Monatsdigest

[Regionalforum-Saar] Als die Reformatoren den Ortspfarr er im Verhör auspressten. Kirchen-Visitationsprotokolle des Herzogtums Pfalz-Zweibrücken zeigen Arbeit damaliger K ontrolleure.

Date: 2020/09/08 21:36:47
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Letzten Samstag in der Saarbr??cker Zeitung.

Als die Reformatoren den Ortspfarrer im Verh??r auspressten. Kirchen-Visitationsprotokolle des Herzogtums Pfalz-Zweibr??cken zeigen Arbeit damaliger Kontrolleure.

von Alexander Lang

Homburg/Zweibr??cken
Gleich bei der ersten Kirchen-Visitation im Herzogtum von 1538 bekam der Pfarrer von Pfeffelbach von der Visitationskommission geh??rig eins auf den Deckel. Zwar halte sich der Seelsorger ???mit seinem Weib und Kindern recht, aber er hab Wein (aus) geschenkt", vermerkte das hochherrschaftliche Kontrollgremium nach seinem Besuch in dem Dorf bei Kusel. Dass Pfarrer zur Aufbesserung ihrer kargen Bez??ge mit dem ihnen zustehenden Besoldungswein eine Art Strau??wirtschaft betrieben, sei bei Kontrollen h??ufig vermerkt worden, sagt der Homburger Kirchenhistoriker Bernhard Bonkhoff.

?? Der pf??lzische Ruhestandspfarrer hat in einer dreib??ndigen Reihe den ersten Band mit Kirchen-Visitationsprotokollen des Herzogtums Pfalz-Zweibr??cken f??r die Jahre 1538 bis 1555 vorgelegt. 1555 wurde beim Augsburger Religionsfrieden die lutherische Konfession der r??misch-katholischen gleichgestellt.

?? Die Protokolle geben ein gutes Zeugnis davon, wie sich in der Fr??hzeit der Reformation in der Region eine zun??chst lutherisch gepr??gte protestantische Landeskirche entwickelte. Das Herzogtum umfasste ein Gebiet, das von der Mosel ??ber Hunsr??ck, Nahe und Glan, das Nordpf??lzer Bergland, die S??dpfalz, das n??rdliche Elsass und das heutige Saarland reichte. Alle zwei bis drei Jahre ???visitierte" eine gemeinsame Kommission weltlicher und geistlicherW??rdentr?? ger die jeweiligen Kirchengemeinden: Die Kommission achtete auf Weisung des Zweibr??cker Landesherren streng darauf, dass die Kirchenzucht ??? die kirchliche Ordnung und Lehre ??? eingehalten wurde. Den Kommissionen geh??rten Superintendenten, Dekane, Theologieprofessoren, Amtm??nner, Kanzler sowie Landschreiber an.

?? Was die Mitglieder der reisenden Kommissionen zu bem??ngeln und manchmal auch zu loben hatten, schrieben sie in ihren Protokollen nieder, erz??hlt Bonkhoff. Sie gelten als ??lteste Quellen der Kirchen- und Ortsgeschichte.
?? Die Superintendenten und die protestantischen F??rsten h??tten die Einf??hrung der Reformation in ihrem Terrain nicht dem Zufall oder dem Handeln der einzelnen Ortspfarrer ??berlassen wollen, erz??hlt Bonkhoff. Anf??nglich wurden die Pfarrer und

Presbyterien zur Berichterstattung einbestellt, sp??ter reisten die angek??ndigten Kommissionen selbst an. Bei den Besuchen nahm man sich Pfarrer und Gemeinde, aber auch den B??rgermeister und die Gemeinder??te mindestens einen Tag lang zur Brust. Besonders von den Kindern wollte man wissen, ob sie brav den Katechismus aufsagen konnten. Im ???Verh??r" musste der Pfarrer beichten, wie er seine seelsorgerliche Arbeit verrichtete.
?? Die Kommissions-Mitglieder fragten aber auch, was in den D??rfern schieflief: Wer schlug seine Frau, wer trank, wer hexte ??? und wo waren Reste des katholischen Glaubens auszumachen? Die Misset??ter wurden verwarnt und ihnen f??r den Wiederholungsfall mit dem Gef??ngnis gedroht. Den Erfolg der Visitationen als Ma??nahme der Disziplinierung sch??tzt Bonkhoff indes nicht zu hoch ein. Die langj??hrige Arbeit eines Ortspfarrers habe sicher gr????eren Einfluss auf Glauben und Handeln seiner Gemeindeglieder gehabt als eine nur kurze Zeit anwesende Visitationskommission.

?? Kirchen-Visitationen haben eine lange Tradition von den Paulusbriefen des Neuen Testaments ??ber mittelalterliche ???Sendgerichte" bis zu den heutigen Kirchen-Visitationen, macht Bonkhoff deutlich. Mit den einstigen Kontrollbesuchen, vor denen ???die Pfarrer zitterten", habe eine Visitation heute nichts mehr gemein. Wenn ein Gremium des Speyerer Landeskirchenrats vorbeikomme, behandele das selbstbewusste Kirchenvolk dies eher ???als einen freundlichen Besuch", sagt er.


??

[Regionalforum-Saar] Häuserchronik der Geschichtsw erkstatt Brebach erschienen

Date: 2020/09/15 20:38:38
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Abend,

heute erhielt ich über die Mitteilungen des Vereins für Landeskunde die Information, daß heuer eine Häuserchronik von Brebach erschienen ist.

Sie hat 68 Seiten, zahleiche Abbildungen und ist für 6 Euro erhältlich bei Drogerie Degen, Sparkasse, Volksbank und im Kultur- und Lesetreff, alles in der Saarbrücker Straße in Brebach.

Oder direkt beim Herausgeber: geschichtswerkstatt.brebach(a)inkeb.org.

Beim Versand fallen zusätzlich € 1,60 Versandkosten an.

Von Bauherren, Bewohnern und Geschäftsinhabern:
- Die Häuserchronik der Geschichtswerkstatt Brebach -

Bitte nicht bei mir bestellen, ich bin nur der Überbringer der Nachricht.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] A. Stieldorf (Hrsg.): Die Urkunde

Date: 2020/09/15 22:30:29
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Die Urkunde. Text - Bild - Objekt

Herausgeber Andrea Stieldorf
Reihe Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. Beihefte 12
Erschienen Berlin 2019: de Gruyter
Anzahl Seiten VIII, 429 Seiten
Preis: 99,95 Euro (gibt’s auch fürn Kindle, kostet genausoviel)


ISBN 978-3-11-064396-1

Inhalt => meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-58649.pdf

Rezensiert für H-Soz-Kult von Andrea Rzihacek, Institut für Mittelalterforschung, Abteilung Editionsunternehmen und Quellenforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften

Dem interdisziplinären und transkulturellen Ansatz der Reihe folgend widmet sich der vorliegende Band erstmals Funktion und Bedeutung einer spezifischen Quellengattung, nämlich der Urkunde. Urkunden wird in der europäischen Mediävistik traditionell größtes Gewicht beigemessenen, Diplomatik und Urkundenforschung gehören zum Kernbereich der mediävistischen Quellenforschung. Vergleichende Darstellungen diplomatischer Quellen in verschiedenen Kulturen fehlen jedoch bisher weitgehend. Umso begrüßenswerter ist die im Band vorgenommene Fokussierung auf Urkunden über disziplinäre, kulturelle und zeitliche Grenzen hinweg.

Der Band ist das Ergebnis einer interdisziplinären Tagung, die im September 2017 in Bonn stattfand und die Quellengattung Urkunde aus verschiedenen Richtungen in den Blick nahm, wobei sich die auf Michael Clanchy zurückgehende Betrachtung unter den Aspekten ihrer Herstellung, ihres Gebrauchs und ihrer Aufbewahrung durch alle Beiträge zieht.[1]

Die 13 Aufsätze des Bandes verteilen sich auf die drei bereits im Titel thematisierten Bereiche. Jeweils fünf Beiträge befassen sich mit der Urkunde als Rechtsmittel bzw. mit ihrem äußeren Erscheinungsbild zwischen Recht und Repräsentation, drei Beiträge mit der Überlieferung von Urkunden in anderen Medien wie Kopiaren und Inschriften. Die vertretenen Disziplinen umfassen ein breites Spektrum von Diplomatik und Rechtsgeschichte über Judaistik, Germanistik, Islamwissenschaft und Tibetologie bis hin zur Kunstgeschichte und Epigraphik. Trotz des transkulturellen Anspruchs entfallen nur zwei Arbeiten auf außereuropäische Bereiche, nämlich den persisch-islamischen und den tibetischen Rechtsraum. Innerhalb des abendländisch-lateinischen Kulturbereichs sind Regionen des Heiligen Römischen Reichs, Italien, England und Katalonien sowie die Papsturkunde vertreten. Dazu kommt ein Aufsatz zu Herrscherurkunden des byzantinischen Reichs. Schade ist, dass Tagungsbeiträge zum Osmanischen Reich und China in die Publikation nicht aufgenommen werden konnten.

Inwiefern Urkunden Aufschlüsse über Prozesse der „kulturellen Begegnung und des kulturellen Austausches“ (so Stieldorf S. 4) geben können, demonstriert Eveline Brugger anhand des jüdischen Urkundenwesens im spätmittelalterlichen Österreich (S. 19–40). Obwohl in der lokalen christlichen Tradition stehend, fanden in die Urkunden, die meist Darlehensgeschäfte zwischen Christen und Juden betreffen, auch hebräische Formeln und Zusätze wie Gewährleistungsformeln und hebräische Unterschriften Aufnahme, die deren Gültigkeit auch nach jüdischem Recht garantierten. Sehr gut sichtbar wird in diesem Beitrag der Pragmatismus, der das christlich-jüdische Zusammenleben im Mittelalter im Schatten von Vorurteilen, Verfolgungen und Vertreibungen auch prägte und der in den Urkunden als Quelle eines lebendigen, stets im Wandel begriffenen und den Gegebenheiten angepassten Rechtslebens seinen Niederschlag fand. Die Betrachtung von Quellen unter ihrem funktionalen und pragmatischen Aspekt leitet auch Klaus Herbers (S. 125–139), wenn er für die terminologische Unterscheidung zwischen Papsturkunden und Papstbriefen nicht formale und inhaltliche Kriterien heranzieht, sondern stattdessen den Kommunikationszusammenhang und die Überlieferung als die wesentlichen unterscheidenden Merkmale zwischen den beiden Gattungen hervorhebt. Systematisch und prägnant geht auch Martin Roland (S. 259–327) der funktionalen Seite von Urkunden nach, wie sie sich in den Miniaturen illuminierter Urkunden und deren Abschriften darstellt, die den performativen Charakter etwa der Übergabe und Öffentlichmachung von Urkunden illustrieren.

Wie Herbers führt auch Christoph U. Werner ein terminologisches Problem zu seinen Überlegungen über die Anwendbarkeit des Begriffs der „Privaturkunde“ im persisch-islamischen Kulturkreis (S. 141–160). Dessen Übernahme aus der für das Heilige Römische Reich entwickelten Diplomatik trifft auf das „Unbehagen außereuropäischer historischer Forschung“ (S. 142), was kaum verwundert, da er selbst im deutschsprachigen Bereich immer wieder hinterfragt wurde und sich schon für andere Regionen Europas nicht sinnvoll anwenden lässt. Hier wie dort findet er aber in Ermangelung einer befriedigenderen Bezeichnung für Dokumente, die nicht von einem Herrscher oder einem Papst ausgestellt wurden, weiterhin Verwendung, auch wenn sich zumindest für den persisch-islamischen Bereich Unterscheidungen nach der Rechtswirksamkeit und Formgebundenheit von Dokumenten sowie dem Zuständigkeitsbereich des Ausstellers als zielführender zu erweisen scheinen.

Dass auch Studien, die kaum oder nur wenige Resultate zutage bringen, gerade deswegen einen wertvollen Forschungsbeitrag liefern können, zeigt die Arbeit von Andrea Schindler, die Urkundenbegriffen in mittelhochdeutschen Romanen nachgeht (S. 99–124). Obwohl adelige Eliten, in deren Umkreis die untersuchte Literatur entstand, wesentliche Akteure des Beurkundungs- und Urkundenwesens waren, finden sich Ausdrücke, die Urkunden oder deren Beglaubigungsmittel benennen, in den Texte nur selten und wenn, dann vorwiegend in übertragenem, metaphorischem Sinn. Ebenso aussagekräftig sind die Ergebnisse von Irmgard Fees, deren Untersuchungen hochmittelalterlicher Bischofsurkunden des 10. bis 12. Jahrhunderts (S. 199–232) ergeben, dass von 3000 untersuchten Urkunden nur 2% graphische Symbole (abgesehen von Chrismon und Kreuz) aufweisen. Ausnahmen bilden hier lediglich die (Erz-)Bistümer Salzburg und Augsburg zwischen 1120 und 1200, wo neben den der Papsturkunde entlehnten Zeichen auch von der Herrscherurkunde beeinflusste Namensmonogramme und Rekognitionszeichen begegnen, was, wie gezeigt wird, nahezu immer als Ausdruck der individuellen Selbstwahrnehmung der ausstellenden Persönlichkeit zu werten ist. Wenige Treffer verzeichnet auch Franz Bornschlegel bei seinen Nachforschungen über den Einfluss der Urkundenschrift auf Urkundeninschriften bzw. Urkunden imitierende Inschriften (S. 331–361). Während sich das Vorbild epigraphischer Schriften und Schriftzeichen durchaus in Urkunden niederschlägt, beschränken sich vorlagengetreue Imitationen von Urkundenschriften und -symbolen in den noch im Original erhaltenen Urkundeninschriften vor allem auf Siegel, Subskriptionszeichen und vergrößerte Buchstaben des Protokolls sowie vereinzelt auf Andeutungen des Beschreibstoffes. Grenzen, sowohl in den Resultaten als auch in deren Darstellung und Interpretation, zeigt auch der Beitrag von Alheydis Plassmann auf, die sich mit den Möglichkeiten der statistischen Auswertung von Urkunden („Datamining“) befasst (S. 41–97) und dafür die von Heinrich II. von England zwischen 1154 und 1189 ausgestellten Urkunden für Empfänger aus England und den französischen Herrschaftsbereichen heranzieht. Ziel ist es, anhand von Personen- und geographischen Daten der 3000 ausgewerteten Urkunden Herrschaftsstrukturen und Vernetzungen sowie regionale Verflechtungen zu zeigen. 27 Karten und 9 Tabellen veranschaulichen die Ergebnisse. Zu Recht weist Plassmann dabei auf die Verzerrung aller aus Urkunden gewonnenen statistischen Ergebnisse aufgrund von Überlieferungslücken hin und betont die Unabdingbarkeit klarer Fragestellungen, die mit statistischen Mitteln beantwortbar sind. In der Auswertung ihrer Resultate demonstriert sie, dass statistisch erhobene Ergebnisse nur dann von wissenschaftlichem Wert sind, wenn sie in Kenntnis und unter Einbeziehung der historischen Zusammenhänge interpretiert und Überlieferungs- bzw. Datenlücken mitberücksichtigt werden. Wie sie (S. 53) einräumt, sind „grundstürzend neue Ergebnisse“ durch die statistische Auswertung in der Regel nicht zu erwarten, allerdings vermag diese aber „das ein oder andere Goldstück“ zutage zu fördern, das im Datendschungel vielleicht sonst nicht sichtbar geworden wäre. Kosten und Nutzen bleiben daher im Einzelfall abzuwägen. Unbestreitbar ist aber, dass die mit der statistischen Methode verbundene, meist einfach zu bewerkstelligende (anschauliche und eindeutige) Visualisierung der Ergebnisse von Vorteil sein kann.

Mehrere Beiträge der Publikation beschäftigen sich in der Tradition Peter Rücks mit Vorkommen, Herkunft und Bedeutung graphischer Symbole in Herrscherurkunden verschiedener Regionen. Im Beitrag von Peter Schwieger über das Erscheinungsbild tibetischsprachiger Herrscherurkunden (S. 163–181) werden überraschende funktionale und formale Übereinstimmungen mit lateinischen Herrscherurkunden in Aussehen und Formular aufgezeigt, die die Anwendbarkeit der für die „europäische Diplomatik“ entwickelten Terminologie auf tibetische Herrscherurkunden ermöglichen (S. 163). Ebenso Neuland betritt Andreas E. Müller, wenn er sich der byzantinischen großen kaiserlichen Privilegienurkunde widmet (S. 183–198). Die nur etwa 150 erhaltenen Originale lagern zum größten Teil in den kaum zugänglichen Archiven der Athosklöster. Auch sie zeigen auffallende Parallelen zu den römisch-deutschen Herrscherurkunden wie eine der Elongata vergleichbare Auszeichnungsschrift und die besondere Minuskelschrift des Kontexts, aber auch auffallende Unterschiede, wie mit roter Tinte nachträglich vom „Hüter des kaiserlichen Tintenfasses“ (S. 191) eingetragene Rotworte, spezielle Beglaubigungsformeln sowie die kaiserliche Unterschrift. Einzelne dieser Merkmale, wie die Verwendung roter Tinten und die Unterschrift(sformel) des Herrschers, finden sich übrigens – vermutlich von Byzanz beeinflusst – auch in den Urkunden der normannisch-sizilischen Könige, besonders Rogers II.

Welche Rolle imitierende Kopien von Herrscherurkunden mit ihren detailgetreuen Nachzeichnungen graphischer Elemente oder der diplomatischen Minuskel spielen, untersucht Wolfgang Huschner für geistliche Empfänger Italiens (S. 363–381) und kommt zu dem – wenig überraschenden – Ergebnis, dass diese, wie auch die Anlage von Kopialbüchern, in der Hauptsache Sicherungszwecken dienten. Dazu stellt er Überlegungen zur späteren Verwendung von früh- und hochmittelalterlichen Diplomen an, die bzw. deren Abschriften im Streitfall noch bis weit in die Neuzeit hinein bei Gerichtsprozessen vorgelegt wurden, ein Umstand, der oft für die Überlieferungsdichte eines Textes mitentscheidend ist. Nicht mit einbezogen wird von Huschner die Frage nach dem Zweck imitierender Abschriften in Kopialbüchern, denen sich Susanne Wittekind in ihrem Beitrag über katalanische Chartulare widmet (S. 383–417). Sie zeigt, dass diese neben der Sammlung, Sicherung und Ordnung von Urkunden und den mit ihnen verbundenen Rechtstiteln durch entsprechenden Bildschmuck und kalligraphische Gestaltung auch der Legitimation und Selbstdarstellung des Auftraggebers dienten und zu bestimmten Anlässen öffentlich gezeigt wurden.

Die Urkundenforschung versteht ihren Untersuchungsgegenstand traditionell als Quelle, die im Schnittpunkt verschiedener historischer Disziplinen steht.[2] Für die Kunstgeschichte können illuminierte Urkunden Relevanz besitzen, wie Gabriele Bartz anhand der Avignoneser Bischofsammelindulgenzen (S. 233–258) zeigt, die datierbares Vergleichsmaterial für die Untersuchung zeitgenössischer Buchmalerei bieten. Das Nebeneinander von innovativen und traditionellen Stilelementen führt sie dabei plausibel auf Wünsche und finanzielle Möglichkeiten der Empfänger zurück.

Kritikpunkte zum vorliegenden Band lassen sich insgesamt nur wenige anführen. Der außereuropäische Bereich bleibt zumindest in der Publikation letztendlich etwas unterrepräsentiert, auch vermisst man Beiträge zu wichtigen Schnittpunkten verschiedener Kulturen und Urkundentraditionen wie etwa dem normannisch/staufischen Königreich Sizilien, wo Unterschiede und gegenseitige Beeinflussungen besonders gut sichtbar sind und das reiches und wertvolles Vergleichsmaterial bieten würde. Einige kleine drucktechnische Schönheitsfehler stören die ansonsten ansprechende Gestaltung des Bandes, etwa beim Layout, wenn Seiten unvermittelt und ohne Not zum Teil unbedruckt bleiben (etwa S. 133 und S. 189) oder die letzte Zeile der Tabelle S. 42 auf die nächste Seite verschoben wird. Die Karten im Beitrag Plassmann irritieren durch Punkte, die einander mitunter mehrfach überschneiden und so ihrer Aussagekraft beraubt werden. Im Beitrag Bartz ging S. 234 Anm. 2 die letzte Zeile der Anmerkung verloren.

Insgesamt gelingt der Herausgeberin Andrea Stieldorf mit dem vorliegenden Sammelband aber ein bedeutender Schritt in der Weiterentwicklung der Diplomatik und Urkundenforschung, indem Felder zukünftiger komparativer Forschung erschlossen und wichtige Anregungen für terminologische Nachschärfungen sowie die Einbeziehung bisher unbeachteter Aspekte, die sich aus anderen Disziplinen gewinnen lassen, aufgenommen werden.

Anmerkungen:
[1] Bezugspunkt ist die erste Formulierung dieses Ansatzes bei Michael Clanchy, From Memory to Written Record. England 1066–1307, Oxford 1979, S. 25.
[2] Zur Abgrenzung zwischen Diplomatik und Urkundenforschung vgl. etwa bereits das Geleitwort zum ersten Band der Zeitschrift "Archiv für Urkundenforschung": Harry Bresslau / Michael Tangl / Karl Brandi, Einführung, in: Archiv für Urkundenforschung 1 (1908), S. 1–4.


[Regionalforum-Saar] Kaden und Schneider

Date: 2020/09/20 11:10:55
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Morgen,

ich suche eine Firma namens „Kaden und Schneider“, ggf. auch „Keden und Schneider“, das „und“ ggf. auch als „&“, die um 1904 irgendwo im Großraum um St. Wendel angesiedelt war, ggf. auch in Neunkirchen oder Saarbrücken. Sie muß im Baugewerbe angesiedelt sein.

Sie wird auf einer Postkarte genannt, die von St. Wendel nach Dresden versandt wurde. Dort heißt es „Jager ist hier kürzlich in einer Submission gegen Keden & Schneider unterlegen, er hat sich fast schwarz geärgert.“
Eine "Submission" war eine öffentliche Ausschreibung

Wer Jager ist, weiß ich auch nicht.

Ggf. hat jemand eine Idee.

Herzlichen Dank.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] Reichsanzeiger von

Date: 2020/09/20 13:55:09
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Hallo,

eben erhielt ich von Manfred Caspari aus Niederlinxweiler einen super Hinweis auf eine Quelle, den Reichsanzeiger.

Sie finden ihn hier => https://digi.bib.uni-mannheim.de/periodika/reichsanzeiger/

"Der Deutsche Reichsanzeiger und Preußische Staatsanzeiger war eine Zeitung, die bis vermutlich 14. April 1945 erschien und als amtliches Presseorgan von Deutschem Reich und Preußen fungierte. Die Geschichte der Zeitung reicht über mehrere Vorläufer mit anderen Titeln im Reich sowie in Preußen bis auf eine Erstausgabe vom 2. Januar 1819 zurück:

  • Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, 1819,1 (2. Januar) – 1843,179 (30. Juni)
  • Allgemeine Preußische Zeitung, 1843,1 (1. Juli) – 1848,119 (30. April)
  • Preußischer Staats-Anzeiger, 1848,1 (1/3. Mai) – 1851,179 (30. Juni)
  • Königlich Preußischer Staats-Anzeiger, 1851,1 (1. Juli) – 1871,116 (2. Mai)
  • Deutscher Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischer Staats-Anzeiger, 1871,1 (4. Mai) – 1918,267 (9. November)
  • Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger, 1918,268 (12. November) – 1945,49 (14. April)

Das Nachfolgeblatt in der Bundesrepublik ist der Bundesanzeiger. Sie finden hier alle digitalisierten Ausgaben von 1819 bis 1945. Die Veröffentlichungsplattform befindet sich allerdings noch in der Entwicklung und kann fortlaufend aktualisiert werden."

Und hier können Sie online darin suchen => https://digi.bib.uni-mannheim.de/periodika/reichsanzeiger/suche/

Das Ergebnis kommt als OCR-Text. In der Mitte oben kann man sich den Scan anschauen. Auf dem Scan findet sich der Eintrag meist alphabetisch unter dem jeweiligen Ort.

Ich hab natürlich erst mal dort rumgewühlt, habe über 4000 Einträge für St. Wendel gefunden, aber auch den Eintrag von 1899, mit dem Eugen Berl in St. Wendel seine Firma eintragen ließ.

Eine wirklich tolle Quelle.

Herzlichen Dank, Manfred.


-- 
Mit freundlichen Grüßen
 
Roland Geiger
 
--------------------

Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de

[Regionalforum-Saar] Die Öffnung der Welt. Eine Globalgeschichte des Hellenismus

Date: 2020/09/20 21:56:39
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Autor  Chaniōtēs, Angelos
Erschienen  Darmstadt 2019: Theiss Verlag
Anzahl Seiten  542 S.
Preis  € 35,00
ISBN  978-3-8062-3993-5
Rezensiert für H-Soz-Kult von Anja Busch, Arbeitsbereich Alte Geschichte, Universität Hamburg

Bei „Die Öffnung der Welt“ handelt es sich um ein Sachbuch, in dem Angelos Chaniotis die „Kulturgeschichte des Hellenismus“ bis weit über die üblicherweise gesetzte Epochengrenze hinaus bis in römische Zeit, genauer bis zum Tod Kaiser Hadrians im Jahr 138 n. Chr., schildert. Das Ende des Hellenismus wird im herkömmlichen Sinn durch Kleopatras Suizid im Jahr 30 v. Chr. und dem damit einhergehenden Ende des letzten Diadochenreiches markiert. Chaniotis fasst den Hellenismus jedoch nicht als ein Phänomen, das allein an politischen Gegebenheiten festzumachen ist, sondern legt überzeugend dar, dass die gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen mit dem Tod der letzten Königin der Ptolemäerdynastie keine Zäsur erfuhren. Die Hellenisierung von Gesellschaft und Kultur in der östlichen Mittelmeerwelt sowie den östlicheren Regionen der damals bekannten Welt setzt sich weit über die Momente der Unterwerfung der hellenistischen Staaten unter die neue römische Großmacht hinaus fort. Daher weitet Chaniotis den Zeitraum seiner Untersuchung auf die folgenden zwei Jahrhunderte aus.

Erklärung verlangt weniger der Umstand, dass die Untersuchung nicht mit Kleopatras Tod endet, sondern vielmehr, warum als ereignisgeschichtlicher Endpunkt der Tod Hadrians gewählt wird. Denn auch hier erfahren die mit Alexanders des Großen Zug nach Osten und damit dem Beginn des Hellenismus angestoßenen wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Entwicklungen kein abruptes Ende. Chaniotis kann seine Entscheidung gut damit begründen, dass die „Einheit der Griechen eines der übergeordneten Themen dieses Buches“ sei. Mit der Einrichtung des Panhellenions unter Hadrians Herrschaft werde der Kreis geschlossen, „der mit den Bemühungen Philipps II. von Makedonien und seines Sohnes Alexander, alle Griechen zu vereinen [Anm. gemeint ist der Panhellenenbund], seinen Anfang genommen hatte“ (S. 12).

Die 16 Kapitel des Buches folgen aufeinander in einer teils chronologischen, teils thematisch schlüssigen Ordnung, beginnend mit der Ausweitung des von Philipp begründeten Herrschaftsgebietes nach Osten und der Festsetzung seiner Grenzen durch Alexander den Großen sowie der Etablierung der Monarchie nach Alexanders Prägung. Kapitel 2 beschäftigt sich mit der Konsolidierung der hellenistischen Königreiche durch die Diadochen nach dem Zerfall des Alexanderreiches als Folge des Todes Alexanders und dem Ringen ambitionierter Männer – und auch Frauen – um die politische Oberhand. Als Besonderheit des Königstitels, wie ihn die Diadochen und deren Nachfolger seit 306/5 v. Chr. für sich in Anspruch nahmen, stellt Chaniotis fest, dass dieser nicht ethnisch oder geographisch determiniert war, sondern bedeutete, „dass die Diadochen Könige all jener Länder waren, die sie würden erobern und in ihrem Besitz halten können“ (S. 53f.). Daraus erklären sich Bemühungen um Gebietseroberungen, die in der Folge häufig Konfrontationen zwischen Diadochenherrschern untereinander nach sich zogen.

Die Entwicklung des „alten“ Griechenlands im 3. Jahrhundert v. Chr., das von Kriegen unterschiedlichster Art (Konflikten einzelner Poleis untereinander oder mit den makedonischen Machthabern, Invasionen etwa durch Kelten oder Parther unter anderem) geprägt war, ist Gegenstand von Kapitel 3. Kapitel 4 behandelt die Ptolemäerzeit ausgehend von Ptolemaios II. und die zahlreichen Konflikte zwischen den Reichen der Ptolemäer und Seleukiden. Dabei ging es jedoch nicht nur um Gebietserweiterungen des jeweiligen politischen Einflussbereichs, sondern auch um die Legitimierung der Herrschaft der jeweils konkurrierenden Kriegsparteien durch militärische Erfolge (S. 95). Zudem beschränkten sich die Konflikte nicht allein auf die beiden Reiche; weite Teile der hellenistischen Welt wurden in das Kriegsgeschehen hineingezogen, und schließlich trat seit 217 v. Chr. auch Rom als politische Größe im östlichen Mittelmeerraum auf.

Kapitel 5 beschäftigt sich mit dem Phänomen der hellenistischen Monarchien. Legitimierten die Diadochen ihr Königtum durch militärische Erfolge – und nicht etwa durch Herkunft oder ein jährliches Amt[1], zählte nach der Etablierung ihrer Dynastien wieder das dynastische Prinzip als Grundlage monarchischer Herrschaft (S. 106–11), ohne dass die Bedeutung des Heeres als Grundlage königlicher Macht verloren gegangen wäre (S. 125–30). Differenziert wird auf die vielfältigen Herausforderungen eingegangen, mit denen sich die Könige der Diadochendynastien in den von ihnen beherrschten Gebieten konfrontiert sahen. Einen konsequenten Anschluss dazu bietet Kapitel 6, das mit dem Fokus auf die Poleis und das Weiterbestehen ihrer Institutionen sowie auf Städtebünde diejenigen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen beleuchtet, welche den Alltag des größten Teils der Bevölkerung prägten.

Kapitel 7 nimmt auf, was am Ende von Kapitel 4 quasi als Cliffhanger stehen gelassen wurde: Roms Ausgreifen nach Osten und die damit verbundenen „Verflechtungen“ zwischen römischem Imperium und hellenistischer Staatenwelt.[2] Kapitel 8 und 9 handeln von der Provinzialisierung Griechenlands und Kleinasiens durch Rom zum einen, Asiens und Ägyptens zum anderen und damit einhergehend dem Niedergang der jeweils in diesen Gebieten herrschenden hellenistischen Dynastien. Der Einfluss der wachsenden römischen Dominanz auf den Osten und der Aufstieg hier prägend wirkender römischer Persönlichkeiten (Sulla, Pompeius, Julius Caesar, Marcus Antonius und Octavian) ist Gegenstand von Kapitel 10. Kapitel 11 und 12 beleuchten die von hier, parallel zur Einrichtung des Prinzipats unter Augustus, ausgehenden politischen Entwicklungen des griechischen Ostens während der römischen Kaiserzeit bis zum Tod Hadrians. Sozioökonomische sowie gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen im Osten, die vielfach bereits in hellenistischer Zeit angestoßen wurden und sich in römischer Zeit fortsetzten, werden in Kapitel 13 und 14 thematisiert. Hier wird deutlich, dass der Niedergang der hellenistischen Reiche und die Integration Griechenlands und des Ostens in das Römische Reich für die Bevölkerung in vielen Lebensbereichen keinen Umbruch brachten. Kapitel 15 behandelt Religion und religiösen Wandel im „langen hellenistischen Zeitalter“ (S. 397), wobei soziale und politische Faktoren, welche diese zwischen dem 4. Jahrhundert v. Chr. und dem 2. Jahrhundert n. Chr. beeinflussten, berücksichtigt werden. Das Kapitel schließt nach der Betrachtung verschiedener überregional einflussreicher Kulte und religiöser Phänomene mit dem Aufkommen des Christentums und seiner religionsgeschichtlichen Einordnung.

Resümierend betrachtet Chaniotis in Kapitel 16 das Zusammenwachsen der Oikumene aus griechischer Perspektive, in der sich bei Beibehaltung lokaler Traditionen und Charakteristika eine einigermaßen homogene Kultur (nicht zuletzt durch die Verbreitung der griechischen Sprache) entwickelte. Im Anhang des Buches finden sich eine ausführliche Zeittafel, acht übersichtlich gestaltete Karten, Abkürzungs- und thematisch geordnetes Literaturverzeichnis sowie eine allgemeine Bibliographie, ein Verzeichnis der insgesamt 38 Abbildungen im Buch und ein Register.

Chaniotis‘ Darstellung ist durchweg ansprechend. Vergleiche mit politischen und kulturellen Entwicklungen der jüngsten Weltgeschichte tragen dazu bei, die griechisch-römische Antike besser erfahrbar zu machen. Aufgelockert wird die an Informationen dichte Darstellung durch gelegentliche popkulturelle Referenzen: Chaniotis zitiert etwa eine Folge der Serie Star Trek, in der die griechischen Götter sich angesichts der Ausbreitung des Christentums auf den Pollux IV zurückgezogen haben (S. 407). Ein anderes bekanntes Zitat ist die eigentlich rhetorisch intendierte Frage des Anführers der Volksfront von Judäa nach den Leistungen der römischen Besatzer in Monty Pythons Leben des Brian („Was haben die Römer je für uns getan?“) mit den kaum anfechtbaren Antworten seiner Mitstreiter (S. 321). Zu würdigen ist nicht zuletzt auch die Leistung Martin Hallmannseckers. Diesem gebührt Anerkennung für die gut lesbare Übersetzung des englischen Textes ins Deutsche. Mit „Die Öffnung der Welt. Eine Globalgeschichte des Hellenismus“ hat Chaniotis ein Handbuch vorgelegt, das mit seiner inhaltlichen Dichte nicht nur eine höchst informierte, sondern zugleich anregende Lektüre bietet.

Anmerkungen:
[1] Zitiert wird Suda, s. v. basileia (Adler B147), wonach die Fähigkeit ein Heer zu führen und kluges Handeln in politischen Angelegenheiten Voraussetzungen für den Erhalt des Königtums sind.
[2] Chaniotis bezieht sich dabei auf die Polyb. 1,3,1–4 als symploke beschriebene Entwicklung.

 

[Regionalforum-Saar] Eine Reportage über die Gesch ichte des Schiedsmannswesens im Radio

Date: 2020/09/20 22:27:09
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Guten Abend,

voriges Jahr im Januar übergab mir der Wirt des Gasthauses „Café Journal“ ein handgeschriebenes, etwas verstaubtes Buch, das bei Umbauarbeiten in einem Nachbarhaus gefunden worden war.

Es handelt sich dabei um das erste St. Wendeler Schiedsmannsbuch, d.h. die Aufzeichnung der Protokolle, die die ersten fünf Schiedsmänner ab 1879 bis 1917 über ihre „verhandelten“ Fälle aufgeschrieben haben. Ehrenhändel, Klatsch, kleinere Handgreiflichkeiten, so’n Zeug eben.

Ich habe das Buch abgeschrieben und im letzten Jahr unter dem Titel „Verhandelt in St. Wendel“ auf den Markt gebracht, ergänzt um einen ausführlichen Familienteil, in dem ich versucht habe, die genealogischen Daten der „teilnehmenden“ Familien zu bestimmen. War ein Haufen Arbeit und hat richtig viel Spaß gemacht.

Letzten Februar sprach mich nun Frank Hofmann, Redakteur des Saarländischen Rundfunks an, der beabsichtigte, auf Basis des Buches eine etwa halbstündige Reportage über die saarländischen Schiedsmänner zusammenzustellen. Wir verabredeten den 20. März als Gesprächstermin; am Tag zuvor stoppte Corona alle guten Pläne. Ein paar Wochen später wickelten wir unser Gespräch über Skype ab - was nicht zuletzt aufgrund der mehr als mangelhaften Verbindungen in unserem Ländle eine ziemliche Herausforderung bedeutete - wie oft geschah es, daß ich ihn sprechen sah, aber nicht hörte, oder sein Bild eingefroren war, aber seine Stimme durchkam. Und wie oft brach die Verbindung einfach so mir nix, dir nix zusammen.

Jetzt - nach langen Monaten Arbeit, in der er auch mit richtigen, d.h. aktiven Schiedsmännern im Land gesprochen hat - ist die Reportage fertig geworden und am 13. September morgens bei SR3 durch den Äther gejagt worden.

Früher war das ne einmalige Sache, und wenns jemand nicht wußte und der Kassettenrecorder nicht bereitstand, dann war so ne Aufnahme schnell unerreichbar.

Heute ist das anders. Ein- oder zweimal wird’s gesendet, dann kommts in die Mediathek und jeder kann es dort abgerufen werden - sofern er den Link kennt. Friedrich Denne, der auch interviewt wurde, hat mir den Link geschickt.

Hier ist er: =>
https://www.youtube.com/watch?v=hx3VhG3Sr9o

Schalten Sie den Lautsprecher an oder setzen Sie den Kopfhörer auf, machen Sie es sich bequem und hören Sie einfach nur zu - gut 26 Minuten lang.

Viel Spaß.

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] mit den hessischen Truppen in die amerikanischen Kolonien

Date: 2020/09/21 21:43:31
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Auf zu neuen Ufern

In der neuen Ausgabe der „Computergenealogie“wird auf eine Datenbank verwiesen, in der sich hessische Truppen finden, die in den 1770-80ern an die Engländer verhökert wurden, um in den Kolonien gegen die Aufständischen zu kämpfen.

Diese Datenbank findet sich auf der Website des Landesgeschichtlichen Informationssystem Hessen (LAGIS).

Dort fand ich schnell die Suchfunktion unter „https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/index/sn/hetrina“

Nun hatte ich zwar keinen Namen, den ich suchen konnte, also gab ich auf gut Glück den Namen meiner Heimatstadt St. Wendel ein und erhielt tatsächlich 34 Treffer auf „St.“ und „Wendel“ und zwei auf „St. Wendel“:

=> Schwindler, Jakob (* ca. 1763), St. Wendel – rekrutiert, Februar 1781
=> Schwindler, Jakob (* ca. 1763), St. Wendel – von der Einheit wegversetzt, September 1783

Dann schaute ich in meiner eigenen Datenbank nach und fand einen Jakob Schwendler, geb. am 3. August 1761 in St. Wendel, Sohn von Michael und Catharina Schwendler, über den ich sonst nichts weiß.

Die Chance ist gut, daß es sich um dieselbe Person handelt.

Jakob Schwindler wurde im Februar 1781 ins Hessen-Hanauische Freikorps 5 rekrutiert, das sich am 15. Januar 1781 mit 830 Soldaten der leichten Infanterie von Hanau aus auf den Weg in die amerikanischen Kolonien aufgemacht hatte.

Wie das genau geht - vor allem in Bezug auf die zeitlichen Differenzen - habe ich noch nicht herausgefunden.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

Re: [Regionalforum-Saar] mit den hessischen Truppen in die amerikanischen Kolonien

Date: 2020/09/22 09:34:29
From: Margarete Stitz <ma.stitz(a)gmx.de>

Salve,

zu dieser Sache fällt mir Schiller, Kabale und Liebe II 2 ein, wo ein Kammerdiener eine derartige Rekrutierung beschreibt, die seine Söhne betraf. Schillers Drama erschien 1783.

Herzlich M.S.

 

Von: regionalforum-saar-bounces(a)genealogy.net [mailto:regionalforum-saar-bounces(a)genealogy.net] Im Auftrag von Roland Geiger via Regionalforum-Saar
Gesendet: Montag, 21. September 2020 21:43
An: Regionalforum; Forum Saarland Genealogie
Betreff: [Regionalforum-Saar] mit den hessischen Truppen in die amerikanischen Kolonien

 

Auf zu neuen Ufern

In der neuen Ausgabe der „Computergenealogie“wird auf eine Datenbank verwiesen, in der sich hessische Truppen finden, die in den 1770-80ern an die Engländer verhökert wurden, um in den Kolonien gegen die Aufständischen zu kämpfen.

Diese Datenbank findet sich auf der Website des Landesgeschichtlichen Informationssystem Hessen (LAGIS).

Dort fand ich schnell die Suchfunktion unter „https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/index/sn/hetrina“

Nun hatte ich zwar keinen Namen, den ich suchen konnte, also gab ich auf gut Glück den Namen meiner Heimatstadt St. Wendel ein und erhielt tatsächlich 34 Treffer auf „St.“ und „Wendel“ und zwei auf „St. Wendel“:

=> Schwindler, Jakob (* ca. 1763), St. Wendel – rekrutiert, Februar 1781
=> Schwindler, Jakob (* ca. 1763), St. Wendel – von der Einheit wegversetzt, September 1783

Dann schaute ich in meiner eigenen Datenbank nach und fand einen Jakob Schwendler, geb. am 3. August 1761 in St. Wendel, Sohn von Michael und Catharina Schwendler, über den ich sonst nichts weiß.

Die Chance ist gut, daß es sich um dieselbe Person handelt.

Jakob Schwindler wurde im Februar 1781 ins Hessen-Hanauische Freikorps 5 rekrutiert, das sich am 15. Januar 1781 mit 830 Soldaten der leichten Infanterie von Hanau aus auf den Weg in die amerikanischen Kolonien aufgemacht hatte.

Wie das genau geht - vor allem in Bezug auf die zeitlichen Differenzen - habe ich noch nicht herausgefunden.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] Online-Workshop: Lustration: B ürokratische Eigenlogik und politische Regimewechsel im 20 . Jahrhundert

Date: 2020/09/22 16:31:56
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Online-Workshop: Lustration: Bürokratische Eigenlogik und politische Regimewechsel im 20. Jahrhundert

Veranstalter Therese Garstenauer, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien; Bernhard Gotto, Institut für Zeitgeschichte München

1010 Wien
Land Austria
24.09.2020 - 25.09.2020

Von Therese Garstenauer, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien

Was passiert mit und in öffentlichen Verwaltungen bei politischen Regimewechseln? Wie wandelten sich unter dem Einfluss der Lustrationen die von administrativen Apparaten angewandten Routinen und Anforderungen, um die Systemloyalität ihrer Angehörigen zu gewährleisten? Auf welche Weise „vergaßen“ Bürokratien Prozeduren, die als inkompatibel mit den neuen politischen Rahmenbedingungen angesehen wurden?

Lustration: Bürokratische Eigenlogik und politische Regimewechsel im 20. Jahrhundert

Ein ausdifferenziertes, eng an die politische Führung gebundenes Verwaltungssystem war zugleich Kennzeichen, Voraussetzung und Ergebnis des Ausbaus von staatlichen Regelungsansprüchen über soziale, kulturelle und ökonomische Prozesse im 19. und 20. Jahrhundert. Eine loyale Beamtenschaft sorgte dafür, dass politische Steuerungsimpulse bis in die unteren Ebenen der solchermaßen durchherrschten Territorien durchdrangen. In Deutschland und Österreich war dieser Staatsdienst als ein besonderes Treueverhältnis konstruiert, das die Übereinstimmung der Beamten mit Zielen und Werthaltungen der Staatsführung implizierte. Nach politischen Regimewechseln wie 1918/19, 1933/38 und 1945 – zu denken ist auch an die Demokratisierungen in Portugal und Spanien in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre und an Ostmitteleuropa ab 1989/90 – wurden die Verwaltungen „Säuberungsprozeduren“ unterzogen, deren Ziel es war, den Staatsapparat konform zum neuen politischen System auszurichten. Das inkludierte im Nationalsozialismus auch die „rassische“ Geeignetheit der öffentlich Bediensteten und deren Ehepartner_innen.
Diese „Lustrationen“ – hier verwendet als Überbegriff für die Entfernung von öffentlich Bediensteten aus ihren Positionen im Zusammenhang mit politischen Regimewechseln – stehen im Zentrum des Workshops. Unser Ziel ist es, vor dem Hintergrund des anhaltenden Booms von Forschungen über den Umgang bundesdeutscher Zentralbehörden mit der NS-Vergangenheit neue Einsichten in die Adaptionsmechanismen administrativer Apparate auf politische Steuerungsimpulse zu erhalten. Die ältere Forschung hat in erster Linie nach der individuellen Disposition und Motivation von Beamten gefragt, um zu erklären, wie rasch die Verwaltungen sich auf ein neues Regime einstellen konnten. Phänomene wie Selbstgleichschaltung nach 1933, Selbstviktimisierung und Persilscheinkartelle nach 1945 setzen auf dieser Ebene an. In dieser Perspektive wird, um beim bundesdeutschen Beispiel zu bleiben, die „Entnazifizierung“ als der gescheiterte Versuch angesehen, eine nachhaltige Demokratisierung der Verwaltung durch eine „Lustration“ zu erreichen. Für die auf Österreich bezogene Forschung kann ein solcher Boom aktuell nicht konstatiert werden, wiewohl es seit Dieter Stiefels grundlegenden Forschungen zur Entnazifizierung immer wieder Initiativen gab, insbesondere aus regionalgeschichtlich-vergleichender Perspektive und mit Fokus auf Verwaltungseliten.
Mittlerweile wird die Überprüfung des öffentlichen Dienstes im Rahmen von postdiktatorischen vergangenheitspolitischen Aufarbeitungsprozessen als ein Teilgebiet der „transitional justice“ analysiert. Hinsichtlich der Praktiken und Instrumente lassen sich einige Ähnlichkeiten mit den umgekehrten Prozessen feststellen, also personalpolitischen Eingriffen in die Verwaltung, die frisch etablierte diktatorische Regime implementierten. In diesen Rahmen bettet sich der Workshop ein. Dabei rücken die Effekte in den Blick, welche die Lustrationen auf das verbliebene Personal hatten. Versteht man „Lustrationen“ als Teil eines längerfristigen Prozesses, dann erscheint die oftmals konstatierte hohe personelle Kontinuität im administrativen Führungspersonal nach Regimewechseln in einem neuen Licht. Denn die vermeintlich „alten Eliten“ sind dann nicht nur als „politisch Belastete“ bzw. als Hemmschuh eines Wandels anzusehen, sondern auch als aktive Mitgestalter von administrativen Anpassungsprozessen an neue Rahmenbedingungen.
Die bürokratische Eigenlogik solcher Anpassungsleitungen bildet einen Schwerpunkt des Workshops: Statt „Säuberungen“ als eindimensionalen Eingriff „der Politik“ auf „die Verwaltung“ zu verstehen, fragen wir nach der Wechselwirkung zwischen Lustrationen und Verwaltungspraxis. Dies gilt zum einen für den Prozess der Säuberung selbst, deren Formen, Prozeduren und Logiken auch den Selbstbildern und Bedürfnissen der Verwaltungen entsprangen. Welchen Einfluss nahmen Verwaltungsapparate auf die Lustrationen, und mit welchen Strategien brachten sie diese Anforderungen mit genuin administrativen Notwendigkeiten in Einklang? Zum anderen sind mittel- und langfristige Effekte der Lustrationen auf die Verwaltungskultur von Interesse. In diesem Sinne sollen Verwaltungen als „lernende und verlernende Organisationen“ (Wolfgang Seibel) verstanden werden. Wie wandelten sich unter dem Einfluss der Lustrationen die von administrativen Apparaten angewandten Routinen und Anforderungen, um die Systemloyalität ihrer Angehörigen zu gewährleisten? Welche Konformitätsleistungen verstetigten sich, welche erwiesen sich als ephemeres Zugeständnis? Auf welche Weise „vergaßen“ Bürokratien Prozeduren und Routinen, die als inkompatibel mit den neuen politischen Rahmenbedingungen angesehen wurden?

Aufgrund der Pandemiesituation wird der Workshop virtuell stattfinden.

Programm

Donnerstag, 24.9.2020

Beginn: 14:00
Begrüßung (Bernhard Gotto, Therese Garstenauer)

Panel 1 14:15 – 15:45 Chair: Bernhard Gotto

Gustavo Corni, Francesco Frizzera (Trento): Transition in der Agrarpolitik. Vom Kaiserreich zur Republik 1918/1919

Karin Schneider, Gabriele Kaiser (Wien): Von Kontinuitäten und Brüchen: Die Kanzlei des Nationalrats in den Gründungsjahren der Ersten Republik

Pause 15:45 – 16:15

Panel 2 16:15 – 17:15 Chair: Therese Garstenauer

Václav Šmidrkal (Prag): Stabilität vor Gerechtigkeit. „Entösterreicherung“, Nationalisierung und Lustration des Offizierskorps in der Tschechoslowakei nach 1918

Julia Bavouzet (Paris/Wien): „I won’t back away from the white terror!“ Political cleansing in the Hungarian counterrevolutionary regime (1918-1920)

Dominik Schmoll (Saarbrücken): „Une annexion déguisée? Frankreich und die Saar 1918-1920“

Pause 17:15 – 17:30
Schlussdiskussion Tag 1: 17.30 – 18.00

Freitag, 25.9.2020

Panel 3 9:15 – 10:45

Chair: Haydée Mareike Haass (München)

Lena Werner (München): Die bürokratische Biografie: Systemtransformationen, Personalaktenpraxis und Identitäten im Bayerischen Staatsministerium der Justiz

Darren O’Byrne (Cambridge): „Selbstgleichschaltung“ als typische bürokratische Reaktion auf Staatsformwechsel in Deutschland

Bernhard Gotto (München): Verfassung vergeht, Verwaltung besteht? Lustrationen im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen zwischen 1919 und 1949

Pause 10:45 – 11:15

Panel 4 11:15 – 12.30

Chair: Haydée Mareike Haass (München)

Therese Garstenauer (Wien): Eine Auswertung der Bescheide aufgrund der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums

Lena Pedersen (München): Ludwig III. im nationalsozialistischen Rathaus

Joachim Förster (Berlin): Lustration and the Process of Vetting in Democratic Transition Guide, The German Experience

Pause 12.30 – 12.45

Abschlussdiskussion 12.45 – 13.15

Kontakt

therese.garstenauer(a)univie.ac.at




[Regionalforum-Saar] Verschleppt, Verkauft, Verskla vt. Deutschsprachige Sklavenberichte aus Nordafrika (1550 –1800)

Date: 2020/09/22 16:37:38
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Verschleppt, Verkauft, Versklavt. Deutschsprachige Sklavenberichte aus Nordafrika (1550–1800)

Herausgeber Klarer, Mario
ErschienenWien 2019: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten 249 S.
Preis€ 40,00
ISBN 978-3-205-23280-3


Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Dorfner, Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen


Die Geschichtswissenschaft hat sich in den vergangenen 20 Jahren intensiv mit mediterraner Piraterie während der Frühen Neuzeit und dem Freikauf von Europäer/innen aus nordafrikanischer Gefangenschaft beschäftigt.[1] Die Forschungsergebnisse konnten zuletzt sogar einer breiten, historisch interessierten Öffentlichkeit vermittelt werden. Ausstellungen[2] und TV-Dokumentationen[3] haben dargelegt, dass es sich bei muslimischer wie christlicher Piraterie im Mittelmeer keineswegs um Randphänomene handelte: Zwischen 1550 und 1850 wurden mehrere hunderttausend Europäer/innen in nordafrikanische Gefangenschaft verschleppt.[4] Die Opfer wurden gegen Lösegeld freigelassen oder auf den Sklavenmärkten von Algier, Tripolis bzw. Tunis verkauft. Wie Mario Klarer eindrucksvoll zeigt, ist das Themenfeld jedoch noch keineswegs erschöpfend behandelt. Der Amerikanist erforscht im Rahmen des FWF-Projekts „European Slaves: Christians in African Pirate Encounters“ (ESCAPE) gedruckte Berichte von ehemaligen Piraterieopfern. Aus Klarers Projekt ist unter anderem ein Sammelband zu Gefangenenberichten sowie die hier zu besprechende Quellenedition zu deutschsprachigen Sklavenberichten hervorgegangen.[5]

Die Edition umfasst sechs deutschsprachige Gefangenenberichte, denen jeweils ein kurzer, drei- bis fünfseitiger Kommentar vorangestellt ist. Klarer fasst den Begriff „deutsch“ bewusst weit, um zwei Berichte aufnehmen zu können, die ursprünglich auf flämisch beziehungsweise dänisch verfasst, jedoch kurz nach ihrer Niederschrift bereits in deutscher Sprache publiziert wurden. Drei Aspekte lenken die Auswahl: Klarer beschränkt sich erstens auf „authentisch erscheinende Sklavenerzählungen“ (S. 44), schließt somit rein literarische Werke aus. In der Konsequenz konnte keiner der im frühen 19. Jahrhundert auf dem Druckmarkt populären Berichte weiblicher Protagonistinnen berücksichtigt werden, da es sich hierbei „in den meisten Fällen um reine Fiktion“ handele (S. 34). Zweitens werden mit den Berichten die drei frühneuzeitlichen Jahrhunderte gut abgedeckt: Der älteste Bericht, verfasst von Balthasar Sturmer, erschien 1558 im Druck, Leonhard Eisenschmieds Werk hingegen wurde 1807 veröffentlicht. Drittens verdeutlichen die Berichte, wie unterschiedlich die Handlungsmöglichkeiten der Gefangenen sowie ihre Wege in die Freiheit waren: Während Hark Olufs (1708–1754) nach seiner Konversion zum Islam bis zum Kavalleriekommandeur des Beys von Constantine aufstieg und für seine militärischen Erfolge die Freiheit erhielt, musste ein Gefangener namens Johann Michael Kühn darauf vertrauen, dass sein Bruder sowie sein Landesherr die Lösegeldsumme aufbringen konnten.

Klarer eröffnet den Band mit einer eingängigen, klug gegliederten Einleitung, die unter anderem die Intentionen der Autoren quellenkritisch beleuchtet: Sie präsentieren sich in ihren Berichten beispielsweise zumeist als glaubensfeste Christen, um Verdächtigungen ihrer Umwelt vorzubeugen, während der Gefangenschaft konvertiert zu sein. Für Historiker/innen aufschlussreich ist vor allem Klarers These einer Wechselwirkung zwischen Sklavenberichten und Romanen. Während Sklavenberichte des 16. Jahrhunderts die Entstehung der frühen Romane beeinflussten, lasse sich für das 18. Jahrhundert zeigen, dass Romane wie Daniel Defoes Robinson Crusoe die Sklavenerzählungen erzähltechnisch und stilistisch beeinflussten. Ende des 18. Jahrhunderts sei geradezu eine „Hybridisierung des literarischen Genres der Robinsonade mit den barbaresken Sklavenberichten“ zu beobachten (S. 212).

Die Edition ist zwischen Lese- und wissenschaftlicher Studienausgabe angesiedelt. Die sechs Gefangenenberichte wurden zeichengetreu transkribiert, Glättung von Zeichensetzung und Orthografie also vermieden. Die Seitenumbrüche und Folionummern der Originalmanuskripte sind in eckigen Klammern vermerkt. Besonderheiten, wie beispielsweise die Verwendung von roter Tinte in Sturmers Bericht, wurden kenntlich gemacht. Außerdem erleichtert ein Index die Suche nach Personen beziehungsweise Orten. Auf einen Anmerkungsapparat wurde hingegen verzichtet, was besonders die Lektüre des 1666 gedruckten Berichts von Emanuel Aranda, eines flämischen Adeligen, für Nichtexpert/innen erschwert. Aranda gebraucht beispielsweise zahlreiche militärische Wendungen, die heute nicht mehr geläufig sind („solche bravade machen“; „zum Succurs kommen“, S. 93, S. 97).

In Hinblick auf einen Einsatz der Edition in der universitären Lehre ist es etwas bedauerlich, dass die biographischen Skizzen in den Kommentaren durchweg zu knapp ausfallen. Im dreiseitigen Kommentar zu Hark Olufs werden beispielsweise dessen Lebensdaten nicht erwähnt, weshalb für eine gründliche Quellenerschließung zusätzlich Martin Rheinheimers Monographie „Der fremde Sohn“ konsultiert werden muss.[6] Auch die Lebensdaten der „bayerischen Wolffgang-Brüder“ (S. 17) sind nicht erwähnt. Wie dieses Beispiel zeigt, fehlen zudem valide Anmerkungen zu den Obrigkeiten der Gefangenen: Die Brüder waren als Bürger der Reichsstadt Augsburg keine Untertanen des bayerischen Kurfürsten. Ausführungen zu den Obrigkeiten wären jedoch nicht zuletzt deshalb wünschenswert gewesen, da diese – wie der Bericht Johann Michael Kühns anschaulich belegt – teilweise maßgeblich am Freikauf beteiligt waren (S. 199).

Die Edition enthält 48 schwarz-weiß-Abbildungen. Die Titelblätter der edierten Berichte sind für deren Erschließung und Interpretation von elementarer Bedeutung. Einige weitere zeitgenössische Stiche, die an anderen Stellen eingearbeitet wurden und zu großen Teilen Dan Pierres „Historie van Barbaryen“ (1684) entnommen sind, haben hingegen eher illustrativen Charakter. Der Böhlau-Verlag hat alle Abbildungen in sehr guter Qualität wiedergegeben, indes bei den Seitenzahlen zu wenig Sorgfalt walten lassen. In der zweiten Hälfte des Buches stimmen die Seitenzahlen nicht mehr mit den im Inhaltsverzeichnis vermerkten Seitenzahlen überein. Beispielsweise beginnt der Kommentar zu Johann Michael Kühn nicht wie im Inhaltsverzeichnis angegeben auf Seite 165, sondern auf Seite 167.

Trotz dieser kleinen Monita wird die Edition in der universitären Lehre zweifelsohne vielfach und mit großem Gewinn eingesetzt werden. Historiker/innen, die zu mediterraner Piraterie forschen, dürfen sich übrigens bereits auf Klarers nächste Quellenedition freuen, die muslimische Wahrnehmungen mediterraner Sklaverei in den Fokus rücken wird.[7]

Anmerkungen:
[1] Siehe exemplarisch Linda Colley, Captives. Britain, Empire and the World, 1600–1850, London 2002.
[2] Die Sonderausstellung „Piraten und Sklaven im Mittelmeer“ auf Schloss Ambras (Innsbruck, 20. Juni – 6.Oktober 2019) besuchten 61.000 Besucher/innen.
[3] Siehe z.B. die arte-Dokumentation „Die Korsaren – Angriff der Menschenhändler“ aus dem Jahr 2015.
[4] Robert C. Davis taxiert die Zahl der europäischen Sklavinnen und Sklaven sogar mit „a million and quite possibly as many as a million and a quarter“. Robert C. Davis, Christian Slaves, Muslim Masters. White Slavery in the Mediterranean, the Barbary Coast, and Italy, 1500–1800, Basingstoke 2003, S. 28.
[5] Mario Klarer (Hrsg), Mediterranean Slavery and World Literature. Captivity Genres from Cervantes to Rousseau, London 2019.
[6] Martin Rheinheimer, Hark Olufs' Wiederkehr aus der Sklaverei, Nordfriesische Quellen und Studien, Band 3, 2. Aufl., Neumünster 2003.
[7] Mario Klarer (Hrsg.), Piracy and Slavery in the Early Modern Mediterranean. A Sourcebook of Arabic and Ottoman Texts [erscheint 2021].


[Regionalforum-Saar] Rundgang „Auf den Spuren j üdischen Lebens in St. Wendel“ am Sonntag

Date: 2020/09/23 16:59:56
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Rundgang „Auf den Spuren jüdischen Lebens in St. Wendel“ am Sonntag

 

Unter dem Motto „Auf den Spuren jüdischen Lebens in St. Wendel“ findet am Sonntag, 24.09.2020, von 14.45 Uhr bis 17 Uhr ein Rundgang durch St. Wendel statt, den die Friedrich Naumann Stiftung in Berlin zusammen mit dem Adolf-Bender-Zentrum in St. Wendel veranstaltet.

 

Die Teilnahme ist kostenlos, aber eine Anmeldung muß sein über die Website der Stiftung => https://shop.freiheit.org/?locale=en#!/Veranstaltung/VBG2P

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Roland Geiger

Re: [Regionalforum-Saar] Rundgang „Auf den Spuren j üdischen Lebens in St. Wendel“ am Sonntag

Date: 2020/09/23 17:29:01
From: Robert Morsch <robert.morsch(a)gmx.de>

Salute, Roland, vorsorglich: Das Veranstaltungsdatum ist wahrscheinlich der 27.09.20 (an dem ich weg bin).  Ciao! Robert
-----------------

Am 23.09.2020 um 16:59 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar:

Rundgang „Auf den Spuren jüdischen Lebens in St. Wendel“ am Sonntag

 

Unter dem Motto „Auf den Spuren jüdischen Lebens in St. Wendel“ findet am Sonntag, 24.09.2020, von 14.45 Uhr bis 17 Uhr ein Rundgang durch St. Wendel statt, den die Friedrich Naumann Stiftung in Berlin zusammen mit dem Adolf-Bender-Zentrum in St. Wendel veranstaltet.

 

Die Teilnahme ist kostenlos, aber eine Anmeldung muß sein über die Website der Stiftung => https://shop.freiheit.org/?locale=en#!/Veranstaltung/VBG2P

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Roland Geiger


_______________________________________________
Regionalforum-Saar mailing list
Regionalforum-Saar(a)genealogy.net
https://list.genealogy.net/mm/listinfo/regionalforum-saar


Virenfrei. www.avast.com

Re: [Regionalforum-Saar] Rundgang „Auf den Spuren j üdischen Lebens in St. Wendel“ am Sonntag

Date: 2020/09/23 17:50:40
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Stimmt. Am 27. September latürnich.
Wenns schnell gehen muss ...

Danke

Roland


Am 23.09.2020 um 17:28 schrieb Robert Morsch:
Salute, Roland, vorsorglich: Das Veranstaltungsdatum ist wahrscheinlich der 27.09.20 (an dem ich weg bin).  Ciao! Robert
-----------------

Am 23.09.2020 um 16:59 schrieb Roland Geiger via Regionalforum-Saar:

Rundgang „Auf den Spuren jüdischen Lebens in St. Wendel“ am Sonntag

 

Unter dem Motto „Auf den Spuren jüdischen Lebens in St. Wendel“ findet am Sonntag, 24.09.2020, von 14.45 Uhr bis 17 Uhr ein Rundgang durch St. Wendel statt, den die Friedrich Naumann Stiftung in Berlin zusammen mit dem Adolf-Bender-Zentrum in St. Wendel veranstaltet.

 

Die Teilnahme ist kostenlos, aber eine Anmeldung muß sein über die Website der Stiftung => https://shop.freiheit.org/?locale=en#!/Veranstaltung/VBG2P

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Roland Geiger


_______________________________________________
Regionalforum-Saar mailing list
Regionalforum-Saar(a)genealogy.net
https://list.genealogy.net/mm/listinfo/regionalforum-saar


Virenfrei. www.avast.com


_______________________________________________
Regionalforum-Saar mailing list
Regionalforum-Saar(a)genealogy.net
https://list.genealogy.net/mm/listinfo/regionalforum-saar

--
Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

--------------------

Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de

[Regionalforum-Saar] Alles nur gekauft? Korruption in der Bundesrepublik seit 1949

Date: 2020/09/24 20:03:48
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Alles nur gekauft?. Korruption in der Bundesrepublik seit 1949


Autor  Engels, Jens Ivo

Erschienen Darmstadt 2019: Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Anzahl Seiten 399 S.

Preis € 35,00

 

ISBN 978-3-8062-4023-8

 

Rezensiert für H-Soz-Kult von  Thorsten Holzhauser, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Die Bundesrepublik galt lange Zeit als korruptionsfrei. Der deutsche Beamte war unbestechlich, politische Sauberkeit galt als teutonische Kerntugend und Bestechung war ein Phänomen vormoderner Gesellschaften. Seit den 1980er-Jahren erlebte aber auch die Bundesrepublik Affären und Debatten um Bestechung und Vorteilsnahme, Parteien und Politiker galten vielfach als „korrupt“ und 2012 musste schließlich ein Bundespräsident über die Frage zurücktreten, wer seine Hotelrechnung bezahlt hatte. Wie es zu diesem offensichtlichen Wandel kam, fragt der Darmstädter Historiker Jens Ivo Engels in seinem Buch zur Korruption in der Bundesrepublik seit 1949 – und gibt ebenso interessante wie streitbare Antworten.

Wer Engels‘ wissenschaftlichen Ansatz nicht kennt, wird schnell irritiert sein: Untertitel und einige Kapitelüberschriften versprechen eine Geschichte der Korruption in der Bundesrepublik und werden beim nicht-wissenschaftlichen Publikum, für das das Buch sichtlich (auch) geschrieben ist, die Erwartung an einen historischen Kriminalroman schüren, der endgültig Licht ins Dunkel der Korruption in Deutschland bringt. Engels aber geht einen anderen Weg und versucht, die selbst erzeugten Erwartungen schon in der Einleitung zu zerstreuen. Nicht eine Geschichte „der Korruption“ solle es sein, sondern eine Geschichte der „Debatten und Skandale“ rund um das Phänomen (S. 12). Der Autor folgt damit wie schon in seinem Vorgängerbuch zur Geschichte der Korruption seit der Frühen Neuzeit einer Tendenz in der jüngeren Forschung zur Korruptionsgeschichte: Der Schwerpunkt liegt nicht auf Praktiken, sondern auf Deutungen.[1]

Das hat mehrere Gründe: „Die“ Korruption gibt es nicht und was darunter verstanden wird, definiert (bis zu einem gewissen Grad) der Diskurs, der auch die Grenze zwischen Öffentlichkeit und Privatem, zwischen legitimem und illegitimem Handeln bestimmt. Engels geht sogar so weit, dem Thema Korruption generell die Tauglichkeit als wissenschaftliche Kategorie abzusprechen, weil es sich um ein moralisches Urteil handele, das zwar beschreibbar, aber nicht messbar sei. Die Konzentration des Buchs auf öffentliche Debatten ergibt sich aber auch aus dem Umstand, dass es sich mit einem Phänomen beschäftigt, das nicht leicht aufzuarbeiten ist, weil es in der Regel im Verborgenen geschieht, mit dem Ziel, im Verborgenen zu bleiben.

Engels‘ Befund, dass Korruption in der frühen Bundesrepublik eine vergleichsweise geringe Rolle gespielt habe, bedeutet daher auch nicht, dass es sie nicht gegeben hätte. Stattdessen arbeitet das Buch sehr gut heraus, wie die politischen und medialen Eliten der Ära Adenauer darin übereinstimmten, dass eine allzu starke Thematisierung oder gar Skandalisierung von Korruptionsfällen die junge Demokratie gefährden und antidemokratische Ressentiments reaktivieren würde. Stattdessen gelang der jungen Bundesrepublik ein diskursiver Coup: Korruption wurde als wesentliches Kennzeichen totalitärer Regime interpretiert und die parlamentarische Demokratie nicht mehr, wie noch zu Weimarer Zeiten, als Hort der Korruption be-, sondern als Gegenmittel zu ihr verschrieben. Die zurückhaltende, von Engels etwas beschönigend als „sachlich“ bezeichnete Art, in der Korruptionsfälle in der frühen Bundesrepublik medial verhandelt (oder nicht verhandelt) wurden, hatte daher viel mit dem Ringen der Westdeutschen zu tun, sich vom NS-Regime zu distanzieren und zugleich eine neue Demokratie aufzubauen. Um diese zu stützen, kreierten Medien und Politik eine Vorstellung von einer vermeintlich korruptionsfreien Bundesrepublik. Diese wurde auch durch die Großaffären um die gekaufte Hauptstadt-Entscheidung, die Einflussnahme von Auto- und Rüstungsindustrie oder das gescheiterte Misstrauensvotum gegen Willy Brandt nicht erschüttert. Die Verbindungen eines Abgeordneten der Christlich Demokratischen Union zu einem Wirtschaftsunternehmen, die im Jahr 2020 den „Eindruck der politischen Käuflichkeit“[2] erwecken, hätten in der frühen Bundesrepublik wohl kaum zu medialer Aufregung geführt. Erst die Flick-Affäre der 1980er-Jahre, so Engels, habe ein größeres Umdenken zur Folge gehabt und den Mythos von der unkorrumpierbaren Bundesrepublik nachhaltig erschüttert. Dies wiederum ereignete sich vor dem Hintergrund eines Wandels des Politischen, in dem neoliberale Staatskritik, populistische Parteienkritik und globale Antikorruptionspolitik zusammenkamen.

Um solche größeren Zusammenhänge geht es Engels in erster Linie, weniger um einzelne Korruptionsfälle, von denen er zwar die öffentlichkeitswirksamsten nachzeichnet, deren Darstellung aber streckenweise etwas summarisch anmutet. Dafür wartet der Autor immer wieder mit erhellenden Einsichten auf, die sich vor allem aus dem Gesamtbild von mehr als sechs Jahrzehnten ergeben. Weniger die Korruption steht dabei im Interesse als die mit ihr verbundenen sozialen Vorstellungen von Politik, Wirtschaft und Moral, privatem, ökonomischem und öffentlichem Nutzen. Wurden Korruptionsfälle in der frühen Bundesrepublik noch vor dem Hintergrund der klaren Trennung zwischen (vermeintlich unbestechlichem) Staat und (korrumpierbarer) Öffentlichkeit verhandelt, so verschob sich im Laufe der Zeit die Bewertung: Der Staat selbst wurde mehr und mehr als korruptionsanfällig beschrieben.

Zu den aufschlussreichsten und brisantesten Passagen des Buchs gehört der längere Exkurs zur Herausbildung einer neoliberal inspirierten Antikorruptionspolitik in den 1990er-Jahren, einem „Jahrzehnt der Korruptionsobsession“ (S. 170). Wissenschaften, Unternehmen, Regierungen und internationale Organisationen wie Weltbank, Internationaler Währungsfonds und Transparency International setzten das Thema Korruption auf die internationale Agenda und sagten dem „Krebsgeschwür“ (Weltbank-Chef Wolfensohn) den Kampf an. Sie wurden so zu Akteuren einer sich global entwickelnden „Antikorruptionsindustrie“ (Steven Sampson). Hatte sich die westliche Korruptionskritik traditionell aus einem kapitalismuskritischen Geist gespeist, so galt in den 1990er-Jahren das Gegenteil: Korruption wurde zum Beweis für negative Einflüsse des Staates, zum politischen Instrument, um politische und ökonomische Reformen durchzusetzen, und zur „Erklärung für das Versagen der Marktwirtschaft in den Ländern des Übergangs“ (S. 199): Nicht der Markt war schuld, sondern die Korruption staatlicher Eliten.

Ebenso scharf wie mit der neoliberalen Antikorruptionspolitik geht Engels auch mit ihren wissenschaftlichen Grundlagen ins Gericht, insbesondere mit einer von „Naivität“ (S. 153) geprägten wirtschaftswissenschaftlichen Korruptionsforschung, die aus Perzeptionen Tatsachen machte, aus Korrelationen Kausalitäten und aus ideologischen Annahmen scheinbar nachgewiesene Zusammenhänge über Markt, Staat und Korruption. Paradoxerweise ging, so Engels, mit der trügerischen Quantifizierung auch eine Moralisierung der Korruption im Zeichen des Transparenzgebotes einher: In der „Berliner Republik“ wurde die Gier von Managern und Betriebsräten im Rheinischen Kapitalismus gegeißelt und lösten sich die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem zunehmend auf. Wer in der Öffentlichkeit stand, musste auch privat unkorrumpierbar sein.

So spannend und aufschlussreich das Buch in der Analyse dieser historischen Kontexte und Entwicklungen ist, so sehr überrascht dann doch manche Einzeldeutung: Die These, dass Korruption in der Nachwendezeit „eine erstaunlich geringe Rolle“ (S. 14) gespielt habe, muss mit einem Fragezeichen versehen werden, gehörten doch Bestechungsvorwürfe sowohl an die SED-Eliten als auch an die Treuhandanstalt zu den hervorstechenden Motiven in der politischen und medialen Auseinandersetzung der „Wende“.[3] Auch hält sich der Autor, gemessen an seinen deutlichen Urteilen in anderen Fragen, bei der Beurteilung der Korruptionsaffären um politische Größen auffällig zurück; Helmut Kohl habe sich mit seiner Falschaussage in der Flick-Affäre „ungeschickt“ angestellt (S. 311) und Franz-Josef Strauß gebe „korruptionsgeschichtlich [...] weniger her, als man erwarten könnte“ (S. 61).

Diese Zurückhaltung im Urteil mag auch dem Ziel des Autors geschuldet sein, mit dem Buch nicht nur das wissenschaftliche Verständnis von Korruptionsdebatten in der Bundesrepublik zu fördern, was ihm an vielen Stellen sehr gelingt. Auch möchte er zu einer Versachlichung der öffentlichen Debatte beitragen. Er verbindet seine Darstellungen daher mit einem Plädoyer gegen apodiktische Urteile und übersteigerte Transparenzhoffnungen und geht mit einer Öffentlichkeit ins Gericht, die auf der Suche nach Offenheit und Ehrlichkeit bereit ist, die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem noch weiter aufzubrechen. Auch in dieser Hinsicht regt das Buch zum Nachdenken an.

Anmerkungen:
[1] Jens Ivo Engels, Die Geschichte der Korruption. Von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2014; vgl. auch Norman Domeier, Rezension zu: ebd., in: H-Soz-Kult, 30.08.2016, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-21471 (27.08.2020).
[2] Timo Lange (Lobbycontrol) im Gespräch mit Stefan Heinlein, „Hier ist eine Grenze überschritten“, in: Deutschlandfunk, 16.06.2020, https://www.deutschlandfunk.de/lobby-affaere-um-philipp-amthor-hier-ist-eine-grenze.694.de.html?dram:article_id=478712 (27.08.2020).
[3] Vgl. Constantin Goschler / Marcus Böick, Studie zur Wahrnehmung und Bewertung der Arbeit der Treuhandanstalt, im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Bochum 2017, S. 27; Marcus Böick, Vom Blitzableiter zur Bad-Bank. Die Debatten um die Treuhandanstalt – und was sich daraus über das Verhältnis von Politikwissenschaft und Zeitgeschichtsforschung lernen lässt, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft (Online First) 2020, DOI https://doi.org/10.1007/s41358-020-00228-1 (27.08.2020).