Date: 2023/06/01 11:08:26
From: Hans-Joachim Hoffmann via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Die versteinerte Lebensgeschichte der jüdischen Gemeinde Ottweiler
Führung am Sonntag, 04. Juni 2023, 17.00 Uhr
„Gräber sind Wege in die Vergangenheit.“ Mit dieser Feststellung eröffnet Leena Ruuskanen ihre Dokumentation über den Heidelberger Bergfriedhof („Der Heidelberger Bergfriedhof. Kulturgeschichte und Grabkultur. Ausgewählte Grabstätten“, Heidelberg 1992).
Am „Tag des offenen Denkmals“ am 08. September 2013 fand auf Anregung von Klaus Burr, Ehrenmitglied des Stadtgeschichtlichen Museums Ottweiler, zum ersten Mal in Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt Saarbrücken eine Führung über den Jüdischen Friedhof Ottweiler statt. Über 100 interessierte Bürger*innen nahmen die Möglichkeit wahr, den normalerweise verschlossenen Friedhof zu besichtigen und sich über die Geschichte der ehemaligen jüdischen Gemeinde Ottweiler zu informieren. Wegen der großen Resonanz bietet die KVHS Ottweiler daher in Verbindung mit dem Stadtgeschichtlichen Museum Ottweiler und der Stadt Ottweiler seit nunmehr 10 Jahren interessierten Besucher*innen eine Führung über den jüdischen Friedhof Ottweiler an, um diesen Weg in die historische Vergangenheit Ottweilers, insbesondere in die wortwörtliche Vergangenheit der jüdischen Gemeinde Ottweiler, mitzugehen. Diese Führungen verstehen sich als Ergänzung zu den Stadtführungen mit Historischen Figuren, bei denen wegen der räumlichen Entfernung des Jüdischen Friedhofs vom Stadtzentrum dieses Kulturdenkmal nicht einbezogen werden kann. Da aber die Geschichte der jüdischen Gemeinde unstrittig Teil der Stadtgeschichte Ottweilers ist, setzt die KVHS Ottweiler am Sonntag, den 04. Juni 2023, 17.00 Uhr, die Reihe der Friedhofsführungen fort.
Mit dem jüdischen Friedhof verfügt Ottweiler über ein unbequemes Denkmal, denn es erinnert an eine dunkle Seite unserer Stadtgeschichte. Die Geschichte der ehemaligen jüdische Gemeinde Ottweiler nahm ihren Anfang um die Wende 18./19. Jahrhundert und endete am 22.10.1940 mit der Deportation der letzten jüdischen Bürger*innen des Ortes im Zuge der Aktion Bürckel nach Gurs und von dort in die Vernichtungslager des Ostens. Nur der jüdische Friedhof bietet als letzte noch erhaltene authentische Stätte jüdischen Lebens und jüdischer Kultur interessierten Bürger*innen die Möglichkeit – wenn auch eingeschränkt auf den Totenkult – sich mit der lokalen Geschichte des Judentums auseinanderzusetzen.
Abgeschlossen (wie unsere Kirchen auch) ist der Friedhof die einzige Erinnerungsstätte, die das Zusammenleben jüdischer Bürger*innen mit Angehörigen anderer Konfessionen in Ottweiler in unser Bewusstsein zu rufen vermag. Gleichzeitig fordert er uns alle auf, sich dem Vergessen zu widersetzen.
In den Mittelpunkt der Führungen stellt Hans-Joachim Hoffmann die Entstehung und Entfaltung der jüdischen Gemeinde Ottweiler, aber auch ihre Vernichtung durch den Nationalsozialismus. Dabei betont er die Bedeutung des jüdischen Friedhofs als historische Quelle: Die Grabmale bieten die Möglichkeit, über die Familiengeschichte das Leben der jüdischen Gemeinde Ottweiler zumindest ansatzweise zu rekonstruieren. Erläuterungen zu Grabinschriften und den Symbolen auf den Grabsteinen ergänzen die Ausführungen.
Ausgehend von dem besonderen Grabmal, der Stele „Gebrochene Säule“, die zugleich als Symbol für das kurze Leben der jüdischen Gemeinde Ottweiler steht, beschreibt Hans-Joachim Hoffmann einzelne Grabmale in Verbindung mit der Biographie der in diesen Gräbern bestatteten Personen. „Denn mit den Namen, die wir auf den Grabsteinen lesen, steigen in uns Bilder aus der Erinnerung auf, aus denen Vergangenes lebendig wird.“ (Heidelberger Bergfriedhof, S. 9). Damit Bilder aus der Erinnerung an die jüdische Gemeinde Ottweilers auftauchen konnten, bedurfte es zeitaufwändiger Recherchen. Einige wenige hochbetagte Ottweiler Bürger*innen konnten noch Erinnerungen an die Familien Barth, Gäßling 42 - Cahn, Wilhelm-Heinrich-Str. 12 sowie die Familien Marx-Salomon, Tensch 25 und Salm, Martin-Lutherstraße und Enggass 5 mitteilen. Mitglieder der genannten jüdischen Familien verloren ihr Heimatrecht in Ottweiler und damit zugleich ihr Leben im Zuge der nationalsozialistischen Herrschaft, sofern sie nicht frühzeitig die Gefahr für Leib und Leben erkannten und auswanderten. Heute erinnern an diese Familien „Stolpersteine“, die in den letzten Jahren verlegt wurden.
An die großen, einflussreichen jüdischen Familien der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Albert - Buxbaum - Coblenz und Levy erinnern in Ottweiler nur noch die erhaltenen Grabsteine. Die Verdienste dieser Familien fielen der Vergessenheit anheim, vielleicht auch deshalb, weil viele Nachkommen in zweiter und dritter Generation Ottweiler wieder verließen, vielleicht auch, weil eine nationalistische Geschichtsschreibung sie schlichtweg ignorierte. Wäre der jüdische Friedhof Ottweilers in der NS-Zeit zerstört worden, hätte Hoffmann in „Lebenswege jüdischer Mitbürger“ die biographischen Skizzen zu den Familien Coblenz und Levy nicht verfassen können, in denen er die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Leistungen dieser Familien für die jüdische Gemeinde Ottweiler, für die Stadt Ottweiler und die jüdische Religionsgemeinschaft in Deutschland zumindest ansatzweise andeutete. Die Ergebnisse dieser Nachforschungen stießen bzw. stoßen auf reges überregionales Interesse: So steht der Referent gemeinsam mit Dr. Franꞔois Van Menxel (Münster), einem weitläufigen Nachfahren der Familie Coblenz, in regem Kontakt mit der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg und der Dehmelhaus-Stiftung (Hamburg) sowie dem Arbeitskreis Jüdisches Bingen, der 2017 die Publikation „Die jüdische Familie Simon Zacharias Coblenz (1836–1910) aus Bingen“ veröffentlichte. Eine (geplante) Edition des familiären Briefwechsels von Ida Dehmel-Coblenz dokumentiert eindrücklich die Assimilation einer jüdischen Familie in die deutsche Gesellschaft, und zwar sowohl im Bereich der Kunst/Literatur als auch im sozialen und politischen Leben. Auf die angesprochenen Familien wird Hoffmann bei dem Rundgang über den jüdischen Friedhof eingehen und dabei auf Inschriften und Symbole verweisen.
Die kostenlosen Führungen finden mit Unterstützung der KVHS Neunkirchen statt; eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Teilnahme an diesen Führungen auf eigenes Risiko erfolgt; insofern stellen die Teilnehmer*innen sowohl den Landkreis als Träger der KVHS als auch die Synagogengemeinde Saar, die Stadt Ottweiler und das Stadtgeschichtliche Museum Ottweiler als Mitveranstalter und den Referenten von etwaigen Schadensersatzansprüchen frei.
Termin: 04. Juni 2023 – 17.00 Uhr
Ort: Friedhof, Ottweiler Maria-Juchacz-Ring
Dauer: ca. 1 ½ Std.
Date: 2023/06/05 08:35:14
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Guten Morgen,
bei dem Mitgliedertreffen der Arbeitsgemeinschaft für
Saarländische
Familienkunde (ASF) am Dienstag, 26. Juni, wird Irene Mattern sich
mit dem
Thema „Taufpaten“ beschäftigen.
Der Beginn ist um 17.30 Uhr im Lesesaal des Landesarchivs in
Saarbrücken-Scheidt.
Mit freundlichen Grüßen
Roland Geiger
Date: 2023/06/05 12:02:43
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Schade, es hat jemand gemerkt: der 26. Juni
issn Montag, ich meinte natürlich den Dienstag, 27. Juni.
zefix.
Roland Geiger
Guten Morgen,
bei dem Mitgliedertreffen der Arbeitsgemeinschaft für Saarländische Familienkunde (ASF) am Dienstag, 26. Juni, wird Irene Mattern sich mit dem Thema „Taufpaten“ beschäftigen.
Der Beginn ist um 17.30 Uhr im Lesesaal des Landesarchivs in Saarbrücken-Scheidt.
Mit freundlichen Grüßen
Roland Geiger
Date: 2023/06/16 13:40:07
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Guten Morgen,
durch Irritationen in der Planung ist mir ein Fehler unterlaufen.
Am Dienstag, 27. Juni 2023, findet beim Treffen der ASF in
Saarbrücken im Landesarchiv nicht der Vortrag über "Taufpaten"
statt, sondern Dr. Hans-Joachim Kühn wird einen Vortrag zur
"Sickinger Fehde" halten.
Reichsritter Franz von Sickingen (* 2.
März 1481 auf Burg
Ebernburg über Bad Münster am Stein-Ebernburg; † 7. Mai 1523 auf
Burg
Nanstein über Landstuhl) war Anführer der rheinischen und
schwäbischen
Ritterschaft. In der Zeit des Übergangs vom Mittelalter zur
Neuzeit stritt er
als Unterstützer von Anhängern der Reformation für die
Säkularisation der
kirchlichen Güter und führte seine Standesgenossen im
Ritterkrieg an. Nach
Belagerung und Übergabe seiner Burg Nanstein starb er dort an
einer schweren
Verwundung, die er bei der Beschießung erlitten hatte.
Mit freundlichem Gruß
Roland Geiger
Date: 2023/06/25 18:33:49
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Date: 2023/06/27 09:36:54
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
“Ein
vordringlich
europäisches Problem”. Umweltverschmutzung und saarländische
Umweltdebatte im
deutsch-französischen Grenzgebiet 1945 bis in die 1960er Jahre
von Kaesler, Jonas
Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische
Landesgeschichte
Erschienen Saarbrücken 2022: Kommission
für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung e.V.
Anzahl Seiten 452 S.
Preis € 39,00
ISBN 978-3-939150-16-9
Rezensiert für H-Soz-Kult von Armin Heinen,
Historisches
Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Beeindruckend ist die Quellenbasis, die Jonas Kaesler zu den
französisch-saarländischen Umweltkonflikten Ende der 1950er-,
Anfang der
1960er-Jahre ausgewertet hat: Material aus dem Französischen
Nationalarchiv hat
er eingesehen, Departementsunterlagen, Unternehmensarchive,
einschlägige
Quellenbestände des Landesarchivs Saarbrücken, dazu
Privatarchive. Wir erfahren
von den Anfängen der Umweltverschmutzung im Saarland bereits
Ende des 19.
Jahrhunderts. Schon damals erwiesen sich die industriellen
Umweltbelastungen
entlang der Saar als kaum beherrschbar – wegen der Grenze zu
Lothringen und
damit den verwaltungstechnischen Sonderheiten der Region, obwohl
das Deutsche
Reich sich die Provinz doch einverleibt hatte. Der Erste
Weltkrieg und seine
Folgen verhinderten selbstbewusste staatliche Interventionen.
Jedenfalls
unterblieben erfolgreiche Eingrenzungen der Umweltschädigungen,
obwohl es
technische Lösungen gab. Stattdessen lag der Fokus auf einem
modus vivendi. Die
Rossel wurde zum Industriefluss erklärt, vergleichbar der
Emscher im
Ruhrgebiet. Und so blieb es bis nach dem Zweiten Weltkrieg.
Mehr als 200 Seiten umfasst die ausführliche Vorgeschichte des
referierten
Bandes, bis der Autor sich seinem eigentlichen Thema zuwendet,
dem Wirken der Notgemeinschaft
Kleinblittersdorf und dem Aufbegehren der Interessengemeinschaft
der
HBL-Geschädigten (die Abkürzung bezeichnete die Houillères du
Bassin de
Lorraine, also die Kohlebergwerke des grenzüberschreitenden
Lothringer
Reviers). Die erste Gruppe wandte sich gegen die
Luftverschmutzung durch ein
fehlerhaft geplantes Kohlekraftwerk westlich der Saargrenze. Die
zweite Gruppe
opponierte gegen die regelmäßigen Überschwemmungen der Rossel,
ausgelöst durch
die Verschmutzung des Flüsschens mit Schlamm und Abwässern im
lothringischen
Industriegebiet. Zuvor wird der Leser vertraut gemacht mit der
Geschichte des
Kohlebergbaus im Saarland seit dem 18. Jahrhundert und mit den
politischen
Gegebenheiten, also vor allem dem Sonderstatus des Saarraums,
1918–1935 und
1945–1956. Die Ausnutzung der saarländischen Warndtkohle durch
die HBL wird
ausführlich thematisiert und damit das politische Leitthema der
Studie
angerissen, nämlich die von französischer Seite zu
verantwortende
Umweltbelastung als typisches Kolonialverhalten. Freilich,
darüber ließe sich
lange diskutieren, denn seit 1957/59 ging es nicht mehr um ein
teilautonomes,
wirtschaftlich eng mit Frankreich verflochtenes Gebiet, sondern
um die
Interessen des „deutschen“ Nachbarstaates. Im Übrigen
unterschied sich die
paternalistische Politik der HBL kaum von der saarländischer
Unternehmen:
Ferienheime in fernen, naturverwöhnten (französischen) Gebieten
sollten die
Gesundheit und den Lebensmut der eigenen Belegschaft stärken,
eine produktive
Auszeit vom täglichen Industriealltag sicherstellen, nur dass
vergleichsweise
wenige Saarländer als HBL-Mitarbeiter einen Vorteil davon
hatten.
Auf Seite 217 wird es schließlich ernst. Hier beginnt der Autor
seine
eigentliche Erzählung mit dem Bau des HBL-Kraftwerks in
Grosbliederstroff,
unmittelbar an der Grenze zum Saarland. Geplant war eine
Quadratur des Kreises:
eine ökonomisch attraktive Verwendung der
nicht-kommerzialisierbaren
Kohlenqualitäten, eine Stärkung der Energiebasis für Lothringen,
eine
nachholende Industrialisierung für Frankreich insgesamt. Selbst
an Rußfilter
dachte man und an Schornsteine. Aber was schließlich realisiert
wurde, genügte
technisch bei Weitem nicht den Anforderungen, mit Folgen sowohl
auf
französischer Seite als auch auf saarländischer: Die Filter
waren viel zu klein
geplant und funktionierten zudem nicht richtig. Es gab zwar
Schornsteine, aber
die waren „zu niedrig geraten“. „Die HBL“ reagierten mit:
„Schweigen,
Abstreiten, wissenschaftlichen Expertisen,
Entschädigungsangeboten“, jedenfalls
auf französischer Seite, im lothringischen Raum also. Es folgten
Investitionen
in neue Technik und höhere Schornsteine. Dies war der gewohnte
Verlauf, wie er
sich spätestens im 19. Jahrhundert ausgebildet hatte. Aber mit
dem
Volksentscheid von 1955 hatte sich das Saarland gegen eine
Fortführung der
Wirtschaftsunion mit Frankreich entschlossen, hatte eine
Mehrheit den
politischen Anschluss an Deutschland unterstützt. Die auf
saarländischer Seite
Betroffenen fühlten sich in dieser Situation ohnmächtig, denn
sie hatten keinen
verlässlichen Zugriff mehr auf die französischen
Verantwortlichen und das
französische Rechtssystem. So setzten sie auf die
bundesrepublikanische
Öffentlichkeit, auf direkten Kontakt zu den Landesbehörden, auch
auf Hilfen aus
Bonn. Die HBL zeigte ihren guten Willen, beauftragte eine
deutsche Firma mit
der Nachrüstung des Kohlekraftwerkes. Auch die Schornsteine
wurden erhöht, was
zwar keine Verringerung der Schadstoffbelastung brachte, aber
eine stärkere
Verdünnung der Emissionen in der Luft. Später erhielt die
Gemeinde
Kleinblittersdorf noch einen nennenswerten Zuschuss von 600.000
DM für ein
neues Freischwimmbad. Im Gegenzug löste sich die
Kleinblittersdorfer
Notgemeinschaft auf.
Als „vorökologisch“ hat Jens Ivo Engels die 1950er- und
1960er-Jahre
charakterisiert, geprägt durch Naturschützer und oligarchisch
geführte
Interessenverbände, welche sich für den Erhalt ihres Lebensraums
und den Schutz
ihres Eigentums einsetzten.[1] Da der Darmstädter
Umwelthistoriker auch
die Proteste in Kleinblittersdorf untersucht hat, blieb Jonas
Kaesler für seine
eigene Arbeit nicht viel Spielraum. Anders als Engels richtet er
seinen Blick
denn auch weniger auf die Protestformen denn vor allem auf die
handelnden
Akteure selbst, im Falle Kleinblittersdorfs vor allem auf die
Funktion des
Bürgermeisters Karl Brettar für die Strukturierung der
Auseinandersetzung. In
der Folge entwickelt der Verfasser ganz unterschiedliche
Erzählstränge,
einerseits eine Erzählung von den HBL, typisiert als
Unternehmen. Hier
interessieren die HBL als Aggregatgröße, als kollektiver Akteur.
Auf der
anderen Seite stehen die Initiativen einzelner Saarländer mit
ihren
differierenden Strategien, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, Geld
für Kampagnen
einzuwerben, politische Allianzen herzustellen. Letzteres fiel
dem gut
vernetzten Kleinblittersdorfer Bürgermeister trotz allem schwer,
weil jegliche
Politisierung des deutsch-französischen Verhältnisses die
beginnende Aussöhnung
erschweren musste.
Ganz ähnliche Erfahrungen machten auch die von der Verschmutzung
der Rossel
Betroffenen: „Schweigen, Abstreiten, wissenschaftliche
Expertisen,
Entschädigungsangebote“ vonseiten der HBL, schließlich
technische Innovationen.
Die konnten zwar die Umweltverschmutzung nicht gänzlich
zurückdrängen, aber
eindämmen. Im Hintergrund standen politische
Nachbarschaftsverhandlungen
zwischen Deutschland und Frankreich und vor allem neue,
strengere
Umweltbestimmungen in Frankreich selbst. Die nachholende
Industrialisierung des
Landes provozierte auch eine verspätete Gesetzgebung zur
Bändigung der
industriellen Umweltschäden. Doch darüber erfahren wir leider
nur wenig.
Insgesamt liegt eine die Sachverhalte umfassend beschreibende
Studie zu den
saarländischen Umweltgrenzkonflikten Ende der 1950er-, Anfang
der 1960er-Jahre
vor. Der regionalgeschichtliche Fokus dominiert, wenn auch der
Autor die
einschlägigen umweltgeschichtlichen Studien zu Deutschland und
Frankreich zur
Kenntnis genommen hat. Was fehlt, ist ein klarer roter Faden,
denn Jonas Kaesler
greift viele Fäden auf. Auch wäre etwas mehr redaktionelle
Sorgfalt
erforderlich gewesen. So findet der Leser zwei verschiedene
Titelvarianten:
„... bis in die 1960er-Jahre“ (Hardcoverumschlag), “... bis in
die siebziger
Jahre“ (Titelseite). Immer wieder fehlen zwischen einzelnen
Worten Leerzeichen,
wie überhaupt der Eindruck entsteht, dass es bei der Umsetzung
der
Computervorlage manche Probleme gegeben hat. Das
Literaturverzeichnis ließe
sich übrigens auch leicht erweitern. Doch wer sich für die
Geschichte des
Saarlandes und die umweltgeschichtliche Verflechtung des Raums
mit Lothringen
interessiert, wer mehr wissen will über die Politisierung der
lothringisch-saarländischen Umweltkonflikte vom 19. bis Mitte
des 20.
Jahrhunderts, wird in Jonas Kaeslers Studie zahlreiche
anschauliche
Erläuterungen finden.
Anmerkung:
[1] Jens Ivo Engels,
Naturpolitik in der
Bundesrepublik. Ideenwelt und politische Verhaltensstile in
Naturschutz und
Umweltbewegung 1950–1980, Paderborn 2006.
Zitation
Armin Heinen: Rezension zu: Kaesler, Jonas: “Ein vordringlich
europäisches
Problem”. Umweltverschmutzung und saarländische Umweltdebatte im
deutsch-französischen Grenzgebiet 1945 bis in die 1960er Jahre.
Saarbrücken 2022
, ISBN 978-3-939150-16-9,, In: H-Soz-Kult,
22.06.2023, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-133571>.
Date: 2023/06/27 09:43:49
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
transmortale
XII – Neue Forschungen zu Sterben, Tod und Trauer
Organisatoren
Dirk Pörschmann / Dagmar Kuhle, Zentralinstitut und Museum für
Sepulkralkultur,
Kassel; Norbert Fischer, Institut für Empirische
Kulturwissenschaft,
Universität Hamburg; Moritz Buchner / Stephan Hadraschek / Jan S.
Möllers,
Berlin; : Thorsten Benkel, Passau / Ekkehard Coenen, Weimar /
Ursula
Engelfried-Rave, Bonn / Matthias Hoffmann, Saarbrücken / Matthias
Meitzler,
Tübingen / Melanie Pierburg, Hildesheim / Leonie Schmickler,
Passau / Miriam
Sitter, Hannover, Arbeitskreis Thanatologie, Deutsche Gesellschaft
für Soziologie
Ort Kassel
Vom - Bis 24.03.2023 - 25.03.2023
Von Clara Schuppan, Fachbereich Gesundheit,
Fachhochschule
Münster
Auch in diesem Jahr wurden im Rahmen der Tagungsreihe transmortale
wieder
aktuelle Forschungsansätze zu den Themen Sterben, Tod und Trauer
vorgestellt
und interdisziplinär besprochen. Wissenschaftler:innen
unterschiedlicher
Disziplinen präsentierten im Museum für Sepulkralkultur am ersten
Tag
thematisch offen ihre Forschungsansätze und am zweiten Tag auf das
Thema Trost
bezogen, das zugleich Gegenstand der aktuellen Sonderausstellung
ist. Die in
den Beiträgen behandelten Zeiträume reichten von der Frühen
Neuzeit bis in die
Gegenwart und prognostisch in die Zukunft.
Mit der Wirkung von Stille in der Hospizarbeit und
Trauerbegleitung setzte sich
DANIEL FELSCHER (Frankfurt an der Oder) auseinander. Auf der
Grundlage von
Interviews mit Expert:innen der Hospizarbeit zeigte er auf, dass
in der Sterbe-
und Trauerbegleitung durch Reduktion verbaler Kommunikation eine
Intensivierung
der Selbstwahrnehmung sowohl der Begleiteten als auch der
Begleitenden
entstehen kann. Praktiken der Stille können zum Beispiel einfache
Pausen der
eigenen kommunikativen Mitteilung oder stille Sitzwachen sein.
Gerade in der
Trauerbegleitung nach dem Tod komme Stille eine besondere
Bedeutung zu, da
zumeist Sprachlosigkeit per se das Potenzial zu verbaler
Kommunikation
entziehe. So zeichne sich eine Sterbe- und Trauerbegleitung, in
der das
Sprechen und demzufolge auch das Hören von Worten reduziert ist,
vor allem
durch eine zugeneigte Haltung, das körperliche Spüren und ein
innerlich
vollzogenes Nachgehen aus, was letztlich die menschliche Begegnung
intensiviere. Zuletzt traf Felscher in Bezug auf die These der
Verdrängung des
Todes die Aussage, dass durch die Sensibilisierung für Affekte der
sterbende,
trauernde oder begleitende Mensch stark in den Fokus rücke und
dadurch weniger
eine Verdrängung des Todes als vielmehr eine Öffnung gegenüber dem
Tod
stattfände.
Einblicke in ihre Masterarbeit zu Normbrüchen und Angeboten
alternativer
Normerfüllung im Umgang mit Sterbenden und Toten unter den
Restriktionen in
Zeiten der Corona-Pandemie gab MAXIMILIANE NIETZSCHMANN
(Heidelberg). Die
Geschichtswissenschaftlerin hat Berichte aus Zeitungen über den
Umgang mit
Sterbenden und Toten in Deutschland mit Berichten über den Umgang
im vor allem
europäischen Ausland verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass im
Inland der
Infektionsschutz im Sinne einer Prävention wichtiger als im
Ausland empfunden
wurde. So wurden Abschiedszeremonien z.T. verschoben, um sie nach
dem zu
erwartenden Ende der Restriktionen in uneingeschränktem Umfang
stattfinden
lassen zu können. Konträr dazu wurde im Ausland dem angemessenen
Abschied mehr
Bedeutung zugeschrieben. In der Diskussion wurde die Frage
gestellt, ob selbige
Phänomene wohl auch am anderen Ende des Lebens – bei der Geburt –
entdeckt
werden könnten.
LENA STANGE (Oldenburg) gab Einblicke in ihre Dissertation zum
Einfluss von
Vorstellungen von einem guten Sterben auf die gesundheitliche
Vorausplanung.
Sie wertete Interviews mit 18 Personen aus und deckte bei der
inhaltsanalytischen Identifikation der Leitmotive und einer
ergänzenden
Metaphernanalyse im Vergleich von Vorstellungen vom Lebensende und
der
Vorausplanung in Form einer Patientenverfügung darin liegende
Spannungsverhältnisse auf. Vorausplanungen werden als wichtige
Gestaltungsmöglichkeit gesehen, zugleich aber wegen Unwissenheit,
Gleichgültigkeit oder der Zuordnung des Todes in den Lebensabend
häufig nicht
umgesetzt. Resümierend formulierte Stange das Ziel,
Wertvorstellungen und
Wünsche, die das Erstellen einer Vorausverfügung motivieren,
medizinethisch zu
bedenken und gesundheitspolitisch umzusetzen. In der Diskussion
wurde
festgestellt, dass die Bestattungsthematik in der Vorausverfügung
nicht
berücksichtigt wird, weil sie kein Teil der gesundheitlichen
Versorgung ist und
der Mensch nach seinem Tod dem Versicherungsverhältnis entfällt.
Ebenfalls mit persönlichen Bildern vom Sterben und Tod setzte sich
LESTER
GERDUNG (Heidelberg) im Rahmen seiner Promotion auseinander.
Konträr zur These
der Verdrängung des Todes statuierte er vielmehr eine Verschiebung
in mediale
Darstellungsdimensionen. In Film, Videospielen oder Literatur
beispielsweise
sei die Begegnung mit der Endlichkeit in einem sicheren
Handlungsrahmen
möglich, da der Tod revidierbar und unpersönlich bleibe. Zudem
würden in der
medialen Behandlung von Sterben und Tod gesellschaftliche Werte
eingehalten
oder wiederhergestellt. Letztlich übernehme der Mensch die dort
vermittelten
Vorstellungen und greife auf sie in Alltagserfahrungen zurück.
Jedoch sei das
Potenzial zur Bewältigung eigener Erfahrungen gedämpft, da sie
durch die
ästhetische Darstellung überlagert würden. Zudem sei bei
Nutzer:innen kaum ein
Bewusstsein dafür vorhanden, dass das Sterben und der Tod bereits
sehr oft
medial dargestellt werde. Dies ließe sich den Interviews
entnehmen, in denen
vielfach die Forderung oder der Wunsch nach einem häufigeren
Aufgreifen dieser
Themen geäußert wurde.
Der Kunstkritiker DAVID LILLINGTON (London) setzt sich in seiner
laufenden
Forschung mit dem Thema der Wehklage (lamentation) in der
Videokunst von
Elisabeth Price auseinander. Sie bearbeitet verschiedene
gesellschaftspolitische Themen, wobei der Wehklage im immer
wiederkehrenden
Motiv des Chores durch Gesänge oder stille Tänze Ausdruck
verliehen wird. In
den collageartigen Videos mit starken Kontrasten in Tönen, Farben
und Bildern
schwingen auch die Themen Tod, Sterben und Trauer stetig mit.
Lillington
betonte, dass die Wehklage in der Videokunst von Price überall, in
allen
gewählten Darstellungsformen verkörpert werde, denn so, wie der
Mensch ein
Kulturwesen sei, könne Wehklage, die im Gegensatz zu grief
öffentlich ist, in
allen Äußerungen gezeigt werden.
In Struktur und Funktionen von Begräbnisgedichten in der Frühen
Neuzeit gab
ESTHER PREIS (Berlin) Einblick. Gemeint sind Gedichte, die von
Redner:innen
oder Familienmitgliedern im Rahmen von Begräbnisfeierlichkeiten
vorgetragen
wurden. Neben dem Nachruf auf die verstorbene Person dienten sie
vor allem als
Traueranleitung für Hinterbliebene. Diesbezüglich sind sie
strukturell
dreigliedrig aufgebaut. Affekterregend werden Schmerz über den
Verlust, Trauer
und Ratlosigkeit benannt. Affektstillend wird auf den göttlichen
Plan hingewiesen,
um die Ratlosigkeit in ihrer Schwere zu mindern. Zuletzt
appellieren die Texte
ratgebend, Gottes Willen zu folgen und die eigene Trauer zeitnah
einzustellen.
Zeitlichkeit und Intensität von Trauer seien im theologischen
Kontext der Zeit
zu sehen. So galt anhaltende Trauer als maßlos, weil sie ein
Zeichen des
Zweifels am göttlichen Plan sei. Zudem hätte in der Normierung
eine
gesellschaftliche Kontrollfunktion gelegen, die der
Produktionssteigerung im
Kontext beruflicher und gesellschaftlicher Pflichten diente.
KATARZYNA WONIAK (Halle an der Saale) untersuchte Tagebücher und
Briefe, die
von Menschen unter dem deutschen Besatzungssystem in Polen
zwischen 1939 und
1945 entstanden, und machte auf die Korrelation von Trost und
Todesangst
aufmerksam. Wenngleich Trost Leid nicht auflösen könne, sei er
doch Gegenmittel
zur Melancholie und somit als „lebensrettende Illusion“ zu
verstehen.
Insbesondere in Kriegszeiten, wenn in akuten Situationen die
Todesangst sehr
klar und die Todesfurcht durch die stetige Erinnerung an die
zeitliche
Begrenztheit des eigenen Daseins empfunden wurde, sei Trost eine
temporäre
Ablenkung. Zuweilen habe sogar der Tod selbst als Trostspender
gegolten. Auch
das Schreiben der Tagebücher sei eine Trosthandlung, wobei
Selbsttrost von Fremdtrost
zu differenzieren sei. Weiterhin werde Trost erst durch die
Konfrontation mit
der eigenen Sterblichkeit wirksam.
Ambivalenzen der Tröstlichkeit zwischen Möglichkeiten und
Herausforderungen
postmortaler Existenz stellte MATTHIAS MEITZLER (Tübingen) anhand
dreier
empirischer Kontexte vor. Die Bestattung auf einem Friedhof sei in
erster Linie
tröstlich, da durch die Gestaltung des Grabes Erinnerungen und
eine gewisse
Wiederpräsenz der verstorbenen Person gepflegt würden. Zugleich
könne der
Friedhof auch als trostlos empfunden werden, da Vorschriften das
Handeln zum
Teil einschränkten. Autonome Formen der Trauer, wie das
Unterbringen der Asche
im heimischen Wohnraum oder in einem Amulett seien vor allem
aufgrund der
symbolischen Nähe und Präsenz der verstorbenen Person tröstlich.
Jedoch gehe
mit dem Besitz viel Verantwortung einher, und ein Verlust werde
als worst case
empfunden. Die postmortale Existenz im digitalen Raum sei durch
tatsächliche
Sichtbarmachung der verstorbenen Person tröstlich. Hierbei bliebe
aber noch
offen, ob künstliche Intelligenzen ohne menschliche Empathie und
emotionale
Intelligenz tatsächlich tröstlich sein können.
Dass zwischen dem Lebensende und dem Ende einer Liebesbeziehung
strukturelle
Verbindungslinien zu entdecken sind, zeigte THORSTEN BENKEL
(Passau) auf.
Wenngleich die Soziologie Trauer am Beziehungsende noch nicht
ausführlich
untersucht habe, könne sie doch verglichen werden mit der Trauer
am Lebensende.
In beiden Fällen werde der Untergang der sozialen Beziehung
betrauert. Insbesondere
im 19. Jahrhundert mit seiner starken Romantisierung der Liebe
wurden
Beziehungs- und Lebensende miteinander verknüpft. So folgte der
Idee, den einen
Menschen fürs Leben zu finden, die Konsequenz, mit dessen Verlust
auch das
eigene Leben zu beenden. Bis in die Gegenwart findet sich dieses
Motiv wieder,
wobei es heute weniger als heroisch, sondern vielmehr als toxisch
eingeordnet
wird. Stattdessen gelte als guter Mensch, wer nach einem
Beziehungsende tröste,
zumal es den solidarischen Trost brauche, da nicht allein geliebt
wurde, somit
auch Heilung nicht allein gelingen könne.
Eine These über die zukünftige Entwicklung von Trost stellte
MELANIE PIERBURG
(Hildesheim) vor. Während es auch Georg Simmels Form des Trostes
als Aufhebung
des Leides am Leid noch gebe, scheine eine ressourcenorientierte
Trauerpraktik
präsenter zu werden. Durch Subjektivierung und Individualisierung
in der
(Spät-)Moderne rücke der einzelne Mensch mehr in den Fokus, was
dem zugewandten
Charakter des Trostes konträr sei. Auf der Suche nach Trostformen
der Gegenwart
wurde Pierburg am Beispiel der Serie „Queereye“ fündig. Darin
werden
Ästhetisierungspraktiken von Menschen hinsichtlich des
Kleidungsstils, ihrer
Wohnorte und Lebensweisen zur Förderung der Selbstfürsorge
gezeigt. Dabei
handle es sich weniger um Trost als um die Aktivierung zur
Selbstliebe, was
Pierburg zur Frage motivierte, ob es sich im Sinne des doing
selflove um eine
neue Form und Funktion des Trostes handelt.
Trösten als Gefühlsarbeit nach Anselm Strauss stellte EKKEHARD
COENEN (Weimar)
anhand einzelner empirischer Beispiele aus dem Bestattungswesen
vor. Trost sei
ein wechselseitiges Wirkhandeln zwischen Bedürftigen und Gebenden,
wobei
Bestatter:innen eine besondere Rolle zukomme. Als
Ansprechpartner:innen der Todesverwaltung
schaffen sie den Rahmen für Gefühlsarbeit. Dabei bestehe immer
eine Gefahr der
Orchestrierung, auch durch andere death entrepreneurs, da
verschiedene
Stakeholder beziehungsweise Professionen unterschiedlichen
Ansprüchen zu
entsprechen haben und zugleich immer auch eigene Vorstellungen mit
einfließen.
So lande der Trost im Zentrum unterschiedlicher Perspektiven.
Kollektiv werde
die Legitimation desselben in Aushandlungsprozessen zwischen
Akteur:innen, die
bestehende, und Innovateur:innen, die neue Trostformen wollen,
ausgehandelt.
Die anschließende Diskussion wurde mit Erfahrungsberichten
praktizierender
Bestatter angereichert, in denen deutlich wurde, dass auch
Fachkräfte
Gefühlsarbeit zu leisten haben.
Eine soziologische Einordnung des Phänomens Trost nahm URSULA
ENGELFRIED-RAVE
(Koblenz) unter dem Fokus der Trauer vor. Formen des Trostes
können
verschiedenartig sein. Basal habe Trost einen solidarischen
Aspekt, indem er
der trostsuchenden Person anzeige, nicht allein zu sein. Religiös
normiert ist
Trösten als Barmherzigkeit und somit Auftrag katholischer
Christen.
Arbeitsgebiete der Seelsorge sowie säkulare Arbeitsfelder wie
Trauerberatung,
-begleitung oder auch Trauerredner:innen bildeten eine weitere
Form des
institutionalisierten Trostes. Engelfried-Rave ging auf mediale
Formen des
Trostes wie Trauerforen und Trostbücher ein und zuletzt auf den
trostlosen
Trost. Letzterer sei auf Unsicherheiten und Unwissen der
Trostspendenden in
einer affektreduzierten Gesellschaft zurückzuführen. Zugleich sei
der
trostbedürftige Mensch in Reaktion auf Verlusterfahrungen oder auf
existenzielle Erfahrungen darauf angewiesen, dass eine andere
Person die
Bedürftigkeit erkenne und entsprechend handle. Jedoch gebe es auch
Selbsttrost
in Form individuell gewählter Verarbeitung.
Beginnend mit dem Zitat eines trauernden Kindes, ob sein Bruder,
dessen
Beerdigung im Winter anstand, auf dem Friedhof nicht frieren
würde, machte
MIRIAM SITTER (Hannover) auf die notwendige Differenzierung
zwischen Trost und
Vertrösten aufmerksam. Auf der Basis des Handlungskonzeptes der
gewaltfreien
Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg benannte Sitter die
Empathie als
Unterscheidungsmoment. Diese zeichne sich durch friedvolles,
wohlwollendes
Zuhören und Sprechen ohne Absicht aus. Es gehe um das Einnehmen
der Perspektive
der trostsuchenden Person, wobei deren vermutete Bedürfnisse in
den Fokus
gerückt und als Mangel identifiziert werden. Dies könne gelingen,
da
unterschiedliche Menschen gleiche Bedürfnisse (Sicherheit,
Zuspruch, Geborgenheit)
haben. Weiter wurden Körperlichkeit, Atmosphäre und Räumlichkeit
als zentrale
Aspekte emphatischen Trostes angeführt.
Mit fruchtbaren Einblicken in Formen und Funktionen von Trost im
Kontext von
existenziellen Erfahrungen und Verlusterfahrungen endete die
Tagung für alle
Teilnehmenden reich an Eindrücken. Im Austausch der
Teilnehmer:innen wurde
immer wieder der Frage nach „richtigem“ Trösten und Trost
nachgegangen. In
einer individualisierten Gesellschaft scheint es neue Formen des
Trostes zu
brauchen, nicht zuletzt, weil kaum noch auf verbindliche
Deutungsmuster
zurückgegriffen werden könne. Gerade aber, weil, wie schon Simmel
formulierte,
der Mensch ein trostsuchendes Wesen ist, brauche es auch
funktionale Formen des
Trostes, um das Leiden am Leid aufzuheben.
Konferenzübersicht:
Thorsten Benkel (Passau): Begrüßung und Einführung
Moderation: Matthias Hoffmann (Saarbrücken) und Leonie Schmickler
(Passau)
Daniel Felscher (Frankfurt an der Oder): „Und in der Stille, da
wird es so richtig
intensiv.“ Reduktion und Intensivierung in Praktiken der Stille am
Beispiel
ehrenamtlicher Hospizarbeit und Trauerbegleitung
Maximiliane Nietzschmann (Heidelberg): Umgang mit Toten und
Sterbenden in
Zeiten von Corona (März-April 2020) in der medialen Vermittlung
Lena Stange (Oldenburg): „Also, wenn ich dann tot bin …“.
Ergebnisse einer
qualitativen Befragung zu gesundheitlicher Vorausplanung für das
Lebensende
Lester Gerdung (Heidelberg): Die Verschiebung individueller
Auseinandersetzung
mit Tod und Sterben auf mediale Darstellungen anstelle von
gesellschaftlicher
Verdrängung
David Lillington (London): Das Thema der Wehklage in der
Videokunst von
Elisabeth Price
Esther Preis (Berlin): Trost spenden und Trauer normieren.
Begräbnisgedichte in
der Frühen Neuzeit (1500-1700)
Katarzyna Woniak (Halle an der Saale): Trost und Todesangst.
Emotionen in Polen
unter deutscher Besatzung 1939-1945
Matthias Meitzler (Tübingen): Postmortale Fortexistenz als Trost?
Räumliche und
körperliche Dimensionen der Verlustbewältigung
Thorsten Benkel (Passau): Am Ende. Formen der Beziehungsauflösung
Melanie Pierburg (Hildesheim): Die Reflexivität des Leidens.
Soziologische
Perspektiven auf den Trost
Ekkehard Coenen (Weimar): „Es gibt irgendwie so eine Trosttruppe.“
Zum Mit-, Für-
und Gegeneinander der Gefühlsarbeit im Bestattungswesen
Ursula Engelfried-Rave (Koblenz): Trost suchen und Trost spenden.
Eine
soziologische Betrachtung des Tröstens
Miriam Sitter (Hannover): Trösten oder Vertrösten? Eine zu
leistende
Differenzierung durch Empathie
Moderation: Jan S. Möllers (Berlin), Stephan Hadraschek (Berlin),
Norbert
Fischer (Hamburg), Leonie Schmickler (Passau)
Postersession
Fanny Berghof / Nina Gurol / Nele Legeland / Clara Schuppan
(Regensburg):
Inwieweit sind gesellschaftlich institutionalisierte
Sterbebegleitungs- und
Trauerangebote für obdachlose Menschen sinnvoll?
Lena Magdeburg (Paderborn): Sterben und Tod in den Vorstellungen
von
Grundschulkindern. Eine qualitative Studie im Kontext von
Sachunterrichtsdidaktik
Leonie Schmickler (Passau): Sterbefasten – Problem oder Lösung?
Soziologische
Betrachtung eines Sterbehilfediskurses
Zitation
Tagungsbericht: transmortale XII – Neue Forschungen zu Sterben,
Tod und Trauer,
In: H-Soz-Kult, 24.06.2023, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-137009>.
Date: 2023/06/27 10:41:35
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Steffen Kopetzky: „Propaganda“
Rowohlt Berlin, Berlin 2019
496 Seiten, 25 Euro
"John Glueck ist im Krieg. Tief in Deutschland,
im dunklen Hürtgenwald in der Eifel, 1944. Vor kurzem noch war er
Student in New York, voller Liebe zur deutschen Kultur seiner
Vorfahren; dann, als Offizier bei Sykewar, der
Propaganda-Abteilung der US-Army, traf Glueck in Frankreich sein
Idol Ernest Hemingway. Für ihn zieht Glueck in den scheinbar
unbedeutenden, doch von der Wehrmacht eisern verteidigten
Hürtgenwald bei Aachen. Er entdeckt das Geheimnis des Waldes, als
eine der größten Katastrophen des Zweiten Weltkriegs beginnt: die
«Allerseelenschlacht» mit über 15 000 Toten. Was kann John Glueck
noch retten? Sein Kamerad Van, der waldkundige Seneca-Indianer?
Seine halsbrecherischen Deutschkenntnisse? Ein Wunder?
Niemand trat unverändert wieder aus dem «Blutwald» heraus, den die
Ignoranz der Generäle zu einem Menetekel auch folgender Kriege
machte. Zwanzig Jahre später, in Vietnam, erfährt John Glueck: Die
Politik ist zynisch und verlogen wie eh und je. Er wird handeln,
und sein Weg führt von der vergessenen Waldschlacht direkt zu den
Pentagon-Papers.
Steffen Kopetzkys großer Roman spannt einen gewaltigen Bogen vom
Zweiten Weltkrieg bis hin zu Vietnam. Ungeheuer spannend erzählt
er von Krieg und Lüge, und von einem Mann, der alle falsche
Wahrheit hinter sich lässt."
Rezension von Rainer Moritz
[https://www.deutschlandfunkkultur.de/steffen-kopetzky-propaganda-gegen-die-pervertierung-100.html]
Steffen Kopetzky erzählt in „Propaganda“ eine Geschichte aus der
Zeit der
Nachkriegseuphorie in Europa und Amerika. Hemingway, Nixon und
Vietnam – alles
dabei. Der Erzähler zeigt sich in Bestform.
„Mein Name ist John Glueck, geboren am 13. Juni 1921 in der Bronx,
New York“ –
so stellt sich Steffen Kopetzkys Romanheld vor, als er im August
1971 in
Hannibal, Missouri, vor Gericht steht. Angeklagt ist er, wie es
offiziell
heißt, wegen Geschwindigkeitsüberschreitung und Widerstands gegen
die
Staatsgewalt, in Wahrheit jedoch geht es um eine Verschwörung
gegen die
amerikanische Regierung, um ihren Präsidenten Nixon, die grausamen
„Pazifizierungsprogramme“ in Südvietnam und die Veröffentlichung
der geheimen
Pentagon-Papiere.
An einen großen Stoff hat sich Kopetzky damit herangewagt, doch
spätestens seit
seinem 2015 erschienenen Roman „Risiko“ weiß man, dass er alle
erzählerischen
Fähigkeiten besitzt, um solche gewagten literarischen
Unternehmungen zu stemmen.
Ging es in „Risiko“ um eine deutsche Expedition, die Ende 1914 ins
asiatische
„Herzland“, nach Afghanistan, entsendet wird, verknüpft
„Propaganda“ auf höchst
kühne Weise Ereignisse aus dem zu Ende gehenden Zweiten Weltkrieg
mit dem
amerikanischen Versagen in Vietnam. Mittler dieser ein gutes
Vierteljahrhundert
auseinanderliegenden Erzählstränge ist jener Officer Glueck, ein
Mann mit
deutschen Wurzeln, der 1942 in die US-Army eintritt und
leidenschaftlich für
deren Propaganda-Abteilung Sykewar zu arbeiten beginnt.
Voller Idealismus gegen das Hitler-Regime
Voller Idealismus macht er sich daran, gegen das Hitler-Regime zu
agieren, und
soll für ein US-Aufklärungsblatt den in Deutschland populärsten
amerikanischen
Schriftsteller, Ernest Hemingway, porträtieren. Dieser befindet
sich an der
Westfront in Europa und nimmt im Herbst 1944 an der für die
Amerikaner ungemein
verlustreichen Hürtgenwald-Schlacht in der Eifel teil.
Wie schon im „Risiko“-Roman (auf den sich „Propaganda“ an einer
Stelle bezieht)
breitet Kopetzky ein opulentes, offenkundig aufwendig
recherchiertes Panorama
aus, das historisch verbürgte Figuren neben fiktive Figuren stellt
und das
Schlachtgemetzel dramaturgisch geschickt schildert – fast so, als
habe es
bislang kaum Prosa über das Blutvergießen im Zweiten Weltkrieg
gegeben.
Von Hemingway über Salinger zu Bukowski
Vorgetragen ist das mit sinnlicher Kraft und einer gelegentlich
aufblitzenden,
an der Postmoderne geschulten Ironie, die es jedoch keineswegs
verhindert,
„Propaganda“ als spannungsreichen, elegant erzählten Pageturner zu
lesen. An
Anspielungen auf Filme und literarische Werke mangelt es diesem
Roman dabei
nicht. Neben dem boxfreudigen und trinkfesten Hemingway (der 1950
die
Hürtgenwald-Schlacht in seinem Roman „Über den Fluss und die
Wälder“
verarbeiten wird) assistieren dem ebenfalls an seinen Erinnerungen
schreibenden
John Glueck die Kollegen Jerome Salinger aus New York und Charles
Bukowski aus
Andernach am Rhein, der damals noch Heinrich/Henry mit Vornamen
hieß.
Wie Kopetzky im Finale seines Romans einen desillusionierten, von
in Saigon
eingesetzten Entlaubungsmitteln entstellten Offizier zeigt, der
erkennt, dass
Propaganda einer guten ebenso wie einer furchtbaren Sache dienen
kann, und der
deshalb gegen die Pervertierung der amerikanischen Werte ankämpft,
das ist von
bestechender Aktualität, und das zeigt den genuinen Erzähler
Kopetzky at his
best.
Date: 2023/06/28 09:20:09
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Selbst in seinem Ruhestand war Roland Paul, langjähriger
wissenschaftlicher
Mitarbeiter und von September 2012 bis 2016 Direktor des Instituts
für
pfälzische Geschichte und Volkskunde (IPGV) in Kaiserslautern, für
den
Bezirksverband Pfalz tätig. So leitete er zusammen mit dem
ehemaligen
Gymnasiallehrer Bernhard Gerlach ehrenamtlich die letzten sechs
Jahre die
Arbeitsstelle „Geschichte der Juden in der Pfalz“ als Abteilung
des IPGV. Er
starb 72-jährig völlig überraschend nach einem Vortrag am 24.
Juni. „Mit Roland
Paul verliert die Pfalz einen wichtigen Botschafter und Vermittler
ihrer
Geschichte“, würdigte Bezirkstagsvorsitzender Theo Wieder den
langjährigen
Mitarbeiter. „Insbesondere seine Erforschung der
Wanderungsgeschichte der
Pfälzer in Nord- und Südamerika, aber vor allem auch der
Verfolgung der
jüdischen Bevölkerung während der NS-Zeit waren seine
herausragenden
Leistungen.“ Zahlreiche Publikationen habe er hinterlassen. Er
erinnerte daran,
dass er auch immer wieder mal Gast im Ausschuss für Gedenkarbeit
und
Demokratieförderung des Bezirkstags Pfalz gewesen sei, um von
seinen Projekten
zu berichten; zuletzt stellte er den Gremienmitglieder im
vergangenen Jahr die
Arbeitsstelle „Geschichte der Juden in der Pfalz“ in Frankenstein
vor, die eine
große Bibliothek mit über 6.000 Bänden, Dokumenten und etwa 80
Ordnern, gefüllt
mit Interviews von emigrierten Pfälzer Juden und Jüdinnen sowie
Presseartikeln,
beherbergt.
Roland Paul wurde 1951 in Landstuhl geboren und wuchs in
Steinwenden auf. Nach
dem Abitur in Kaiserslautern studierte er an der
Erziehungswissenschaftlichen
Hochschule Rheinland-Pfalz, Abteilung Landau, und legte 1975 die
erste
Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen ab; die
zweite
Staatsprüfung folgte drei Jahre später. Es schloss sich ein
berufsbegleitendes
Studium der Geschichte und Volkskunde in Mainz an. 1978 wechselte
er zum
Bezirksverband Pfalz; als wissenschaftlicher Mitarbeiter im
Institut wurde er
Abteilungsleiter für Migrationsgeschichte und Volkskunde sowie
Stellvertreter
des damaligen Direktors Karl Scherer. Sein Engagement wurde unter
anderem mit
dem Wappenteller des Historischen Vereins der Pfalz, der Goldenen
Zeile des
Deutschen Journalistenverbands, Bezirk Pfalz, der
Hermann-Sinsheimer-Plakette
der Stadt Freinsheim und der Friedenstaube für die Aufarbeitung
der
jüdisch-deutschen Geschichte, verliehen vom Landrat des
Donnersbergkreises,
ausgezeichnet.
Quelle:
https://www.nachrichten-kl.de/2023/06/26/unermuedlich-fuer-die-pfalz-im-einsatz-zum-tod-von-roland-paul/
Even after his retirement, Roland Paul, a long-time researcher and
from September 2012 to 2016 Director of the Institute for
Palatinate History and Folklore (IPGV) in Kaiserslautern, worked
for the Palatinate District Association. Together with the former
high school teacher Bernhard Gerlach, he has been running the
"History of the Jews in the Palatinate" department as a department
of the IPGV on a voluntary basis for the past six years. He died
unexpectedly at the age of 72 after a lecture on June 24th. "With
Roland Paul, the Palatinate loses an important ambassador and
mediator of its history," District Council Chairman Theo Wieder
paid tribute to the long-standing employee. "In particular, his
research into the migration history of the Palatinate in North and
South America, but above all the persecution of the Jewish
population during the Nazi era were his outstanding achievements."
He left behind numerous publications. He recalled that he had also
been a guest on the Palatinate District Council's committee for
memorial work and democracy promotion to report on his projects;
Most recently, last year he introduced the members of the
committee to the “History of the Jews in the Palatinate” office in
Frankenstein, which houses a large library with over 6,000
volumes, documents and around 80 folders, filled with interviews
with emigrated Palatinate Jews and press articles .
Roland Paul was born in Landstuhl in 1951 and grew up in
Steinwende. After graduating from high school in Kaiserslautern,
he studied at the University of Education in Rhineland-Palatinate,
Landau department, and passed the first state examination for
teaching at primary and secondary schools in 1975; the second
state examination followed three years later. This was followed by
an extra-occupational study of history and folklore in Mainz. In
1978 he moved to the Palatinate district association; as a
research associate at the institute, he became head of the
department for migration history and folklore and deputy to the
then director Karl Scherer. His commitment was awarded, among
other things, with the coat of arms plate of the Historical
Association of the Palatinate, the Golden Line of the German
Association of Journalists, District Palatinate, the Hermann
Sinsheimer Plaque of the City of Freinsheim and the Dove of Peace
for the processing of Jewish-German history, awarded by the
district administrator of the Donnersberg district.
Date: 2023/06/28 09:28:58
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>
Roland Geiger
---------------------
Good
morning,
The funeral service for Roland Paul will take place on Friday,
June 30, 2023 at 3 p.m. in the Protestant church in Steinwende.
The urn burial will take place at a later date in the immediate
circle of family and friends.
A contact address is not given, the obituary of the Rheinpfalz
states "Eberhard Paul with Marion, Tamara and Leon" as well as
Volker Leuchtmann.
In the Saarland genealogy list, Kurt Weinkauf described the way
to Steinwenden as follows:
How to get there:
=> At the Landstuhler Kreuz change to the Autobahn in the
direction of Trier
=> 1. Ramstein exit, drive in the direction of Ramstein
=> after about 600 m turn left towards Steinwenden
=> after 4 km and crossing the railway tracks up the hill
=> when entering the main street you can see the protestant
church
Best regards
Roland Geiger