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2024/03/01 09:19:27 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] @ichbinsophiescholl. Darstellung und Diskussion von Geschichte in Social Media |
Datum | 2024/03/02 10:05:51 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] der amerikanische Präsidentsc haftswettkampf hautnah |
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2024/03/02 10:05:51 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] der amerikanische Präsidentsc haftswettkampf hautnah |
Betreff | 2024/03/20 23:28:22 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] Einladung zur Eröffnung der A usstellung KREUZWEG im Kloster Tholey |
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2024/03/01 09:19:27 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] @ichbinsophiescholl. Darstellung und Diskussion von Geschichte in Social Media |
Autor | 2024/03/02 10:05:51 Roland Geiger via Regionalforum-Saar [Regionalforum-Saar] der amerikanische Präsidentsc haftswettkampf hautnah |
Date: 2024/03/01 09:21:35
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)...
Autor(en) Hoff, Sarina
Reihe Wertewandel im 20. Jahrhundert
Erschienen Berlin 2023: De
Gruyter Oldenbourg
Anzahl Seiten 494 S.
Preis € 79,95
ISBN 978-3-11-062761-9
Inhalt meinclio.clio-online.de/uploads/media/book/toc_book-56107.pdf
Rezensiert für H-Soz-Kult von Jens Gründler, LWL-Institut für
westfälische
Regionalgeschichte, Münster
Schläge mit dem Rohrstock auf Finger oder Gesäß, Ohrfeigen und
Kopfnüsse von
Lehrerinnen und Lehrern kennen viele Menschen inzwischen nur
noch aus
Erzählungen von Eltern, Großeltern oder älteren Kolleginnen und
Kollegen. Dabei
war diese Form der Bestrafung von Nachlässigkeit,
Unaufmerksamkeit und
„störendem Verhalten“ bis weit nach 1945 besonders in Volks- und
Grundschulen
nahezu ubiquitär. Dass solche „Prügelstrafen“ nicht nur eine
lange Tradition
haben, sondern dass um die Berechtigung und Angemessenheit
dieser Form von
Disziplinierung schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts auch
zahlreiche
Deutungskämpfe geführt wurden, zeichnet Sarina Hoff in ihrer
Mainzer
Dissertation nach. Dabei ordnet sie die Diskurse und
Aushandlungsprozesse um
die Abschaffung körperlicher Schulstrafen überzeugend in
allgemeine
gesellschaftliche Transformationsprozesse über vier politische
Systeme ein –
Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und
Bundesrepublik –, ohne
aus dem Blick zu verlieren, dass ein „Wertewandel“ in der
Pädagogik nicht
zwangsläufig mit Veränderungen des politischen Systems parallel
lief. Vielmehr
macht sie deutlich, dass die Entwicklungen von Akzeptanz und
Legitimation
physischer Strafen in den Schulen teils ganz anderen Rhythmen
unterlagen.
Zentral für ihre Untersuchung sind zum einen die Standardtexte
der
pädagogischen Literatur, die sich seit dem 19. Jahrhundert mit
körperlicher
Züchtigung befassten. In Lexika und Enzyklopädien spürt die
Autorin den feinen
Veränderungen nach, mit denen die Expertinnen und Experten
Köperstrafen
erklärten und legitimierten oder ablehnten. Sie kann nachweisen,
dass – mit wechselnden
Begriffen und Topoi – bis weit ins 20. Jahrhundert eine
deutliche Mehrheit aus
Wissenschaft und Schulpraxis die Züchtigung von Schülerinnen und
Schülern
befürwortete. Autorität und (Schul-)Disziplin seien ohne
gewaltvolle Strafen
kaum aufrechtzuerhalten, argumentierten die Verfechter der
Prügelstrafen.
Gleichzeitig unterschieden die Befürworter die maßvolle
gerechtfertigte
Züchtigung im Interesse der Kinder theoretisch nahezu
durchgehend von
„abzulehnender Misshandlung“ (S. 48). Exzesse waren auch in
ihren Augen
kontraproduktiv. Gleichzeitig kann Hoff zeigen, dass die Kritik
bis hin zur
radikalen Ablehnung jeglicher körperlicher Strafen schon
deutlich vor 1900 von
Pädagogen vorgetragen wurde, deren Meinung jedoch nur von einer
Minderheit
geteilt wurde.
Zum anderen sind Diskussionen, Verlautbarungen und Erlasse
verschiedener
Kultusministerien für Hoff wichtige Quellen, anhand derer sie
die Rezeption von
pädagogischem Wissen und weiteren Expertendiskursen
nachverfolgt, zum Beispiel
aus der Medizin und der Psychologie. Hieran zeigt sich, dass das
Pro und Contra
körperlicher Strafen eng mit dem jeweiligen Personal und
„Zeitgeist“ verkoppelt
war. Besonders deutlich wird das bei den Kultusministerien nach
1945, die sich
an den vermeintlichen Schulstandards der Westalliierten
orientierten und das
Ende der Prügelstrafe eng mit der Demokratisierung der
Gesellschaft
verknüpften.1
Körperliche Strafen, so der Tenor zahlreicher prominenter
Autoren und einiger
Kultusminister, seien Kennzeichen einer auf Gehorsam und
Unterordnung
programmierten Schule und Gesellschaft, die „Kadavergehorsam“
(S. 270)
förderten, „autoritäre Charaktere“ im Sinne der Frankfurter
Schule und
insbesondere Erich Fromms (S. 262f.) sowie „Wachmannschaften für
KZ“ (S. 270)
produzierten. Entsprechend fertigte man zum Beispiel in Hessen
einen
ministeriellen Erlass an (1947/49), der Körperstrafen
ausdrücklich verbot.
Allerdings waren diese Ansichten bei Lehrerinnen und Lehrern
sowie in der
Justiz weit weniger verbreitet als die Ministerialverwaltung
vermutete. Zwar
gab es beim Lehrerverband und etwa unter der „städtischen,
linksliberalen Leserschaft
der Frankfurter Rundschau“ (S. 269) zahlreiche Befürworter des
Verbots. Dagegen
vermutete die „Hessische Lehrerzeitung“ 1950, dass „mehr als 90
Prozent der
gesamten Lehrerschaft das generelle Verbot […] ablehnt“ (S.
267). Ganz ähnliche
Verhältnisse herrschten in Bayern (S. 287). Das Beharren auf
einem
„Gewohnheitsrecht“ der körperlichen Züchtigung von Schülerinnen
und Schülern
fand in der Justiz und großen Teilen der Gesellschaft seit dem
19. Jahrhundert
und offenbar auch nach 1945 weiter Zustimmung. Vor Gericht
konnten Lehrerinnen
und Lehrer sich darauf berufen und wurden, außer in Fällen
besonderer
Misshandlungen, vom Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen.
Ein
ministerieller Erlass, so die dominante Meinung in der
juristischen Literatur
seit den 1930er-Jahren und auch über die Zäsur von 1945 hinweg,
könne dieses
Gewohnheitsrecht nicht aufheben (S. 294). Damit wurden die durch
die
Kultusministerien erlassenen Verbote obsolet.
Dass Lehrer und Gerichte sich auf breite gesellschaftliche
Unterstützung
berufen konnten, macht Hoff immer wieder deutlich, wenn sie auf
Petitionen und
Versammlungen von lokalen Elterninitiativen eingeht oder aus den
Akten Väter
und Mütter zu Wort kommen lässt. Durchgehend bis in die 1950er-
und
1960er-Jahre war die Mehrheit der Eltern davon überzeugt, dass
Ohrfeigen und
Kopfnüsse im Repertoire der Erziehungsmittel auch in den Schulen
gerechtfertigt
seien. Diese Feststellung korrespondierte mit einer Erhebung des
Allensbacher
Instituts für Demoskopie. Hier antworteten noch 1965 circa 36
Prozent der
Befragten, dass körperliche Züchtigung selbstverständlich zur
Erziehung gehöre,
und immerhin 46 Prozent, dass man „Schläge“ als ultima ratio
einsetzen dürfe
(S. 333). Und selbst Mitte der 1970er-Jahre sprachen sich
angeblich 90 Prozent
der Eltern einer Hauptschule in der Vorderpfalz bei einer
anonymen Umfrage
gegen ein gesetzliches Züchtigungsverbot aus (S. 366).
Gleichwohl wurden in den
1970er-Jahren in nahezu allen Bundesländern Gesetze erlassen,
die körperliche
Strafen in der Schule verboten. Die Autorin weist ausdrücklich
darauf hin, dass
das nicht das Ende in der Praxis bedeutete. Aber die Verstöße
von Lehrerinnen
und Lehrern konnten danach erfolgreich juristisch verfolgt
werden.
Als ein zentrales Ergebnis ihrer Arbeit hält Hoff fest, dass die
Abschaffung
des Rechts auf Züchtigungen durch Lehrerinnen und Lehrer nicht
auf einfache
Transferprozesse aus der wissenschaftlichen Pädagogik
zurückzuführen sei,
sondern vielmehr auf multidimensionalen Akteurskonstellationen
und ihren Eingriffen
beruhte. Die Aktionen von Presse, Bürgerrechtsorganisationen,
Politikerinnen
und Politikern sowie Elternvertretern beeinflussten das Verbot
gewaltvoller
Erziehungsmaßnahmen mindestens ebenso sehr wie die pädagogische
Forschung und
Debatte (S. 412). Im Verlauf des Untersuchungszeitraumes von
über 100 Jahren
hat keine geradlinige Entwicklung stattgefunden, die sich als
klare
Erfolgsgeschichte beschreiben ließe. Vielmehr war es ein durch
Ambivalenzen
gekennzeichneter Prozess, der Rückschritte und Beharrungen
aufwies. Erst in den
1970er-Jahren, dann aber besonders rasch innerhalb des
Jahrzehnts, erließen
letztendlich alle Bundesländer gesetzliche Verbote. In den
1970er-Jahren kamen
auch die Schülerinnen und Schüler selbst zu Wort und wurden
angehört – ein deutlicher
Hinweis darauf, wie sehr sich das gesellschaftliche Klima um
Schule und Gewalt
verändert hatte.2
Die Idee der gewaltfreien Erziehung in der Schule hatte nun eine
Mehrheitsposition in Kultusministerien und Lehrerverbänden
erreicht. In dieser
Verzahnung der Schule mit der Gesellschaft, den feinen
Nuancierungen der
Entwicklungen und Akteurspositionen sowie dem Herausarbeiten der
unterschiedlichen Temporalitäten des „Wertewandels“ liegen die
Stärken des
Buches.
Sarina Hoff hat eine rundweg gelungene Arbeit vorgelegt, der man
Verbreitung
über die Grenzen der Geschichtswissenschaften und der Pädagogik
hinaus wünscht.
Denn die Autorin verdeutlicht, dass spätestens nach 1945 nicht
die
Verantwortlichen in Ministerien, Verwaltungen und
Lehrerverbänden diejenigen
waren, die das Recht auf Züchtigung für Lehrerinnen und Lehrer
verteidigten. Im
Gegenteil wollten diese Akteursgruppen vielfach gewaltärmere
Schulen. Sie
scheiterten einerseits daran, dass die Landesregierungen und
Landesparlamente
sich zunächst nicht zu gesetzlichen Verboten durchringen
konnten. Andererseits,
und das war noch viel gravierender, scheiterten sie an einer
Koalition aus
Richtern, Lehrern und Eltern, die bis in die 1970er-Jahre
bestimmte Formen –
zumindest niedrigschwelliger – Gewalt durch die Lehrkörper in
Schulen als
notwendig verteidigten, akzeptierten und sogar lautstark
einforderten. Das war
von Region zu Region unterschiedlich, abhängig zum Beispiel von
Konfession und
Urbanisierungsgrad. Aber im Allgemeinen waren in der Bevölkerung
erst ab Mitte
der 1970er-Jahre die Züchtigungsgegner in der Mehrheit. Diese
Erkenntnisse der
Studie wären in einigen aktuellen gesellschaftlichen Debatten
durchaus
hilfreich, um solche Debatten besser zu kontextualisieren.
Anmerkungen:
1
Vgl. zum Beispiel Sonja Levsen, Autorität und Demokratie. Eine
Kulturgeschichte
des Erziehungswandels in Westdeutschland und Frankreich
1945–1975, Göttingen
2019; rezensiert von Dirk Schumann, in: H-Soz-Kult, 25.11.2020,
https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-28605
(16.02.2024).
2
Vgl. dazu unter anderem Till Kössler, Jenseits von
Brutalisierung oder
Zivilisierung. Schule und Gewalt in der Bundesrepublik
(1970–2000), in:
Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 15
(2018), S.
222–249, https://zeithistorische-forschungen.de/2-2018/5589
(16.02.2024).
Zitation
Jens Gründler, Rezension zu: Hoff, Sarina: Der lange Abschied
von der
Prügelstrafe. Körperliche Schulstrafen im Wertewandel 1870–1980.
Berlin 2023 ,
ISBN 978-3-11-062761-9, In: H-Soz-Kult, 28.02.2024, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-28879>.