Monatsdigest

[Regionalforum-Saar] Handgebrauch. Geschichten von de r Hand aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit

Date: 2017/12/01 18:25:33
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Tagber: Handgebrauch. Geschichten von der Hand aus dem
         Mittelalter und der frühen Neuzeit
------------------------------------------------------------------------

Centro tedesco di Studi Veneziani
04.10.2017-07.10.2017, Venedig

Bericht von:
Sabine Herrmann, Institut für Geschichte der Medizin, Robert Bosch
Stiftung
E-Mail: <sabine.herrmann(a)libero.it>

Unter den Körperteilen nimmt die Hand in allen Kulturen eine besondere
Stellung ein: Sie ist eines der wichtigsten Organe, mit denen Menschen
nonverbal kommunizieren können, sie dient der Begrüßung, dem Schwur und
dem Hinweis in vielfachen sozialen Situationen.  Die Hand und ihr
Gebrauch sind damit ein guter Untersuchungsgegenstand einer modernen
Kultur- und Medizingeschichte. Die am Centro tedesco di Studi Veneziani
und am Istituto veneto delle Scienze in Venedig stattfindende Tagung
stellte unterschiedliche Aspekte des Gebrauchs der Hand zusammen und
fokussierte dabei auf die europäische Vormoderne.

Der Einführungsvortrag von ROMEDIO SCHMITZ-ESSER (Graz) beschäftigte
sich mit der im Domschatz von Merseburg aufbewahrten mutmaßlichen Hand
Rudolfs von Rheinfelden, deren Kult um 1700 bereits etabliert war.
Dieses von der Forschung bisher wenig beachtete Artefakt lässt sich
jedoch laut der Ausführungen des Referenten nicht eindeutig Rudolf von
Rheinfelden zuordnen, sondern wurde wohl erst im 16. Jahrhundert mit dem
Herrscher in Verbindung gebracht. Romedio Schmitz-Esser diskutierte den
möglichen Ursprung der Hand (Heilmittel, Leichenteile, die vor Gericht
vorgelegt werden mussten, ehemaliger Reliquienschatz) sowie den bewusst
intendierten Memorialeffekt dieser Reliquie, möglicherweise zur
Etablierung eines Kultes und der Rekatholisierung durch den letzten
amtierenden katholischen Bischof von Merseburg.

Die erste Sektion der Tagung beschäftigte sich mit dem Thema der
"Heiligen Hände", wobei Handreliquien und Handreliquare besondere
Beachtung fanden. MATTHIAS KLOFTs (Limburg) Beitrag zu "Händen in der
Hagiographie" vermittelte einen umfassenden Überblick über die
Funktionen und die Symbolik der Hand bei den Heiligen. Nach einleitenden
Ausführungen zu den wichtigen Konzeptionen der Hand als Symbol des
handelnden Menschen, des Wirken Gottes und der rechten Hand im
Besonderen, befasste sich der Referent mit der Hand als Zeichen von
Macht und Besitz, dem Betgestus, der Heilsökonomie sowie der Segnungs-
und der Schwurhand sowie der Salbung der Hände. Besonders hervorgehoben
wurden auch Legenden wie das Tragen des Kopfes durch den Heiligen
Dionysius von Montmatre nach St. Denis oder den Ritus der Ohrfeige, etwa
um Dämonen auszutreiben.

URTE KRASS (München) stellte in ihrem daran anschließenden Beitrag zu
Handreliquien und Handreliquaren verschiedene Gattungen dieser seit der
Karolingerzeit belegten Fingerreliquare, Handreliquare und Armreliquare
vor. Diese Objekte zeichnen sich durch Naturalismus und anatomische
Detailtreue aus. Neben den unterschiedlichen Handhaltungen  kam die
Referentin ausführlich auf den bis ins 14. Jahrhundert belegten Gebrauch
dieser Reliquare beim Hantieren während der Messe, etwa zum Segnen in
Stellvertretung des Heiligen zu sprechen. Die Hand des Heiligen fungiert
dabei als Hand Gottes, der zum mystischen Leib der Kirche gehört.
Weiterhin wurde gezeigt, dass die meisten Armreliquare von Bischöfen
stammen, es sich aber auch als lohnend erweist, Genderspezifika dieser
Gattung zu beleuchten.

Die zweite Sektion der Tagung sowie der öffentliche Abendvortrag
widmeten sich dem Gestus des Händewaschens, wobei Materialität und
kultische Verortung im Vordergrund standen. Der Vortrag von JOANNA
OLCHAWA (Osnabrück) befasste sich mit den bronzenen und keramischen
Aquamanilien des Mittelalters und deren Gebrauch als erlesene
Handwaschgeräte. Ausführlich stellte die Referentin den Begriff vor, der
zwar in den mittelalterlichen Quellen zu finden ist, jedoch sämtliche
Gefäße für die Handwaschung meint. In den mittelalterlichen
Schriftquellen werden die Werke seit dem 12. Jahrhundert lediglich durch
ihr Material, Form und Funktion beschrieben. Die Bildquellen hingegen
stellen Aquamanilien meist im Kontext der Vorführung Christi vor Pontius
Pilatus dar, was mit der real praktizierten Handwaschung erläutert
werden kann. Am Beispiel von drei ikonographischen Studien
veranschaulichte die Referentin, wie anhand der Motivwahl die innere
Sündenreinigung optisch vor Augen geführt wird. Als eine Art
Gegenüberstellung stellte sie abschließend die islamischen Aquamanilien
vor, denen eine ethische oder moralische Komponente fehlt. Dies kann als
einer der Gründe angesehen werden, weshalb im westmitteleuropäischen
Raum seit dem 12. Jahrhundert das Bedürfnis nach eigenen Formen und
Motive entsteht und nicht die islamischen Objekte Eingang in den Ritus
finden.

Der sich anschließende Vortrag von MEINOLF SCHUMACHER (Bielefeld)
thematisierte das Händewaschen im christlichen Kult: Wenn Pontius
Pilatus am Ende des Prozesses gegen Jesus seine "Hände in Unschuld
wäscht" (Mt. 27,24), dann zitiert er damit ein altjüdisches
Entsühnungsritual für einen unaufgeklärten Mord (vgl. Dt. 21,7). Es ist
sowohl eine Form der Unschuldsbeteuerung als auch zugleich das
Eingeständnis, dass hier Unrecht geschieht oder geschehen ist ('Blut an
der Hand klebt'). Zwischen diesen beiden Polen der Schuldabwehr und der
Anerkennung von Schuld, so die These des Vortrags, bewegen sich die
Handwaschungen im christlichen Kult: Nach der frühchristlichen Ablehnung
des Händewaschens als einem Reinigungsritus, mit dem nach 'Befleckungen'
verschiedenster Art Kultfähigkeit (wieder)hergestellt werden sollte,
halten seit dem früheren Mittelalter Handwaschungen Einzug auch in die
christliche Liturgie. Exemplarisch zeigte der Vortrag Allegoresen des
liturgischen Händewaschens am 'Rationale divinorum officiorum' des
Wilhelm Durandus auf, wo es in doppelter Funktion gedeutet wird: als
Aufforderung an den Priester, die eigene Sündhaftigkeit einzugestehen,
wie auch als eine an Pilatus erinnernde Unschuldsbeteuerung, nicht für
den Tod Jesu verantwortlich zu sein, dessen Gedächtnis die Hl. Messe
feiert.

SABINE HERRMANN (Stuttgart) ging in ihrem Vortrag zum Händewaschen im
Osmanischen Reich ausführlich auf die Handsymbolik im Islam, das
Händewaschen in Kult  und Alltag sowie insbesondere die islamischen
Handwaschgeräte in der materiellen Kultur ein. Neben Aquamanilien und
Schüsseln widmete sich die Referentin ausführlich den Handwaschautomaten
der arabischen Ingenieure, die wohl von den Schriften hellenistischer
Gelehrter wie Philon von Byzanz oder Heron von Alexandrien inspiriert
wurden. Diese Handwaschautomaten fungierten im Gegensatz zu den
Aquamanilien oder Schüsseln jedoch insbesondere als repräsentative
Statusobjekte, die das Erstaunen des Betrachters hervorrufen sollten und
auf diese Weise den alltäglichen Akt des Händewaschens mit komplizierter
Technik verbanden und dadurch auch symbolisch erhöhten.

ROBERT JÜTTE (Stuttgart) stellte ins Zentrum seines öffentlichen
Abendvortrags den Ritus des Händewaschens im Judentum und zwar als
distinktives Merkmal von Juden gegenüber Christen. Anhand von Beispielen
aus dem Talmud, der Gesetzessammlung Shulchan Aruch, der materiellen
Kultur (beschriftete Aquamanilien und illustrierte Handschriften) sowie
literarische Quellen (darunter mittelalterliche und frühneuzeitliche
Gebetsbücher, ethische und kabbalistischen Schriften, Responsa- und
didaktische bzw. erzählende Literatur) wurde exemplarisch dargestellt,
dass es sich hierbei jedoch nicht um eine genuin auf die Bibel
zurückzuführende Tradition handelt, sondern vielmehr um einen
rabbinischen Ritus, der ursprünglich von Priestern im Tempel ausgeübt
wurde. Jedoch sollte dieser Ritus zunehmend als distinktives Merkmal
jüdischer Tradition aufgefasst werden, das Gruppen voneinander
abgrenzte.

Die dritte Sektion der Tagung befasste sich mit den "Falschen Händen",
wobei Handprothesen, Handmoulagen und Untersuchungstechniken in den
Blick genommen wurden. MAREIKE HEIDE (Hamburg) stellte in ihrem Vortrag
zu Arbeitsarm und Sonntagshand ca. 30 erhaltene Handprothesen der Frühen
Neuzeit vor, wobei der Schwerpunkt auf aus Leder gefertigten
Schmuckhänden sowie auf bevorzugt aus Eisen gefertigten Handprothesen
mit einem und zwei Fingerblöcken und mit beweglichen Händen lag.
Thematisiert wurden von der Referentin auch die Rezeption von
Armprothesen in medizinischen und chirurgischen Schriften, die reale
Tragbarkeit derartiger Prothesen sowie funktionale und ästhetische
Aspekte.  Besondere Beachtung fanden die beiden Jagsthäuser
Handprothesen, die Götz von Berlichingen getragen haben soll.

Ausgehend von einem Überblick über die Fokussierung der Anatomie in
Kunst und Medizin, den anatomischen Studien und dem Körperbild von
Andreas Vesalius sowie der Entstehung der Wachskunst im 18. Jahrhundert 
widmete sich THOMAS SCHNALKE (Berlin) in seinem Vortrag zu Handmoulagen
der Umsetzung von Händen in Wachs. Die wissenschaftliche Pathologie ab
dem 19. Jahrhundert führte zur Aufspaltung und Neukonzeption des
Wachsgebrauchs: Während in der Anatomie noch bis ins 20. Jahrhunderts
Wachsbildnisse geschätzt wurden, setzte die Pathologie nun zunehmend auf
echte Präparate. Moulagen aus Wachs gehören seit Mitte des 19.
Jahrhunderts vor dem Hintergrund des wachsenden systematischen
Interesses am Studium von Krankheiten als "gefensterte"
Körperausschnitte zum Bildprogramm der klinischen Fächer.

MANUEL FÖRG (Bonn) ging in seinem Vortrag ausgehend von der Antike der
grundsätzlichen Frage des Arzt-Hand-Instrumentariums in
frühneuzeitlichen Texten, der Bedeutung des Handgebrauchs und den
Veränderungen durch den Aufschwung der Anatomie nach. In diesem
Zusammenhang wurden Theorien zum Handgebrauch vor und von Vesalius
skizziert, die den Verlust einer anatomia sensata beklagen. Neben
Vesalius kamen  insbesondere die Thesen Rodrigo de Castros, der die
Wichtigkeit der Hand betont, Wilhelm Fabris von Hilden, der explizit an
Vesalius anknüpft, und des Ulmer Stadtarztes Johannes Scultetus, der im
Armentarium chirurgicum (1655) chirurgische Instrumente und operative
Techniken zeigt, zur Sprache.

Die vierte Sektion  der Tagung war schließlich der "sonderbaren Hand"
gewidmet, wobei Themen wie Polydaktylie, Schmähgesten und untote Hände
diskutiert wurden. Bereits in den antiken Kulturen des Mediterraneums
erregte das Phänomen der Polydaktylie in der assyrischen Omenliteratur
große Aufmerksamkeit. ACHIM HACK (Jena) skizzierte in seinem Vortrag die
Rezeption der Polydaktilie, deren Bewertung durch (medizinische)
Schriftsteller sowie archäologische und bildliche Quellen von der Antike
bis zur Neuzeit. Besondere Aufmerksamkeit lag auf den
Erfahrungsberichten der klassischen Autoren, den rätselhaften
Völkerschaften am Rande der Welt, der augusteischen Schöpfungstheologie
sowie medizinischen Erklärungen und Korrekturversuchen durch antike und
mittelalterliche Autoren. Auch die Rolle der Polydaktylie im Hinblick
auf die priesterliche Eignung in Judentum und Christentum sowie ihre
Funktion in der Vorzeichenwissenschaft kamen zur Sprache.

GERD SCHWERHOFF (Dresden) zeigte in seinem Vortrag die Bedeutung von
Schmähgesten im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit auf. Dabei
stützte er sich einerseits auf zeitgenössische Bilder, andererseits auf
Gerichts- und Kriminalquellen. Verbildlichungen von Schmähgesten (wie
etwa der "Feige") lassen sich vor allem in Passionsdarstellungen zur
Charakterisierung der Christenfeinde nachweisen, während derartige
Gesten im Kontext von gerichtlich überlieferten Konflikten nur spärlich
überliefert sind, nämlich dort, wo ein großes Machtgefälle zwischen den
Kontrahenten zu beobachten war. Offenbar, so schlussfolgerte der
Referent, gab es kein allgemeingültiges Inventar von Schmähgesten;
vielmehr war deren Anwendung, Inszenierung und Bedeutungszuschreibungen
stark vom jeweiligen Kontext abhängig.

Ausgehend von der Novelle des französischen Romanciers Guy de
Maupassant, La main d'écorché (1875), beschäftigte sich MARCO
FRENSCHKOWSKI (Leipzig) in seinem Vortrag mit dem Symbolismus der "Hände
ohne Körper".  Äußerlich abgetrennt galt die Hand als pars pro toto, als
Körperallegorese des ganzen Menschen, die "Gut und Böse" verkörpert. Sie
diente als Abwehr- und Schutzsymbol, konnte jedoch auch als böses Omen
verstanden werden. Besonders hervorgehoben wurde vom Referenten die
"Diebeshand" als magisches Utensil und Heilmittel in der Volksmedizin
sowie die (bildliche) Allegorie zur Alraune (Mandragora), die der
Legende nach am Fuß des Galgens wächst und den ganzen Menschen
repräsentiert.

KLAUS VAN EICKELS (Bamberg) stellte in den Mittelpunkt seines Vortrags
ein ab dem frühen 18. Jahrhundert tabuisiertes und infolge von
zahlreichen Schriften und Erziehungsratgebern aufgenommenes Thema, die
Masturbation und ihren Platz in der Wahrnehmung des sexuellen
Verhaltens. Der Referent zeigte anhand von exemplarischen
mittelalterlichen Quellen wie Klosterregeln, Bußbüchern, Petrus
Damianus' Liber Gomorrhianus (1049/1050) oder Jean Gersons De
confessione mollitei (um 1410) etc.), dass die Gründe für diese
Tabuisierung insbesondere auf die Verinnerlichung des biblischen Ehe-
und Familienbildes sowie die medizinische Vorstellung, der männliche
Samen entstehe im Kopf, zurückzuführen sind. In der Antike galt die
Masturbation hingegen als medizinisch unproblematisch, wenn auch als
Zeichen mangelnder Selbstbeherrschung.

AGOSTINO PARAVICINI BAGLIANI (Lausanne) referierte über die Verortung
der Hand des Papstes im komplexen Symbolsystem des Papsttums.  Ausgehend
von den Epistolae Jacobo d'Angelos (13. Jahrhundert), die im Rahmen der
Schilderung der päpstlichen Begräbniszeremonien erstmals die Hände des
verstorbenen Papstes detailliert beschreiben und die Hinfälligkeit des
Kirchenoberhauptes in Opposition zu seiner einstigen potestas und gloria
stellen, führte der Referent die Bedeutung der päpstlichen Hände anhand
von Text- und Bildquellen vor Augen. Seit dem 13. Jahrhundert lässt sich
nämlich ein "Crescendo" der Hände/Handschuhe im liturgischen Bereich
beobachten, wobei die Hände zur Selbstdarstellung der päpstlichen
Autorität in den Vordergrund rückten, was an der Bedeutung von Gesten
wie dem Handkuss, der Handwaschung zur Absolution vor einem Bankett und
der Segensgeste Christi demonstriert wurde. Von großer Bedeutung für die
päpstliche Symbolwelt waren jedoch auch die (weissen) Handschuhe, die
explizit in einem päpstlichen Zeremonienbuch (1272) genannt werden und
in wichtigen liturgischen Handlungen vertreten sind.

Der abschließende Vortrag von KLAUS BERGDOLT (Köln) widmete sich dem
Thema der Künstlerhände anhand einer Analyse ausgewählter Text- und
Bildquellen von der Frühen Neuzeit bis in die Moderne. Zeitgenössische
Vorstellungen über die Physiognomie der (Künstler-)hand wurden
exemplarisch an den Werken Giovanni Battista della Portas, Cennino
Cenninis, Luca Paciolis, Lomazzos, Leonardos  oder John Bulwers
Chirologia (u.a. erste Beschreibung der lingua naturalis der Hand als
Taubstummensprache) von 1644, aufgezeigt. Ein Schwerpunkt des Vortrags
lag naturgemäß auf der Analyse der bildlichen Darstellungen von
Künstlerhänden, wobei der Referent die Gestik der Hand auf Gemälden von
Leonardo da Vinci, Pontormo, Holbein, Raffael bis hin zu Lovis Corinth
und Max Beckmann untersuchte und in einem Exkurs auch die Darstellung
des Chirurgen und Anatomen (Roger von Salerno, Vesal) thematisierte. Der
Referent zeigte, dass die Hand in der Regel, aber keinesfalls immer
(Rodin, Paul Verlaine) als dem Intellekt unterlegen begriffen wurde und
Gesten sowohl literarisch als auch ikonographisch vorgegeben waren.

Konferenzübersicht:

Begrüßung durch die Organisatoren

I. Einführung in die Thematik

Romedio Schmitz-Esser (Graz): Die abgetrennte Hand Rudolfs von
Rheinfelden

II. Heilige Hände

Matthias Kloft (Limburg): Hände in der Hagiographie

Urte Krass (München):  Handreliquien und Handreliquare

III. Händewaschen

Joanna Olchawa (Osnabrück): Aquamanilien des Mittelalters und ihr
Gebrauch

Meinolf Schumacher (Bielefeld): Händewaschen im christlichen Kult

Sabine Herrmann (Stuttgart): Händewaschen im Osmanischen Reich

Öffentlicher Abendvortrag: Robert Jütte (Stuttgart): Hand washing before
meals - a distinctive marker between Jews and Gentiles before the
Emancipation

IV. Falsche Hände

Mareike Heide (Hamburg): Arbeitsarm und Sonntagshand - Handprothesen in
der Frühen Neuzeit

Thomas Schnalke (Berlin): Wachshaut und Fingerspiel. Handmoulagen in der
Medizin

Manuel Förg (Bonn): Hand und Instrument. Formen ärztlicher
Untersuchungstechniken in medizinischen Texten der frühen Neuzeit

Exkursion ins medizinhistorische Museum auf San Servolo

V. Die sonderbare Hand

Achim Hack (Jena): Polydaktilie. Eine Spurensuche

Gerd Schwerhoff (Dresden): Invektive Hände. Schmähgesten in
Spätmittelalter und Früher Neuzeit

Marco Frenschkowski (Leipzig): Untote Hände. Religionsgeschichtliche
Beobachtungen über Hände ohne Körper

VI. Die geehrte Hand

Klaus van Eickels (Bamberg): Unerlaubter Handgebrauch. Masturbation und
ihr Platz in der Wahrnehmung des sexuellen Verhaltens im Mittelalter

Agostino Paravicini Bagliani (Lausanne): Die Hand des Papstes

Klaus Bergdolt (Köln): Künstlerhände

Schlussdiskussion
-- 
Mit freundlichen Grüßen
 
Roland Geiger
 
--------------------

Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email rolgeiger(a)aol.com oder alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de

[Regionalforum-Saar] Handgebrauch. Geschichten von de r Hand aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit

Date: 2017/12/01 18:25:33
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Tagber: Handgebrauch. Geschichten von der Hand aus dem
         Mittelalter und der frühen Neuzeit
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Centro tedesco di Studi Veneziani
04.10.2017-07.10.2017, Venedig

Bericht von:
Sabine Herrmann, Institut für Geschichte der Medizin, Robert Bosch
Stiftung
E-Mail: <sabine.herrmann(a)libero.it>

Unter den Körperteilen nimmt die Hand in allen Kulturen eine besondere
Stellung ein: Sie ist eines der wichtigsten Organe, mit denen Menschen
nonverbal kommunizieren können, sie dient der Begrüßung, dem Schwur und
dem Hinweis in vielfachen sozialen Situationen.  Die Hand und ihr
Gebrauch sind damit ein guter Untersuchungsgegenstand einer modernen
Kultur- und Medizingeschichte. Die am Centro tedesco di Studi Veneziani
und am Istituto veneto delle Scienze in Venedig stattfindende Tagung
stellte unterschiedliche Aspekte des Gebrauchs der Hand zusammen und
fokussierte dabei auf die europäische Vormoderne.

Der Einführungsvortrag von ROMEDIO SCHMITZ-ESSER (Graz) beschäftigte
sich mit der im Domschatz von Merseburg aufbewahrten mutmaßlichen Hand
Rudolfs von Rheinfelden, deren Kult um 1700 bereits etabliert war.
Dieses von der Forschung bisher wenig beachtete Artefakt lässt sich
jedoch laut der Ausführungen des Referenten nicht eindeutig Rudolf von
Rheinfelden zuordnen, sondern wurde wohl erst im 16. Jahrhundert mit dem
Herrscher in Verbindung gebracht. Romedio Schmitz-Esser diskutierte den
möglichen Ursprung der Hand (Heilmittel, Leichenteile, die vor Gericht
vorgelegt werden mussten, ehemaliger Reliquienschatz) sowie den bewusst
intendierten Memorialeffekt dieser Reliquie, möglicherweise zur
Etablierung eines Kultes und der Rekatholisierung durch den letzten
amtierenden katholischen Bischof von Merseburg.

Die erste Sektion der Tagung beschäftigte sich mit dem Thema der
"Heiligen Hände", wobei Handreliquien und Handreliquare besondere
Beachtung fanden. MATTHIAS KLOFTs (Limburg) Beitrag zu "Händen in der
Hagiographie" vermittelte einen umfassenden Überblick über die
Funktionen und die Symbolik der Hand bei den Heiligen. Nach einleitenden
Ausführungen zu den wichtigen Konzeptionen der Hand als Symbol des
handelnden Menschen, des Wirken Gottes und der rechten Hand im
Besonderen, befasste sich der Referent mit der Hand als Zeichen von
Macht und Besitz, dem Betgestus, der Heilsökonomie sowie der Segnungs-
und der Schwurhand sowie der Salbung der Hände. Besonders hervorgehoben
wurden auch Legenden wie das Tragen des Kopfes durch den Heiligen
Dionysius von Montmatre nach St. Denis oder den Ritus der Ohrfeige, etwa
um Dämonen auszutreiben.

URTE KRASS (München) stellte in ihrem daran anschließenden Beitrag zu
Handreliquien und Handreliquaren verschiedene Gattungen dieser seit der
Karolingerzeit belegten Fingerreliquare, Handreliquare und Armreliquare
vor. Diese Objekte zeichnen sich durch Naturalismus und anatomische
Detailtreue aus. Neben den unterschiedlichen Handhaltungen  kam die
Referentin ausführlich auf den bis ins 14. Jahrhundert belegten Gebrauch
dieser Reliquare beim Hantieren während der Messe, etwa zum Segnen in
Stellvertretung des Heiligen zu sprechen. Die Hand des Heiligen fungiert
dabei als Hand Gottes, der zum mystischen Leib der Kirche gehört.
Weiterhin wurde gezeigt, dass die meisten Armreliquare von Bischöfen
stammen, es sich aber auch als lohnend erweist, Genderspezifika dieser
Gattung zu beleuchten.

Die zweite Sektion der Tagung sowie der öffentliche Abendvortrag
widmeten sich dem Gestus des Händewaschens, wobei Materialität und
kultische Verortung im Vordergrund standen. Der Vortrag von JOANNA
OLCHAWA (Osnabrück) befasste sich mit den bronzenen und keramischen
Aquamanilien des Mittelalters und deren Gebrauch als erlesene
Handwaschgeräte. Ausführlich stellte die Referentin den Begriff vor, der
zwar in den mittelalterlichen Quellen zu finden ist, jedoch sämtliche
Gefäße für die Handwaschung meint. In den mittelalterlichen
Schriftquellen werden die Werke seit dem 12. Jahrhundert lediglich durch
ihr Material, Form und Funktion beschrieben. Die Bildquellen hingegen
stellen Aquamanilien meist im Kontext der Vorführung Christi vor Pontius
Pilatus dar, was mit der real praktizierten Handwaschung erläutert
werden kann. Am Beispiel von drei ikonographischen Studien
veranschaulichte die Referentin, wie anhand der Motivwahl die innere
Sündenreinigung optisch vor Augen geführt wird. Als eine Art
Gegenüberstellung stellte sie abschließend die islamischen Aquamanilien
vor, denen eine ethische oder moralische Komponente fehlt. Dies kann als
einer der Gründe angesehen werden, weshalb im westmitteleuropäischen
Raum seit dem 12. Jahrhundert das Bedürfnis nach eigenen Formen und
Motive entsteht und nicht die islamischen Objekte Eingang in den Ritus
finden.

Der sich anschließende Vortrag von MEINOLF SCHUMACHER (Bielefeld)
thematisierte das Händewaschen im christlichen Kult: Wenn Pontius
Pilatus am Ende des Prozesses gegen Jesus seine "Hände in Unschuld
wäscht" (Mt. 27,24), dann zitiert er damit ein altjüdisches
Entsühnungsritual für einen unaufgeklärten Mord (vgl. Dt. 21,7). Es ist
sowohl eine Form der Unschuldsbeteuerung als auch zugleich das
Eingeständnis, dass hier Unrecht geschieht oder geschehen ist ('Blut an
der Hand klebt'). Zwischen diesen beiden Polen der Schuldabwehr und der
Anerkennung von Schuld, so die These des Vortrags, bewegen sich die
Handwaschungen im christlichen Kult: Nach der frühchristlichen Ablehnung
des Händewaschens als einem Reinigungsritus, mit dem nach 'Befleckungen'
verschiedenster Art Kultfähigkeit (wieder)hergestellt werden sollte,
halten seit dem früheren Mittelalter Handwaschungen Einzug auch in die
christliche Liturgie. Exemplarisch zeigte der Vortrag Allegoresen des
liturgischen Händewaschens am 'Rationale divinorum officiorum' des
Wilhelm Durandus auf, wo es in doppelter Funktion gedeutet wird: als
Aufforderung an den Priester, die eigene Sündhaftigkeit einzugestehen,
wie auch als eine an Pilatus erinnernde Unschuldsbeteuerung, nicht für
den Tod Jesu verantwortlich zu sein, dessen Gedächtnis die Hl. Messe
feiert.

SABINE HERRMANN (Stuttgart) ging in ihrem Vortrag zum Händewaschen im
Osmanischen Reich ausführlich auf die Handsymbolik im Islam, das
Händewaschen in Kult  und Alltag sowie insbesondere die islamischen
Handwaschgeräte in der materiellen Kultur ein. Neben Aquamanilien und
Schüsseln widmete sich die Referentin ausführlich den Handwaschautomaten
der arabischen Ingenieure, die wohl von den Schriften hellenistischer
Gelehrter wie Philon von Byzanz oder Heron von Alexandrien inspiriert
wurden. Diese Handwaschautomaten fungierten im Gegensatz zu den
Aquamanilien oder Schüsseln jedoch insbesondere als repräsentative
Statusobjekte, die das Erstaunen des Betrachters hervorrufen sollten und
auf diese Weise den alltäglichen Akt des Händewaschens mit komplizierter
Technik verbanden und dadurch auch symbolisch erhöhten.

ROBERT JÜTTE (Stuttgart) stellte ins Zentrum seines öffentlichen
Abendvortrags den Ritus des Händewaschens im Judentum und zwar als
distinktives Merkmal von Juden gegenüber Christen. Anhand von Beispielen
aus dem Talmud, der Gesetzessammlung Shulchan Aruch, der materiellen
Kultur (beschriftete Aquamanilien und illustrierte Handschriften) sowie
literarische Quellen (darunter mittelalterliche und frühneuzeitliche
Gebetsbücher, ethische und kabbalistischen Schriften, Responsa- und
didaktische bzw. erzählende Literatur) wurde exemplarisch dargestellt,
dass es sich hierbei jedoch nicht um eine genuin auf die Bibel
zurückzuführende Tradition handelt, sondern vielmehr um einen
rabbinischen Ritus, der ursprünglich von Priestern im Tempel ausgeübt
wurde. Jedoch sollte dieser Ritus zunehmend als distinktives Merkmal
jüdischer Tradition aufgefasst werden, das Gruppen voneinander
abgrenzte.

Die dritte Sektion der Tagung befasste sich mit den "Falschen Händen",
wobei Handprothesen, Handmoulagen und Untersuchungstechniken in den
Blick genommen wurden. MAREIKE HEIDE (Hamburg) stellte in ihrem Vortrag
zu Arbeitsarm und Sonntagshand ca. 30 erhaltene Handprothesen der Frühen
Neuzeit vor, wobei der Schwerpunkt auf aus Leder gefertigten
Schmuckhänden sowie auf bevorzugt aus Eisen gefertigten Handprothesen
mit einem und zwei Fingerblöcken und mit beweglichen Händen lag.
Thematisiert wurden von der Referentin auch die Rezeption von
Armprothesen in medizinischen und chirurgischen Schriften, die reale
Tragbarkeit derartiger Prothesen sowie funktionale und ästhetische
Aspekte.  Besondere Beachtung fanden die beiden Jagsthäuser
Handprothesen, die Götz von Berlichingen getragen haben soll.

Ausgehend von einem Überblick über die Fokussierung der Anatomie in
Kunst und Medizin, den anatomischen Studien und dem Körperbild von
Andreas Vesalius sowie der Entstehung der Wachskunst im 18. Jahrhundert 
widmete sich THOMAS SCHNALKE (Berlin) in seinem Vortrag zu Handmoulagen
der Umsetzung von Händen in Wachs. Die wissenschaftliche Pathologie ab
dem 19. Jahrhundert führte zur Aufspaltung und Neukonzeption des
Wachsgebrauchs: Während in der Anatomie noch bis ins 20. Jahrhunderts
Wachsbildnisse geschätzt wurden, setzte die Pathologie nun zunehmend auf
echte Präparate. Moulagen aus Wachs gehören seit Mitte des 19.
Jahrhunderts vor dem Hintergrund des wachsenden systematischen
Interesses am Studium von Krankheiten als "gefensterte"
Körperausschnitte zum Bildprogramm der klinischen Fächer.

MANUEL FÖRG (Bonn) ging in seinem Vortrag ausgehend von der Antike der
grundsätzlichen Frage des Arzt-Hand-Instrumentariums in
frühneuzeitlichen Texten, der Bedeutung des Handgebrauchs und den
Veränderungen durch den Aufschwung der Anatomie nach. In diesem
Zusammenhang wurden Theorien zum Handgebrauch vor und von Vesalius
skizziert, die den Verlust einer anatomia sensata beklagen. Neben
Vesalius kamen  insbesondere die Thesen Rodrigo de Castros, der die
Wichtigkeit der Hand betont, Wilhelm Fabris von Hilden, der explizit an
Vesalius anknüpft, und des Ulmer Stadtarztes Johannes Scultetus, der im
Armentarium chirurgicum (1655) chirurgische Instrumente und operative
Techniken zeigt, zur Sprache.

Die vierte Sektion  der Tagung war schließlich der "sonderbaren Hand"
gewidmet, wobei Themen wie Polydaktylie, Schmähgesten und untote Hände
diskutiert wurden. Bereits in den antiken Kulturen des Mediterraneums
erregte das Phänomen der Polydaktylie in der assyrischen Omenliteratur
große Aufmerksamkeit. ACHIM HACK (Jena) skizzierte in seinem Vortrag die
Rezeption der Polydaktilie, deren Bewertung durch (medizinische)
Schriftsteller sowie archäologische und bildliche Quellen von der Antike
bis zur Neuzeit. Besondere Aufmerksamkeit lag auf den
Erfahrungsberichten der klassischen Autoren, den rätselhaften
Völkerschaften am Rande der Welt, der augusteischen Schöpfungstheologie
sowie medizinischen Erklärungen und Korrekturversuchen durch antike und
mittelalterliche Autoren. Auch die Rolle der Polydaktylie im Hinblick
auf die priesterliche Eignung in Judentum und Christentum sowie ihre
Funktion in der Vorzeichenwissenschaft kamen zur Sprache.

GERD SCHWERHOFF (Dresden) zeigte in seinem Vortrag die Bedeutung von
Schmähgesten im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit auf. Dabei
stützte er sich einerseits auf zeitgenössische Bilder, andererseits auf
Gerichts- und Kriminalquellen. Verbildlichungen von Schmähgesten (wie
etwa der "Feige") lassen sich vor allem in Passionsdarstellungen zur
Charakterisierung der Christenfeinde nachweisen, während derartige
Gesten im Kontext von gerichtlich überlieferten Konflikten nur spärlich
überliefert sind, nämlich dort, wo ein großes Machtgefälle zwischen den
Kontrahenten zu beobachten war. Offenbar, so schlussfolgerte der
Referent, gab es kein allgemeingültiges Inventar von Schmähgesten;
vielmehr war deren Anwendung, Inszenierung und Bedeutungszuschreibungen
stark vom jeweiligen Kontext abhängig.

Ausgehend von der Novelle des französischen Romanciers Guy de
Maupassant, La main d'écorché (1875), beschäftigte sich MARCO
FRENSCHKOWSKI (Leipzig) in seinem Vortrag mit dem Symbolismus der "Hände
ohne Körper".  Äußerlich abgetrennt galt die Hand als pars pro toto, als
Körperallegorese des ganzen Menschen, die "Gut und Böse" verkörpert. Sie
diente als Abwehr- und Schutzsymbol, konnte jedoch auch als böses Omen
verstanden werden. Besonders hervorgehoben wurde vom Referenten die
"Diebeshand" als magisches Utensil und Heilmittel in der Volksmedizin
sowie die (bildliche) Allegorie zur Alraune (Mandragora), die der
Legende nach am Fuß des Galgens wächst und den ganzen Menschen
repräsentiert.

KLAUS VAN EICKELS (Bamberg) stellte in den Mittelpunkt seines Vortrags
ein ab dem frühen 18. Jahrhundert tabuisiertes und infolge von
zahlreichen Schriften und Erziehungsratgebern aufgenommenes Thema, die
Masturbation und ihren Platz in der Wahrnehmung des sexuellen
Verhaltens. Der Referent zeigte anhand von exemplarischen
mittelalterlichen Quellen wie Klosterregeln, Bußbüchern, Petrus
Damianus' Liber Gomorrhianus (1049/1050) oder Jean Gersons De
confessione mollitei (um 1410) etc.), dass die Gründe für diese
Tabuisierung insbesondere auf die Verinnerlichung des biblischen Ehe-
und Familienbildes sowie die medizinische Vorstellung, der männliche
Samen entstehe im Kopf, zurückzuführen sind. In der Antike galt die
Masturbation hingegen als medizinisch unproblematisch, wenn auch als
Zeichen mangelnder Selbstbeherrschung.

AGOSTINO PARAVICINI BAGLIANI (Lausanne) referierte über die Verortung
der Hand des Papstes im komplexen Symbolsystem des Papsttums.  Ausgehend
von den Epistolae Jacobo d'Angelos (13. Jahrhundert), die im Rahmen der
Schilderung der päpstlichen Begräbniszeremonien erstmals die Hände des
verstorbenen Papstes detailliert beschreiben und die Hinfälligkeit des
Kirchenoberhauptes in Opposition zu seiner einstigen potestas und gloria
stellen, führte der Referent die Bedeutung der päpstlichen Hände anhand
von Text- und Bildquellen vor Augen. Seit dem 13. Jahrhundert lässt sich
nämlich ein "Crescendo" der Hände/Handschuhe im liturgischen Bereich
beobachten, wobei die Hände zur Selbstdarstellung der päpstlichen
Autorität in den Vordergrund rückten, was an der Bedeutung von Gesten
wie dem Handkuss, der Handwaschung zur Absolution vor einem Bankett und
der Segensgeste Christi demonstriert wurde. Von großer Bedeutung für die
päpstliche Symbolwelt waren jedoch auch die (weissen) Handschuhe, die
explizit in einem päpstlichen Zeremonienbuch (1272) genannt werden und
in wichtigen liturgischen Handlungen vertreten sind.

Der abschließende Vortrag von KLAUS BERGDOLT (Köln) widmete sich dem
Thema der Künstlerhände anhand einer Analyse ausgewählter Text- und
Bildquellen von der Frühen Neuzeit bis in die Moderne. Zeitgenössische
Vorstellungen über die Physiognomie der (Künstler-)hand wurden
exemplarisch an den Werken Giovanni Battista della Portas, Cennino
Cenninis, Luca Paciolis, Lomazzos, Leonardos  oder John Bulwers
Chirologia (u.a. erste Beschreibung der lingua naturalis der Hand als
Taubstummensprache) von 1644, aufgezeigt. Ein Schwerpunkt des Vortrags
lag naturgemäß auf der Analyse der bildlichen Darstellungen von
Künstlerhänden, wobei der Referent die Gestik der Hand auf Gemälden von
Leonardo da Vinci, Pontormo, Holbein, Raffael bis hin zu Lovis Corinth
und Max Beckmann untersuchte und in einem Exkurs auch die Darstellung
des Chirurgen und Anatomen (Roger von Salerno, Vesal) thematisierte. Der
Referent zeigte, dass die Hand in der Regel, aber keinesfalls immer
(Rodin, Paul Verlaine) als dem Intellekt unterlegen begriffen wurde und
Gesten sowohl literarisch als auch ikonographisch vorgegeben waren.

Konferenzübersicht:

Begrüßung durch die Organisatoren

I. Einführung in die Thematik

Romedio Schmitz-Esser (Graz): Die abgetrennte Hand Rudolfs von
Rheinfelden

II. Heilige Hände

Matthias Kloft (Limburg): Hände in der Hagiographie

Urte Krass (München):  Handreliquien und Handreliquare

III. Händewaschen

Joanna Olchawa (Osnabrück): Aquamanilien des Mittelalters und ihr
Gebrauch

Meinolf Schumacher (Bielefeld): Händewaschen im christlichen Kult

Sabine Herrmann (Stuttgart): Händewaschen im Osmanischen Reich

Öffentlicher Abendvortrag: Robert Jütte (Stuttgart): Hand washing before
meals - a distinctive marker between Jews and Gentiles before the
Emancipation

IV. Falsche Hände

Mareike Heide (Hamburg): Arbeitsarm und Sonntagshand - Handprothesen in
der Frühen Neuzeit

Thomas Schnalke (Berlin): Wachshaut und Fingerspiel. Handmoulagen in der
Medizin

Manuel Förg (Bonn): Hand und Instrument. Formen ärztlicher
Untersuchungstechniken in medizinischen Texten der frühen Neuzeit

Exkursion ins medizinhistorische Museum auf San Servolo

V. Die sonderbare Hand

Achim Hack (Jena): Polydaktilie. Eine Spurensuche

Gerd Schwerhoff (Dresden): Invektive Hände. Schmähgesten in
Spätmittelalter und Früher Neuzeit

Marco Frenschkowski (Leipzig): Untote Hände. Religionsgeschichtliche
Beobachtungen über Hände ohne Körper

VI. Die geehrte Hand

Klaus van Eickels (Bamberg): Unerlaubter Handgebrauch. Masturbation und
ihr Platz in der Wahrnehmung des sexuellen Verhaltens im Mittelalter

Agostino Paravicini Bagliani (Lausanne): Die Hand des Papstes

Klaus Bergdolt (Köln): Künstlerhände

Schlussdiskussion

[Regionalforum-Saar] Unwahrscheinlich Wirkliches — wirklich Unwahrscheinliches

Date: 2017/12/02 08:55:24
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

aus den Frankfurter Heften von 1948

Unwahrscheinlich Wirkliches — wirklich Unwahrscheinliches

Kleine wahre Geschichten aus unserem Lande.

 

Die erste:

Auf dem Badischen Bahnhof Villingen wollte unlängst ein aus dem Württembergischen kommendes Züglein Wasser fassen. Das hat ihm der Mann mit der roten Mütze in Villingen verweigert: Gutes badisches Wasser für ein württernbergisches Züglein?

Der Schwabe auf der Lokomotive wußte sich zu helfen: er fuhr nach dem württembergischen Schwenningen zurück, ließ dort sein Rößlein saufen, lenkte es dann wieder nach Villingen, spannte die Wagen an, und fort gings nach dem schwäbischen Rottweil.

 

Schade, daß Johann Peter Hebel das nicht mehr erlebt hat!

 

[Johann Peter Hebel (* 10. Mai 1760 in Basel, † 22. September 1826 in Schwetzingen) war ein deutscher Schriftsteller, Theologe und Pädagoge. Aufgrund seines Gedichtbands Allemannische Gedichte gilt er gemeinhin als Pionier der alemannischen Mundartliteratur. Sein zweites bekanntes Werk sind zahlreiche, auf Hochdeutsch verfasste Kalendergeschichten. Quelle: wikipedia]

 

Die zweite:

In Mannheim hat sich im Jahre des Unheils 1943 eine Familie gerade noch aus ihrem von Bomben getroffenen, zusammenstürzenden Hause retten können. Jetzt, 1948, hat sie vom Magistrat selbiger löblichen Stadt eine Aufforderung erhalten, endlich doch einmal für die Unmenge Gas zu bezahlen, die seit 1943 aus den zerstörten Leitungen ausgeströmt ist.

 

Die dritte:

Wer könnte es den displaced persons [displaced persons = Zwangsarbeiter] hierzulande verdenken, wenn sie endlich nach einer neuen Heimat suchen. Dazu müssen sie auswandern, nach Übersee, wer weiß wohin. Und die Behörden dort wollen nur gesunde Menschen, das ist begreiflich. Viele von den armen Menschen sind aber nicht so gesund. Das hat sich der Schwarze Markt zunutze gemacht und verkauft jetzt zu Riesenpreisen Röntgenaufnahmen von gesunden Lungen an die Leute. Die weisen sie dann stolz vor, für drüben. Kommt dort später eine genauere Untersuchung, dann sind sie wenigstens schon im Lande, das Weitere wird sich finden.

 

Die vierte:

Zu Münster im schönen Lande Westfalen erhält man eine Sterbeurkunde nur, wenn man 300 Gramm Altpapier mitbringt. Sterben schwer gemacht; denn tot ist man ja erst, wenn die behördliche Anerkennung vorliegt, und so mögen es die Westfälischen auf ihren Sterbebetten den hinterbleibenden Kindern und Enkelkindern einprägen: Vergeßt, dreihundert Jahre nach jenem Friedensschluß, das Altpapier nicht, — dreihundert Gramm!

[Regionalforum-Saar] Zwangsarbeit in der Völklinge r Hütte

Date: 2017/12/02 09:03:13
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

heute im Saarlandteil der SZ:

 

Zwangsarbeit in der Völklinger Hütte

„Ein barbarisches Arbeitsregime“

 

Auch in der Völklinger Hütte und ihren Nebenbetrieben waren im Zweiten Weltkrieg 12 000 Menschen verschiedener Nationen im Einsatz, die meisten von ihnen Zwangsarbeiter. Es handelte sich um französische, italienische und russische Kriegsgefangene oder aus der damaligen Sowjetunion verschleppte russische und ukrainische Zivilpersonen. Mehr als 250 dieser ausländischen Arbeitskräfte starben, aufgrund diskriminierender und unmenschlicher Arbeitsbedingungen.

 

Am Dienstag widmete das Weltkulturerbe Völklinger Hütte dem Thema eine Ringvorlesung in Kooperation mit der Universität des Saarlandes, der Universität Trier, der European Route of Industrial Heritage (ERIH) sowie dem Saarländischen Museumsverband. Die Vorträge rückten die Situation in der Völklinger Hütte in den deutschen und europäischen Kontext und präsentierten aktuelle Forschungsergebnisse.

 

Zum Erziehungslager Etzenhofen etwa referierte Christian Reuther, Leiter des Stadtarchivs Neunkirchen und ehemaliger Leiter des Stadtarchivs Völklingen: Mit diesem Lager machten die Röchling’schen Eisen- und Stahlwerke im Frühjahr 1943 von der Option Gebrauch, betriebseigene Lager zur Disziplinierung von Arbeitern einzurichten.

 

Die Frage der medizinischen Versorgung der Zwangsarbeiter der Völklinger Hütte beleuchtete die Historikerin Inge Plettenberg: Im Zuge der lokalen Studien, die in den 80er-Jahren auf Herberts Publikation folgten, leistete sie neben Hans-Henning Krämer saarländische Pionierarbeit. Auch die Präsentation zur Zwangsarbeit in der Völklinger Hütte, die in der Sinteranlage in den Besucherweg des Weltkulturerbes Völklinger Hütte integriert ist, beruht auf den Forschungen Plettenbergs – hierzu erscheint nun auch eine eigene Publikation.

 

Während Marcel Brüntrup von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Mark Spoerer von der Universität Regensburg den Umgang mit „unerwünschten“ Kindern osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen beziehungsweise die Lebensbedingungen von Zwangsarbeitern allgemein erläuterten, sprach Fabian Lemmes von der Ruhr-Universität Bochum über Zwangsarbeit in Saarbrücken.

 

Die Hinführung zum Thema übernahm Hans-Christian Herrmann, Leiter des Stadtarchivs Saarbrücken. Er gab einen Überblick über die wissenschaftliche Aufarbeitung und die Formen der Zwangsarbeit in Hitler-Deutschland und den besetzten Gebieten und verglich in diesem Zusammenhang die Rolle Hermann Röchlings mit anderen Unternehmerpersönlichkeiten des Dritten Reiches. Eingangs verwies Herrmann auf die Notwendigkeit zur Differenzierung des nicht erst im Zweiten Weltkrieg akuten „Millionenphänomens“ Zwangsarbeit: Im NS-System und auch in den kollaborierenden Ländern seien rassistische Kriterien maßgeblich gewesen für das Ausmaß an Zwang, Gewalt und Willkür; so seien Anforderungen von Zwangsarbeitern gezielt für ethnische Säuberungen instrumentalisiert worden. Wirtschaftskonzerne wie Flick oder Thyssen wussten von ihren weiten Handlungsspielräumen gegen Zwangsarbeiter zu profitieren.

 

Ausführlich skizzierte Herrmann, wie auch Hermann Röchling, im Juni 1942 von Hitler zum Vorsitzenden der Reichsvereinigung Eisen (RVE) bestellt, seine Machtposition an der Spitze dieses Zwangskartells für seine ehrgeizigen Produktionsziele nutzte und sowohl bei der Rekrutierung wie der Behandlung von Arbeitskräften einem menschenverachtenden Sozialdarwinismus huldigte.

 

In fehlender Disziplin sah der Stahlbaron die Ursache nicht erreichter Produktionsziele und forderte eine konsequente Ahndung, „notfalls bis zum Konzentrationslager“. Einen Fremdarbeiter-Krankenstand von sechs Prozent unter den lothringischen Hüttenarbeitern hielt Röchling für „nicht tragbar“ – wohl wissend, dass der miserable Gesundheitszustand durch (gezielte) Mangelernährung, menschenunwürdige Unterbringung und unzureichende Kleidung noch befördert wurde. Ein „barbarisches Arbeitsregime“, so Herrmann.

-- 
Mit freundlichen Grüßen
 
Roland Geiger
 
--------------------

Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email rolgeiger(a)aol.com oder alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de

[Regionalforum-Saar] 300 Jahre Schulgeschichte

Date: 2017/12/02 09:03:59
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

heute im Saarlandteil der SZ:

 

Heimatforschung

300 Jahre Schulgeschichte

 

Merzig. Der Heimatforscher und Hobbyhistoriker Uwe Jockers hat sich mit der Schulgeschichte von Merzig-Bietzen befasst. Das Ergebnis seiner 20 Jahre dauernden Forschungsarbeit erscheint nun unter dem Titel „300 Jahre Schulgeschichte auf dem Bietzerberg“. Auf rund 450 Seiten dokumentiert er das Schulwesen seit den Anfängen im Jahr 1695. In 13 Schwerpunktthemen wie zum Beispiel Benotungssystem, Lehrinhalte, Bestrafung und Schuldisziplin wurde das Schulwesen zusammengefasst. Das Buch wurde unter Federführung des Heimatkundlichen Vereins Bietzerberg in einer Auflage von 100 Stück gedruckt, und wird am 13. Dezember im Pfarrheim der katholischen Kirche St. Martin in Bietzen vorgestellt und zum Preis von 40 Euro verkauft.

 

[Regionalforum-Saar] Das Landkreis-Neunkirchen-Buch

Date: 2017/12/03 18:13:04
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Nach über 30 Jahren …


… solange hat es nämlich gedauert bis im Landkreis Neunkirchen wieder ein eigenes Buch über den Landkreis erschienen ist. Der Landrat damals hieß Schwehm.


Heute – Ende des Jahres 2017 – ist wieder ein Landkreisbuch erschienen. Ein gutes Jahr dauerte es von der Idee bis zur Vollendung. Ein Redaktionsteam aus MitarbeiterInnen des Landratsamtes und etliche Historiker, darunter Friedrich Denne, Hans-Joachim Hoffmann, Stephan Friedrich und Bernhard W.Planz, haben das Buch thematisch zusammengestellt, Artikel gelesen und bearbeitet, Bilder ausgesucht, Karten erstellt usw. usw. Thomas Störmer von der Edition Schaumberg hat das Buch gestaltet.


Herausgekommen ist ein prächtiger Band mit 288 Seiten Inhalt und ebensovielen Abbildungen. Eine Art Almanach mit Blick nach gestern, heute und morgen.


Die Herausgabe des Bandes war laut Landrat Sören Meng nur dank der großzügigen Unterstützung durch die Sparkasse Neunkirchen möglich. Der Band soll keine Eintagsfliege bleiben, sondern nach dem Willen von Redaktion und Landrat in unregelmäßigen Abständen über Vergangenes und Gegenwärtiges im Landkreis berichten.


Das Landkreis-Neunkirchen-Buch, 288 Seiten, Format 21x27 cm, durchgehend farbig,

ISBN 978-3-941095-47-2, 25,00 EUR [D].


Erhältlich im Landratsamt Ottweiler, TKN Landsweiler-Reden, in allen Filialen der Sparkasse Neunkirchen, im Buchhandel sowie direkt beim Verlag.

https://www.edition-schaumberg.de/b%C3%BCcher/geschichte-kultur/das-landkreis-neunkirchen-buch/

[Regionalforum-Saar] Injurien, unerlaubter Beischlaf , Diebstahl, Raufereien, Ehebrüche, Schandstrafen etc.

Date: 2017/12/03 18:33:44
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

weitergeleitet: ARBESBACH – das Strafprotokoll 1675-1761

Injurien, unerlaubter Beischlaf, Diebstahl, Raufereien, Ehebrüche, Schandstrafen etc.

 

Sehr geehrte Forschergemeinde!

 

In vieljähriger Arbeit habe ich viele grundherrschaftliche Protokolle der Grundherrschaft und des Landgerichtes Arbesbach aufgearbeitet.

Da die Kirchenbücher von Arbesbach 1756 verbrannt sind und ein erheblicher Teil meiner Vorfahren aus dieser Gegend stammt, konnte ich durch die Vielzahl von anderen Quellen weitere Vorfahren erforschen, nicht nur das Datenskelett, sondern das Fleisch zum Skelett.

 

Die vorliegende Arbeit ist allerdings nicht auf meine Vorfahren zugeschnitten. Es war für mich wichtig, über die vielen Fälle der niederen Gerichtsbarkeit zu erfahren, jene Fälle, die nur selten mit Strafen abseits von Geldstrafen geahndet wurden. Für die Zeit zwischen 1675 und 1761 ist das Strafprotokoll erhalten geblieben, das uns einen tiefen Einblick in das zwischenmenschliche Gefüge dieser Zeit bietet. Es berichtet über Injurien (Beleidigungen), Fornikation („Hurerey Straff“), Diebstahl, Streitigkeiten, Raufereien und Misshandlungen, Ehebrüche bis zum Vierer, Schandstrafen, ein Duell und streitsüchtige Personen und Familien. Bis der Markt brennt. 

 

Nun steht Ihnen auf meiner Internetseite www.FelixGundacker.at unter downloads kostenlos ein Aufsatz von 60 Seiten zur Verfügung. Die spannendsten Fälle habe ich hier beschrieben und die (genealogischen) Hintergründe dargestellt – zu einer Zeit, in der es zumeist keine Matriken mehr gibt. Mit Namensverzeichnis!

 

Für Ihre Fragen und Anregungen stehe ich Ihnen sehr gerne zur Verfügung.

 

Mit herzlichen Grüßen,

Felix Gundacker

 

Prof. Felix Gundacker

1190 WIEN, Pantzergasse 30/8

www.FelixGundacker.at

[Regionalforum-Saar] Der erfahrene Krieg. Selbstzeugn isse aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges

Date: 2017/12/06 23:52:23
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel; Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit
31.05.2018-01.06.2018, Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek
Deadline: 15.02.2018

Selbstzeugnisse als bewusst und aus eigenem Antrieb verfasste Texte mit
explizitem Selbstbezug bieten ganz unterschiedliche individuelle
Perspektiven auf historische Ereignisse und Prozesse und deren
Verarbeitung durch Einzelpersonen, sei es als handelnde Subjekte, sei es
als direkt oder indirekt Betroffene. Mit seinem existenzbedrohenden
Destruktionspotential bot der Krieg als ein allgegenwärtiges und
prägendes Phänomen der Vormoderne in besonderer, bedrängender Weise
Anlass und Stoff, persönliche Erfahrungen und Widerfahrnisse für sich,
die Familie oder Mit- und Nachwelt festzuhalten. Derartige Ego-Dokumente
bereichern nicht nur unser Faktenwissen, sondern bieten ein ganzes
Bündel von Aspekten, die in der gewöhnlichen Quellenüberlieferung eher
verborgen bleiben. Die erfahrungsgeschichtliche Dimension historischer
Phänomene wird greifbar, aber auch die Wertvorstellungen von Akteuren,
ihre Handlungsmotive oder ihr Umgang mit den eigenen Emotionen. Abseits
der großen politischen Zusammenhänge und der Welt der unmittelbaren
politischen Entscheidungsträger kann auf Grundlage von Selbstzeugnissen
mit mikrogeschichtlichen Zugängen und Fragestellungen, die seit einigen
Jahren einen festen Platz in der Geschichtswissenschaft gefunden haben,
eine besondere Alltags- und Erfahrungsgeschichte des Krieges erforscht
werden, können Lebenswelten und soziale Praktiken von Kombattanten und
Nichtkombattanten beleuchtet werden.

Im 17. Jahrhundert stellte der Dreißigjährige Krieg als politisch,
religiös und ökonomisch vielschichtiger Großkonflikt, der weite Teile
Europas erfasste, für viele Menschen eine Zäsur dar. Im weiten Spektrum
der in dieser Zeit entstandenen Selbstzeugnisse, wie Autobiografien,
Tagebücher, Chroniken, Reiseberichte, aber auch Briefe, wurden die oft
leidvollen Erfahrungen von Soldaten und der Zivilbevölkerung, die
bereits eingetretenen oder die noch erwarteten Folgen des Krieges sowie
die daraus resultierenden Überlebensstrategien der Betroffenen, von
Tätern und Opfern gleichermaßen greifbar. Neben der Verwicklung in
tatsächliche Kampfhandlungen fanden thematisch vor allem die
Begleiterscheinungen des Krieges, wie Hunger, Krankheiten und Tod,
physische, auch sexualisierte Gewalt, existenzielle Ängste, Verlust von
Habe durch Plünderung und Zerstörung, aber auch Kriegsgewinne,
Sonderabgaben, Truppendurchzüge und Einquartierungen, Devianz,
Flüchtlingsströme, wirtschaftlicher Niedergang oder sozialer Aufstieg,
Niederschlag in den Selbstzeugnissen jener Zeit. Der Erfahrungshorizont
des "expliziten Selbst" verläuft dabei, bei unterschiedlich stark
bezeugtem "Ich-Bezug" innerhalb der dokumentierten Umwelt, in einem
weiten Feld zwischen höchst traumatischen Kriegserlebnissen und
weitgehender Normalität in Phasen der Ruhe.

Unser Workshop richtet sich an Promovierende und junge
WissenschaftlerInnen, die an Projekten zum Thema Kriegsbetroffenheit und
Kriegserfahrungen in Selbstzeugnissen aus der ersten Hälfte des 17.
Jahrhunderts arbeiten. Aber auch andere Aspekte der Epoche des
Dreißigjährigen Krieges, wie die konfessionellen Konflikte oder der
Wandel politischer und sozialer Ordnungen, können im Vordergrund stehen.
Ausdrücklich erbeten sind Werkstattberichte noch nicht abgeschlossener
Arbeiten, wobei sowohl Ergebnisse als auch offene Fragen und methodische
Probleme diskutiert werden können. Der Alltag des Krieges und seine
gesellschaftlichen Konsequenzen, das Zusammenleben von Militärs und
Nichtmilitärs, die Wahrnehmung und Erfahrung militärischer Gewalt sowie
die verschiedenen Versuche oder Konzepte zur soziokulturellen und
psychischen Krisenbewältigung wären gewünschte thematische
Schwerpunkte.

In zwei halbtägigen Sitzungen sollen die TeilnehmerInnen die Möglichkeit
erhalten, ihre Projekte zu präsentieren und mit den Beteiligten des
Projekts "Digitale Edition und Kommentierung der Tagebücher des Fürsten
Christian II. von Anhalt-Bernburg (1599-1656)" in wissenschaftlichen
Austausch zu treten. Bei einer abendlichen Podiumsdiskussion am 31. Mai
2018 können die Teilnehmenden auf Grundlage von einem oder mehreren
Impulsreferaten zudem mit den Selbstzeugnis-ExpertInnen des anwesenden
Beratungsgremiums des Christian-Tagebuch-Projekts - Prof. Dr. Peter
Burschel (Wolfenbüttel/Göttingen), Prof. Dr. Achim Aurnhammer
(Freiburg), Prof. Dr. Rudolf Dekker (Amsterdam), Univ.-Doz. Dr. Katrin
Keller (Wien), Prof. Dr. Hans Medick (Berlin) und Prof. Dr. Michael
Rohrschneider (Bonn) - ins Gespräch kommen. Überdies ist geplant, den
Teilnehmenden eine Einführung in die mögliche Visualisierung und
technische Aufbereitung von Selbstzeugnissen durch die Möglichkeiten
digitaler Editionen zu bieten.

Die Herzog August Bibliothek übernimmt Reise- und Übernachtungskosten im
Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen des Landes Niedersachsen.

Wir freuen uns auf eine kurze Darstellung des jeweiligen
Forschungsprojekts mit knappen Angaben zu Ihrer Person. Bitte senden Sie
Ihre Skizzen bis 15. Februar 2018 an zirr(a)hab.de Eine Auswahl der
Beiträge erfolgt bis Ende Februar 2018.

Kontakt für inhaltliche bzw. organisatorische Fragen: Dr. Andreas Herz
(herz(a)hab.de)/Dr. des. Alexander Zirr (zirr(a)hab.de)


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Alexander Zirr

Herzog August Bibliothek
Lessingplatz 1, D-38304 Wolfenbüttel 

zirr(a)hab.de

Homepage der Herzog August Bibliothek: <http://www.hab.de>

URL zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=35883>

[Regionalforum-Saar] Der letzte weiße Flecken

Date: 2017/12/07 19:07:43
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Subject: Rez. NG: P. Schillings: Der letzte weiße Flecken
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Schillings, Pascal: Der letzte weiße Flecken. Europäische
Antarktisreisen um 1900. Göttingen: Wallstein Verlag 2016. ISBN
978-3-8353-1959-2; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; 448 S., 10
Abb.; EUR 48,00; $ 52.56.

Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Cornelia Lüdecke, Zentrum für Geschichte der Naturwissenschaft und
Technik, Universität Hamburg
E-Mail: <C.Luedecke(a)lrz.uni-muenchen.de>

Als der Internationale Geographenkongress 1895 in London tagte,
empfahlen die Anwesenden - quasi als Millenniumsaufgabe - die
Erforschung des buchstäblich letzten weißen Fleckens der Erde, der
Antarktis. Von deutscher Seite plädierte Georg von Neumayer (1826-1909)
schon seit Jahrzehnten für die Aussendung einer Südpolarexpedition.
Ebenso engagierte sich der fast gleichaltrige Clements Markham
(1830-1916) in England. Beide luden sich jeweils zur Unterstützung auf
Kongresse ein, um ihre Antarktisexpeditionen in die Wege zu leiten. So
sprach Neumayer 1895 in London und Markham 1899 in Berlin, wo eine
internationale Zusammenarbeit aller beteiligten Expeditionen nach dem
Vorbild des Internationalen Polarjahres von 1882-1883 vereinbart wurde.
Damit war eine gemeinsame Grundlage geschaffen, deren Ausführung jedoch
national sehr unterschiedlich ausfiel. Pascal Schillings greift die
beiden Hauptakteure heraus, Erich von Drygalski (1865-1949) für die
deutsche Expedition an Bord der "Gauss" (1901-1903) und Robert Falcon
Scott (1868-1912) für die englische Expedition an Bord der "Discovery"
(1901-1904), um an ihrem Beispiel die gegensätzlichen
Expeditionskulturen von wissenschaftlicher Forschung und geographischer
Exploration zu erläutern. Schilling bezieht sich hier auf den Gegensatz
von instrumentellen Messungen an einer Station und Augenbeobachtungen
bzw. Untersuchungen während Schlittenreisen.

Nach einer Einführung in das Thema und einem polarhistorischen Kapitel
über die Entwicklung der Antarktisforschung bis 1895 stellt Schillings
in den drei folgenden Kapiteln verschiedene Aspekte der beiden
Expeditionen einander gegenüber. Unter dem Stichwort
"Expeditionsnetzwerke" werden die Finanzierungsproblematik der
kostspieligen Expeditionen, der Bau spezieller Polarschiffe, die
Beschaffung der Ausrüstung auf globaler Ebene, die Expeditionsleiter und
die Zielvorstellungen der einzelnen Explorationskulturen behandelt. Ein
weiteres Unterkapitel widmet sich der meteorologischen und
erdmagnetischen Wissenschaft und ihre Einbettung in globale Netzwerke.
Die unterschiedliche Gewinnung der Messdaten auf hoher See, in den
Stationen oder auf Schlittenreisen und die damit verbundenen
instrumentellen Probleme untersucht das Kapitel "Wissenspraktiken im
Eis". Die mediale Darstellung der Datenerhebung unter den erschwerten
polaren Bedingungen in Reiseberichten und Vorträgen sowie die
Verarbeitung der Daten und Aufbereitung der Ergebnisse wird im Kapitel
"Leidende Explorerkörper und Messtabellen" beschrieben. Im sechsten
Kapitel weitet der Autor den Zeitraum der besprochenen Expeditionen bis
1917 aus (im Titel des Kapitels steht "1916"), um einerseits
gescheiterte Polarprojekte nach der ersten Phase der internationalen
Kooperation um 1900 und um andererseits die völlig andere Situation um
1911 vorzustellen. Damals schloss der national aufgeladene Wettlauf zum
Südpol jegliche wissenschaftliche Zusammenarbeit aus. Zudem wurde Scotts
Tod auf dem Eis während des ersten Weltkrieges in der britischen
Öffentlichkeit nachhaltig als moralisches Beispiel präsentiert. Das
letzte Kapitel schlägt den Bogen bis zur Jetztzeit und stellt die
Entwicklung dar, die exemplarisch durch die wissenschaftliche
Kooperation in der Antarktis während des Internationalen
Geophysikalischen Jahres (1957-1958) und Reinhold Messners und Arved
Fuchs' sportliche Durchquerung der Antarktis (1989-1990) angerissen
wird.

Die einzelnen Kapitel, deren Titel wie schon angedeutet nicht immer
schlüssig sind, beginnen mit einer allgemeinen Übersicht zum behandelten
Thema und nennen die bereits dazu existierenden methodischen Arbeiten
sowie die wichtigsten Stichworte, die in den nachfolgenden Ausführungen
näher behandelt werden.

Die Vergleiche der unterschiedlichen Explorationskulturen sind sehr
aufschlussreich, aber leider gibt es viel zu wenige begleitende
Illustrationen. Wie bei Historikern üblich, überwiegen auf manchen
Textseiten die Fußnoten mit Literatur- und Quellenhinweisen, die der
Vertiefung der einzelnen Themen dienen. Lebensdaten der erwähnten
Personen fehlen jedoch.

In seiner Recherche wertet Schillings neben der entsprechenden Primär-
und Sekundärliteratur auch unveröffentlichte deutsche und britische
Quellen aus. Scotts erste Expedition wird ausführlich aus der Sicht der
sie maßgeblich organisierenden Royal Society und der Royal Geographical
Society beschrieben. Der deutschen Expedition wird hauptsächlich
ministeriales Archivmaterial zugrunde gelegt. Unklar ist, warum der
Autor nicht auch Drygalskis privaten Expeditionsnachlass hinzugezogen
hat, der nahezu vollständig und gut zugänglich im Institut für
Länderkunde in Leipzig archiviert ist. Dieses Material wäre insofern zur
Ergänzung nützlich, da Drygalski bereits im Februar 1898 als Leiter der
deutschen Expedition eingesetzt wurde und seitdem für die Vorbereitung
verantwortlich war. Scott hingegen wurde erst im Juni 1900 auf Markhams
Betreiben zum Expeditionsleiter ernannt, was in Markhams Erinnerungen
"Antarctic Obsession" (1986) dargelegt ist, die Schillings ebenfalls
nicht beachtet hat.

Der Text ist aus geisteswissenschaftlicher Sicht schlüssig geschrieben.
Es geht um die Wissensproduktion in der Antarktis und um die dabei
zugrunde gelegten unterschiedlichen Explorationskulturen sowie deren
national und ideologisch geprägten Aufladungen. Untersucht werden die
fördernden Personen und Institutionen, die Planung,
Expeditionsvorbereitung, Ausrüstung, Durchführung bis hin zur Auswertung
der Daten und Sammlungen sowie die Publikation der Ergebnisse. Hierbei
werden die verschiedensten Einflüsse auf die deutsche und englische
Wissensproduktion herausgearbeitet.

Wenn es jedoch um naturwissenschaftliche Inhalte geht, stößt man
mitunter auf fachliche Missverständnisse. Beispielsweise schreibt
Schillings, dass während des Internationalen Polarjahres (1882-1883)
zusätzlich zu den stündlichen Messungen der meteorologischen und
magnetischen Parameter an festgelegten Termintagen für 24 Stunden die
meteorologischen Messungen alle fünf Minuten durchgeführt werden sollten
(S. 61). Das macht gar keinen Sinn. Stattdessen sollten mit den
magnetischen Messungen die von der Sonne verursachten Variationen des
Erdmagnetfeldes im Tagesverlauf aufgezeichnet werden, wie es in der
zugrunde gelegten Quelle geschrieben steht.

Weitere Unstimmigkeiten ergeben sich durch Unkenntnis der
Polargeschichte. Schillings stellt fest, dass es den
Expeditionsteilnehmern auf Scotts "Discovery" an notwendigem Wissen über
Reisen mit Hundeschlitten gefehlt habe, weil Nansens Buch über seine
Drift in der Arktis "Farthest North" (deutsch: "In Nacht und Eis") nicht
in der Bordbibliothek vorhanden war (S. 213). Dabei verfügten Scotts
Offiziere Albert Armitage und Reginald Koettlitz über persönliche
Erfahrungen mit Hundeschlittenreisen aus ihrer Teilnahme an der
Jackson-Harmsworth-Expedition (1894-1897) nach Franz Joseph Land.

Außerdem behauptet Schillings, dass "15.000 Reichsmark aus dem
kaiserlichen Dispositionsfonds für die Ausstattung eines Observatoriums
auf Samoa bewilligt [wurden], das aber letztlich nicht in Betrieb ging"
(S. 171). Das Observatorium wurde hingegen tatsächlich 1902 im
Zusammenhang mit der deutschen Südpolarexpedition eingerichtet und bis
1921 unter deutscher Leitung geführt. Später ist daraus das Apia
Observatory der Samoa Meteorology Division hervorgegangen.

Der bayerische Offizier Wilhelm Filchner (1877-1957) hatte seinen Plan
einer Antarktisdurchquerung schon längst verworfen, als er 1911 nach
Süden aufbrach, denn sonst wäre er mit Scotts zweiter Expedition
(1910-1913) in Konflikt geraten (S. 350). Es war also keineswegs eine
Entscheidung vor Ort, als Filchners Schiff im Weddellmeer eingefroren
war.

Georg von Neumayer hatte nicht in München promoviert, sondern zwei
Ehrendoktortitel in München und Tübingen erhalten (S. 42). Und der
estnische Wissenschaftshistoriker heißt "Erki" und nicht "Erik"
Tammiksaar (S. 61, 439).

Wenn man von den exemplarisch dargestellten Fehlern und
Fehlinterpretationen der Quellen, die nur Naturwissenschaftlern oder
Polarhistorikern auffallen, absieht, ist die Darstellung sehr gut zu
lesen und empfehlenswert für alle, die sich für Polarexpeditionen vor
dem ersten Weltkrieg interessieren, als die Basis für die deutsche
Polarforschung gelegt wurde. Ohne persönliche Wertung stellt Schillings
die Facetten der unterschiedlichen Explorationskulturen vor: die
geographisch orientierte Expedition auf der britischen Seite mit Scott,
der zum Südpol wollte, und die wissenschaftliche Expedition auf der
deutschen Seite mit Drygalski, der sich den exakten wissenschaftlichen
Messungen verschrieben hatte. Drygalskis Expeditione erhielt später
sogar die Bezeichnung "Universitas Antarctica".

Es sollten mehr Dissertationen dieser Art verfasst werden, denn die
Forschung in den Polargebieten ist interdisziplinär und deren
Entwicklung nicht nur unter naturwissenschaftlichen und
geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkten, sondern zum Beispiel auch
unter sozialwissenschaftlichen, medizinischen, technischen oder auch
politisch/geopolitischen Aspekten zu betrachten.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Jörg Neuheiser <joerg.neuheiser(a)GOOGLEMAIL.COM>

[Regionalforum-Saar] Die neuen Häuser in den neuen Städten und Dörfern

Date: 2017/12/07 19:08:45
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

CFP: Die neuen Häuser in den neuen Städten und Dörfern -
         Schwerin 10/18
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Arbeitskreis für Hausforschung
03.10.2018-07.10.2018, Schwerin
Deadline: 28.02.2018

Die neuen Häuser in den neuen Städten und Dörfern.
Neuerungen im Hausbau unter dem Einfluss der Landesherren
und ihrer Baumeister zwischen 1650 und 1830

Das 'lange' 18. Jahrhundert kann auch auf dem Gebiet des Bauens und
Wohnens höchstens im Vergleich mit den rasanten Umwälzungen des 20.
Jahrhunderts als Phase der Stagnation erscheinen. Tatsächlich aber
unterscheiden sich auch schon die Häuser des frühen 19. Jahrhunderts in
Stadt und Land deutlich von denen des ausgehenden 17. Jahrhunderts.
Nicht nur ist das Äußere nach wechselndem Zeitgeschmack in bisweilen
geänderter Bauweise umgestaltet, sondern auch das Innere modifizierten
Nutzungsmustern mit zahlreichen technischen Neuerungen angepasst.
Besonders offenkundig werden Novationsschübe in den Fällen grundlegender
Neugestaltung der ganzen Siedlung, d. h. in der Gründungsphase neuer
Städte und Dörfer oder im Wiederaufbau nach Brand- oder
Kriegszerstörungen. 

Die Tagung will zur Klärung der Frage beitragen, in welchem Umfang es
direkte Vorgaben der Obrigkeit waren, welche die Wandlungen des Bauens
und Wohnens in den deutschsprachigen Ländern angestoßen haben. Gefragt
wird in erster Linie, mit welchen Zielen und in welcher Form von den
absolutistischen Landesherren bzw. ihren Baumeistern auf die Planung des
einzelnen Hauses Einfluss genommen wurde. Dabei sind Veränderungen der
Baustruktur (Material und Gestalt) ebenso in den Blick zu nehmen wie
Wandlungen der Raumstruktur (Funktion und Typ). 

Im Mittelpunkt der Vorträge sollen die neuen Häuser stehen. Deren
Stellung in der Ortstopographie und damit der städtebauliche Entwurf
können natürlich nicht außer Acht bleiben. Dies gilt gleichermaßen für
den Anlass des Planungsereignisses: Beim Wiederaufbau einer zerstörten
Ortschaft stellen sich ganz andere rechtliche und ökonomische Fragen als
bei einer neu zu gründenden Siedlung. Auch die primäre Funktion der
Siedlung - Residenz oder Festung, Manufaktur oder Landwirtschaft - wird
wegen der Unterschiede im politischen Gewicht wie im bautypologischen
Besatz nicht ohne Einfluss auf die Maßnahmen der Obrigkeit geblieben
sein. Es ist zu erwarten, dass deren Ziele durch den Vergleich
unterschiedlicher Planungsvorgänge deutlich hervortreten. 

Aus demselben Grund beabsichtigt die Tagung auch - trotz abweichender
Territorialgeschichten und ggf. Herrschaftsstrukturen - keine regionale
Beschränkung; im Gegenteil sind auch Beiträge aus den Nachbarländern
ausdrücklich erwünscht. Selbst eine Reduktion auf entweder städtische
oder ländliche Siedlungen scheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht
angebracht, dürften doch gerade im Vergleich möglichst variantenreicher
Beispiele die Motive, Absichten und Methoden der Landesherrschaften
erkennbar werden.

Erwünscht sind alle Darstellungen des Hausbaus in einer neu gegründeten
oder wiederaufgebauten Siedlung. Auch bei der Vorstellung einzelner
Bauuntersuchungen sollten die Neuerungen gegenüber früheren
Bautraditionen deutlich werden. Im Idealfall zeichnen die Vorträge den
Ablauf der Planungsmaßnahme und darin den Einfluss der Landesherrschaft
nach. Überblicksvorträge, z. B. zur Baupolitik einzelner Länder oder
Herrscher, sollten die praktische Umsetzung der theoretischen
Überlegungen und Vorgaben in den neuen Städten und Dörfern nicht aus den
Augen verlieren.

Darüber hinaus geben wir bevorzugt Nachwuchs-Hausforscherinnen und
Nachwuchs-Hausforschern die Möglichkeit, in einer Sektion "aktuelle
Forschungsergebnisse" anderer Thematik vorzustellen. 

Die Veröffentlichung der Tagungsbeiträge im "Jahrbuch für Hausforschung"
ist zeitnah vorgesehen; wir erwarten die Abgabe Ihrer Manuskripte zu
Tagungsbeginn.  


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Thomas Spohn

Brandenburger Straße 12; 44139 Dortmund

0049-231-126631

famspohn(a)web.de

Homepage <http://www.arbeitskreisfuerhausforschung.de/>

[Regionalforum-Saar] Die Geschichte von Walter E. Davis

Date: 2017/12/07 19:10:54
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

aus den Frankfurter Heften 1948

Die Geschichte von Walter E. Davis

von RA

 

Er, ein Amerikaner, hatte in Frankreich unter der Fahne der Demokratie gegen die Deutschen gefochten; er hatte in einer dieser Schlachten seine rechte Hand verloren. In die Heimat zurückgekommen, fand er eine Anstellung in einem staatlichen Amt für Soldatenfürsorge. Vor einiger Zeit haben sie dort von ihm eine Loyalitätserklärung für die Regierungsform seines Vaterlandes verlangt — und einen Fingerabdruck obendrein.

 

Er lehnte beides entschieden ab und erklärte: „Ich habe nicht für eine Regierung gekämpft, die mir vorschreiben will: Unterzeichne dies und das! Ich dachte, wir hätten gerade um die Ausschaltung solcher Methoden gekämpft."

 

Er war ein aufrechter Mann und ein echter Demokrat, der um der Freiheit willen auch seine Entlassung nicht fürchtete.

 

Doch etwas anderes begann ihn zu beunruhigen: die amerikanischen Kommunisten machten sich seinen Fall zu eigen, um zu beweisen, welch prächtige Hüter der Menschenrechte gerade sie seien, — Hüter der Rechte, die sie sonstwo nicht zu beachten pflegen.

 

Auf das hin lieferte er ein schönes Beispiel: Er widerrief seine erste Erklärung, um, wie er sagte, „nicht ein Werkzeug der Kommunisten zu werden", und verließ gleichzeitig damit seine gutbezahlte Stellung im Dienste eines Staates, der ihn zu einer solchen Handlung gezwungen hatte.

 

Nun sitzt er auf der Straße: Kriegsinvalide Walter E. Davis. Wir grüßen in diesem Mann einen Vorkämpfer gegen den Totalitarismus, dessen Ausbreitung, im kleinen wie großen, jedermann überall wiederstehen sollte.

[Regionalforum-Saar] Die Weihnachtsgeschichte in Pennsylvania Dutch

Date: 2017/12/08 12:56:42
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Hallo,

diese Geschichte kam heute über ein Forum, das sich mit der Sprache der Amisch in Pennsylvania beschäftigt.

Bitte bedenken Sie beim Lesen, daß sich die Sprache seit gut 200 plus Jahren in den USA weiterentwickelt hat, so daß Lehnwörter fast ausschließlich aus dem Englischen bzw. Amerikanischen stammen.

Siehe das Wort "gnumbert" für "gezählt". "gnumbert" wurde aus dem Wort "number" abgeleitet, wie auch in späteren Sätzen das Wort "gnambert" sogar in Lautschrift wiedergeben ist.

Hat was.

Roland Geiger



Grischtdaags-Schtori nach Lukas 2, 1-14

1. An selli Zeit hot der Kaiser Augustus en Gebott nausg'schickt ass all die Leit in die Welt selle gnumbert sei. 2. Des waar's erscht mol ass all die Leit so gnambert waare, un's hott Blatz gnumme wo der Cyrenius Governer waar vun Syria. 3. Un alliebber hot sich grischt un is in die Schtadt gange vun sei Voreldere. 4. Un der Joseph is aa nuff gange vun die Schtadt, Nazareth, im Land Galilee-e zu die Schtadt, Bethlehem, im Land Judee-e. Des waar die Schtadt vum Daafit. Der Joseph is datt hie gange veil er vum Daafit sei Nochkummerschaft waar. 5. Er is datt hie gange fer sich nambere losse mit die Maria wo verschproche waar zu eem, un sie waar uff em Familyweg. 6. Un diweil ass sie datt waare, is die Zeit kumme ass die Maria ihre Kind hawwe hot selle. 7. No waar ihre erschder Buh gebore zu ihre, un sie hot ihn in Windle-Duch gwickelt, un hot ihn in en Fuder-Droog gleegt, weil's ken Blatz meh waar im Schloof-Haus. 8. Un in selli Landschaft waare Schoof-Hieder draus im Feld am ihre schoof-hiede deich die Nacht. 9. Un's iss en Engel vum Harr zu ihne kumme, un's heilich Licht vum Harr hot um sie rum gscheint, un sie henn zich gfeicht. 10. No hot der Engel g'saat zu ihne, "Feichet eich naett, fer ich bring eich guudi Zeie wo eich froh mache zehle, un wo zu all die Leit kumme zehle. 11. Fer zu eich iss heit der Heiland gebore wadde in die Schtadt vum Daafit. Er iss Christus der Harr. 12. Un des zehlt en Zeeche sei fer eich: dir finnet's Kind eigwickelt imme Duch un am imme Fuder-Droog leie." 13. Un uff eemol, waar en groosi Drubb anri himmlischi Engel bei demm Engel un sie waare am Gott lowe un henn g'saat, 14. "Groosi Ehr sei zu Gott im Heechschde, un Fridde uff die Erd unnich Mensche, die wo er froh is mit."

[Regionalforum-Saar] Die globale Verortung der Geschichte

Date: 2017/12/09 09:42:32
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

[Etwas sehr lang, etwas kompliziert, aber ein starker Text; ich empfehle, ihn zum Lesen auszudrucken. Roland Geiger]

 

Die globale Verortung der Geschichte

Von Dietmar Rothermund, Dossenheim E-Mail: <dietmar.rothermund(a)t-online.de>

 

In den letzten Jahrzehnten hat die Geschichtswissenschaft mehrfach einen Wandel erlebt. Nach einer Betonung von Sprache und Kultur wurde der Raum hervorgehoben. Dabei ging es nicht nur um den Raum als gegebene Dimension, sondern als Beziehung zwischen Orten. Diese Orte wiederum wurden von einigen Theoretikern als die eigentlichen Stätten der Geschichte betrachtet. Geschichte fand statt; um sie darzustellen, musste man sie "verorten". So verortet, konnte man die Geschichte "kartieren" und ihre Ordnung erfassen. Wenn man sich der Geschichte in diesem Sinne näherte, musste man schließlich an die globale Dimension denken. So lief der Raumbezug der Geschichte auf die Globalgeschichte hinaus. Dieser Zusammenhang wurde von den Globalhistorikern nicht unbedingt gesehen. Andere Beweggründe legten ihnen die Beschäftigung mit globalen Themen nahe. Man denke nur an den Klimawandel, der gar nicht anders als global betrachtet werden konnte, oder die ungemein rasche Ausbreitung der sozialen Medien, die durch das Internet verbreitet wurden. Solche globalen Phänomene erregten unmittelbare Aufmerksamkeit und bewirkten einen Bewusstseinswandel, der dann in dem Schlagwort "Globalisierung" seinen prägnanten Ausdruck fand.

 

Der Prozess der Globalisierung

"Globalisierung" ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Meist ist von diesem Prozess im Singular die Rede. Damit wird impliziert, dass es sich um ein umfassendes Phänomen handelt, das wie eine Schicksalsmacht alles prägt. Es wäre jedoch sinnvoller von Globalisierungen zu sprechen, die jeweils nur gewisse Bereiche erfassen. Globalisierungen in einem Bereich können unbeabsichtigte Folgen in einem anderen haben. So etwa die Verbreitung des ertragreichen mexikanischen Weizens in Indien: eine sehr erfolgreiche Globalisierung, die Hungersnöte abwendete, aber dann eine rasante Bevölkerungsvermehrung verursachte. Die Geschichte der Globalisierung wird über viele solche Beispiele zu berichten haben. Bereichsglobalisierungen können sich überschneiden und Interferenzerscheinungen verursachen oder geradezu gegenläufige Prozesse hervorrufen. Dazu gehören auch Kontraste verschiedener Lebensformen. Man denke nur an das Bild in einer indischen Zeitung, das einen nackten Asketen zeigt, der ein Smartphone benutzt. Es wäre falsch, von der Globalisierung eine allgemeine Konvergenz der Lebensformen zu erwarten. Interaktionen können unerwartete Konsequenzen haben. Der "arabische Frühling", der 2011 plötzlich ausbrach und sich von Tunis über Libyen und Ägypten bis nach Syrien verbreitete, enttäuschte die Erwartungen derer, die eine Ablösung der diktatorischen Regime durch freiheitliche Regierungen erhofften. In seiner frühen Phase verdankte der "arabische Frühling" viel der Vernetzung junger Rebellen mithilfe der sozialen Medien. Doch diese Art der Vernetzung kann Strohfeuer entfachen, daraus entsteht selten eine stabile Ordnung. Soziale Bewegungen können zu gewalttätigen Unruhen führen und diese wiederum lösen Flüchtlingsströme aus. Im Zeitalter der Globalisierung sind Millionen auf der Flucht.

 

Das Zeitalter des Anthropozän

Historiker und Politologen, die sich mit der Globalisierung beschäftigen, haben versucht, den Beginn dieser Epoche zu definieren. Sie sind sich weitgehend einig, dass sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einsetzt. Parallel zu diesem Zeitalter der Globalisierung ist ein neues Erdzeitalter, das "Anthropozän", proklamiert worden, das ebenfalls in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beginne. Der Begriff wurde von dem niederländischen Chemiker P. J. Crutzen in Umlauf gebracht und fand ein begeistertes Echo. Er bezieht sich darauf, dass der Mensch einen rasch wachsenden Einfluss auf die Gestaltung der Erde hat. Die Erderwärmung, der Rückgang der Artenvielfalt, die rasante Vermehrung der Menschen und vieles andere mehr sind die Signaturen des Anthropozäns. Als deutliche Markierung seines Beginns dient das Auftreten künstlicher Isotope nach den Atomtests. Der Abwurf der Atombombe zeugt von der Möglichkeit der totalen Vernichtung der Menschheit durch den Menschen, die der Geschichte eine ganz neue Qualität verleiht. Naturwissenschaftler, die sich mit dem Anthropozän beschäftigen, denken nicht nur an eine Klassifizierung seiner Symptome, sondern auch an gezielte Eingriffe zur Korrektur der bisher stattgefundenen schädlichen Entwicklungen. So wäre etwa an Strahlungsmanagement durch Spiegel im All zu denken oder die Produktion künstlicher Wolken usw. Mit einer Konvergenz von Forschungen zur Geschichte der Globalisierung und zum Anthropozän ist zu rechnen.

 

Einige Autoren wollen den Beginn des Anthropozän schon früher datieren. Charles Mann sieht den "Columbian Exchange", die Übertragung amerikanischer Pfanzen (Kartoffel, Mais, Tomate, etc.) nach Europa als Anfang des Anthropozän an, das er Homogenozän nennt. Er beruft sich auf die globalen Auswirkungen dieses Phänomens auf die Lebensbedingungen der Menschen und stellt das sehr anschaulich dar. Man kann dies bereits als einen Beitrag zur Konvergenz der Forschung betrachten.

 

Die frühe Globalisierung, 1850-1950

Eine Beschränkung der Geschichte der Globalisierung auf die Zeit nach 1950 trifft auf berechtigte Kritik. Bereits die Zeit von 1850 bis 1950 kann als eine frühere Epoche der Globalisierung reklamiert werden. Es zeigten sich in diesen hundert Jahren sowohl positive, zukunftsweisende Tendenzen von globaler Dimension als auch neuartige Konflikte von bisher ungeahnter Brisanz und Reichweite. Zu den positiven Phänomenen gehört zum Beispiel die alle nationalen Grenzen überschreitende Kommunikation, die in der Gründung der International Telegraph Union (1865) und des Weltpostvereins (1874) ihren Ausdruck fand. Es ist bezeichnend, dass diese Organisationen ihre Zentralen in der neutralen Schweiz hatten. Die Telegraphenkabel umspannten sehr rasch den ganzen Globus. Unterseekabel durchquerten die Weltmeere.

 

Der amerikanische Unternehmer Cyrus Field schaffte es 1866, das Kabel durch den Atlantik zu verlegen, nachdem ihm ein früherer Versuch misslungen war. Danach wollte er auch den Pazifik bezwingen, aber er starb 1892 bevor es dazu kam. Briten und Amerikaner rüsteten schließlich zu einem Wettrennen durch den Pazifik. Die Briten verlegten ihr Kabel von Kanada nach Australien und Neuseeland und erreichten ihr Ziel 1902. Die Amerikaner vollendeten ihre Verbindung von San Francisco über Hawaii und die Midway Islands nach den Philippinen nur wenige Monate später. Die britische Nachrichtenagentur Reuters und die amerikanische Associated Press (AP) waren stark an dieser Verbindung interessiert. Reuters versorgte vor 1903 auch die USA mit Nachrichten aus Asien, die über London mit einiger Verzögerung in New York eintrafen. Nach 1903 musste Reuters die Nachrichten aus Asien zum großen Teil von AP beziehen.

 

Die telegraphische Nachrichtenübermittlung diente in erster Linie kommerziellen Zwecken. Sie erleichterte auch Regierungen ihre Arbeit. Instruktionen aus London erreichten den Vizekönig in Indien nun in wenigen Minuten und konnten ebenso schnell beantwortet werden, während zuvor Monate vergingen, bis die Depeschen eintrafen und dann die Antwort ihr Ziel erreichte. Doch der kulturelle Einfluss der Telegraphie war vielleicht noch bedeutsamer. Der rasche Nachrichtenverkehr prägte die Presse und schuf eine neue Öffentlichkeit. Im Hinblick auf das koloniale Indien kann man sogar argumentieren, dass der Telegraph zur Nationsbildung beitrug. Während die Nationsbildung in Ländern, die der Kolonialherrschaft unterworfen waren, wohl positiv zu bewerten ist, hatte der wachsende Nationalismus in den imperialen Ländern, die miteinander konkurrierten, gefährliche Konsequenzen, zumal die technischen Möglichkeiten in dieser Epoche der frühen Globalisierung rasant zunahmen. Der Erste Weltkrieg demonstrierte dies auf katastrophale Weise. Doch war dieser Krieg nur der Beginn einer fatalen Sequenz, die nach einer globalen Wirtschaftskrise rasch in einem noch schrecklicheren Krieg mündete.

 

Die Sequenz Krieg-Krise-Krieg

Die Sequenz Krieg-Krise-Krieg bezeichnete das Ende der ersten Phase der Globalisierung, sie soll daher hier ausführlicher behandelt werden. Einer einflussreichen Analyse zufolge, sollen die Staatsmänner wie "Schlafwandler" in den Ersten Weltkrieg hineingeraten sein. Es gab jedoch bereits lange zuvor konkrete Kriegsvorbereitungen. Sowohl bei den Landstreitkräften als auch zur See wurde aufgerüstet. Der technische Fortschritt, vor allem bei der Artillerie und den Kriegsschiffen, zwang zum Wettrüsten. Detaillierte Schlachtpläne lagen schon geraume Zeit in den Schubladen. Man denke nur an den Schlieffen-Plan, den der deutsche Generalstabschef bereits1905 entworfen hatte. Graf von Schlieffen war ein umsichtiger Mann und hatte eine globale Perspektive. Seiner Ansicht nach konnte die Welt aufgrund ihrer Verflechtung keinen langen Krieg ertragen. Er musste also für einen Blitzkrieg planen, der sich gegen Frankreich und Russland richtete. Der japanische Sieg über das Zarenreich in dem Jahr, in dem er seinen Plan konzipierte, ermutigte ihn dazu, den Blitzkrieg gegen Frankreich vorzusehen, und Russland erst danach anzugreifen. Frankreich hatte jedoch seine Ostgrenze im späten 19. Jahrhundert mit einem Festungsgürtel versehen, der die "Eiserne Barierre" genannt wurde. Daher plante Schlieffen einen Vorstoß durch das neutrale Belgien, um der französischen Armee in den Rücken zu fallen. Die Verletzung der belgischen Neutralität drohte jedoch einen britischen Kriegseintritt herbeizuführen. Hier ergänzte die Flottenpolitik des Großadmirals Alfred von Tirpitz die deutschen Kriegspläne. Tirpitz war als junger Marineoffizier oft in England zu Gast, sprach fließend Englisch und sandte seine Töchter auf englische Schulen. Er wurde ein Günstling von Kaiser Wilhelm II., der seinen Plan, die deutsche Flotte mit Schlachtschiffen auszurüsten, unterstützte. Tirpitz war politisch sehr geschickt und brachte den Reichstag dazu, den Flottenbau langfristig und großzügig zu finanzieren. Tirpitz hatte nicht das Ziel, die Briten zu besiegen, er wollte sie nur von einem Kriegseintritt abhalten, indem er das Risiko eines Angriffs auf die deutsche Flotte erhöhte. Er kannte die Sorge der Briten um ihr Empire, zu dessen Verteidigung sie ihre Flotte brauchten. Die Briten betrachteten den deutschen Flottenbau mit Argwohn und rüsteten ihrerseits kräftig auf. Als der Weltkrieg begann, hatten sie eine Flotte, die der deutschen zahlenmäßig weit überlegen war, und traten schließlich doch in den Krieg ein, nachdem deutsche Truppen in Belgien eingefallen waren. Das Aufeinandertreffen der beiden Flotten bei Skagerrak im Mai 1916 endete unentschieden, aber mit besonders hohen Verlusten auf der britischen Seite. Die britischen Schiffe waren in der Überzahl, aber die deutsche Schiffsartillerie hatte die besseren Granaten. Einige britische Schlachtschiffe explodierten geradezu und sanken blitzschnell mit ihrer ganzen Mannschaft. Die beiden Flotten trennten sich schließlich und sollten sich nie wieder begegnen. Tirpitz trat in diesem Jahr zurück. Er hatte sich inzwischen der U-Boot-Produktion verschrieben und war entrüstet, weil die Regierung den unbegrenzten U-Boot-Krieg nicht billigte. Als sie es 1917 dann doch tat, führte dies zum Kriegseintritt der USA. Obwohl die britische Flotte 1916 große Verluste erlitten hatte, konnte sie doch weiterhin die Seeblockade aufrechterhalten, die Deutschland empfindlich traf.

 

Schon wenige Monate nach Kriegsbeginn hätte der durch diese Blockade verursachte Mangel an Salpeterimporten, die für die Schießpulverproduktion erforderlich war, dem Krieg ein Ende setzen können. Deutschland wäre schon 1915 wegen Mangel an Munition dazu gezwungen gewesen, zu kapitulieren, doch die deutsche Industrie fand einen Ausweg. Deutschland hatte in den Jahren vor dem Krieg große Fortschritte in der chemischen Industrie gemacht. Das Haber-Bosch Verfahren ermöglichte die Ammoniaksynthese. So konnte der Salpeter ersetzt, aber auch Kunstdünger hergestellt werden. Der Kunstdünger führte später zu einer globalen Steigerung der Weizenernte und zur Bevölkerungsvermehrung. Im Krieg war zunächst die Schießpulverproduktion von Bedeutung, die Millionen von Menschen den Tod brachte. Ohne Zweifel war diese technische Errungenschaft ein Vorbote des Anthropozän. Entgegen der Annahme, dass der Weltkrieg aufgrund der globalen Situation nur kurz sein könnte, zeigte sich, dass die Industrienationen wider Erwarten enorme Ressourcen mobilisieren konnten, die dem Krieg eine lange Dauer verliehen.

 

Die USA gingen als der eigentliche Sieger aus diesem Krieg hervor. Ihr Präsident Woodrow Wilson machte sich denn auch anheischig, die Nachkriegsordnung zu bestimmen. Der Völkerbund verdankte ihm seine Gründung, doch leider traten die USA dieser Organisation nicht bei. Während Amerika sich so jeder politischen Verantwortung entzog, blieb es doch auf finanziellem Gebiet sehr präsent, denn es hatte Großbritannien als Weltkreditgeber abgelöst. Vor dem Krieg flossen Großbritannien jährlich 170 Millionen Pfund an Zinsen und Dividenden zu und davon konnte es den größten Teil wiederum im Ausland investieren. Nach dem Krieg waren es nur noch 40 Millionen, die die Briten im Ausland investieren konnten. Großbritannien hatte Kriegsschulden bei den USA in Höhe von 4,1 Milliarden US Dollar, weitere 6,2 Milliarden schuldeten andere europäische Kriegsteilnehmer den Amerikanern, die keineswegs bereit waren, auch nur den geringsten Teil davon zu erlassen. Daneben hatten die europäischen Nationen auch noch Schulden bei den eigenen Staatsbürgern, die Kriegsanleihen gezeichnet hatten. In Großbritannien waren dies rund 2 Milliarden Pfund, die zum Teil erst nach hundert Jahren zurückgezahlt wurden. Das Deutsche Reich hatte 164 Milliarden Reichsmark Kriegsschulden in Form von Anleihen, die aber bereits 1923 durch die Hyperinflation gelöscht wurden. Diese Inflation blieb jedoch ein Trauma für die Deutschen, von denen viele ihre Ersparnisse verloren. Besonders die Mittelklasse war davon betroffen. Bürgerliche Parteien verloren Unterstützung. Linke und rechte Parteien wuchsen an. Es kam zu einer Polarisierung, die die Weimarer Republik zerstörte.

 

Die Weimarer Republik war von Anfang an durch die hohen Forderungen von Reparationen belastet. Die Allierten waren auf sie angewiesen, weil sie mit ihnen die Kriegsschulden bei den USA bezahlten. Deutschland hätte die Reparationszahlungen durch erhöhte Exporte verdienen müssen. Doch diese Möglichkeit gaben die Alliierten Deutschland nicht. Der britische Ökonom J.M. Keynes publizierte eine treffende Analyse der Zwangslage, die sich so ergab. Das Buch wurde in zwölf Sprachen übersetzt und machte Keynes weltberühmt. Er prophezeite, dass die deutsche Reaktion in 20 Jahren zu einem zweiten Weltkrieg führen würde - und so kam es dann auch. In den 1920er-Jahren wurde das Dilemma von Kriegsschulden und Reparationen zunächst dadurch gelöst, dass amerikanische Kapitalisten enorme Summen in Deutschland investierten, das durch den Zufluss von Devisen in der Lage war, Reparationen zu zahlen, so dass die Alliierten ihre Kriegsschulden in Amerika begleichen konnten. Der Kreislauf hätte andauern können, doch 1928 wurde er von den Amerikanern unterbrochen, die Deutschland keine weiteren Kredite mehr gaben.

 

Die USA stürzten Ende der 1920er-Jahre die Welt in eine globale Wirtschaftskrise. Verschiedene Ursachen trugen dazu bei. Eine davon war die Perversion des internationalen Goldstandards, eine weitere die Überproduktion von Weizen, die zu einem Zusammenbruch des Weltagrarmarkts führte, schließlich auch die Aktienspekulation, die 1929 zu einem Börsencrash in New York führte, der wiederum eine Finanzkrise auslöste, die viele amerikanische und dann auch europäische Banken hinwegfegte. Das wiederum bewirkte die weltweite Depression, die lange andauerte. Die Globalisierung zeigte zum ersten Mal ihre gefährlichen Konsequenzen. Der Goldstandard, der zu einem weltweiten wirtschaftlichen Aufschwung vor dem Ersten Weltkrieg beigetragen hatte, erwies sich nun als trügerisch, nicht zuletzt weil er von den USA pervertiert wurde. Dort war 1913 eine Zentralbank (Federal Reserve Board = Fed) gegründet worden, die eigentlich nur der Kreditsicherung dienen sollte, aber im Ersten Weltkrieg sich auch die Sicherung der Preisstabilität zur Aufgabe machte. Nach dem Krieg strömte viel Gold in die USA. Nach der Theorie des Goldstandards hätte das dort eine Inflation auslösen müssen, die dann zu einem Rückfluss des Goldes und damit zu einer Wiederherstellung des Gleichgewichts geführt hätte. Die Fed thesaurierte jedoch das Gold, um die Preisstabilität zu wahren, gewährte dann aber ihrerseits den Ländern großzügige Kredite, die zum Goldstandard zurückkehrten, um das Niveau der Vorkriegszeit wieder zu erreichen. Die Fed stimulierte so aber auch das Wirtschaftswachstum in den USA und regte zur Börsenspekulation an, die sie dann durch Erhöhung der Zinsen wieder eindämmen wollte. Spekulanten wurden dadurch nicht entmutigt, weil sie auf höhere Kurse ihrer Aktien hofften. Sie konnten zudem ihre Aktien bei Banken hinterlegen und sich Geld für weitere Aktienkäufe besorgen. Die Agrarkredite funktionierten ähnlich. Getreidehändler konnten ihre vollen Lagerhäuser den Banken als Sicherheit für ihre Kredite anbieten und so den Preis halten. Als die Fed die Zinsen erhöhte, verteuerte sie damit auch die Agrarkredite. Es kam zu Panikverkäufen und die lösten eine Weizenlawine aus, die sich auf dem Weltmarkt ergoss. In Indien fiel der Weizenpreis 1930 um die Hälfte, obwohl es dort keine Überproduktion gab. Im nächsten Jahr folgte der Reispreis - auch in den anderen Ländern Asiens. Er fiel 1933 sogar tiefer als der Weizenpreis, obwohl der Reispreis sonst stets höher gewesen war als der Weizenpreis. Der Agrarpreisverfall blieb nicht auf das Getreide beschränkt, die Baumwollpreise fielen sogar noch mehr.

 

Die Bauern wurden weltweit zu Globalisierungsverlierern. Das galt auch für viele Arbeiter der Industrieländer, von denen man eher Notiz nahm als von den Bauern. Für Arbeiter, die ihren Arbeitsplatz behielten, waren die Krisenjahre freilich eine gute Zeit, weil bei fallenden Preisen ihre Reallöhne stiegen. Aber die wachsende Zahl der Arbeitslosen litt unter der Krise. Sie gaben radikalen Parteien Auftrieb. Die Ökonomen waren ratlos. Sie betrachteten den Arbeitsmarkt als einen Markt wie jeden anderen. Auf diesem Markt hätte jedes Angebot an Arbeit beim richtigen Preis (Lohn) seinen Absatz finden müssen. Warum gelang es den Arbeitgebern nicht, die Löhne zu drücken? Ben Bernanke, der später einmal Chef der Fed wurde, hat sich als Wissenschaftler mit diesem Problem der "sticky wages" beschäftigt. Er erklärte es damit, dass die Arbeitgeber lieber Arbeiter entließen, aber ihre fähigsten Arbeiter zu den alten Bedingungen hielten, um bei einem erhofften Aufschwung wieder produktiv zu sein. Er hätte hinzufügen können, dass die Gewerkschaften einen entscheidenden Beitrag zu den "sticky wages" leisteten. Sie kümmerten sich notgedrungen nicht um die Arbeitslosen, sondern konnten nur um die Erhaltung der Löhne der Arbeitenden kämpfen. Für die Arbeitgeber war es leichter, Arbeiter zu entlassen, als Löhne zu drücken. In Deutschland gab es in den Jahren der Krise Millionen von Arbeitslosen, die für Hitler stimmten, der versprach, die Krise zu bewältigen. Dies gelang ihm, weil er in Hjalmar Schacht einen kreativen Wirtschaftspolitiker an seiner Seite hatte, der, lange bevor Keynes dies empfahl, die Nachfrage stimulierte, indem er eine kontrollierte Inflation betrieb. Dabei blieben die deutschen Löhne verglichen mit den britischen und französischen in den 1930er-Jahren sehr moderat. Hitler konnte auf dieser Grundlage seine Kriegsvorbereitungen vorantreiben. Darüber kam er mit Schacht in Konflikt, der ihn 1939 vor einer Inflation warnte. Schacht war ein konservativer Nationalist, der mit Hitler darin übereinstimmte, dass Deutschland den Diktatfrieden von Versailles überwinden müsse. Das hatte Hitler nach Schachts Ansicht nun erreicht, Rüstungsausgaben waren nicht länger nötig und erhöhten nur die Inflationsgefahr. Hitler aber wollte den Krieg und entließ Schacht und den gesamten Vorstand der Reichsbank. Er konnte keine unbequemen Mahner gebrauchen.

 

Ein besonderer Trumpf der deutschen Rüstung war die große Zahl mächtiger Panzer. Im Ersten Weltkrieg hatte Deutschland auf Panzer verzichtet, weil die deutschen Generäle meinten, sie seien auf dem Schlachtfeld zu nichts nütze. Die Briten schlugen dann das deutsche Heer mit ihren Panzern auf den französischen Schlachtfeldern, doch da war es für die Deutschen zu spät, um sich noch mit Panzern zu versorgen. Erst gegen Kriegsende gab es ein paar deutsche Panzer, die aber nicht mehr zum Einsatz kamen. Hitler dagegen zog mit Tausenden von Panzern in den Zweiten Weltkrieg. Bei seinem Überfall auf die Sowjetunion war er der russischen Armee auf diesem Gebiet haushoch überlegen. War bereits der Erste Weltkrieg von Materialschlachten geprägt, die die Leistungsfähigkeit der Industrie bewiesen, so war der Zweite Weltkrieg noch sehr viel gewaltiger in seiner zerstörerischen Dimension. Der amerikanische Kriegseintritt, der auch diesmal wieder mit einer Verzögerung von einigen Jahren erfolgte, steigerte dann die Schlagkraft der Alliierten enorm. Hitler unterschätzte die Amerikaner zunächst, erlebte aber dann, wie die USA Truppen und eine Woge von Kriegsgerät über den Atlantik sandten. Ihre industrielle Produktivität war unschlagbar. Nachdem die Europäer sich selbst zerfleischt hatten, trugen die Amerikaner geradezu mühelos den Sieg davon. Diesmal zogen sie sich nicht wieder zurück und blieben in Europa. Sie prägten die nun einsetzende zweite Phase der Globalisierung.

 

Diese zweite Phase war gekennzeichnet durch eine enorme Vermehrung der Nationalstaaten nach der raschen Dekolonisierung in den Jahren von 1947 bis 1960. Zugleich wuchs die Weltbevölkerung bis 2016 auf über sieben Milliarden an, während sie um 1945 weniger als drei Milliarden betragen hatten. Erst aufgrund dieses enormen Anstiegs konnte man vom "Anthropozän" sprechen. Doch die Globalgeschichte beschränkt sich nicht auf die Epoche der Globalisierung, sondern umfasst auch die früheren Epochen der Geschichte der Menschheit.

 

Die früheren Epochen der Globalgeschichte

Der Bericht des Historikers muss auf Quellen basieren - und dies sind in erster Linie schriftliche Dokumente. Alles was nicht schriftlich belegt werden kann, gilt als prähistorisch. Doch nach den jüngsten Fortschritten von Archäologie, Paläobiologie und Genforschung lassen sich auch über sehr frühe Zeiten der Menschheitsgeschichte Aussagen machen, die wissenschaftlich nachprüfbar sind. Die so genannte "Neolithische Revolution", die Zeit, in der die Menschheit in der Jungsteinzeit sesshaft wurde und Ackerbau und Viehzucht betrieb, kann als der Beginn der Globalgeschichte bezeichnet werden. Die räumliche Differenzierung dieser frühen Globalgeschichte ist bemerkenswert. Sie beruht auf der verschiedenen Gestalt der großen Kontinente. Jared Diamond, der zuerst Physiologe war jetzt aber Professor für Geographie ist, hat darauf hingewiesen, dass der eurasiatische Kontinent, der sich über ca. 150 Längengrade und 75 Breitengrade erstreckt, besonders gut für eine horizontale Diffusion der Errungenschaften der "Neolithischen Revolution" geeignet war, während der amerikanische Kontinent, der sozusagen vertikal über viele Breitengrade und Klimazonen verläuft, für eine solche Diffusion äußerst ungeeignet war. In Eurasien bot der "Fruchtbare Halbmond" den Ansatzpunkt für die "Neolithische Revolution", die sich dann in einer ähnlichen Klimazone nach Westen und Osten ausbreiten konnte. Amerika war dagegen in viele Klimazonen unterteilt. Außerdem lebten in Eurasien viele Tierarten, die sich wie Rind und Pferd für die Domestizierung eigneten. Amerika fehlte es an solchen Tieren.

 

Die "Neolithische Revolution" war kein plötzliches Ereignis, sondern vollzog sich vom 10. bis 6. Jahrtausend v.Chr. in mehreren fruchtbaren Gegenden. Große Flusstäler (Nil, Euphrat und Tigris, Indus) waren dafür besonders günstig. Diese Flüsse überschwemmten Jahr für Jahr große Ebenen und lagerten dabei Erde ab, die hohe Erträge lieferte. Der Indus führt doppelt so viel Wasser wie der Nil. Die Pioniere der "Neolithischen Revolution" machten ihre landwirtschaftlichen Experimente aber zunächst in kleineren Nebentälern der großen Flüsse, ehe sie sich trauten, die großen Schwemmländer unter den Pflug zu nehmen. Zu diesen Experimenten gehörte auch das Finden der Getreidesorten. Es waren dies Mutanten von Gräsern, deren Samenkörner am Halm blieben, statt sich selbst auszusäen. Nur die am Halm verbliebenen Körner konnte der Mensch ernten und ausdreschen. Die Menschen, die das entdeckten, waren die eigentlichen "Revolutionäre". Dann kam es darauf an, die geeigneten Mutanten zu kultivieren. Das wiederum zwang zur Sesshaftigkeit und diese wiederum erzeugte menschliche Gesellschaften. Die Bevölkerungsvermehrung führte dann zur Intensivierung der Landwirtschaft durch Pflügen, Bewässerung, Felderwechsel etc. Dabei konnten global mehrere Agrarsysteme koexistieren, da der technische Wandel sich den lokalen Bedingungen anpasste. Dem Ackerbau folgte die Viehzucht. Das Pflügen erforderte Zugvieh. Die Domestizierung des Rindviehs ging der des Pferdes voraus, das nicht wie der Ochse an ein Joch geschirrt werden konnte, sondern allenfalls einen Sattel tragen oder mit einem Brustblattgeschirr einen leichten Wagen ziehen konnte. Erst das Kummet, ein Kragen, der um Brust und Schultern gelegt wurde, machte das Pferd zum Zugvieh, das schwere Böden pflügen konnte. In China war das Kummet bereits 500 v.Chr. bekannt. In Europa verbreitete es sich erst im Mittelalter. Die Induskultur kannte das Pferd nicht, das erst von den einwandernden Ariern mitgebracht wurde, die auch den Streitwagen verwendeten, der in Ägypten und Westasien bereits lange bekannt war. Der Streitwagenkampf erforderte erfahrene Wagenlenker, die zu einer Art niederem Adel wurden. Sie wurden meist vom König ernannt und waren Angehörige einer Garde. In Indien gehörte auch der Wagenbauer zu dieser Elite. Er wurde in den vedischen Texten besonders erwähnt. In Ägypten wurde der Streitwagen um 1500 v.Chr. von fremden Eroberern, den Hyksos, eingeführt. Hyksos bedeutet "Königsschäfer" und scheint auf die Herkunft von einem Hirtenstamm hinzuweisen. Sie kamen wohl aus Palästina und errichteten ihre Herrschaft zunächst im östlichen Nildelta. Nachdem die Ägypter die Herrschaft der Hyksos wieder abgeschüttelt hatten, übernahmen sie deren Militärtechnik. Der Pharao Ramses II. (1304-1237 v.Chr.) wurde als Streitwagenkrieger abgebildet.

 

Die sesshaften Bauerngesellschaften boten die Grundlage für die Königsherrschaft, ein globales Phänomen, das in den alten Kulturen jedoch sehr verschiedene lokale Ausprägungen zeigte. Die ägyptischen Pharaonen sind der Nachwelt meist gut bekannt, sogar ihre Namen sind überliefert. Für sie wurden große Paläste und monumentale Gräber erbaut. Auch die mesopotamischen Reiche von Ur und Babylon und das Reich der Assyrer hatten namhafte Könige, die in großen Palästen wohnten. Über das riesige Reich der Induskultur wissen wir dagegen weit weniger. Seine Schrift ist noch nicht entziffert. Es hat dort große Städte gegeben, aber keine Paläste und Königsgräber. Vermutlich wurde es von einer priesterlichen Elite beherrscht. Ein über das riesige "Staatsgebiet" gleichförmiges System von Maßen und Gewichten zeugt von mächtigen Kontrollinstanzen. Dieses Reich trieb mit Mesopotamien einen regen Seehandel, war aber offenbar von ganz anderer Struktur. Eine besondere dürreresistente Weizensorte (Triticum Sphaerococcum) und Gerste waren die wichtigsten Nahrungsgetreide. Der Reis ist nur an wenigen Stellen und in kleinen Mengen von den Archäologen gefunden worden. Die Blütezeit dieses Reichs war um ca. 2500-1500 v.Chr. Sein Untergang wurde wohl vom Klimawandel und tektonischer Veränderung der Flussläufe verursacht. Ausgrabungen in Mehrgarh am Bolan-Pass in Baluchistan haben gezeigt, dass die "Neolithische Revolution" hier schon im 7. bis 6. Jahrtausend einsetzte. Die Induskultur hatte offenbar lokale Wurzeln und  war nicht aus Mesopotamien "importiert" worden. Sie hatte auch ihre eignen Haustiere wie das indische Buckelrind (Bos Indicus), das die Siegel der Induskultur ziert. Während Diamonds Darstellung der eurasiatischen Diffusion eine Gleichförmigkeit nahelegt, zeigt das Beispiel der Induskultur doch deutliche lokale Eigenheiten. Diamond hat sich übrigens in seinem Buch nicht mit der Induskultur beschäftigt.

 

Für die Globalgeschichte war der von Diamond betonte Kontrast zwischen Eurasien und Amerika auch später noch von großer Bedeutung. Als die Europäer mit Kolumbus nach Amerika kamen, brachten sie ihre Seuchen mit, die die Eingeborenen dort dezimierten. Die Europäer hatten sich über lange Zeiten bei ihren Haustieren angesteckt und gegen die Seuchen immunisiert. Bei den Indianern gab es praktisch keine Haustiere, sie hatten sich nicht gegen Seuchen immunisieren können und starben wie die Fliegen. Dazu kamen die Europäer hoch zu Ross. Die Indianer aber hatten damals noch keine Pferde. Die Europäer wiederum übernahmen viele amerikanische Nahrungsmittel.

 

Sprache und Schrift

Nachdem die Menschen sesshaft geworden waren und Gesellschaften bildeten, intensivierte sich auch ihre Kommunikation. Sprache und Schrift bildeten sich sehr differenziert aus und traten global auf, zeigten aber viele lokale Varianten. Sie gingen ohne Zweifel nicht von einem Ursprungsort aus, sondern waren räumlich getrennt jeweils neu erfunden worden. Die weiteren Entwicklungen verliefen dabei nicht von einfachen Strukturen zu größerer Komplexität, sondern eher umgekehrt. Man vergleiche nur einmal das alte Sanskrit mit der modernen Weltsprache Englisch. Sanskrit hat einen großen grammatischen Formenreichtum, das Englische dagegen nicht, dafür hat es jedoch ein sehr umfangreiches Vokabular. Die frühen Sprachschöpfer konzentrierten sich wohl auf die semantischen Zusammenhänge und die präzise Wiedergabe der zeitlichen Folge des Geschehens und der Beziehungen der Handelnden, während später die Bezeichnung der beobachteten Phänomene das Vokabular vermehrte.

 

Die Gestaltung der Schriften war ähnlich komplex. Die frühen Schriften bestanden aus Piktogrammen (Hieroglyphen, alte chinesische Schriftzeichen). In einem nächsten Schritt entstanden aus Piktogrammen zusammengesetzte Ideogramme. Es konnten auch Piktogramme in Lautzeichen verwandelt werden, indem man Laute des Wortes, das das Piktogramm abbildete, durch dieses wiedergab. Diese Art der Verwandlung entsprach der gedanklichen Gestaltung einer Synekdoche (Segel für Schiff). Es gab auch merkwürdige Interaktionen verschiedener Schriftsprachen, so ist zum Beispiel die mongolische Schrift, die alphabetisch ist, als Interlinearversion zu chinesischen Schriftzeichen entstanden und wird daher auch vertikal geschrieben. Es wird gesagt, dass sie auf Befehl Dschingis Khans geschaffen wurde.

 

Eine besonders eindrucksvolle Entwicklung erlebte die Keilschrift, die von den Sumerern im 4. Jahrtausend v.Chr. erfunden wurde und zunächst auch aus Piktogrammen bestand, aber dann in eine Lautschrift verwandelt wurde, die ganz verschiedenen Sprachen (Akkadisch, Assyrisch, Hethitisch) dienen konnte, so wie später die von den Phöniziern eingeführte alphabetische Schrift in abgewandelter Form noch den Griechen und Römern dienen konnte. Die Erforschung der Entwicklung von Sprache und Schrift ist ein besonders interessantes Feld der Globalgeschichte. Aus globaler Perspektive ist besonders die "raumgreifende" Qualität von Schrift und Sprache interessant. Sprache und Schrift haben keine natürlichen Grenzen. Sie haben ein Verbreitungspotenzial, das aber durch verschiedene Bedingungen eingeschränkt werden kann.

 

Die Eroberung der Weltmeere

Die raumgreifendste Aktivität der Menschen in historischer Zeit war die Eroberung der Weltmeere. Der Bau von hochseetüchtigen Schiffen war eine wichtige Voraussetzung dafür, aber auch die nautischen Kenntnisse, die eine Orientierung auf See ermöglichten. Dass selbst ein primitives Floß mit einem Segel hochseetüchtig sein konnte, wurde 1947 von dem Norweger Thor Heyerdahl mit der "Kontiki" bewiesen. Er segelte von Peru über 6.000 km westwärts über den Pazifik und landete auf einer Südseeinsel. Er wollte zeigen, dass Eingeborene Südamerikas die Oster-Inseln besiedeln konnten. Heyerdahl hatte etliche Nachahmer, die in den folgenden Jahren ähnliche Expeditionen erfolgreich durchführten. Die Polynesier hatten bereits Jahrtausende zuvor von Osten kommend mit ihren Kanus den Pazifik bezwungen. Diese Boote waren mit Auslegern versehen, die sie stabilisierten. So konnten die Polynesier die meisten pazifischen Inseln und zuletzt auch Neuseeland erreichen. In Europa und Asien wagte man sich zunächst nicht aufs offene Meer, sondern beschränkte sich auf die Küstenschifffahrt. Die erste historisch belegte Hochseefahrt war die des griechischen Kapitäns Hippalos, der es wagte um etwa 100 v.Chr. vom Roten Meer mit dem Südwestmonsun über den Indischen Ozean an die südindische Küste zu segeln. Man hatte zuvor geglaubt, dass die indische Westküste von Westen nach Osten verlief. Erst zur Zeit des Hippalos wurde bekannt, dass sie von Nord nach Süd verläuft. Indische Seefahrer dieser Zeit fuhren oft mit leichten Schiffen, deren Planken nicht mit Nägeln, sondern mit Seilen zusammengehalten wurden, an der Küste entlang und mieden den Monsun. Die einzige Quelle, die über die Aktivitäten der indischen Seefahrer jener Zeit aber auch über den intensiven Handel Roms mit Indien berichtet, ist der von einem anonymen Autor ca. 50 v.Chr. verfasste "Periplus des eriträischen Meeres". Der Name "eriträisches Meer" bezog sich ursprünglich nur auf das Rote Meer, wurde aber von diesem Autor bereits auf das Meer bis zur indischen Ostküste angewandt. Parallel dazu nannten die Chinesen das Meer bis zur indischen Ostküste "Nan Hai" (Südmeer), ein Name, der sich zunächst nur auf das Meer vor der chinesischen Küste bezog. Das ist ein interessantes Beispiel für den historischen Wandel der Raumwahrnehmung.

 

In der Neuzeit waren die Portugiesen die Pioniere der Seefahrt. Nach den Zeiten der Pest im 14. Jahrhundert hatten die Portugiesen sich hauptsächlich an der Atlantikküste niedergelassen und waren zu Hochseefischern geworden. Ihre Schiffe (Karavelle) waren sehr wendig und konnten gegen den Wind kreuzen. Sie wurden später mit Geschützen bestückt. Auch Kolumbus überquerte den Atlantik mit einer Karavelle. Die portugiesische Seefahrt wurde entscheidend von Prinz Heinrich, dem Seefahrer, gefördert. Er war gar kein bedeutender Seefahrer. Seine Fahrten beschränkten sich auf kurze Ausflüge, aber er war ein großer Unternehmer, der als Großmeister des Christusordens über beträchtliche Mittel verfügte. Er errichtete in Sagres an der Südwestspitze Portugals eine "Akademie", in der seine Kapitäne eine nautische Ausbildung erhielten. Man sieht dort noch heute eine riesige Windrose, die wohl als eine Art nautischer Exerzierplatz diente. Bei den Fahrten entlang der Atlantikküste Afrikas, die Prinz Heinrich energisch vorantrieb, konnten sich die Kapitäne nicht mehr am Polarstand orientieren, sondern mussten ihre Position anhand des Sonnenstands ermitteln. Hierfür waren sie auf Tabellen angewiesen, die den täglichen Sonnenstand (Ephemeriden) errechnen ließen. Der deutsche Astronom Regiomontanus veröffentlichte 1474 solche Tabellen, die Kolumbus bei der Überquerung des Atlantiks benutzte. Die Tabellen von Regiomontanus waren die besten, aber schon vor ihm hatten die Kapitäne entsprechende Tabellen zur Hand. Prinz Heinrich starb 1460. Zu seinen Lebzeiten war das Werk des Regiomontanus noch nicht verfügbar. Aber die von König Joao II. 1483 gegründete Junta dos Matematicos hatte die Aufgabe, die Ephemeriden weiterhin zu berechnen. Ihr gehörte auch der deutsche Seefahrer Martin Behaim an, der ein Schüler des Regiomontanus war und an den portugiesischen Fahrten entlang der afrikanischen Küste teilgenommen hatte. Behaim stellte 1492 in Nürnberg den ersten Globus her, der allerdings noch nicht Amerika zeigte. Er kehrte dann an seinen Wohnort auf den Azoren zurück, wo sein Schwiegervater Statthalter war. Die Azoren war ebenso wie Madeira von Prinz Heinrich in Besitz genommen worden.

 

Der Genuese Kolumbus, der sich in Lissabon niedergelassen hatte, bat zunächst die portugiesische Krone um Unterstützung für seine Expedition, die nach Westen übers Meer nach Asien führen sollte. Doch die Junta dos Matematicos lehnte den Plan ab, weil Kolumbus sich verrechnet und eine viel zu geringe Entfernung angenommen hatte. Die Junta ermittelte die genaue Entfernung. Die spanische Krone, an die sich Kolumbus danach wandte, gewährte ihm die Unterstützung. Als er dann Amerika entdeckte, hielt er es für Asien. Die Portugiesen glaubten das nicht, beeilten sich aber, einen neuen Vertrag mit Spanien zu schließen, der die vom Papst vorgenommene Aufteilung des Globus zwischen Portugal und Spanien revidierte. Dieser neue Vertrag, der 1494 in Tordesillas geschlossen wurde, verschob die ursprüngliche Grenze bis zum 46°30' westl. Länge. Damit fiel Portugal der größte Teil Brasiliens zu. Die Spanier hatten von der Existenz Brasiliens noch keine Ahnung, auch die Portugiesen entdeckten es offiziell erst 1500, aber sie hatten wohl schon zuvor davon Kenntnis. Sie hatten bereits 1488 Afrika umrundet, nachdem sie den widrigen Winden getrotzt hatten, die ihnen an der Küste Südafrikas entgegenwehten. Der Kapitän, der das Kap umrundet hatte, nannte es Cabo Tormentoso, der glückliche König, der die widrigen Winde nicht erlebt hatte, nannte es dankbar "Kap der Guten Hoffnung", denn nun hatte man die Aussicht darauf, Indien zu erreichen. Doch es dauerte ein Jahrzehnt, bis Vasco da Gama tatsächlich Kalikut in Kerala erreichte, über dessen Bedeutung als Handelshafen, wo es den begehrten Pfeffer gab, man schon durch Reisende, die es auf dem Landweg besucht hatten, gut unterrichtet war. Was war in den Jahren von 1488 bis 1498 geschehen? Die Quellen schweigen darüber. Die Portugiesen hielten ihre Unternehmungen streng geheim. Sie müssen in dieser Zeit den südlichen Atlantik erforscht haben, um eine Route jenseits der widrigen Winde zu finden. Dabei wichen sie weit nach Westen aus und könnten dabei schon Brasilien gesichtet haben. Als Vasco da Gama dann nach Indien aufbrach, nahm er ein Proviantschiff mit, das am Kap verbrannt wurde, weil seine Ladung nach dreimonatiger Fahrt aufgezehrt war. Das zeigt, dass die Erkundungsfahrten eine genaue Berechnung des Fahrplans und des entsprechenden Proviantbedarfs ermöglicht hatten.

 

Vasco Da Gama fand in Ostafrika einen fähigen arabischen Lotsen, der ihn sicher nach Kalikut brachte, wo er eine wertvolle Pfefferladung erwerben konnte, die bei der Ankunft in Lissabon großen Gewinn erbrachte und die Venezianer in Schrecken versetzte, die bisher ganz Europa über das Mittelmeer mit Pfeffer versorgt hatten. Die Rückreise hatte aber lange gedauert, weil Vasco da Gama diesmal keinen kundigen Lotsen hatte und im Indischen Ozean in eine Windstille geriet. Erst nach Umrundung des Kaps ging es zügig voran, weil es nun starken Rückenwind gab. Es folgte 1500 rasch eine weitere Expedition unter Pedro Cabral, der auf dem Hinweg Brasilien entdeckte. Vermutlich war er mit dieser offiziellen Entdeckung beauftragt worden, weil die Portugiesen nun ihre Geheimniskrämerei aufgeben konnten.

 

Die Eroberung der Weltmeere brachte einen harten Konkurrenzkampf mit sich - zunächst zwischen Portugal und Spanien, bald kamen aber auch die Niederländer und die Briten hinzu. Der nächste portugiesische König, Manuel I., kannte sich in den Meeren, die die Portugiesen durchquert hatten, recht gut aus. Er hatte wohl auch die Traktate gelesen, die weitgereiste Autoren geschrieben hatten, um die europäischen Herrscher zu neuen Kreuzzügen aufzurufen. Einer dieser Autoren war der Dominikaner Gullielmus Adam. Er war um 1300 bis an die indische Küste gekommen und nannte die Häfen Cambay, Div, Thane, und Kullum (Quilon in Kerala). Er hatte sich auch längere Zeit auf der Insel Sokotra aufgehalten, die vor dem Eingang des Roten Meeres liegt, allerdings nicht nah genug, um von dort aus das Rote Meer zu blockieren. Dazu musste man einen Stützpunkt in Aden suchen. Genau das riet König Manuel seinem Seefahrer Afonso de Albuquerque, den er 1503 mit genauen Instruktionen nach Indien entsandte. Er sollte auch Goa und Malakka erobern, was er 1510 und 1511 tat. Nur die Belagerung Adens scheiterte und die Blockade des Roten Meeres blieb unvollkommen. Albuquerque eroberte auch Hormus im Persischen Golf und die Insel Sokotra, die bereits Adam besucht hatte.

 

Wenige Jahre nach Albuquerque brach der Apotheker Tomé Pires nach Asien auf, wo er als Botschafter in China dienen sollte. Von 1512 bis 1515 verfasste er seine berühmte "Suma Oriental". Er zeigte ein bemerkenswertes geostrategisches Bewusstsein. Vom Hafen Cambay sagte er, dass von hier die gujaratischen Händler wie mit zwei Armen nach Westen und Osten greifen, und über Malakka schrieb er, dass wer diesen Hafen besitze, die Hand an der Kehle Venedigs habe. Pires kam in China ums Leben, aber die Portugiesen errichteten einen Stützpunkt in Macao in der Mitte des 16. Jahrhunderts, der bis Ende des 20. Jahrhunderts in ihrem Besitz blieb.

 

Während die Portugiesen von Westen nach Osten vordrangen, wählten die Spanier den Weg vom Atlantik über den Pazifik und landeten in den Philippinen. Der portugiesische Seefahrer Fernando Magellan (Maghelaes), der an der Eroberung Malakkas teilgenommen hatte, segelte wenige Jahre später im Auftrag der spanischen Krone über den Pazifischen Ozean, dem er diesen Namen gab, und nahm die Philippinen in Besitz, die er nach dem spanischen Kronprinzen nannte. Er fiel dort 1521 in einer Schlacht, aber ein Kapitän seiner Flotte, Sebastian Elcano, setzte die Reise nach Westen fort und wurde so der erste Weltumsegler. Der zweite Weltumsegler war der Spamier Andrés de Urdaneta. Er war zunächst zu den Gewürzinseln gereist und dort von den Portugiesen gefangen genommen worden, die ihn nach Lissabon transportierten und ihm so die Weltumsegelung ermöglichten. Eine weitere Reise, nun aber wieder im Dienst der spanischen Krone, führte ihn 1565 wieder zu den Philippinen, von wo er die Rückreise nach Acapulco über die Nordroute fand. Er wusste um die atlantischen Strömungen und vermutete, dass auch im Pazifik ein Luftstrom zu finden sei, der die Schiffe mit starkem Rückenwind von Osten nach Westen bringt. Er musste dazu nahezu bis zum 38. Breitengrad nach Norden vordringen und kam dann entlang der kalifornischen Küste bis nach Acapulco. So entstand die berühmte "Volta do Mar", die dann jährlich von der spanischen Galeone befahren wurde, die Silber von Mexico nach Manila brachte. Die Europäer hatten so von 1492 bis 1565 alle wichtigen Ozeanrouten erkundet. Es fehlte nur noch eine Route über die südliche Hemisphäre nach Westen, die es erlaubte, sich vom Monsun unabhängig zu machen. Diese Route fand der Niederländer Henrik de Brouwer 1611, der vom Kap der Guten Hoffnung mit den "Roaring Forties", den stürmischen Winden, die entlang des 40. Grades südlicher Breite bis nach Australien wehen, die Fahrt nach Java um die Hälfte der Zeit verkürzte. Damals konnte man die Längengrade noch nicht bestimmen. Brouwer hatte das Glück, zur rechten Zeit den Kurs nach Norden zu nehmen und dann durch die Sundastrasse zwischen Sumatra und Java den Hafen Batavia zu erreichen. Einige, die nach ihm dieselbe Route nahmen, zerschellten an der Küste Australiens.

 

Die Erkundung der Meere führte zu einem enormen Kenntnisgewinn in Europa. Es entstand ein neuer Beruf, der des Kosmographen, der Bücher über die Entdeckungen schrieb, die durch den zu gleicher Zeit aufkommenden Buchdruck weite Verbreitung fanden. Diese Horizonterweiterung trug zum Kulturwandel im Zeitalter der Renaissance bei.

 

Wissenschaft als Public Domain

Für die Globalgeschichte war der Durchbruch der modernen Wissenschaft im 17. Jahrhundert von entscheidender Bedeutung. Der Buchdruck und die europäischen Akademien und Universitäten trugen dazu bei, dass die Erkenntnisse der verschiedenen Wissenschaften Verbreitung fanden. Es entstand so eine Public Domain (Wissensallmende), die Interaktionen ermöglichte. Während die physische Allmende durch Übernutzung zerstört werden kann, kann die Wissensallmende durch Nutzung nur bereichert werden. Der einzelne Wissenschaftler oder Erfinder, der zur Mehrung der Wissensallmende beiträgt, mag jedoch einen Gewinn aus seinem Beitrag ziehen wollen. Das kann er aber nur, wenn er sein Eigentumsrecht an seinem Beitrag durch ein Patent schützen lässt. Solche Patente wurden von der Republik Venedig seit 1450 gewährt. Zu dieser Zeit nahm in Europa der Schutz des Eigentumsrecht seinen Anfang. Dieses Recht wurde von Wirtschaftshistorikern als Grundlage für das Wirtschaftswachstum Europas angesehen. Doch dabei sollte nicht vergessen werden, dass zumindest auf dem Gebiet der Wissenschaft die umfassende Wissensallmende immer weit bedeutsamer blieb als der durch Patente begrenzte Bereich. Patentierbare Erkenntnisse konnten überhaupt erst in diesem Umfeld entstehen. Der Wissenschaftler sah den Lohn für seine Bemühungen meist in der Anerkennung durch Seinesgleichen. Er fand diese in den gelehrten Vereinigungen und Akademien seiner Zeit. Die Accademia dei Lincei in Rom, gegründet von dem jungen Aristokraten Frederico Cesi im Jahr 1603, war eine der ersten Akademien dieser Art. Sie nannte sich nach dem scharfsichtigen Luchs, weil sie sich der genauen Beobachtung der Natur widmete. Galilei wurde 1611 ihr Mitglied und war sehr stolz darauf. In Deutschland wurde 1652 eine naturwissenschaftliche Akademie gegründet, die nach ihrer Anerkennung durch den Kaiser den Namen Leopoldina erhielt. In Großbritannien wurde 1660 die Royal Society ins Leben gerufen, deren prominentestes Mitglied bald darauf Isaac Newton wurde. Die "Philosophical Transactions" der Royal Society sind die älteste kontinuierlich erscheinende wissenschaftliche Zeitschrift. Publikationen wie diese zeugen von der Vitalität der Wissensallmende.

 

Galilei war in vieler Hinsicht der Vater der modernen Wissenschaft. Er war Mathematikprofessor und Astronom, erfand ein Fernrohr, dessen Linsen er selber schliff, und war auf vielen Gebieten bahnbrechend. Wie viele Gelehrte hatte er freilich auch die Eigenheit, unliebsame Kollegen totzuschweigen. Sein Zeitgenosse, der kaiserliche Astronom Tycho Brahe, wurde von ihm so behandelt. Auf dessen genaue Sternbeobachtungen stützte dann sein Nachfolger im Amt, Johannes Kepler, seine berühmten Berechnungen der Planetenbahnen, die nicht Kreise, sondern Ellipsen sind. Galilei, der mit Kepler korrespondierte und ihn schätzte, war jedoch nicht bereit, die Ellipsen zu akzeptieren. Doch der Fortschritt der Wissenschaften wurde durch solche Debatten vorangetrieben.

 

Wissenschaft ist ein Prozess, der sich in Wechselbeziehungen mit seinem Umfeld vollzieht. Er gedeiht am besten in einer offenen Wissensallmende. Für eine globale Wissenschaftsgeschichte ist es wichtig, dies zu berücksichtigen. Es ist freilich auch wichtig, zu verfolgen, wie die Ergebnisse der Wissenschaft von der Gesellschaft genutzt wurden und welche Rückwirkungen sie wiederum auf sie hatten. Eine intensive Interaktion kam erst zustande, nachdem im 19. Jahrhundert Naturwissenschaften und Technologie unmittelbar zusammenwirkten, wie es zuvor am Beispiel der Telegraphie gezeigt worden ist. Damit wurde auch das Eigentumsrecht an technischen Erfindungen in der Form von Patenten immer bedeutsamer. Die Technologie gab dem Wissenschaftler auch neue Instrumente an die Hand. Die Instrumente, die heute zur Forschung eingesetzt werden, verlangen große Investitionen. Galilei schliff noch die Linsen seines Teleskops mit eigener Hand. Heute wird selbst das Schleifen der Linsen von computergesteuerten Automaten bewältigt. Damit wären wir wieder im Zeitalter der Globalisierung angelangt, mit dem wir uns zu Anfang beschäftigt hatten.

 

Epilog: Der Funktionswandel der Umwelt

Während der langen Lebenszeit der Menschheit auf der Erde. spielten die Menschen die meiste Zeit nur eine sehr marginale Rolle. Die Umwelt dominierte sie. Wenn sie überleben wollten, mussten sie sich an sie anpassen. Doch im Unterschied zu anderen Lebewesen waren sie nicht an ein spezifisches Biotop angepasst. Sie konnten ihre Intelligenz dazu benutzen, sich an viele verschiedene Umwelten anzupassen. Aber für Jahrtausende waren das noch immer Methoden der Anpassung an die Umwelt und nicht solche der Verwandlung der Umwelt, um sie dem Menschen zu unterwerfen. Frühe Formen des Gebrauchs von Werkzeugen oder von Ackerbau und Viehzucht waren bereits Eingriffe in die Umwelt, aber es dauerte lange bis die Menschheit ein Stadium erreichte, in dem sie die Umwelt völlig umgestalten konnte. Die starke Vermehrung der Menschheit, die bald über 8 Milliarden zählen wird, zeigt bereits die Emanzipation von den durch die Umwelt gesetzten Grenzen an. Viel davon ist dem technischen und medizinischen Fortschritt zu verdanken. Aber der Fortschritt wird von unbeabsichtigten Folgen begleitet, wie der Klimawandel sehr deutlich zeigt, der durch die Menschen verursacht aber nicht beabsichtigt wird. Die Menschheit muss sich nun bemühen, solche unbeabsichtigten Folgen zu erkennen und zu korrigieren. Das ist nicht leicht, weil die Grundausstattung des Menschen aus einer Zeit stammt, als seine Vorstellungswelt von einer dominanten Umwelt geprägt wurde, die ihm als unveränderlich erschien. Die Beschäftigung mit der globalen Geschichte kann dazu beitragen, diese Vorstellungswelt zu wandeln.

[Regionalforum-Saar] Himmelswege

Date: 2017/12/10 00:15:40
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

aus den Frankfurter Nachrichten von 1948

„Himmelswege"

von RS

 

Vor hundert Jahren ist Otto Lilienthal, einer der Pioniere der Flugtechnik geboren. Im Jahre 1889 kam sein Werk ,,Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst" heraus, worin er darlegte, daß nur die genaue Nachahmung des Vogelfluges den Menschen einmal zum Fliegen befähige. Ihm brachten seine praktischen Versuche 1896 den Tod, aber die Menschheit fliegt, anders und besser, als Lilienthal es sich vorgestellt hat. Die Vögel, die damals das alleinige Vorbild abgaben, sind in der Tat überflügelt: 115 Stundenkilometer einer Eiderente, „nur" 57 Stundenkilometer einer Schwalbe gegen die Überwindung der Schallgeschwindigkeit durch die modernsten Flugzeugtypen!

 

Nach dem Krieg ist auch wieder Raum für die private Fliegerei, besonders in Großbritannien und in den USA. Gerade die Vereinigten Staaten melden ein starkes Ansteigen der privaten Fluglizenzen, und weite Kreise, vor allem der akademischen Jugend, erwerben Pilotenpatente. Um in die breite Masse zu wirken, hat man mit dem Bau von Viersitzerflugzeugen begonnen, die nicht teurer als ein Personenkraftwagen sein sollen. Ein amerikanischer Fachmann meinte, daß 1955 etwa 400.000 Flugzeuge in den USA registriert sein werden, bei einer jährlichen Erzeugung von etwa 150 000 Apparaten. Auch in England bahnt sich eine ähnliche Entwicklung an. Jetzt schon benutzen Kaufleute Privatflugzeuge für ihre Geschäftsreisen.

 

Bei dieser Zunahme des Luftverkehrs ist der verkehrsregelnde Luftpolizist gar nicht mehr die Witzblattfigur, die unsere Väter vor vierzig Jahren zum Lachen brachte. Richtungsschilder für den Luftverkehr haben wir ja bereits. Zwischen Washington und Los Angeles verläuft der „Himmelsweg Nummer 1", der auf einer Länge von 4000 und in einer Breite von 64 Kilometern auf Felsen und Gebäulichkeiten drei Meter lange Markierungen für Sichtfliegen aufweist. Weitere „Himmelswege" werden folgen.

 

Wege zur Seligkeit werden es nicht sein.

 

[siehe dazu:

https://books.google.de/books?id=Q-AqJter5qEC&pg=PA82&lpg=PA82&dq=%22skyway+No+1%22&source=bl&ots=fH546QfFZ-&sig=29FBE_9X12p9-9hIiKmCAee168o&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwiV58zOiNzXAhUGyKQKHeG9CUAQ6AEITzAJ#v=onepage&q=highway&f=false]

Re: [Regionalforum-Saar] Himmelswege

Date: 2017/12/10 08:26:54
From: Harald Reviol <harald(a)reviol.de>

Guten Tag Herr Geiger, bitte nehmen Sie Harald Revol aus dem Verteiler. Mein Mann ist im Januar verstorben.
Ortrun Reviol

Roland Geiger <alsfassen(a)web.de> hat am 10. Dezember 2017 um 00:15 geschrieben:

aus den Frankfurter Nachrichten von 1948

„Himmelswege"

von RS

 

Vor hundert Jahren ist Otto Lilienthal, einer der Pioniere der Flugtechnik geboren. Im Jahre 1889 kam sein Werk ,,Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst" heraus, worin er darlegte, daß nur die genaue Nachahmung des Vogelfluges den Menschen einmal zum Fliegen befähige. Ihm brachten seine praktischen Versuche 1896 den Tod, aber die Menschheit fliegt, anders und besser, als Lilienthal es sich vorgestellt hat. Die Vögel, die damals das alleinige Vorbild abgaben, sind in der Tat überflügelt: 115 Stundenkilometer einer Eiderente, „nur" 57 Stundenkilometer einer Schwalbe gegen die Überwindung der Schallgeschwindigkeit durch die modernsten Flugzeugtypen!

 

Nach dem Krieg ist auch wieder Raum für die private Fliegerei, besonders in Großbritannien und in den USA. Gerade die Vereinigten Staaten melden ein starkes Ansteigen der privaten Fluglizenzen, und weite Kreise, vor allem der akademischen Jugend, erwerben Pilotenpatente. Um in die breite Masse zu wirken, hat man mit dem Bau von Viersitzerflugzeugen begonnen, die nicht teurer als ein Personenkraftwagen sein sollen. Ein amerikanischer Fachmann meinte, daß 1955 etwa 400.000 Flugzeuge in den USA registriert sein werden, bei einer jährlichen Erzeugung von etwa 150 000 Apparaten. Auch in England bahnt sich eine ähnliche Entwicklung an. Jetzt schon benutzen Kaufleute Privatflugzeuge für ihre Geschäftsreisen.

 

Bei dieser Zunahme des Luftverkehrs ist der verkehrsregelnde Luftpolizist gar nicht mehr die Witzblattfigur, die unsere Väter vor vierzig Jahren zum Lachen brachte. Richtungsschilder für den Luftverkehr haben wir ja bereits. Zwischen Washington und Los Angeles verläuft der „Himmelsweg Nummer 1", der auf einer Länge von 4000 und in einer Breite von 64 Kilometern auf Felsen und Gebäulichkeiten drei Meter lange Markierungen für Sichtfliegen aufweist. Weitere „Himmelswege" werden folgen.

 

Wege zur Seligkeit werden es nicht sein.

 

[siehe dazu:

https://books.google.de/books?id=Q-AqJter5qEC&pg=PA82&lpg=PA82&dq=%22skyway+No+1%22&source=bl&ots=fH546QfFZ-&sig=29FBE_9X12p9-9hIiKmCAee168o&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwiV58zOiNzXAhUGyKQKHeG9CUAQ6AEITzAJ#v=onepage&q=highway&f=false]


 
_______________________________________________
Regionalforum-Saar mailing list
Regionalforum-Saar(a)genealogy.net
http://list.genealogy.net/mm/listinfo/regionalforum-saar

 

[Regionalforum-Saar] Ein Brief aus Amerika

Date: 2017/12/10 18:45:01
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

aus den Frankfurter Nachrichten von 1948

Ein Brief aus Amerika

 

„Frau X von der Versöhnungsgesellschaft in Y hat mir Ihren Namen gegeben, und ich habe für Sie eine Schachtel gepackt. Mein Mann ist Geistlicher an einer kleinen Dissenterkirche in unserer kleinen Stadt, und unsere Gemeindemitglieder hatten einige Dinge herbeigebracht, die Sie und Ihre Kinder, dachte ich, vielleicht gehrauchen könnten. Die Sachen sind nicht sehr elegant, aber wir wählten diese besonderen Gegenstände aus in der Hoffnung, daß jeder eine Lücke ausfüllt. Der rote Sweater muß leider gestopft werden, aber ich lege etwas Wolle und eine Nadel bei — stechen Sie sich nicht, wenn Sie ihn auspacken! Ich dachte, Sie wollten ihn vielleicht für eine kleinere Person umarbeiten, deshalb habe ich mir nicht die Zeit genommen, ihn selbst zu stopfen. (Es hätte ewig gedauert, und ich dachte, es läge Ihnen daran, das Paket bald zu bekommen.)

 

Da ist auch noch ein blauer Schneeanzug, durch und durch geflickt und getragen, aber es ist so viel guter Wollstoff im Futter, daß ich hoffe, Sie können es für ein kleineres Kind umändern. Bitte denken Sie nicht, Sie müßten ihn unbedingt brauchen, wenn er zu zerrissen ist. Zögern Sie nicht, Staubtücher daraus zu machen, wenn er nicht mehr tragbar ist. Sie finden eine Spule Garn und noch eine Nadel zur Hilfe beim Stopfen.

 

Einige von diesen Kleidungsstücken kamen von einer Familie in unserer Gemeinde, die vier Kinder und ein unbedeutendes Einkommen hat. Aber sie haben viele treue Freunde, die Ihnen ihre „Wos-was-its" („Wem gehörten sie") senden, — so genannt, weil man, wenn jemand in einem neuen Kleidungsstück erscheint, diese Frage an ihm zu richten pflegt. Gewöhnlich sind aus sehr gutem Stoff. Daher flickt Mrs. W. und vererbt die Stücke von einem Kind auf das nächste, und daher sind sie nicht mehr in bester Verfassung, wenn wir sie an Sie schicken.

 

Ich weiß nicht, ob Sie Kerzen brauchen oder nicht, aber die Kerzenstümpfe kamen von der Kirche, und vielleicht kennen Sie jemand, der sie braucht. Die übrigen Dinge in der Sendung sind nicht allzu wunderbar, aber vielleicht können sie helfen, Lücken auszufüllen.

 

Wir wollen nicht versprechen, regelmäßig Pakete zu schicken, aber wenn es etwas gibt, das Sie besonders brauchen, so könnten wir darauf achtgeben, wenn Sie es mich bitte wissen lassen. Manchmal können wir in der Gemeinde besondere Aufrufe wegen etwas Speziellem machen, die Leute sind hilfreich. Unsere Leute sind alle sehr freundlich, aber manchmal haben sie nicht genug Einbildungskraft, sich anderer Leute Nöte klarzumachen.

 

John und ich leben sehr einfach auf einer kleinen Farm, wo wir versuchen, die geringe Nahrungsmittelmenge hervorzubringen, die wir brauchen. Wir haben Milchziegen und Hühner und bebauen jedes Jahr unseren Garten. Es ist ein ungewöhnlich schneereicher Winter mit strenger Kälte gewesen. Wir haben ziemlich viel Holz für die Feuerstellen hacken müssen, um die Kohlen zu strecken, da sie sehr teuer sind.

 

Aber obwohl der Schnee noch auf dem Boden liegt und für morgen noch mehr angesagt ist, muß der Frühling gekommen sein, denn letzte Woche hat unsere Milchziege Zwillingszicklein bekommen. Wir haben sie schon hinausgelassen, und sie toben ums Haus mit dem Hund und der Katze. Es macht viel Spaß, sie so mutwillig zu sehen. Die Mutter gibt etwa einen guten Liter Milch am Tag, die jetzt die Zicklein trinken, aber sie werden in wenigen Wochen entwöhnt werden. Es wird gut sein, wieder frische Milch zu bekommen. Seit Dezember sind wir ohne sie ausgekommen.

 

Wir würden sehr gerne von Ihnen hören, wenn das Paket ankommt, und bitte lassen sie mich wissen, ob Sie irgend etwas Besonderes brauchen. Bitte grüßen sie die beiden kleinen Mädchen und sagen Sie ihnen, daß wir ihre Freunde sind. Ich hoffe sehr, daß das kleine blaue Kleid einem von ihnen paßt. Es war nett, die Knöpfe anzunähen und sich die junge Dame vorzustellen, die es tragen würde. Wir werden in unseren Gebeten oft an Sie denken.

 

Ihre Freundin N. N.

 

NB: Ich habe Frankfurt auf der Landkarte gefunden."

[Regionalforum-Saar] Frauen fordern!

Date: 2017/12/11 10:03:28
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

aus den Frankfurter Nachrichten von 1948


Frauen fordern

von Wilhelm Ingensand

 

Was sagen Sie dazu:

Frauen haben verlangt:

=> Heiratsverbot für Berufssoldaten

=> Zusicherung der Regierung, daß nur noch häßliche Männer mit körperlichen Fehlern und schwacher Willenskraft ins Heer eingestellt werden; und keiner zwangsweise.

Der Staat werde dadurch alle jene seiner männlichen Untertanen, die ohne scharfe Zucht zu ordentlichen Berufen nicht tauglich sind, für beide Teile nutzbringend versorgen und selbst an moralischem Ansehen gewinnen.

 

Nun? Endlich einmal haben sich die Frauen zu Wort gemeldet, aus blutigen Erfahrungen einen radikalen Schluß gezogen und sich von der Vorliebe für das bunte Tuch emanzipiert, die sie stets und immer wieder so teuer zu stehen kommt? Oder sind Sie mit diesen Frauen nicht einverstanden?

 

Weil sie in Ihren Augen Defätisten sind, Vaterlandsverräter? Oder meinen Sie, über diesen Antrag könne man nur lachen?

Wir wissen nicht, ob die Männer, die unter König Ladislaus VI. von Polen im 16. Jahrhundert abzustimmen hatten, darüber lachten, als ihn die weiblichen Delegierten Polens und Litauens in der Ständeversammlung stellten. Abgelehnt haben sie ihn offenbar — offziell wahrscheinlich aus Gründen der Staatsräson. In Wahrheit lieben die „schönen Männer" das bunte Tuch noch viel mehr als so viele Frauen; sie nehmen sogar die Möglichkeit eines zerfetzten Leibes dafür mit in Kauf.

 

Übrigens: Sind die Frauen von heute so fortschrittlich wie die von damals? So kühn, so menschlich, so einsichtig?

Dabei böte das zwanzigste Jahrhundert mehr Gründe, einen derartigen Antrag zu stellen und anzunehmen, als das sechzehnte!

 

[Regionalforum-Saar] Swinging Christmas - Konzert

Date: 2017/12/16 09:32:59
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Guten Morgen,

gestern nachmittag habe ich mit einer Jugendgruppe eine Stadtführung durch St. Wendel unternommen und dabei erfahren, daß es sich um Mitglieder einer Bigband handelt, die heute abend ein Konzert gibt. Da ich sie auf die Schnelle in der SZ eben nicht fand, hier ein Artikel aus der Website des Gymnasium Wendalinum für alle, die es interessieren mag:

 

Die Bigband des Gymnasiums Wendalinum unter Leitung von Musiklehrer Thomas Zimmermann lädt am Samstag, den 16.12.2017 um 19.00 Uhr herzlich zum Weihnachtskonzert "Swingin’ Christmas" in die Aula der Schule ein. Der Eintritt ist frei – über eine kleine Spende würde sich die AG dennoch sehr freuen.

 

Weihnachts-Jazztitel wie Frosty the Snowman, Santa Baby, Jingle Bell Rock, uvm. stehen auf dem Programm und laden zum weihnachtlichen Verweilen ein.

 

Zudem wurde die Bigband des Musik-Gymnasiums Ochsenhausen aus Baden-Württemberg eingeladen, das Konzert mit zu gestalten. Als besonderes Highlight werden auch einige Stücke, die in einem kleinen Workshop einstudiert werden, gemeinsam präsentiert. Für Speis und Trank ist ebenfalls gesorgt!

 

Have Yourself A Merry Little Christmas!

 

CU

Roland Geiger

 

[Regionalforum-Saar] SZ von heute, Seite B4 "Der un ermüdliche Kultur-Arbeiter" - ein Leserbrief

Date: 2017/12/23 10:06:46
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Guten Morgen, Herr Keßler,

 

ich wollte mich bei Ihnen bedanken, daß Sie endlich die Lüge aufgedeckt haben, deren sich seit Jahren mein Vater in unserer Familie bedient: er macht sich nämlich immer sieben Jahre jünger, als er wirklich ist. Er hat doch tatsächlich im Juli dieses Jahres seinen 80ten Geburtstag gefeiert, dabei wurde er im Juli 1937 geboren - also im gleichen Jahr wie Herr Diwersy aus Merzig. Also ist er tatsächlich schon 87.

 

Ouh, der kann was erleben am Dienstag, wenn wir dort zum Weihnachtsessen auflaufen - dort werde ich es sein, der das Kriegsbeil ausgräbt und es ihm mit seinem Lügengespinst um die Ohren haut. Denn er hat ja nicht nur uns drei Kinder, nein, sorry, 10 (drei, die wir waren, plus die 7 im Verborgenen) belogen, sondern auch seine Frau (also, die 8 Frauen, die eine, die er geheiratet hat, und die 7 im Verborgenen). Moment mal, 8 Frauen - die fehlenden Väter im Stammbaum waren bekannt, jetzt auch noch Bigamie ... oh, diese familiären Abgründe, die sich da auftun ... Aaaa, da lacht das Genealogenherz, das finstere ...

 

Oder bezieht sich diese heilige Zahl "7" nur auf "Jahre" - jetzt ham Se mich doch drangekriegt, jetzt bin ich völlig Konfuzius.

 

 

Trotzdem schöne Feiertage.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Roland Geiger

 

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Zum Tod von Alfred Diwersy

 

Der unermüdliche Kultur-Arbeiter

 

Merzig. Der Merziger Verleger, Autor und Politiker Alfred Diwersy ist gestorben. Er wurde 87 Jahre alt.

 

„Verleger, Autor, Politiker“ – so hieß das Buch über Alfred Diwersy, das in diesem Juni  erschien und die so großen wie vielfältigen Verdienste des nahezu Unermüdlichen beschrieb. Nun ist Diwersy im Alter von 87 Jahren gestorben.

 

„Ich bin jemand, der Möglichkeiten sucht und sie dann ausnutzt“, sagte er in einem Gespräch mit der SZ anlässlich seines 80. Geburtstages. Das war wohl seine Maxime. 1937 geboren, ist er als Merziger Junge ebenso Messdiener, Pfadfinder und, in den letzten Monaten des Krieges, beim Jungvolk – „Ins Jungvolk musste ich, Messdiener war ich freiwillig“. Zum Studium geht er nach Köln und kehrt als Diplomkaufmann in die Heimat zurück, um dort das Textilgeschäft der Eltern zu führen. Den Verein für Handel und Gewerbe leitet er ebenfalls, sinnigerweise als Nachfolger des Bruders des berühmtesten Merzigers, mit dem sich  Diwersy über die Jahre immer wieder intensiv beschäftigt: Schriftsteller Gustav Regler (1898-1963).

 

Diwersy wirkt auch in der Merziger Politik, als Kopf der CDU-Stadtratsfraktion (ab 1964), später als Erster hauptamtlicher Beigeordneter (ab 1977). Ende der 1970er legt er ein kulturelles Angebot auf, das bald als vorbildlich gilt. Bis zu 200 Veranstaltungen bietet man pro Jahr, alles in Reihen geordnet. Die Stadthalle ist oft ausgebucht, der Saarbrücker Theater-Intendant Hermann Wedekind schickt zweimal im Jahr eine eigene Opern- oder Operettenproduktion. Diwersy denkt auch wirtschaftlich: „Die Idee war, Leute von außen anzuziehen, die hier dann auch Geld ausgeben. Da sprach der Kaufmann aus mir.“ In jeder Saison legt man den Abonnenten Vorschlagslisten auf die Sitze, auf denen sie ihre Wünsche ankreuzen können, erinnert er sich. Vorbei die Zeiten, in denen der Kulturbeirat „den Leuten vorschreiben wollte, was sie sehen sollten, ohne aber selbst je zu kommen“, sagte Diwersy später dazu.

 

In der Stadtbücherei lässt er ein Gustav-Regler-Bildarchiv einrichten, dazu in der Stadt einen Regler-Gedenkstein aufstellen. Als er 1987 von der politischen Lokalbühne abtritt, heuert Diwersy bei Karlsberg als Kulturbeauftragter an. Aus der Buchreihe, die er dort zur Förderung regionaler Autoren auflegt, entsteht 1993 sein eigener Verlag Gollenstein – mit ambitionierten Buchreihen, hochwertig gestaltet, nicht jene Bücherdutzendware, die betriebswirtschaftlich ein Selbstläufer ist. Immer wieder kommt der Verlag finanziell ins Straucheln, Diwersy bilanziert „eine Schieflage   zwischen Produktion und Verkauf“.

 

Lange hält sich diese Insel regionalter Buchkultur trotz schwerer See;  aber 2012 droht die Insolvenz, Gollenstein wird vom Saarbrücker Verleger Oliver Elm gerettet (bis er 2016 aufgibt), Diwersy zieht sich vom Verlag zurück. Mit 82 möchte er „morgens mal das Gefühl haben, nicht aufstehen zu müssen“. Ein großes Projekt kann er nicht mehr abschließen: einen Bildband über  Afrika, das er ab den 1950er oft bereist und in 15 000 Dias festgehalten hat.

 

[Regionalforum-Saar] Souvenirs der Vergangenheit

Date: 2017/12/27 00:27:54
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

noch eine Lieferung aus den Frankfurter Heften von 1948:

Souvenir

von H. W. Fleckner.

 

Früher warben die Zigarettenläden in den höchsten Tönen für ihre Waren. Heute sind sie ein Prüfstein für die Geduld aller Raucherkarteninhaber, die nicht müde werden, erwartungsvoll und mit der Ausdauer morgenländischer Pilger die Holzbuden oder die einschlägigen, in Trümmer verborgenen Läden zu um„schlängeln".

 

Herr Müller (wie wir ihn nennen wollen) von der Reichsbahn hatte keine Geduld und keine unbeschnittene Raucherkarte. Dafür hatte er aber ein unbeschwertes Gemüt.

 

Heute früh sah ich ihn; er schlenderte in seiner verschossenen blauen Kombination auf dem Bahnsteig umher Der „Trooptrain 507“ (ein Zug voller amerikanischer Soldaten) wartete auf das Abfahrtssignal. Soldaten schauten aus dem Fenster, verabschiedeten sich von ihren bayrischen Babies, lutschten Candies, kauten Gummi und rauchten, ... rauchten!

 

Herr Müller sah das — und überdies einen Soldaten, der, das Käppi lustig auf dem Hinterkopf, eifrig Herrn Müller winkte und mit unverständlichen Lauten auf das Gestell wies, an dem eine Menge Schilder hingen: MÜNCHEN-NÜRNBERG, MÜNCHEN-HAMBURG und so fort. Herr Müller war nicht dumm, er begriff sofort, holte eins der Schilder vom Haken und bot es mit fast geübter Geste dem Soldaten an. Das Schild verschwand. Herr Müller auch, jedoch nicht eher, als bis er zwei Zigaretten erhalten hatte.

 

So war denn allen Parteien geholfen: Herr Müller hatte etwas zu rauchen, die Bahnpolizei etwas zu fahnden und der Soldat etwas zum Erinnern. Und wir werden — vorausgesetzt, daß man uns unsere Schlechtigkeit einmal verzeiht und Cook uns wieder unter seinen Fahnen reisen läßt — vielleicht auch noch einmal etwas davon haben: nämlich die Freude, mitten im amerikanischen Mittleren Westen auf ein Stück Heimat zu stoßen:

MÜNCHEN—HAMBURG.

 

[Regionalforum-Saar] "Wendelin weltweit" am Freitagabend im Fernsehen

Date: 2017/12/27 13:04:37
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Guten Tag,

 

im vergangenen Jahr wurde von einem Filmteam aus Saarbrücken ein Film über die Verbreitung des hl. Wendelin in der Welt gedreht, der im Oktober in St. Wendel uraufgeführt wurde und in seiner Vollversion von knapp über 70 min auf DVD erhältlich ist (in St. Wendeler Buchhandlungen sowie im hiesigen Pfarramt, Preis 15 Euro).

 

Ein junger Mann folgt den Spuren des Heiligen von St. Wendel aus nach Brasilien, die Schweiz, Nordamerika und in den europäischen Osten. Am Ende wird mit einem Besuch der Insel Lampedusa im Mittelmeer gezeigt, welche Bedeutung der Heilige resp. seine Verehrung heutzutage haben kann.

 

Eine Kurzversion des Films - 30 min - zeigt der Saarländische Rundfunk am kommenden Freitag, 29. Dezember, um 18.15 Uhr in SR3.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] Umstrittene Vergabe des Pfalzpreis es für Geschichte

Date: 2017/12/28 13:41:21
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Umstrittene Vergabe des Pfalzpreises für Geschichte

 

Niederkirchen. Die Vergabe des „Pfalzpreises für Geschichte und Volkskunde“ 2017 ist entschieden. Verliehen wurde der Preis an die vier Herausgeber des Werkes „Protestanten ohne Protest“, das die Geschichte der Evangelischen Kirche der Pfalz im Dritten Reich beleuchtet. Das Preisgeld betrug 10.000,-- Euro.

Die beiden Ostertaler Autoren Hans Kirsch und Klaus Zimmer waren zuvor für ihre „Chronik des mittleren Ostertals“, Band 4, ebenfalls für den Preis nominiert worden. In einer Urkunde des Bezirksverbandes Pfalz heißt es hierzu: „Der Bezirksverband würdigt mit der Nominierung das von Herrn Kirsch und Herrn Zimmer eingereichte Werk. Mit seinem Schwerpunkt auf der Weimarer Republik und der NS-Zeit bietet das Werk Themen, die üblicherweise in Chroniken nur marginal behandelt werden. Der Mut, auch die ´dunkle Geschichte` des mittleren Ostertals aufzuarbeiten, verbunden mit einer hohen Intensität an Quellen- und Archivarbeit, dürften Standards setzen und als richtungsweisend für andere Ortschroniken betrachtet werden. Besonders hervorzuheben ist das ehrenamtliche Engagement der Autoren.“

 

Die Vergabe des Hauptpreises an die Herausgeber von „Protestanten ohne Protest“ sei, so teilte der Vorstand des Heimat- und Kulturvereins Ostertal  mit,  auf rege Kritik gestoßen. So habe der Mitbewerber Hans Kirsch aus Selchenbach  die Frage aufgeworfen, wieso die Herausgeber eines Werkes ausgezeichnet worden seien und nicht die Autoren, die doch den Inhalt zu verantworten hätten. Und Prof. Dr. Karsten Ruppert, ehemals Inhaber des Lehrstuhls für Neuere Geschichte an der Universität Eichstätt, ebenfalls nominiert mit  „Die Pfalz im Königreich Bayern“, habe sich geäußert, es dränge sich die Frage auf, worin die Leistung, vor allem die wissenschaftliche Leistung der vier Herausgeber bestehe. Die Vermutung liege nahe, dass die Jury vor allem politische Motive dazu bewogen hätten, das Bekenntnis der Evangelischen Kirche der Pfalz zu ihrem Versagen während des Nationalsozialismus zu prämieren. Nach den Richtlinien des Pfalzpreises werde ein in sich geschlossenes Einzelwerk verlangt; ein Sammelband unter Mitwirkung von 62 Autoren sei kein solches Einzelwerk.

Weiter teilte der Vereinsvorstand mit, dass zu der Preisverleihung auch zwei Leserbriefe erschienen seien. Der Historiker Hans-Jürgen Wünschel aus Maxdorf habe die engen Verbindungen zwischen dem Kaiserslauterer Institut für Geschichte und Volkskunde (Bezirksverband Pfalz) und der Evangelischen Kirche der Pfalz kritisiert und die Auswahl des Siegerbandes als „Skandal“ bezeichnet, weil das Buch die Zusammenarbeit der Evangelischen Kirche der Pfalz mit dem Nationalsozialismus beschönige.

Paul Theobald aus Frankenthal ging davon aus, dass sowohl „Protestanten ohne Protest“ wie auch „Die Chronik des mittleren Ostertals“ würdig gewesen wären, den Pfalzpreis zu erhalten. „Es wäre deshalb richtig gewesen, zwei Pfalzpreise zu je 5.000,-- Euro zu vergeben.“ Theobald bezweifelte die Objektivität der Jury, „da in dieser Zusammensetzung kein anderes Ergebnis herauskommen konnte.“ Verteidigt hat die Auswahlentscheidung der Vorsitzende des Bezirkstags, Theo Wieder.

 

[Regionalforum-Saar] Verräterische Sprache

Date: 2017/12/28 23:00:38
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

noch ein Text aus den Frankfurter Heften von   1 9 4 8

Verräterische Sprache

von WW

 

Auf einem Wahlplakat, das in einer größeren Stadt zu einer Wahlkundgebung einlud, stand jüngst zu lesen: WAS WILL DIE CDU? Hierüber spricht Dr. NN.

 

Welche Ironie doch der Sprache innewohnen kann, ohne daß der Mensch, der sich ihrer bedient, darum weiß! Was will die CDU? Die Frage ist einfach und klar und daher gut. Sie ist sozusagen dem Volke abgelauscht. Und sie fordert daher eine ebenso einfache und klare Antwort. Indessen scheint diese Antwort nicht so einfach möglich zu sein. Es muß erst einmal darüber und darum herum gesprochen werden; es kann nicht so einfach und geradeaus gesagt werden, was die Partei will.

 

Wir könnten Schlüsse ziehen; aber wir wollen es nicht tun. Vielleicht hat der Redner doch klar und einfach gesagt, was die CDU will; wir wissen es nicht. Wir halten uns nur an das Plakat, an seine Sprache. Die Sprache drückt zunächst das aus, was der Sprechende sagen will. Zugleich aber ist sie auch das, was er tatsächlich sagt. Beides deckt sich nicht immer. Und dann wirkt das Gesagte komisch wie so vieles, was einen offenen oder verborgenen Widerspruch in sich trägt.

 

Wir vermuten fast — vielleicht täuschen wir uns —, daß die Kommunisten anders geschrieben hätten. Etwa so: WAS WILL DIE KPD? Das sagt uns Genosse NN.

 

Das wäre zwar leider nicht wahr, aber wirksam: für die einen, weil sie es vielleicht glauben würden, für die anderen, weil sie immer wieder einmal den schlichten Sachverhalt einer Lüge feststellen möchten. Die Sprache des CDU-Plakates hingegen ist von einer naiven Redlichkeit. Vielleicht ist wenigstens ein gewisser Trost, — vielleicht, ein gewisser …

[Regionalforum-Saar] Nickel Riehm, Eremit aus St. Wendel

Date: 2017/12/29 22:22:40
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Guten Abend,

 

wo würde ich einen Toten suchen?

 

Nun gut, das ist eine böse Frage resp. schlechte Formulierung.

 

Wo würde ich einen Sterbefall suchen, wenn ich zwar weiß, wann er wo gelebt hat und wie alt er damals war, wenn ich aber nicht weiß, wo er herstammt und wer seine Eltern waren, aber ggf. vermuten kann, wo er herkommt?

 

Der Fall: 1719 kam ein Mann namens Nikolaus Riehm nach St. Wendel, der den örtlichen St. Wendeler Pfarrer bestach, damit der den Eigentümer der Wendelskapelle überredete, Riehm als Eremiten einzustellen. So geschah es auch. Riehm behielt den Posten als Eremit bis zum 16. April 1753. Dann wurde er verjagt. Wohin er ging, ist unbekannt, ebenso wie lange er danach noch lebte. Er ging nicht mittellos, sondern erhielt eine Art Abfindung in erklecklicher Höhe.

 

In den Archiven von St. Wendel und Trier gibt es etliche Dokumente, die sich mit Riehm befassen.

 

Daraus wissen wir, daß Nickel Riehm im Jahre 1741 bereits 59 Jahre alt war. Damit wurde er um 1681 geboren. Eremit wurde er in St. Wendel im Alter von 37 Jahren.

 

Also war er bereits 71, als man ihn 1753 fortjagte.

Woraus ich schließe, daß er zwischen 1753 und 1773 gestorben sein muß.

 

Außerdem wissen wir, daß er verkrüppelt war: er hatte nur ein Bein; und das andere hatte er schon vor 1719 verloren.

 

Aus den Unterlagen geht hervor, daß sich Riehm mit Geld richtig gut auskannte. Er verwaltete das Opfergeld der Wendelskapelle, d.h. er arbeitete damit, in dem er es „an seine Verwandten und Dritte“ gegen Zinsen auslieh und seinem Arbeitgeber, dem Eigentümer der Kapelle, bei Reparaturen zur Verfügung stellte. Die genannte „Abfindung“ entstand aus dem Saldo des vorhandenen Geldes und dem, was er nach Meinung seines Arbeitgebers hätte bezahlen müssen.

 

Den Namen „Riehm“ kenne ich aus dem Raum Lebach; dort könnte er ein viel jüngerer Bruder von Johann Nikolaus Riem sein (oo Barbara Blass, siehe Inge Riedel, FB Lebach vor 1815, Nr. 931). Dann stammt er aber aus Wallerfangen (hat jemand das FB von Wallerfangen vor 1687 zur Hand und könnte nachschauen?).

 

Nach dem er St. Wendel verlassen hat, verschwindet er - bis heute spurlos.

 

Oder kennt ihn jemand von Euch?

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Roland Geiger, St. Wendel.

 

[Regionalforum-Saar] Ein Spitzelbericht

Date: 2017/12/29 22:24:18
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

aus den Frankfurter Heften von 1948

Ein Spitzelbericht

von Franz Huber

 

1819 hatte die preußische Regierung gegen den Verfasser der Flugschrift „Teutschland und die Revolution", den Publizisten und Professor Josef Görres, einen Haftbefehl erlassen. Der Betroffene flüchtete nach dem französischen Straßburg, wo sich schon Börne, der Burschenschafter Steingaß und andere „Demagogen" aufhielten. Der badische Minister von Berstett und der badische Bundesbevollmächtigte von Berkheim, der in Straßburg Besitztum hatte, berichteten dem Herrn und Meister Metternich in Wien getreulich, aber nicht eben sehr geschickt, über das, was sie über die gefährlichen Leute in Erfahrung brachten, und in Kehl lauerten die Polizisten, ob Görres herüberkäme, um den guten „Affentaler" aus der Brühler Gegend als Ersatz für seinen geliebten Rheinwein zu verkosten. Metternich hatte aber auch einen eigenen Beobachter nach Straßburg geschickt, der seine Sache besser verstand, den Juristen Dominik Rother. Er wußte sich anzuschmiegen und das, was er durch vertrauten Verkehr erfahren hatte, mit Genauigkeit und Urteil zu berichten.

 

Rother verstand es, bei Görres Eingang zu finden, sogar bei Görres zu wohnen. Er schrieb ihm die Bücher ab, die Görres sich in der Bibliothek zu seinen volkskundlichen Studien holte, unterhielt sich mit ihm und hörte auch, was die Freunde und Besucher mit ihm besprachen.

 

Als Görres seinen Straßburger Aufenthalt beendigte, um in die Schweiz zu gehen, begleiteten ihn Rother und der Student Steingaß, der später der Schwiegersohn von Görres wurde, ein Stück des Weges. Auf der Wanderung zum Odilienberg erzählte Görres den beiden Weggenossen von den Sagen und Gebräuchen der Gegend, auch von der Geschichte des Landes, und zeichnete vieles, wie der Polizist berichtet, „mit Fleiß und Genauigkeit" ab.

 

Rother schließt seinen Bericht: „Ich werde nie die Gesinnungen und Ansichten des Görres als Staatsbürger, noch viel weniger seine vorlauten sträflichen Äußerungen billigen, aber als Mensch muß ich den vortrefflichen Eigenschaften seines Herzens, seiner Gemütsart und Seelengüte und seinem hellen Verstande Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sein Exterieur, besonders seine Gesichtszüge, sind beim Zusammentreffen eher zurückstoßend als anziehend; aber jeder, der Gelegenheit hat, mit ihm umzugehen und ihn genau kennenzulernen, wird von seinen geselligen Tugenden, der Reinheit seiner Sitten und von seinen Kenntnissen bezaubert und genötigt, ihm seine Achtung zu bezeugen."

 

Ob unter den Protokollen der Gestapo und anderer politischer Polizeien auch solche Berichte zu finden wären? Wir wollen zufrieden sein, wenn solche Zeugen-Gesinnung wenigstens im Belastungsmaterial der Spruchkammern wirksam wird — da, wo sie echt ist und recht hat.