Monatsdigest

[Regionalforum-Saar] Buchbesprechung "Konklave. Die Geheimnisse der Papstwahl."

Date: 2017/05/02 22:58:35
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Wolf, Hubert: Konklave. Die Geheimnisse der Papstwahl. München: C.H.
Beck Verlag 2017. ISBN 978-3-406-70717-9; 224 S., 47 Abb.; EUR 19,95.

Inhaltsverzeichnis:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/beitraege/rezbuecher/toc_27358.pdf>

Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Ansgar Frenken, Ulm
E-Mail: <ansgarfrenken(a)aol.com>

Mit der vorliegenden Arbeit legt der renommierte und mit
Wissenschaftspreisen vielfach ausgezeichnete Münsteraner
Kirchenhistoriker Hubert Wolf einen auf die wesentlichen Kernprobleme
fokussierten Überblick zur Wahl und Einsetzung des Papstes vor.
Unausgesprochen dürfte dahinter die Absicht stecken, über das Geschehen
seriös zu informieren, was in einer Zeit, in der Verschwörungstheorien
eine Konjunktur erleben, einer Versachlichung der Diskussion nur dienen
kann. Wolf hat seinen Text in sieben Abschnitte strukturiert (1. Wer
wählt den Papst? (S. 21-48), 2. Wer kann überhaupt Papst werden? (S.
49-61), 3. Wo wird der Papst gewählt? (S. 63-83), 4. Wie wird der Papst
gewählt? (S. 85-113), 5. Was macht den Papst zum Papst? (S. 115-151), 6.
Wie geheim sind Papstwahlen wirklich? (S. 153-163), 7. Wie funktioniert
ein Papstrücktritt? (S. 165-181)), womit er systematisch alle zentralen
Aspekte des Themas anspricht. Eingerahmt werden diese Abschnitte von
einer Rückschau auf die beiden zurückliegenden Konklave Benedikts XVI.
und Franziskus' I. (S. 7-19) sowie einem Blick in die Zukunft, auf eine
fiktive, ab dem Jahr 2059 geltende Papstwahlordnung (S.183-192).

Allein schon der Titel des Buches deutet darauf hin, dass Wolf in erster
Linie wohl Leser erreichen möchte, die üblicherweise nicht zu einem
wissenschaftlichen kirchenhistorischen Buch greifen würden. Dies ist dem
Duktus des Buches wie der von Fachjargon weitgehend freien Sprache des
Autors deutlich anzumerken. Der Qualität seiner Arbeit tut dies
gleichwohl keinen Abbruch. Ob es dafür allerdings notwendig ist, etwas
reißerisch mit den "Geheimnissen der Papstwahl" (so der Untertitel) zu
winken, oder die zurückliegende Papstwahl mit dem effekthascherischen
Vergleich "Wie Weihnachten: Das Mysterium der Papstwahl" (so der Titel
des einleitenden Kapitels) zu versehen, wäre kritisch zu hinterfragen.
Ohne Zweifel hat der Münsteraner Ordinarius aber ein im besten Sinne
populärwissenschaftliches Buch verfasst, anschaulich und flott
geschrieben, selbst wenn ihm sprachlich manchmal die Zügel etwas
durchzugehen scheinen (so mit der Wortschöpfung "verdemütigen", S. 135,
oder wenn er das Phrygium mit der "Mütze von Gartenzwergen und
Schlümpfen" vergleicht, S. 134). Ein halbes Hundert
Schwarz-Weiß-Abbildungen, über das Buch verteilt, können selbst einem
(kirchen-)historischen Laien eine gewisse Vorstellung davon vermitteln,
wie es bei der Papstwahl und -einsetzung zugeht. Anmerkungsapparat (S.
199-203) und Bibliographie ("Zum Weiterlesen"; S. 205-214) sind eher
knapp gehalten, für den interessierten Leser sollte das aber ausreichen.
Ein Personenregister (S. 217-220) erleichtert zudem eine schnelle
Orientierung.

Wolf ist ein ausgezeichneter Kenner der jüngeren Kirchengeschichte,
insbesondere auch der neueren Papstgeschichte.[1] Nicht ganz so
sattelfest bewegt er sich dagegen im späteren Mittelalter. Gregor XII.,
Papst der römischen Linie im großen abendländischen Schisma, war nach
dem Konzil von Pisa nicht mehr in Rom, sondern hielt sich zunächst auf
venezianischem Gebiet und dann im Territorium des Signore Malatesta von
Rimini auf. Stattdessen gelang es dem Pisaner Papst Johannes XXIII.,
sich wenigstens zeitweilig in Rom zu behaupten (S. 43). König Sigismund
war auch nicht der deutsche König, sondern der von den deutschen
Kurfürsten gewählte römische König (S. 43). Das in Konstanz
verabschiedete Dekret Haec sancta formulierte keineswegs die Oberhoheit
über die Päpste (S. 43f.), sondern suchte in der Phase nach der Flucht
Johannes' XXIII. das Fortbestehen der Synode zu sichern und gleichzeitig
den Konzilsvätern eine Legitimation zu verschaffen, die wichtigsten
Aufgaben auch ohne päpstliches Mitwirken angehen zu können. Erst in der
Rezeption des Dekrets nach Abschluss des Konzils erfuhr dieses eine
Interpretation, die ihm eine bewusst antipäpstliche Stoßrichtung gab.
Unzutreffend und grob vereinfachend ist ebenso, die Teilnahme der
Konzilsnationen am Konklave 1417 damit zu erklären, dass "sich bei der
Papstwahl kein Land benachteiligt fühlen konnte" (S. 44). Mit den
staatsrechtlichen Nationen der Neuzeit lassen sich diese Konzilsnationen
kaum gleichsetzen, daher ist der angedeutete Zusammenhang nicht gegeben.
Ungenau ist auch die Angabe, 2013 wäre der "erste Papstrücktritt nach
sechshundert Jahren" (S. 193, ähnlich S. 9) gewesen - als letzter Papst
hatte 1449 (!) Felix V. auf das Amt verzichtet. Eine "Liste der
allgemein verbindlichen Konzilien der katholischen Kirche" (S. 191) ist,
anders als Wolf suggeriert, weder existent, noch ist deren Zahl
unbestritten. Nicht einmal dem Konstanzer Konzil (1414-18) wird der
Status des allgemeinen Konzils in der Forschung uneingeschränkt
zugesprochen; auch herrscht keine Einigkeit darüber, ab welchem
Zeitpunkt dieser Anspruch der Kirchenversammlung zuzusprechen sei.
Ungenau ist auch die Angabe, das Konzil von Basel habe sich erst 1439
gespalten (S. 176); spätestens mit der Ankündigung Eugens IV. von 1437,
das Konzil nach Ferrara zu verlegen, war der Bruch unaufhebbar.

Der Autor schreibt indes nicht nur als gelehrter Wissenschaftler,
sondern er ergreift auch als engagierter Katholik das Wort, der sich mit
klaren und eindeutigen Äußerungen und Positionen in kirchenpolitischen
Fragen keineswegs zurückhält. Das reizt zu Widerspruch. Man darf daher
gespannt sein, wie die kirchliche Öffentlichkeit und die Fachwelt darauf
reagieren werden. Dezidiert nimmt Wolf zu den Problemen des heutigen
Papsttums Stellung und reibt sich gerade auch an den beiden Päpsten
Johannes Paul II. und Benedikt XVI. und ihren Entscheidungen. Selbst
wenn sich beide, worauf Wolf mehrfach hingewiesen hat, gerne auf die
Tradition der katholischen Kirche beriefen, weist der Kirchenhistoriker
auf die Brüche hin, die sie mit ihren Entscheidungen zur Papstwahl bzw.
von diesem Amt zurückzutreten hervorgerufen haben. Bezüglich des
überraschenden Schritts Benedikts XVI. spricht er von einer
"Entzauberung des Papsttums" (S. 176) und weist auf die ungelösten
Probleme hin, die sich daraus für das Papstamt ergeben. Der deutsche
Papst tritt zwar zurück, aber nur halbherzig: Er bleibt weiß gewandet,
lässt sich mit 'Seine Heiligkeit' anreden und ist papa emeritus - all
dies Brüche mit den Traditionen früherer Papstrücktritte (S. 170-175).
Mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen zieht Wolf daher das Fazit,
"dass die Traditionen der Papstwahl immer wieder neu erfunden wurden und
auch in Zukunft immer wieder neu zu erfinden sind" (S. 196).

Als Historiker bedauert der Münsteraner Forscher darüber hinaus die
ausdrückliche Anordnung Papst Johannes Pauls II., alle Akten und
Aufzeichnungen über die Papstwahlen auf ewig für die Forschung zu
sperren. "Statt der vielbeschworenen Transparenz wird durch diese
Archivpolitik Geheimniskrämerei betrieben und wilden Spekulationen Tür
und Tor geöffnet" (S. 163). Wolfs dezidiertem Statement kann man leider
nur zustimmen.

Auf Schritt und Tritt merkt man dem Buch seine Genese aus der im Kontext
des Münsteraner Exzellenzclusters 2009/10 gehaltenen Ringvorlesung
"Rituale der Amtseinsetzung" (S. 195f.) an. Welch anderes Amt und welch
andere Institution mag sich als Untersuchungsobjekt so sehr dafür eignen
wie die auf eine 2000jährige Geschichte zurückblickende katholische
Kirche mit ihrem Oberhaupt, dem Papst. Das Heranrücken des Gegenstands
in die Erfahrungswelt des Lesers, mittels einer Visualisierung durch die
modernen Massenmedien, leistet einen wichtigen Beitrag zur Überbrückung
historischer Distanz und erleichtert damit ein Verständnis für das
Unvertraute und Fremde. Bisweilen vermeint man sogar beim Lesen von
Hubert Wolfs Buch die Glocken läuten zu hören und den Weihrauch riechen
zu können. Keine schlechte Empfehlung, sich in die Lektüre dieses Buch
zu vertiefen.

Anmerkung:
[1] Hubert Wolf, Römische Inquisition und Indexkongregation 1814-1917, 3
Bde., Paderborn 2005; ders., Römische Inquisition und Indexkongregation
1701-1813, 5 Bde., Paderborn 2009/10; ders., Die Nonnen von
Sant'Ambrogio. Eine wahre Geschichte, München 2013 und viele andere.

[Regionalforum-Saar] St. Wendeler Bauhütte beste ht seit 50 Jahren und hat viele Aufgaben.

Date: 2017/05/04 07:51:09
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

gestern in der SZ:

Wichtige Helferin beim Erhalt der Sakralbauten

St. Wendeler Bauhütte besteht seit 50 Jahren und hat viele Aufgaben.

St. Wendel (mat) Sie ist das Jahr über meistens im Stillen tätig – und dennoch leistet die Bauhütte St. Wendelin seit über 50 Jahren wichtige Beiträge für den Erhalt ihrer großen Heiligtümer, der Basilika und der Wendelskapelle. Dies wurde wieder bei der Jahreshauptversammlung im Cusanushaus deutlich. Vereinsvorsitzende Angela Hartmann erinnerte in ihrem Jahresbericht an die beiden herausragenden Aktivitäten im vergangenen Jahr. Die Bauhütte finanzierte die Reparatur der Turmuhr an der Basilika. Seither funktioniert die weithin sichtbare Uhr wieder störungsfrei. Zum Tag des offenen Denkmals kamen im September 150 Besucher zur Wendelskapelle. „Diese Veranstaltung hat dem Bekanntheitsgrad der Bauhütte wieder einen kleinen Schub gebracht“, sagte Angela Hartmann.

Auch dieses Jahr wird die Bauhütte wieder gefragt sein. Nach einer Mitteilung von Pastor Klaus Leist, dem stellvertretenden Vorsitzenden, zeigten sich im Gewölbe über der Basilika schadhafte Stellen. Auch wenn der Schaden nicht gravierend sei, wäre die Beseitigung recht aufwendig. Die Teile für das erforderliche Gerüst könnten nicht über die Wendeltreppe transportiert werden, sondern müssten vom Kirchenschiff aus hochgehievt werden. Um während der Gewölbereparatur Schäden an der Orgel zu verhindern, müsste ein Teil der Pfeifen vorübergehend entnommen werden. Pastor Klaus Leist rechnet mit Kosten von 15 000 Euro, die nur teilweise das Bistum Trier übernimmt.

Die Renovierungen an der so genannten Baltersweiler Küch – so nennt sich der Eingangsbereich an der Südseite der Basilika – sollen nach Auskunft des Geistlichen erst 2018 anlaufen. Hier müssen Bodenplatten ausgetauscht und Steine neu verfugt werden. Auch an diesen Kosten wird sich die Bauhütte beteiligen.

Die Zahl der Mitglieder – derzeit sind es 76 – stagniert. Das Gewinnen von neuen Mitgliedern bleibe weiterhin eine wichtige Aufgabe.

Pastor Klaus Leist ging zum Abschluss der Generalversammlung auf das Programm zu den Wallfahrtstagen vom 15. Oktober bis 1. November ein. Anlass ist das 1400. Todesjahr des heiligen Wendelin. Zur Eröffnung kommt am 15. Oktober der Trier Bischof Stefan Ackermann nach St. Wendel.


[Regionalforum-Saar] Führung durch den Wareswald a m 7. Mai

Date: 2017/05/04 07:52:26
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

gestern in der SZ:

Grabungsgelände

am Wareswald erkunden

Öffentliche und kostenlose Führung startet am 7. Mai.

Tholey (red) Eine öffentliche Führung durch das Grabungsgelände im Wareswald ist für Sonntag, 7. Mai, geplant. Projektleiter Klaus-Peter Henz von der Terrex gGmbH, der für die Grabungen verantwortlich ist, wird die neuesten Forschungsergebnisse und Entdeckungen vorstellen. Die Führung dauert etwa 90 Minuten und ist kostenlos. Im ersten Jahrhundert nach Christus entstand der Vicus im Wareswald, gelegen am Fuße des Schaumbergs zwischen den heutigen Gemeinden Marpingen, Oberthal und Tholey. Reisende und Händler benutzten die zumeist vom Militär angelegten Wege. Dies veranlasste Händler und Handwerker dazu, sich an der Stelle des heutigen Wareswaldes niederzulassen.

Die Siedlung wuchs schließlich zu einer Größe von mehreren Hektar an. Um das Jahr 400 wurde der Vicus verlassen. Treffpunkt zur Führung ist um 11 Uhr am neuen Parkplatz, zu erreichen über die Zufahrt an der L 135 zwischen Theley und Tholey.


[Regionalforum-Saar] Zeit für Wanderungen

Date: 2017/05/05 09:37:39
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Vortrag über Wanderbewegungen


St. Wendel (red) Die gesamte Neuzeit zeichnet sich auch dadurch aus, dass es in allen Jahrhunderten Wanderungsbewegungen gegeben hat: sei es Zuwanderung, wie nach der Entvölkerung im 17. Jahrhundert und während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, oder Auswanderung, wie vor allem im 18. und 19. Jahrhundert.


Diese Wanderungsbewegungen sind Thema eines Vortrags von Roland Geiger am Dienstag, 9. Mai, 19 Uhr, Rathaus Oberthal.


Dieser Vortrag ist Teil einer Reihe, die die Neuzeit im St. Wendeler Land beleuchtet. Der Eintritt ist frei.

[Regionalforum-Saar] „Halberg History Tour “

Date: 2017/05/05 23:42:56
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

heute in der SZ:

SR gestaltet eigenen Wanderweg

Zu seinem 60. Geburtstag will der Sender die „Halberg History Tour“ erneuern.

Von Oliver Sandmeyer

Saarbrücken 2017 wird der Saarländische Rundfunk 60 Jahre alt. Für diesen Anlass hat sich die Landesrundfunkanstalt gegen große Feiern entschieden. So sieht es der Intendant des SR, Thomas Kleist. Beim SR hat man sich zu etwas ganz anderem entschlossen: Zum 60sten wird der bisher mit Anklängen an einen Beatles-Titel benannte Rundwanderweg „Halberg History Tour“, auf dem es 19 historische Sehenswürdigkeiten zu entdecken gibt, neu gestaltet und in „Historischer Halberg“ umbenannt. Die Beschilderungen der Denkmäler wurden laut Kleist „inhaltlich und grafisch auf den neuesten Stand gebracht und auch der Schnittpunkt zum Jakobsweg, dem sogenannten ‚Sternenweg‘, herausgearbeitet.“ Die 19 Tafeln der historischen Stätten bieten schriftliche Infos, aber auch einen mit dem Smartphone einlesbaren QR-Code, mit dem sich weitere Texte mit Hintergründen abrufen lassen.

In einer Rede anlässlich einer Vernissage zur Vorschau des Rundwegs im Historischen Museum in Saarbrücken erklärte Kleist: „Das Territorium Halberg wird hier im Saarland identisch mit dem Saarländischen Rundfunk verstanden. Wenn ein Saarländer sagt: ‚Ei, ich war uff em Halberg‘, dann weiß sein Gegenüber, dass er beim SR war.“

Auch Simon Matzerath, Direktor des Historischen Museums Saar, findet den Rundweg spannend: „Die zeitliche Einordnung der erwanderbaren Sehenswürdigkeiten hat eine enorme Spannbreite.“ Mit der gut erhaltenen Mithras-Kultstätte und der römischen Siedlung am Fuß des Halbergs gibt es zwei Stätten aus der Römerzeit zu bestaunen; die 18 Westwallbunker aus den Tagen des Zweiten Weltkriegs sowie der sogenannte Buspilz – eine von den Architekten Alt und Kugelmann im modernem Stil der 50er Jahre entworfene Bushaltestelle – sind Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts.

Am 24. Mai wird der 3,5 Kilometer lange Rundweg ‚Historischer Halberg‘ feierlich neu eröffnet.

[Regionalforum-Saar] Ausstellung „Inka – Gold. Macht. Gott“ im Völklinger Weltkulturerb e

Date: 2017/05/05 23:44:47
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

heute in der SZ:

„3000 Jahre Kultur wurden ausradiert“

Die Ausstellung „Inka – Gold. Macht. Gott“ im Völklinger Weltkulturerbe widmet sich der großen Kultur der Inka – die 1532 mit einem Schlag endete.

Von Tobias Kessler

Völklingen Ein halbes Jahrtausend alt ist diese Geschichte, aber eigentlich ganz von heute, dank des stabilen menschlichen Faktors Gier. Um den Konflikt von Ideologien geht es, um Kapitalismus und Kolonialismus; um Auslöschung von Kultur und um moderne Kriegsführung, unter anderem mit biologischen Kampfstoffen – Krankheiten, Pocken etwa, eingeschleppt von den Eroberern.

1532 stach der Spanier Francisco Pizarro in See, befeuert vom Mythos eines an Gold unendlich reichen Landes in Südamerika. Pizarro fand das Reich der Inka – und eroberte es. Unglaublicherweise betrat er das riesige Reich doch mit nicht einmal 200 Soldaten; aber moderne Waffentechnik – Gewehre und Kanonen – versetzte die Inka ebenso in eine Schockstarre wie die merkwürdigen, den Inkas völlig unbekannten Tiere der Spanier – Pferde. Pizarro und der spanischen Krone ging es ums Gold, das bei den Inka eine ganz andere Rolle spielte als in Europa: Kein Zahlungsmittel war es, sondern Teil ihrer Mythologie vom Göttlichen, Teil ihrer religiösen Riten und dabei meist den höchsten Priestern und Herrschern vorbehalten. Eroberer Pizarro sah das ganz anders und ließ die Schmelzöfen befeuern: Mythisch unterfütterte Kunst wurde zu schnöden Goldbarren. Über 180 Tonnen Gold und 16 000 Tonnen Silber verschiffte er in den ersten Jahren nach Europa, was dort eine Edelmetall-Inflation und auf den Finanzmärkten Turbulenzen auslöste. Pizarro und seine Mittäter wurden reich – denn nur 20 Prozent des Goldes landete letztlich bei der Krone.

Die Völklinger Ausstellung „Inka – Gold. Macht. Gott“ zeigt im Weltkulturerbe nun 220 Exponate, die die Eroberung überstanden haben – allesamt Beigaben aus Gräbern. Die meisten stammen aus dem Larco Museum in Peru, dazu kommen Stücke aus dem Musée des Jacobins d'Auch, aus dem Pariser Musée de l'Armée, aus dem Weltmuseum Wien und aus dem Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim.

Das Gold der Inka glänzt hier prachtvoll, allerdings nicht zum ersten Mal: 2004/2005 lief die Ausstellung „InkaGold“, mit 193 000 Zuschauern der ganz große Publikumserfolg des Weltkulturerbes. Das macht eine neuerliche Schau natürlich zu einer attraktiven Idee. Ist sie nun eine Wiederholung oder etwas gänzlich Neues? Weder noch, sagt Meinrad Maria Grewenig, Direktor des Weltkulturerbes. Man habe nur knapp ein Fünftel der jetzigen Exponate auch schon in der vorigen Schau sehen können. „Und wir legen jetzt einen viel stärkeren Fokus auf den Konflikt zwischen Alter und Neuer Welt“, sagt er. Auch vertiefe man „das Weltkonzept der Inka“, eine starke Dualität von Himmel und Erde, Göttlichem und Menschlichem. Wobei der höchste Inka sozusagen eine Führungskraft beider Welten war – ein Staatschef von Gottes Gnaden.

In einem goldfarbenen Durchgang beginnt und endet die Ausstellung; die Eroberung ist in der Verdichterhalle der erste Schwerpunkt: Rüstung, Schwert, Helm und ein Gewehr (eine anderthalb Meter lange Hakenbüchse) zeigen die Waffentechnik, die die Inkas besiegte, denen Eisen ebenso unbekannt war wie Schießpulver. „So wurden 3000 Jahre Kultur ausradiert“, sagt Grewenig.

Da wirkt es wie eine gnädige Idee der Ausstellungsleitung (Frank Krämer und Team), die Schau mit dem gewaltsamen Ende der Inka-Kultur zu beginnen – danach kann man sich der zuvor blühenden Kultur widmen, deren Exponate dann in der Zeit zurückwandern und damit nicht dem eigenen Untergang entgegen. Stücke aus der Zeit zwischen 1500 vor Christus bis zum Untergangsjahr 1532 nach Christus sind zu sehen: kunstvolle Kultgefäße aus Keramik etwa, manchmal in Form mythischer Schreckensfiguren (wie dem „Enthaupter“), manchmal mit filigranen Szenen versehen. Da gibt es Gesichtsschmuck in Gold und Silber (Symbole für Tag und Nacht), eine vergoldete Kupferpfeife und ein Opfermesser aus Kupfer – die Inka opferten Menschen und sammelten das Blut in kunstvollen Gefäßen, von denen viele zu sehen sind.

Ähnlich wie bei der jüngsten Buddha-Ausstellung glänzen die goldenen Farben höchst reizvoll und kontrastreich zwischen den schwarzen Maschinen in der Gebläsehalle. Doch während man bei den vielen Buddhas manchmal den Eindruck des Frontalunterrichts hatte, sind die Exponate hier abwechslungsreicher, verständlich erklärt und ein ästhetisches Vergnügen – sieht man von einer peruanischen Kindermumie ab, einer Leihgabe der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen, dem traurigsten Stück der Schau.

Der Besuch der Ausstellung lohnt sich sehr; allerdings sollte man sich darauf einstellen, dass manche erotische Darstellung oder der ein oder andere recht großzügig bemessene Keramik-Phallus bei den Jüngsten neugierige Fragen aufwerfen könnten.

Die Ausstellung öffnet morgen um 10 Uhr und läuft bis 26. November. Katalog: 298 S., 29,50 Euro. Ein Besucherservice informiert über Führungen und das Begleitprogramm: Tel. (0 68 98) 910 01 11, www.voelklinger-huette.org

[Regionalforum-Saar] Vortragsreihe „Lokale Erz ählung St. Wendeler Land 5 x 100“ - von kommende n Vorträgen

Date: 2017/05/07 12:14:48
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

„Lokale Erzählung St. Wendeler Land 5 x 100“

 

Dienstag, 28. März

Bernhard W. Planz

„Das 16. Jahrhundert: Die Reformation und ihre politische Folgen im St. Wendeler Land“.

 

Dienstag, 11. April

Hans-Joachim Kühn

„Das 17. Jahrhundert: Der 30-jährige Krieg im Katastrophen-Jahrhundert“

 

Dienstag, 25. April

Bernhard W. Planz

„Absolutismus, Aufklärung und die Französische Revolution“

 

Dienstag, 9. Mai, 19 Uhr, im Oberthaler Rathaus

Roland Geiger,

Zeit der Wanderungen (18tes und 19tes Jahrh.)

 

Dienstag, 23. Mai, 19 Uhr, Mia-Münster-Haus St. Wendel

Bernhard W. Planz,

„Das (lange) 19. Jahrhundert: Napoleon, Wiener Kongress und seine politischen Folgen“

 

Dienstag, 6. Juni, 19 Uhr, Hiwwelhaus Alsweiler

Thomas Störmer,

„Das (lange) 19. Jahrhundert: Industrialisierung und ihre Folgen für das Saarland und das St. Wendeler Land“

 

Sonntag, 18. Juni, 16 Uhr, in der Bosener Mühle am Bostalsee

Abschlussveranstaltung

Paul Burgard und Klaus Brill

Doppelvortrag zum 20. Jahrhundert

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Roland Geiger

 

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Roland Geiger

Historische Forschung

Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel

Tel. 06851-3166

email alsfassen(a)web.de

www.hfrg.de

 

[Regionalforum-Saar] gehört nicht wirklich zum The ma, aber vielleicht interessiert es jemanden

Date: 2017/05/08 12:10:20
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Papst bei Priesterweihe: Absage an Klerikalismus

 

07/05/2017

 

Das Doppelleben ist eine hässliche Krankheit in der Kirche. Daran erinnerte Papst Franziskus an diesem Sonntagvormittag anlässlich der Priesterweihe von zehn Priesteramtskandidaten, der er im Petersdom vorstand. Gemeinsam mit dem Kardinalvikar für die Diözese Rom, Kardinal Agostino Vallini, sowie mit dem römischen Generalvikar Filippo Iannone, den Weihbischöfen, den Leitern der betroffenen Priesterseminare und den Pfarrern der Kandidaten zelebrierte der Papst an diesem Weltgebetstag für geistliche Berufungen die feierliche Messe. 

 

Karrierekleriker nützen nichts

Bei seiner Predigt wurde der Papst nicht müde, darauf hinzuweisen, wie er den Dienst eines Priesters verstehe. Über weite Strecken wich er vom vorbereiteten Predigttext ab, um die Botschaft, die er den jungen Priestern mitgeben wollte, noch deutlicher zu formulieren. Insbesondere seien die Kandidaten aus dem Volk Gottes von Jesus Christus auserwählt worden „nicht um Karriere zu machen, sondern um diesen Dienst zu tun“, betonte der Papst.

 

Dabei gehe es nicht darum, allzu abgehobene intellektuelle Predigten zu halten: „Die Labung des Gottesvolkes“ solle die Doktrin der neuen Priester sein, „einfach, wie der Herr sprach, der ins Herz traf. Haltet keine allzu intellektuellen und ausgefeilten Predigten: Sprecht einfach, sprecht zum Herzen. Und diese Predigt wird wahre Labung sein.“ Unerlässlich dabei sei ein vorbildhafter Lebensstil, mahnte der Papst, denn „das Wort ohne das Beispiel im Leben nützt nichts: da ist es besser, umzukehren. Das Doppelleben ist eine hässliche Krankheit, in der Kirche.“

 

Danach handeln, was ihr predigt

Die Priester müssten das nachahmen, was sie zelebrierten, so der Rat des Papstes an die neuen, aber auch an alle anderen Priester. „Ein Geistlicher, der vielleicht viel Theologie studiert hat und ein, zwei oder drei Studienabschlüsse hat, aber nicht gelernt hat, das Kreuz Christi zu tragen, nützt nichts. Er ist vielleicht ein guter Akademiker, ein guter Professor, aber kein Priester.“

 

Einen Überblick gab der Papst auch über einige der Sakramente, die die Priester in Zukunft spenden werden. Die Taufe, mit der neue Gläubige ins Gottesvolk aufgenommen werden, aber auch das Bußsakrament. Mit Blick auf das Bußsakrament beschwor der Papst die Kandidaten, stets Barmherzigkeit walten zu lassen. „Immer. Ladet nicht auf den Schultern der Gläubigen Gewichte ab, die sie nicht tragen können, nicht einmal ihr. Jesus hat diese Doktoren getadelt, und er nannte sie scheinheilig.“ Eine vielleicht langweilige und manchmal auch schmerzliche Aufgabe sei es, die Kranken zu besuchen, so fuhr der Papst fort. „Macht das! Ja, es ist in Ordnung, wenn die treuen Lauen, die Diakone gehen, aber lasst nicht davon ab, das Fleisch des leidenden Christus in den Kranken zu berühren. Das heiligt euch, nähert euch Christus an.“

 

Seid freudig!

Eine weitere Aufgabe gab der Papst den jungen Priestern noch mit auf den Weg: „Seid freudig, niemals traurig. Freudig. Mit der Freude des Christusdienstes, auch inmitten der Leiden, des Unverständnisses, der eigenen Sünden. Habt stets das gute Beispiel des Guten Hirten vor Augen, der nicht gekommen ist, um bedient zu werden, sondern um zu dienen. Bitte, seid keine Staatskleriker, sondern Hirten. Hirten des Gottesvolkes.” 

 

Der Weltgebetstag für geistliche Berufungen, der bereits zum 54. Mal begangen wird, fällt traditionsgemäß auf den 4. Sonntag der Osterzeit, den „Sonntag des Guten Hirten“. Die neu geweihten Priester sind zwischen 26 und 38 Jahre alt, sieben davon sind Italiener, einer stammt aus Peru, einer aus Mexiko und einer aus Aserbaidschan. Sechs von ihnen haben sich in Seminaren des Bistums Rom auf ihre Priesterweihe vorbereitet. 

 

[Regionalforum-Saar] Vortrag "Historische Schicksalsgemeinschaft Wald - Mensch"

Date: 2017/05/08 13:32:26
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

 

Prof. Dr. Uwe Eduard Schmidt von der Universität Freiburg referiert am Samstag, 13. Mai 2017, zum Thema "Historische Schicksalsgemeinschaft Wald - Mensch".

 

Er beschäftigt sich mit den sich verändernden Beziehungen des Menschen zu seinen natürlich vorhandenen und von ihm bewirtschafteten Ressourcen, insbesondere den Wäldern im heutigen Bundesland Saarland.

Das Hauptaugenmerk richtet sich dabei auf die gesellschaftlichen Ansprüche, die im Laufe der Zeit an den Wald gestellt wurden. Dementsprechend werden Veränderungen der Waldfunktionen und den damit zusammenhängenden prägenden Einfluss des Menschen auf die Gestaltung und Entwicklung der Landschaft an der Saar in der vorindustriellen und industriellen Zeit aufgezeigt und kritisch bewertet.

 

Der Vortrag findet im Rahmen der Monatstreffen des Vereins für Landeskunde im Saarland e.V. statt. Der Eintritt ist frei.

 

Samstag, 13. Mai 2017, 15.00 Uhr

 „Cusanus-Saal“

66606 St. Wendel, Am Fruchtmarkt 11, unmittelbar neben der Basilika in der St. Wendeler Altstadt.

 

 

[Regionalforum-Saar] Vortrag "Historische Schicksalsgemeinschaft Wald - Mensch"

Date: 2017/05/08 13:33:23
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

 

Prof. Dr. Uwe Eduard Schmidt von der Universität Freiburg referiert am Samstag, 13. Mai 2017, zum Thema "Historische Schicksalsgemeinschaft Wald - Mensch".

 

Er beschäftigt sich mit den sich verändernden Beziehungen des Menschen zu seinen natürlich vorhandenen und von ihm bewirtschafteten Ressourcen, insbesondere den Wäldern im heutigen Bundesland Saarland.

Das Hauptaugenmerk richtet sich dabei auf die gesellschaftlichen Ansprüche, die im Laufe der Zeit an den Wald gestellt wurden. Dementsprechend werden Veränderungen der Waldfunktionen und den damit zusammenhängenden prägenden Einfluss des Menschen auf die Gestaltung und Entwicklung der Landschaft an der Saar in der vorindustriellen und industriellen Zeit aufgezeigt und kritisch bewertet.

 

Der Vortrag findet im Rahmen der Monatstreffen des Vereins für Landeskunde im Saarland e.V. statt. Der Eintritt ist frei.

 

Samstag, 13. Mai 2017, 15.00 Uhr

 „Cusanus-Saal“

66606 St. Wendel, Am Fruchtmarkt 11, unmittelbar neben der Basilika in der St. Wendeler Altstadt.

 

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Mit freundlichen Grüßen
 
Roland Geiger
 
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Roland Geiger
Historische Forschung
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Tel. 06851-3166
email rolgeiger(a)aol.com oder alsfassen(a)web.de
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[Regionalforum-Saar] 4. Saarländisches Burgensy mposion

Date: 2017/05/08 22:48:18
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

 Sehr geehrte Damen und Herren,

zum 4. Saarländischen Burgensymposion möchten wir Sie für Freitag, den 30. Juni, und Samstag, den 1. Juli 2017, nach Wadern einladen. Wir freuen uns darüber, daß wir zahlreiche Mitveranstalter und Sponsoren für diese wissenschaftliche Tagung gewinnen konnten, die neuere Forschungsergebnisse aus unterschiedlichen Fachdisziplinen der Burgenforschung (Archäologie, Bauforschung, Denkmalpflege und Geschichte) vor Fachleuten und einem interessierten Publikum vorstellen möchte.

Unsere Veranstaltung beginnt am Freitagnachmittag um 16.00 Uhr mit einer sachkundigen Führung über die Burgruine Dagstuhl. Im Anschluß daran besteht die Gelegenheit, ausgewählte Funde aus der Burg im Stadtmuseum zu betrachten. Das Symposion wird durch die Veranstalter um 19.00 Uhr im historischen Kinosaal der Lichtspiele Wadern eröffnet. Nach der Begrüßung folgt ein Vortrag zur ältesten erhaltenen Baurechnung der Burg Dagstuhl.

Am Samstagvormittag tragen sechs Referenten neue Erkenntnisse zur Burgenforschung im Saarland vor; dabei werden die Burgen Blieskastel, Dagstuhl, Illingen, Liebenburg, Lockweiler und Schwarzenberg und die Anlage auf dem Söterberg bei Schwarzenbach angesprochen.

Nach dem Mittagimbiß bildet die Vorstellung der Rekonstruktion einer mittelalterlichen Steinschleuder (in mittelhochdeutscher Sprache: blîde) den besonders anschaulichen Höhepunkt und Abschluß des diesjährigen Symposions. Über sieben Jahre hat eine Arbeitsgruppe des Gasthörervereins an diesem Projekt der experimentellen Archäologie gearbeitet. Im Unterschied zu zahlreichen anderen Rekonstruktionen in der Mittelalterszene handelt es sich dabei um den ältesten bekannten Typus eines zugkraftbetriebenen Einarmhebelgewerfs aus dem frühen und hohen Mittelalter, der aus China über Byzanz und die Kreuzzüge seinen Weg nach Europa fand. Zunächst werden Geschichte und Rekonstruktion der mittelalterlichen Wunderwaffe (griechisch: mánganon) im Rahmen von zwei Vorträgen erläutert, bevor Sie unsere Blîde auf einer nahe gelegenen Wiese im Wadrilltal (hinter der Stadthalle) in Funktion erleben können.

Wir bedanken uns für die Unterstützung durch unsere zahlreichen Mitveranstalter, die wir auf dem Plakat und im Programmfaltblatt aufgelistet haben.

Die Teilnahme am 4. Saarländischen Burgensymposion ist kostenlos. Wir bitten Sie aber herzlich um Ihre Anmeldung über die Internetseite www.burgensymposion.de, damit wir entsprechend disponieren können und weil nur 140 Sitzplätze im Saal zur Verfügung stehen. Über Ihr Interesse würden wir uns sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen

Hans-Joachim Kühn

 

P.S.: Auf besonderen Wunsch der Stadt Wadern möchten wir Sie darauf hinweisen, daß am Sonntag, den 2. Juli 2017, von 14 bis 18 Uhr auf Burg Dagstuhl ein Märchenfest für die ganze Familie stattfindet.

 

Die Gasthörer/innen

Kulturkreis an der Universität des Saarlandes e.V.

 

Universität des Saarlandes

Campus C 5 2, Raum 1.19

D-66123 Saarbrücken

 

Tel.: 0681/302-4620

E-Mail: info(a)gasthoerer-saar.de

Internet: http://www.gasthoerer-saar.de

 

Bankverbindung:

Sparkasse Saarbrücken

Konto Nr. 67058255, BLZ 590 501 01,

IBAN DE97 5905 0101 0067 0582 55, BIC SAKSDE55XXX

 

Vorsitzender:

Dr. Hans-Joachim Kühn

Kreuzstraße 26

D-66701 Düppenweiler

Tel.: 06832/801989

Mail: hans-joachim-kuehn(a)gmx.de

Mail: h.kuehn(a)mx.uni-saarland.de

Internet: www.hans-joachim-kuehn.de

 

 


4. Burgensymposion-Plakat.jpg

[Regionalforum-Saar] Führung Jüdischer Friedh of

Date: 2017/05/09 08:59:06
From: Hans-Joachim Hoffmann <hans-joachim-hoffmann(a)web.de>

Die versteinerte Lebensgeschichte der jüdischen Gemeinde Ottweiler
Erste Führung am Freitag, 12. Mai 2017, 19.00 Uhr

„Gräber sind Wege in die Vergangenheit.“ Mit dieser Feststellung eröffnet Leena Ruuskanen ihre Dokumentation über den Heidelberger Bergfriedhof („Der Heidelberger Bergfriedhof. Kulturgeschichte und Grabkultur. Ausgewählte Grabstätten“, Heidelberg 1992). Um diesen Weg in die historische Vergangenheit Ottweilers, insbesondere in die wortwörtliche Vergangenheit der jüdischen Gemeinde Ottweiler, mitzugehen, bieten Klaus Burr und Hans-Joachim Hoffmann interessierten Besuchern eine Führung über den jüdischen Friedhof Ottweiler an und freuten sich über ein reges Interesse.
Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts lassen sich in Ottweiler erste Ansiedlungen von Juden nachweisen. Aber erst mit der Eroberung unserer Region durch Napoleon begann eine verstärkte Ansiedlung jüdischer Familien, überwiegend aus den grenznahen Regionen Frankreichs sowie aus Illingen. Die Familien nutzten den von Frankreich angebotenen Erwerb ehemals fürstlichen und kirchlichen Besitzes im Zuge der Zwangsversteigerungen dieser sog. Nationalgüter in Trier, der Hauptstadt des Departement Sarre, um sich in Ottweiler niederzulassen, so dass schrittweise eine funktionierende jüdische Gemeinde mit Synagoge und Elementarschule entstand. Diese Entwicklung skizziert Klaus Burr zu Beginn der Führung.
Ausgehend von einem besonderen Grabmal, der Stele „Gebrochene Säule“, die zugleich als Symbol für das kurze Leben der jüdischen Gemeinde Ottweiler steht, beschreibt Hans-Joachim Hoffmann einzelne Grabmale in Verbindung mit der Biographie der in diesen Gräbern bestatteten Personen. „Denn mit den Namen, die wir auf den Grabsteinen lesen, steigen in uns Bilder aus der Erinnerung auf, aus denen Vergangenes lebendig wird.“ (Heidelberger Bergfriedhof, S. 9). Damit Bilder aus der Erinnerung an die jüdische Gemeinde Ottweilers auftauchen konnten, bedurfte es zeitaufwändiger Recherchen, denn in Ottweiler leben heute nur noch wenige Menschen, die im Ort noch deutschen Staatsbürgern jüdischen Glaubens begegnet sind. Einige wenige Ottweiler BürgerInnen konnten noch Erinnerungen an die Familien Barth, Gäßling 42, Cahn, Wilhelm-Heinrich-Str. 12 sowie die Familien Marx-Salomon, Tensch 25 und Salm, Martin-Lutherstraße und Enggass 5 mitteilen. Mitglieder dieser Familien verloren ihr Heimatrecht in Ottweiler und damit zugleich ihr Leben im Zuge der nationalsozialistischen Herrschaft, sofern sie nicht frühzeitig die Gefahr für Leib und Leben erkannten und auswanderten. Ihnen begegneten einige, heute hochbetagte Ottweiler BürgerInnen in ihrer Kindheit und Jugend; heute erinnern an diese Familien „Stolpersteine“, die in den letzten Jahren verlegt wurden.
An die großen und einflussreichen jüdischen Familien der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Albert, Buxbaum, Coblenz und Levy erinnern in Ottweiler nur noch die erhaltenen Grabsteine. Die Verdienste dieser Familien fielen der Vergessenheit anheim, vielleicht auch deshalb, weil viele Nachkommen in zweiter und dritter Generation Ottweiler wieder verließen, vielleicht auch, weil eine nationalistische Geschichtsschreibung sie schlichtweg ignorierte. Wäre der jüdische Friedhof Ottweilers in der NS-Zeit zerstört worden, hätte Hoffmann in „Lebenswege jüdischer Mitbürger“ die biographischen Skizzen zu den Familien Coblenz und Levy nicht verfassen können, in denen er die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Leistungen dieser Familien für die jüdische Gemeinde Ottweiler, für die Stadt Ottweiler und die jüdische Religionsgemeinschaft in Deutschland zumindest ansatzweise andeutete. Die Ergebnisse dieser Nachforschungen stießen bzw. stoßen auf reges überregionales Interesse: So steht Hoffmann gemeinsam mit dem weitläufigen Nachfahren der Familie Coblenz, Dr. Franꞔois Van Menxel, Münster, in regem Kontakt mit der Dehmelhaus-Stiftung in Hamburg sowie dem Arbeitskreis Jüdisches Bingen, der eine Publikation über die Verzweigung der Ottweiler Familie Coblenz mit den beiden Forschern plant. Auf die angesprochenen Familien wird Hoffmann bei dem Rundgang über den jüdischen Friedhof eingehen und dabei auch auf Inschriften und Symbole verweisen.
Zur Aufarbeitung der NS-Zeit und zur Erinnerung an die letzten jüdischen Bewohner Ottweilers verfasste Hans-Joachim Hoffmann die Dokumentation „Seid vorsichtig mit der Obrigkeit...!“ Beitrag zur Erinnerungskultur und Lokalgeschichte Ottweilers. Dieses 405 Seiten umfassende Buch (ISBN 978-3-946313-01-4) kann zum Preis von € 19.80 erworben werden bei:
Archäologie - Büro & Verlag - Glansdorp, Kantstraße 32, 66636 Tholey
Hans-Joachim Hoffmann, Adolf-Kolping-Weg 7, 66564 Ottweiler (06824-7990)
Sparkasse Neunkirchen, Filiale Wilhelm-Heinrich-Straße, 66564 Ottweiler
Presse-Shop Ottweiler, Inhaberin Hannelore Henn, Wilhelm-Heinrich-Straße 13, 66564 Ottweiler.

Die Führung über den jüdischen Friedhof Ottweiler erfolgt in Kooperation mit der KVHS Neunkirchen. Aus organisatorischen Gründen bat die KVHS um vorherige Anmeldung. Eine Teilnahme ist jedoch auch ohne Anmeldung bei der KVHS möglich.
Klaus Burr und Hans-Joachim Hoffmann sowie die KVHS freuen sich auf Ihren Besuch.
Termin: Freitag, 12.05.2017   
Uhrzeit: 19.00 Uhr
Treffpunkt: Aufgang zum Friedhof in der Straße Maria-Juchacz-Ring (ca. 80 m hinter der Abzweigung Karl-Marx-Straße) Dauer: ca. 1 ½ Stunde



[Regionalforum-Saar] Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum. Ein Handbuch

Date: 2017/05/17 00:51:08
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

From:    Thomas Wozniak <thomas.wozniak(a)uni-tuebingen.de>
Date:    17.05.2017
Subject: Rez. MA: T. Biller: Stadtbefestigungen
------------------------------------------------------------------------

Biller, Thomas: Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im
deutschsprachigen Raum. Ein Handbuch, 2 Bde.. Darmstadt: Philipp von
Zabern Verlag 2016. ISBN 9783805349758; 720 S.; EUR 99,95.

Inhaltsverzeichnis:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/beitraege/rezbuecher/toc_26424.pdf>

Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Thomas Wozniak, Seminar für mittelalterliche Geschichte, Eberhard Karls
Universität Tübingen 
E-Mail: <thomas.wozniak(a)uni-tuebingen.de>

Der Kunst- und Architekturhistoriker Thomas Biller hat in den
vergangenen Jahren einige grundlegende Bücher zum Burgen- und
Befestigungsbau publiziert.[1] Das aktuell vorgelegte Handbuch - ein vom
Verlag angefragtes Auftragswerk - beruht auf langjähriger Autopsie,
Sammlung und Forschung. Mit diesen beiden Bänden liegt nun erstmals eine
systematische und topographische Darstellung zu den Stadtbefestigungen
im mittelalterlichen deutschsprachigen Raum vor, der Österreich, die
Schweiz, ganz Tirol, das Elsass und das Deutschordensland Preußen mit
einschließt.

Während zu anderen architektonischen/bauhistorischen Forschungsbereichen
wie etwa Burgen oft und häufig bereits mehrere Vorläuferdarstellungen
vorliegen, betrat Thomas Biller bei der vergleichenden Aufarbeitung der
mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum völliges
Neuland. In anderen Regionen, wie Norditalien, gibt es hingegen
Gesamtdarstellungen zu den Stadtbefestigungen.[2] Im deutschsprachigen
Raum kommt erschwerend hinzu, dass "die Anzahl der unerforschten
Einzelfälle [...] bisher weit höher [ist] als die der erforschten" (S.
10). Nicht nur vor dieser Ausgangslage ist das vorliegende Handbuch als
Meilenstein der Forschung zu sehen, das ein Desiderat füllt, ist die
Stadtmauer doch ein grundlegender Bestandteil der Definition einer
mittelalterlichen Stadt.

Im ersten Band werden die Bauelemente der Stadtmauer systematisch
vorgestellt, auf eine Einleitung (S. 11-18) sowie Erläuterungen zu
Forschungsstand und Methodik (S. 19-31) folgt das umfangreiche Kapitel
"Die Entwicklung der Stadtbefestigung" (S. 32-327). Mit kurzen
Abschnitten zu "Organisation von Bau und Verteidigung" (S. 328-342)
sowie zur "Stadtmauer als Symbol" (S. 343-359) endet dieser Teil, der
272 Schwarz-Weiß-Abbildungen enthält. Um den systematischen Zugriff zu
gewährleisten, wird die Entwicklung der einzelnen Elemente von
Stadtbefestigungen chronologisch betrachtet. Auf die Vorbilder und
Vorstufen von Mauern folgen Betrachtungen zum Baumaterial Stein. "Die
Blütezeit der Stadtmauern im engeren technischen Sinne - das heißt der
Befestigungen aus Mörtelmauerwerk - lag im westlichen und mittleren
Deutschland im 13. und in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts", wobei
der Überlieferungszustand verhindert, die Zahl der spätstaufischen
Mauern genauer zu ermitteln (S. 348) Die Schwachpunkte der Hauptmauer
wurden mit Türmen verstärkt und an den Ein-/Ausgängen der Stadt Tortürme
errichtet. Diese Entwicklung lief über verschiedene Torformen und den
Torzwinger hin zum umlaufenden Zwinger. Selbstredend werden auch
Barbakanen und Rondelle im Detail vorgestellt (S. 281-308). Auch in der
Zeit der Feuerwaffen wurden die städtischen Befestigungsanlagen weiter
angepasst, wenn die finanziellen Mittel der Stadt, wie etwa in Nürnberg,
dies zuließen. Als die meisten Stadtmauern aber ihre Funktion
weitestgehend verloren hatten, wurden sie in großem Maßstab abgerissen,
um Platz für die Neustadtentwicklung des 19. Jahrhunderts zu machen.
Gleichwohl betont der Autor, im Verschwinden der Mauern keinen auf
wenige Jahrzehnte konzentrierten Prozess zu sehen, sondern ein
langwieriges Geschehen, das bereits im Mittelalter seinen Anfang nahm.
Als letzter systematischer Teil wird im ersten Band auch auf die
Landwehren und Warten im Vorfeld der städtischen Mauern kurz
eingegangen. Neben den überwiegend bauhistorisch, archäologisch und
kunsthistorisch orientierten Überlegungen nähert sich die Darstellung
auch den Fragen der Organisation und Finanzierung von Bau und
Verteidigung. Zu Recht verweist der Autor dafür auf stadtinterne Steuern
und Ungeld zur Finanzierung der Baumaßnahmen und externe Steuernachlässe
durch die Herrscher hin, wie etwa die bekannte staufische Steuerliste
von 1241 (S. 330f.). Er betont dabei den Umstand, dass die historische
Forschung zur städtischen Wehrhaftigkeit mehr als 70 Jahre alt ist (S.
337). Die prägnante Zusammenfassung der vorgestellten Erkenntnisse des
ersten Bandes (S. 347-359) eignet sich sehr gut für die universitäre
Lehre zu stadtgeschichtlichen Themen. Als ausgewiesener Burgenforscher
steht für Thomas Biller auch das Verhältnis zwischen dem ursprünglichen
Stadtherren und dem erstarkenden Bürgertum im Fokus, besonders
hinsichtlich der Befestigungsanlagen, welche die Stadt gegen die Burg
errichtete. Besonders eindrucksvoll wird dies am Beispiel des 50 Meter
hohen Rundturms "Mehlsack" in Ravensburg deutlich, der am Burgberghang
errichtet wurde und es ermöglichte, in die auf dem Gipfel liegende Burg
hineinzusehen (S. 248f.). Hinsichtlich der Frage von "Wehrkirchen"
betont der Autor, dass es dabei weniger um eine Verstärkung
fortifikatorischer oder geistlicher Wehrhaftigkeit ging, als vielmehr um
die Bewältigung von Platzmangel innerhalb der Stadt (S. 253).

Im zweiten Band werden die Stadtbefestigungen nach ihrer topographischen
Lage in 29 Regionen unterteilt vorgestellt (S. 6-291). Mit einem
ausführlichen Verzeichnis der Literatur (S. 292-328), einem hilfreichen
Glossar (329-335) und einem Orts- und Namenregister (S. 338-360) endet
dieser Band, der mit 529 Schwarz-Weiß-Abbildungen sehr reich bebildert
ist. Gerade in den Bildunterschriften finden sich häufig noch wichtige
Detailinformationen, wie etwa zum "Teufelsturm" in Goslar mit seiner
schwer fotografierbaren, aber überregional wichtigen Inschrift von 1280
(S. 168, Abb. 432). Der Zugriff auf die verwendete Forschungsliteratur
ist vorbildlich, auch wenn Regional- oder Landeshistoriker sicher das
eine oder andere Werk vermissen werden. In der Summe ermöglicht
besonders der zweite Band einen flächendeckenden Zugriff auf die weit
verstreuten Werke und ist dadurch ein sehr nützliches Hilfsmittel für
jegliche künftige Forschung in diesem Bereich. Gerade durch die breite
und vergleichende Herangehensweise werden viele Befunde klarer
analysiert als durch die bisherige regional orientierte punktuelle
Auswertung. Der Großteil der Abbildungen stammt vom Autor und zeigt die
rezenten Formen, es gibt aber auch immer wieder sehr beeindruckende
historische Aufnahmen, von denen die Abbildung des im Zweiten Weltkrieg
zerstörten "Krantores" in Danzig/Gdansk (S. 289, Abb. 527) sicher
heraushebenswert ist.

Fazit: Die beiden von Thomas Biller in jahrzehntelanger Arbeit
erstellten umfangreichen Bände sind wegweisend für die Forschung zu
mitteleuropäischen Stadtbefestigungen in Mittelalter und Frühneuzeit. In
dieser kompakten Form waren bisher weder die Typen oder die Kategorien
noch die dahinterstehenden Prozesse zusammengefasst worden, auch gab es
bisher keinen so übersichtlichen systematischen Zugriff auf die
Ergebnisse der bisherigen Forschung. Gerade die Autopsie der über 2000
Befestigungsanlagen durch den Autor und der Abgleich mit dem bisherigen
Forschungsstand ergeben ein monumentales Standardwerk, dessen Umfang
eigentlich eine ganze Forschergruppe hätte leisten müssen. Das Werk wird
sicherlich auf lange Zeit unterschiedlichste Impulse für die weitere
Erforschung mittelalterlicher Befestigungen geben.

Anmerkungen:
[1] Thomas Biller / Daniel Burger / Timm Radt, Montfort und der frühe
Burgenbau des Deutschen Ordens, Petersberg 2015; Thomas Biller,
Templerburgen, Darmstadt 2014; Thomas Biller / Daniel Burger / G. Ulrich
Großmann (Hrsg.), Der Crac des Chevaliers. Die Baugeschichte einer
Ordensburg der Kreuzfahrerzeit, Regensburg 2006.
[2] Gianni M. Perbellini / Flavio Rodeghiero (Hrsg.), Città murate del
Veneto. Scacchieri fortificati medievali. Un sistema-regione,
Sommacampagna 2011; Sante Bortolami (Hrsg.), Città murate del Veneto,
Cinisello Balsamo 1988.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Lioba Geis <lioba.geis(a)uni-koeln.de>

URL zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2017-2-105>

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[Regionalforum-Saar] zum Vortrag über die Auswande rungen

Date: 2017/05/18 22:09:29
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

heute in der SZ, St. Wendeler Teil:

Auf der Suche nach besserem Leben

Einen spannenden Vortrag über die historischen Wanderbewegungen im St. Wendeler Land hielt Roland Geiger in Oberthal.

[verfaßt von Lukas Kowol]

Oberthal (red) „Planet der Nomaden“ – so überschrieb der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel einen Aufsatz, der überarbeitet 2006 als Buch veröffentlicht wurde. Darin bezeichnet er Migration, also die „freiwillige oder erzwungene Ortsveränderung“, als Massenphänomen, als eine Konstante der Geschichte. Der Mensch war immer in Bewegung, zu allen Zeiten, überall. Somit auch im St. Wendeler Land. Insbesondere in der Neuzeit. Daher nahm Roland Geiger eben diese neuzeitliche Migration in der Region in einem Vortrag genauer unter die Lupe. Dies war der vierte Teil einer Vortragsreihe, die sich mit den Entwicklungen der vergangenen 500 Jahre im St. Wendeler Land beschäftigt.

„Migration, Wanderungsbewegungen – das ist ein umfangreiches Thema, daher beschränke ich mich vor allem auf das 18. und 19. Jahrhundert, auf Auswanderungen in das europäische Ausland und nach Übersee“, eröffnete Geiger seinen Vortrag vor mehr als 60 Zuhörern im Oberthaler Rathaus.

Migration – das sind vor allem Einzelschicksale, das sind Geschichten vom Erfolg und vom Scheitern, von Mühe und Not, von Auf- und Abstieg. Wie etwa bei Carl Nikolaus Riotte, 1814 in St. Wendel geboren, Jurist, Vorstandsmitglied einer Eisenbahnlinie in Elberfeld, der nach 1848 in Amerika eine neue Heimat fand. Dort, unter Abraham Lincoln, Botschafter in Costa Rica wurde, 1873 nach Europa zurückkehrte, 1887 in der Schweiz starb.

Oder bei den Auswanderern aus St. Wendel, aus Oberlinx-, Ur- und Baltersweiler, aus Alsweiler und Tholey, die sich seit 1830 in der Nähe von Dansville, im Bundesstaat New York, niederließen. Geiger: „Eine Cholera-Epidemie löschte die kleine Siedlung fast ganz aus, die Überlebenden zogen in einen kleinen Ort namens Perkinsville. Bis kurz nach 1900 wurde dort fast ausschließlich Deutsch gesprochen.“ 1896 wandte sich Alois Huber, Pfarrer der katholischen Pfarrei in Perkinsville, an den Trierer Bischof. Sein Wunsch: ein Partikel der Wendalinus-Reliquie aus St. Wendel. Der Wunsch wurde gewährt. Das Stückchen der Reliquie wird bis heute in Perkinsville aufbewahrt.

Menschen aus der Region zogen jedoch nicht nur nach Westen, über den großen Teich, sondern auch nach Osten, etwa nach Russisch-Polen. „Damit ist nicht das heutige Polen gemeint, sondern das Gebiet östlich der Weichsel. Es war mit dem russischen Zarenreich unioniert und wurde von diesem verwaltet“, erläuterte Geiger. Schon 1816 machten sich mehr als 87 Familien aus 21 Orten der Region auf den Weg dorthin, auf der Suche nach einem besseren Leben. Nicht alle erreichten aber das Ziel. Jacob Schubmehl aus Urweiler kam etwa nur bis nach Frankfurt, dann „habe ihm vor der Reise gegraut“, wie er angab. Geiger: „Ich schätze, dass gut zwei Drittel der Reisenden umkehrten.“ Auch, weil sie auf ihrem Wege auf andere Migranten trafen, die von schlechten Erfahrungen in Russisch-Polen berichteten.

Jene, die aus der Region nach Russisch-Polen auswandern wollten, mussten dies bei der Regierung beantragen. Diese hatte wenig Interesse daran, Untertanen zu verlieren. In St. Wendel war Oberbürgermeister Carl Cetto für die Abwicklung der Anträge zuständig. Er hatte keine allzu hohe Meinung von jenen, die die Anträge stellten. Über Johann Heinz aus Urweiler vermerkte er etwa: „Ein Säufer und nachläsiger Mensch, der mit mehr Fleis und Ordnungsliebe sich sehr gut hätte ernähren können.“ Ein weiterer sei „von jeher ein Brandweintrinker“, ein dritter „sehr entbehrlich“. Und bei Johann Gregorius, ebenfalls aus Urweiler, fiel Cetto ein: „Bey seinem Abgang kann die hiesige Gegend nur gewinnen und die russische Regierung blos verlieren.“

Soweit also Carl Cetto, der übrigens selbst einen Migrationshintergrund hatte: Seine Vorfahren kamen um 1700 aus Oberitalien nach St. Wendel. Und stiegen zu einer angesehenen, mächtigen Familie in der Stadt auf. Ein weiterer Migrant, jedoch nicht aus Italien, sondern aus Zweibrücken, wurde 1828 offiziell Bürger der Stadt. Sein Name: Franz Bruch. Seit 1820 arbeitete er im Geschäft der Familie Cetto, machte sich dann selbstständig und legte den Grundstein zu einem Unternehmen, das mittlerweile auch in Russland oder Tschechien Supermärkte betreibt.

Planet der Nomaden. Einwanderer, Auswanderer. Migranten. Auch sie schreiben Geschichte und Geschichten. Einige haben Erfolg, einige scheitern. Sie „sind die Düne, die getrieben wird, aber auch der Wind, der vorantreibt“, wie der Historiker Schlögel anmerkt.

Der nächste Vortrag der Reihe: Dienstag, 23. Mai, 19 Uhr, Mia-Münster-Haus St. Wendel: „Das lange 19. Jahrhundert. Napoleon, Wiener Kongress und seine politischen Folgen.


[Regionalforum-Saar] Tagber: Die Person im Mittelalter

Date: 2017/05/18 22:13:02
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte
14.03.2017-17.03.2017, Konstanz

Bericht von:
Pierre Monnet, IFRA (Institut franco-allemand en sciences historiques et
sociales)
E-Mail: <monnetpierre(a)gmail.com>

Das diesjährige Treffen des Konstanzer Arbeitskreises für
mittelalterliche Geschichte thematisierte "die Person im Mittelalter:
Formen, Zeichen, Prozesse". Die Präsidentin des Konstanzer
Arbeitskreises, CLAUDIA ZEY (Zürich), eröffnete das Treffen mit einer
Begrüßung der etwa 70 Teilnehmer/innen. Dem Organisator des Treffens
Pierre Monnet (Frankfurt am Main/Paris) dankte sie, nicht zuletzt dafür,
durch die Einladung mehrerer französischer Teilnehmer der Veranstaltung
einen binationalen Charakter verliehen zu haben.

PIERRE MONNET eröffnete das Treffen, indem er in seiner Einleitung
darauf hinwies, dass im Unterschied zu anderen, leichter fassbaren
Themen wie einer Institution, einer Region, einer Herrschaft, einem
politischen oder wirtschaftlichen Phänomen das gewählte Thema der Person
einen gewissen Nachteil mit sich bringe: Welche Chronologie, welche
Konzepte, welche Quellen solle man heranziehen, um über einen
augenscheinlich so verbreiteten und schwammigen Begriff zu sprechen?
Titel- und Themenwahl für das Kolloquium ließen sich bereits dadurch
rechtfertigen, dass persona ein Wort des Mittelalters sei, das ebenso
sehr im Recht wie auch in Theologie und Philosophie vorkomme. Die
Beibehaltung dieses Begriffs erlaube es, Reflexionen über den
Definitionsprozess und die Konstitution der einzelnen Person
anzustellen, ohne auf das sehr viel modernere und teleologische Konzept
des Individuums oder des Subjekts rekurrieren zu müssen. Aus diesen zwei
Feststellungen resultiere ein konsistenter Ansatz für das Kolloquium,
indem danach zu fragen sei, wie erstens im Mittelalter die Person
verstanden worden sei (als Bild Gottes, als ein aus Seele und Körper
zusammengesetztes Ganzes, als eine Dualität ohne Dualismus, was helfe,
das soziale Ganze zu denken) und zweitens welches der Platz der und für
die Person in einer mittelalterlichen Gesellschaft der ecclesia sei, die
durch Gruppen, Statuten und Stände strukturiert werde. Dieser Ansatz
umfasse somit die verschiedenen Zugänge, die durch das Programm
abgedeckt werden: Philosophie, Kunstgeschichte, Rechtsgeschichte,
Linguistik und Semantik, Religionsgeschichte, Theologie, Anthropologie.
Er lasse sich aber auch auf die versammelten Quellen anwenden:
Testamente, Ablässe, Altarbilder, Stiftungen, autobiographische
Zeugnisse, Visitationsprotokolle, Memorialbücher, Traktate aus Recht,
Theologie oder Rhetorik, Gräber, Familienbücher usw. Er zeige an, wie
viel früher durch die Konzeptualisierung des Personenbegriffs die
Soziologen vor den Historikern neue Wege erschlossen hätten, indem sie
vom Individuationsprozess, von Regimes und Artikulationsmodi zwischen
Individuum und Gesellschaft, die gleichzeitig zwischen und in den
Akteuren zum Ausdruck kämen, zu sprechen begonnen hätten. Dieser Ansatz
unterstreiche zudem - ohne alles in eine ganze Fortschritt- und
Kontinuitätschronologie hin zur Moderne zu gießen, wie es im 12. und 13.
Jahrhundert zu einem Kristallisations-"moment" gekommen sei, an dem
Zeichen und Worte der Person als einzelner Einheit entwickelt worden
seien (also in der Zeit der Scholastik, des Nominalismus, der sozialen
Strukturierung der Stadt, der Universitäten, der auferlegten Beichte und
des Todes des Ich). Monnet schloss mit der Feststellung, dass die
meisten Beiträge das lange Spätmittelalter (1200-1500) als
Beobachtungsraum gewählt haben.

Der Tradition gemäß wurde das Treffen mit einen Abendvortrag eröffnet,
den JEAN-CLAUDE SCHMITT (Paris) zum Thema "Über den
Individuationsprozess im späten Mittelalter" hielt. In einer sehr
methodologisch ausgerichteten Einleitung unterschied Schmitt zwischen
dem anthropologischen Personenbegriff, dem reflexiven Subjektbegriff und
dem soziologischen Individuumbegriff. Diese drei
Beschreibungsmöglichkeiten für ein handelndes Einzelnes seien jedenfalls
ausgesprochen historisch, sodass man in seinem Sinne für das Mittelalter
von einem Individuationsprozess sprechen sollte. Dies werde auf der
Konferenz sichtbar durch die neuen Frömmigkeitsformen ab dem 14.
Jahrhundert (und der durch die Pest verursachten Krise), durch eine neue
Art, seinem eigenen Tod entgegenzusehen, durch eine kommemorative Wende,
die die Feier des Geburtstages neben die des Todestages aufkommen lasse,
in Verbindung mit einer erneuerten Art, sich in seiner Familie
wahrzunehmen und die Person an eine persönliche Astrologie zu
verknüpfen.

Im Beitrag "Person Gottes, Person des Gläubigen, Person der Kirche: Eine
Personengesellschaft im Mittelalter?" diskutierte DOMINIQUE IOGNA-PRAT
(Paris) die Konzeption, die sich die christliche und kirchliche
Gesellschaft von der Person (persona, per se una) machte und zwar als
dreifaches Erbe eines theologischen, trinitarischen Konzepts (Drei in
Eins, was übrigens mit dem mittelalterlichen lateinischen Begriff
individuum ausgedrückt werden sollte), eines juristischen Konzepts und
eines soziologischen oder gesellschaftlichen Konzepts der Person im
Mittelalter. Die vorgetragene Reflexion ging im Wesentlichen der Frage
nach, wie es dem christlichen Denken des Mittelalters gelungen sei, die
drei Bedeutungen in ein System zu bringen und damit zu einem wahrhaftig
mittelalterlichen Personalismus zu gelangen, wonach in jedem Seele und
Körper gesellschaftsbildend wirken, während jede so konstituierte Person
die Gesellschaft innerhalb der Kirche bildete, die sich selbst in der
Figur der societas und der civitas als Person denke (im institutionellen
wie auch dogmatischen Sinne).

Anschließend untersuchte FRANZ-JOSEPH ARLINGHAUS (Bielefeld) in seinem
Beitrag mit dem Titel "Ganz selbstbewusst und dennoch ganz anders.
Überlegungen zum Verhältnis von mittelalterlicher und moderner
Individualität am Beispiel deutscher und italienischer Familienbücher"
die persönliche Dimension und die individuelle Freiheit in den in
Familienbüchern festgehaltenen Notizen. Hierfür führte er die
Unterscheidung nach einer Individualität der Inklusion (eher zum Ende
des Mittelalters anzutreffen) und einer Individualität der Exklusion
ein, in der sich Person und Gesellschaft gegenüberstünden und die schon
mehr der Moderne zugewendet sei. Beide Formen gehörten jedoch zu einem
Prozess der "heterologen Subjektivität", die die persönliche und
autobiographische Dimension nicht nur durch die Spuren des "Ich",
sondern auch in der Art festmacht, wie das "Ich" andere beschreibt. Das
"Ich", das sich in den italienischen Familienbüchern wie denen eines
Gaspara da Sala oder eines Ugolino di Niccolo Martelli ausdrücke,
vermische verschiedene Elemente: so das familiäre Umfeld, Konversion,
ökonomischer Aufstieg, Buchführung etc. Es ende in einer Beschreibung
seiner selbst, deren Modalitäten Buch für Buch miteinander verglichen
werden müssten und bei denen vielmehr der jeweilige Kontext als eine
erstarrte, ideale Definition der Person zu berücksichtigen sei, der sich
jede Schrift entweder annähere oder sich von ihre entferne. In diesem
Sinne sei der erste Schritt des Sich-Einschreibens einer Person in die
Gesellschaft ihr eigener Text.

JOSEPH MORSEL (Paris) beschäftigte sich in seinem Beitrag "Der Pfarrer
und seine Schafe, omnes et singulatim. Beobachtungen zum
Pastoralverhältnis anhand von Visitationen im spätmittelalterlichen
Reich" modellhaft mit drei Visitationsprotokollen aus Süddeutschland von
1380, 1450 und 1480. An diese richtete er die Frage, inwiefern die
singularitas als Eigenschaft ein Element zur ontologischen Definition
der Person nach der pastoralen Reform des 13. Jahrhunderts konstituiert
habe. Die Beichte (IV. Laterankonzil) habe das Kollektiv mit dem
Einzelnen, die pastorale Macht und die Gemeinschaft der Gläubigen in
Bezug zueinander gesetzt; so habe sie die Idee der Person in einem
Verpflichtungssystem und in der Unterscheidung zwischen der klerikalen
und der laikalen Person verankert, anders gesagt inmitten einer
spezifischen sozialen Ordnung, der Gemeinde, die durch die Dynamik der
Gemeinschaft (communiter, omnes) und der Person des Gemeindemitglieds
(singulatim) animiert worden sei. Zwei Typen von Beziehung
charakterisierten demnach die Person in der parochialen Struktur, wie
sie durch die Visitationsprotokolle sichtbar werde: die Vertretung
(persona qua Amt) seitens des Pfarrers und die Verpflichtung seitens des
Parrochianers, dessen singularitas in Hinblick auf seine religiösen
Verpflichtungen Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit sei (Taufe,
Beiche, Fegefeuer ... ego te baptiso, ego te absolvo). Insofern werde
die Gemeinde, wie sie in der Kontrolle der Visitationen sichtbar wird,
zu einem Rahmen der Gouvernementalität, wonach die Definition einer
Person Verkörperung, Anwesenheit und Repräsentation vereine.

Auf eine andere Weise näherte sich KARL-HEINZ SPIESS (Greifswald) der
Frage der Person. In seinem Beitrag "Manifestation der Person am
Beispiel von Tod, Bestattung und Grabmonumenten von Fürsten im
Mittelalter" beschäftigte er sich mit der Inszenierung und der
Kommemoration des eigenen Todes. Wenngleich der Untersuchungsgegenstand
Bestattungen und Gräber von Fürsten waren, so führte doch deren Analyse
zu Überlegungen, die die gesamte Gesellschaft betreffen: Verbreitung der
Beichte seit dem IV. Laterankonzil und somit eine Form persönlicher
Verantwortung und Verinnerlichung der Sünde; die Erwartung des Jüngsten
Gerichts und besonders ein erstes Richten über den Einzelnen im
Fegefeuer (und nicht das Kollektiv); die Verbindung von Markern, die den
Toten identifizieren (Name, Datum, Abzeichen und Porträts für die
Fürsten); Formalisierung der Ratschläge für ein gutes Sterben nach der
ars moriendi-Literatur. Im Falle der Fürsten und der Affirmation ihrer
Person durch und über den Tod hinaus sei es nicht die
Begräbniszeremonie, auf die sich die Aufmerksamkeit konzentriere. Es sei
auch nicht das Begängnis, das eher dem Nachfolger obliege. Vielmehr
stehe die Memoria des Toten selbst im Mittelpunkt, und beinhalte
beispielsweise das monumentale, sichtbare Dekor seines Grabes in der
Kirche nahe des Altars (in Kirchen mit Familiengrablege oder in
Ordenskirchen), die Stiftung von Messen, Versorgung von Armen,
Begleichung der Schulden und mehr.

Während die Beiträge von Dominique Iogna-Prat, Joseph Morsel und
Karl-Heinz Spiess jeder auf seine Weise den Personenbegriff am
christlichen Subjekt untersuchten, konnte SABINE SMOLINSKY (Erfurt) im
ersten Beitrag am 16. März an Themen anknüpfen, die bereits von
Franz-Joseph Arlinghaus angesprochen worden waren: die Formalisierung
der Repräsentation der Person durch sich selbst, insbesondere in
Zeugnissen des Ich. In "Vom Selbstzeugnis zur persona: Praktiken der
Formierung einer eigenen Person" wurden Kulturpraktiken untersucht,
verstanden als lauter Performances des Ich. Der Brief könne hierfür ein
Beispiel sein, der - abgesehen davon, dass er die Hand- und die
Unterschrift seines Verfassers zeige, solange es sich um den Autographen
handele - auf gewisse Weise eine doppelte Einzelperson installiere, den
Verfasser und seinen Adressaten, selbst wenn der mittelalterliche Brief
nicht mit dem modernen Brief verglichen werden könne. Die Frage stelle
sich jedoch insbesondere dann, wenn ein Ensemble aus aufbewahrten
Briefen durch Sammlung und Ausgestaltung in eine Art persönliche oder
Familienerzählung münde. Dann falle es schwer, den fiktiven und
Konstruktionscharakter zu bestimmen, wie es das Beispiel der
Korrespondenz eines Goldschmieds aus Goslar zwischen 1523 und 1551
zeige. Andere Hilfen bei der Einschreibung seiner Selbst in einen Text
als intellektueller und technischer Operation wurden anschließend
vorgestellt: So wie Wilhelm von Tyrus einen persönlichen Bericht in
seine Historia Hierosolymita einfügte bis zu Ulman Stromer und dessen
Überarbeitungen seines Büchlein oder die Deklaration einer weiblichen
Person durch Christine de Pizan. Diese stellen die Frage nach den
Beziehungen zwischen Autor und Person.

Ein weiteres essentielles Element der Person - nach seiner Seele, seinem
Körper, seiner Selbstinszenierung - stellt die Sprache(n) dar, die die
Person verwendet, schreibt oder spricht. Diesem Ensemble im
Gesamtprozess widmete sich BENOIT GRÉVIN (Paris) in seinem Beitrag. Der
Titel "Gruppendynamik, Individuationsprozess und Sprachauswahl im Hoch-
und Spätmittelalter" zeigt an, dass es sich zunächst darum handelte, die
Sprach- und Stilwahl mittelalterlicher Menschen zu dekonstruieren, die
lange Zeit gefangen war in einem mal soziolinguistischen, dann wiederum
literarischen Ansatz, wo die erstarrten Interpretationen Latein oder
Kanzleiformeln zu einem Vehikel einer stärker "unpersönlichen" und
"archaischen" Sprache und das Vernakulare zu etwas Modernerem und
Persönlicherem gemacht hätten. Bei weiterem Nachdenken sei aber im
Gegenteil auf die Möglichkeit des sprachlichen und stilistischen
Mischens zu verweisen, die der Person unter gewissen Umständen eine
Bandbreite eigener Entscheidungen gelassen habe. Der Beitrag verwies
zudem auf die Beziehungen zwischen Sprache und Individualität,
insbesondere durch die Wahlmöglichkeiten und die Freiheit, die die
verschiedenen und erfinderischen Formalisierungen erlauben, wie sie nur
die ars dictaminis habe hervorbringen können, oder durch die
Untersuchung von Devianzen, Neologismen und Transgressionen in Bezug auf
vermeintliche sprachliche oder stilistische Normen. Die sprachlichen
Entscheidungen, in denen sich eine Kombination von persönlichen Optionen
und sozialen Rollen spiegele, machten also die Person auch aus und zwar
ebenso sehr in der Suche nach Originalität wie auch nach Konformität
oder sogar Anonymität.

Der seit langem erwartete, weil für das Verständnis der Person im
Mittelalter fundamentale rechtshistorische Ansatz wurde von PETER
SCHUSTER (Bielefeld) in dessen Beitrag "Person im Recht, Person und
Recht im Mittelalter" präsentiert. Für diese Perspektive wurde nicht das
Privatrecht der Person, sondern das Strafrecht gewählt, wodurch schnell
die Frage nach den Verbindungen zwischen der Natur des Verbrechens und
dem Status der Person aufkam, die das Verbrechen begangen hatte. Wenn
das mittelalterliche Recht aufbauend auf dem Römischen Recht die
Begriffe der Verdachtsperson und der angeklagten Person kannte, so
resultierten diese Konzeptionen aus langen Debatten, die durch die
Theologie und Philosophie formuliert worden seien. Im Verfahren selbst
habe sich die Frage gestellt, wie der Richter die Person verstanden habe
(berücksichtigend, dass die mittelalterliche Justiz vor allem eine
Justiz des Richters gewesen ist): eine Person im Rechtssinne zwar, aber
auch ein schuldiges Individuum. Jedoch sagten die Geständnisprotokolle,
über die man für das Ende des Mittelalters verfügt, mehr über die
Motivation des Verbrechens als über die Persönlichkeit ihres Urhebers.
Man erfahre mehr z.B. durch die Seelsorger, die mit dem Schuldigen oder
Verurteilten konfrontiert waren, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob
einem zum Tode Verurteilten die Eucharistie gewährt werden könne und
unter welchen Umständen, wenn ein Geständnis und Reue vorläge. Denn
Todesstrafe sei auch eine religiöse Zeremonie, die die Verfehlung mit
ihrer Vergebung verbinde.

Nachdem schon mehrere mittelalterliche "Orte" des Ausdrucks und der
Repräsentation einer Person in den vorangegangenen Beiträgen behandelt
worden waren, wie Kirche, Grab, Kapelle, Gemeinde, Gericht, Kanzlei,
Kontor, schriftliche und mündlichen Sprachhandlungen, Kleidung,
Geständnisse, Bilder, Denkmäler, Namen, Daten usw., fügte GABRIELA
SIGNORI (Konstanz) einen weiteren Bereich hinzu: den Konvent. Im Vortrag
"Memoria im Frauenkloster: Gesellschaft, Gemeinschaft und das
Individuum" wählte sie einen mikrohistorischen Ansatz, um die Praktiken
der Zugehörigkeit der Person in einer geschlossenen und aus der Sicht
der Person scheinbar glatten und homogenen Welt zu entziffern, in der es
weder am Tage noch in der Nacht möglich gewesen sei, der Gruppe zu
entkommen. Wenn man nun aufhöre, das Individuum der Gruppe
gegenüberzustellen und wenn man sich für die Art und Weise interessiere,
wie ihre Beziehungen zueinander Person und Gruppe selbst erhellen, dann
scheine es, dass die Praktiken und die Strukturierungen von spiritueller
Verwandtschaft, wie sie der Welt des Konvents zu eigen seien, sich dazu
anböten, die Persönlichkeit von Mönchen und Nonnen aufzudecken. Als
Beispiele wurden Zisterzienserinnenklöster aus dem 14. Jahrhundert
herangezogen (Helfta, Heiligkreuztal und Tänikon, zwischen Thüringen,
Schwaben und Thurgau), genauer die Kommemoration der Toten durch
Stiftungen, Leibgeding und die Jahrzeitbücher, die Identitäten, Namen,
Intentionen, einen individualisierten Loskauf von den Sünden und eine
Organisation der künftigen Memoria nach dem Tode erkennen ließen, die
etwas über den Stifter als Person aussagen.

Als Ersatzreferent bot MARTIN BAUCH (Leipzig) einen Vortrag zu "Ego
Karolus? Individuum, Rolle und habituelle Bindung in der
(Selbst-)Darstellung Kaiser Karls IV." Darin reflektierte er anhand der
Vita und der (Selbst-)Porträts Karls IV. von Böhmen über dessen Art
einer besonderen Anordnung und Denkens der Person, aber auch eines
königlichen Individuums und die verschiedenen Rollen, die seine
Funktionen und Kronen von ihm zu übernehmen eingefordert hätten
(Priesterkönig, magischer bzw. einer der drei heiligen Könige, weiser
König, Friedenskönig, väterlicher König, Kaiser ...). Anstelle sich
gegenseitig auszuschließen, ließen sich diese Elemente je nach Kontext
und Intention des Königs kombinieren. Die dahinterstehende Logik könne
gerade die sehr große Individualität des Souveräns aufzeigen.

In seiner Zusammenfassung erinnerte KLAUS VAN EICKELS (Bamberg) daran,
wie zumindest in Deutschland der Personenbegriff historisch belastet
sei, indem er auf das Konzept des Personenverbandstaates von Theodor
Mayer verwies. Van Eickels unterstrich in der Rückschau auf die
Vorträge, dass es im Mittelalter keine spezifischen Quellen gäbe, die
mit der Person verbunden wären, was den Historiker dazu bringe, mehrere
Herangehensweisen zu nutzen (durch das Recht, die Theologie, die
Sprache, die Philosophie etc.), um die Kontexte des Auftretens, die
Definition und die Bezeichnung der Person zu situieren und zu erklären,
und aufmerksam gegenüber den Selbstkonstruktionen der Personen in Bezug
auf soziale Gruppen zu werden. Van Eickels wies zum Schluss auf eine
Lücke hin, die die juristische Idee der persona mit ihren Rechten und
Pflichten betreffe (Ehe, Volljährigkeit, Vormundschaft, Erbe, Testament
etc.). Die abschließende Diskussion griff diese Schlussbemerkungen auf
und insistierte auf dem Prozess des Aufkommens der Person im Mittelalter
wie auch auf der Notwendigkeit, die Vorstellungen von Person und
Gewissen gut zu artikulieren, weiterhin die Person mit Rollen und
sozialen und kulturellen Masken zu verbinden, die diese annehmen oder
die ihr zugeschrieben werden konnten. Schließlich führte die Diskussion
über die Thematik hinaus zur weitaus größeren Frage, mit welchen Mitteln
und mit welchen Motivationen die abendländische, lateinische
Christenheit so viel Zeit darauf aufgewendet habe, das Selbst zu
definieren.

Konferenzübersicht:

Pierre Monnet (Frankfurt am Main/Paris)
Einführung in das Tagungsthema

Jean-Claude Schmitt (Paris)
Weltanschauung und Personenbeschreibung: Name, Porträt und Karte im
Spätmittelalter

Dominique Iogna-Prat (Paris)
Person von Gott, Person des Gläubigen, Person der Kirche

Franz-Josef Arlinghaus (Bielefeld)
Ganz selbstbewusst und dennoch ganz anders: Überlegungen zum Verhältnis
von mittelalterlicher und moderner Individualität am Beispiel deutscher
und italienischer Familienbücher

Joseph Morsel (Paris)
Der Pfarrer und seine Schafe, omnes et singulatim. Beobachtungen zum
Pastoralverhältnis anhand von Visitationen im spätmittelalterlichen
Reich

Karl-Heinz Spieß (Greifswald)
Manifestation der Person am Beispiel von Tod, Bestattung und
Grabmonumenten von Fürsten im Mittelalter

Sabine Schmolinsky (Erfurt)
Vom Selbstzeugnis zur persona: Praktiken der Formierung einer eigenen
Person

Benoît Grévin (Paris)
Gruppendynamik, Individuationsprozess und Sprachauswahl im Hoch- und
Spätmittelalter

Peter Schuster (Bielefeld)
Person im Recht, Person und Recht im Mittelalter

Gabriela Signori (Konstanz)
Memoria im Frauenkloster: Gesellschaft, Gemeinschaft und das Individuum

Klaus van Eickels (Bamberg)
Zusammenfassung

[Regionalforum-Saar] Der Deutsche Flottenverein 1898-1934

Date: 2017/05/29 10:06:27
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Diziol, Sebastian: Deutsche, werdet Mitglieder des Vaterlandes! Der
Deutsche Flottenverein 1898-1934. 2 Bde.. Kiel: Solivagus-Verlag 2015.
ISBN 978-3-9817079-0-8; 857 S.; EUR 97,00.

Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Heiko Herold, Hamburg
E-Mail: <Heiko_Herold(a)gmx.de>

Seit Jahrzehnten konzentriert sich die historische Forschung zur
Kaiserlichen Marine auf den Schlachtflottenbau ab Ende der 1890er-Jahre
sowie dessen Ursachen und Folgen, während andere Aspekte, wie
beispielsweise die Einsätze deutscher Kriegsschiffe in Übersee, trotz
oftmals guter Quellenlage, wenig Beachtung finden. Auch die
hervorragende Studie von Sebastian Diziol über den Deutschen
Flottenverein (DFV) steht in diesem Kontext, denn der DFV war letztlich
ein von der Reichsleitung geschaffenes Instrument, um die bürgerlichen
Massen für die Kaiserliche Marine und den Bau einer großen deutschen
Schlachtflotte zu begeistern. Und das mit Erfolg: Immerhin entwickelte
sich der DFV von seiner Gründung im April 1898 bis zum Beginn des Ersten
Weltkriegs im August 1914 zum "mitgliederstärkste[n] nationale[n]
Propagandaverein des wilhelminischen Kaiserreichs" (S. 24).

Diziol ist nicht der erste Historiker, der sich der Geschichte des DFV
widmet [1], aber er ist der erste, der sie von den Anfängen bis zur
erzwungenen Selbstauflösung des Vereins 1934 und aus einer primär
kulturhistorischen Perspektive analysiert. Seine Studie ist als
Dissertation an der Historischen Fakultät der Universität Hamburg
entstanden. Diziols Betreuer, Rainer Hering, würdigt die Leistung seines
Doktoranden in einem Vorwort, in dem er hervorhebt, "dass seine Studie
weit über eine reine Organisationsgeschichte hinausgeht, vielmehr die
mentalen Rahmenbedingungen der Flottenrüstung klar herausarbeitet" (S.
12). Wenige Monate vor der Veröffentlichung wurde Diziols Dissertation
zudem von der Stiftung zur Förderung von Schifffahrts- und
Marinegeschichte als "erste umfassende, quellennahe Analyse des
Deutschen Flottenvereins von 1898 bis 1934" [2] prämiert.

Die Studie ist chronologisch angelegt und vom Verlag in zwei Bänden
publiziert worden. Der erste, deutlich umfangreichere Band befasst sich
mit der Geschichte des DFV von 1898 bis 1918, der zweite Band widmet
sich den Jahren 1919 bis 1934. Anhand eines breiten Quellenstudiums
beleuchtet Diziol ausführlich das Wirken wichtiger Akteure auf
nationaler und regionaler Ebene, analysiert die Methoden und Wirkung der
Vereinspropaganda, und untersucht die Vereins- und Mitgliederstruktur.

Um den außerordentlichen Erfolg des DFV als Propagandaverein in seiner
Hochphase vor dem Ersten Weltkrieg zu analysieren, hat Diziol die
vorhandenen Quellen unter ideengeschichtlichen Aspekten ausgewertet und
ein System aus sieben nationalen Symbolen herausgearbeitet, das der
Verein entwickelte um die bürgerlichen Massen für den Schlachtflottenbau
zu begeistern: "Flotte", "Kaiser", "Weltpolitik", "blaue Jungs",
"Flagge", "See" und "Auslandsdeutsche". Die Entwicklung dieses
Symbolsystems wurde nicht von der Vereinsleitung initiiert und
gesteuert, wie Diziol überzeugend nachweisen kann, sondern war das
Ergebnis eines evolutionären, diskursiven Prozesses unter den
Mitgliedern. Keines dieser Symbole war exklusiv dem DFV vorbehalten, mit
Ausnahme von "blaue Jungs" (S. 265), aber er war der einzige Verein, der
diese Symbole im Rahmen seiner Propaganda in einer Weise kombinierte,
die dem Zeitgeist des Wilhelminismus' in besonderem Maße entsprach und
klar auf eine vermeintlich bessere Zukunft hin ausgerichtet war. "Der
DFV verstand es, die nationalen Symbole, die er rund um die
Flottenrüstung schuf, einerseits flexibel genug zu halten," konstatiert
Diziol, "um ein breites bürgerliches Spektrum mit ansonsten
unterschiedlichen politischen Meinungen ansprechen zu können,
andererseits aber so zu gestalten, dass ihre Implikationen weit über die
eigentliche Flottenrüstung hinausgingen und so gleichsam durch die
Hintertür einen Deutungsanspruch auch für allgemeine ,nationale Fragen'
zu entwickeln" (S. 201). Das war der Schlüssel zum Erfolg des DFV vor
1914.

Während des Ersten Weltkriegs sah sich der Verein mit einem zunehmenden
Bedeutungsverlust konfrontiert. Propagandistisch verwertbare
"Heldentaten" der Kaiserlichen Marine blieben aus und der DFV widmete
sich überwiegend wohltätigen Zwecken. Infolge der Novemberrevolution
1918, ausgelöst durch einen Matrosenaufstand in Kiel, brach das
Symbolsystem schließlich zusammen. Auch wenn der Verein bis Ende 1934
weiterbestand, spielte er im gesellschaftlichen und politischen Leben
der Weimarer Republik und des frühen Dritten Reiches keine Rolle mehr.
Daran konnte auch die Umbenennung in Deutscher Seeverein und die
thematische Neuausrichtung der Propaganda auf die Verklärung der
Leistungen der Flotte im Ersten Weltkrieg, den Wiederaufbau zunächst der
Handelsflotte, später auch der Reichsmarine, die Wiedererlangung der
Kolonien und eine Revision des Versailler Vertrags nichts ändern. Er
galt als Relikt vergangener Zeiten und litt unter starkem
Mitgliederschwund. "Zwar existierte der Flottenverein noch bis 1934",
resümiert der Autor, "sein eigentliches Ende als gesellschaftlich und
politisch relevanter Akteur ist aber auf den November 1918 zu datieren"
(S. 523).

Diziol kann überzeugend nachweisen, dass der Verein gemäß seiner Satzung
bis Mitte 1933 konsequent überparteilich war, wenngleich er eine gewisse
Nähe zur Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) pflegte, für die einer
seiner "Helden", Admiral Alfred von Tirpitz, vier Jahre Abgeordneter im
Reichstag war (1924-1928). Diziol gelingt auch der Nachweis, dass der
Verein zu keiner Zeit strukturell antisemitisch war (S. 393-403,
679-685). Seine grundlegende These hierzu ist, "dass antisemitisches
Gedankengut in verschiedenen Abstufungen bei seinen Mitgliedern weit
verbreitet war und als selbstverständlich angesehen wurde, der DFV aber
nicht die Plattform war, auf der diese Ansichten diskutiert und
verbreitet wurden" (S. 394). Das gilt selbst noch für die Zeit ab Januar
1933, als der Verein mit NS-Institutionen zu kooperieren begann und
schließlich auch das "Führerprinzip" einführte. Zwar konnten Juden nicht
in das Amt des "Führers" gewählt werden, waren sonst aber keinerlei
anderen strukturellen Diskriminierungen ausgesetzt (S. 700). Dass der
Verein nicht schon 1933 gleichgeschaltet wurde, verdankte er laut Diziol
einerseits seiner geringen Bedeutung, andererseits seiner offenen
Anbiederung an das NS-Regime (S. 699, 726). Dennoch zwang Hitler ihn im
Dezember 1934 zur Selbstauflösung, denn er stand dem Umbau des Deutschen
Reiches zum "Führerstaat" im Wege.

Diziol nimmt für sich in Anspruch, erstmals "brennglasartig die
kulturelle Dimension des wilhelminischen Navalismus" dargestellt zu
haben (S. 743). Zweifellos ist das ein wesentliches Verdienst seiner
Forschungsleistung. Wenig überzeugend ist hingegen sein Ansatz, den
etablierten Begriff Navalismus [3] hinsichtlich "seiner Wirkung auf
gesellschaftliche, kulturelle und private Bereiche" auszuweiten und neu
zu definieren "als ein Denkmuster, das die Übertragung von
Ordnungssystemen und Wertvorstellungen aus dem Bereich der Kriegsmarine
auf Staat, Politik und Gesellschaft bezeichnet" (S. 35f.). Diesen Ansatz
hält der Autor selbst nicht durch, denn in der Schlussbetrachtung seiner
Studie schlägt er schließlich vor, zukünftig den Begriff "symbolischer
Navalismus" (S. 748) für das kulturelle und mentale Phänomen der
Flotteneuphorie im wilhelminischen Kaiserreich zu verwenden.

Bei seinen Forschungen zur Geschichte des Flottenvereins stand Diziol
vor einer großen Herausforderung: die Aktenbestände der Berliner
Vereinsleitung sind verschollen (S. 43). Doch es ist ihm gelungen, diese
Geschichte auf Grundlage eines breiten Quellenstudiums im Bundesarchiv
und in zahlreichen Regionalarchiven umfassend zu rekonstruieren.
Allerdings fällt auf, dass er wichtige Aktenbestände nicht eingesehen
hat, beispielsweise den Nachlass des langjährigen Vorsitzenden des DFV,
Admiral Hans von Koester. Auch den fragmentiert überlieferten Nachlass
des Prinzen Heinrich, der dem DFV als Prorektor vorstand, hat er nur
teilweise ausgewertet. In beiden Fällen hätte sich eine Auswertung
sicher gelohnt, und vielleicht dazu beigetragen, offene Fragen zu
klären, etwa wie viele Informationen Prinz Heinrich über den DFV
vorlagen, als er im Juni 1898 dessen Protektorat übernahm (S. 404). Auch
andere Aktenbestände sind nicht berücksichtigt worden, etwa die
Überlieferung zum DFV in den Niedersächsischen Landesarchiven und den
Staatlichen Archiven Bayerns. Weshalb diese und einige andere Bestände
bei der Erstellung der Studie nicht berücksichtigt wurden, wird vom
Autor nicht hinreichend begründet (siehe S. 43ff.). Die Geschichte des
DFV, vor allem auf regionaler Ebene, ist somit noch längst nicht
ausgeforscht.

Gleichwohl ist es Diziol gelungen, ein Standardwerk zur Geschichte des
DFV zu verfassen, das mit seinem kulturhistorischen Ansatz auch Maßstäbe
für zukünftige Studien über die verschiedenen Propagandavereine des
wilhelminischen Kaiserreichs setzt. In seinen Schlussbetrachtungen weist
der Autor darauf hin, dass hier noch viel Forschungsarbeit zu leisten
ist (S. 763). Es wäre wünschenswert, wenn Diziols Studie dazu beiträgt,
die Forschung auf diesem Gebiet zu stimulieren.

Anmerkungen:
[1] Grundlegend waren bisher die Studien von Geoff Eley und Konrad
Schilling. Vgl. Geoff Eley, The German Navy League in German Politics
1898-1914, Diss., Sussex 1974; Konrad Schilling, Beiträge zu einer
Geschichte des radikalen Nationalismus in der Wilhelminischen Ära
1890-1909. Die Entstehung des radikalen Nationalismus, seine
Einflussnahme auf die innere und äußere Politik des Deutschen Reiches
und die Stellung von Regierung und Reichstag zu seiner politischen und
publizistischen Aktivität, Diss., Köln 1968, S. 179-367.
[2] Stiftung zur Förderung von Schifffahrts- und Marinegeschichte,
Preisverleihung 2014, online abrufbar unter:
http://www.stiftung-zur-foerderung-von-schifffahrts-und-marine-geschichte.de/index.php/preisverleihung.html
(27.04.2017).
[3] Der norwegische Historiker Rolf Hobson hat Navalismus prägnant
definiert als "eine Politik der maritimen Aufrüstung, die als ein Mittel
zur Mehrung nationaler Macht und Größe dienen sollte und die die
Erfordernisse der nationalen Verteidigung im Kontext eines angeblichen
Expansionsbedürfnisses beurteilte". Vgl. Rolf Hobson, Die Besonderheiten
des wilhelminischen Navalismus, in: Werner Rahn (Hrsg.), Deutsche
Marinen im Wandel. Vom Symbol nationaler Einheit zum Instrument
internationaler Sicherheit, München 2005, S. 161-193, hier S. 161. Siehe
auch die etwas umfassendere Definition von Walther Hubatsch in: Walther
Hubatsch, Navalismus und Technik im 19. und 20. Jahrhundert, in: Walther
Hubatsch (Hrsg.), Navalismus. Wechselwirkungen von Seeinteressen,
Politik und Technik im 19. und 20. Jahrhundert, Koblenz 1983, S. 8-12,
hier S. 9.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Jörg Neuheiser <joerg.neuheiser(a)uni-tuebingen.de>

URL zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2017-2-120>

[Regionalforum-Saar] Zeit in den Wissenschaften

Date: 2017/05/31 20:55:05
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Kautek, Wolfgang; Neck, Reinhard; Schmidinger, Heinrich (Hrsg.): Zeit in
den Wissenschaften (= Wissenschaft - Bildung - Politik 19). Wien: Böhlau
Verlag 2016. ISBN 978-3-205-20499-2; 262 S.; EUR 35,00.

Inhaltsverzeichnis:
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/beitraege/rezbuecher/toc_27045.pdf>

Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Achim Landwehr, Historisches Seminar VIII, Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf
E-Mail: <landwehr(a)phil.hhu.de>

Man beginne die Lektüre des Sammelbandes "Zeit in den Wissenschaften"
mit dem Beitrag des Medientheoretikers Stephan Günzel. Denn Günzel klärt
uns Lesende über die Irrealität der Zeit auf. Unter Rückgriff auf die
bekannte Argumentation des Sprachphilosophen John McTaggart weist Günzel
die Zeit als ein Differenzierungsphänomen aus, das seine einzige
Konkretisierung in Raumverhältnissen beziehungsweise in räumlichen
Bewegungen finde. Während er selbst diese grundsätzliche These durch die
Untersuchung unterschiedlicher medialer Formen weiterführt, mit denen
die Zeit ins (gemalte, fotografische, filmische, digitale) Bild gesetzt
wird, bleibt die Leserschaft rätselratend zurück mit der Frage, ob sich
eine weitere Lektüre dieses Sammelbandes jetzt noch lohnen könne.
Immerhin hat sich diese Publikation eben die "Zeit in den
Wissenschaften" als Gegenstand vorgenommen - nur um mit Günzel
festzustellen, dass es diesen Gegenstand überhaupt nicht gibt?

Die Österreichische Forschungsgemeinschaft organisiert jedes Jahr einen
Wissenschaftstag zu einem disziplinär übergreifenden Thema, und nachdem
bei vorherigen Gelegenheiten unter anderem die Freiheit, die Ethik, die
Kommunikation, die Globalisierung oder die Wahrheit verhandelt worden
waren, war im Jahr 2015 die Zeit an der Reihe. Und wie es kaum anders
sein kann, wenn Menschen mit sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen
Ansätzen über ein so allumfassendes und ubiquitäres - und offenbar
irreales - Thema wie die Zeit räsonieren, kommt nicht unbedingt ein
konzises Ergebnis in Form einer inhaltlich geschlossenen
Veröffentlichung heraus.

Man darf daher dieses Buch trotz des vollmundigen Titels nicht mit allzu
hohen Erwartungen überfrachten. Hier wird weder geklärt, was die Zeit
ist (Günzels Überlegungen stellen da eher eine hervorzuhebende Ausnahme
dar), noch finden sich 'die Wissenschaften' in einer halbwegs
repräsentativen Form vertreten. Hier liegt vielmehr ein Buch vor, das
einige höchst individuell operierende Menschen versammelt, die
versuchen, dem Thema der Zeit mit Blick auf ihr Spezialgebiet einige
Erkenntnisse abzuringen. Für das spezialisierte Publikum wird dabei in
den jeweiligen Themenbereichen kaum Neues oder Erkenntnisreiches zu
holen sein. Aber für diejenigen, die sich dem Thema 'Zeit' von der Warte
anderer wissenschaftlicher Ansätze widmen wollen, bietet dieser Band
eine passende Gelegenheit.

Gerhard Dohrn-van Rossum geht in seinem Beitrag einem nahezu klassischen
Thema der Zeitforschung nach, nämlich der Geschichte der Uhren. Bereits
vor 25 Jahren hat Dohrn-van Rossum einen rasch zur Standardlektüre
gewordenen Band über die "Geschichte der Stunde" vorgelegt. Im
vorliegenden Aufsatz fasst er daraus wesentliche Ergebnisse zur
Entwicklung der Räderuhr mit Hemmung zusammen und fragt nach den
möglichen Bedeutungen der Zeitmessung in den Wissenschaften um 1300.

Die Japanologin Brigitte Steger wendet sich einem nicht minder
etablierten Gegenstand in der Erforschung der Zeit zu, nämlich der
Kontrastierung eigener, für selbstverständlich gehaltener Zeitmodelle
europäischer Provenienz mit gänzlich anders gearteten aus anderen
Kulturkreisen. Für das Japan des 7. bis 19. Jahrhunderts (wohlgemerkt:
nach christlicher Zeitrechnung) fragt Steger insbesondere nach den
Möglichkeiten und Formen der Zeitmessung, und zwar zur Tages- wie zur
Nachtzeit. Denn wie man sich in unserer vollständig durchgezeiteten
Gegenwart des frühen 21. Jahrhunderts kaum noch vorzustellen vermag, war
es in Gesellschaften ohne flächendeckende Versorgung mit mechanischen
Uhren so gut wie unmöglich, des nachts herauszufinden, wie 'spät' es
eigentlich ist. Von astrologischen Kalendern über unterschiedliche
Formen der Stundenmessung bis zur Einführung des Gregorianischen
Kalenders in Japan bietet dieser Aufsatz einen guten Überblick.

Christian Korunka widmet sich als Psychologe der Frage der Zeit wiederum
von einer ganz anderen Warte. Sein Beitrag fasst vor allem die
Ergebnisse empirischer Forschungen zusammen, welche die Auswirkungen von
Beschleunigungsprozessen auf gegenwärtige Arbeitswelten haben. Von der
Dauerverfügbarkeit aufgrund entsprechender Kommunikationsmöglichkeiten
über die Auflösung der Trennung von Arbeitszeit und Freizeit bis zur
Burnout-Diagnose werden hier aktuelle Diskussionspunkte vorgestellt.

Der aufgrund zahlreicher Veröffentlichungen bekannte Sprachforscher
Harald Haarmann geht das Zeitthema in seinem Beitrag etwas anders an. Er
verfolgt in höchster Verdichtung die Entwicklung menschlicher
Sprachfähigkeit von ihren möglichen Anfängen bis zur Ausbildung
komplexer Sprachen. Leider reserviert er nur einen letzten, kurzen
Abschnitt für die Frage, wie sich in Sprachen die Möglichkeiten
verändert haben, unterschiedliche Zeitformen zu bezeichnen und
insbesondere Zukünftiges sprachlich zum Ausdruck zu bringen.

Der Anglist Ansgar Nünning spürt den Zeitvorstellungen nach, wie sie
sich insbesondere in der Literatur des 20. Jahrhunderts manifestieren,
wie dort Vielzeitigkeit thematisiert wird oder ein sogenanntes
"Achtsamkeitstempo" eine Rolle spielen kann. Unter Rückgriff auf
etablierte Beispiele aus der erzählenden Literatur, in der auch immer
wieder Zeitkulturen eine Rolle spielen - Virginia Woolf ist hier die
wichtigste Gewährsfrau - betont Nünning vor allem die Eigenzeiten, die
sich in diesem ästhetischen Kontext ausbilden.

Werner Goebl konzentriert sich in seinem Beitrag auf diejenige Form
ästhetischer Erfahrung, von der regelmäßig und durchaus nachvollziehbar
behauptet wird, sie sei die Zeit-Kunst schlechthin: Musik wird in seinem
Beitrag aber nicht in einem allgemeinen Sinn als sich in der Zeit
vollziehende Kunst vorgeführt, sondern als ein empirisch zu
untersuchender Faktor in der Aufführungspraxis. Es geht, mit anderen
Worten, um die Analyse individueller Tempi bei der Interpretation ein
und desselben Stücks. Musik wird damit, im wahrsten Sinn des Wortes,
sichtbar nicht nur als eine Kunst, die sich in der Zeit ausbreitet,
sondern die Formen von Zeitlichkeit selbst hervorbringt.

Den Abschluss bildet Anne Koch mit einem religionswissenschaftlichen
Blick auf die Frage, wie wir in unserer Gegenwart die Zeit
bewirtschaften, mit welchen Zeitformen das frühe 21. Jahrhundert also
operiert und seinen Alltag gestaltet. Die religionswissenschaftliche
Perspektive ist dabei hilfreich, weil sie für einen weiteren
gesellschaftlichen Zusammenhang Formen von Endzeitlichkeit, aber auch
von Geburtszeiten entsprechend einordnen kann.

Bleibt die Frage, wie sich angesichts so vieler Beispiele von
Zeitlichkeit die These aufrechterhalten lässt, dass Zeit irreal sei.
Nun, genau in dem Sinn, wie Stephan Günzel diese Aussage verstanden
wissen wollte, indem man Zeit nämlich nicht als apriorische Größe, als
gewissermaßen eigenständige Dimension voraussetzen kann, sondern Zeit
immer nur in dem Sinn hervorgebracht wird, wie man sich gegenwärtig auf
etwas bezieht, das es nicht mehr oder noch nicht gibt - also auf
Nicht-Existentes. Genau dafür liefert dieser Band instruktive Beispiele.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Stefan Jordan <jordan(a)ndb.badw.de>

URL zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2017-2-143>

[Regionalforum-Saar] Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit

Date: 2017/05/31 20:57:56
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Landwehr, Achim: Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit. Essay zur
Geschichtstheorie. Frankfurt am Main: S. Fischer 2016. ISBN
978-3-10-397205-4; 374 S.; EUR 25,00.

Inhaltsverzeichnis:
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Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Rüdiger Graf, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
E-Mail: <graf(a)zzf-potsdam.de>

In seinem 1933/34 entstandenen, erst postum veröffentlichten "Blauen
Buch" warnt Ludwig Wittgenstein davor, sich "über die Beschaffenheit der
Zeit den Kopf [zu] zerbrechen", weil uns "der Gebrauch des Substantives
Zeit [...] hinters Licht" führe.[1] In der Substantivierung, meint
Wittgenstein, erscheint uns Zeit "wie ein sonderbares Ding", während wir
deutlich weniger Schwierigkeiten haben zu klären, was die Ausdrücke
"früher", "später" oder "gleichzeitig" bedeuten. Weite Teile der vor
allem anglo-amerikanischen Sprachphilosophie sind Wittgensteins Skepsis
gegenüber den Substantiven gefolgt. Sie fragen nicht, was "die
Wirklichkeit" oder "die Wahrheit" ist, sondern vielmehr, was als
"wirklich" oder "wahr" bezeichnet wird und was damit in bestimmten
Kontexten gemeint ist. Durch diesen Linguistic Turn haben
Sprachphilosophen erheblich zur Klärung, teilweise sogar zur Erledigung
jahrhundertealter philosophischer Probleme beigetragen.

In Achim Landwehrs "Essay zur Geschichtstheorie" wimmelt es demgegenüber
von Substantiven und Substantivierungen. Die 16 Kapitel sind jeweils mit
einem Großbegriff überschrieben. Die meisten dieser Begriffe bezeichnen
grundlegende philosophische Probleme (Gottersatz, Wahrheit,
Wirklichkeit, Negation, Relation, Beschreibung, Möglichkeit, Ethik),
während andere eher auf konkrete Grundlagen bzw. Praktiken der
Geschichtswissenschaft verweisen (Vergangenheit, Material, Medien,
Ereignis, Archiv, Kritik) und zwei weitere Wortneuschöpfungen sind, mit
denen Landwehr seinen eigenen geschichtstheoretischen Ansatz zu fassen
sucht (Chronoferenz und Zeitschaft). Stilistisch hat der Autor ein
Faible für Paradoxien; er fügt Widersprüchliches zusammen, um so auf
einen tieferen, aber nicht genau festzulegenden Sinn zu verweisen und
zugleich Geheimnis und Komplexität zu suggerieren (S. 24ff.). Schon die
titelgebende "anwesende Abwesenheit der Vergangenheit" ist ein Beispiel
für Landwehrs Technik, die auf aphoristische Verdichtung und
changierenden Sinn zielt. Damit bewegt er sich in einer vor allem
kontinentaleuropäischen philosophischen Tradition, die viele ähnliche
Gedankenfiguren hervorgebracht hat, wie zum Beispiel Ernst Blochs
"Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen"[2] oder Giorgio Agambens
"einschließende Ausschließung", über die sich Generationen angehender
Geisteswissenschaftler den Kopf zerbrochen haben.

Wer Landwehrs Faible für Paradoxie und Tiefsinn teilt, wird seinen Essay
mit Begeisterung lesen. Hegt man jedoch eine Präferenz für begriffliche
Klarheit im Sinne der sprachanalytischen Schule, so hinterlässt die
Lektüre einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits ist Landwehrs Buch ein
ungeheuer gelehrter Beitrag zur geschichtstheoretischen
Selbstvergewisserung des Fachs, die in der alltäglichen
historiographischen Praxis oft zu kurz kommt. Es adressiert in
essayistischer, auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglichen Form
wesentliche Fragen der Geschichtstheorie und historischen Erkenntnis.
Anhand vielfältiger Beispiele und mit guten Argumenten widerlegt
Landwehr das populäre Missverständnis, die Quellen seien so etwas wie
Fenster, die den Blick auf eine Vergangenheit eröffneten, die in der
historischen Erzählung abgebildet werden könnte. Überzeugend plädiert er
dafür, die Konstruktion des Kollektivsingulars "Geschichte" und die
Fiktion eines umfassenden, einheitlichen Geschichtsverlaufs aufzugeben
und durch komplexere temporale Ordnungsmodelle zu ersetzen, für die er
in Analogie zur "Landschaft" den Begriff "Zeitschaft" einführt.
Andererseits werden aber auch einfache Zusammenhänge unnötig
verkompliziert, Probleme und Geheimnisse erzeugt, wo eigentlich keine
sind, und essenzielle Begriffe verworfen, die nicht aufgegeben werden
sollten. Dabei geht Landwehrs Konstruktivismus in vielen Formulierungen
zu weit, während er in anderen zu kurz greift.

Der Gedankenreichtum und die argumentative Fülle des Essays sind
unmöglich in einer kurzen Rezension wiederzugeben; Leistungen und
Schwächen von Landwehrs Ansatz können hier nur exemplarisch diskutiert
werden. Im Zentrum des Buches steht der Begriff "Chronoferenz", den
Landwehr definiert als "diejenige Relationierung", "mit der anwesende
und abwesende Zeiten gekoppelt, Vergangenheiten und Zukünfte mit
Gegenwarten verknüpft werden können" (S. 28). Chronoferenzen sind für
ihn das, was in der historiographischen Praxis erzeugt wird und worüber
in der Geschichtswissenschaft diskutiert werden sollte. Gegenstand der
Historiographie ist also nicht, wie Landwehr mit Verweis auf Droysen
immer wieder betont, die Vergangenheit, die eben schlicht vergangen ist.
So unbestreitbar es nun ist, dass die Vergangenheit vergangen ist, so
zweifelhaft ist es doch, ob es ein Differenzkriterium der
Geschichtswissenschaft zu "allen anderen Wissenschaften" ist, dass sie
sich mit etwas beschäftigt, was es nicht mehr gibt, wie Landwehr
behauptet (S. 33). Zwar verweist er immer wieder mit Recht auf den
fragmentarischen Charakter der Überlieferung und die essenzielle
Bedeutung von Medien und Hilfsmitteln für die Konstruktion von Wissen
über Vergangenes. Aber auch die modernen Naturwissenschaften
beschäftigen sich mit Phänomenen, die ohne technische Instrumente für
Menschen nicht wahrnehmbar wären. Trotzdem erscheint es mir
kontraintuitiv zu behaupten, dass ihr Gegenstand deshalb nicht die Natur
ist, also etwa die Zellen des menschlichen Körpers, die Mikroorganismen
in Gewässern oder die Beschaffenheit des Weltalls, bloß weil diese nicht
unmittelbar wahrnehmbar sind. Analog spricht auch nichts dagegen, die
Vergangenheit weiterhin als Gegenstand der Geschichtswissenschaft zu
bezeichnen, in der es schließlich darum geht, etwas über die
Vergangenheit zu sagen, wie perspektivisch das auch immer sein mag.

Landwehrs Ablehnung dieser Common-Sense-Annahme resultiert aus einem
unklaren Verständnis der Begriffe Vergangenheit, Wirklichkeit und
Wahrheit, die er alle unausgesprochen mit Vorstellungen von Totalität,
Vollständigkeit und Objektivität koppelt. Zwar erklärt er, wie
unfruchtbar Debatten über Konstruktivismus und eine unabhängige
Wirklichkeit seien, plädiert dann aber dafür, an die Stelle der
"Objektivität totaler Wirklichkeit" die "Relationalität bezüglicher
Wirklichkeit" zu setzen (S. 101). Die Realität gebe es nur, "insofern
wir sie für uns verwirklichen" (S. 120), und die Wirklichkeit sei nichts
Anderes als "der letzte Stand der Dinge" (S. 131, S. 153). Das meinen
wir aber nicht, wenn wir sagen, dass etwas wirklich der Fall ist oder
war. Wir haben keine Schwierigkeit damit, den Gedanken zu fassen, dass
selbst der universale Konsens einer idealen Forschergemeinde falsch sein
kann, weil letztlich die Beschaffenheit der Welt darüber entscheidet, ob
eine Faktenbehauptung wahr ist oder nicht. Landwehr verwechselt hier
unsere immer historisch kontingenten und falliblen Praktiken der
Verifikation mit der Bedeutung des Prädikats "wahr", das nicht so leicht
aufgegeben werden kann, weil es eine zentrale sprachliche Funktion
erfüllt, wie Arbeiten zur wahrheitskonditionalen Semantik gezeigt
haben.[3]

Wenn Landwehr eine Korrespondenztheorie der Wahrheit ablehnt (S. 63) und
gegen die Idee der historischen Wahrheit im Sinne einer vollständigen
und objektiven Beschreibung vergangener Wirklichkeit argumentiert,
entwirft er einen Popanz. Kein ernstzunehmender Historiker würde heute
noch behaupten, einen objektiven Geschichtsverlauf in seiner Totalität
abbilden zu können, und in jedem ordentlichen historischen Proseminar
wird die Bedeutung der Frage für die historische Erkenntnis
hervorgehoben. Landwehrs Ausweg, zwar keine historische Wahrheit, wohl
aber "wahre Geschichten" zuzulassen (S. 207), bleibt dann aber unklar.
Denn das Wahrheitsprädikat bezieht sich zunächst einmal auf Sätze, und
seine Übertragung auf narrative Strukturen ist problematisch. Implizit
erkennt Landwehr das auch an, wenn er meint, es gebe "im Historischen
eine ganze Menge Wahres zu entdecken"; dessen Zusammenstellung sei aber
uninteressant, weil sie nur zu einer Chronologie führe (S. 203). Gerade
bei der Anerkennung solcher historischen Fakten bleibt Landwehr aber an
verschiedenen Stellen hinter den eigenen konstruktivistischen Einsichten
zurück. Einerseits negiert er die bloße Entgegensetzung von Fakten und
Fiktionen und hebt die geistige und sprachliche Konstitution
historischer Fakten hervor. Andererseits betont er jedoch, bestimmte
Ereignisse seien "unwiderruflich und unwiderrufbar": "Ohne Zweifel ließ
sich Karl der Große zum Kaiser krönen, suchte Kolumbus den westlichen
Seeweg nach Indien und brach 1939 der Zweite Weltkrieg aus." (S. 121)
Hier verblüfft die Nonchalance, mit der Landwehr bestimmte sprachliche
Fassungen von Ereignissen gelten lässt.

Die grundsätzliche sprachliche Verfasstheit unseres Wissens muss aber
radikaler gedacht werden: Wir haben unzählige sprachliche Möglichkeiten,
jeden beliebigen Gegenstand aus der Welt herauszugreifen, und nichts in
der Welt entscheidet darüber, welche wir wählen. Genausowenig
entscheidet die Welt über die Art und Weise, wie wir Fakten, die nicht
in der Welt sind, sondern in der Form von "dass-Sätzen" existieren,
auswählen und zueinander in Beziehung setzen. Das heißt aber nicht, dass
sie sich nicht auf die Welt oder eben die Vergangenheit beziehen, über
die wir wahre Aussagen treffen wollen. Dass wir uns über Geschichte
mitunter heftig streiten, liegt unter anderem daran, dass wir nicht nur
Chronoferenzen produzieren, sondern doch auch sagen wollen, wie es
eigentlich gewesen. Und wir müssen dem Anderen zuhören und dissidenten
Meinungen Raum eröffnen, weil es vielleicht auch ganz anders gewesen sei
könnte, als wir nach dem letzten Stand der Dinge glauben. Das klingt
weniger geheimnisvoll als Achim Landwehrs geschichtstheoretischer Essay,
aber ich habe den Eindruck, er sagt letztlich etwas ganz Ähnliches.
Weiterführend erscheinen mir vor allem Landwehrs Überlegungen, dass wir
uns von der Vorstellung eines einheitlichen Geschichtsverlaufs, der in
einer Narration zusammengefasst werden kann, verabschieden und
stattdessen über neue Formen nachdenken müssen, Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft miteinander in Beziehung zu setzen.


Anmerkungen:
[1] Ludwig Wittgenstein, Werkausgabe, Bd. 5: Das Blaue Buch. Eine
Philosophische Betrachtung (Das Braune Buch), hrsg. von Rush Rhees,
Frankfurt am Main 1984, S. 22.
[2] Siehe zu diesem Topos auch Achim Landwehr, Von der 'Gleichzeitigkeit
des Ungleichzeitigen', in: Historische Zeitschrift 295 (2012), S. 1-34.
[3] Donald Davidson, Inquiries into Truth and Interpretation, Oxford
1984; ders., Truth, Language, and History, Oxford 2005.