Monatsdigest

[Regionalforum-Saar] Die WASt zieht um.

Date: 2019/03/17 11:00:19
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

In der Ausgabe der „Computer Genealogie“ findet sich neben dem überaus interessanten Hauptthema „Hilfsprogramme“ ein Artikel über das Schicksal der „Deutschen Dienststelle (WASt)“:

 

Die bisher als Behörde des Landes Berlin geführte Deutsche Dienststelle (Wehrmachtsauskunftstelle WASt und Krankenbuchlager) setzt ihre Tätigkeit künftig als Abteilung PA (Personenbezogene Auskünfte zum Ersten und Zweiten Weltkrieg) im   B u n d e s a r c h i v   fort. Dafür wird eine eigene Abteilung am Standort Eichborndamm in Berlin-Reinickendorf eingerichtet.

 

Diese Information hat das Bundesarchiv u.a. in seiner Publikation „FORUM" veröffentlicht

(=>http://www.bundesarchiv.de/DE/Navigation/Meta/Ueber-uns/Fachzeitschrift-Forum/fachzeitschrift-forum.html)

 

Darin heißt es in Bezug auf die WASt:

 

„… bilden die umfangreichen und eigentlich militärischen Bestände der ehemaligen Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht (Wehrmachtsauskunftsstelle – WASt), die zum 1. Januar 2019 als jüngster Zuwachs des Bundesarchivs in eine eigenständige Abteilung „Personenbezogene Auskünfte zum Ersten und Zweiten Weltkrieg“ (Abteilung PA) mit Sitz in Berlin umgewandelt wurde. Für die 75 laufenden Kilometer Akten und Karteien sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Abteilung wird das Bundesarchiv vergleichsweise kurzfristig in Berlin-Lichterfelde zusätzliche Magazine und Büroraum errichten müssen.“

 

Auf der Webseite kann man einen Benutzerantrag und ein Formular für einen Recherche-Auftrag herunterladen.

(=>http://www.bundesarchiv.de/DE/Navigation/Benutzen/Recherchedienste-beauftragen/recherchedienste-beauftragen.html)

 

 

[Regionalforum-Saar] Der traurige Lohn für ihre Me nschlichkeit

Date: 2019/03/19 08:34:27
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

letztens in der SZ:

Der traurige Lohn für ihre Menschlichkeit   

 

Die Lebacher Karnkenschwester Monika Schwinn und Bernhard Diehl nach ihrer Freilassung aus nordvietnamesischer Kriegsgefangenschaft am 7. März 1973. FOTO: picture alliance / United Press / dpa Picture-Alliance / United Press International (UPI)

 

Lebach. Vor 50 Jahren wurde die saarländische Krankenschwester Monika Schwinn vom Vietcong als Geisel genommen. Bloß, weil sie helfen wollte. Nun ist sie gestorben.

 

Von Oliver Schwambach

 

Was bleibt von einem Leben, wenn sich schon zu viel Vergangenheit zwischen das Damals und das Heute geschoben hat? In Monika Schwinns Fall wohl auch die traurige Erkenntnis, dass Erinnerung, auch wenn es noch so wichtig wäre, sie wach zu halten, leider verblasst. Und allzu leicht vergessen wird, was Menschen alles auf sich nehmen, um anderen zu helfen.

 

Monika Schwinn, die am Montag im Alter von 76 Jahren im Lebacher Krankenhaus gestorben ist, dort, wo sie lange auch als Kinderkrankenschwester arbeitete, hat Unvorstellbares durchlitten. Bloß, weil es für sie selbstverständlich war, Menschen in Not beizustehen. „Äußerst hilfsbereit war sie schon immer“, erinnert sich ihr Cousin Adolf Spaniol. Die junge Frau aus Lebach lernt erst Friseurin. Ihre eigentliche Berufung aber ist Krankenschwester, Säuglingsschwester. Für die Familie kam es da nicht überraschend, dass die 26-Jährige 1968 gern dem Aufruf des Malteser Hilfsdienstes folgt: Man braucht Ärzte und Pflegekräfte für Kliniken in Südvietnam, um der Zivilbevölkerung zu helfen, die unter dem nicht enden wollenden Krieg leidet. Monika Schwinn ist glücklich. Sie arbeitet auf einer Kinderstation im Hospital von Da Nang.

 

Der 27. April 1969 aber wird für sie zum Schicksalstag. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Marie-Louise Kerber aus Nohfelden-Türkismühle, dem Arzt Bernhard Diehl und zwei weiteren Krankenschwestern macht sie einen Ausflug – und gerät in die Fänge des kommunistischen Vietcong. Die Fünf werden nach Nordvietnam verschleppt. Dort quält man sie wie die zutiefst verhassten Amerikaner. Seit 15 Jahren tobt da der Bruderkrieg schon, eine Stellvertreterschlacht auch der Supermächte. Die USA schlagen mit der vollen Wucht ihrer Militärmaschinerie zu, feuern, bomben, säen Tod und millionenfaches Leid. Doch der Vietcong lässt sich so nicht besiegen. Die Nordvietnamesen perfektionieren den Guerilla-Krieg, nehmen auch Geiseln. Und es trifft auch Unschuldige.

 

Monika Schwinn und ihre Leidensgefährten müssen immer wieder marschieren, man steckt sie in diverse Dschungellager. „Es war eine kleine Zelle, etwa eineinhalb Meter breit und zweieinhalb Meter lang. In 20 bis 25 Zentimeter Höhe lagen ein paar Bretter auf Beton: das Bett. Ein halber Meter Platz war für einen Toiletteneimer“, schreibt die Lebacherin nach ihrer Freilassung 1973 im „Spiegel“. Sie werden verhört, gefoltert, bekommen kaum ’was zu essen. Krankheit und Demütigung sind ständige Begleiter. Drei der Fünf werden das nicht überleben. Marie-Louise Kerber stirbt 1969 in Gefangenschaft. Erst 1997 ist es möglich, ihre Gebeine ins Saarland zu überführen, sie hier zu bestatten. Auch Monika Schwinn ist dem Tod oft näher als dem Leben. Doch sie kämpft, will sich nicht erniedrigen lassen. „An mir beißen sie sich die Zähne aus“, notiert sie.

 

Nach langen vier Jahren bringt das Pariser Abkommen über die Beendigung des Vietnam-Krieges Schwinn und Diehl 1973 endlich die Freiheit. Am Flughafen in Frankfurt werden sie mit Plakaten begrüßt. Funk und Presse reißen sich um sie. Der „Stern“ macht eine Titelstory, im „Spiegel“ schreibt Schwinn bemerkenswert reflektiert über ihre Leidenszeit. Zusammen mit Bernhard Diehl entsteht sogar ein eindrückliches Buch: „Eine Handvoll Menschlichkeit“. Im Saarland empfängt sie Ministerpräsident Franz-Josef Röder (CDU), die Stadt Lebach macht sie zur Ehrenbürgerin.

 

Irgendwann aber klingt das Interesse ab. Und Monika Schwinn arbeitet wieder als Krankenschwester in Lebach, kümmert sich um Säuglinge. Sie hilft, auch als vietnamesische Flüchtlinge nach Lebach kommen. Ganz selbstverständlich. „Sie hat auf mich immer einen munteren Eindruck gemacht“, sagt ihr Cousin Adolf Spaniol. Doch nach solchen Erlebnissen kann für sie für nichts mehr so sein wie früher. Eine eigene Familie wird sie nicht gründen. Und mit 55 Jahren geht sie bereits in Ruhestand. „Sie war oft krank“, sagt ihr Cousin, „vielleicht hat es sie auch geschmerzt, das man sich nicht mehr so an sie erinnert hat“. Dass man vergessen hat, welchen Preis sie für ihre Hilfsbereitschaft zahlte. Für die Jahre ihrer Gefangenschaft im Dschungel bekam sie keine Rente, obwohl die Bundesrepublik damals so stolz darauf war, dass Monika Schwinn in das Kriegsgebiet ging, um zu helfen. Nun ist es für diese Anerkennung zu spät.

 

Am Donnerstag, 21. März, 13. Uhr, findet in der Lebacher Pfarrkirche eine Trauerandacht für Monika Schwinn statt. Übermorgen.

[Regionalforum-Saar] Landmarke Burg Veldenz im Fokus

Date: 2019/03/21 09:07:55
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Letztens in der Zeitung

Landmarke Burg Veldenz im Fokus

 

Nohfelden. Die Geschichte der Gemeinde Nohfelden wird in Form des Flyers „Lokale Erzählung 5 x 100“ dokumentiert. Von Ralf Mohr

 

Nach Tholey und Namborn ist nun bei einem Nohfelder Geschichtsabend der dritte Flyer aus der Reihe „Lokale Erzählungen“ im Sitzungssaal der Gemeinde der Öffentlichkeit präsentiert worden. Der Landkreis St. Wendel habe 2016 das Projekt „Lokale Erzählungen St. Wendeler Land 5 x 100“ begonnen. Angelehnt an das Leader-Programm „Erzählung Europa 5 x 500“ werde bei der lokalen Version die Neuzeit, also die vergangenen 500 Jahre jeder Gemeinde gnadenlos in 100-Jahr-Schritte unterteilt. Diese Idee des Kältenspezialisten Manfred Peter, die von Geschichtsexperten weltweit als stimmig und richtungsweisend anerkannt wird, erläuterte der Ehrenvorsitzende der Kulturlandschaftsinitiative St. Wendeler Land (Kulani) Werner Feldkamp bei der Präsentation.

 

Besondere regionale Ereignisse, Landmarken und Persönlichkeiten sowie überregionale Entwicklungen würden dabei dargestellt. Diesem Prinzip folgend wurden Flyer erstellt, die einen ersten, leicht zugänglichen Einblick in die wechselhafte Vergangenheit der Gemeinden unseres Landkreises bieten. In den jeweiligen Gemeinden wird versucht, den Lauf der Geschichte an einer Landmarke festzumachen. Waren es in Tholey der Schaumberg sowie die Abtei und in Namborn die Liebenburg, so ist es in Nohfelden die Burg Veldenz, die den Leser durch die Jahrhunderte begleitet. Mit dem Projekt solle ein regionales Geschichtsbewusstsein geweckt werden und zur regionalen Identität beigetragen werden, erläuterte Feldkamp.

 

Eine lokale Arbeitsgruppe, in Nohfelden bestehend aus Horst Peter (Nohfelden), Helmut Weiler (Türkismühle), Brigitte Wahl (Wolfersweiler), Hermann Scheid (Oberthal) und Peter Waltje (Niederhambach), hat in Zusammenarbeit mit den Heimatfreunden Türkismühle, dem Heimat- und Verkehrsverein Selbach und dem Historischen Bergwerksverein Walhausen an dem Flyer mitgearbeitet. Bei einer Koordinierungsgruppe, in der Lukas Kowol vom Landkreis St. Wendel, Eva Henn vom Bildungsnetzwerk St. Wendeler Land und der Historiker Bernhard W. Planz [da waren noch andere, aber der eine hat sich nicht geraalt, und der andere hatte keine Lust mehr] mitgewirkt haben, liefen die Fäden zusammen, bevor Christoph M. Frisch, manchen bekannt als der Leiter der Bosener Mühle, sich um die Gestaltung und das Layout  kümmern konnte. Sein Markenzeichen: viel Text, kleine Schrift.

 

Helmut Weiler erläuterte den Gästen im Rathaus in munteren Worten die geschichtlichen Abläufe der vergangenen 500 Jahre. Der Bogen spannte sich dabei vom Tod des Pfalzgrafen Kaspar auf der Nohfelder Burg zu Zeiten der Reformation, über die Intensivierung des Erzabbaus in Walhausen Mitte des 16. Jahrhunderts [also 1500 ungrad], einhergehend mit zahlreichen Hexenprozessen, über den Brand aller Nohfelder Dörfer während des Dreißigjährigen Krieges Mitte des 17. Jahrhunderts bis hin zum Höhepunkt der Hexenverfolgung. Weiter ging es mit dem Pfälzischen Erbfolgekrieg 1688 bis 1697, der Geburt des bedeutenden deutschen Baumeisters und Baudirektors des Fürstentums Pfalz-Zweibrücken, Ludwig Christian Hautt, auf der Burg Nohfelden Anfang des 18. Jahrhunderts, der Zeit des herzoglichen Fo[h]lenparks des Landgestüts Zweibrücken auf dem Holzhauser Hof, die Französische Revolution 1789, dem Verkauf der Nohfelder Burg an die Gebrüder Cetto 1804, dem Zuschlag der Nohfelder Dörfer zum Großherzogtum Oldenburg 1814, der Auswanderungswelle nach Brasilien zehn Jahre später und der Fertigstellung der Nahetal-Eisenbahn 1860. Die Zeiten der beiden Weltkriege wurden ebenso beleuchtet wie die Gemeindegebietsreform 1974, durch die die Gemeinde ihr heutiges Gesicht erhielt, bis hin zur Rolle der Gemeinde in einem vereinten Europa. Ein Parforce-Ritt durch die Geschichte, bei der nicht der Fuchs auf der Strecke blieb, sondern mancher Zuhörer. Das alles gibt’s auf dem großen Flyer in kleiner Schrift.

 

Auf dem Foto, das zu sehen war, tummelten sich Manfred Peter (in der Printausgabe unter seinem Pseudonym „Peter Waltje“ agierend), Christoph M. Frisch, Horst Peter, Brigitte Wahl, Bürgermeister Andreas Veit, Helmut Weiler, Bürgermeister a. D. Hermann Scheid, Bernhard W. Planz und Werner Feldkamp. Sie präsentierten den Flyer „Lokale Erzählung 5 x 100“ der Gemeinde Nohfelden.


[Sorry, mein Ocr funzt nicht mehr so richtig, das blöde Programm erkennt jetzt Textzeilen und Buchstaben, die überhaupt nirgends stehen.]

 

 

[Regionalforum-Saar] unn nochn Flaaijaa

Date: 2019/03/21 21:59:28
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Einladung

zur Vorstellung der

„Lokalen Erzählung Gemeinde Oberthal 5 x 100“

am Dienstag, 02. April 2019 um 18:30 Uhr

im Rathaus in Oberthal - Bürgersaal

Die vergangenen 500 Jahre, die Neuzeit, waren entscheidend für die Entstehung der heutigen Strukturen und deren Entwicklung. Einen ersten, einfach verständlichen Überblick über die historischen Prozesse der vergangenen fünf Jahrhunderte und ihre Auswirkungen auf das St. Wendeler Land und seine Kommunen bietet das Projekt „Lokale Erzählungen 5 x 100“

Zu jeder Gemeinde des Landkreises St. Wendel entsteht ein Flyer, der die Geschichte der Gemeinden in 100-Jahr-Schritte unterteilt und in diesen Zeiträumen deren Geschichte, besondere regionale Ereignisse, Landmarken und Persönlichkeiten sowie überregionale Entwicklungen vorstellt.

Der Flyer zur Gemeinde Oberthal wird am Dienstag, 02. April, 18:30 Uhr, im Bürgersaal des Rathauses in Oberthal vorgestellt. Ergänzt wird die Vorstellung durch einen Vortrag von Werner Rauber und Matthias Hans zur Vergangenheit der Gemeinde. Der Eintritt ist frei.

Die Flyer entstehen in Zusammenarbeit mit den Gemeinden des Landkreises, lokalen Vereinen und Forschern, der KulturLandschaftsInitiative St. Wendeler Land und dem Landkreis St. Wendel.

Wir freuen uns, Sie im April 2019 im Rathaus in Oberthal zu begrüßen.

Stephan Rausch

Udo Recktenwald

Thomas Gebel

Gemeinde Oberthal

Landkreis St. Wendel

KuLanI

Bürgermeister

Landrat

1. Vorsitzender

[Regionalforum-Saar] H. Böning: Dreißigjäh riger Krieg und Öffentlichkeit

Date: 2019/03/26 08:46:22
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

H. Böning: Dreißigjähriger Krieg und Öffentlichkeit

Dreißigjähriger Krieg und Öffentlichkeit. Zeitungsberichte als Rohfassung der Geschichtsschreibung

 

 

Autor   Böning, Holger

Erschienen       Bremen 2018: Edition Lumière

Umfang            438 S.

Preis    € 29,80

ISBN   978-3-943245-93-6

 

Rezensiert für H-Soz-Kult von Jakub Zygalski, Neuphilologische Fakultät, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Zum 400. Gedenkjahr des Beginns des Dreißigjährigen Kriegs erschienen, widmet sich Holger Bönings Studie der zeitgenössischen, öffentlichen Berichterstattung über die aufkeimenden Konflikte ab 1609 bis etwa zur Mitte des großen Krieges um 1633. Angesichts des Forschungsstands – mit neuen monographischen Darstellungen[1], die wie die großen älteren Untersuchungen Moriz Ritters, Anton Gindelys oder wie Ricarda Huchs romanhaft episches Werk[2] teilweise monumentalen Ausmaßes sind – hat Böning zu dem auf den ersten Blick schon intensiv bearbeiteten Thema viel Neues zu berichten. Diese „andere“ Perspektive findet der Forscher in der frühesten deutschsprachigen Presse; so unterstreicht er bereits eingangs als Prämisse wie auch als ein Ergebnis seiner Forschung: „Der Dreißigjährige Krieg […] begann nicht 1618“ (S. 12).

Nach einer kurzen Einführung, die sich zunächst mit der Mythisierung der berühmten Kometenerscheinung 1618 zu einem Omen für den Auftakt des Dreißigjährigen Krieges in späteren historischen Werken befasst (S. 13–22), leitet der Autor zu einer knappen und informativen Geschichte der frühesten deutschsprachigen und weltweit ersten gedruckten wöchentlichen Zeitungen – der Straßburger Relation des Johann Carolus von 1605 und des Wolfenbütteler Aviso von 1609 – über.

Im ersten Kapitel kommt dem Jahr 1609 eine besondere Stellung zu: einerseits, weil mit diesem Jahr die noch erhaltene, gedruckte Zeitungsberichterstattung einsetzte; und andererseits, weil sich der Blick der Presse auf den Kaiser und die böhmischen Stände sowie auf alle mittel- oder unmittelbar am späteren Krieg beteiligten Mächte richtete und damit die Perspektive auf fast ganz Europa, von der iberischen Halbinsel bis zum Baltikum öffnete. Hier stellt Böning anhand der Zeitungsberichte fest, dass alle „kriegsauslösenden Konfliktlinien“ (S. 12) bereits fast ein Jahrzehnt vor dem großen Krieg präsent gewesen seien.

Im Kapitel über die Anfangsphase des Kriegs 1618–1621 werden die politischen „Hauptrollen“ des Kaisers, der böhmischen Stände, des bayerischen Herzogs und des Kurfürsten von der Pfalz anhand mehrerer, einschließlich jetzt neu hinzugekommener Zeitungen vor dem Hintergrund der zuvor identifizierten Konflikte ausführlicher betrachtet. Die erste „Entscheidungsschlacht“ (S. 288) am Weißen Berg bei Prag 1620 ist dabei ein bedeutender Aspekt, ebenso werden weitere Kriegsteilnehmer unter den europäischen Mächten ins Auge gefasst.

Der Abschnitt über einzelne Zeitungsausgaben der Jahre 1626 und 1633 schließlich befasst sich mit der Berichterstattung aus der Zeit vor und nach dem Kriegseintritt Schwedens 1630. Hier beherrschen Korrespondenzen mit ebenso akribischen wie schauerlichen Details von Schlachten und Stadtbelagerungen das eindrucksvoll anhand vieler Textquellen erschlossene Bild: Der Detailreichtum der Berichte reicht von Militärfinanzen über den Soldatenalltag, zu welchem neben der kargen Besoldung und blutigen Kämpfen auch das Morden und Ausplündern der Zivilbevölkerung bei den gewaltigen Heereszügen auf ihren Wegen durch Europa gehörte, bis hin zu Nachrichten von bäuerlicher Selbsthilfe gegen marodierende Soldaten. Parteilichkeit in der Berichterstattung mache sich dabei, wie im Schlusskapitel näher ausgeführt wird, zwar in Ausnahmefällen durchaus bemerkbar, doch würden generell die Siege und Niederlagen von Freund und Feind durch die frühen Zeitungskorrespondenten und Verleger mit dem gleichen Gewicht und deskriptiven Tonfall dargestellt und Tugenden wie Fehlverhalten der „eigenen“ Truppen in gleichem Maße zur Sprache gebracht (S. 387f).

Böning will mit seiner Studie nicht die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs neu schreiben, sondern er konzentriert sich auf einen spezifischen Gegenstand: Die deskriptive und interpretatorische „Leistungsfähigkeit“ (S. 28) der frühesten Presse in ihrer Funktion als öffentlich zugängliches Informationsmedium. Wie der Titel des Fazit-Kapitels unterstreicht: „Was wissen die Zeitungen?“ – und was, analog hierzu, erfahren ihre Leser/innen? Als historische Quelle seien die Zeitungen kein alleinstehendes non plus ultra, sie stünden vielmehr im engen Verbund mit anderen Archivquellen (S. 407f.) und zeigten, welche Informationen potenziell für jedermann zugänglich waren, inwiefern das Lesepublikum in einer Ständegesellschaft als Teilöffentlichkeit an der Bildung einer öffentlichen Meinung beteiligt und hierzu, unter anderem durch das Medium der gedruckten Zeitungen, befähigt wurde. Die soziale Beschaffenheit des Publikums nach Bildungsstand oder wirtschaftlicher Situation ist so zwar nicht zu ergründen, wohl aber, welch umfangreiches Volumen an Wissen den Leser/innen zur Verfügung gestellt wurde. Infolgedessen blieb selbst von „der vielbeschworenen Arkanpolitik als dem beherrschenden staatsrechtlichen Prinzip der Frühen Neuzeit“ (S. 10) bisweilen nur noch wenig übrig, wenn beispielsweise geheime Absprachen unter den Fürsten publik gemacht wurden (S. 381f.). Nicht zuletzt darin habe das „kritische Potential“ (S. 385) der frühen Zeitungen gegenüber den Herrschenden gelegen.

Neben anderen aktuellen Monographien zum Dreißigjährigen Krieg wird schnell deutlich, wodurch sich Bönings Studie von diesen abhebt: Ein besonders wichtiges Merkmal ist zum Beispiel die quellengetreue Wiedergabe der frühneuhochdeutschen Sprache in den Medien der Zeit: Viele transkribierte Zeitungstexte belegen die Erkenntnisse anschaulich und praxisnah. Dieser Aspekt fehlt bei Autor/innen anderer Werke (z.B. Medick, Münkler, Schmidt), die ihren Leser/innen fast ausschließlich stark normalisierte Textfassungen bieten. In dieser direkten Konfrontation mit dem gedruckten historischen Sprachgebrauch liegt die Stärke der Studie. Denn sie ermöglicht es den Leser/innen, sich mittels der variierenden Syntax und Orthographie der im Prozess der Festigung begriffenen deutschen Standardschriftsprache – zu welcher die Zeitungen einen nicht unerheblichen Teil beitrugen – in Ereignisabfolgen und Denkprozesse vor 400 Jahren besser hineinzuversetzen. Umso deutlicher erscheinen die Materialschlacht und Verschwendung von Menschenleben in jenem großen Krieg. Ebenso verblassen vor der Nüchternheit der Berichte ominöse Himmelserscheinungen am Ende nicht lediglich zu Marginalien, sondern sie avancieren, auch als Facette späterer Geschichtsschreibung, durchaus zu wirkungsästhetisch ansprechenden narrativen Elementen (S. 376). Das Klingen jener Sprache im geistigen Ohr motiviert, Brechts Mutter Courage zur Hand zu nehmen, um sich die in den Zeitungsberichten weitgehend unsichtbaren Ziviltrosse im Gefolge der Heereszüge (S. 337) neu zu erlesen.

In der Studie werden zudem weitere periodische Druckmedien der Zeit, auch mit niedrigerer Erscheinungsfrequenz als die wöchentlichen Zeitungen, gewürdigt – so das Theatrum Europaeum, die Messrelationen, die Flugpublizistik, Chroniken, Kalender und Zeitungsextrakte (S. 397–405). Dabei ist das beigegebene Personen- und Sachregister sehr nützlich. Zahlreiche Illustrationen wie die bekannte Darstellung des Prager Fenstersturzes aus dem Theatrum Europaeum von 1635 – daneben auch in „naiverer“ (S. 147) Variante aus einer Flugschrift – bieten eine Form der Gegenüberstellung der barocken Bildsprache mit der stellenweise nahezu atemlos wirkenden, akribischen Detailliertheit der wiedergegebenen Nachrichten. Bei der Beschreibung realer Kriegsschauplätze kennen die Zeitungen als „Rohfassung der Geschichtsschreibung“ (S. 32) ebenso wenig wie ihre Rezipienten den Ausgang der jeweiligen Geschehnisse, was dazu anregt, diesen europäischen Konflikt nicht nur von seinem Ende her zu betrachten (S. 336).

Schließlich klingt aus Bönings Werk ein subtiler, doch nicht zu überhörender Grundton, der in der Öffentlichkeit als miteinander geteiltem Kommunikationsraum von Medien und Publikum auch noch für unseren heutigen Umgang mit journalistischen Medien Gültigkeit besitzt. Sozusagen als obligater „Gefallen“ an die Presse seitens ihrer Leser/innen, der ihr selbst seit jeher gebührt und ihren Rezipient/innen zudem gut zu Gesicht steht: Ein bedeutender Anteil der Interpretation und Wirkung des Rezipierten als einem „Substrat der Geschichtsschreibung“ (S. 407) hängt letztlich von einem kritischen, auf unterschiedliche Informationen neugierigen und vom Text unabhängig selbst denkenden Lesepublikum ab: so schon in jener voraufklärerischen Zeit, in der – wie die Studie verdeutlicht – die medialen Grundlagen hierfür geschaffen wurden, aber auch ganz besonders heute, vier Jahrhunderte danach.

Anmerkungen:
[1] Johannes Burkhardt, Der Krieg der Kriege. Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2018; Hans Medick, Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt, Göttingen 2018; Georg Schmidt, Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, München 2018; Herfried Münkler, Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618–1648, Reinbek 2017; Peter H. Wilson, Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie, Darmstadt 2017.
[2] Anton Gindely, Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. In drei Abteilungen, Leipzig 1882–1884; Ricarda Huch, Der Dreißigjährige Krieg, 2 Bde., Leipzig 1957 (zuerst 1912–1914 in drei Bänden erschienen unter dem Titel „Der große Krieg in Deutschland“); Moriz Ritter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges (1555–1648), 3 Bde., Stuttgart 1889–1908.

 

[Regionalforum-Saar] Der Pilz am Ende der Welt. Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus

Date: 2019/03/26 08:48:26
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

A. Lowenhaupt Tsing: Pilz am Ende der Welt

Der Pilz am Ende der Welt. Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus

 

 

Autor   Lowenhaupt Tsing, Anna

Erschienen       Berlin 2018: Matthes & Seitz

Umfang            445 S.

Preis    € 28,00

ISBN   978-3-95757-532-6

 

Rezensiert für H-Soz-Kult von Nils Güttler, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich

„Dinge, die klein erscheinen, stellen sich oft als groß heraus.“ (S. 153) Im Mittelpunkt von Anna Lowenhaupt Tsings historisch-ethnographischer Untersuchung steht ein Gegenstand, der auf den ersten Blick tatsächlich recht klein wirkt und dennoch den Stoff für eine große Geschichte des globalen Verwertungskapitalismus liefert: der Matsutake, ein feinaromatischer Wildpilz und eine Delikatesse in der japanischen Küche. Der Pilz wächst bevorzugt in vormals industriell genutzten Kieferwäldern. Warum der Pilz genau in diesen strapazierten Ökosystemen – den „Ruinen des Kapitalismus“ – vorkommt, ist nicht hinlänglich geklärt. Nur soviel ist bekannt: Der Matsutake geht unter bestimmten Umständen eine Symbiose mit den Wurzeln der Kiefern ein. Da die Wissenschaft im Dunkeln tappt, wie genau dieser Vorgang abläuft, ist es nicht möglich, den Pilz landwirtschaftlich im großen Maßstab zu kultivieren. Verbreitet ist der Matsutake heute unter anderem in Oregon, in Lappland, im südwestchinesischen Yunnan und in Japan, wo lokale Pilzsammler- und Händlerkulturen entstanden sind, deren prekäre Lebens- und Wissenswelten im Zentrum von Tsings Ethnographie stehen. Mit der minutiösen Beschreibung der gesamten Lieferkette der Matsutakeproduktion von den Sammlern, über die Zwischenhändler/innen, Mittelsmänner und -frauen sowie Übersetzer/innen, bis hin zu den japanischen Endverbraucher/innen will Tsing die „Ränder des Kapitalismus“ (S. 379) vermessen, wo Dinge, die an und für sich nicht industriell „skalierbar“ (S. 59) sind, durch ein komplexes Ineinanderwirken von informellen Tausch- und Warenökonomien passend für die globale Zirkulation gemacht werden. Der Pilz am Ende der Welt – ein Abgesang an die Fortschrittsversprechen des Kapitalismus des 20. Jahrhunderts, dessen desaströse Folgen laut Tsing an den Orten sichtbar werden, in denen der Pilz wächst und zirkuliert. „Was entsteht, wenn der industrielle Ruf nach Versprechen und Ruin verklungen ist, in den beschädigten Landschaften?“ (S. 32) Tsings Antwort: Der Matsutake.

Das Buch beruht auf einem kollaborativen Forschungsprojekt zu den „Matsutake Welten“[1] und ist an der Schnittstelle von Umweltgeschichte und Wissenschaftsforschung angesiedelt. Es schließt dabei vor allem an Diskussionen innerhalb der Science-and-Technology-Studies an, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten intensiv rund um „nicht-menschliche Akteure“, „multispecies ethnographies“, „Grenzobjekte“, oder „neue Ontologien“ geführt worden sind. Was den Pilz am Ende der Welt aus der Masse an Literatur zu Posthumanismus und Anthropozän abhebt, ist ein spezifischer Modus des Erzählens. In insgesamt zwanzig Kapiteln verschachtelt Tsing, auf ähnlich kunstvolle Art und Weise wie schon in ihrem vorherigen Buch Friction[2], verschiedene Elemente miteinander: ethnographische Beobachtungen, die Wissensgeschichte des Matsutake, die Landschaftsgeschichte einzelner Regionen, die Sozialgeschichte der Pilzsammler/innen und -händler (mit spezifischem Schwerpunkt auf die Migrationsgeschichte) und nicht zuletzt globale Veränderungen in der Weltwirtschaft. So ist es oft nur ein kleiner Schritt von einem Zeltlager in den Wäldern Oregons zu den globalen Lieferketten des Sportartikelherstellers Nike, die ebenfalls in die Region führen. Diese auf den ersten Blick oft assoziativ wirkenden Verbindungen haben jedoch System. Tsing möchte sich mit ihren Geschichten einer Wirklichkeit nähern, in der sich verschiedene „Wissens- und Seinspraktiken“ (S. 214) permanent überlagern und miteinander vermischen.

An den Rändern des Kapitalismus wird die Welt in Sachen Natur/Kultur also ziemlich unübersichtlich und in dem epistemischen „Mischmasch“ (S. 214), das hier zutage tritt, liegt die wissensgeschichtliche Sprengkraft des Buches (auch wenn der Begriff Wissensgeschichte freilich nicht benutzt wird). Das über Generationen gewonnene „Waldwissen“ (S. 325) der Sammler/innen ist für Tsing beispielsweise dem tradierten Wissen der Wissenschaftler/innen gleichwertig. Dieses Waldwissen manifestiert sich etwa in Form von Geruch oder der Kenntnis der verschiedenen „Lebenslinien“ (ein von dem Ethnologen Tim Ingold entlehnter Begriff), die die Wälder durchziehen und entsprechend gelesen werden müssen. Allerdings weitet sie die mittlerweile übliche soziale Dehierarchisierung von Wissen systematisch auf nicht-menschliche Akteure aus. Tsing interessiert sich für das Ineinanderwirken verschiedener Wissensformen unter anderem deshalb, weil sie die Grundlage für „Gefüge“ oder Wissensräume bilden, die sie als „Patches“ (S. 292) des Wissens bezeichnet. In diesen Patches, die historisch gewachsen sind und sich in der Regel regional oder national herausbilden, mischen sich die ökologischen Bedingungen von Orten mit ihren jeweiligen nicht-menschlichen Akteuren (Bäumen, Pilzen, Insekten), lokale Wissensformen, Praktiken der Landwirtschaft und des Umweltmanagements, nationale Forschungstraditionen und wissenschaftspolitische Rahmenbedingungen. Mit anderen Worten: Tsing arbeitet in ihrem Buch an einer Ökologisierung der Wissensgeschichte – und das mit einem explizit normativen Anspruch. Denn nur eine Wissenschaft, die das globale Nebeneinander verschiedener Patches akzeptiere, sei wirklich kosmopolitisch und „reicher“ (S. 303) als die herkömmliche Wissenschaft, nicht zuletzt weil sie auch Pflanzen und Tiere zu Wort kommen lasse.

Ein interessanter Effekt der Ökologisierung von Wissen ist es, dass naturwissenschaftliches Wissen in Tsings Buch erstaunlich wenig problematisiert wird. Wissensgeschichtlich betrachtet ist das zunächst nur konsequent. Warum sollte man den Naturwissenschaften noch besondere Aufmerksamkeit schenken, handelt es sich doch nur um eine Wissensform unter vielen? So werden die klassischen Sujets der Wissenschaftsforschung – die Praktiken, Medien und Orte der naturwissenschaftlichen Wissensproduktion – in dem Buch allenfalls am Rande gestreift. Mykologen/innen, Forstwissenschaftler/innen und Biogeographen/innen tauchen zwar wiederholt als historische oder noch lebende Akteure auf, doch rekonstruiert Tsing mithilfe ihrer Studien hauptsächlich die Natur- und Landschaftsgeschichte des Matsutake, seine Ökologie und sein Verhalten, während die Leser/innen über den Entstehungskontext dieser Werke kaum etwas erfahren. Insgesamt entsteht ein ziemlich ästhetisiertes Bild wissenschaftlicher Forschung, das sich mehr aus „Neugier“ (S. 15), „Freude am Wahrnehmen“ (S. 373) und „Fantasie“ (S. 33) speist, als aus handfesten wirtschaftlichen oder politischen Interessen. Mit dem Matstutake wird immerhin viel Geld verdient, nicht nur in den Luxusrestaurants in Tokio, sondern auch seitens einer Lebensmittel- und Pharmaindustrie, deren Forschungsabteilungen sich seit Jahrzehnten für ein ähnlich ‚lokales‘ Wissen interessieren, wie Tsing es beschreibt. An die prominenten Biologen des 19. und 20. Jahrhunderts, von Charles Darwin bis Jakob von Uexküll, wendet sich die Autorin wiederum ausschließlich als Stichwortgeber und Vordenker, um sich ihres eigenen Zugangs zu vergewissern. Kein Wunder, denn dieser ist stark naturwissenschaftlich legitimiert. An zentralen Stellen ihrer Argumentation stützt sie sich auf neuere Forschungen aus der Ökologie und speziell aus der Ökosystemforschung, um ihre ethnographisch-historische Aufmerksamkeit für „Kollaboration“ (S. 48), „zwischenartliches Leben“ (S. 191), „artenübergreifende Feinabstimmung“ (S. 211) oder „Störungen“ (S. 20) zu plausibilisieren. In dem neuerlichen Vertrauensvorschuss an die Naturwissenschaften folgt sie einem Trend in der jüngeren Wissenschafts- und Technikforschung und Umweltgeschichte, die sich seit einigen Jahren wieder stärker an die Naturwissenschaften und insbesondere die Ökologie anlehnt. Statt die Wissensproduktion der Naturwissenschaften zu entzaubern oder gar zu kritisieren, geht es hier nunmehr darum, sich mit ihnen zusammen aus dem gegenwärtigen ökologischen und politischen Schlamassel zu befreien.[3] Im Anthropozän und seinen allgegenwärtigen „Ruinen des Kapitalismus“, so der vielleicht eindrücklichste wissensgeschichtliche Grundton des Buches, sitzen wieder alle Wissenschaftler/innen in einem Boot.

Der Pilz am Ende der Welt ist seit dem Erscheinen der amerikanischen Originalausgabe im Jahr 2015 ein Publikumserfolg, was sich nicht zuletzt in der sehr gelungenen deutschen Übersetzung manifestiert, die inzwischen bei Matthes & Seitz vorliegt. Ein Grund dafür ist zuallererst in der Erzählfreude zu suchen, die das Buch auf jeder Seite versprüht und die einen als Leser von Beginn an in den Bann zieht. Bisweilen gleitet der Text ins Phantastische ab. Ein Epilog über die Sporen der Pilze liest sich beispielsweise wie ein posthumanistisches Märchen über globale Vernetzung und Zirkulation. Vermutlich ist es auch der Konzentration auf viele kleine „Geschichten“ geschuldet, dass es Tsing gelingt, ein akademisches Publikum ebenso anzusprechen wie eine breitere Leseöffentlichkeit. Weil das Buch so vielfältige Identifikationspotenziale und Anschlussmöglichkeiten bereitstellt, tendiert es jedoch bisweilen zum intellektuellen Gemischtwarenladen. Am Ende ist für jede und jeden etwas dabei: Leser/innen aus der Wissens-, Umweltgeschichte oder Kulturwissenschaften werden in dem Buch vor allem eine Inspiration sehen, um anders über die Geschichte der technischen Umwelten der Gegenwart zu schreiben; Künstler/innen, Hipster und Kreativarbeiter/innen in Berlin und Los Angeles können in dem Buch eine Anleitung zum „prekären Überleben“ (S. 55) finden (ein Leben, das bei näherem Hinsehen dann doch nicht so viel mit dem der Pilzsammler in Oregon zu tun hat); Aussteiger/innen in der Uckermark oder Umweltaktivist/innen in Brüssel werden den Text als Manifest zur ökologischen Landwirtschaft interpretieren; und der weltgewandte Foodie in Zürich oder London, genauso wie gutbürgerliche Feinschmecker/innen in Freiburg, lernen darin noch etwas Unbekanntes über die japanische Küche.

Im besten Sinne des Wortes zeitgemäß zu sein und so unterschiedliche Leserschaften anzusprechen, ist zweifellos eine Leistung des Buches. Was allerdings stellenweise auf der Strecke bleibt, ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen Elementen der jeweiligen Geschichten. Das betrifft insbesondere die Rolle von Wissenschaft, gerade auch mit Blick auf den im Buch gewählten analytischen Zugang. So viel Unerwartetes wir auch über die Lebens- und Sinnwelten der Matsutakesammler und -händler erfahren, so hätte man sich als Leser bisweilen gewünscht, dass Tsing mehr Worte darüber verloren hätte, was es konkret bedeutet – und auch: was politisch auf dem Spiel steht –, wenn wir unseren analytischen Zugang zu Wissen und Wissenschaft derart ökologisieren und ästhetisieren. So wirft die Geschichte vom kleinen Pilz tatsächlich große Fragen auf, nicht zuletzt dahingehend, wie sich Umweltgeschichte und Wissenschaftsforschung künftig zusammendenken lassen. Wie auch immer eine solche Wissensgeschichte auch aussehen mag und ob sie tatsächlich die Wissenschaftsgeschichte ganz ad acta legen kann – an Tsings Pilzen wird sie jedenfalls so schnell nicht mehr vorbeikommen.

Anmerkungen:
[1] Matsutake Worlds Research Group, A New Form of Collaboration in Cultural Anthropology. Matstutake Worlds, in: American Ethnologist 36 (2009), S. 380–403.
[2] Anna Lowenhaupt Tsing, Friction. An Ethnography of Global Connection, Princeton 2005.
[3] Paradigmatisch in dieser Hinsicht sind Bruno Latours jüngere Arbeiten, etwa: Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie, Frankfurt am Main 2001; Why Has Critique Run out of Steam? From Matters of Fact to Matters of Concern, in: Critical Inquiry 30 (2004), S. 225–248.

 

[Regionalforum-Saar] neue Ausstellung in St. Wendel

Date: 2019/03/26 22:18:42
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Guten Abend,

vom 16. April bis 9. Juni findet im Mia-Münster-Haus eine Ausstellung mit dem Titel

"St. Wendel zur Zeit von Herzogin Luise" statt.


Ihr findet hier mehr darüber:

https://www.sankt-wendel.de/kultur/kulturelle-highlights/prinz-albert-jahr/


Die Eröffnung findet am Sonntag, 14. April, um 15 Uhr im Mia-Münster-Haus statt.

Wenn Ihr daran teilnehmen wollt, schickt bitte eine Email an das Stadtarchiv St. Wendel <mgrothusmann(a)sankt-wendel.de
Da wird die Ausstellung eröffnet, es gibt Musik von Philipp Jakob Riotte, einen Kurzfilm über Luise, und die neue Herzogin-Luise-Stiftung wird vorgestellt.

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Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger
 

[Regionalforum-Saar] H. Scharnberg: Die "Judenfrage" im Bild

Date: 2019/03/28 23:25:18
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Die "Judenfrage" im Bild. Der Antisemitismus in nationalsozialistischen Fotoreportagen

 

Autor(en) Scharnberg, Harriet

Erschienen Hamburg 2018: Hamburger Edition, HIS Verlag

Umfang 443 S., 95 Abb.

Preis € 28,00

ISBN 978-3-86854-325-4

 

Rezensiert für H-Soz-Kult von Norman Domeier, Historisches Institut, Universität Stuttgart

In die Geschichte der Pressefotografie der 1930er- und 1940er-Jahre ist in den letzten Jahren mehr Bewegung gekommen als in den Jahrzehnten zuvor. Vor allem die transatlantischen, mitunter globalen Verflechtungen der Produktion, Vermarktung und Nutzung von Pressefotos waren viel enger als bisher angenommen. Einen wichtigen Beitrag dazu hat 2016 Harriet Scharnberg mit ihrem Aufsatz zur Zusammenarbeit von Associated Press (AP) und NS-Deutschland bis zum Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 geleistet.[1]

 

Jetzt ist ihre 2017 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg angenommene Dissertation zur „Judenfrage“ in NS-Fotoreportagen erschienen.[2] Das Thema des Buches ist in höchstem Maße spannend und relevant: Die illustrierte Presse des „Dritten Reiches“ ist in ihrer politischen und kulturgeschichtlichen Relevanz in der allgemeinen Geschichtswissenschaft bisher völlig unterschätzt worden. 1940 hatte allein das Flaggschiff der NS-Bildpresse, die Berliner Illustri(e)rte Zeitung (BIZ), eine Auflage von fast 3 Millionen Exemplaren mit einer Reichweite von schätzungsweise 15 Millionen Lesern (S. 8). Scharnberg ist inhaltlich vor allem an der „Judenfrage“ in Foto-Reportagen interessiert, die sie von der Auseinandersetzung der NS-Bildpresse mit dem „Weltjudentum“ und dem „Jischuw“ abzugrenzen versucht (der durchgängig verwendete Begriff „Jischuw“ wirkt im Kontext des zeitgenössischen NS-Sprachgebrauchs deplatziert, denn hier wurde meist von Palästina oder dem britischen Mandatsgebiet gesprochen; ein hebräischer Eigenbegriff war für jeden NS-Schriftleiter, außer in pejorativer Absicht, Tabu). Diese Abgrenzung ergibt analytisch durchaus Sinn, da so die in den eigenen Herrschaftsbereich gerichteten und über diesen informierenden Bild- und Textbotschaften des NS-Regimes präziser unter dem Rubrum „Judenfrage“ gefasst werden können, während die Angriffe auf die „jüdische Weltverschwörung“, den „verjudeten Bolschewismus“ oder die „Wallstreet-Juden“ den Blick aus dem Herrschaftsgebiet heraus auf das „Weltjudentum“ lenkten. Allerdings ist fraglich, ob sich die analytisch sinnvollen Differenzierungen in den Quellen durchgängig präzise widerspiegeln: Gerade im Fall der Berichterstattung über die Novemberpogrome 1938 und in der folgenden antisemitischen Pressekampagne bis zur Hitler-Rede am 30. Januar 1939 verschwimmen alle drei Bereiche ineinander. Angriffe auf die britische Politik in Palästina wurden nach der „Kristallnacht“ gebetsmühlenartig wiederholt, um von den Verbrechen im eigenen Herrschaftsbereich abzulenken. Hinzu kommt, dass der Ansatz teilweise konträr zu bewährten älteren Studien wie denen von Peter Longerich steht, in denen „Judenfrage“ und „Weltjudentum“ im umfassenderen Konzept „antisemitische Propaganda“ untersucht wurden.[3]

 

In ihrem inhaltlichen Hauptteil, der in erster Linie der visuellen Berichterstattung über Ghettos gewidmet ist, kann Scharnberg mit interessanten Ergebnissen aufwarten. So zeigt sie, dass es in der illustrierten NS-Presse keine großen Kampagnen zur „Judenfrage“ vor den Novemberpogromen 1938 gab, wenn man von der „radikalen“ NS-Presse absieht, wie Goebbels selbst vor allem Stürmer und Schwarzes Korps bezeichnete (der Illustrierte Beobachter könnte hinzugerechnet werden). Selbst das Attentat auf Wilhelm Gustloff in der Schweiz 1936 oder der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich und die Ausschreitungen gegen die Wiener Juden im März 1938 wurden aus taktischen Propaganda-Erwägungen visuell weitgehend ausgeblendet und kaum für die Erörterung der „Judenfrage“ genutzt.

Von den Novemberpogromen 1938 bis zum Angriff auf die Sowjetunion im Sommer 1941 aber, so Scharnberg, war ein Zeitfenster für große fotografische Auseinandersetzungen mit der „Judenfrage“ geöffnet. Nun erschienen Fotoreportagen, die oft das Ghetto-Leben darstellten, um der Weltöffentlichkeit vorzugaukeln, es gehe den jüdischen Menschen „im Osten“ unter der Herrschaft der Nationalsozialisten gut. Sogar Anspielungen auf die Gründung von „Judenstaaten“ unter NS-Aufsicht wurden gemacht. Diese auf Fotomaterial insbesondere der Propagandakompanien der Wehrmacht basierende Publikationsphase endete laut Scharnberg mit dem „Unternehmen Barbarossa“. Visuell sei danach, parallel zur Ermordung der Juden, die „Judenfrage“ tabuisiert worden, während die Propaganda gegen das „Weltjudentum“ auf Hochtouren weitergelaufen sei (S. 11). Bis zum Mai 1945 hätten dann nur noch wenige Ausnahme-Fotografien in der NS-Presse die Blicke auf das Schicksal der Juden unter der Herrschaft der Nationalsozialisten gelenkt.

 

Konzeptionell kann Scharnberg gegen die ältere Fotografiegeschichte plausibel begründen, dass „sich etwaige Spuren einer gestalterischen oder ästhetischen Lenkung der Bildberichter durch staatliche Stellen schnell im Nichts“ verlieren (S. 74). Für die Produktion von NS-Pressefotos galt vielmehr der zeitgenössische Slogan „Der Inhalt ist wichtiger als die Form“ (S. 75). Für Historiker ergibt sich für den Umgang mit NS-Fotos daraus die wichtige quellenkritische Erkenntnis, dass die nach 1945 jahrzehntelang vorherrschenden kunsthistorischen oder kommunikationstheoretisch-visuellen Analysen von NS-Fotos eher Zuschreibungen einer mehr vermuteten als belegten Allmacht des Goebbels’schen Propagandasystems repräsentieren. Diese Erkenntnis macht auch deutlich, wie entscheidend die Integration der Foto- und Bildgeschichte in die allgemeine Geschichtswissenschaft ist, um Ästhetik- und Visualisierungs-Diskurse aus benachbarten Disziplinen mit den historischen Kontexten zu verbinden.

 

Scharnberg arbeitet sehr gut die Bedeutung des Bildreferates im Propagandaministerium unter seinem Leiter Regierungsrat Heiner Kurzbein heraus. Hierfür nutzt sie insbesondere das „Bildpresse Zensur-Dienstbuch“ im Bestand des Bundesarchivs Berlin-Lichterfelde, das bislang von der Forschung unbeachtet geblieben sei. Allerdings wurde es von der tschechischen Historikerin Lenka Lysonková bereits 2013/14 verwendet.[4] Doch auch von Scharnberg wird die Schlüsselfrage nicht eindeutig beantwortet, in welchem Umfang es 1939–1941 eine Vorzensur für Fotografien gab und in welcher Weise das Bildreferat diese in der Realität ausüben konnte, da es personell bis zum Kriegsbeginn viel zu klein war und auch danach auf aktive NS-Schriftleiter/Bildberichter als Zensoren zurückgreifen musste. Im November 1941 wurde die Foto-Vorzensur dann faktisch bereits wieder aufgehoben und die „Verantwortung“ an die Hauptschriftleiter der jeweiligen Medien zurückübertragen. Allerdings blieb eine Vorlagepflicht bestehen, sodass die militärische und die politische Seite unerwünschtes Bildmaterial vor Abdruck sperren konnten (S. 83–84). Retuschen und inhaltlich relevante Bildfälschungen, darauf weist auch Scharnberg hin, waren selbst im Krieg sehr selten. Zu diesen spannenden Bereichen von Foto-Zensur und Bildverfälschungen sind in jedem Fall noch weitere Studien notwendig; nicht zuletzt dafür wäre ein Namens- und Sachregister wünschenswert gewesen.

 

Einige sprachlich-inhaltliche Merkwürdigkeiten finden sich in Scharnbergs Arbeit: Das Schwarze Korps und der Stürmer „hatten auch Kontakte zu den Verfolgungsinstitutionen des NS-Staates, die ihnen hin und wieder Material zuspielten“ (S. 36). Beide Presseorgane, werden viele einwenden, waren selbst Teil der Verfolgungsinstitutionen des NS-Staates. Insgesamt ist das Buch durch Theorieüberfrachtung und eine häufig hermetische Sprache schwere Kost selbst für interessierte Leser. Ein Beispiel: „Die Leser/innen verstanden es, bei Darstellungen der Minuspartei Gegenbilder zu ergänzen, wenn diese ausnahmsweise nicht mitgeliefert wurden. Durch die kontrastive Verklammerung der Gegenbilder waren sie in der Vorstellung der Rezipient/innen auch dann anwesend, wenn physische Bilder fehlten.“ (S. 104) Doch welchen Reim sich die Leser der NS-Bildillustrierten wirklich auf die Betrachtung von Fotos machten: Wir wissen es schlichtweg nicht. Da es noch keine Demoskopie gab, sind Aussagen über Foto-Rezeptionen Vermutungen. An anderer Stelle, in ihrer Kritik am „Propaganda-Paradigma“, räumt Scharnberg auch genau dies ein und schreibt, man könne „lediglich aus theoretischen Kommunikationsmodellen abstrahieren“ (S. 16–18).

 

Bedauerlicherweise ist die Studie nicht mehr an den neuesten Forschungsstand angepasst worden und dadurch an einigen Stellen schon wieder überholt, insbesondere für die Zeit nach dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941. Der Aufsatz zum geheimen Deal zwischen Associated Press (AP) und dem „Büro Laux“, eines joint venture von SS und Auswärtigem Amt, das getarnt das deutsche AP-Büro bis zum Frühjahr 1945 weiterbetrieb, ist zwar einmal pflichtschuldig zitiert (S. 62).[5] Die Erkenntnisse wurden jedoch nicht mehr auf das Material der Studie angewendet. Durch den täglichen geheimen Fotoaustausch von 1942 bis 1945 zwischen den Kriegsgegnern Deutsches Reich, USA und Großbritannien über die neutralen Hauptstädte Lissabon und Stockholm hatten es NS-Medien nicht nötig, „Raubkopien“ (S. 147) von Fotos aus alliierten Zeitungen und Zeitschriften anzufertigen. Denn sie erhielten täglich frisches Fotomaterial von den Kriegsgegnern USA und Großbritannien und konnten auch älteres Material aus dem Archiv der deutschen AP und aus in Europa erbeuteten Fotoarchiven nutzen. Durch den geheimen Fotoaustausch zwischen den Kriegsfeinden ist auch zu erklären, vor welchem Hintergrund (und wie zügig) eine dekontextualisierende, missbräuchliche Nutzung einer britischen Fotoserie durch die illustrierte NS-Presse stattfinden konnte, was Scharnberg zu irritieren scheint (S. 147–149): Die Fotoserie „Women Sign On For Home Defence“ in der Picture Post vom Februar 1942 zu britischen Frauen, die sich an Gewehren ausbilden ließen, wurde nur wenige Wochen später im April 1942 im Illustrierten Beobachter veröffentlicht – inhaltlich völlig verfremdet und antisemitisch ausgeschlachtet unter der Überschrift „Jüdinnen wollen in den Krieg“. Der Fotoaustausch zwischen Berlin, New York und London lief auch nach dem Kriegseintritt der USA Ende 1941 bis zum April 1945 auf Hochtouren weiter, ja er steigerte sich sogar. Es gab – zumindest visuell – keine getrennten Kriegsöffentlichkeiten und keinen „totalen Krieg“.

Anmerkungen:
[1] Harriet Scharnberg, Das A und P der Propaganda. Associated Press und die nationalsozialistische Bildpublizistik, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 13 (2016), S. 11–37, http://www.zeithistorische-forschungen.de/1-2016/id=5324 (04.03.2019).
[2] Der Bildteil ist im Internet abrufbar unter: https://www.hamburger-edition.de/fileadmin/user_upload/Hamburger_Edition/Zusatzmaterial/Die_Judenfrage_im_Bild/Abbildungen_gesamt.pdf (04.03.2019).
[3] Peter Longerich, „Davon haben wir nichts gewusst!“. Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933–1945, München 2006.
[4] Lenka Lysonková, The Power of Photography in the News Service of the Protectorate of Bohemia and Moravia, in: Mika Elo / Marko Karo (Hrsg.), Photographic Powers. Helsinki Photomedia 2014, Helsinki 2014, S. 219–239.
[5] Norman Domeier, Geheime Fotos. Die Kooperation von Associated Press und NS-Regime (1942–1945), in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 14 (2017), S. 199–230, http://www.zeithistorische-forschungen.de/2-2017/id=5484 (04.03.2019).

 

[Regionalforum-Saar] Die vergessene Römerschlacht . Der sensationelle Fund am Harzhorn

Date: 2019/03/31 22:13:39
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

G. Moosbauer: Die vergessene Römerschlacht

 

Autor(en)         Moosbauer, Günther

Erschienen       München 2018: C.H. Beck Verlag

Umfang            201 S.

Preis    € 19,95

ISBN   978-3-406-72489-3

 

Rezensiert für H-Soz-Kult von Klaus-Peter Johne, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

 

Seit drei Jahrzehnten haben spektakuläre Funde unser Wissen um die Beziehungen zwischen Römern und Germanen bereichert, ergänzt und korrigiert. Zweifellos am bekanntesten geworden sind die Ausgrabungen in der Kalkriese-Niewedder Senke bei Osnabrück, dem vermutlichen Ort der Varusschlacht. Aber auch die Fundorte Marktbreit bei Würzburg, Lahnau-Waldgirmes und Dorlar in Hessen, Hedemünden an der Werra und neuerdings Wilkenburg bei Hannover sind für die Erforschung der römischen Expansion um den Beginn der christlichen Zeitrechnung von großem Wert. Sie alle bezeugen die Aufenthalte von Römern in Germanien zwischen 12 v.Chr. und 16 n.Chr. Von ihnen unterscheidet sich nun grundsätzlich der Fund am Harzhorn zwischen Kalefeld und Bad Gandersheim im Kreis Northeim in Niedersachsen. Dort wurde 2008 ein Schlachtfeld entdeckt, das in das 3. Jahrhundert, in das Jahr 235 n.Chr., datiert werden kann. Die Beweise für einen römischen Feldzug in das Innere Germaniens mehr als 200 Jahre nach der Schlacht im Teutoburger Wald sind eine echte Sensation!

 

Für Günther Moosbauer, Museumsdirektor in Straubing und ausgewiesener Kenner der römischen Germanienpolitik, ist der Fund am Harzhorn der Ausgangspunkt für eine weitreichende Untersuchung. In seinem Buch geht es bei weitem nicht nur um die „vergessene Römerschlacht“, er erörtert vielmehr die römisch-germanischen Beziehungen von der Mitte des 2. bis in das späte 3. Jahrhundert. Das erste Kapitel behandelt die Ereignisse von der Regierung des Antoninus Pius bis zum Feldzug des Caracalla 213, wobei die Markomannenkriege Mark Aurels verständlicherweise den größten Raum einnehmen. Von besonderem Interesse ist dabei, dass neuere archäologische Zeugnisse im südlichen Böhmen und Mähren sowie in der Slowakei dafür sprechen, dass die in literarischen Quellen überlieferten Pläne für die Einrichtung einer römischen Provinz Marcomannia offensichtlich eine historische Grundlage besitzen (S. 35–37).[1] Neben den archäologischen Funden zieht der Verfasser alle vorhandenen Schriftquellen in vorbildlicher Weise heran, das heißt die einschlägigen Zitate aus der griechischen und römischen Literatur, die Inschriften und auch die Münzen.

 

Die drei folgenden Kapitel beschäftigen sich mit der Vorgeschichte des Jahres 235. Während eines Krieges zwischen Römern und Persern im Nahen Osten kam es zwischen 231 und 234 zu germanischen Einfällen in die römischen Grenzprovinzen und zu Zerstörungen am Limes und in dessen Hinterland. Die Germanen stießen dabei bis an den Rhein und über die Donau vor, selbst Italien schien bedroht zu sein. Der Perserkrieg wurde abgebrochen und zahlreiche Truppenverbände, darunter auch orientalische Spezialeinheiten, an die Rheinfront verlegt.

 

Kapitel 5 stellt mit dem Feldzug des Maximinus Thrax gegen die Germanen das Kernstück des Buches dar. Seinen Verlauf rekonstruiert Moosbauer ausgehend von Mainz durch die Wetterau an die Werra bei Hedemünden, von dort in das Thüringer Becken und schließlich nach Norden bis in die Altmark. Dort verortet er die in der Literatur überlieferte „Schlacht im Moor“ (vgl. Abb. 10, S. 76). Auf dem Rückweg zog das Heer am Harz vorbei nach Süden und konnte am Harzhorn einen germanischen Überfall erfolgreich abwehren. Aus den zahlreichen Militaria-Funden, von denen Katapultbolzen, Pfeilspitzen und Sandalennägel am wichtigsten sind, rekonstruiert der Verfasser höchst eindrucksvoll das Kampfgeschehen, das durch Silbermünzen auf das Jahr 235 datiert werden kann. Die Römer haben Torsionsgeschütze, die bereits ein Jahrhundert früher auf der Trajanssäule abgebildet worden sind, als Artillerie eingesetzt. Die Darstellung ist ein Musterbeispiel für die Auswertung eines Fundplatzes der „Schlachtfeldarchäologie“ (S. 85–101).

 

Im Kapitel 6 wird eine Rückkehr des Heeres vom Harzhorn in das Winterlager bei Mainz angenommen. Dies kann jedoch nur eine Vermutung sein. Bevor das neue Schlachtfeld entdeckt worden ist, ergab sich nämlich ein ganz anderer Feldzugsverlauf: Bei Herodian und in der Biographie des Maximinus Thrax in der Historia Augusta ist der Ausgangspunkt der Raum Mainz und das Endziel Sirmium an der Donaufront, heute Sremska Mitrovica in Serbien. Der Kaiser zog danach nach Südosten vom Rhein zur Donau. Das ist nun deshalb sehr wahrscheinlich, weil es die vordringlichste Aufgabe des Herrschers sein musste, das kurz zuvor von den Germanen eroberte rechtsrheinische Provinzgebiet zurückzugewinnen, den obergermanisch-rätischen Limes wiederherzustellen und ihn neu zu befestigen. Die Kriegsführung jenseits der Grenze dürfte sich daher im Vorfeld des Limes abgespielt haben, also im heutigen Süddeutschland, wo auch die „Schlacht im Moor“ lokalisiert werden müsste. Gegenüber dieser eindeutigen Hauptaufgabe musste ein Rachefeldzug gegen Stämme in Mitteldeutschland bis zur Elbe von zweitrangiger Bedeutung sein. Die „vergessene Römerschlacht“ scheint demnach ein Nebenkriegsschauplatz gewesen zu sein, was die Bedeutung dieses Fundes keinesfalls schmälert. Bei dem großen Heeresaufgebot, das 234/235 am Mittelrhein versammelt wurde, kann durchaus eine Heeresgruppe den von Moosbauer nachgezeichneten Zug nach Nordosten unternommen haben und auf dem Rückmarsch zum Harzhorn gekommen sein, während der Kaiser mit dem Hauptheer nach Südosten zog. Die antike Literatur hat nur von dessen Feldzug Kenntnis genommen – und selbst das nur schemenhaft – und andere Operationen ignoriert. Auch in der augusteischen Zeit haben die Schriftsteller vorrangig die Kriegshandlungen dargestellt, die von Prinzen des Kaiserhauses geleitet wurden. Die vermutete Aufteilung des Heeres besäße eine Parallele in dem Perserkrieg der vorangegangenen Jahre, in dem das Römerheer in drei verschiedenen Marschsäulen vorgerückt war (vgl. S. 57f.). Wie weit Maximinus Thrax mit seinem Heeresteil in Germanien gekommen ist, wissen wir nicht. Dabei helfen leider auch die vermeintlich genauen Zahlenangaben in der Historia Augusta nicht.[2]

 

Die Kapitel 7–9 schildern Veränderungen im Barbaricum, wobei das 1990 entdeckte Fürstengrab von Gommern bei Magdeburg ausführlicher gewürdigt wird, das Ende des Kaisers Maximinus Thrax 238 und bieten einen Ausblick auf die Zeit der Soldatenkaiser und das Gallische Sonderreich.

 

Ein Resümee stellt schließlich das Harzhornereignis in den Kontext der Reichsentwicklung. Die „vergessene Römerschlacht“ zeigt, dass noch im krisengeschüttelten 3. Jahrhundert römische Verbände weit hinter den Reichsgrenzen tief im Barbaricum operieren konnten. Auch wenn Maximinus Thrax selbst daran nicht beteiligt gewesen sein dürfte, ändert dies nichts an dem sensationellen Charakter des Fundes, der in diesem Buch mustergültig vorgestellt wird.

 

Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu Klaus-Peter Johne, Die Römer an der Elbe. Das Stromgebiet der Elbe im geographischen Weltbild und im politischen Bewusstsein der griechisch-römischen Antike, Berlin 2006, S. 247–249.
[2] Vgl. dazu Johne, Elbe, S. 261–264 und Rainer Wiegels, Zu den Heeresformationen Roms am Rhein und oberer Donau in der Zeit des Alexander Severus und des Maximinus Thrax, in: Klio 96 (2014), S. 93–143, bes. S. 95–97 und 135.

 

Zitation

 

Klaus-Peter Johne: Rezension zu: Moosbauer, Günther: Die vergessene Römerschlacht. Der sensationelle Fund am Harzhorn. München  2018 , in: H-Soz-Kult, 01.04.2019, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-29484>.