswandel im Hinblick auf das Verhältnis von Staat und Kirche, greift doch in einer kritisch eingestellten Öffentlichkeit zunehmend ein Staatsverständnis Raum, das staatliche Finanzleistungen an die Kirchen trotz deren historischer Rechtfertigung als Verletzung des prätendierten Grundsatzes einer Trennung von Staat und Religion sowie der weltanschaulichen Neutralität des säkularen Verfassungsstaates betrachtet.

Die Tagung des Geschichtsvereins und der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart traf insofern genau den Nerv der Zeit, griff sie doch zentrale Aspekte der aktuellen Debatte auf und ging unter historiographischer Perspektive den komplexen Strukturen der Finanzierung kirchlicher Grundvollzüge wie auch kirchlich-gesellschaftlichen Engagements sowie den engen Verflechtungen auch noch der heutigen Kirchenfinanzierung mit einer geschichtlichen Entwicklung von Jahrhunderten nach.

ANNA OTT (Mainz) ordnete die Einführung von Kirchensteuer(n) im 19. Jahrhundert auf der Grundlage der im Reichsdeputationshauptschluss festgelegten finanziellen Versorgungspflicht des Landesherrn in den Kontext durch Vermögenssäkularisation, Pfründverlust und Zehntablösungen (etc.) veränderter Kirchenfinanzierungsmöglichkeiten ein. Dabei deutete sie die Kirchensteuer als Antwort auf die Finanznot der Kirchen im 19. Jahrhundert, die jedoch vonseiten des Staates gegen kirchliche Widerstände durchgesetzt werden musste. Ausgehend von der Festschreibung der Kirchensteuer in Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung und im Schlussprotokoll zu Art. 13 des Reichskonkordats (1933) wurde deutlich, wie durch die Einführung der Diözesankirchensteuer das Kirchensteuerwesen ab den 1950er-Jahren zentralisiert wurde, was einen Finanzausgleich zwischen den Pfarreien ermöglichte und zum Aufbau einer neuen Verwaltungsstruktur der Diözesen führte.

WINFRIED ROMBERG (Würzburg) zeigte am Beispiel des Bistums und Hochstifts Würzburg, wie das aus dem Mittelalter vielgestaltig erwachsene Abgaben- und Finanzwesen eines geistlichen Staates im Übergang zum frühmodernen Steuerstaat im Dienst der Fürstenherrschaft umgestaltet wurde und es so gerade im frühneuzeitlichen fürstbischöflichen Finanzwesen nicht nur zu einer größeren Vereinheitlichung, sondern auch zu einem wesentlichen Auftrieb im planmäßigen Ausbau der reichsständischen Bistümer zu regelrechten Kleinstaaten mit geordnetem und funktionalem administrativen Apparat kam. Dieser Beitrag ist deshalb umso erhellender, als das Forschungsgebiet der historischen Kirchen- und Bistumsfinanzierung trotz des Quellenreichtums kaum tiefergehend erschlossen ist. Da von einer kirchlichen Finanzautonomie auf interner Bistumsebene in der Frühneuzeit nicht die Rede sein konnte, zeigte Romberg für die geistlichen Staaten auch hinsichtlich des Finanzwesens einen harmonistischen Entwurf eines symbiotischen Konfessionsstaates, in dem der geistliche Staat nach innen die Regierungsautorität gegenüber der Untertanenschaft verkörperte und in wirtschaftlicher Hinsicht im Gegenzug wesentlich auf die Finanzkraft des Klerus, vor allem der Klöster und Stifte, angewiesen war. Mit Blick auf die nachtridentinischen Reformbischöfe wies er die stärkere Berücksichtigung der materiellen Implikationen einer erneuerten geistlichen Disziplin in der Forschung zur katholischen Reform und Konfessionalisierung als Desiderat auf.

DANIEL BERGER (Göttingen) behandelte die mittelalterliche Kanonikerversorgung an Stiftskirchen im Erzbistum Köln und skizzierte einige Entwicklungslinien des stiftischen Präbendalsystems von den Anfängen der Kanonikergemeinschaften in karolingischer Zeit bis ins 14. Jahrhundert. Herausgestellt wurde, dass die Kanonikerversorgung ursprünglich aus einer Vielzahl von Reichnissen in Naturalien, Viktualien und auch Geld bestand, die den Kanonikern im Wochentagsrhythmus und/oder anlässlich besonderer Liturgien (Kirchen- und Heiligenfeste, Totengedächtnisse) ausgegeben wurde. Im Zuge des wachsenden Geldanteils bei den Reichnissen und dem Aufweichen der vita communis zugunsten einer wachsenden Selbstversorgung wurde die Stiftsökonomie im frühen 14. Jahrhundert rationalisiert und reformiert (Beginn der Rechnungslegung; Umstellung der hochfrequenten Reichnisstruktur auf Auszahlung fixer Geldbeträge an wenigen Terminen im Jahr). Dadurch begann sich der ursprünglich enge Konnex zwischen leiblicher Versorgung und liturgischem Dienst aufzulösen, wodurch die Kanonikerpräbende erst zu einem relativ variabel und auch mehrfach (Pfründenkumulation) zu nutzenden Versorgungstitel wurde.

NICOLA WILLNER (Würzburg) zeigte am lokalhistorischen Beispiel der Prädikatur an St. Jakob in Schwandorf die Transformationen einer Präbendestiftung vom Spätmittelalter über die Reformation bis zur katholischen Reform auf. Dabei ordnete sie die Entstehung der Prädikaturen als einer klassischen Institution des 15. Jahrhunderts in den Kontext der Bildungsreformen im theologischen Bereich ein. Als zentrale Entwicklungsmarksteine für die Prädikaturen in der Reformationszeit kamen der Wegfall sämtlicher Messtiftungen, der im Herzogtum Pfalz-Neuburg mit einem Einzug der Pfründeinkünfte verbunden war, sowie die Konzentration der Einnahmen aller Pfründen einer Gemeinde im ‚Gemeinen Kasten‘ in den Blick, sodass es nun zu einer Separation der Einnahmen der Predigerpfründe und der Besoldung des Prädikanten kam. Dass die Prädikatur an St. Jakob nach der Rekatholisierung Schwandorfs ab 1617 nicht mehr besetzt wurde, erschien als regionalgeschichtlicher Beleg für eine während der Reformationszeit erfolgte protestantische Konnotation der Prädikaturen, aufgrund derer diese als Instrumente der Rekatholisierung für katholische Landesfürsten ausfielen.

HARM KLUETING (Köln) untersuchte den Diskurs über Kirche und Kirchenvermögen im ausgehenden 18. Jahrhundert anhand der Kritik an der „Toten Hand“ sowie den Amortisationsgesetzen einerseits in Österreich und in den Österreichischen Niederlanden, andererseits in Bayern. Dabei zeigte er auf, dass der ursprünglich im Feudalrecht entwickelte Terminus der „Toten Hand“ erst sukzessive mit der Entwicklung des Benefizialwesens nach lehnsrechtlichen Formen in den kanonistischen Bereich eindrang, da Inhaber der „manus mortua“ aufgrund von Stiftungen ad pias causas oder des Besitz- und Vermögensverzichts von Ordensmitgliedern fast immer kirchliche Institutionen bzw. Kleriker waren. Während sich in einem historischen Überblick über die sukzessive verstärkten Versuche der weltlichen Macht, große Vermögenskonzentration in kirchlicher Hand zu beschränken, zeigte, dass diese in der städtischen Amortisationspolitik im 14. und 15. Jahrhundert zu einem ersten Höhepunkt gelangten und anschließend auch von den Landesherren übernommen wurden, was theologisch als Einschränkung der unzulässigen Vermischung von Seelsorge und Vermögenskumulation begründet wurde, kam es in der Aufklärungsepoche zu einer Verschärfung dieses Vorgehens, wobei in der kirchenkritischen Literatur ab 1760 antimonastische Polemik dominierte. Waren in der älteren Amortisationsgesetzgebung jedoch primär Immobilia betroffen, wurde nun sowohl in den österreichischen wie den bayerischen Verordnungen auch der Kapitalerwerb eingeschränkt, wobei die Initiative nicht mehr vom landständischen Adel, sondern vom städtischen Bürgertum ausging. Städtisches Bürgertum, landständischer Adel und kirchliche Vermögensträger erscheinen dabei als Parteien eines Konkurrenzkampfs, als dessen Ausdruck die Kritik an der kirchlichen „Toten Hand“ im ausgehenden 18. Jahrhundert interpretiert werden kann.

DOMINIK BURKARD (Würzburg) deutete den aktuellen Diskurs um die Staatsleistungen auf der Grundlage des nicht umgesetzten Verfassungsgebots der Weimarer Reichsverfassung zur Ablösung derselben als unbewältigtes historisches Problem, in dem sich eine kirchen- wie gesellschaftspolitische, jedoch aufgrund eines oftmals rein normativen Zugriffs simplifizierte Stellvertreterdebatte manifestiere. Mittels einer historischen Analyse der kirchlichen Finanzierungsentwicklung im katholischen Bereich im Gefolge der Säkularisation im Königreich Württemberg anhand von 1) Bistumsdotationen, 2) Kirchenfonds und kirchlichen Anstalten sowie 3) Staatsleistungen aus der Säkularisation von Klöstern und Stiften zeigte sich einerseits, dass für den Staat Württemberg der Stiftungs- und Dotationscharakter der neuen Bistümer von zentraler Bedeutung war, da dieser mit dem bischöflichen Ernennungsrecht verbunden werden konnte, andererseits hinsichtlich der Kirchenfinanzierung ursprünglich der Grundsatz der Realdotation galt. Nachdem jedoch in den Frankfurter Verhandlungen stattdessen eine Mischfinanzierung anvisiert wurde und im Königlichen Fundationsinstrument von 1828 das Prinzip garantierter Einkünfte auf Grundlage der königlichen Regentensorge an die Stelle kirchlicher Besitzgüter trat, unterlagen bereits im 19. Jahrhundert die Modelle kirchlicher Finanzierung insbesondere angesichts der mit der Auflösung konfessionell homogener Gebietsumschreibungen verbundenen pastoralen Problematiken massiven Modifikationen. Da jedoch gerade darin der sukzessive Rückzug des Staates aus der Kirchenfinanzierung bis in die 1920er-Jahre grundgelegt war, lag die argumentative Zielrichtung des Vortrags besonders in einer Problematisierung der misslungenen Realdotation.

THOMAS RICHTER (Aachen) gab einen Forschungsüberblick über die Zehntablösungen im 19. Jahrhundert und untersuchte in vergleichender Perspektive die Situation im Großherzogtum Baden, im Königreich Württemberg, in der Landgrafschaft Hessen-Kassel, im Herzogtum Nassau sowie im Königreich Hannover. Weiterführende Bedeutung hatte in diesem Zusammenhang die Frage nach den Zehntablösungen als Modernisierungselement sowie als Entlastungsinstrument in agrarökonomischer Perspektive, wobei Richter gegenläufige Elemente im Ablöseprozess identifizierte und dabei aufzeigte, dass Widerstand gegen derartige Ablösungen oftmals nicht nur von Zehntberechtigten, sondern auch von Zehntverpflichteten kam. Das bereits zeitgenössisch narrativ vermittelte Entlastungsargument wurde dabei vor dem Hintergrund einer Kontinuität der Abgabeleistungen der Bauern sowie deren finanzieller Überforderung mit Ablösezahlungen und kurzen Zahlungszeiträumen hinterfragt, wobei der Analyse der Motivationen hinter dem Verzicht auf Ablöseleistungen weiteres Forschungspotential zugeschrieben wurde.

GERHARD DEISSENBÖCK (München) stellte die historische Entwicklung der Liga Bank und damit zusammenhängend des Klerusverbandes als Zusammenschluss der Diözesanklerikervereine der bayerischen (Erz-)Diözesen dar. Ausgehend von der Erstgründung 1917 als Verband der katholischen Ökonomiepfarrer Bayerns in Regensburg, der zur Verhinderung einer finanziellen Abhängigkeit der Kleriker von nicht-kirchlichen Institutionen diente, sowie der Neugründung 1919 als wirtschaftlicher Verband der katholischen Geistlichen Bayerns erschien die Entwicklung von Bank und Verband im Vortrag dabei in weiten Teilen als „Erfolgsgeschichte“, nicht nur aufgrund der verhältnismäßig großen wirtschaftlichen Stabilität während der Bankenkrise und der NS-Zeit, sondern auch mit Blick auf die Expansion des Geschäftsgebiets wie auch der Geschäftssektoren seit der Nachkriegszeit. Als Desiderat wurde die überregionale Kontrastierung mit andersartigen Konzeptionen von Klerikerlohnsystemen aufgezeigt.

Im Rahmen eines Podiumsgesprächs gab Generalvikar CLEMENS STROPPEL (Rottenburg) Einblicke in die aktuellen Gespräche zwischen Kirchen, Bund und Ländern hinsichtlich der im Koalitionsvertrag der derzeitigen Bundesregierung anvisierten Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. Als ein Hauptproblem erschienen die Orientierungs- und Bemessungsfaktoren des darin ausgewiesenen „fairen Ausgleichs“. Ausgehend von der These eines kirchlichen Rechtsanspruchs auf eine dem Wert der regelmäßigen staatlichen Leistung gleichgeordnete Entschädigung plädierte er für ein Bundesgrundsätzegesetz, das bei der Ablösung der Staatsleistungen das Äquivalenzprinzips berücksichtigt und so die Kirchen in die Lage versetzt, mit den Erträgen aus der Entschädigung langfristig auch ihren gesellschaftlichen Aufgaben nachkommen zu können. Die anschließende öffentliche Diskussionsrunde wurde unter reger Beteiligung des Auditoriums mitunter emotional geführt und spiegelte damit die enorme Aktualität wie auch das Konfliktpotential des Tagungsthemas wider.

PETER FLECK (Aachen) stellte anhand des 1930 errichteten Bistums Aachen die Problematiken der Bistumsfinanzierung in wirtschaftlich wie politisch angespannten Zeiten heraus, in die auch staatliche Interessenlagen eingeflochten waren. Neben der Gründungsgeschichte des Bistums sowie der Regelung der Staatsleistungen im Preußischen Konkordat von 1929 war hierbei insbesondere der Blick auf die Finanzauseinandersetzung mit der Kölner Mutterdiözese und die vermögensrechtliche Teilung als wirtschaftliche Grundlage der neuen Diözese aufschlussreich. Entscheidend war hier die Erkenntnis, dass – ausgehend von der administrativen Notwendigkeit der Ergänzung der Kölner Erzdiözese durch ein weiteres Westbistums – im Rennen verschiedener potentieller Bistumssitze (Essen, Xanten) letztlich wiederum die Dotationsfrage das größte Hindernis im Vorfeld darstellte: Der wesentliche Grund für die Errichtung des Bistums Aachen lag darin, dass Aachen mit seinen bereits bestehenden Einrichtungen – Dom, Stiftskapitel und Dotation des Stiftspropstes als Kölner Weihbischof – die Finanzierungsfrage für sich entschied und die finanziellen Mehrbelastungen für den preußischen Staat somit in Grenzen gehalten werden konnten. Nicht theologische oder pastorale, sondern funktionale Gesichtspunkte gaben hier den Ausschlag.

CHRISTOPH KÖSTERS (Bonn) zeigte die Finanzierung der in einer doppelten Diaspora-Situation befindlichen katholischen Kirche in der DDR als eng mit den politischen Weichenstellungen der BRD zusammenhängende Verflechtungsgeschichte. Während es dabei etwa ab 1966 mit dem über das Bonifatiuswerk realisierten „Kirchengeschäft C“ offizielle, durch die DBK und die BRD unterstützte Finanzierungsformen kirchlicher Existenz in der DDR gab, zeigte der Vortrag bislang weitgehend unbekannte Wege der Kirchenfinanzierung auf Grundlage der Unterstützung kleinerer Akteure auf. Methodisch stand dabei der exemplarische Blick auf die Spendentätigkeit der deutsch-niederländischen Unternehmerfamilie Brenninkmeijer für die katholische Diaspora in der DDR im Zentrum. Als spendentransferierende Schleuse fungierte die Hauptvertretung des Deutschen Caritasverbandes in Berlin, für die auch die staatlich gewährten Beihilfen der Adenauer-Regierung essentiell waren, die sich dabei jedoch gegenüber einer politischen Vereinnahmung durch den offensiven Antisozialismus derselben zurückhielt. Mehr noch als in der westdeutschen Diaspora trugen die weltanschaulich konnotierten politischen Leitbilder hier zu einem Aushandlungsprozess über die Nähe und Distanz zu den Regierungssystemen auf beiden Seiten bei. Von entscheidender Bedeutung war der Hinweis auf den sukzessiven Wandel in der Motivation dieser umfänglichen Spendentätigkeit von der ursprünglich leitenden Absicht, materielle Not zu lindern, hin zur Zielsetzung, der geistigen Armut der Zeit missionarisch entgegenzuwirken.

Zum Abschluss der Tagung gab HARTMUT BENZ (Köln) einen informierten Überblick über die Finanzpolitik des Heiligen Stuhls, in dem er methodisch von der Doppelstruktur der in zwei Hierarchien separierten Finanzverwaltung von Vatikan und Heiligem Stuhl ausging, dabei jedoch auch ein Schlaglicht auf das Istituto per le Opere di Religione (IOR) warf. Während er dabei die Entwicklung der 1929 eingerichteten Amministrazione Speciale della Santa Sede (ASSS) unter Bernardino Nogara mit seiner konservativen Anlagestrategie und umsichtigen Finanzpolitik als Erfolgsmodell zeichnete, unterzog er die radikale Neuausrichtung der aus der Güterverwaltung des Heiligen Stuhls hervorgegangenen Amministrazione del Patrimonio della Sede Apostolica unter Paul VI. auf Grundlage der Enzyklika Populorum progressio einer wirtschaftspolitisch motivierten Kritik, die er insbesondere an der Begrenzung von Kapitalbeteiligungen von IOR und ASSS, einer klientelistischen Amtsführung und einer undurchsichtigen Art der Entscheidungsfindung festmachte. Als „Lichtblicke“ im Gefolge massiver Kritik am Missmanagement der vatikanischen Finanzverwaltung erschienen bereits im Pontifikat Benedikts XVI. erste Ansätze zur Transparenzförderung, wie die Einrichtung der Finanzaufsichtsbehörde Autorità di Supervisione e Informazione Finanziaria 2010. Dabei wurde für den Pontifikat Papst Franziskus‘ eine Tendenz zur Zentralisierung der Finanzverwaltung als charakteristisch konstatiert, die im Zusammenhang mit der Kurienreform mit einer Entmachtung des Staatssekretariats im Bereich der vatikanischen Finanzpolitik einhergehe.

Systeme der Kirchenfinanzierung, dies machte die Tagung deutlich, sind stets nur aus ihrem jeweiligen historisch-sozialen Kontext heraus zu begreifen. Da die immer weiter gewachsene Distanz insbesondere gegenüber staatlich-kirchlichen Kooperationsformen und die damit zusammenhängende Verschiebung auch des politischen Diskurses somit nicht zuletzt ein Problem historischer Informiertheit darstellt, bot die sehr breit gestaltete Tagungskonzeption, die von der Mediävistik bis zur Zeitgeschichte und von der Kanonistik bis zu zentralen Fragen der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik reichte, eine auch grundlagenbezogene Orientierung in einem hochaktuellen sowie stark umkämpften Diskursfeld. Gerade der Blick auf historische Entwicklungs- und Übergangsprozesse zeigte hier, dass die in ein umfängliches Geflecht aus gewachsenen politischen wie gesellschaftlichen Faktoren eingebettete Finanzierung des kirchlichen Bedarfs letztlich auf eine organische Fortentwicklung und Adaption bestehender Systeme an gewandelte staats- wie gesellschaftspolitische Umstände angewiesen ist, wobei sich Theologie, Pastoral und somit kirchliche Existenz auch in ihrer gesamtgesellschaftlich relevanten Dimension nicht von elementar funktionalen Finanzierungsgrundlagen trennen lassen.

Konferenzübersicht:

Dominik Burkard (Würzburg): „Ohne Moos nix los…“. Eine Einführung
Anna Ott (Mainz): Die Kirchensteuer. Entstehung und Wandel, Nutzen und Probleme
Kirchenfinanzierung in der Vormoderne
Winfried Romberg (Würzburg): Das kirchliche Finanzwesen in der Frühen Neuzeit. Ein Forschungsaufriss (am Beispiel Würzburg)
Daniel Berger (Göttingen): Das Pfründenwesen im Mittelalter. Ein Blick auf die Stiftskirchen im Erzbistum Köln
Nikola Willner (Würzburg): Schicksal und Transformationen einer mittelalterlichen Präbendestiftung
Harm Klueting (Köln): Die „tote Hand“. Kritik an Kirche und Kirchenvermögen im ausgehenden 18. Jahrhundert
Transformation der Kirchenfinanzierung im 19. und 20. Jahrhundert
Dominik Burkard (Würzburg): Der lange Atem der Säkularisation. Die „Staatsleistungen“ als historisches Problem
Thomas Richter (Aachen): Zehntablösungen im 19. Jahrhundert. Versuch eines Überblicks
Gerhard Deißenböck (München): LIGA Bank eG und Klerusverband e. V. Aus der Zeit gefallen oder eine irdische Notwendigkeit ...?
Podiumsgespräch Generalvikar Clemens Stroppel (Rottenburg) im Gespräch mit Paul Kreiner (Stuttgart): Verfassungsvorgabe und politischer Wille. Zum Stand der von der Bundesregierung angestrebten Ablösung der Staatsleistungen
Peter Fleck (Aachen): Neue Staatsleistungen trotz Weimarer Ablösungspostulat? Die Finanzierung des Bistums Aachen 1929/30
Christoph Kösters (Bonn): Stille Wege von West nach Ost. Unbekannte Kirchenfinanzierung in der DDR
Hartmut Benz (Köln): „I can't run the Church with Hail Marys“. Finanzen und Finanzpolitik des Heiligen Stuhls

Zitation
Joachim Bürkle, Tagungsbericht: „Ohne Moos nix los …“ Kirchenfinanzierung im Wandel der Zeiten, In: H-Soz-Kult, 29.02.2024, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-142343>.