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2024/04/09 13:30:03 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Vortrag „Foltern, Prange rn, Henken, Pest“ |
Datum | 2024/04/14 12:13:07 Joerg Weinkauf via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Kessler, Maria gen. Marie |
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2024/04/03 09:36:26 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Online-Vortrag "Ahnenforschung in den USA - Die US-Vital-Records" am 18.04.2024 |
Betreff | 2024/04/09 13:30:03 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Vortrag „Foltern, Prange rn, Henken, Pest“ |
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2024/04/09 13:30:03 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Vortrag „Foltern, Prange rn, Henken, Pest“ |
Autor | 2024/04/16 08:55:58 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] 11.01.1949 Stand der Wiederaufbauarbeiten in St. Wendel. |
Date: 2024/04/13 08:17:42
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Organisatoren
Projekt „Recht ohne Recht“, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und
Neuere
Rechtsgeschichte, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder)
Veranstaltungsort Senatssaal Europa-Universität Viadrina,
Logensaal, Logenstr.
11
Frankfurt an der Oder
Fand statt in Präsenz
Vom - Bis 16.11.2023 - 17.11.2023
Von Lydia Bucher, Arbeitsbereich Neueste
Geschichte /
Zeitgeschichte, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Ob Ölgemälde oder Kuchengabel – zwangsverkaufte und enteignete
Erbstücke
zurückzubekommen bedeutet für die Nachfahren nationalsozialistisch
Verfolgter
einen wichtigen Schritt in der Verarbeitung ihrer
Familiengeschichte. Aber
Restitution hat auch eine gesellschaftliche Bedeutung, denn
Rückgaben sind
politisch. Gegenwärtig gibt es in Deutschland für Rückgaben keine
gesetzliche
Grundlage. 25 Jahre nachdem sich Deutschland und weitere 44
Staaten in Washington
gemeinsam darauf einigten, für NS-verfolgungsbedingt entzogene
Kulturgüter
„gerechte und faire“ Lösungen zu finden, stellt sich die Frage: Wo
stehen wir
heute in der langen Geschichte der Restitution? Wie gehen wir
juristisch mit
Gewalt- und Entzugskontexten wie dem Holocaust, aber auch dem
Kolonialismus um?
Und wie funktioniert eigentlich eine Rechtspraxis ohne Gesetze?
In der unmittelbaren Nachkriegszeit pochten die alliierten
Besatzungsmächte auf
die Rückführung der Vermögenswerte, die während des
Nationalsozialismus
hunderttausendfach entzogen wurden. Die Rückgaben erfolgten
widerwillig und
galten Ende der 1960er-Jahre als abgeschlossen, doch mit Ende des
Ost-West-Konflikts stellten sich erneut Fragen zum Umgang mit
NS-enteignetem
Kulturgut, erstmals in einer breiteren Öffentlichkeit und auf
internationaler
Ebene. Recht reichte nicht mehr aus, um historischer
Ungerechtigkeit zu
begegnen. Die Vereinbarungen der Washington Principles von 1998
wurden in
Deutschland in einer rechtlich nicht bindenden und institutionell
nicht
verankerten „Handreichung“ umgesetzt, die stark an die alliierten
Gesetzgebungen der Nachkriegszeit angelehnt ist. Diese Gemengelage
erzeugt in
heutigen Debatten um Restitution, historische Gerechtigkeit und
Rechtspraktiken
viele Fragezeichen.
Die Konferenz brachte Expert:innen aus verschiedenen Bereichen an
einen Tisch,
um vergleichend über historische und aktuelle
Restitutionspraktiken im Hinblick
auf nationalsozialistisch entzogene Kulturgüter zu diskutieren:
Welche Ideen
und Konzepte beeinflussen heutige Restitutionspraktiken in
Deutschland und
anderswo? Woher kommen sie? Worin liegen die Defizite und wie
wären diese
aufzuheben? Die Keynote eröffnete bereits das Panorama, welches
auch die
Roundtable-Diskussionen am folgenden Tag aufgriffen: die
zahlreichen
Verbindungslinien und Brüche zwischen Restitutionsbewegungen und
Rechtspraktiken nach 1945 und heutigen sozialen Initiativen sowie
Rechtsfragen
in Restitutionsverhandlungen.
Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust führte zu
einem neuen
Verständnis von Reparation und Restitution in Deutschland. Wo sie
im Kontext
des Ersten Weltkriegs vor allem als kollektive Schuldbegleichung
genutzt
wurden, entstand in der BRD ein juristisches Regime, das auf
individuelle
„Wiedergutmachung“ abzielte. „Wiedergutmachung“ wurde zunehmend
auf bloße
ökonomische Transaktionen von Privateigentum ohne größere
politische Bedeutung
reduziert. Dieses funktionale Verständnis von Restitution nennt
CONSTANTIN
GOSCHLER (Bochum) „liberal reparations“.
Das Rechtssystem war in diesen Vorgängen zentral, die Erfahrung
des Holocaust
allerdings ein vollkommen neuer Faktor. Wie dieses Verbrechen in
die
Rechtsprechung eingespeist wurde, zeigen zeitgenössische
Urteilsbegründungen.
MAGDALENA GEBHART (Frankfurt am Main) arbeitete in ihrer
Auseinandersetzung mit
dem Bundesentschädigungsgesetz heraus, dass deutsche Gerichte in
Fragen
NS-konfiszierten Eigentums gezielt die Privatrechtsdoktrin
anwendeten und somit
bestimmte Bilder der unmittelbaren Vergangenheit erzeugten: Denn
die deutsche
Jurisprudenz beruht auf individueller Haftbarkeit, setzt also eine
Person
voraus, die eine weitere Person oder deren Eigentum beschädigt. In
diesem
Verständnis müsse auch die Verantwortung für den Holocaust
individuell
zuweisbar sein. In den wenigsten Fällen konnte jedoch ein
unmittelbarer Täter
nachgewiesen werden. Die Lösung: Gerichte nahmen einzelne Personen
aus der
NS-Elite als Täter in den Blick, wie Gebhardts Analyse zeigte.
Kollektive
Verantwortung? Fehlanzeige.
Das Bundesentschädigungsgesetz ist eines von mehreren
Spezialgesetzen, die die
Kompensation von Holocaust-Überlebenden in der Nachkriegszeit
regeln sollte.
MAŁGORZATA QUINKENSTEIN (Berlin) kontextualisierte das Luxemburger
Abkommen als
einen zentralen Schritt in der Vereinheitlichung der bereits
existierenden
Entschädigungsgesetze auf Länder- bzw. Zonenebene zu einem
Bundesgesetz. Das
Abkommen entstammt den Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik
mit dem Staat
Israel und der New Yorker Claims Conference1, die mehrere
US-amerikanische jüdische
Organisationen 1951 gründeten, um Entschädigungsansprüche zu
vertreten. Ein
Nebenergebnis dieser Verhandlungen war die Schaffung eines
rechtlichen Rahmens
für die individuelle Kompensation von Holocaust-Überlebenden.
Für BIANCA GAUDENZI (Cambridge/Konstanz) sind Restitutionen in der
frühen
Nachkriegszeit Akte der Verdrängung, eine Art Katharsis für die
faschistischen
Staaten Deutschland, Italien und Österreich. In Italien und
Österreich
inszenierten bis Ende der 1950er-Jahre Restitutionen einen
erinnerungskulturellen Neustart: Die eigene Täter:innenschaft
wurde bestritten
und die systematische Enteignung jüdischer Bürger:innen verdrängt.
Mehr noch:
Österreich und Italien kultivierten in der frühen Nachkriegszeit
einen
Opfermythos, mithilfe dessen sie sich in der ersten
Restitutionsphase gar als
Profiteure platzieren konnten. Gaudenzi sprach für Italien gar von
einem
umfassenden whitewashing, eine gesellschaftliche und politische
Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit
unterblieb bis
Ende der 1960er-Jahre. Alle drei Länder setzten stattdessen auf
finanzielle
Transaktionen ohne politische und kulturelle Bedeutung, also auf
das Regime der
„liberal reparations".
Mit Ende des Ost-West-Konflikts erreichte laut CONSTANTIN GOSCHLER
(Bochum) das
liberale Restitutionsregime seinen Höhepunkt in einem
„transititonal-justice“-Paradigma.
Recht sollte illiberale Gesellschaften in liberale wandeln. Dazu
setzten die
USA mit Blick auf Osteuropa Holocaustreparationen erstmals auf die
internationale Agenda, um offene Enteignungsfälle „endgültig
abzuhaken“. Dies
kulminierte in den losen Vereinbarungen der Washington Principles
von 1998. Das
Diktum der „fairen und gerechten Lösungen“ vermied bewusst den
bürokratisch-verrechtlichten Ansatz, der seit der frühen
Nachkriegszeit
dominierte und erheblicher Kritik ausgesetzt war. Dieses Diktum
inspirierte in
Europa und Nordamerika verschiedene Formen von Gremien,
Kommissionen, Policies
und Begriffsauslegungen, und erzeugte unweigerlich neue
Komplexitäten und
Bürokratie, so waren sich die Konferenzteilnehmer:innen einig. Sie
problematisierten
zudem die neoliberalen Grundannahmen der Washington Principles,
die auf
marktbasierte Regulation setzten: Vorherige Besitzer:innen sollten
unmittelbar
mit derzeitigen Besitzer:innen verhandeln, um einen wie auch immer
imaginierten
Status quo ante herzustellen. Bianca Gaudenzi bezeichnet diese
Phase aus
transnationaler Perspektive auch als die der „(partial)
awakenings“.
BENJAMIN LAHUSEN (Frankfurt (Oder)) beschäftigte sich mit den
Positionen der
deutschen Delegation in den Washingtoner Verhandlungen. Zwei
Punkte motivierten
die Bundesregierung, an den Verhandlungen teilzunehmen. Bei
„Assets“ im
offiziellen Titel „Washington Conference on Holocaust-Era Assets“
dachten die
Deutschen nicht an Kunst und Kulturgüter; die „Wiedergutmachung“
sei in dieser
Hinsicht abgeschlossen. Vielmehr sollte die deutsche Wirtschaft
angesichts der
Versicherungsaffäre vor einem US-Boykott bewahrt werden. Eine
zweite Motivation
zur Teilnahme lag darin, eine Wiederaufnahme der Diskussion um
„Wiedergutmachung“ zu verhindern. Es verwundert deshalb nicht,
dass in
Deutschland infolge der Washington Principles eine „Handreichung“
mit nicht
verpflichtenden, nicht institutionalisierten Empfehlungen
entstand:
„Wiedergutmachung“ sei abgeschlossen und allenfalls in
freiwilligen Abmachungen
zu vervollständigen. Aus deutscher Perspektive enthielt
„Holocaust-Era“ im
Titel der Konferenz, so Lahusen, kein spezifisches Verständnis vom
historischen
Unrecht des Holocaust.
Die zahlreichen Hürden im heutigen deutschen Restitutionssystem
schilderte ATINA
GROSSMANN (New York) anhand ihrer eigenen Familiengeschichte. Sie
zeigte, wie
die komplexen Vorgänge in den Geschichten von Gegenständen die
deutsche
Restitutionspraxis überforderten. Konkret illustrierte sie den
verworrenen Weg
eines Gemäldes von Lovis Corinth, welches sich einst im Besitz
ihres jüdischen
Großvaters befand. Vor die Wahl gestellt, eine Restitution dieses
Gemäldes
sowie weiterer Kulturgüter und Immobilien anzustreben, entschied
sich
Grossmann, selbst Tochter eines Wiedergutmachungsanwalts, dagegen.
Sie sah sich
nicht in der Lage, den finanziellen, zeitlichen und mentalen
Aufwand
aufzubringen, den ein solcher Prozess mit sich bringe. Stattdessen
nutze
Grossmann Fälle wie den ihren, um die Geschichte jüdischer
Lebenswelten und
Schicksale zu erzählen. Die Historikerin hat ihre
Familiengeschichte bereits in
mehreren Büchern verarbeitet.
Diesen Ansatz teilt Grossmann mit LAURIE STEIN (Chicago). In
Museum und
Wissenschaft längst verankert, fungiere die Provenienzforschung
seit den
Washington Principles als kritisches Instrument der Erforschung
des Holocaust.
Sie könne zwei Geschichten schreiben: die der von im NS-Kontext
entzogenen
Kulturgüter in ihrer Gesamtheit und gleichzeitig die der Personen,
die diese
einst besaßen. Als Basis dieser Erforschung dient jegliche Art der
Dokumentation. Diese Quellen sind meist vor und nach der NS-Zeit
besonders
ergiebig. Heute sei die Provenienzforschung eine eigene Disziplin,
die sich, so
das geäußerte Desiderat, noch mehr um globale Ansätze bemühen
müsse. Die Entwicklung
der letzten Jahre zeige, dass immer mehr private
Provenienzforschungsunternehmen ihren Betrieb aufnahmen, sodass zu
befürchten
stehe, dass wichtige Diskussionen nicht mehr öffentlich
ausgetragen würden.
Ein Angebot zum Vergleich des deutschen Falls eröffnete TABITHA
OOST
(Amsterdam) in ihrer Betrachtung der niederländischen
Restitutionspraxis seit
den Washington Principles: Ursprünglich übersetzte sich der
Paradigmenwechsel
der Washington Principles in den Niederlanden in ein flexibles
Restitutionskomitee
ohne prozedurale Vorschriften und außerrechtliche Policy-Regeln.
Doch diese
Flexibilität zugunsten der Klagenden mutierte zu einem Vehikel für
unregulierte
Ad-Hoc-Veränderungen. Die flexiblen Regeln wurden mit der Zeit
derart
verändert, dass noch mehr Vulnerabilitäten und Vertrauensfragen
entstanden. Im
Ergebnis stand 2016 der Beschluss der Regierung, wieder zu einem
einheitlichen
Bewertungsrahmen zurückzukehren. Doch die Umsetzungsversuche waren
schwach und
erhielten Kritik, so Oost. Seit April 2021 gelte ein Establishing
Decree mit
einem breiteren Verständnis von Restitution, aber die Probleme der
Kluft
zwischen Legalismus und Flexibilität seien längst nicht aus dem
Weg geschafft.
Der liberale, außerrechtliche Ansatz der Washington Principles
wird in neuester
Zeit auch von postkolonialen Restitutionsbewegungen infragestellt.
Für sie
stellen Rückgaben auf profunde gesellschaftliche Veränderungen ab:
Restitution
als Element einer politischen Utopie. Dieses alternative
Verständnis von
Restitution hat die postkoloniale Bewegung mit den frühen
jüdischen
Restitutionsbewegungen gemein, wie LEORA BILSKY (Tel Aviv)
herausarbeitete.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit bemühte sich ein
transnationales Netzwerk
jüdischer Organisationen (wie Jewish Cultural Reconstruction) und
Intellektueller, darunter Hannah Arendt und Gershom Sholem, um die
Rückgabe
konfiszierter Bücher. Sie verstanden die Shoah nicht nur als den
Versuch der
physischen Auslöschung von Juden und Jüdinnen, sondern gebunden an
das Ziel des
kulturellen Genozids. Entsprechend war für sie die materielle
Restitution ein
erster Schritt hin zu kulturellem Wiederaufbau. Weil der Zugang zu
offiziellen
Archiven in der Regel nicht möglich war, versandte das Netzwerk in
einer bottom-up-Initiative
Fragebögen an Hunderte Überlebende der Shoah, um mit vorläufigen
Übersichten
geraubter Kulturgüter zukünftige Restitutionen vorzubereiten.
Wie die frühe jüdische Restitutionsbewegung seien postkoloniale
Restitutionsbewegungen ebenfalls gruppenbasierte
bottom-up-Bewegungen mit einem
kollektiv-holistischen Bewusstsein. Im Fall des
deutsch-kenianischen Projekts
International Inventories Program erfolge auch eine transnationale
Mobilisierung rund um eine Liste. Beide Gruppen seien dadurch von
passiven
Opfern zu Akteuren des Wandels, Expert:innen ihrer eigenen
Geschichte und
Autoritäten in der Gestaltung ihrer Zukunft geworden. Sie zeigten,
dass
Restitution mehr als eine materielle Transaktion sei – sie sei ein
Weg zur
kulturellen Wiederherstellung, der Erinnerung, Identität und
Zukunftsgewandtheit. Beide Bewegungen entwarfen somit alternative
Kontrapunkte
zum Privateigentum-Nexus der Washington Principles.
Der unvorhergesehene rote Faden zog sich in der Gestalt von Listen
und
Inventaren durch die Konferenz: Listen der massenhaft
konfiszierten Kulturgüter
und Alltagsgegenstände finden sich in Archiven der Täterseite.
Gleichzeitig
erstellten Verfolgte in Vorbereitung auf die Emigration Listen für
die
sogenannten „Lifts“, also die NS-verfolgungsbedingt notwendige
Verbringung von
Eigentum per Frachtcontainer ins Ausland, das in vielen Fällen
noch in den
europäischen Häfen beschlagnahmt und enteignet wurde. Auch an den
verschiedenen
Stationen der Emigration wurden Habseligkeiten in Inventarlisten
zum Transport
vorbereitet. Es sind Listen der Straßenauktionen erhalten, in
denen enteignete
Objekte verkauft wurden. Nach Ende des Krieges und der Shoah
erstellten
Überlebende in Selbstinitiative Listen, um das Ausmaß der
systematischen
kulturellen Enteignung und Vernichtung zu dokumentieren. Alle
diese und andere
Listen dienen bis heute als essenzielle Quellen zur Rekonstruktion
von
Eigentums- und Vernichtungsgeschichten und im juristischen Kontext
als
Grundlage für Restitutionsforderungen. Sie lassen in vielen Fällen
Rückschlüsse
auf die Opfer zu, aber in Teilen auch auf die Profiteure des
Nationalsozialismus.2 Sie böten daher die
Chance, die
Geschichten jüdischen Lebens zu erzählen, dessen Vernichtung sie
so anschaulich
dokumentierten.
Obwohl die Washington Principles außerrechtliche Lösungen in
Restitutionsfällen
zur Konsequenz hatten, zeigte sich in den vergangenen 25 Jahren,
dass das
Rechtssystem in Deutschland nach wie vor eine entscheidende Rolle
im Umgang mit
enteigneten Vermögenswerten spielt. Immer wieder stellte sich auf
der Konferenz
daher die Frage, ob und wie der nach wie vor verrechtlichte und
bürokratische Apparat
umgestaltet werden könne, um Restitutionsforderungen zu
vereinfachen. Neben
Anlaufstellen und Gremien wie sie in Deutschland in Form des
Deutschen Zentrums
Kulturgutverluste, der Lost-Art-Datenbank des Help Desks oder der
Beratenden
Kommission3 bestehen, wurden
Pro-bono-Anwälte und
Mediationsstellen vorgeschlagen. Weil die „großen Kunstwerke“
längst ausfindig
gemacht seien und heutige Restitutionsfälle sich vor allem um
Erbstücke und
Alltagsgegenstände drehen, sind viele schnelle und erfolgreich
verlaufende
Restitutionen abseits der Gerichtssäle bereits Alltagsgeschäft.
Eine größere
Zahl außerrechtlicher Instanzen könne daher die Verantwortung von
der rein
juristischen Sphäre auf mehrere Kompetenzstellen verteilen. Dafür
müssten diese
außerrechtlichen Instanzen jedoch zunächst mehr Autorität und
Kompetenzen
erhalten.
Die zweitägige Konferenz erzeugte zahlreiche programmatische
Plädoyers.
Gefordert wurden vergleichende, transnationale, interdisziplinäre
und
begriffskritische Studien zu historischen Entzugskontexten sowie
zu
Restitutionspraktiken. Diesen Ansprüchen wurde das Panel selbst
bereits gerecht,
indem Expert:innen verschiedener fachlicher Hintergründe aus
unterschiedlichen
Blickwinkeln in produktiver Weise auf die Geschichte von und den
Umgang mit
NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern blickte. Nur in
geringem Umfang
konnten die Perspektiven auf Osteuropa sowie auf andere
Opfergruppen der
nationalsozialistischen Kulturgutentzugspolitik besprochen werden.
Hierfür wäre
ein erneutes Zusammenkommen eine willkommene Gelegenheit.
Konferenzübersicht:
Keynote
Leora Bilsky (Tel Aviv): The Question of Restitution: From Post
Holocaust to
Post Colonial Struggles
Roundtable-Diskussion 1: Before and After the Washington
Principles:
Restitution, Provenance Research and the Roles of Institutions and
Individuals
Constantin Goschler (Bochum): Restitution in the Global History of
the 20th
Century
Bianca Gaudenzi (Cambridge/Konstanz): Restitution of Looted Art in
a
Transnational Perspective
Atina Grossmann (New York): The Survivors’ Struggle for
Restitution and
Recognition
Małgorzata Quinkenstein (Berlin): The Work of the Jewish Claims
Conference and
the Restitution of Art
Moderation: Benno Nietzel (Frankfurt (Oder)/Bielefeld)
Roundtable-Diskussion 2: Legal and Societal Issues in Historical
Wiedergutmachung and Current Restitution
Laurie Stein (Chicago): The History and Changing Role of
Provenance Research
Benjamin Lahusen (Frankfurt (Oder)): Conflicting Legal Traditions
in the
Restitution of Art
Magdalena Gebhart (Frankfurt am Main): Wiedergutmachung between
the Expectation
of Recognition and the Dogmatics of the Existing Legal Order
Tabitha Oost (Amsterdam): Restitution of Artworks in the
Netherlands and in
Germany
Moderation: Philipp Dinkelaker (Frankfurt (Oder))
Emily Löffler (Leipzig): The Role of Historical Wiedergutmachung
in Current
Provenance Research and Restitution – krankheitsbedingt
ausgefallen
Anmerkungen:
1 Vollständig: „Conference on
Jewish Material
Claims Against Germany“.
2 In Straßenauktionslisten sind
etwa die Namen
der Käufer:innen überliefert.
3 Vollständig: „Beratende
Kommission im
Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen
Kulturguts,
insbesondere aus jüdischem Besitz“.
Zitation
Lydia Bucher, Tagungsbericht: Recht ohne Recht – Law without Law.
Conference on
the Restitution of Nazi-confiscated Art, In: H-Soz-Kult,
12.04.2024, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-143279>.