Date: 2024/01/01 19:02:25
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Sebastianstag 2024
Am Samstag, 20. Januar 2024, begeht die
St. Sebastianus-Bruderschaft St. Wendel ihren 583. Jahrestag.
Seit dem Jahr 1441 unterstützen die St. Wendeler
Bruderschaftsmitglieder,
Frauen und Männer, diskret und verschwiegen in Not geratene
Mitbürger der
Kernstadt St. Wendel, ohne Ansehen sozialer oder konfessioneller
Zugehörigkeit.
Die Bruderschaft, die über die Mitgliederlisten seit dem
Mittelalter verfügt,
sieht sich, obwohl von ihrer Gründung her katholisch geprägt,
als
überkonfessionell. Die am Bruderschaftstag, dem Fest der
heiligen Sebastian und
Fabian, im „Vaterhaus“, Hotel Angel‘s am Fruchtmarkt,
eingesammelten
Spendengelder werden ausnahmslos an Bedürftige im Bereich der
Stadt St. Wendel
verteilt.
Der Patronatstag beginnt um 9.30 Uhr mit einem festlichen
Gottesdienst, der für
die lebenden und verstorbenen Mitglieder der Bruderschaft in der
Basilika St.
Wendelin gefeiert wird.
In der Feierstunde, die für 18.00
Uhr im Vaterhaus [Hotel Angel‘s am Fruchtmarkt] vorgesehen ist,
hält
Brudermeister Anton Stier seinen Jahresbericht und das
Totengedenken.
Im Anschluss
hält Dr. Franz-Josef
Kockler den diesjährigen Festvortrag: „Lohgerbung, ein
ausgestorbenes St.
Wendeler Handwerk, erzählt am Beispiel der Gerberei Kockler
(1750-1962)“. Der
Vortrag wird als Powerpoint-Präsentation gehalten und der
Festredner zeigt auch
etliche Fotos aus der Zeit der Gerberei.
Eine Anmeldung ist nicht notwendig; der Eintritt ist frei.
Spenden sind gern
gesehen; Mitgliedschaften auch.
Mit freundlichen Grüßen
Roland Geiger
Date: 2024/01/01 20:31:48
From: Christa Lippold <franzundchrista(a)t-online.de>
Sehr interessant! Die Bruderschaften waren als Laien- Bewegungen, scheint mir, immer weniger dogmatisch als die offizielle Kirche. Sie wurden öfter misstrauisch angesehen hinsichtlich ihrer Rechtgläubigkeit. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie sich heute als überkonfessionell betrachten. Der Vortrag ist auch interessant. Meine Vorfahren in Thorn waren Lohgerber. Wie und wann die Gerber die Lohe aufgaben und andere Mittel verwendeten, würde mich sehr interessieren. Allen, die hier mitlesen, aber besonders Ihnen, treuer Korrespondent, ein glückliches Neues Jahr! Christa Lippold Von meinem/meiner Galaxy gesendet -------- Ursprüngliche Nachricht -------- Von: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net> Datum: 01.01.24 19:12 (GMT+01:00) An: Stefan Reuter via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>, saarland-l(a)genealogy.net, Hunsrueck-L <hunsrueck-l(a)genealogy.net>, Pfalz-L <pfalz-l(a)genealogy.net> Betreff: [Regionalforum-Saar] Sebastianstag 2024 Sebastianstag 2024 |
Date: 2024/01/02 12:07:33
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Der Lothringische Amtmann Payen zu Tholey.
Folgender Vorfall, welcher vom Pater Benedikt Burg aus Trier,
weiland Profeß
der Abtei Tholey und Propst zu Werdenstein, um das Jahr 1775
aufgezeichnet
wurde, und demselben mit wenigen Abänderungen hier nacherzählt
wird, dürfte für
die Leser des Wochenblattes nicht ohne Interesse sein.
„Die Herrschaft Werdenstein, zu welcher Hobstetten, Bleiderdingen,
Weiersbach,
Leizweiler, Heimbach und früherhin noch viele andere Orte unserer
Gegend auf
beiden Seiten der Nahe gehörten, besaß im ersten Viertel des
vorigen
Jahrhunderts Christian von Rossillon als Lothringisches Lehen. In
den Jahren
1727 bis 1730 entstanden in der ganzen Herrschaft erstaunliche
Grenzstreitigkeiten mit den Nachbarn und Bauernkrieg, also daß
auch Einige todt
blieben. Herr von Rossillon wehrte sich mit seinen Unterthanen
anfänglich
rechtschaffen, und, obgleich drei Lothringische und Zweibrückische
Commissionen
zu Freisen geschahen, so behauptete er sein Land=, sein Holzungs=
und Jagdrecht
auf dem Früdesweiler Bann. Endlich erhielt der schalklistige
Amtskeller Haud
von Nohfelden vom Herzog Gustav von Zweibrücken den Befehl, ihn
mit List
gefangen zu nehmen und zu überliefern, und der Streich wurde
folgendermaßen
gespielt:
Der Pfarrer Euler zu Wolfersweiler war gut Freund mit Herrn von
Rossillon und
lud ihn eines Tags höflichst zum Mittagessen ein. Er erschien und
zugleich der
Amtskeller Haud; man divertirte sich aufs Beste und trieb an zum
Trinken bis
gegen Abend. Als Christian nun nach Hause wollte, hieß es
verstellter Weise: „Noch
eins, Herr Nachbar! Sie müssen noch trinken, wir lassen Sie nicht
gehen, wir
halten Sie hier in Arrest, Sie müssen über Nacht bleiben!“ worauf
er jedoch
erwiederte; „ich kann nicht, ich muß nach Hause.““. Endlich, da
die Wache zur
Hand und Alles in Ordnung war, sagte man ihm im Ernst, daß er
Arrestant sei,
und legte ihm, als er es nicht glaubte und es für Kurzweil hielt,
den
Herzoglichen Befehl vor und sagte ihm die Ursache. Er gerieth nun
in Eifer und
sprach: „Das ist kein ehrlicher Streich! gebt mir Papier und Feder
her, auf daß
ich dem Amtmann Payen und meiner Frau hiervon Nachricht geben
kann.“ Dies wurde
ihm erlaubt, er schickte noch in der Nacht seinen Bedienten zu
Pferde auf das
Schloß Schaumburg, und wurde dann einige Stunden nachher auf
Nebenwegen und
wohl verwahrt nach Cusel geführt.
Des Morgens kam die Antwort des Amtmanns Payen zu Schaumburg, der
ein alter
Offizier und Lothringer war, auch die Juden zuerst henken ließ,
und dann den
Prozeß instruirte; er tröstete und munterte Herrn von Rossillon
auf, versprach
ihm baldige Erlösung und erinnerte ihn besonders einen recht
cavaliermäßigen
Tisch zu führen, woran täglich 10 bis 12 Personen wären; er wolle
ihm in diesen
Tagen Geld schicken, um solchen bestreiten zu können. In der That
fiel Payen am
folgenden Tage mit seinen Hatschieren, und Bauern des Tholeyer und
Bliesener
Kirchspiels auf den Bann von Eizweiler, Zweibrückischen Gebiets,
und nahm die
ganze Heerde Kühe jung und alt hinweg, führte Alles nach Freisen
und
versteigerte es öffentlich, so gut er konnte. Das Geld aber wurde
Tags darauf
an Herrn von Rossillon geschickt, mit der Zusicherung, wenn
dasselbe verzehrt
wäre, noch Mehreres senden zu wollen.
Die Lothringischen Berichte gingen nun nach Lüneville, die
Nohfeldischen nach
Zweibrücken; weil man aber dort den Amtmann Payen und seine Gewalt
kannte, so
wurde beschlossen, dem Herrn von Rossilon seine Freiheit wieder zu
geben, aus
Furcht, daß er noch mehrere Heerden Kühe verzehren könnte. Er kam
also nach
wenigen Tagen nach Schloß Werdenstein zurück, und späterhin wurde
1730 der
ganze Grenzstreit— obwohl nicht zu seinem Vortheile— durch
Commissarien
geschlichtet.
Quelle: Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler
9.1.1839
Date: 2024/01/02 13:42:46
From: gerald-sabine . linn <gerald-sabine.linn(a)t-online.de>
Der Lothringische Amtmann Payen zu Tholey.
Folgender Vorfall, welcher vom Pater Benedikt Burg aus Trier, weiland Profeß der Abtei Tholey und Propst zu Werdenstein, um das Jahr 1775 aufgezeichnet wurde, und demselben mit wenigen Abänderungen hier nacherzählt wird, dürfte für die Leser des Wochenblattes nicht ohne Interesse sein.
„Die Herrschaft Werdenstein, zu welcher Hobstetten, Bleiderdingen, Weiersbach, Leizweiler, Heimbach und früherhin noch viele andere Orte unserer Gegend auf beiden Seiten der Nahe gehörten, besaß im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts Christian von Rossillon als Lothringisches Lehen. In den Jahren 1727 bis 1730 entstanden in der ganzen Herrschaft erstaunliche Grenzstreitigkeiten mit den Nachbarn und Bauernkrieg, also daß auch Einige todt blieben. Herr von Rossillon wehrte sich mit seinen Unterthanen anfänglich rechtschaffen, und, obgleich drei Lothringische und Zweibrückische Commissionen zu Freisen geschahen, so behauptete er sein Land=, sein Holzungs= und Jagdrecht auf dem Früdesweiler Bann. Endlich erhielt der schalklistige Amtskeller Haud von Nohfelden vom Herzog Gustav von Zweibrücken den Befehl, ihn mit List gefangen zu nehmen und zu überliefern, und der Streich wurde folgendermaßen gespielt:
Der Pfarrer Euler zu Wolfersweiler war gut Freund mit Herrn von Rossillon und lud ihn eines Tags höflichst zum Mittagessen ein. Er erschien und zugleich der Amtskeller Haud; man divertirte sich aufs Beste und trieb an zum Trinken bis gegen Abend. Als Christian nun nach Hause wollte, hieß es verstellter Weise: „Noch eins, Herr Nachbar! Sie müssen noch trinken, wir lassen Sie nicht gehen, wir halten Sie hier in Arrest, Sie müssen über Nacht bleiben!“ worauf er jedoch erwiederte; „ich kann nicht, ich muß nach Hause.““. Endlich, da die Wache zur Hand und Alles in Ordnung war, sagte man ihm im Ernst, daß er Arrestant sei, und legte ihm, als er es nicht glaubte und es für Kurzweil hielt, den Herzoglichen Befehl vor und sagte ihm die Ursache. Er gerieth nun in Eifer und sprach: „Das ist kein ehrlicher Streich! gebt mir Papier und Feder her, auf daß ich dem Amtmann Payen und meiner Frau hiervon Nachricht geben kann.“ Dies wurde ihm erlaubt, er schickte noch in der Nacht seinen Bedienten zu Pferde auf das Schloß Schaumburg, und wurde dann einige Stunden nachher auf Nebenwegen und wohl verwahrt nach Cusel geführt.
Des Morgens kam die Antwort des Amtmanns Payen zu Schaumburg, der ein alter Offizier und Lothringer war, auch die Juden zuerst henken ließ, und dann den Prozeß instruirte; er tröstete und munterte Herrn von Rossillon auf, versprach ihm baldige Erlösung und erinnerte ihn besonders einen recht cavaliermäßigen Tisch zu führen, woran täglich 10 bis 12 Personen wären; er wolle ihm in diesen Tagen Geld schicken, um solchen bestreiten zu können. In der That fiel Payen am folgenden Tage mit seinen Hatschieren, und Bauern des Tholeyer und Bliesener Kirchspiels auf den Bann von Eizweiler, Zweibrückischen Gebiets, und nahm die ganze Heerde Kühe jung und alt hinweg, führte Alles nach Freisen und versteigerte es öffentlich, so gut er konnte. Das Geld aber wurde Tags darauf an Herrn von Rossillon geschickt, mit der Zusicherung, wenn dasselbe verzehrt wäre, noch Mehreres senden zu wollen.
Die Lothringischen Berichte gingen nun nach Lüneville, die Nohfeldischen nach Zweibrücken; weil man aber dort den Amtmann Payen und seine Gewalt kannte, so wurde beschlossen, dem Herrn von Rossilon seine Freiheit wieder zu geben, aus Furcht, daß er noch mehrere Heerden Kühe verzehren könnte. Er kam also nach wenigen Tagen nach Schloß Werdenstein zurück, und späterhin wurde 1730 der ganze Grenzstreit— obwohl nicht zu seinem Vortheile— durch Commissarien geschlichtet.
Quelle: Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler 9.1.1839
Date: 2024/01/02 23:12:10
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Es gehen bei dem Justiz=Minister so viele
Vorstellungen,
Berichte, Verfügungen, sogar gerichtliche Urkunden ein, deren
Unterschriften
nicht zu lesen sind, daß sich derselbe genöthigt sieht, sämmtliche
Landes=Justiz=Collegien
dringend aufzufordern, darauf zu halten, daß die ihnen
untergeordneten Beamten
nicht die Mühe scheuen, ihre Namen wenigstens leserlich zu
schreiben. Es
erfordert dies ohnehin die Achtung, die sie ihrer Stellung, ihren
Vorgesetzten
und dem Publikum schuldig sind; hauptsächlich aber das Interesse
des Dienstes,
damit die stets wiederkehrende Ungewißheit über die Bedeutung der
gewählten
Züge, Schnörkel und anderen räthselhaften Zeichen ein Ende nimmt,
aus denen
sich die verschiedenartigsten Namen herausdeuten lassen.
Berlin den 14. Februar 1839.
Der Justiz=Minister gez. Mühler.
Quelle: Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler und
die umliegenden
Orte, St. Wendel den 13. März 1839
Date: 2024/01/04 07:55:41
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
vorgestern in der SZ:
Saarland:
„Gebietsreform von 1974 im Großen und Ganzen gut gelaufen“
Vor 50 Jahren wurden aus 345 Gemeinden im Saarland 50
Landesplaner:
„Gebietsreform von 1974 im Großen und Ganzen gut gelaufen“ – es
gibt aber
Ausreißer
Interview | Saarbrücken · Vor genau 50 Jahren veränderte die
große
Gebietsreform das Saarland: Aus 345 Gemeinden wurden 50.
Professor Peter Moll
arbeitete damals an den Plänen mit. Im SZ-Interview gewährt er
Einblicke in die
damaligen Überlegungen und erklärt, was gut gelaufen ist und was
nicht – und
was sich heute noch daraus lernen lässt.
Von Daniel
Kirch Chefkorrespondent Landespolitik
Vor 50 Jahren, am 1. Januar 1974, trat die bisher größte
Strukturreform der
Saar-Geschichte in Kraft: Die Gebiets- und Verwaltungsreform,
die
leistungsfähige kommunale Einheiten schaffen sollte, machte aus
345 Gemeinden
nur noch 50. Gegen zum Teil erhebliche Widerstände setzte
Innenminister Ludwig
Schnur (CDU), der in seinem früheren Leben selbst einmal
Bürgermeister war, die
Reform durch.
Einer seiner Zuarbeiter damals war Peter Moll. Der Geograf und
Landesplaner
arbeitete als Beamter in der Abteilung Raumordnung der Obersten
Landesbaubehörde, die dem Innenministerium unterstand, am
Konzept für die
Gebietsreform mit. Im SZ-Gespräch blickt der heute 85-jährige
Geografie-Professor und pensionierte Leitende Ministerialrat aus
Dudweiler
zurück.
Herr Professor Moll, was war damals Ihr Auftrag?
MOLL Wir hatten uns die Gebietszuschnitte und Verwaltungszentren
der künftigen
Gemeinden zu überlegen, also die räumliche Ordnung der neuen
kommunalen
Landschaft. Unser Ansatz war, um die zentralen Orte herum die
neuen Gemeinden
zu bilden. Natürlich überlegten die Parteien auf einer ganz
anderen Ebene, wie
sich die Zusammenlegung von Gemeinden auf die politischen
Mehrheiten auswirken
würde. Das war aber nicht unser Geschäft.
MOLL Wir haben in einem Gutachten des Geografischen Instituts
der Universität
des Saarlandes auf Basis einer groß angelegten Befragung die
Einkaufsbeziehungen der saarländischen Bevölkerung untersuchen
lassen. Das Ergebnis
beantwortete zwar nicht alle Fragen, aber es war eine sehr
brauchbare
Grundlage, quasi auf der Basis einer Abstimmung der Bevölkerung
mit den Füßen
die räumlichen Zugehörigkeitszonen zu ermitteln.
Welche Rolle hat die öffentliche Infrastruktur gespielt? Hat man
sich auch
angeschaut, wo es zum Beispiel schon Turnhallen oder Schulen
gab?
MOLL Ja, selbstverständlich. Es wurde außerdem eine Kommission
nach dem
sogenannten Vorschaltgesetz eingerichtet, die die zahlreichen
Infrastruktur-Projekte, die die bisherigen Gemeinden im Vorfeld
der
vorgesehenen Neuordnung noch schnell realisieren wollten, zu
überprüfen hatte.
Der Vertreter der Landesplanung in dieser Kommission, ein
Volkswirt, kam
manchmal mit gesträubten Haaren zurück und berichtete: Überall
sollen jetzt
noch ein Hallenbad oder eine Mehrzweckhalle oder auch nur
Leichenhallen gebaut
werden – wenn die Gemeinden berechnen würden, wie hoch die
Betriebs- und
Unterhaltungskosten dieser Infrastruktur auf Dauer sein werden,
würden sie
sehen, dass ihre Haushalte daran zugrunde gehen. Es gab
vielerorts die
politische Überlegung: Die Bevölkerung muss die Neuordnung
akzeptieren, und um
sie ruhigzustellen, kriegen sie halt ihre Hallen. Dem sollte die
Kommission
einen Riegel vorschieben. Ihre Voten waren nicht sehr beliebt.
Ein Teil der heutigen finanziellen Probleme der Kommunen hat
ihren Ursprung
also in der Gebietsreform von 1974, weil überall noch schnell
öffentliche
Einrichtungen gebaut wurden?
MOLL Ja, so ist es. Es gab Gemeinden mit nur 10 000 Einwohnern, die
plötzlich ein
Hallenbad bauen wollten. Das sieht doch jeder, dass das nicht
gut geht, dafür
reichen Steueraufkommen und Gebühren auf keinen Fall. Ein weit
verbreitetes
Rechenkunststück bestand darin, dass die potenziellen
Einzugsgebiete großzügig
über den tatsächlichen Wirkungsbereich des betreffenden
Zentralorts hinaus in
die Nachbargemeinden hinein ausgedehnt wurden. Danach hätte das
Saarland
plötzlich fast eine Verdoppelung seiner Einwohnerzahl gehabt.
Hatten Sie Vorgaben, was die Größe der neu zu bildenden
Gemeinden betrifft?
MOLL Innenminister Ludwig Schnur hatte Frido Wagener, Professor
an der
Verwaltungshochschule Speyer, mit einem Neuordnungs-Gutachten
beauftragt. Nach
dessen Empfehlung sollten die künftigen Gemeinden im
Verdichtungsraum
mindestens 15.000 Einwohner haben, damit sie ihre modernen
Verwaltungen
finanzieren könnten, im ländlichen Raum 8000 Einwohner. Das hat
hier und da zu
Problemen geführt, zum Beispiel im Falle Friedrichsthal und
Quierschied.
Sie hatten empfohlen, Friedrichsthal und Quierschied mit anderen
Kommunen
zusammenzulegen?
MOLL Wir hatten eine große Stadt „Sulzbachtal“ vorgeschlagen,
bestehend aus
Sulzbach, Friedrichsthal, Quierschied und Dudweiler. Allerdings
war eine
politische Vorentscheidung getroffen worden, Dudweiler
Saarbrücken
zuzuschlagen. Das Ziel war, dass Saarbrücken als
Landeshauptstadt mindestens
200.000 Einwohner haben sollte. Dazu brauchte man Dudweiler mit
seinen damals
25 000 Einwohnern.
Wie wurde entschieden, wie die neuen Gemeinden heißen?
MOLL Grundlage war für uns die zentralörtliche Gliederung: Alle
Orte, die von
der Bevölkerung als Versorgungsorte genutzt wurden, also wo es
zum Beispiel
Ärzte, Einzelhandel und weiterführende Schulen gab, sollten
Namensgeber der
neuen Gemeinden sein. Wo man sich nicht einigen konnte, hat man
sich neue Namen
ausgedacht, etwa bei der Gemeinde Mandelbachtal. Eine Gemeinde
mit diesem Namen
gab es ja vorher nicht.
In Rehlingen-Siersburg wurde die Namensfrage über Jahre hinweg
emotional
diskutiert.
MOLL Das habe ich mit Staunen und innerer Belustigung zur
Kenntnis genommen.
Dass die Gemeinde so zugeschnitten wurde, war in Ordnung. Man
hätte ihr aber
auch einen ganz anderen Namen geben können, zum Beispiel
Gemeinde Niedtal.
INFO Aus 345 Gemeinden wurden 50, später 52
Die vor der Gebietsreform 1974 bestehenden 345 Gemeinden wurden
zu 50
Einheitsgemeinden zusammengeschlossen. Außerdem wurden die
Landkreise Homburg
und St. Ingbert zum Saarpfalz-Kreis zusammengelegt, der
Landkreis Saarbrücken
und die damals kreisfreie Stadt Saarbrücken zum Stadtverband
Saarbrücken. Der
Landkreis Ottweiler wurde in Landkreis Neunkirchen umbenannt.
Mehrere Gemeinden, die ihre Eigenständigkeit verloren, zogen vor
das
Verfassungsgericht des Saarlandes – ohne Erfolg. Rohrbach (St.
Ingbert) kämpfte
sogar bis 1999 für seine Eigenständigkeit und scheiterte
schließlich vor dem
Bundesverfassungsgericht.
In einem Fall wurde die Gebietsreform nachträglich korrigiert:
Nach
Widerständen in der Bevölkerung wurden 1981 die Gemeindebezirke
Bous und
Ensdorf aus der Gemeinde Schwalbach ausgegliedert und wieder
eigenständig.
Somit gibt es seither 52 Kommunen.
Waren Sie mit der Gebietsreform, wie sie beschlossen wurde,
zufrieden oder
wurde Ihnen zu viel politisch hineingepfuscht?
MOLL Kurz bevor die Gebietsreform in den Ministerrat und dann in
den Landtag
kam, hat Innenminister Schnur uns alle, die daran mitgearbeitet
hatten,
zusammengerufen und eine Bitte an uns gerichtet: Jeder sollte
sich in sein
Kämmerlein zurückziehen und ihm eine persönliche Beurteilung
schreiben, was er
an der vorbereiteten Reform gut fand und was nicht. Ich habe ihm
auf einer
Seite geschrieben, dass die Reform insgesamt sehr gut
vorbereitet war und meine
Hinweise im Großen und Ganzen berücksichtigt waren. So würde ich
das auch heute
noch sehen. Die saarländische Gebietsreform ist – einschließlich
späterer
Nachkorrekturen – im Großen und Ganzen tatsächlich gut gelaufen.
Es gibt nur
wenige Ausreißer. Im Verdichtungsraum haben zum Beispiel Ensdorf
nur rund 6000,
Bous 7000, Nalbach 9000 Einwohner, Friedrichsthal und
Merchweiler je rund 10 000
statt der Regelgröße 15 000.
Was kann man für die Gegenwart daraus lernen?
MOLL Man sollte sich nach den Erfahrungen, die man mit falschen
Standortentscheidungen bezüglich der kommunalen Infrastruktur
gemacht hat,
damit vertraut machen, die eine oder andere Einrichtung fallen
zu lassen, bevor
sie mit hohem Aufwand modernisiert oder gar erneuert werden
muss. Wenn eine
solche Entscheidung ansteht, sollte man sich überlegen: Brauchen
wir das alles unbedingt?
Das ist eine schwierige Diskussion. Wir haben im Saarland ein
sehr aktives
Vereinsleben, wofür verständlicherweise zum Beispiel viele
Mehrzweck- und
Schwimmhallen nachgefragt werden. Man kann aber nicht sagen:
Bevor wir
finanziell völlig ausbluten, sehen wir zu, dass wir eine tolle
kommunale
Ausstattung mit Hallen haben. Dafür wäre ein Planungsrahmen, den
das Land
setzt, zweckmäßig. Ansätze dazu hat es zwar gegeben, sie sind
aber nicht zum
Abschluss gebracht worden.
Date: 2024/01/04 12:33:38
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Die Abtei Tholei und der Partisan Mentzel
während des
Oestereichischen Successions= Kriegs.
(Nach der gleichzeitigen Erzahlung eines Geistlichen dieses
Klosters, P.
Benedikt Burg.)
Nach dem Tode Kaisers Karl VI. (1740) begann der Böhmische und
Oestereichische
Successions=Krieg, an welchem die Franzosen für den Baierischen
Kaiser Karl VII.
gegen Oestereich Antheil nahmen. Gleich zu Anfang des Frühjahrs
marschirten
sehr viele derselben theils durch Tholey, theils durch St. Wendel
auf Mainz und
von da nach Böhmen. Der Marsch gieng hier zwei Jahre lang dann und
wann in
guter Ordnung vorbei; man mußte Fourage und Quartier liefern, und
die Abtei
hatte öfters großen Ueberlauf von der Französischen Generalität
und Offizieren.
Endlich wendete sich das Glück von allen Seiten für Oestereich,
besonders durch
die außerordentliche Anstrengung der treuen Ungarischen Nation.
Die Franzosen
und ihre Alliirten verloren eine Schlacht und ein Oestereichisches
eingenommenes Land nach dem andern; endlich nach der Schlacht bei
Dettingen (27.
Juni 1743) retirirten sie über den Rhein und zogen sich in das
Elsaß. Die
Kaiserlichen rückten langsam auf der andern Seite des Rhein's nach
und
vereinigten sich mit der Armee des Prinzen Karl von Lothringen und
des General
Khevenhüller, welche die Franzosen aus Baiern und Schwabenland
verjagt hatten.
Den 20. August 1744 kam der Oestereichische Oberst [Johann Daniel
von ] Mentzel
mit einem Detaschement von ungefähr 600 Mann, wobei Einige von
seinem Regimente
und ein Oberstlieutenant von den Raizen, so wie die Freicompagnie
des
Wittenbach waren, Mittags um 12 Uhr ganz unvermuthet in Tholey an.
Sie hatten
die Nacht zuvor im Oberstein'schen gelegen, und waren jedesmal so
vorsichtig,
daß sie Niemand, der gen Lothringen oder Frankreich gehen wollte,
passiren
ließen. Wir saßen noch im alten Refektorium, woraus jetzt die
Küche gemacht
worden, zu Tische, als des Prälaten d'Hame Bedienter ganz importun
[unpassend] anklopfte;
Verfasser dieses, der damals Tischmeister war, ging hinzu, da
sagte derselbe
ganz erschrocken und verwirrt, es sei geheime Nachricht von
Gonnesweiler vom
Herrn von Feignies eingegangen, daß der genannte Mentzel eben
ankommen werde,
die Avantgarde sei schon im Dorfe. Alles stand vom Tische auf, wir
gingen, wie
gewöhnlich nach dem Essen, in die Kirche, aber der Pater Cuno
Wolf, damals
Prior, sagte zu uns, wir sollten mit ihm gehen, den General zu
empfangen.
Als wir eben an die Pforte kamen, sahen wir ihn und neben ihm den
Herrn von
Feignies [Florentius de Latre de Feignies 1705-1758]
ankommen;
die Avantgarde stieß in ihre Trompeten, er aber rief: still! stieg
an der
Pforte vom Pferde, und weil er den P. Theobert Martini für den
Herrn Prälaten,
der noch nicht gegenwärtig war, versah, so sagte er: „Hochwürdiger
Herr Prälat,
wir haben ganz Batern ausgeschmauset, jetzt kommen wir ins
Lothringische;
Fressen und Saufen genug her für meine Leute, denn sie sind von
dem schweren
Marsche ganz ermattet!“ Der P. Prier, nachdem Mentzel wegen des
Fehlers informirt
war, nahm das Wort und präsentirte das Möglichste, was Haus und
Keller vermöge.
Wir giengen neben ihm bis mitten in den Vorhof der Abtei; die
Truppen
marschierten uns nach herein, er aber wendete sich um und schrie:
„Man soll
campiren! wo ist der Amtmann hier vom Lande?“ Eben kam er vom
Schaumberg
herunter. Einige Schritte vor der Abtei trat ihm der Prälat
entgegen, er wiederholte
sein voriges Compliment;— ich muß von ihm sagen, daß er jedesmal
großen Respekt
gegen die Geistlichkeit zeigte. Dann schrie er abermals: „Was ist
das für ein
Teufelsweg! der Amtmann soll (rief er seinem Adjutanten zu,)
augenblicklich das
ganze Amt commandiren, den Weg so in Stand zu setzen, daß die
ganze Armee und
Artillerie morgen gemächlich durchpassiren kann; sonst wird er an
den ersten
Baum gehängt!“ Wahrlich ein Schreier und Bärenhäuter, indem er
Jeden glauben
machen wollte, als wäre die ganze Oestereichische Armee dicht
hinter ihm.
Amtmann Payen kam herbei. Die Reiterei lagerte sich auf unserm
Brühl, wo der
Grummet noch ungemäht stand, die Infanterie des Wittenbach wurde
ins Dorf
logirt, Wachen auf allen Straßen doppelt ausgestellt und
Ordonnanzen
abgeschickt, daß die Alsweilerer, Marpinger, Winterbacher und
Bliesthaler Brod,
Fleisch und Käse bringen sollten, was auch geschah. Die Abtei
mußte, außer dem
starken Ueberlauf der Offiziere, 40 Malter Hafer und eine Ohm
Wein, so wie das
vorräthige Brod, jedoch gegen Quittung des Amtmanns, daß Alles vom
Amte
vergütet werden solle (was indessen bis zu dieser Stunde nicht
geschehen)
Herausgeben. Um halb zwei ging der Oberst mit seiner Gesellschaft
zu Tisch,
alle Trompeter machten unterdessen Musik; er blieb beständig mit
unbedecktem
Haupte, informirte sich, wie weit es nach Saarlouis sei und von da
nach Blombiere,
wo damals der aus England zurückgekommene Marschall Bellisle im
Bade war. Es
war seine Absicht, diesen abermals zu fangen; man mußte ihm eine
Landkarte
bringen, worauf er sich jedoch von der Unausführbarkeit
überzeugte, da seine
Leute und Pferde zu einem so weiten Zuge zu sehr ermattet waren.—
Mentzel
schmauste und„soff capital“ bis gegen fünf Uhr; da wurde Retraite
geblasen und
befohlen, daß Alles sich zur Ruhe begeben solle, um daß man um 11
Uhr weiter
marschiren könne. Er ging ebenfalls schlafen, würde jedoch um halb
zehn Uhr
wieder geweckt und setzte sich dann abermals zu Tisch, während
dessen er einen
von ihm unterschriebenen und besiegelten Schutzbrief für die Abtei
expedirte.
Um elf Uhr ward Allarm geblasen; Mentzel ließ sich in der Abtei
wohl sein und
endlich etwas vor Mitternacht zog Alles wieder ab, und er nahm
zwei Bürger aus
Tholey als Wegweiser mit, welche beständig neben ihm reiten
mußten, während die
Infanterie auf Wagen geführt wurde; unterwegs fragte er jene Leute
aus, und
erklärte, er wolle Saarlouis überrumpeln, was sie ihm, so gut sie
konnten, in
Betracht seiner wenigen Mannschaft widerriethen. Hinter dem
Hotzberg, da ihm „der
Dusel““ ein wenig vergangen war, machte er Halt, und hielt
Kriegsrath mit
seinen Offizieren, worauf beschlossen wurde, 200 Mann sollten gen
Saarlouis
ziehen, um dortige Magazine anzuzünden, und Er solle mit den
andern zu
Rehlingen die Saar passiren, um den alten Gallot in Fremersdorf zu
fangen.
Keines von beiden glückte jedoch.
In Fraulautern erbeutete Wittenbach zwar die Pferde einiger, in
die Abtei
gepflüchteter Franzosischer Offiziere, aber an der Barriere von
Saarlouis
fanden sie Alles geschlossen und schon Truppen gegen sie
commandirt. Nach einem
blinden Feuer zogen sich die Husaren nach Dillingen, ohne verfolgt
zu werden.
Gallot zeigte dem Obersten Mentzel seine letzte Capitulation als
Oestereichischer Gefangener, worauf dieser sich bei ihm lustig
machte. Indessen
schießen die diesseits der Saar gebliebenen Husaren auf den
Französischen
Husaren=Rittmeister Jacquot, der ruhig mit seinem Diener von
Merzig nach Hause
ritt und schossen ihn augenblicklich nieder, was Mentzel sehr
missbilligte.
Mentzel zog auf die Nachricht, daß gegen 400 Malter Hafer für die
Franzosen zu
Ottweiler lägen, noch desselben Tags dorthin, nachdem er vorher
etwa 50 Mann
nach Nittel an der Mosel detaschirt, um sich mit einigen seiner
Truppen, die
von Trarbach an Trier vorbei passirt waren, zu vereinigen; diese
nahmen
daselbst Geiseln und alles königliche und kirchliche Geld, Silber
u. s. w. weg
und führten sie nach Worms ins kaiserliche Hauptquartier. Den
Hafer ließ
Mentzel aus Ottweiler sogleich durch Lothringische und Nassauische
Fuhrleute
nach Trarbach fahren und zog sich nach St. Wendel, wo er einige
Tage blieb,
während ein Theil seiner Leute in der Gegend von Oberkirchen lag.
Er schrieb
hier Contributions= Gelder und Fourage=Lieferungen durch ganz
Deutsch=Lothringen
aus, letztere geschahen täglich, erstere aber verzögerten sich. Da
der Fürst
von Saarbrücken damals ein Regiment in Französischen Diensten
hatte, so
beschloß er, sich an demselben zu rächen, was er zu Ottweiler, wo
die alte
Gräfin von Hanau noch lebte, aus Respekt nicht hatte thun wollen;
er marschirte
daher gen Saarbrücken, und seine Avantgarde nahm unterwegs in St.
Ingbert
einige Französische Husaren gefangen, er verweilte sich aber
dadurch so, daß er
hierher St. Johann, wo der alte Weg im Walde den Berg herunter
geht und Alles
daher abgestiegen war, plötzlich sich dem Feuer eines
Detaschements der
Französischen Freicompagnieen ausgesetzt sah, wodurch 8 Raizen,
die vor ihm
gingen, theils getödtet, theils verwundet wurden.
Mentzel rief augenblicklich: „Zu Pferde! Panduren, avancirt!“
Seine Leute gaben
aus den kurzen, vorn sehr weiten Gewehren, in die man 6 bis 8
Kugeln laden kann
und die noch jetzt hier zu Lande Mentzel genannt werden, Feuer,
und die
Franzesen retirirten weiter in das Gebüsch. Er machte nun Halt,
ließ ringsher
patrouilliren und die Todten und Verwundeten aufpacken, und
schickte dann ein
Detaschement gegen St. Johann, das indessen, ohne etwas
auszurichten,
rapportirte, daß Alles von Franzosen besetzt sei, die von
Saargemünd aus sich
dahin gezogen.
Er kehrte nun nach St. Wendel zurück, arretirte dort die abermals
beorderten
Haferfuhren und nahm den Lothringischen Bauern 43 der besten
Pferde mit Gewalt
weg, obwohl unter dem Versprechen, daß die Königin von Ungarn sie
bezahlen
werde. Dann marschirte er mit einem Detaschement seiner besten
Truppen, während
die übrigen in dortiger Gegend und in Oberkirchen blieben, gegen
Landau, um
Magazine zu zerstören; er hatte aber, als er dies Nachts ausführen
wollte, das
Unglück in einem Laufgraben ein Bein zu brechen und retirirte nun
nach Zweybrücken,
wo er blieb, bis er durch den alten Meister Nagel aus Bärenbach
bei Kirn curirt
war. Seine Truppen kamen abermals in St. Wendel zusammen, und da
sie nun ohne
Haupt und überdies gleichsam eine aus allerlei Nationen
zusammengezogene Bande
von Spitzbuben waren, so war Jeder vom Größten bis zum Geringsten
nur auf Beute
und Raub bedacht. Die ausgeschriebenen Contributionen wurden
eingetrieben, und
namentlich kamen ungefähr 200 Husaren nach Tholey, von denen 25
Mann auf Schloß
Schaumburg beordert wurden, um den Amtmann Payen, welcher jedoch,
durch seine
Bauernwache auf dem alten Schlosse benachrichtigt, schon nach
Metnich und
Lockweiler geflüchtet war, zu fangen.
Die Uebrigen fielen in die Häuser zu Tholey, raubten was ihnen
anstand, rissen
den Frauen und Kindern die Kreuze vom Halse, und nahmen den
Amtssubstitut Risch
im Nachtkleide gefangen. Zwei junge Offiziere kamen mit 4 Mann zum
Kloster und
begehrten ungestüm zu essen und zu trinken; durch ein Frühstück,
das sie auf
den Pferden einnahmen, wurde von der Abtei alles weitere Uebel
abgewandt,
während im Dorfe sehr schlimm gehauset wurde. Als die vergebens
nach Schaumburg
abgesandten Husaren zurück waren, führte man 3— 4 der besten
Bürger mit Herrn
Risch als Geiseln nach St. Wendel, wohin auch mehrere Schultheisen
der
Herrschaft Werdenstein eingebracht wurden. Es mußten nun die
Contributions=Gelder für das Schaumburger Amt sofort gezahlt
werden, worauf de
Bauern loskamen; Herr Risch aber ward nach Worms geführt.
Endlich kam ein Französisches Husaren=Detaschement nach Tholey,
zog
Erkundigungen ein, und retirirte dann gleich wieder nach
Saarlouis. Tags darauf
erschlichen die Mentzelschen Husaren den Amtmann Payen auf
Schaumburg und
brachten ihn gefangen in die Abtei, wo er vom Prälaten d'Hame 10
Louisdor entlieh,
die noch ausstehen. Das ganze zu St. Wendel und Oberkirchen etwa
14 Tage
gestandene Corps zog hierauf mit dem gefangenen Payen nach
Kreuznach, da
inzwischen die Umstände durch den abermaligen Einfall des Königs
Friedrich II.
von Preußen in das Oestereichische Gebiet sich geändert hatten,
und Prinz Karl
von Lothringen daher über den Rhein zurückging.
Payen und Risch kamen nach etwa zwölftägiger Gefangenschaft
zurück, und man
sandte nun eine Klageschrift an den Prinzen Karl. Bei
Ueberreichung derselben
sprach dieser: „Ist der Dieb, der Mentzel, schon im Schaumburger
Amt gewesen? (er
stand nicht bei seiner, sondern bei des General Stahremberg
Armee,) Seid
zufrieden, es wird euch aller Schaden ersetzt werden.“ Ob dies
geschehen, weiß
Gott; daß aber die armen Unterthanen und die Abtei noch nichts
bekommen, ist
gewiß.
Oberst Mentzel lag lange in Zweibrücken an seinem Beinbruche und
ließ sich im
Januar des folgenden Jahres mit zwei Maulthieren über den Rhein
tragen. Als die
Armeen im Frühjahre am Rhein bei Philippsburg einander gegenüber
standen, spottete
„der tolle Mentzel, zweifelsohne besoffen,“ der Franzosen, unter
Zurufen
mancher Sottisen, riß seine Brust auf, man solle nur auf ihn
schießen; es
geschahen einige Fehlschüsse, worauf er noch ärger schrie, endlich
aber glückte
es einem Soldaten oder, wie Andere sagen, einem Französischen
Tambour mit einer
Kugelbüchse über den Rhein ihn in die Brust zu treffen. Er lebte
noch ungefähr
eine Viertelstunde und starb dann „ohne Ehre und Ruhm.“
In Urkund der Wahrheit P. Benedictus Burg, Profeß zu Tholey,
Probst zu
Werdenstein.
------------------
Raizen, Raitzen oder Rascier sind historische deutschsprachige
Begriffe,
die bis ins frühe 19. Jahrhundert als Bezeichnung
für die orthodoxe serbische
Bevölkerung der Habsburgermonarchie verwendet wurden.
Die
Begriffe beziehen sich auf die historische Region Rascien,
die im heutigen serbischen Okrug
Raška
liegt.
Sottisen = abfällige, stichelnde, verletzende Bemerkungen
Burgs Datierung "20. August 1744" kann nicht stimmen, denn Mentzel starb bereits am 24. Juni 1744.
------------------
Quelle: Wochenblatt für die Kreise St. Wendel und Ottweiler. 1.
und 8.5.1839
Date: 2024/01/07 20:22:22
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Die
deutsche
Gesellschaft der Stadt New=York veröffentlicht folgende
Warnung:
Wir haben schon früher in unseren Jahresberichten auf die große
Sterblichkeit
hingewiesen, welche häufig auf den hier von Antwerpen und Hamburg
ankommenden
Segelschiffen sich ereigneten. Wir hatten gehofft, daß die
Eigentümer dieser
Schiffe dadurch veranlasst würden, künftig dieselben mit gutem
Wasser, Proviant
und Medikamenten in solchen Quantitäten zu versehen, daß selbst
auf verzögerten
Reisen kein Mangel an denselben entstehen könnte. Wir glaubten,
daß eine
Hindeutung von unserer Seite auf verschiedene andere bestehende
Übel, zum
Beispiel die Abwesenheit eines erfahrenen Arztes, die Überfüllung
der
vorhandenen Räume, die schlechte Ventilation und die ungenügende
Reinigung derselben,
hinreichend würden, dieselben zu beseitigen.
Wir haben uns leider in diesen Erwartungen getäuscht. Die Ankunft
im vorigen
Sommer des von A. Strauß und Comp. in Antwerpen expedirten
Schiffes „Giuseppe
Baccarich“ mit 18 Todesfällen, sowie die des vor einigen Wochen
eingetroffenen,
v. N.M. Sloman in Hamburg beförderten Schiffes „Leibnitz“ mit 105
Todesfällen,
der Zustand, in welchem die Überlebenden hier ankamen, und die
Berichte, welche
dieselben über ihre Leiden und Entbehrungen während der Reise
erstatteten,
haben uns die Überzeugung aufgezwungen, daß es vergeblich ist, an
die
Menschlichkeit dieser beiden Firmen zu appellieren.
Uns bleibt nur ein Mittel übrig, um, soweit unseren Kräften liegt,
für die
Zukunft solche Leiden und Verluste von Menschenleben zu
verhindern, und
ergreifen wir dasselbe hiermit, indem wir die deutschen
Auswanderer ernstlich
warnen, für Ihre Reise nach den Vereinigten Staaten sich den
Schiffen des Herrn
R. M. Sloman in Hamburg anzuvertrauen.
Es ist höchstwahrscheinlich, daß diese Leute künftig ihre Schiffe
durch Mäkler
und Agenten anempfehlen lassen, ohne daß ihren Namen dabei genannt
werden.
Soviel hier bekannt ist, controllirt R. M. Sloman alle von Hamburg
nach hier
abgehenden Segelschiffe, und empfehlen wir deßhalb Auswanderern,
solange dies
der Fall ist, nicht mit Segelschiffen von Hamburg auszureisen, und
wenn sie
über Antwerpen gehen wollen, alles Segelschiffe und Dampfer zu
vermeiden, mit
welchen A. Strauß und Comp. irgendetwas zu thun haben.
Wir machen wiederholt darauf aufmerksam, daß Auswanderer, wenn es
ihnen nur
irgend möglich ist, besser thun, mit Dampfschiffen zu reisen. Was
sie bei
Segelschiffen an Geld ersparen, geht durch die längere Zeit, die
Reise
erfordert, durch die größeren Gefahren, welchen sie sich
aussetzen, und durch
die Leiden und Entbehrungen, welche sie gewöhnlich erdulden
müssen, mehr als
verloren.
Schließlich wiederholen wir den oft erteilthen Rath an
Auswanderer, sich keine
Eisenbahnbillets in Europa zu kaufen; besonders warnen wir
deutsche Auswanderer
vor J. R. Fraas in Havre und dessen Unteragenten in
Süddeutschland.
Wir hoffen, daß die deutsche Presse Obigem die größte Verbreitung
geben wird.
New York, 25. Februar 1868.
Philipp Blissinger, Präsident
W. Wallach, Sekretär.
Quelle: Nahe=Blies=Zeitung, Kreisblatt für den Kreis St. Wendel.
Nr. 28,
Donnerstag, 5. März 1868.
Zu den beiden Schiffen
finden sich
auf google-books im Annual Report of the Commissioners of
Quarantine of New
York (State), 1869, zwei Aussagen:
SCHIFF „GIUSEPPE BACCARICH.“ – Das Schiff „Giuseppe Baccarich“
erreichte diesen
Hafen am 21. Juli aus Antwerpen nach einer Überfahrt von 28 Tagen.
Als das
Schiff Antwerpen verließ, verfügte es über acht Kabinen und
einhunderteinundsiebzig (171) Zwischendeckpassagiere. Auf der
Überfahrt starben
siebzehn, und bei ihrer Ankunft waren dreiundzwanzig krank und
hatten Symptome,
die ein wenig an Cholera erinnerten. In diesem Fall wurde die
Krankheit
zweifellos durch die Verwendung falscher Nahrungsmittel
verursacht. Das Brot
und das Fleisch, mit denen die Passagiere versorgt wurden, waren
völlig
unbrauchbar, und das schlechte Wasser war in Petroleumbehältern
aufbewahrt
worden. Drei der ins Krankenhaus eingelieferten Patienten starben.
Der Rest
erholte sich schnell unter Verwendung geeigneter Nahrung.
John Swinburne, Mitarbeiter der Kommission, hat sich in einem
Bericht mit der „Leibnitz“
befaßt.
„Anfang Januar traf das Schiff „Leibnitz“ 69 Tage, nach dem es
Hamburg
verlassen hatte, mit 9 Kabinen- und 435 Zwischendeckpassagieren
und einer
Besatzung von 23 Mann in dieser Quarantänestation ein und meldete
auf der
Überfahrt 105 Todesfälle durch Cholera. Da dieses Schiff keinen
Chirurgen an
Bord hatte, war es unmöglich, eine korrekte medizinische Anamnese
über den
Ausbruch und das Fortschreiten der Krankheit zu erhalten, aber
soweit die
Passagiere dies bestätigen konnten, besteht kein Zweifel daran,
dass die
Mehrzahl der Todesfälle auf dem Schiff auf die echte asiatische
Cholera
zurückzuführen war. Die Geschichte der „Leibnitz“ ist in vielerlei
Hinsicht
identisch mit der des in meinem letzten Bericht erwähnten Schiffes
„Lord
Brougham“ [383 Passagiere, 75 Tote]. Beide Schiffe fuhren nach
Süden und
erlebten sehr warmes Wetter mit leichtem Wind und Windstille, und
auf keinem
von ihnen trat die Cholera bis etwa drei Wochen nach dem Auslaufen
aus dem Hafen
auf. In beiden Fällen traten die ersten Fälle bei Auswanderern aus
dem
Herzogtum Mecklenburg auf, wo zum Zeitpunkt ihrer Ausreise Cholera
vorherrschte. Bei der Ankunft waren die Passagiere und die
Besatzung der
„Leibnitz“ außer einigen Patienten mit Typhuserkrankung nach
Cholera und
einigen Durchfallfällen wohlauf. Während der Quarantänezeit kam es
zu vier
Todesfällen durch nicht ansteckende Krankheiten, es kam jedoch zu
keinem
weiteren Auftreten von Cholera. Im Vergleich zu anderen
Auswandererschiffen
scheint die „Leibnitz“ nicht überfüllt gewesen zu sein. Und obwohl
sich die
Passagiere über die unzureichende Wassermenge beklagten, die ihnen
im letzten
Teil der Reise serviert wurde, gab es weder an der Qualität des
Wassers noch an
den Proviant einen Grund für die besorgniserregende Sterblichkeit
unter ihnen.“
=>
https://www.google.de/books/edition/Annual_Report_of_the_Commissioners_of_Qu/cj05AQAAMAAJ?hl=de&gbpv=1&dq=leibnitz+cholera&pg=RA4-PA22&printsec=frontcover]
------------------
Robert Miles Sloman (geboren 1812 in Itzehoe, gestorben 1900 in
Othmarschen)
war ein deutscher Reeder. Die Reederei, die sein Vater 1793 in
Hamburg
gründete, gibt es heute noch.
Im deutschen wikipedia-Eintrag „Rob. M. Sloman“ finden sich im
Kapitel
„Verschiffung von Einwanderern“ Bestätigungen zu den im o.a.
Artikel gemachten
Vorwürfe. Danach verlor die o.a. „Lord Brougham“ 75 ihrer 383
Passagiere. Auch
der o.a. Zeitungsartikel wird dort zitiert. Nach Ermittlungen des
Hamburger
Obergerichts wurde kein Verschulden durch Sloman festgestellt und
bemerkt,
"die Opfer seien selbst schuld an ihrem Ende".
------------------
Date: 2024/01/11 12:52:10
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
-------- Weitergeleitete
Nachricht --------
|
Date: 2024/01/13 18:03:14
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Le
mariage des prêtres, une hérésie?. Genése du nicolaïsme I-XI
siècle
Autor Isabelle Rosé
Erschienen Paris 2023: Presses
Universitaires de France (PUF)
Anzahl Seiten 409 S.
Preis € 28,00
ISBN 978-2-13-085326-8
Inhalt meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-79051.pdf
Rezensiert für H-Soz-Kult von Eugenio
Riversi, Institut für
Geschichtswissenschaft, Universität Bonn
Der Entstehungsprozess der Zölibatsverpflichtung in der
antiken und
frühmittelalterlichen westlichen Kirche sowie des damit
verbundenen Verbots des
Geschlechtsverkehrs für Bischöfe, Priester und weitere
Kleriker stellt ein
historisches Problem dar, das in Hinblick auf die alltäglichen
Nachrichten über
sexuelle Missbräuche in der katholischen Kirche einen gewissen
Aktualitätsbezug
besitzt. Selbstverständlich können wir keine geradlinige
Verbindung zwischen
diesen zeitlich entfernten diskursiven Konstruktionen und der
heutigen Debatte
über Straftaten der vergangenen Jahrzehnte ziehen: Im Verlauf
der letzten
tausend Jahre gab es weitere wichtige Zwischenetappen in
diesem Prozess der
Disziplinierung des Klerus’. Allerdings zeigt das
zugrundeliegende
institutionelle Spannungsfeld in der katholischen Kirche eine
strukturelle
Kontinuität, insbesondere in Bezug auf den Zusammenhang
zwischen hohem
Autoritätsanspruch in der Heilsvermittlung seitens des Klerus’
und den sozialen
Effekten der mit den Kirchenämtern verbundenen Machtausübung,
auch nach dem
zweiten Vatikanischen Konzil.[1] Das von Rosé als
Einstieg gewählte
Beispiel des Rücktritts des Erzbischofs von Paris (2021) zeigt
die Auswirkungen
der sexuellen Dimension auf die bereits umstrittene Autorität
hoher geistlicher
Würdenträger. Rosé lädt uns deshalb zu einer „Reise“ (S. 9)
ins Frühmittelalter
(1.–11. Jahrhundert) ein, um die komplexen Voraussetzungen
dieser Konzeption
und Disziplinierung der Sexualität der Kleriker sowie die
spezifischere
Konstruktion einer entsprechenden Häresie der Klerikerehe zu
ergründen: den im
19. Jahrhundert gerne sogenannten Nikolaitismus.
Die in drei Teile gegliederte Studie beginnt mit der
Betrachtung der Ereignisse
eines bestimmten Jahres, das sich am Ende des untersuchten
Entstehungsprozesses
befindet: 1059, ein „häretisches Jahr“ laut der Verfasserin
(S. 24). Der Anfang
des Pontifikats Nikolaus’ II. (Januar 1059) wurde von vielen
Spannungen
geprägt, insbesondere vom Konflikt mit Benedikt X., dem Papst,
den der römische
Adel unterstützte, sowie von den angespannten Beziehungen zur
Mailänder Kirche,
die von den Protesten der sogenannten Patarener erschüttert
wurde (S. 25–66).
Just in diesen turbulenten Monaten wurden die ehelichen und
eheähnlichen
Beziehungen der Kleriker zu Frauen von der römischen Kirche
pointiert und
offiziell als Häresie verurteilt: die Häresie der Nikolaiten.
Diese klerikale
Abweichung, die sich auf sexuelle Verhaltensweisen bezog,
wurde zu einem
Pendant einer zweiten noch relevanteren klerikalen Häresie:
der Simonie, das
heißt der entgegen der Gottesgnade erfolgte Erwerb eines
Kirchenamtes und
dessen oft missbräuchliche Ausübung.
Diese klerikalen Häresien wurden zu Themen des wichtigen
römischen Konzils, das
Nikolaus II. im April 1059 eröffnete. Dort konzentrierten sich
überwiegend
italienische Konzilsväter auf die Konturierung des
Klerikerstandes, vor allem
ausgehend von Missbräuchen in der Amtsausübung. Wie viele
Kleriker hätten
damals von den spezifischen Maßnahmen gegen die Häresie der
Nikolaiten
betroffen sein können? Sehr schwierig ist laut Rosé eine auch
nur grobe
quantitative Einschätzung der verheirateten Bischöfe, Priester
und Diakone,
aber die Quellen weisen mit regionalen Unterschieden auf ein
nicht
unbedeutendes Phänomen hin. Sie erwähnen zudem die negativen
Reaktionen vor
allem von Kanonikern auf das prinzipielle Verbot der Ehe, das
mit dem
Häresievorwurf verbunden war, insbesondere in Mailand, dem am
besten bekannten
Kontext. Dort spielte der gelehrte Eremit und Kardinalbischof
Petrus Damiani
als päpstlicher Legat eine wichtige Rolle, vor allem Anfang
1059. Rosé
betrachtet zunächst im zweiten Kapitel (S. 67–98)
programmatische Briefe der
vorherigen Jahre, die Petrus Damiani verschiedenen
abweichenden
Verhaltensweisen der Kleriker widmete: den Liber Gomorrhianus
über die Sodomie
und den Liber gratissimus über die Simonie. Rosé konzentriert
sich anschließend
auf die wichtigsten Texte aus dem Jahr 1059: die
Synodalbeschlüsse über die
Keuschheit der Kleriker und zwei Briefe (61 und 65) von Petrus
Damiani über
seine Delegation nach Mailand. Rosé widmet der damaligen
Definition der Häresie
der Nikolaiten in diesen Texten noch ein ganzes weiteres
Kapitel, in welchem
sie auf verschiedene Aspekte der Konzeption von Petrus Damiani
eingeht (S.
97–121).
Im zweiten Teil der Studie entwickelt Rosé eine textuelle
Archäologie der
Häresie der Nikolaiten (1.–11. Jahrhundert). Sie analysiert
die facettenreichen
Schichten ihrer diskursiven Konstruktion ausgehend von dem
Buch der Offenbarung
(Apk 2, 6), in dem die Nikolaiten die einzige Gruppe von
„bösen“ Christen
darstellen, die eine spezifische Bezeichnung bekommen (S.
125–129). Diese
Bezeichnung war eine wichtige Voraussetzung für die
Weiterentwicklung im
Häresiediskurs der Kirchenväter (S. 131–156). Besonders
Irenäus von Lyon hielt
einige ihrer Merkmale fest: Unter anderem wurde ihnen ein
Häresiarch
zugewiesen: ein Nikolaus aus der Apostelgeschichte (Apg 6,
5–6), den Irenäus
als Diakon bezeichnet; und sie wurden als sexuell
ausschweifende Menschen
dargestellt. Die nachfolgende lateinische Patristik setzte
immer wieder andere
Akzente, zum Beispiel die Verbindung zur Simonie. Rosé erkennt
keine graduelle
und geradlinige Entwicklung des Diskurses über die Häresie der
Nikolaiten in
frühmittelalterlichen Texten (S. 157–192). Sie betont eher die
Veränderungen,
Verschiebungen und Auslassungen in den Beschreibungen dieser
und anderer Ketzer
in polemischen Werken, die in angespannten Kontexten verfasst
wurden.
Eine wichtige diskursive Entwicklung stellte die enge
Verbindung zwischen der
teilweise neu erfundenen Häresie der Neophyten – das heißt
nicht ausreichend
erfahrenen und deshalb ungeeigneten Kandidaten für
Kirchenämter – und der
Simonie dar (S. 193–229): im exegetischen Kommentar des
Beatus’ Liebana (776),
der wahrscheinlich auf die umstrittene Figur Papst Konstantins
II. anspielte;
in der Vita Gregors des Großen, die Johannes Hymmonides
während des Konflikts
um den Patriarchen von Konstantinopel Photios verfasste
(860er-Jahre); im Brief
Guidos von Arezzo über die Simonie (1019–1023), der im
Spannungsfeld zwischen
dem Kloster Pomposa und dem Erzbischof von Ravenna entstand.
Infolge dieser
immer wieder variierenden Aktualisierungen und Verdichtungen
wurden die
Nikolaiten in karolingischer und nachkarolingischer Zeit zu
einer Variante der
„figure-repussoir“, der Abscheufigur, des häretischen
Klerikers: vor allem bei
Autoren aus dem monastischen Umfeld.
Im dritten Teil beschäftigt sich Rosé mit dem letzten und
wichtigsten der
Kontexte dieser Entwicklung: der römischen Kirche zwischen
1049 und 1059, das
heißt einer Phase, in der im Rahmen einer neuen Ekklesiologie
des römischen
Primats der Konnex zwischen klerikaler Heilsvermittlung,
Zölibatsverpflichtung
und päpstlichem Machtanspruch verquickt wurde. Entscheidend
waren die
polemischen Auseinandersetzungen mit dem Patriarchat von
Konstantinopel während
des Pontifikats Leos IX. (1054): Die unterschiedliche Haltung
gegenüber der
Priesterehe – die die Ostkirche erlaubte – wurde zu einer
kennzeichnenden bzw.
identitätsstiftenden Differenz (S. 237–264). Petrus Damiani
übertrug diese
Abgrenzung gegenüber der Ostkirche auf die Mailänder Kirche
und schuf dadurch
einen Baustein für die Konstruktion einer päpstlichen
„Monarchie“ (S. 303–330).
Die Polemik von Petrus Damiani bettete sich wiederum in einen
in diesen Jahren
herrschenden „War on archbishops“ ein (S. 265–301). Der
Zentralisierungsanspruch, den die römische Kirche seit den
1050er-Jahren erhob,
fand im Häresievorwurf gegen Kleriker eine geeignete und
wirksame Waffe. Damit
konnte der Papst das übliche institutionelle Verfahren gegen
Bischöfe
beseitigen, in konfliktgeladenen Situationen unmittelbarer
eingreifen und die
entsprechenden Widerstände umgehen, so zum Beispiel im Fall
des Metropoliten
Guido von Velate sowie in dem der Erzbischöfe von Gascogne und
Aquitanien.
Diese Beispiele zeigen, wie die klerikalen Häresien den Weg
zur sogenannten
„Häresie des Ungehorsams“ und zur vertikalen Autorität des
Papstes in der
Kirche eröffneten.
In einem ausblickartigen Epilog (S. 331–334) zeigt Rosé, dass
Petrus Damianis
Idee einer Häresie der klerikalen Ehe keine breite Rezeption
im Hochmittelalter
fand. Diese Idee wurde jedoch mit der Entstehung der
„dramaturgie grégorienne“
im 19. Jahrhundert, zunächst bei evangelischen deutschen
Theologen in den
1820–1830er-Jahren, verallgemeinert und zu einem festen
historiographischen
Konstrukt gemacht: dem Nikolaitismus.
In diesen wenigen Seiten des Epilogs – tatsächlich zu knapp
für die Themen, die
dort angerissen werden – und in den folgenden
Schlussüberlegungen (S. 335–343)
werden rückblickend die Stärken sowie die Schwächen des Buches
deutlich. Rosé
problematisiert eine historiographische moderne Kategorie
„Nikolaitismus“
anhand einer äußerst komplexen historischen Diskursanalyse der
Entwicklung der
„Häresie der Nikolaiten“. Deswegen verwendet sie in ihrer
Erzählstruktur eine
komplexe Zeitauffassung: Die Verfasserin kann eine besondere
Konstruktion in
ihren genauen, krisenbehafteten Entstehungszusammenhängen
verorten (1059), in
einer bestimmten Konjunktur der Papstgeschichte
kontextualisieren (1054–1059)
und in längere, miteinander verflochtene, aber nicht
kontinuierliche
Traditionsstränge einbetten (1.–11. Jahrhundert). Außerdem
kann sie einerseits
ein wichtiges Untersuchungsobjekt – die „klerikalen Häresien“
– mit
zweifelsfreiem Gewinn für die Häresieforschung schärfer
umreißen, wenngleich
sie erstaunlicherweise einige wichtige Studien von Hans-Werner
Goetz nicht
berücksichtigt.[2] Andererseits kann sie
mit der Verdichtung
der klerikalen Häresie in den 1050er-Jahren eine wichtige
Facette der für die
„papstgeschichtliche Wende“ besser beleuchten, wenngleich ihre
Deutung nicht
frei von einigen problemreichen Kategorien ist, wie
„gregorianische Reform“
oder „monastische Kultur“. Die anregungsvolle Studie von Rosé,
die mit der
Komplexität der damaligen textuellen Konstruktionen und
Kontexte
zurechtzukommen versucht, lässt allerdings in der Darstellung
bisweilen etwas
die Klarheit und Stringenz vermissen.
Anmerkungen:
[1] Alberto Melloni, Quel che
resta di Dio. Un
discorso storico sulle forme di vita cristiana, Torino 2014.
[2] Zum Beispiel: Hans-Werner
Goetz, Wandel des
Häresiebegriffs im Zeitalter der Kirchenreform? Eine
Betrachtung der
Streitschriften Humberts von Silva Candida und Gottfrieds von
Vendôme, in:
Norman Bade / Bele Freudenberg (Hrsg.), Von Sarazenen und
Juden, Heiden und
Häretikern. Die christlich-abendländischen Vorstellungen von
Andersgläubigen im
Früh- und Hochmittelalter in vergleichender Perspektive,
Bochum 2013, S.
131–152.
Zitation
Eugenio Riversi, Rezension zu: Rosé, Isabelle: Le mariage
des prêtres, une
hérésie?. Genése du nicolaïsme I-XI siècle. Paris 2023 ,
ISBN 978-2-13-085326-8,
In: H-Soz-Kult, 11.01.2024, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-137889>.
Date: 2024/01/16 11:16:47
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Betreff: | [IGGP-L] Einladung zum kostenlosen virtuellen Vortrag "Was ist das Salzkammergut?", Mittwoch, 17. Jänner 2024, 18 Uhr |
---|---|
Datum: | Tue, 16 Jan 2024 10:48:11 +0100 |
Von: | Günter Ofner via IGGP-L <iggp-l(a)genealogy.net> |
Antwort an: | guenter.ofner(a)chello.at, iggp-l(a)genealogy.net |
An: | 1 - IGGP-L <iggp-l(a)genealogy.net> |
Date: 2024/01/18 16:11:51
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Autor(en) Selart, Anti; Laur, Mati
Erschienen Wien 2023: Böhlau
Verlag
Anzahl Seiten 217 S., 28 farb. Abb.
Preis € 28,00
ISBN 978-3-205-21826-5
Rezensiert für H-Soz-Kult von Jonathan Schilling,
Historisches Seminar,
Universität Münster
Beim Verfassen populärer Überblicksdarstellungen zur Geschichte
der
historischen Region Livland ist die Gefahr groß, auf der einen
oder der anderen
Seite vom Pferd zu fallen, wie man immer wieder beobachten kann:
Entweder neigt
man zu einer Überbetonung des deutschbaltischen Einflusses und
vernachlässigt
darüber die estnische und lettische Perspektive, oder man schreibt
die
Geschichte als Vorgeschichte der modernen Nationalstaaten, in
denen der so
prägende deutschbaltische Einfluss nur am Rande als die Geschichte
einer
fremden „Besatzung“ vorkommt. Die Autoren der vorliegenden
Stadtgeschichte von
Dorpat (estnisch Tartu) – das sei gleich vorweggenommen – bleiben
bei ihrem
Ritt durch mehr als 1.000 Jahre fest im Sattel sitzen.
Anti Selart und Mati Laur sind Professoren für Mittlere und Neuere
Geschichte
an der Universität Tartu und haben sich durch zahlreiche
Publikationen als
Kenner der Geschichte Livlands und Dorpats hervorgetan. Zwar sind
beide Autoren
Esten, doch handelt es sich bei dem Buch nicht um eine Übersetzung
aus dem
Estnischen. Vielmehr wurde es speziell im Hinblick auf eine
deutsche
Leserschaft verfasst. Der Böhlau-Verlag gibt seit Jahren
Stadtgeschichten der
Europäischen Kulturhauptstädte heraus. Schon 2011, als die
estnische Hauptstadt
Reval/Tallinn Europäische Kulturhauptstadt war, erschien eine
vergleichbare,
allerdings um einiges umfangreichere Stadtgeschichte bei Böhlau,
damals aber
noch von einem deutschen Autorenduo.1 Das vorliegende Buch nun
geht auf die
Initiative des „Deutschen Kulturforums östliches Europa“ zurück,
das sich die
verdienstvolle Aufgabe gesetzt hat, die osteuropäischen
Kulturhauptstädte dem
deutschen Publikum näherzubringen.
Die Geschichte Dorpats wird im Buch streng chronologisch erzählt,
was sich als
gute Entscheidung erweist: Die Stadt entstand um eine Burg aus dem
8.
Jahrhundert und wurde erstmals im 11. Jahrhundert ständig
besiedelt. Über die
frühe, altrussisch geprägte Geschichte ist nur wenig bekannt;
überhaupt sind
die überlieferten Quellen zur mittelalterlichen Geschichte der
Stadt ziemlich
rar, weshalb das entsprechende Kapitel im Buch knapper ausfällt
als die
anderen. Leider bleiben die Akteure und Abläufe in der Schilderung
manchmal
etwas unklar. Im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts wurde die
ganze Region von
deutschen Kreuzfahrern eingenommen, Dorpat wurde Sitz eines
Bistums. Nach Riga
und Reval gehörte Dorpat zu den größten und einflussreichsten
Städten des
Ordensgebiets. Zur Mitte des 16. Jahrhunderts war es flächenmäßig
etwas größer
als Riga, hatte allerdings nur wenige tausend Einwohner, von denen
die meisten
deutscher Abkunft waren. Als Mitglied der Hanse spielte die Stadt
zu dieser
Zeit eine nicht unwesentliche Rolle für den livländischen Handel,
die sie
später allerdings wieder einbüßte. Eine relativ frühe Reformation
„von unten“
erlebte die Stadt 1524, als die Bevölkerung unter dem Einfluss
eines
Laienpredigers den Dom und die Wohnungen der Domkapitulare
plünderte und der
Stadtrat eine evangelische Kirchenordnung einführte. Aufgrund
seiner Lage
geriet Dorpat immer wieder zwischen die Fronten von Ost und West,
Nord und Süd.
Wie auch im übrigen Livland wechselte in Dorpat mehrfach die
Herrschaft
zwischen dem Deutschen Orden, dem Moskauer Reich, Polen und
Schweden. Dabei
wurde die Stadt mehrfach zerstört und ihre Einwohner deportiert.
Außerdem
konkurrierten der Rat und die Zünfte um die kommunale
Vorherrschaft.
Unter polnischer Regierung schufen Jesuiten erstmals die
Möglichkeiten zu
höherer Bildung in der Stadt, als sie 1585 ein Dolmetscherseminar
für
Missionare und ein Jesuitenkolleg errichteten, die allerdings nur
für wenige
Jahre bestanden. In dieser Zeit entstanden in Dorpat auch die
ersten
estnischsprachigen Publikationen, katholische Katechismen. Als
Livland 1629 an
Schweden und damit unter lutherische Dominanz fiel, fand diese
religiöse
Bildung eine Fortsetzung, die sogar gezielt auf den Bauernstand
ausgedehnt
wurde. Am folgenreichsten für die Entwicklung und Bedeutung der
Stadt wurde die
von Gustav II. Adolf 1632, mitten im Dreißigjährigen Krieg,
gegründete
Universität Dorpat, die jedoch unter schwedischer Regierung keine
allzu große
Blüte erleben konnte. Obwohl es erst die zweite schwedische
Universitätsgründung nach Uppsala war, stand Dorpat weit hinter
dieser 1477
gegründeten Alma Mater zurück: Während in Uppsala mehr als 1.000
Studenten
gleichzeitig immatrikuliert waren, waren es in Dorpat zunächst nur
65, später
wenig mehr als 100 – hauptsächlich Deutsche, anfänglich mehr
Schweden, noch
keine Esten. Um Kriegswirren zu entgehen, musste die Universität
mehrfach nach
Reval oder Pernau/Pärnu verlegt werden, sodass kaum Stabilität und
Kontinuität
entstehen konnten; 1708 wurde die Stadt im Zuge des Großen
Nordischen Krieges
(1700–1721) von den Truppen des Zarenreichs dem Erdboden gleich
gemacht und
blieb für Jahrzehnte ein Ruinenfeld. So begann die eigentliche
Blütezeit der
Universität Dorpat erst nach der Neugründung unter Alexander I.
(1777–1825) im
Jahr 1802. Im 19. Jahrhundert stieg auch der Anteil der Esten im
„Embach-Athen“
rapide an, mit der Zeitschrift „Eesti Postimees“ und anderen
Institutionen
wurde Dorpat auch ein zentraler Ort der estnischen
Nationalbewegung.
Das wechselvolle 20. Jahrhundert nimmt mit knapp 60 Seiten den
größten Raum im
Buch ein, rund doppelt so viel wie jeweils das 17., 18. und 19.
Jahrhundert.
Zwei Weltkriege, mindestens drei Revolutionen (1905, 1917/18,
1989), mehrere
kürzere oder längere Zeitabschnitte militärischer Besatzung durch
bolschewistische und sowjetische Regimes und die Deutschen Reiche
sowie zwei
Phasen unabhängiger estnischer Staatlichkeit – allein die
Politikgeschichte
liefert für eine Dorpater Geschichte des letzten Jahrhunderts viel
Stoff. In
der ersten estnischen Republik, die von 1918 bis zur Annexion
durch die
Sowjetunion 1939 bestand, bildete Dorpat das Zentrum der
Opposition zur
Regierung. Als einzige Universitätsstadt des jungen Staates war
Dorpat auch der
wichtigste Wissenschaftsstandort mit zahlreichen akademischen und
kulturellen
Einrichtungen. In der sowjetischen Zeit blieb der rebellische
Geist der Stadt
erhalten, gerade von der Universität gingen manche
regimekritischen Impulse
aus.
Auch wenn das Buch eher populär gehalten ist, ist es eine
grundsolide kleine
Stadtgeschichte, die nicht der in solchen Büchern so oft
vorherrschenden
unseligen Neigung verfällt, Kuriositäten und historisches
Marktplatzgetratsche
hervorzuheben. So wird beispielsweise die Tatsache, dass bereits
1534 in Dorpat
ein Kamel und ein Truthahn als Geschenke getauscht wurden (S. 37),
nicht als
„Fun Fact“ mitgeteilt, sondern im Rahmen der Dorpater
Handelsverbindungen in
der Frühen Neuzeit gedeutet; dass der erste Rektor der Universität
ein
19-jähriger Student war (S. 71), wird ins größere Ganze der
Universitätsämter
und ihrer Bedeutung eingebettet. Ein angenehm sachlicher Tonfall
durchzieht das
ganze Buch, gelegentlich von einem geistreichen Augenzwinkern
begleitet, aber
stets frei von Floskelhaftigkeit, Übertreibung, Polemik,
vorschnellen Deutungen
oder nationaler Parteilichkeit.
Politik- und ereignisgeschichtliche Themen bilden den Schwerpunkt
der von den
Verfassern angestellten Fragen. Daneben werden auch Aspekte der
Sozial- und
Kultur- sowie der Alltagsgeschichte beleuchtet, aber merklich
zurückgenommen
gegenüber politischen Entwicklungen und Ereignissen. Uneinheitlich
ist das
Vorgehen der beiden Autoren im Nachweisen von Quellen: Während im
ersten, von
Anti Selart geschriebenen Teil Quellen im Fließtext auf Deutsch
wiedergegeben
werden und in den Fußnoten jeweils das zugrundeliegende
lateinische,
mittelhochdeutsche oder französische Original in voller Länge
abgedruckt wird,
verzichtet Mati Laur in den späteren Kapiteln ganz auf Belege. Ein
Mittelweg,
etwa die wichtigsten Zitate und Informationen knapp in Endnoten
nachzuweisen,
wäre zielführender gewesen. Sehr gut zusammengestellt ist dagegen
die
Auswahlbibliographie.
Sehr zu begrüßen ist, dass geographische Bezeichnungen wie Orts-
und Flussnamen
bei der ersten Nennung zweisprachig deutsch/estnisch, dann nur
noch in der
deutschen Form angegeben werden. Die Zeiten, in denen der Ortsname
als
politisches Statement missbraucht wurde (S. 11), sind ja gottlob
längst vorbei.
Orte und Personen sind dankenswerterweise auch in einem Register
verzeichnet.
Die Bebilderung ist sehr geschmackvoll und angemessen, wenn auch
nicht alle
Bilder in gleich guter Qualität abgedruckt sind. So hätte das
verpixelte Bild
der Domruine auf S. 29 durch eine moderne Rekonstruktion des
mittelalterlichen
Doms, wie sie das heute dort untergebrachte Universitätsmuseum
zeigt, ersetzt
werden sollen. Eine Rarität sind die aus Privatbesitz
reproduzierten Münzen aus
dem 16. Jahrhundert (S. 16). Die Bildunterschrift auf S. 88 ist
lückenhaft
entziffert, dort müsste es heißen: „bey dem Daseyn Ihro Kayserl.
Majestaet“.
Angesichts der komplizierten politischen Verhältnisse Livlands in
der Frühen
Neuzeit wären einige Karten zur Veranschaulichung für die
Leserinnen und Leser,
die mit der Geschichte der baltischen Länder weniger vertraut
sind, sicherlich
hilfreich gewesen. Gerade für ein breites Publikum sollte man im
Übrigen auch
den Quellenbegriff „Literaten“ (S. 55 und öfters), mit dem im
baltischen
Deutsch die akademisch Gebildeten bezeichnet wurden, besser
umschreiben (oder
für das 19. Jahrhundert durch „Bildungsbürgertum“ ersetzen), da
man heute bei
dem Begriff unbedarft an Romanschriftsteller denkt.
Der Untertitel „Geschichte einer Europäischen Kulturhauptstadt“
lässt das Buch
etwas zeitgebunden wirken, was hoffentlich seine Rezeption nicht
behindert.
Denn nicht nur kulturbeflissene Dorpatreisende, die 2024 das
reichhaltige
Programm des Festjahres genießen, werden den Autoren für ihre
Stadtgeschichte
danken, sondern auch Fachhistorikerinnen und -historikern kann die
Darstellung
bei aller Knappheit des Raumes einen fundierten Überblick
ermöglichen.
Anmerkung:
1 Karsten Brüggemann / Ralph
Tuchtenhagen,
Tallinn. Kleine Geschichte der Stadt, Köln 2011.
Zitation
Jonathan Schilling, Rezension zu: Selart, Anti; Laur, Mati: Dorpat/Tartu.
Geschichte einer Europäischen Kulturhauptstadt. Wien
2023 , ISBN 978-3-205-21826-5,
In: H-Soz-Kult,
18.01.2024, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-137692>.
Date: 2024/01/18 20:22:41
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Findet statt Hybrid
am
26.01.2024 -
Website https://ag-landeskunde-oberrhein.de/
Itinerarius – die Wallfahrt und Hofesreise Kurfürst Ludwigs III.
von der Pfalz
nach Jerusalem (1426/27)
Prof. Dr. Gerhard Fouquet, Kiel, referiert am 26. Januar 2024 über
„Itinerarius
– die Wallfahrt und Hofesreise Kurfürst Ludwigs III. von der Pfalz
nach Jerusalem
(1426/27)". Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr im
Generallandesarchiv
Karlsruhe (Nördliche Hildapromenade 3, 76133 Karlsruhe).
Anschließend lädt der Veranstalter – Arbeitsgemeinschaft für
geschichtliche
Landeskunde am Oberrhein e. V. – zu einem Umtrunk in den Räumen
des
Generallandesarchivs ein.
Der Vortrag findet hybrid statt. Details zur Online-Teilnahme
finden Sie auf
der Seite der Arbeitsgemeinschaft: https://ag-landeskunde-oberrhein.de/event/itinerarius/
Kontakt
Viktor Fichtenau, M. A.
viktor.fichtenau(a)web.de
https://ag-landeskunde-oberrhein.de/
Zitation
Itinerarius – die Wallfahrt und Hofesreise Kurfürst Ludwigs III.
von der Pfalz
nach Jerusalem (1426/27)., In: H-Soz-Kult, 18.01.2024, <www.hsozkult.de/event/id/event-141303>.
Date: 2024/01/21 17:06:04
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Salve,
Am Dienstag, 30. Januar, halte ich einen Vortrag mit dem Titel
„Zahlen und
Zeichen und die Kammer des Schreckens“, worin es eben um Zahlen
und Zeichen um
die und in der St. Wendeler Wendalinusbasilika geht.
Der Vortrag beginnt um 17.30 Uhr im Lesesaal des Landesarchivs
Saarbrücken-Scheid
und findet statt im Rahmen des Monatstreffens der
Arbeitsgemeinschaft für
Saarländische Familienkunde (ASF).
Der Eintritt ist frei, und jederman ist willkommen.
Wie im letzten Jahr bei den Notariaten ist der Vortrag in
Saarbrücken die
Generalprobe für die Online-Version des gleichnamigen Vortrags im
Rahmen der
virtuellen Genealogica 2024 am Sonntag, 11.02.2024, morgens um 11
Uhr [woraus
man sehen kann, daß ich nicht überziehen werde, weil ich mittags
um 14.11 Uhr
am St. Wendeler Fastnachtsumzug teilnehme - dann aber nicht
virtuell!]
Im Zuge des Vortrages werde ich kurz Luthers Thesenanschlag
erwähnen, von dem
ich in letzter Zeit der Meinung war, er sei nur legendär und habe
nie
stattgefunden.
Ein 18-minütiges Plädoyer (unterbrochen von mindestens einer
Werbepause, die
sich nach fünf Sekunden wegdrücken läßt) für die Autentizität des
Thesenanschlages hält der Historiker Dr. Benjamin Hasselhorn in
einem
youtube-Video, das ich jedem Interessierten wärmstens empfehlen
kann - ob er
jetzt meinen Vortrag sich anhört-schaut-tut oder auch nicht:
https://www.youtube.com/watch?v=0XrV5Z77SJM
Ergebenst
Roland Geiger
Date: 2024/01/23 11:48:00
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Betreff: | [IGGP-L] Einladung zum kostenlosen virtuellen Vortrag "..ach wie gut, dass niemand weiß, ...Klimacharakterisierung ...", Mittwoch, 24. Jänner 2024, 18 Uhr |
---|---|
Datum: | Mon, 22 Jan 2024 19:32:51 +0100 |
Von: | Günter Ofner via IGGP-L <iggp-l(a)genealogy.net> |
Date: 2024/01/24 11:06:31
From: Dr. Max Lindemann via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Sehr geehrter Herr Geiger, mit Interesse habe Ihren Artikel gelesen und ergänzende Video von Hasselhorn. Leider bin ich in den nächsten Wochen im Urlaub (eigentlich Erholungsurlaub nach 2 Operationen, anschließend starke Coronainfektion); deshalb kann leider Ihren Vortrag nicht anhören. St. Wendel war mir immer interessant. Als ganz junger Arzt (Medizinalassistent) war ich einige Zeit im St. Wendetet Krankenhaus tätig. Ich war als Protestant bei den Nonnen sehr gelitten und wurde geradezu hofiert. Die übrigen Ärzte waren Muslime oder geschiedene Deutsche. Zu Luther: Er ist ein „Verwandter“ von mir. Seine Mutter war Margarethe Lindemann. Sie war die Cousine meines Altvorderen. Beider Großvater Hans od. Johannes Lindemann, geb. 1320 ist der älteste nachweisbare Lindemann-Vorfahre. Es kommt selten vor, dass der Nachname sich nicht ändert. Ich hoffe, ich habe Sie nicht genervt! Mit freundlichen Grüßen Max Lindemann Dr. M. Lindemann, Behringstraße 25, 66386 St. Ingbert
Gesendet mit der mobilen Mail App Am 21.01.24 um 16:06 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar
Von: "Roland Geiger via Regionalforum-Saar" <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Datum: 21. Januar 2024 An: "Hunsrueck-L" <hunsrueck-l(a)genealogy.net>, "Pfalz-L" <pfalz-l(a)genealogy.net>, "KENT CUTKOMP via IGGP-L" <iggp-l(a)genealogy.net>, saarland-l(a)genealogy.net, "Stefan Reuter via Regionalforum-Saar" <regionalforum-saar(a)genealogy.net> Cc: Betreff: [Regionalforum-Saar] u.a. Luthers Thesenanschlag Salve, |
Date: 2024/01/27 21:25:33
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Der Historische Verein zur Erforschung des
Schaumberger bietet
eine große Sammlung von Fotos, Bildern, Karten, Artikeln und
privaten Beiträgen
zum Thema Tholey an.
Bisher gab es einen Teil davon als CD „Geschichte - Heimatbuch -
Dokumente“.
Inzwischen sind die Daten so umfangreich geworden, dass sie auf
einem USB-Stick
im Museum Theulegium angeboten werden.
Sonst liegen mir dazu keine Daten vor.
Bitte kontaktieren Sie bei Interesse:
Museum Theulegium
Rathausplatz 6
66636 Tholey
Telefon: 06853-50880
E-Mail: info(a)theulegium.de
Internet: www.theulegium.de
Date: 2024/01/28 22:40:27
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Organisatoren DFG-Netzwerk „Erbfälle und Eigentumsordnungen seit 1800“ (Simone Derix, Jürgen Dinkel)
Universität Leipzig, Schillerstr. 6, Raum S 202
Förderer Deutsche Forschungsgemeinschaft
Fand leider nur in Präsenz statt.
Vom - Bis 15.03.2023 - 17.03.2023
Von Martin Lutz, Institut für Geschichtswissenschaften / Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin
Die Abschlusstagung des DFG-Netzwerks „Erbfälle und Eigentumsübertragungen – Erbpraktiken im Spannungsfeld von Staat und Familie seit 1800“ wurde um Forschende aus anderen Disziplinen wie der Rechts- und Literaturwissenschaft, der Soziologie sowie Akteure aus der Praxis der Vererbungsberatung ergänzt. In dieser Zusammensetzung fokussierte die Tagung auf wissenshistorische Perspektiven auf das Phänomen Erben/Vererben mit besonderem Augenmerk auf Quellen.
Date: 2024/01/29 12:14:05
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Betreff:
Einladung zum ersten "Forum WND" mit Eberhard Zorn |
Von:
info(a)wendelinusstiftung.de |
Datum:
29.01.2024, 11:28 |
An:
info(a)wendelinusstiftung.de |
Sehr geehrte Damen und Herren, zwei Jahre Krieg in Europa und kein Ende in Sicht. Was bedeutet dies für Deutschland, welche Auswirkungen hat es für uns und unser Land? Eberhard Zorn, ehemals ranghöchster Soldat der Bundeswehr und Saarländer diskutiert diese und weitere Fragen rund um die aktuelle internationale politische Situation im Gespräch mit dem Journalisten Klaus Brill. Zu dieser Veranstaltung laden wir Sie herzlich ein.
|
||
|
Krieg in Europa
Ein Gespräch mit Eberhard Zorn, |
|
Wann: Freitag, 23. Februar 2024 Uhrzeit: 19.00 Uhr Wo: Eventatrium
der Kreissparkasse St. Wendel Eine Teilnahme an der Veranstaltung ist sowohl vor Ort als auch online möglich, eine persönliche Anmeldung ist erforderlich. Anmeldung für die Teilnahme vor Ort: Bitte melden Sie sich über diesen Link https://events.sparkasse.de/s/Netzwerk-Event persönlich an. (bei Anmeldung mehrerer Personen, bitte den Link mehrmals anklicken und jede Person einzeln anmelden). Anmeldung für die Online-Teilnahme:
Bitte senden Sie eine Mail an info(a)wendelinusstiftung.de
mit der Überschrift „Zorn“. Bei weiteren Fragen wenden Sie sich bitte direkt an die obenstehende Emailadresse der Wendelinus Stiftung. Wir freuen uns auf Ihr Kommen! Mit freundlichen Grüßen
|
||
Josef Alles |
Dr. Uta Bastian |
|
Gemeinsam Gutes tun und Zukunft gestalten!
Wendelinus
Stiftung
Bahnhofstraße 21-25
66606 St. Wendel
Telefon: 06851 15-427
Date: 2024/01/29 21:30:21
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Hallo,
ich schicke diesen Text als angehängte pdf.
Für ne Email ist er etwas zu lang.
Attachment:
Jahrestag.pdf
Description: Adobe PDF document
Date: 2024/01/30 08:10:43
From: Pater Wendelinus <p.wendelinus(a)abtei-tholey.de>
Sehr interessant! Gruß PW Von: regionalforum-saar-bounces+p.wendelinus=abtei-tholey.de(a)genealogy.net <regionalforum-saar-bounces+p.wendelinus=abtei-tholey.de(a)genealogy.net> Im Auftrag von Roland Geiger via Regionalforum-Saar Hallo, ich schicke diesen Text als angehängte pdf. Für ne Email ist er etwas zu lang. -- |
Date: 2024/01/30 09:03:37
From: Stefan Reuter via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
_______________________________________________Hallo,
ich schicke diesen Text als angehängte pdf. Für ne Email ist er etwas zu lang.
--
Mit freundlichen Grüßen
Roland Geiger
--------------------
Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de
Regionalforum-Saar mailing list
Regionalforum-Saar(a)genealogy.net
https://list.genealogy.net/mm/listinfo/regionalforum-saar
Date: 2024/01/31 22:37:45
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Die unsichtbare Guillotine. Das Fallbeil der
Weißen Rose und
seine Geschichte
von Ulrich Trebbin
Erschienen Regensburg 2023: Pustet
Anzahl Seiten 232 S.
Preis € 24,95
ISBN 978-3-7917-3387-6
Rezensiert für H-Soz-Kult von Hans Günter
Hockerts,
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Mindestens 1.180 Menschen sind in der NS-Zeit im Gefängnis
München-Stadelheim
mit der Guillotine hingerichtet worden – Zeugnis der barbarischen
Strafjustiz
im nationalsozialistischen Deutschland. Nach 1945 hielt sich lange
das Gerücht,
das Gerät sei bei Kriegsende in die Donau versenkt worden. Im Jahr
2013 stieß
der Journalist Ulrich Trebbin jedoch auf eine andere Spur, die zum
Bayerischen
Nationalmuseum führte. Der dort zuständige Referent nahm die
Anfrage zum Anlass
für eine intensive Recherche – mit dem Zwischenergebnis, dass es
sich bei den
im Depot verwahrten Einzelteilen sehr wahrscheinlich um die in
München-Stadelheim verwendete Guillotine handele.
Diese Meldung, von Trebbin 2014 veröffentlicht, fand ein starkes
mediales Echo,
sogar in der internationalen Presse.1 Dabei sorgte der
Prominenz-Faktor für
einen hohen Nachrichtenwert. Denn zu den Opfern des Stadelheimer
Fallbeils
zählten auch die Geschwister Scholl und mehrere Mitstreiter aus
dem Kreis der
Weißen Rose. Sogleich entbrannte eine Debatte über den richtigen
Umgang mit der
Tötungsmaschine: Sollte man sie ausstellen? Auf das Votum eines
Runden Tischs
gestützt, entschied der bayerische Kultusminister, dass die
Guillotine bis auf
weiteres nicht öffentlich ausgestellt werden dürfe. Allerdings ist
zu
vernehmen, dass einige Beteiligte sich in der Beratung überrumpelt
fühlten.
Neuerdings bekräftigte der Nachfolger des Ministers die ablehnende
Entscheidung, mit der Ulrich Trebbin jedoch ganz und gar nicht
einverstanden
ist. Daher möchte er eine öffentliche Debatte entfachen, für die
das
vorliegende Buch eine Grundlage bilden soll.
Der Autor greift bis zum Jahr 1854 zurück. Damals entschied der
bayerische
König Maximilian II, künftige Exekutionen nicht mehr mit
Schwerthieben, sondern
mit einer „Fallschwertmaschine“ durchführen zu lassen – den
Begriff
„Guillotine“ vermied man wohlweislich, weil er an die Terrorphase
der
französischen Revolution erinnerte. Den Konstruktionsauftrag
erhielt der
Münchner Turmuhrfabrikant Johann Mannhardt, der zwei vollständige
Guillotinen
(für München und Würzburg) lieferte und außerdem fünf Unterbauten
für weitere
Städte, zu denen die Scharfrichter dann mit dem „Fallbeilrahmen“
anzureisen
hatten. Trebbin folgt den Spuren ihrer Verwendung und nimmt dabei
auch übergreifende
Zusammenhänge in den Blick, insbesondere die Geschichte der
Todesstrafe, den
Wandel des Zeremoniells der Enthauptung und den zunehmenden
Ausschluss der
Öffentlichkeit. Er erläutert die Funktionsweise der Apparatur und
ihre
Veränderungen und flicht immer wieder Fallbeispiele ein, die ein
beklemmendes
Licht auf das Schicksal der Verurteilten werfen.
Bis 1932 starben unter der Münchner Guillotine 124 Männer und eine
Frau. Der
weibliche Sonderfall datiert aus der frühesten Phase (1857);
danach wurden zum
Tode verurteilte Frauen durchweg begnadigt. Die gewaltige
Steigerung in der
NS-Zeit verweist, wie Trebbin zeigt, auf die völkische Ideologie,
den
zertrümmerten Rechtsstaat und den Justizterror der Kriegsjahre. Zu
Recht betont
er, dass mit den Enthauptungen gleichwohl nur ein Teil der
Vernichtungspolitik
in den Blick kommt: Hinzu kamen mehr und mehr Hinrichtungen durch
den Strang
und die Erschießung verurteilter Gefangener sowie das Morden, das
sich gar
nicht mehr um einen justizförmigen Anschein bemühte. Trebbin
berichtet über die
wachsende Zahl der Hinrichtungsstätten und der eingesetzten
Guillotinen (elf
wurden im Gefängnis Berlin-Tegel hergestellt), er fasst die
Scharfrichter ins
Auge und stellt die Opfergruppen vor. Fast die Hälfte der
Stadelheimer Opfer
waren Ausländer, darunter Zwangsarbeiter und Widerstandskämpfer
aus den
annektierten Gebieten. Soweit es sich bei den Todesurteilen auch
nach heutiger
Rechtsauffassung um Straftaten handelte, reicht das Spektrum von
Bagatelldelikten bis zum Mord. In dieser Hinsicht trifft Trebbin
eine klare
Unterscheidung: Wir erinnern uns an Mörder „nicht in ihrer
Eigenschaft als
Gewalttäter, sondern als Opfer der Todesstrafe“ (S. 106). Vor
allem aber geht
es ihm um die Gruppe der politisch Verfolgten, deren Anteil er auf
27 Prozent
beziffert: „Die allermeisten von ihnen sind heute weitgehend
unbekannt“ (S.
124).
Bei Kriegsende wurde die Stadelheimer Guillotine in die
Strafanstalt Straubing
ausgelagert und 1949 zur Überprüfung ihrer Verwendungsfähigkeit –
es handelte
sich noch immer um die Mannhardt-Maschine von 1855 – nach
Regensburg gebracht.
Im bayrischen Justizministerium rechnete man also noch mit dem
Fortbestand der
Todesstrafe, die jedoch im selben Jahr mit der Einführung des
Grundgesetzes
abgeschafft wurde. Danach verstaubte das in Einzelteile zerlegte
Gerät auf dem
Speicher des Regensburger Gefängnisses, bis es 1974 – vermittelt
vom
Justizministerium – in das Depot des Bayerischen Nationalmuseums
kam. Die
Öffentlichkeit erfuhr von alldem nichts, und auch im Museum
befasste man sich
nicht näher mit diesem Depotbestand. Nur gerüchteweise blieben
dort die
Stichworte „Stadelheim“ und „Geschwister Scholl“ im Umlauf. Erst
2013 begann
ein neuer Referent, Sybe Wartena, mit der gründlichen
wissenschaftlichen
Aufarbeitung, und er konnte die Sachverhalte, die 2014 als
wahrscheinlich
eingestuft worden waren, inzwischen eindeutig klären.2 Im Kontakt mit ihm
informierte Ulrich
Trebbin eine breite Öffentlichkeit zunächst mit journalistischen
Berichten, nun
auch mit diesem Buch.
Man kann es auf zweierlei Weise lesen. Zum einen als
wissenschaftlich fundierte
Studie, die sich weitgehend auf die maßgebliche Forschung stützt,
darunter das
grundlegende Werk von Richard Evans über die Todesstrafe in der
deutschen
Geschichte3, aber mit Archivrecherchen
auch eigene
Akzente setzt. Zum anderen als erinnerungspolitische
Streitschrift. Dem
Freistaat Bayern wirft der Autor vor, die Münchner Guillotine
„jahrzehntelang
versteckt“ zu haben, und er hegt den Verdacht, dass damit
womöglich auch die
Geschichte der NS-Todesurteile aus dem Blick gerückt werden
sollte.
Zweifelsfrei belegbar ist dieses Motiv, das zeitweise eine Rolle
gespielt haben
mag, bisher allerdings nicht. Die Entscheidung des bayerischen
Kultusministers,
die Guillotine bis auf weiteres unter Verschluss zu halten, lehnt
Trebbin als
Akt der „Zensur“ ab. Zwar hält er manche Einwände für
bedenkenswert – so die
Gefahr des Voyeurismus und die Entwürdigung der Opfer, sofern die
Aura eines
Objekts aus der Sphäre der Täter nicht gebrochen wird. Doch
argumentiert er mit
gutem Grund, dass es eben auf die Präsentationsweise ankommt, auf
Sensibilität
und Kontextualisierung. So könnte dieser schreckliche Gegenstand
zum Mahnmal
werden; er könnte besonders wirkungsvoll zur kritischen
Auseinandersetzung mit
der Justiz in der NS-Zeit anregen und an ihre Opfer erinnern. Das
Buch gibt
Hinweise darauf, wie das möglich wäre. Den vielleicht besten
Vorschlag hat
indes der Leiter der Gedenkstätte Flossenbürg, Jörg Skriebeleit,
an anderer
Stelle ins Gespräch gebracht: „Das fände ich einen Kniff: die
Frage, ob man
diese Guillotine ausstellen darf, zum Thema einer Ausstellung zu
machen. Dann
könnte man das Objekt verwenden, zum Beispiel in einem zerlegten
Zustand“.4
Anmerkungen:
1 Vgl. zum Beispiel den Bericht
in The New
York Times, 10.01.2014, https://www.nytimes.com/2014/01/11/world/europe/a-guillotine-in-storage-bears-signs-of-a-role-in-silencing-nazis-critics.html
(27.01.2024).
2 Vgl. die prägnante
Darstellung seiner
Forschungsergebnisse: Sybe Wartena, Die Fallschwertmaschine in
Bayern. Zwischen
Humanisierung der Justiz und nationalsozialistischem Terrorregime,
in:
Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 85 (2022), S. 411–473.
Dort wird
auch ein Grundproblem der Recherche verdeutlicht: Es war
„unmöglich, die
Wahrscheinlichkeit einzuschätzen, ob die 1974 aus Regensburg
übertragene Teile
aus Stadelheim stammen könnten, solang das System der Ober- und
Unterteile und
die Gesamtzahl der Guillotinen nach dem Modell Mannhardts nicht
bekannt waren“
(S. 457). Trebbins Buch konnte sich bereits auf diese Abhandlung
stützen.
3 Richard J Evans, Rituale der
Vergeltung. Die
Todesstrafe in der deutschen Geschichte, 1532 – 1987, Berlin 2001.
An Trebbins
Kurzdarstellung der Weiße Rose ist zu korrigieren, dass Sophie
Scholl „den
Vervielfältigungsapparat“ der Gruppe beschafft habe (S. 129). Es
gab vielmehr
zwei Apparate, die von Hans Scholl und Alexander Schmorell besorgt
wurden.
4 Zitiert bei Josef Wirnshofer,
Hier gibt es
nichts zu sehen, in: Süddeutsche Zeitung, 21.02.2023.
Zitation
Hans Günter Hockerts, Rezension zu: Trebbin, Ulrich: Die
unsichtbare
Guillotine. Das Fallbeil der Weißen Rose und seine Geschichte.
Regensburg 2023
, ISBN 978-3-7917-3387-6, In: H-Soz-Kult, 01.02.2024, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-141633>.