Monatsdigest

[Regionalforum-Saar] Rezension: A. Goodman: The Deportation Machine

Date: 2021/04/01 21:55:12
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

A. Goodman: The Deportation Machine

Review: The Deportation Machine. America's Long History of Expelling Immigrants

 

Autor Adam Goodman

Erschienen Princeton 2020: Princeton University Press

Sprache: Englisch

Anzahl Seiten X, 322 S.

Preis £ 20.00; € 31,20

ISBN 978-0-691-18215-5

 

Rezensiert für H-Soz-Kult von Norbert Finzsch, Historisches Seminar, Universität zu Köln

Dies ist ein im besten Sinne des Wortes aufregendes Buch. Es hat neben seiner historischen Tiefenwirkung eine große politische Bedeutung, nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern auch für die Debatte um die Asylpolitik und den Status der Geflüchteten in Deutschland. Der Autor, ein junger Historiker an der University of Illinois, hat alle einschlägigen Archive in Mexiko und den Vereinigten Staaten durchforstet. Allein die Liste der besuchten Archive ist beeindruckend. Von den gut 300 Seiten des Buches sind über hundert Seiten der Dokumentation in ausführlichen Fußnoten gewidmet. Dabei ist der Text aber flüssig und lesbar geschrieben und die Leser:in erfährt eine Menge über die persönlichen Geschichten der Immigrant während der letzten 100 Jahre, ihre Kämpfe um Bleiberecht und die Maschinerie der Regierung, die auf allen erdenklichen Wegen daran arbeitet, Menschen abzuschieben, die meistens aus Mexiko in die USA eingewandert sind.

In historischer Perspektive hatten die Vereinigten Staaten schon immer eine konfliktreiche Beziehung zu armen Einwanderer aus dem Süden, speziell Mexiko. Der Konflikt entstand historisch aus dem Mexikanisch-Amerikanischen Krieg von 1846 und später aus dem Widerspruch zwischen dem Arbeitskräftemangel der US-Wirtschaft und der gleichzeitigen rassistischen Ausgrenzung dieser Einwanderer. Die USA haben im frühen 20. Jahrhundert die notwendigen Mechanismen geschaffen, um Einwanderer in leicht verfügbare und unterbezahlte Arbeitskräfte zu verwandeln, ohne die damit verbundenen sozialen Kosten tragen zu müssen. Die „Deportation Machine“ von Adam Goodman untersucht und bestätigt diese gescheiterte Beziehung aus einer historischen, politischen und ideologischen Perspektive. Goodman erörtert die Kriminalisierung von Einwanderer und die Rolle, die Fremdenfeindlichkeit und der Rassismus bei der Definition derjenigen gespielt haben, die es nicht „verdienen“, in den Vereinigten Staaten zu sein. Darüber hinaus untersucht das Buch, wie solche rassistischen Ideologien benutzt werden, um „Selbstdeportationen“ zu motivieren. Das Hauptmittel dazu ist Angst, mit der Gemeinschaften von Einwanderer terrorisiert werden. Als Ergebnis kommt der Autor zu dem Schluss, dass die Zahl der „freiwilligen“ Abschiebungen deutlich höher ist, als die offiziellen Daten vermuten lassen. In der Tat ist es fast unmöglich, sie zu quantifizieren. Goodman insistiert darauf, dass unter „Abschiebung“ alle Ausweisungsmechanismen gefasst werden, einschließlich der Selbstabschiebungen und freiwilligen Ausreisen.

Kapitel 1 beschreibt die verschiedenen Mechanismen und ideologischen Faktoren, die die Entstehung der Deportationsmaschinerie in den Vereinigten Staaten begünstigten. Kapitel 2 stellt die Funktionsweise dieser Mechanismen aus historischer, politischer und ideologischer Perspektive dar, während Kapitel 3 einen wertvollen Beitrag zum Verständnis der menschlichen Kosten der Abschiebungsmaschinerie leistet, die aufgrund der informellen Natur der Abschiebung unbekannt bleiben. Das vierte Kapitel untersucht die Mechanismen der Krise und der Politik der Furcht, mittels derer Immigrant zu Selbstdeportationen angeregt werden. Kapitel 5 befasst sich mit Ereignissen, in denen Immigrant für ihre Rechte kämpften und das letzte Kapitel analysiert, wie die rassistischen und fremdenfeindlichen Narrative der Abschiebungsmaschinerie, die Einwanderer kriminalisieren, in der Gegenwart fortbestehen und die Grenzen der USA überschreiten. Als Beispiel dafür, wie solche Narrative andere Gebiete durchdringen, verweist Goodman auf Mexikos Bemühungen, arme Mittelamerikaner, die vor Armut fliehen, zu stoppen, zu entfernen und zu kontrollieren.

Goodmans Darstellung von Selbstabschiebungen und freiwilliger Rückkehr als nicht-legale, nicht-institutionalisierte oder nicht-verfolgte Formen der Abschiebung ist sehr aufschlussreich, insbesondere wenn er die unermesslichen Auswirkungen solcher Taten auf Individuen, Familien und Gemeinschaften darstellt. Für Goodman sind Selbstabschiebungen und freiwillige Rückführungen das Ergebnis sowohl formeller als auch informeller Durchsetzungstaktiken wie Angst, Gerüchte und Geschichten, die in Nachbarschaften und Gemeinden kursieren, was zu einer ständigen Terrorisierung von Einwanderer und damit zu ihrer erzwungenen Ausreise führt. Durch Interviews, Berichte und statistische Daten zeigt er, wie diese subtilen Taktiken eine grundlegende Rolle bei der Schaffung und Etablierung inoffizieller Mechanismen der Abschiebung spielen. Als ein Beispiel für informelle Durchsetzungstaktiken erzählt Goodman, wie zwischen der Großen Depression und der „Operation Wetback“ Tausende von Mexikaner „freiwillig“ die Vereinigten Staaten verließen. Wie Goodman feststellt, machen die freiwilligen Ausreisen 85 Prozent der fast 57 Millionen Gesamtausweisungen während der letzten 125 Jahre aus (S. 208). In Wirklichkeit waren diese freiwilligen Ausreisen jedoch das Ergebnis von verdeckten Aktionen der US-Regierung und nicht das einer autonomen Entscheidung der Einwanderer. Goodman belegt, dass die freiwillige Ausreise mexikanischer Migrant gefördert wurde durch ihre Kriminalisierung und Dämonisierung sowie die Angst, die in ihren Gemeinden geschürt wurde.

Goodman betont sowohl die finanziellen als auch die emotionalen Kosten der Abschiebung. Aufgrund der Art und Weise, wie Abschiebungen vollstreckt werden, können die vollen emotionalen und finanziellen Konsequenzen für die Immigrant nicht richtig eingeschätzt werden. Die emotionalen Kosten sind übrigens, wie Goodman nicht müde wird zu betonen, unabhängig von der Abschiebemethode (per Schiff, Zug, Bus oder Flugzeug) oder der Form der Abschiebung (formelle Abschiebung, Selbstabschiebung oder freiwillige Abschiebung). Das erzwungene oder „freiwillige“ Verlassen der Vereinigten Staaten verläuft für die Einwanderer in der Regel traumatisch. Die entstehenden finanziellen, physischen und psychischen Härten im Abschiebeprozess sind dabei nicht zufällig, sondern werden durch die Gestaltung des Einwanderungssystems aktiv konstruiert.

Kriminalisierung war eine häufige Strategie während der Abschiebung, und zwar mit dem Ziel, eine Abschiebung leichter durchsetzen zu können. Zugleich diente die Kriminalisierung durch die „Abschiebemaschine“ dazu, Migrant eine Lektion zu erteilen, um sie und ihre Gemeinschaften von einer erneuten Migration in die Vereinigten Staaten abzuhalten. Eine solche Perspektive hilft uns zu verstehen, wie Regierungen auf der ganzen Welt mit unerwünschten und armen Einwanderer innerhalb ihres Territoriums umgehen.

Besonders überraschend ist das dritte Kapitel „The Human Costs of the Business of Deportation“. Darin zeigt Goodman, wie häufig es fragwürdige Kooperationen zwischen privaten Unternehmen und staatlichen Stellen gibt, die auch die Komplizenschaft ausländischer Regierungen miteinschließen. Hier ergibt sich Raum für weitere Forschungen, etwa bei der Frage nach der Rolle ausländischer Regierungen bei der Aufnahme von Abgeschobenen. Ich hätte mir auch im Zusammenhang mit dem großartigen fünften Kapitel über den Widerstand gegen Deportationen eine ausführlichere Würdigung der Richter an den Immigration Courts gewünscht, die speziell im Bundesstaat Kalifornien oft eine progressive Position einnehmen und deswegen von Seiten des Department of Justice unter Druck geraten. Speziell seit der Trump-Administration haben deswegen etliche Richter ihr Amt aus Protest niedergelegt.

Dessen ungeachtet wird die breit angelegte historische und politische Perspektive dieses Buches für die akademische Forschung, die politischen Debatten und Aktivist internationaler Migration von großer Bedeutung sein. Goodmans umfassendere Definition von Abschiebung, die auch freiwillige Ausreisen einschließt, ist wesentlich für das Verständnis der Funktionsweise der Abschiebemaschinerie. Obwohl sich das Buch auf die Deportationsmaschinerie in den Vereinigten Staaten konzentriert, hilft es doch, die internationale Migration im weiteren Sinne zu verstehen, vor allem weil es aufzeigt, wie die Kriminalisierung und Dämonisierung armer Einwanderer nicht nur ein US-Phänomen, sondern auch ein globaler Trend ist.

Zitation

Norbert Finzsch: Rezension zu: Goodman, Adam: The Deportation Machine. America's Long History of Expelling Immigrants. Princeton  2020. ISBN 978-0-691-18215-5, In: H-Soz-Kult, 02.04.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-95143>.




[Regionalforum-Saar] Die Wittislinger Funde und die östliche Alemannia im frühen Mittelalter – Ze iten, Räume, Horizonte

Date: 2021/04/04 11:40:06
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Die Wittislinger Funde und die östliche Alemannia im frühen Mittelalter – Zeiten, Räume, Horizonte

Veranstalter Historischer Verein für Schwaben; Archäologische Staatssammlung München; Verein für Augsburger Bistumsgeschichte; Akademisches Forum der Diözese Augsburg

26.02.2021 - 27.02.2021

Ein Tagungsbericht von Barbara Schratzenstaller, Ludwig-Maximilians-Universität München

Im November 1881 entdeckten Steinbrecher in Wittislingen (Lkr. Dillingen an der Donau) das sogenannte Fürstinnengrab aus dem 7. Jahrhundert. Schnell sprach die Öffentlichkeit von einem „Fund von der höchsten Bedeutung“. Ein regelrechter Wettlauf wurde zwischen Privatleuten, Sammlungen und Museen in ganz Europa um den Erwerb der kostbaren Grabbeigaben ausgetragen, ehe der bayerische Staat die frühmittelalterlichen Fundstücke, darunter die berühmte Bügelfibel, erwerben konnte. Heute zählen sie zu den Prunkobjekten der Archäologischen Staatssammlung München. 1950 hatte ihnen der berühmte Archäologe Joachim Werner die grundlegende Studie „Das alamannische Fürstengrab von Wittislingen“ gewidmet. Das 140jährige Jubiläum der Auffindung wurde nun zum Anlass genommen, in einer archäologisch-historischen Tagung die erhaltenen Funde einer Neuinterpretation und Kontextualisierung zu unterziehen. Das Symposion war konzentrisch um die merowingerzeitlichen Grabbeigaben von Wittislingen angelegt, die mit anderen frühmittelalterlichen Fundstellen verglichen sowie in die Fundlandschaft und darüber hinaus in rechts-, sozial- sowie kirchenhistorische Entwicklungen eingeordnet wurden.

Einleitend unterzog GREGOR JAKOB (München) das Corpus der Fundakten erstmals einer systematischen Untersuchung. Was als Zufallsentdeckung zweier Arbeiter begonnen hatte, entwickelte sich zu einer regelrechten Kriminalgeschichte, die vom Referenten quellennah nachgezeichnet wurde. Das Fehlen einer wissenschaftlichen Dokumentation der Fundumstände führte dazu, dass sich ein Schleier auf alle künftige Interpretation legte; trotz mündlicher Berichte und späterer Aufzeichnungen bleibt das Fundbild verdunkelt. Jakob verglich die Wittislinger Fundumstände mit denen der, ab 1843 in drei Ausgrabungen freigelegten, Reihengräber von Nordendorf (Akten im Eigentum des Historischen Vereins für Schwaben/Stadtarchiv Augsburg). Als wesentliche Gemeinsamkeiten arbeitete er das enorme wissenschaftliche und öffentliche Interesse sowie eine enge Verzahnung staatlicher und privater Akteure heraus, was oftmals zu konfliktbeladenen Situationen führte, bis sich die Besitzansprüche geklärt hatten.

In seinen chronologisch angelegten, bis zum Ende des Obergermanisch-Raetischen Limes im 3. Jahrhundert zurückgreifenden Ausführungen profilierte ALFONS ZETTLER (Dortmund) neue Forschungsergebnisse zu Alemannen und zur Alemannia in Spätantike und Frühmittelalter vor der Referenzfolie der großen Stuttgarter (später auch Züricher und Augsburger) Landesausstellung des Jahres 1997. Besonders wies er auf die alternierende Namengebung im Lauf der Jahrhunderte, den sich wandelnden gens-Begriff, die Schwierigkeiten, das Territorium Alemannien in seinem Grenzverlauf genau zu fassen sowie eine „wabernde“ Titelgebung hin. Einen weiteren Schwerpunkt legte Zettler auf die Frage nach dem herzoglichen Profil im Untersuchungszeitraum: Schon die Ermittlung einer stimmigen Reihe der merowingerzeitlichen Träger des dux-Amtes sei unmöglich.

Ein Hauptproblem der frühmittelalterlichen Geschichte Augsburgs liegt darin, dass nahezu sämtliche Quellen in den Wirren des sogenannten Investiturstreits zerstört wurden. In seinem Vortrag über die kirchlichen Verhältnisse auf dem Gebiet des Bistums Augsburg im 7. Jahrhundert unterzog THOMAS GROLL (Augsburg) die vorhandenen Zeugnisse einer umfassenden Revision. Er diskutierte die (hohe) Wahrscheinlichkeit eines spätrömischen Bischofssitzes bei der möglichen Basilika von St. Gallus, die Frage der Bischofskontinuität zum Frühmittelalter hin sowie die episkopalen Quellenbelege für Epfach, Neuburg und Staffelsee. Auch die merowingerzeitlichen Klerikerbestattungen in der Krypta von St. Ulrich und Afra bezog er in seine Überlegungen ein. Sicher sei, dass die entscheidende, bis heute weiterwirkende Formungsphase des Bistums Augsburg in der Zeit um 800 gelegen habe.

GABRIELE GRAENERT (Stuttgart) profilierte anhand der Bestattungsplätze von Pfahlheim, Niederstotzingen, Giengen an der Brenz, Kirchheim am Ries und Brenz an der Brenz das Gebiet zwischen den Gäulandschaften im Westen und dem Ried/Ries im Osten als Transitraum, geprägt von hoher Mobilität. Allen Orten ist eine zentrale strategische Lage zu eigen. Aus den Funden jener frühmittelalterlichen Funerallandschaft könnten Kennzeichen für Rang und Funktion der Oberschichten erarbeitet werden. Allerdings sei eine Korrelation zwischen Qualitätsstücken unter den Grabbeigaben und genauem ständischen Rang derzeit nicht möglich; dafür sei noch auf das Kategorisierungssystem von Rainer Christlein zurückzugreifen. Überzeugend konnte Graenert eine differenzierte Entwicklung von der Reihengräberbestattung hin zur Kirchensepultur extra und intra muros aufzeigen.

Mittels archäologischer Befunde seien die Hauptentwicklungslinien der Geschichte Augsburgs sowie des Umlands der alten Römer-civitas bis etwa 450 relativ klar zu zeichnen (inklusive ältestem Hinweis für Juden in Bayern), für die Jahrhunderte danach sei dies wesentlich schwieriger, führte SEBASTIAN GAIRHOS (Augsburg) aus. Gesichert ist eine Reduktion der städtischen Besiedlung im 6. und 7. Jahrhundert, was zur Folge hatte, dass sich einige wichtige antike Bauten, etwa die Thermen, nun außerhalb der Stadtmauer befanden. Gairhos widmete sich besonders den Kirchengrabungen bei St. Gallus, beim Dom und bei St. Ulrich und Afra, bezog in seine Überlegungen aber auch die Funde vom Schwalbeneck – so etwa die frühmittelalterlichen Grubenhäuser – ein, aus denen Hinweise auf ein „Gewerbegebiet“ und damit auf die Sozialtopographie der Stadt zu gewinnen sind.

Im Zentrum der Tagung stand der Festvortrag von BRIGITTE HAAS-GEBHARD (München) über das sogenannte Fürstinnengrab von Wittislingen. „Warum ein Wittislingen 2.0?“, lautete die Ausgangsfrage. Die Antwort: Das Vergleichsmaterial sei gewaltig angewachsen, neue Untersuchungsmethoden (Röntgen, Mikroskopie, Materialanalysen etc.) und Fragestellungen rechtfertigten eine Neuinterpretation. Diese fiel spektakulär aus. Der Datenbankvergleich mit zehntausenden frühmittelalterlichen Fundkomplexen zeigt die Singularität der Wittislinger Fundstücke. Vergleichsobjekte stellten lediglich die Königinnengräber in Saint-Denis und Köln dar, was nahelege, dass auch die „Fürstin“ mit der königlichen Dynastie in enger Verbindung gestanden habe. Möglicherweise, so schlug Haas-Gebhard vor, habe das Königshaus den Versuch unternommen, einen lokalen Clan durch Heirat zu binden, was das Nebeneinander von regionalen und überregionalen Fundstücken erklären könnte. Vor allem drei Herkunftsregionen oder Beziehungsschichten der Funde ließen sich feststellen: Mittelmeerraum, Westeuropa (Mittelrheingegend, Frankreich, Gegend um Kaiseraugst) und die Region um Wittislingen. Der hohe Materialwert der Funde (86 g Gold, 392 g Silber, 1.478 g Buntmetall) korrespondiere mit der großen Anzahl von Sonderanfertigungen und dem repräsentativen Symbolgehalt der Stücke – allen voran der um 600 im süddeutschen Raum gefertigten großen Bügelfibel. Das vermeintlich heidnische Bildvokabular auf manchen Gegenständen (Schlangen-, Eberköpfe etc.) interpretierte die Referentin nicht gemäß gängigen synkretistischen Kategorien, sondern profilierte jene ikonographische Sprache als Zeichencode einer christlichen Elite. Insgesamt zeige sich allenthalben ein hoher Grad an Exklusivität. Der Grabfund von Wittislingen lasse ferner Fragen nach Rolle und Einfluss von Frauen um 650 laut werden.

WOLFGANG JANKA (München) unterzog den im 10. Jahrhundert erstmals belegten Ortsnamen Wittislingen einer gründlichen Neuinterpretation. Während bisher eine Entwicklung aus dem Personennamen Witigis angenommen wurde, machte Janka nun den althochdeutschen Personennamen Witu- bzw. Witigisil wahrscheinlich, wodurch ursprünglich westgotische und westfränkische Parallelen aufscheinen. Zusammen mit den weiteren Ortsnamen Mörslingen und Aislingen (beide Lkr. Dillingen an der Donau) zeichne sich ein für Bayerisch-Schwaben einzigartiges „Areal von Personennamen mit Zweitglied -gisil“ ab, was bisher nicht erkannt wurde und auf Sippenzusammenhänge hinweise. Die klassische Ortsnamenschichtung für Bayern, keltisch – romanisch – germanisch – deutsch, sei um eine Schicht von Ortsnamen mit klaren westfränkischen Bezügen zu ergänzen.

Der unvergleichlich hohen frühmittelalterlichen Friedhofsdichte in Wittislingen links und rechts der mäandrierenden Egau widmete sich VOLKER BABUCKE (Friedberg). Aufgrund vielfacher Überbauung falle das Urteil schwer, ob man sich im Frühmittelalter dort eine zusammenhängende Siedlung oder nicht eher kleinere Hofkristallisationskerne vorzustellen habe. Vielleicht lassen die Ergebnisse einer derzeit laufenden Grabung Antworten darauf zu. Die Siedlungslandschaft sei im Untersuchungszeitraum zudem einem steten Wandel unterworfen gewesen, was Rekonstruktionsversuche erschwere. Babucke zog zur vergleichenden Profilierung Grabungen in Schlingen, Friedberg und Gablingen in seine Überlegungen mit ein. Im Falle des Fürstinnengrabs sprach sich der Archäologe für eine Kategorisierung als Separatbestattung aus.

SUSANNE BRATHER-WALTER (Freiburg im Breisgau) und BENJAMIN HÖKE (Stuttgart) stellten die mit 1.300 Gräbern größte frühmittelalterliche Nekropole in Südwestdeutschland vor: Lauchheim „Wasserfurche“, deren Belegungszeitraum vom späten 5. bis zum Ende des 7. Jahrhunderts reicht. Während sich Höke vor allem dem Aspekt der Strukturphasen hin zu den reduzierten Grabinventaren der späten Merowingerzeit widmete und besonders anhand der Doppelbestattung von Mittelhofen Grab 7/8 die Frage einer sozialen Fraktionierung bei zunehmendem lokalen Gewaltpotential diskutierte, rückte Brather-Walter bei ihrer Studie zu den Frauengräbern eine Typologisierung des Fundkomplexes von 70 Bügelfibeln ins Zentrum. Insgesamt zeige sich eine Entwicklung hin zu einer seriellen Standardisierung der Gewandschließen, deren Gewicht durchschnittlich ein Zehntel der großen, 256 g schweren Wittislinger Bügelfibel ausmache.

Die frühmittelalterliche Fundortdichte in der fruchtbaren Kleinregion südlich von Augsburg zwischen Göggingen und Schwabmühlhausen nahm ANJA GAIRHOS (Augsburg) in den Fokus ihrer Betrachtung, wobei sie insbesondere die 14 im Jahr 2004 entdeckten Bestattungen in Augsburg-Inningen vorstellte. Die Vollbewaffnung der neun Männergräber mit dem „klassischen Satz“ von (damaszierter) Spatha, Sax, Lanze, Schild wertete die Archäologin dabei als sozialen Indikator; zudem stellte sie Überlegungen an, wie aus den Grabfunden möglicherweise individuelle Bezüge zu filtern seien. Eindeutig könne an den Gürtelgarnituren ein Modewandel nachvollzogen werden. Allerdings sind noch viele Aspekte unbeleuchtet. Als Forschungsimpulse nannte Gairhos Fragen nach den Handwerkstätten, zu den Geschlechterrollen oder zum Zusammenhang zwischen dem Spiegel der Bestattung und dem wirklichen Leben.

KARL UBL (Köln) systematisierte in einem vergleichenden Blick auf die frühmittelalterlichen Rechtstexte Pactus Alamannorum und Lex Ribuaria das Wechselgeflecht von inneren (Herzogtum, regionale Eliten, Bischöfe) und äußeren Faktoren (Lex Salica als Konzept, konkrete Vorlagen, Rolle des Königtums), an deren Schnittpunkt die Aufzeichnungen der Rechtsgewohnheiten stattfanden. Vor dem historischen Hintergrund der Bürgerkriegssituation um 610 und der Vereinigung der Reichsteile unter Chlothar II. erarbeitete Ubl zentrale Unterschiede zwischen den beiden Texten – in philologischer Natur, bezüglich der Stellung der Kirche, dem regionalem Geltungsbereich und der sozialen Differenzierung. Auf verschiedene Weise spiegelten die Gesetzbücher eine politische Integrationsstrategie des Königtums, wobei der Pactus unzweifelhaft eine große Rolle für die Festigung alemannischer Identität zu einer von regionalen Eliten dominierten Schlüsselzeit gespielt habe.

Einen Ansatz, den Harald Siems auf die Lex Baioariorum angewendet hatte – die Frage nach dem darin gezeichneten Lebensbild – übertrug ROMAN DEUTINGER (München) auf die Lex Alamannorum, einen der am häufigsten überlieferten Rechtstexte des Frühmittelalters. Für seine Analyse der Bereiche Wirtschaft, Gesellschaft und religiöses Leben nahm Deutinger die älteste Fassung der Lex als Grundlage, die er als Spiegel des Gesetzgebers mit Fokus auf das als rechtlich für relevant Erachtete, nicht als Abbild der Lebenswirklichkeit deutete. Die Lex zeige eine differenzierte, agrarisch geprägte, rechtlich stark gegliederte, keineswegs archaische Gesellschaft sowie eine selbstverständliche christliche Kirchenorganisation. Das gattungsbedingt sozial statische Bild stehe im Kontrast zu seiner andernorts als ausgesprochen dynamisch fassbaren Zeit. Abschließend warnte er davor, das Lebensbild der Lex Alammanorum mit historischen Realzuständen gleichzusetzen, zwar gebe es eine Schnittmenge, deren Größe jedoch sei nicht sicher zu bestimmen.

STEFFEN PATZOLD (Tübingen) folgte in seinen Ausführungen den spärlichen schriftlichen Quellenspuren zu sozialem Status und Religion in der Alemannia um die Wende zum 7. Jahrhundert außerhalb der Rechtsaufzeichnungen und zog hierbei u.a. die Columban-Vita, die Vita Galli vetustissima, die Historien des Agathias, die Chronik des Ps.-Fredegar und die Vita s. Germani heran. Den quellenbedingt vorgegebenen Schwerpunkt legte der Historiker auf den Aspekt einer militarisierten Gesellschaft, deren Möglichkeit wie Befähigung zur Gewaltausübung als sozialer Indikator zu deuten sei. Sowohl in gesellschaftlicher (Mobilität, Auf- und Abstieg) als auch in religiöser Hinsicht erscheine die Epoche als Umbruch- und Wandelzeit. Da sich viele Quellen auf den Bodenseeraum beziehen, stelle sich die Frage der Übertragbarkeit auf andere Regionen Alemanniens.

Zuletzt gab CHRISTOF PAULUS (München und Augsburg) eine Zusammenfassung zentraler Tagungsergebnisse und bezog in einem globalhistorischen Ausblick auch Überlegungen zur Klimageschichte („Late Antique Little Ice Age“) sowie zu den Pestnachweisen in den Gräberfeldern von Unterthürheim und Dittenheim ein. Er zog Folgerungen für die Geschichte Wittislingens als strategisch an bzw. in der Nähe zentraler Römerstraßen gelegenen „Vorort“ und für die Geschichte Augsburgs um 600, betonte zentrale Spannungsverhältnisse (Regionalität/Überregionalität, schriftliche vs. archäologische Quellen, Königsferne vs. Königsnähe) sowie die Notwendigkeit, dem zentralgewaltlichen Element in der frühmittelalterlichen Geschichte Ostschwabens fürderhin einen höheren Stellenwert einzuräumen. Diskutiert wurden ferner die Grenzen komparatistischer Methodik.

Die Tagung lieferte insgesamt zahlreiche Impulse für die frühmittelalterliche Geschichte – für die großen Narrative wie für Detailfragen. Ostschwaben, das forschungsgeschichtlich in dieser Hinsicht zuletzt stark in den Schatten getreten war, da einerseits der heutige württembergische Raum, andererseits die Gebiete rechts des Lechs verstärkt im Fokus des Forschungsinteresseses standen, rückt durch die Ergebnisse des außerordentlich gut besuchten Symposions wieder stärker ins Blickfeld. Es ist zu begrüßen, dass die Tagungsakten zügig publiziert werden sollen und somit die gesamtsüddeutsche Perspektive stärker in den Blick genommen werden kann. Deutlich wurde, wie sehr auch globalgeschichtliche Ansätze das Bild der Zeit bereichern können.

Konferenzübersicht:


Bischof Bertram Meier (Augsburg), Markus Schütz (Augsburg), Rupert Gebhard (München): Grußwort und Einführungen

Sektion I: Horizonte I

Gregor Jakob (München): Wittislingen und Nordendorf – ostalemannische Sensationsfunde im 19. Jahrhundert

Alfons Zettler (Dortmund): Die Alemannen in der Zeit um 600 aus historischer Sicht

Thomas Groll (Augsburg): Zu den Verhältnissen im Gebiet des Bistums Augsburg im 7. Jahrhundert

Sektion II: Horizonte II

Gabriele Graenert (Stuttgart): Zentrales Grenzland – der Osten Alamanniens im Spiegel der Friedhöfe

Sebastian Gairhos (Augsburg): Convenire in civitate augusta. Augsburg im Frühmittelalter

Festvortrag
Brigitte Haas-Gebhard (München): Das Fürstinnengrab von Wittislingen – Neubewertung eines Altfundes

Sektion III: Räume

Wolfgang Janka (München): Ortsnamen im Raum Wittislingen

Volker Babucke (Friedberg): Zur frühmittelalterlichen Siedlungsgeschichte des Egautals bei Wittislingen

Susanne Brather-Walter (Freiburg im Breisgau) und Benjamin Höke (Stuttgart): Siedlung und Gräberfeld von Lauchheim – neue Ergebnisse und Perspektiven

Anja Gairhos (Augsburg): Schwer bewaffnet und elitär? – Die Männergräber des frühen 7. Jahrhunderts von Augsburg-Inningen

Sektion IV: Zeiten

Karl Ubl (Köln): Zwei Rechtsbücher im Vergleich: Pactus Alamannorum und Lex Ribuaria

Roman Deutinger (München): Das Lebensbild der Lex Alamannorum

Steffen Patzold (Tübingen): Sozialer Status und Religion in der Alemannia um die Wende zum 7. Jahrhundert aus der Sicht der Geschichtswissenschaften

Christof Paulus (München und Augsburg): Die östliche Alemannia im 6. und 7. Jahrhundert – abschließende Überlegung zu einer Globalgeschichte des Frühmittelalters

Zitation
Tagungsbericht: Die Wittislinger Funde und die östliche Alemannia im frühen Mittelalter – Zeiten, Räume, Horizonte, 26.02.2021 – 27.02.2021 digital, in: H-Soz-Kult, 25.03.2021, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-8900>.

[Regionalforum-Saar] Geldscheine im Geschichtsunterricht. Historisches Lernen mit Sachquellen

Date: 2021/04/05 18:31:00
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Geldscheine im Geschichtsunterricht. Historisches Lernen mit Sachquellen

 

Autor Frank Britsche

Erschienen Frankfurt 2020: Wochenschau-Verlag

Anzahl Seiten 47 S.

Preis € 19,90

 

ISBN 9783734410918

 

Rezensiert für H-Soz-Kult von Lukas Greven, Lehr- und Forschungsgebiet Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, RWTH Aachen University

Geldscheine sind Sammelobjekte, Projektionsflächen für Sehnsüchte oder Symbol gegen sprunghafte Kurse von Kryptowährungen. Gegenwärtig sind sie vor allem Gegenstand von (pandemiebedingten) Diskussionen zum bargeld- und kontaktlosen Bezahlen, wobei sie sich in diesen scheinbar selbst in allen ihren kulturellen und gesellschaftlichen Funktionen zu historisieren beginnen. Aber auch schlicht als Zahlungsmittel erfreuen sie sich gerade in Deutschland weiterhin einer besonderen Beliebtheit. Banknoten gehen täglich „millionenfach durch die Hände von Menschen, gleich welchen Alters, Geschlechts oder welcher Überzeugung“ (S. 5). In Anlehnung an Klaus Bergmanns bekannte Feststellung könnte man daher zugespitzt sagen: Geldscheine sind überall – außer im Geschichtsunterricht.[1] Diese Aussage möchte dabei nicht behaupten, dass engagierte Geschichtslehrende Geldscheine für ihren Geschichtsunterricht noch nicht entdeckt hätten. Denn bestimmte lehrplanrelevante Themen, wie die Hyperinflation von 1923, fordern gerade dazu auf. Die Feststellung verweist vielmehr darauf, dass Geldscheine bisher nicht systematisch in den Blick der Geschichtsdidaktik geraten sind. Ihr reichhaltiges Potential als staatlich verordnete, ästhetisch ansprechende, gegebenenfalls haptisch greifbare und visuell präsentierte „Ultrakurzgeschichten“ mit Sachquellencharakter wurde bisher kaum erschlossen.[2] Das ist umso bedauerlicher, als dass die vor einige Jahren von Björn Onken vorgelegten Überlegungen zu den in vielerlei Hinsicht ähnlichen Briefmarken zeigen konnten, wie dienlich eine Beschäftigung mit solchen „Bildern in Millionenauflage“[3] für ein auf „mündige Geschichtsverbraucher[:innen]“[4], das heißt zum kritischen Umgang mit geschichtskulturell verbreiteten Sinnangeboten fähige Schüler:innen, zielendes historisches Lernen sein kann.

Daher ist es sehr erfreulich, dass sich der Leipziger Geschichtsdidaktiker und Historiker Frank Britsche nun der Herausforderung gestellt hat, Geldscheine in ihrem spezifischen Doppelcharakter als (Sach-)Quellen und Darstellungen für das historische Lernen im Geschichtsunterricht zu erschließen. Sein im für die Wochenschau-Reihe „Geschichte unterrichten“ typischen, kopierfreundlichen Doppelseitenformat erschienener Band, welcher sich an Lehrende „in allen Schulformen und Stufen“ (S. 9) richtet, lädt schon aufgrund der qualitativ hochwertigen, großformatigen und vor allem farbigen Reproduktionen der 18 berücksichtigten Geldscheine aus dem 20. Jahrhundert zur Lektüre ein. Hinter dieser die ästhetische Dimension des Geschichtsbewusstseins ansprechenden Gestaltung des Bandes verbirgt sich allerdings ein anspruchsvolles Ziel: Nach der „sinnlichen Erstbegegnung“ (S. 5) fordert der Band dazu auf, die Geldscheine als geschichtspolitisches Kommunikationsmittel (S. 8) auf „historische Traditionskonstruktionen und Identitätsofferten“ (S. 6) abzufragen, um so über das Aufgreifen auch gegenwärtiger Diskurse einen Beitrag zu einer ganzen Bandbreite historischer, insbesondere aber zur geschichtskulturellen Kompetenz zu leisten (S. 5f.).[5] Anspruch des Bandes ist damit nicht, den illustrativ-ergänzenden Einsatz von Geldscheinen im Geschichtsunterricht zu fördern (S. 6). Vielmehr stellt er Hinweise zur de-konstruierenden Verarbeitung der ins Bild gebrachten historischen Narrationen als Ausdruck eines Geschichtsbewusstseins der jeweiligen Zeit bereit. Insofern die unterrichtliche Arbeit re-konstruktiv verfährt, das heißt der Sachquellencharakter in den Fokus rückt, fordert er die Lernenden zur selbstständigen Erschließung, Interpretation und Urteilsbildung auf (S. 6).

Den ambitionierten, aber für ein zeitgemäßes historisches Lernen mit Visualia unhintergehbaren Zielen nähert sich Frank Britsche zunächst über eine dem Format angemessen pointierte sowie wohl informierte notaphilistische und geschichtsdidaktische Einführung an. Neben Ausführungen zur Geschichte des Geldscheins und dessen historischer Bedeutung für Staaten, Gesellschaften und Individuen im 20. Jahrhundert gelingt es Britsche, die spezifischen Eigenschaften der Geldscheine (Gestaltung, Motivik etc.) so mit geschichtsdidaktischen Überlegungen zu verbinden, dass sich Potentiale für das historische Lernen, wie die individuelle Zugriffe erlaubende visuelle Zugänglichkeit bei gleichzeitiger inhaltlicher Dichte, deutlich herausstellen. Ihm gelingt es im Anschluss an die Theorie der Visual History, die Bilder in ihrer „wohldurchdachte[n] Symbolik und Bildsprache“ (S. 5) als geschichtspolitische Bildakte zu problematisieren.[6] Im Anschluss an die geschichtsdidaktische Theorie arbeitet Britsche zugleich die aus dem benannten Doppelcharakter für den Umgang mit diesen geschichtskulturellen Manifestationen ihrer Zeit resultierenden Konsequenzen heraus. Vor dem Hintergrund der Einführung der Geldscheine als (Sach-)Quelle und Darstellung mag es dabei allerdings manche:n Leser:in verwundern, wenn für die unterrichtliche Arbeit mit Geldscheinen in Orientierung am „Prozessmodell historischen Lernens“[7] ein re-konstruktives Vorgehen von der Sachquelle zur Urteilsbildung vorgeschlagen wird. Dieser Vorschlag relativiert sich allerdings durch die zahlreichen Hinweise darauf, dass die Vergangenheitsbezüge der Geldscheine immer textuell eingebettet, also sinnhaltig sind, und die Banknoten daher der de-kontruktiven Verarbeitung bedürfen (siehe bspw. Klappentext).

Im Zentrum der Publikation stehen die 18 Geldscheine aus dem deutschsprachigen Raum, die in Teilen stellvertretend für Geldscheinserien stehen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf deutschen Scheinen. Der 10 Rupien Schein aus der ehemaligen deutschen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ mit einer Umlaufzeit zwischen 1905–1918 bildet hiervon eine gewinnbringende Ausnahme. Angeordnet sind die Scheine dabei chronologisch, wobei der frühste Schein, die 100 Kronen (Österreich-Ungarn), seine Umlaufzeit zwischen 1902 und 1912 hatte und die jüngsten Banknoten der aktuelle 20 Euro Schein sowie der 50 Schweizer Franken Schein sind. Im Inhaltsverzeichnis werden die Geldscheine im Sinne einer erleichterten Orientierung für den:die Leser:in grob nach erster und zweiter Hälfte des 20. Jahrhunderts sortiert, wobei der 5 Deutsche Mark Schein mit seiner Umlaufzeit zwischen 1950 und 1966 die Zäsur bildet. Berücksichtigt werden konkret jeweils ein Geldschein aus Österreich(-Ungarn) und der Schweiz aus beiden Hälften des 20. Jahrhunderts, die restlichen 13 stammen, unter Ausnahme des oben benannten kolonialen Geldscheins, aus dem Raum der heutigen Bundesrepublik, wobei zwei Scheine der ehemaligen DDR zuzuschreiben sind. Die Beschränkung auf das 20. Jahrhundert ist dabei historisch bedingt, denn, wie es einleitend heißt, „ab dem späten 19. Jahrhundert und schließlich im 20. Jahrhundert avancierten Banknoten zum gebräuchlichsten Zahlungsmittel“ (S. 3). Der Autor beschränkt die Auswahl, vor dem Hintergrund der Ziele des Bandes nachvollziehbar, auf solche Scheine, „die mehrere Jahre von der Gesamtbevölkerung eines Landes genutzt worden“ sind und über ein „reichhaltiges [damit für die Lernenden anschlussfähiges, Anm. L.G.] Bildprogramm verfügen“ (S. 9).

Die Aufbereitung der einzelnen, jeweils beidseitig abgedruckten Scheine folgt einer übersichtlichen und einheitlichen Vorlage. Zu jedem Schein werden neben grundlegenden Angaben wie Land, Emittent, Nennwert oder Umlaufzeit erläuternde Angaben zur ästhetisch-ikonografischen Darstellung sowie historische Hintergrundinformationen gegeben, die Lernenden die Erschließung der komplexen Medien erleichtern werden. Darüber hinaus sind auch für die Interpretation der aufwendigen Symbolik der Geldscheine Hinweise beigefügt, die für die unterrichtliche Arbeit besonders förderlich erscheinen, weil sie der oberflächlichen Rezeption der Visualia, zu der Lernende bekanntlich neigen, entgegenstehen. Zu jedem Geldschein macht der Band darüber hinaus didaktisch-methodische Vorschläge, die neben kreativen Annäherungen auch die interpretativ-vergleichende Verarbeitung der Geldscheine unter Hinzunahme weiterer Materialien vorsehen, sowie thematische, die beispielsweise gender- bzw. frauengeschichtliche Aspekte in den Fokus rücken. Dem unterrichtspraktischen Anliegen des Bandes entsprechend sind alle Angaben und Hinweise zum einen als Anregungen für die unterrichtliche Arbeit, zum anderen aber auch als Aufforderung zu verstehen, je nach Unterrichtsvorhaben oder Leistungsstand Ergänzungen oder Differenzierungen vorzunehmen. In ihrer Offenheit ermöglichen die Angaben zugleich auch, die Scheine für die Lernenden zum Ausgangspunkt einer forschend-historischen Spurensuche werden zu lassen (S. 8).

Gerade aufgrund der Kombination des reichhaltigen und aufwendigen, da farbig und großformatig reproduzierten Materialangebots und der auf das Wesentliche reduzierten, damit für ein breiteres Publikum anschlussfähigen inhaltlichen, ästhetisch-ikonografischen sowie didaktischen Hinweise erweitert Frank Britsches Band die Wochenschau-Reihe „Geschichte Unterrichten“ um ein nützliches Element. Die Komplexität, die mit manchen der vorgeschlagenen didaktisch-methodischen Annäherungen an die Geldscheine verbunden ist und auf manchen nicht die Sekundarstufe II besuchenden Lernenden und dort unterrichtenden Lehrenden zunächst abschreckend wirken mag, soll dem Band nicht als Nachteil ausgelegt werden. Denn er bietet allen an der Arbeit mit historischen Geldscheinen Interessierten Anknüpfungs-, Zugriffs- und durch die beigefügte Literaturliste Weiterbildungsmöglichkeiten.

Die Überlegungen des Bandes sollten insgesamt als Aufforderung an Theorie und Praxis historischen Lernens verstanden werden, die Beschäftigung mit den Geschichte(n) im Brieftaschenformat zu vertiefen. Weil der Band wichtige Pionierarbeit leistet und fruchtbare Anstöße bietet, ist ihm eine breite Rezeption in Universität und Schule zu wünschen.

Anmerkungen:
[1] Vgl. Klaus Bergmann, „So viel Geschichte wie heute war nie“ – historische Bildung angesichts der Allgegenwart von Geschichte, in: Klaus Bergmann (Hrsg.), Geschichtsdidaktik. Beiträge zu einer Theorie historischen Lernens, 2. Aufl., Schwalbach/Ts. 2000 (Forum Historisches Lernen), S. 13–31, hier S. 15.
[2] Eine Ausnahme bildet Markus Bernhardt / Martin Schnackenberg, Der „Lange Hunderter“ von 1908 – Geld als Quelle, in: Markus Bernhardt (Hrsg.), 10 Stunden, die funktionieren. Geplante und erprobte Geschichtsstunden, Schwalbach/Ts. 2017 (Wochenschau Geschichte), S. 46–57.
[3] Björn Onken, Geschichtspolitik mit Bildern in Millionenauflage: Anmerkungen zu den Briefmarken der frühen Bundesrepublik mit einem Ausblick auf aktuelle Tendenzen, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 12 (2013), S. 61–77.
[4] Michael Sauer, Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik, 11. Aufl., Seelze 2013, S. 12.
[5] Vgl. Wolfgang Hasberg, Vermittlung geschichtskultureller Kompetenzen in historischen Ausstellungen, in: Susanne Popp (Hrsg.), Historische Kompetenzen und Museen, Idstein 2009 (Schriften zur Geschichtsdidaktik, Band 25), S. 211–236, hier S. 218f.
[6] Vgl. Horst Bredekamp, Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007, 3. Aufl., Berlin 2013.
[7] Peter Gautschi, Guter Geschichtsunterricht. Grundlagen, Erkenntnisse, Hinweise, 2. Aufl., Schwalbach/Ts. 2011.

Zitation

Lukas Greven: Rezension zu: Britsche, Frank: Geldscheine im Geschichtsunterricht. Historisches Lernen mit Sachquellen. Frankfurt  2020. ISBN 9783734410918, In: H-Soz-Kult, 06.04.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-94799>.

 

 

[Regionalforum-Saar] Buchbesprechung: Geschichte der Sklaverei. Von der Antike bis ins 21. Jahrhundert

Date: 2021/04/08 20:25:00
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Buchbesprechung: Geschichte der Sklaverei. Von der Antike bis ins 21. Jahrhundert

Autor Andreas Eckert
Erschienen München 2021: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten 128 S.
Preis € 9,95
ISBN 978-3-406-76539-1

Rezensiert für H-Soz-Kult von Robin Frisch, Geschichte Afrikas, Universität Bayreuth

In dieser kurzen Geschichte der Sklaverei (128 Seiten) skizziert Andreas Eckert einen globalen Abriss von historischen und aktuellen Formen der Versklavung. Dem Afrika-Historiker gelingt es, anstatt einer vereinheitlichenden Definition, eine eklektische und dennoch kohärente Geschichte der Sklaverei zu skizzieren. Für die meisten Amerikaner rufe Sklaverei das „Bild von schwarzen Sklaven, weißen Herren und Baumwollfeldern auf“ (S. 10). Dass diese Vorstellung „akkurat und irreführend zugleich“ (S. 10) sei, zeigt Eckert in seinem globalhistorisch geprägten Forschungsüberblick. Auch wenn er sich den klassischen Beispielen aus der Sklavereiforschung zuwendet, weist dieser Einführungstext auf die Verschiedenheit von Versklavung im arabischen Raum oder in Asien hin.

Eckert startet seine Argumentation chronologisch in der Antike und stellt heraus, dass die athenische Demokratie ohne „massenhafte Sklaverei nicht funktionsfähig gewesen wäre“ (S. 27). Ebenso konstitutiv wie für politische Systeme in der Antike sei Versklavung auch im Mittelalter gewesen. Viele Staaten seien im wahrsten Sinne des Wortes auf Sklaverei gebaut, denn die steinernen Monumente Babyloniens, Assyriens sowie in Griechenland und Rom hätten ohne Sklav/innen nie errichtet werden können. Ein Spezifikum des Mittelalters sei die Einbettung von Sklaverei in religiöse Herrschaftsräume des Islams und des Christentums gewesen. Bevor sich der Sklavenhandel in der Frühen Neuzeit auf den Atlantik orientierte, wurden Versklavte im Osmanischen und im Byzantinischen Reich in den Armeen sowie häufig im Haushalt ausgebeutet.

Eckert zufolge hat die Annahme, der afrikanische Kontinent sei der Dreh- und Angelpunkt der globalen Versklavung gewesen, eine gewisse Berechtigung für die Zeit ab dem 15. Jahrhundert. Er kritisiert das Bild des Kontinents der Sklaverei jedoch in mehrfacher Hinsicht. Prozesse der Versklavung haben in fast allen Weltregionen stattgefunden. Sklaverei sei alles andere als ein einheitlicher Prozess gewesen. Im mediterranen Raum der Frühen Neuzeit stammten die versklavten Personen keinesfalls allein aus Subsahara-Afrika, wie die Verschleppung des spanischen Schriftstellers Miguel de Cervantes nach Algier zeige.

In Indien und China sei die Versklavung von Schwarzen Afrikanern selten gewesen, da ein Großteil des Sklavenhandels innerhalb der Regionen stattgefunden habe. Durch die Militarisierung und Errichtung einer Plantagenökonomie auf Mauritius und La Réunion durch die Franzosen in den 1730er-Jahren habe sich das Sklavensystem im Indischen Ozean maßgeblich verändert. Zu einem Höhepunkt in der Sklavenökonomie des Indischen Ozeans kam es vor allem, als europäische Siedler/innen in der Kapkolonie Millionen von Menschen aus Indien, China und Ostafrika importierten.

Der transatlantische Sklavenhandel stelle jedoch ein Vernetzungsphänomen von neuartiger Größenordnung dar. Die Dynamik des westeuropäischen Handelskapitalismus und die Entwicklung der atlantischen Sklavenplantage seien die treibenden Kräfte dieses Systems gewesen. Eckert stellt die wichtigsten Standorte der Plantagenökonomien in Brasilien, der Karibik und Nordamerika vor und beschreibt, wie der Wandel von Produktionsformen auch mit politischen, rechtlichen und religiösen Veränderungen einherging. Brasiliens kapitalistische Zucker-, Kaffee- und Goldökonomie löste einen schier unersättlichen Bedarf an Arbeitskräften aus. In diesem Zusammenhang seien die Portugiesen die „größten Transporteure menschlicher Ware“ (S. 51) gewesen. Insgesamt seien ungefähr 5,9 Millionen Menschen, also fast die Hälfte aller über den Atlantik verschleppten Sklaven, nach Brasilien transportiert worden.

Im letzten Teil seines Buches betont Eckert die Ambivalenzen des europäischen Aufklärungsprojekts. Ironischerweise sei im Zeitalter der europäischen Aufklärung auch der transatlantische Sklavenhandel auf seinem Höhepunkt gewesen. In westlichen Geschichtsschreibungen werde die Handlungsmacht der versklavten Menschen sowie die Geschichte des Widerstands häufig marginalisiert. Die von Toussaint Louverture angeführte Revolution in Haiti und später auch abolitionistische Netzwerke wie die „Underground Railroad“ in Nordamerika werden von Eckert als Beispiele für die Handlungsmacht versklavter Menschen, aber auch für die Ambivalenz der Abolition herangezogen. Eckert enttarnt den kolonialen Mythos vom humanistischen Ende der Sklaverei und führt, dem Historiker Eric Williams folgend, vor allem ökonomische Gründe für eine Verschiebung der transatlantischen Sklaverei an.

Nach dem „langsamen Tod der Sklaverei“ (S. 92) im atlantischen Raum begann der „humanitäre Kreuzzug gegen Sklaverei“ in Afrika (S. 97). Zweifelsohne sei die inner-afrikanische Nachfrage nach Sklaven im 19. Jahrhundert angestiegen und durch florierende Plantagenwirtschaften im Sokoto-Kalifat oder auf Sansibar angekurbelt worden. Jedoch sei die Reduzierung Afrikas auf Sklavengesellschaften besonders in der Kolonial- und Missionspropaganda verwendet worden. Abschließend diskutiert Eckert „moderne Sklaverei“ sowie Erinnerungspolitiken in Nordamerika. In aktuellen Debatten um die Verstrickung der Geschichte der Sklaverei in US-amerikanischen Universitäten oder ökonomischen Institutionen wie der Wall Street erkenne er eine „Segregation der nationalen Erinnerungen oder zumindest eine willentliche Amnesie“ (S. 111).

Eckerts Einführungstext ist hervorragend strukturiert und mit einer klaren Sprache leicht zugänglich für ein breites Lesepublikum. Der Basistext ermöglicht es, eine komplexe und über Jahrzehnte durchgeführte Forschung für schulische wie auch für universitäre Gruppen zugänglich zu machen. Das Buch ist gespickt mit biographischen Beispielen, interessanten Zahlen und exzellenten Literaturquellen. Auch für die deutschsprachigen Debatten zu den Themen Kapitalismus, Arbeit und zur Geschichte Afrikas ist dieser Forschungsüberblick durchaus richtungsgebend, da Eckert in seinem Buch unterrepräsentierte Perspektiven miteinander verbindet. Biographische, literarische, strukturelle, aber auch demographische Zugänge werden von ihm herangeführt. Aufgrund der Spezialisierung Eckerts hat der Basistext einen Hang zur Geschichte der Arbeit, was jedoch bei diesem Thema sehr nützlich ist, da er präzise Informationen zu den Tätigkeiten der versklavten Menschen angibt. Eckert schafft es auf sehr wirksame Art und Weise, breite wirtschaftshistorische Perspektiven mit spezifischen Argumenten – zum Beispiel aus der Geschichte des Islams in Afrika – miteinander zu vereinbaren.

Bei einem Thema, mit dem in der Öffentlichkeit und auch stellenweise in der Forschung, normativ und ahistorisch umgegangen wird, wählt Eckert einen objektiven, normativitätskritischen Ton, der auch von einem kenntnisreichen Umgang mit der Philosophie der Aufklärung profitiert. Die wohl größte Stärke des Buches ist der äußerst souveräne Umgang mit der existierenden Forschungsliteratur. Wie nur sehr wenige schafft es Eckert, eine so breite Literatur anregend zu reflektieren. Eckert umschreibt in aller Kürze die spezifischen Macht- und Akkumulationsstrukturen der verschiedenen Formen von Versklavung. Dieser Forschungsüberblick schafft es, Ausbeutungsdynamiken epochen- sowie regionenübergreifend lesbar zu machen. Aufgrund der Wichtigkeit und der historischen Kontinuität von Sklaverei lohnt sich die Lektüre für Historikerinnen und Historiker aus allen Bereichen. Neben der geschichtswissenschaftlichen Relevanz betont Eckert jedoch auch die gesellschaftliche Notwendigkeit für eine Aufarbeitung der Geschichte von Versklavung. Es ginge bei der Forschung zur Sklaverei nicht darum, ein „linke[r] Tugendwächter“ zu sein, sondern „den Finger in die Wunde eines langen Verschweigens und Verdrängens“ zu legen (S. 111).

Da Eckert sich im letzten Kapitel vor allem US-amerikanischen Erinnerungspolitiken widmet, kommen Bezüge zum deutschsprachigen Raum etwas kurz. Mit Ausnahme von Anton Wilhelm Amo, der nun inzwischen in Berlin als Namensgeber einer Straße fungiert, wird die Geschichte der Sklaverei im deutschen Sprachraum nur angedeutet. Welche Rolle spielten deutsche Transportunternehmer in den Hansestädten? Wie waren Unternehmer wie die Fugger mit ihrer Tuchproduktion in die Systeme eingebunden? Welchen Einfluss hatten deutsche Kaufleute und Finanziers auf die verschiedenen Sklavenökonomien? Ein Grund für diese fehlenden Bezüge scheint vor allem darin zu liegen, dass es auch in der deutschsprachigen Forschung und in den Universitäten eine Art „Amnesie“ und segregierte Erinnerungspolitik zu dem Thema gibt. In dieser Hinsicht bleibt zu hoffen, dass Eckerts Buch nicht wie eine abgeschlossene Literaturübersicht gelesen wird, sondern als ein offener Appell zu vermehrter Forschung im Bereich der Geschichte der Sklaverei.

Zitation
Robin Frisch: Rezension zu: Eckert, Andreas: Geschichte der Sklaverei. Von der Antike bis ins 21. Jahrhundert. München  2021. ISBN 978-3-406-76539-1, In: H-Soz-Kult, 08.04.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-95993>.


[Regionalforum-Saar] Zoom-Vortrag "VON DER STANDESAMTLICHEN EHE IM 19. JAHRHUNDERT"

Date: 2021/04/14 18:48:38
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Ahnenforscher Stammtisch Unna Online-Vortrag VON DER STANDESAMTLICHEN EHE IM 19. JAHRHUNDERT - WAS UNSERE VORFAHREN BEI IHRER HEIRAT BEACHTEN MUSSTEN mit dem Referenten Roland Geiger am Dienstag, dem 20. April 2021 um 19.00 Uhr auf ZOOM!

Einlass ab 18.30 Uhr.

ANMELDUNG:


Nach der Registrierung erhalten Sie eine Bestätigungs-E-Mail mit Informationen über die Teilnahme am Meeting. Falls Sie die Anmeldebestätigung nicht erhalten, schauen Sie bitte mal in den SPAM-Ordner Ihres E-Mail-Programms.

Der Erhalt der Anmeldebestätigung garantiert keine Teilnahme!
Bitte klicken Sie am Veranstaltungstag rechtzeitig ab dem oben genannten Einlasszeitpunkt auf den Zugangs-Link in der Anmeldebestätigung.

Themenbeschreibung:

Zu den interessantesten Dingen, die die Franzosen im Zuge ihrer Revolution kurz vor 1800 in den von ihnen besetzten Gebieten einführten, gehörten der Code Civil, die Neuordnung des Notariatswesens und die Einrichtung des Zivilstandwesens. Daraus ergab sich die Zivilehe, die der konfessionellen vorausgesetzt wurde. Ab 1875 übernahmen die Preußen das System. Es bietet uns Genealoginnen und Genealogen eine unschätzbare Quelle, weil es konfessionsunabhängig war, d.h. jede Ehe wurde hier erfaßt - egal ob katholisch, protestantisch, lutherisch, jüdisch etc. 
Roland Geigers Vortrag bietet einen kleinen Einstieg in das Gesamtsystem und richtet sich dann speziell auf die standesamtliche Ehe im 19ten Jahrhundert, natürlich mit Beispielen.

Wenn Sie zum ersten Mal an einer Online-Veranstaltung auf Zoom teilnehmen möchten, empfehlen wir Ihnen die Schritt-für-Schritt-Anleitung auf unserer Webseite unter:


Wir würden uns freuen, Sie zu unserer Online-Veranstaltung auf Zoom begrüßen zu dürfen.

Freundliche Grüße

Georg Palmüller




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[Regionalforum-Saar] Zoom-Vortrag "VON DER STANDESAMTLICHEN EHE IM 19. JAHRHUNDERT"

Date: 2021/04/14 18:52:08
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Ahnenforscher Stammtisch Unna Online-Vortrag VON DER STANDESAMTLICHEN EHE IM 19. JAHRHUNDERT - WAS UNSERE VORFAHREN BEI IHRER HEIRAT BEACHTEN MUSSTEN mit dem Referenten Roland Geiger am Dienstag, dem 20. April 2021 um 19.00 Uhr auf ZOOM!

Einlass ab 18.30 Uhr.

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Roland Geigers Vortrag bietet einen kleinen Einstieg in das Gesamtsystem und richtet sich dann speziell auf die standesamtliche Ehe im 19ten Jahrhundert, natürlich mit Beispielen.

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Georg Palmüller




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[Regionalforum-Saar] Burgen, speziell im Saarland

Date: 2021/04/22 09:49:53
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Veranstaltung von Historischer Verein für die Saargegend
Onlineveranstaltung
Donnerstag, 29. April 2021 von 18:00 UTC+02 bis 20:00 UTC+02
Preis: Kostenlos · Dauer: 2 Std.
Öffentlich  ·

Der Vorsitzende des Historischen Vereins für die Saargegend, Prof. Dr. Joachim Conrad, wird in seinem Vortrag unterschiedliche Burgtypen (wie z.B. Motte, Abschnittsburg) vorstellen und dazu Beispiele aus der Saargegend zeigen. Diese Region ist sicher kein Burgenland, doch sind viele Zeugnisse des Burgenzeitalters erhalten, die einen Ausflug lohnen. Römerzeit, Barockzeit und Industrialisierung sind im Saarland ständig im Fokus, das Mittelalter ist dagegen „dunkel“, weil es wenig wahrgenommen wird. Dabei lohnt sich der Blick in die Umgebung auch unter diesem Thema.

Sie können unter diesem Link teilnehmen:https://bit.ly/3myu1GZ

[Regionalforum-Saar] Vortrag bei youtube: Von der standesamtlichen Ehe im 19. Jahrhundert

Date: 2021/04/22 14:52:05
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Salve,

letzten Dienstag, 20. April, habe ich auf Einladung des Ahnenforscher Stammtisch Unna - organisiert durch Georg Palmüller - einen Vortrag gehalten mit dem Titel „Von der standesamtlichen Ehe im 19. Jahrhundert - was unsere Vorfahren bei ihrer Heirat beachten mussten“.

Ich hatte den Vortrag vorher schon zweimal gehalten - letzten Oktober beim Seminar auf Schloß Dhaun und im Februar online beim Seminar „genealogica“. Natürlich unterscheidet sich jeder Vortrag vom anderen, hier ein bißchen dazu, da ein bißchen was weg, aber der Grundtenor ist immer derselbe.

Der Vortrag wurde aufgenommen und ist über youtube schaubar, allerdings habe ich festgestellt, daß mein Mikro nicht besonders ist, was mir einen dumpfen Ton bescherte (weshalb ich mir gestern ein anderes Mikro kaufte, durch den meine Stimme wohl erheblich besser durchkommt).

Außerdem ist auf den Folien oben ein orangefarbener Kasten zu sehen; der tauchte immer dann auf, wenn sich jemand an- oder abmeldete und ließ sich meinerseits nicht entfernen.

Wer sich den Vortrag anschauen möchte - er steht bei youtube ein und dauert eine gute Stunde - der klicke auf diesen Link: https://youtu.be/qaxJfjJzYCo

Der Ahnenforscher-Stammtisch hat immer wieder neue Vorträge im Angebot - gut alle vier Wochen einer. Direkt teilnehmen tun immer bis zu 120 Besucher. Mein Dank gilt Georg Palmüller, meinem Ansprechpartner beim Stammtisch.

So kann man ihn kontaktieren:
E-Mail: info(a)ahnenforscherstammtisch.de
Homepage: http://www.ahnenforscherstammtisch.de
Facebook: https://www.facebook.com/afstunna
Twitter: https://twitter.com/ahnenforscher
Instagram: https://www.instagram.com/ahnenforscherstammtischunna/


Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] Rezensionen: 4 Bücher zum T hema „Geschichte des Kaiserreichs“

Date: 2021/04/24 09:11:08
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Nonn, Christoph: 12 Tage und ein halbes Jahrhundert. Eine Geschichte des deutschen Kaiserreiches 1871–1918. München  2020. ISBN 978-3-406-75569-9

Arand, Tobias: 1870/71. Die Geschichte des Deutsch-Französischen Krieges erzählt in Einzelschicksalen. Hamburg  2018. ISBN 978-3-95510-167-1

Jahr, Christoph: Blut und Eisen. Wie Preußen Deutschland erzwang, 1864–1871. München  2020. ISBN 978-3-406-75542-2

Jäger, Jens: Das vernetzte Kaiserreich. Die Anfänge von Modernisierung und Globalisierung in Deutschland. Stuttgart  2020. ISBN 978-3-15-011304-2

Rezensiert für H-Soz-Kult von Thomas Stamm-Kuhlmann, Historisches Institut, Universität Greifswald

Bisherige Handbücher über die Geschichte des Kaiserreichs, sagt Christoph Nonn, „erinnern an ein Sandwich: Sie bestehen aus zwei Hälften Politik mit sozialhistorischer Füllung in der Mitte und einem Klecks Geschlechtergeschichte als Zugabe obendrauf“ (S. 10). Deswegen geht er anders vor. Anhand von zwölf bedeutungsvollen Daten sollen die verschiedensten Aspekte des Kaiserreichs beleuchtet werden – innenpolitische, großmachtpolitische, eine Krise der monarchischen Regierungsform, schließlich Weltkrieg und Revolution.

Einige Beispiele: Unweigerlich beginnt Nonn mit der Reichsgründung. Die erinnerungspolitische Wirkung, die durch Anton von Werners Gemälde der Kaiserproklamation bezweckt wurde, wird durch Werners eigene Worte unterlaufen. Nonn vertritt die Ansicht, dass das Kaiserreich als ein „Fürstenbund“ entstanden sei, dessen Reichstag aber in den 1870er-Jahren zusehends an Macht gewonnen habe. Im selben Jahrzehnt verloren die Liberalen ihre absolute Mehrheit im Reichstag für immer und ihr Unverständnis gegenüber der Belebung der Volksreligiosität ließ sie in „abgehobenem Dünkel“ (S. 95) gegenüber der einfachen katholischen Bevölkerung in Westdeutschland erstarren. So habe „Fanatismus“ nicht nur die Anhänger der in den 1870er-Jahren auftretenden Marienerscheinungen, sondern auch deren liberale Gegner ausgezeichnet. Für Nonn ist nicht Säkularisierung, sondern Individualisierung der Religion ein „unbestrittenes Element der Moderne“ (S. 108).

Die sozialdemokratischen Politiker tauschten ihr Selbstbild als Vertretung der „Produzenten“ nach dem Ende des Sozialistengesetzes dagegen ein, dass sie die Arbeiterschaft auch wesentlich als „Konsumenten“ betrachteten. Hiermit drangen die Gesichtspunkte der Arbeiterfrauen durch, die das Haushaltsgeld verwalteten. Dass Männerpolitik wesentlich Bierkneipenpolitik war, ließ viele Arbeiterfrauen das politische Engagement ihrer Männer als Risiko für den Familienunterhalt ansehen. Dennoch strömten sie nach der Jahrhundertwende massenhaft selbst in die Partei. Nonn, der hier auf eigene Forschungen zurückgreift, betont, dass die Verbraucherpolitik die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) kurz vor dem Weltkrieg zu einer Volkspartei machte, die nur unter den Landwirten, als Erzeugern, keine Punkte sammeln konnte. Im europäischen Vergleich sei, entgegen der lange Zeit dominierenden Sicht, der bürokratische Ursprung und Charakter der deutschen Sozialversicherung kein Einzelfall. Man müsse aber auch mehr als bisher die zivilgesellschaftlichen und genossenschaftlichen Elemente dieses Systems beachten.

Nonns Buch bietet auch eine den ganzen Zeitraum umspannende Geschichte der deutschen Kolonialherrschaft in Südwestafrika. Die vom Militärbefehlshaber von Trotha dort ab 1904 verfolgten Maßnahmen nennt er Völkermord, lehnt jedoch eine kausale Verbindung zum nationalsozialistischen Vernichtungskrieg in Osteuropa ab. Die Geschichte des Tirpitz-Plans wird zur Gelegenheit, die Kanzlerwechsel von Hohenlohe zu Bülow zu thematisieren. Da die Flottenrüstung auch Wahlkampfthema bei Reichstagswahlen war, lassen sich hier die wechselnden Mehrheiten charakterisieren, mit denen die Reichskanzler ihre Gesetzesvorlagen durchbrachten. Die erfolgreichste Flottenpropaganda aber sei nicht von Tirpitz ausgegangen, sondern spontan aus der Gesellschaft gekommen. Als Symbol technischer Modernität war nämlich die Schlachtflotte der Stolz des deutschen Bürgertums.

Zur selben Zeit aber blühte in Gestalt antisemitischer Ritualmordbeschuldigungen der finsterste Ungeist, wie Nonn an einem Kriminalfall aus Konitz in Westpreußen zeigt. Zur Jahrhundertwende musste hier der Belagerungszustand verhängt werden, um die Synagoge vor dem Mob zu schützen. Nonn weist darauf hin, dass dieser von vielen Zeitgenossen als Relikt einer dunklen Vergangenheit eingeschätzte Antisemitismus in einer Region wucherte, die längst von einer durchgreifenden Modernisierung erreicht worden war. Eine Fehleinschätzung anderer Art unterlief den Kritikern des „preußischen Militarismus“ anlässlich des Streiches des Hauptmanns von Köpenick. Der angebliche Untertanengeist und Kadavergehorsam, der den Opfern dieser Hochstapelei unterstellt wurde, könne nicht die in der preußischen Gesellschaft vorherrschende Haltung gewesen sein, meint Nonn. Andernfalls sei die Welle von Spott, die sich 1906 gerade in Berlin über die Betrogenen ergoss, nicht zu erklären. Der Militarismus sei daher immer der „Militarismus der anderen“ (S. 445).

Das Ende des Kaiserreiches lässt Nonn seine Leser nicht in Berlin, sondern in München erleben. In der Person Felix Fechenbachs, der die Revolution in der bayerischen Hauptstadt organisierte und 1922 wegen Landesverrats vor Gericht gestellt wurde, kann er Kaiserreich und Weimarer Republik miteinander verschränken. Denn Fechenbach hatte 1919 ein Telegramm des bayerischen Gesandten beim Vatikan aus der Julikrise 1914 bekannt werden lassen, das den Anteil des Deutschen Reiches an der Kriegsschuld nachweisen sollte, und sich damit bei Nationalisten und Reaktionären verhasst gemacht. Die Hypothek des Kaiserreichs für die Weimarer Republik sieht Nonn jedoch nicht als sehr belastend an, für ihr unrühmliches Ende gibt er besonders der Weltwirtschaftskrise die Schuld. Das Kaiserreich hingegen habe zwar das moderne Deutschland hervorgebracht, daraus aber „konnte im weiteren Verlauf der Geschichte sowohl eine ‚helle‘ wie eine ‚dunkle‘ Moderne werden“ (S. 614). Das Buch endet mit der Erschießung von Felix Fechenbach durch „Sturmabteilung“ (SA) und „Schutzstaffel“ (SS) am 7. August 1933.

Alles in allem bildet das Buch, obwohl es von einzelnen biografisch motivierten Kalendertagen ausgeht, die Epoche doch recht vollständig ab. Was man am ehesten vermissen dürfte, sind Wissenschaft und Kultur.

Auch Tobias Arand eröffnet sein Buch mit Anton von Werner und kontrastiert dessen Erinnerungen mit dem prunkvollen Bild, das sich durch unzählige Reproduktionen im kulturellen Gedächtnis verankert hat. Arands Werk „wendet sich weniger an den professionellen Geschichtswissenschaftler, sondern an jeden historisch Interessierten“ (S. 20). Auf 55 Seiten wird zunächst die politische Geschichte Deutschlands seit der Französischen Revolution sowie des Second Empire erzählt, bis mit der spanischen Thronkandidatur des Hohenzollernprinzen die Vorgeschichte des Krieges anfängt. Die angekündigten Einzelschicksale werden naturgemäß erst nach Kriegsbeginn eingeflochten – insgesamt sind es 40 Personen, von Bismarck und Marschall Bazaine bis zu Kriegsfreiwilligen, einem Pfarrer, einem Arzt und der schwäbischen Diakonissin Julie von Wöllwarth, bei der „alle menschlichen Gefühle […] von Begriffen wie ‚Pflicht‘ oder ‚christliche Ergebung‘ überlagert“ sind (S. 498). Die Quellen waren sämtlich bereits einmal gedruckt.

Die Feldzugspläne lässt Arand durch die Artikel von Friedrich Engels für die Pall Mall Gazette kommentieren. Außerdem greift er auf den bewährten Theodor Fontane zurück. In den Augenzeugenberichten fällt die schlechte logistische Kriegsvorbereitung der Franzosen auf. Ein Überwiegen der deutschen Perspektive ist nicht zu leugnen, freilich sieht sich Arand hier auch vor der Aufgabe, die Vielfalt der deutschen Verhältnisse mit den verschiedenen Hauptstädten einzufangen. Die Schlachten werden aus der Mikroperspektive einzelner Teilnehmer rekonstruiert. Arand steht auf der Seite der kleinen Leute in ihrem Leiden und lässt erkennen, dass er den Sinn dieses Krieges bezweifelt. Die „Neigung der deutschen Truppen, ohne Rücksicht auf Verluste vorzugehen“ (S. 305), hebt er hervor und zitiert Bismarck: „Es ist die Verschwendung der besten Soldaten Europas“ (S. 310). Die Volkskriegsphase nach der Schlacht von Sedan kommentiert Arand so: „Die deutsch-französischen Gewalterfahrungen der Jahre 1870 und 1871 sowie der folgenden Jahre der Okkupation sind ein in der Geschichtswissenschaft bis heute für das Verständnis der Katastrophen der beiden Weltkriege häufig übersehenes Phänomen“ (S. 370). In der Tat ist es heilsam, vor Augen geführt zu bekommen, welche Grausamkeit mit diesem „europäischen Normalkrieg“ verbunden gewesen ist. Als Resultat der in drei Kriegen durchgesetzten nationalen Einigung sieht Arand im Kaiserreich den Militarismus blühen. Seiner Ansicht nach sei der Hauptmann von Köpenick „nur in einem uniformfixierten Gemeinwesen wie dem Deutschen Reich mit seinen Millionen von ‚Diederich Heßlings‘ möglich“ gewesen (S. 653). Doch weist Arand darauf hin, dass von diesem Aufschwung des Militarismus das Frankreich der Dritten Republik ebenfalls heimgesucht worden sei.

Seinen wenig originellen Titel „Blut und Eisen“ kontrastiert Christoph Jahr mit dem Bonmot von John Maynard Keynes, dass Preußen eher auf Kohle und Eisen denn auf Blut und Eisen aufgebaut sei. Nachdem er den Verlauf der Auseinandersetzungen um Schleswig-Holstein von 1848 bis 1865 skizziert hat, schildert er denn auch die Dynamik der ökonomischen und finanziellen Entwicklung, die seit der Gründung des Zollvereins zugunsten Preußens wirkte, bevor er sich den Einzelheiten des Showdowns 1866 zwischen Preußen und Österreich zuwendet. Die Kriegsbriefe Hans von Kretschmanns, die dessen Tochter, die Sozialdemokratin Lily Braun, veröffentlicht hat, dienen Jahr ebenso als Quelle wie Arand, der den Namen Kretschman konsequent mit einem n buchstabiert, wie in der Briefausgabe geschehen. Dass die Schlacht von Königgrätz mit 435.000 beteiligten Soldaten die bis dahin größte Schlacht der Geschichte gewesen sei, wie Jahr meint, darf man angesichts der für Leipzig 1813 geschätzten halben Million Teilnehmer bezweifeln.

Dass Preußen den überwiegenden Teil der Liberalen auf seiner Seite hatte oder sie spätestens mit seinem militärischen Sieg auf seine Seite ziehen konnte, macht Jahr anhand ausgewählter Zitate deutlich und zieht das Fazit: „Der protestantisch geprägte, freihändlerisch gesonnene und auf die Säkularisierung der Gesellschaft drängende Liberalismus orientierte sich derart stark an Preußen, dass er mit diesem gleichgesetzt werden konnte“ (S. 169). Den Namen des bei Jahr „namentlich nicht bekannten Geschäftsmann[s] aus Thüringen“ (S. 201), der auf dem Schlachtfeld bei Wörth vergeblich nach seinen Söhnen gesucht hat und sich schließlich unter einen Walnussbaum setzte, um zu weinen, jedoch die Söhne nach dem Krieg wiederfand, kann man bei Arand lesen. Es handelte sich um Johann Zeitz aus Meiningen, dessen Erinnerungen von Theodor Gümbel 1908 in München publiziert worden sind. Bei Jahr wird auch der gegen die nordafrikanischen Soldaten in französischen Diensten gerichtete Rassismus eines deutschen Feldgeistlichen erwähnt, der die „verkehrte Humanität“ der deutschen Frauen beklagt (S. 239). Die in Versailles abgeschlossenen Beitrittsverträge der süddeutschen Staaten regelten die Reservatrechte der vier Länder, sie werden von Jahr kurz zusammengefasst. Weder diese Verträge noch die in die Verfassung des Deutschen Reiches überführte Verfassung des Norddeutschen Bundes nahmen den Gliedstaaten das Recht, Gesandtschaften im Ausland zu unterhalten – nur infolge dieses Rechts konnte jenes Dokument entstehen, dessen Publikation Felix Fechenbach ins Zuchthaus bringen sollte.

Wer die politischen Abläufe zwischen 1864 und 1871 verlässlich nachlesen will, muss zu Jahr greifen, wer sich mehr in die Stimmungen der Kriegszeit einfühlen möchte, sollte Arand lesen. Insbesondere die Belagerung von Paris, Gambettas Volkskrieg und die Tage der Commune kommen bei Jahr, der sich der Einigungsgeschichte widmet, zu kurz. Doch hebt er zu Recht hervor, dass mit dem Sturz des Second Empire und der dauerhaften Etablierung der Republik damals auch das moderne Frankreich geschaffen wurde. In einem ausführlichen Kapitel reflektiert Jahr über „Trauer und Gedenken“, was insbesondere den Denkmalen gilt, deren Standorte, wie Düppel, mehrfach den Besitzer gewechselt haben. Jahr schließt mit der Parallele der beiden „technokratischen Beitrittsakte“ von 1870 und 1990. In beiden Fällen habe man sich nicht genug Zeit gelassen, um sich über das zukünftige Deutschland zu verständigen. „Stattdessen wurde es wieder einfach in den Sattel gesetzt, in der vagen Hoffnung, es werde schon reiten können“ (S. 300).

Eine Studie ganz anderer Art ist Jens Jägers Das vernetzte Kaiserreich. Die Anfänge von Modernisierung und Globalisierung in Deutschland. Jäger zeichnet Vernetzungen verschiedener Art nach: physische und vorgestellte. Dabei wird die Dynamik sichtbar gemacht. Alles wurde angetrieben von einem starken Wachstum des Sozialprodukts und dem demographischen Übergang, der in Deutschland noch lange für einen Geburtenüberschuss sorgte. Auf einen Abriss der Verkehrswege und Kommunikationsmittel folgt eine Darstellung der Medien – das Kaiserreich sei „zweifellos“ (S. 129) eine Mediengesellschaft gewesen. Anschließend werden die Homogenisierungseffekte beschrieben, die durch die genannten Mittel befördert worden seien: Vertiefung des Nationalgefühls, Vereinheitlichung der Sprache. „Medien – so könnte man überspitzt sagen – erzeugen erst den Eindruck und das Gefühl, einem Staat, einer überregionalen Gemeinschaft, zugehörig zu sein“ (S. 158). Damit wuchs die Macht der öffentlichen Meinung, gegen die man auch im Kaiserreich nicht habe dauerhaft anregieren können. Die Menschen, die nun in großer Zahl vom Land in die Stadt oder von einem Gliedstaat des Reiches in einen anderen umzogen, wurden dabei aber auch der Unterschiede gewahr – so entstand die Heimatbewegung, die Jäger als „die andere Seite der Nationsbildung“ (S. 164) bezeichnet – der Homogenisierung in der Gesamtnation wurden zum Teil neu geschaffene lokale Identitäten entgegengesetzt.

Ungeachtet seiner durch Jäger hervorgehobenen geringen wirtschaftlichen Bedeutung kann der deutsche Kolonialismus in einer Geschichte Deutschlands während der Globalisierung nicht fehlen. Jäger konstatiert, dass es in den afrikanischen Kolonien zwar ein gut ausgebautes Post- und Telegrafen-, selbst Telefonnetz gab, aber die Eisenbahnen „nur bescheidene Ausmaße“ (S. 189) erreichten. Das dürfte wieder mit der geringen wirtschaftlichen Bedeutung zu tun haben: Aus den Kolonien wurden nur wenige Güter an die Küste geschafft, an der Expansion eines Binnenmarktes in den Kolonien waren die Kolonialherren nicht interessiert.

Wie zum Beispiel Johannes Paulmann in seiner europäischen Geschichte des späten 19. Jahrhunderts, so hebt auch Jäger hervor, dass das Zeitalter des Nationalismus gleichzeitig das Zeitalter der transnationalen Verflechtungen war. Gerade Reformer argumentierten gern mit Hinweisen auf andere Länder, in denen die geforderten Veränderungen schon umgesetzt waren und die erwünschten Resultate gebracht hatten. Dazu musste man die Experten der Referenzländer natürlich treffen können. Als Beispiel fungieren hier die Bestrebungen zur Professionalisierung der Polizeiarbeit, die auch mit dem Aufkommen eines „internationalen Verbrechertums“ (S. 210), so der zeitgenössische Ausdruck, gerechtfertigt wurden. Auch die Feministinnen organisierten sich transnational, denn sie hatten die Beobachtung gemacht, „dass sich lokale Bedingungen eher verbessern ließen, wenn sich die Anliegen und Reformwünsche als allgemeingültige darstellen ließen“ (S. 222). Dennoch kam die Vernetzung nicht nur egalitären, sondern auch antimodernen Bestrebungen zugute, wenn diese sich der modernen Kommunikationsmittel zu bedienen verstanden.

Der gemeinsame Nenner aller von Jäger vorgestellten Netze ist die Kommunikation. Dadurch kommen die Versorgungsnetze für Gas, Wasser und Elektrizität zu kurz, obwohl es auch spannend wäre, zu verfolgen, wie die anfänglichen Stromnetzinseln und „Überlandzentralen“ in Verbundnetze zusammenwuchsen. Dieser Prozess war freilich 1914 noch nicht abgeschlossen.

Von den vorgestellten Büchern ist dasjenige von Jäger sicherlich das innovativste. Die Geschichtsschreibung des Deutsch-Französischen Krieges und der Reichsgründung wird hingegen durch die hier besprochenen Titel keine neue Richtung erhalten, was aber auch nicht ihr Anspruch ist. Vielmehr bietet Nonn eine nach den verschiedenen Gesichtspunkten der Sozial- und Kulturgeschichte vertiefte, zwar an einzelnen Kalenderdaten aufgehängte, im ganzen jedoch durchaus abgerundete Geschichte der Jahrzehnte des Kaiserreichs, Arand lässt uns vor allem an der Mühsal und dem Leid der Kriegsteilnehmer von 1870/71 teilhaben, Jahr fasst die Politikgeschichte der Bismarck‘schen Einigungspolitik seit 1864 sachkundig zusammen, während Jäger uns an einen Zugang zur Strukturgeschichte gewöhnt, den wir künftig auf ganz verschiedene Epochen werden anwenden müssen.

Zitation

Thomas Stamm-Kuhlmann: Rezension zu: Nonn, Christoph: 12 Tage und ein halbes Jahrhundert. Eine Geschichte des deutschen Kaiserreiches 1871–1918. München  2020. ISBN 978-3-406-75569-9 / Arand, Tobias: 1870/71. Die Geschichte des Deutsch-Französischen Krieges erzählt in Einzelschicksalen. Hamburg  2018. ISBN 978-3-95510-167-1 / Jahr, Christoph: Blut und Eisen. Wie Preußen Deutschland erzwang, 1864–1871. München  2020. ISBN 978-3-406-75542-2 / Jäger, Jens: Das vernetzte Kaiserreich. Die Anfänge von Modernisierung und Globalisierung in Deutschland. Stuttgart  2020. ISBN 978-3-15-011304-2, In: H-Soz-Kult, 23.04.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-29086>.




 

[Regionalforum-Saar] J. van Norden u.a. (Hrsg.): Geschichtsdidaktische Grundbegriffe

Date: 2021/04/24 09:13:03
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

J. van Norden u.a. (Hrsg.): Geschichtsdidaktische Grundbegriffe

Geschichtsdidaktische Grundbegriffe. Ein Bilderbuch für Studium, Lehre und Beruf

Herausgeber van Norden, Jörg; Must, Thomas; Deile, Lars; Riedel, Peter; Krause, Susan; Schürenberg, Wanda

Erschienen Hannover 2020: Kallmeyer
Anzahl Seiten 157 S.
Preis € 24,95
ISBN 978-3-7727-1432-0

Rezensiert für H-Soz-Kult von Olaf Hartung, Historisches Institut, Universität Paderborn

Wat is‘nen Begriff? Da stelle ma uns mal janz dumm und sagen: En Begriff iss nen Bedeutungsinhalt einer Bezeichnung oder Vorstellung. Doch woher kommt die Bedeutung? Sicherlich liegt sie nicht im Ausdruck selbst verborgen; eher ist sie eine Folge des regelmäßigen Begriffsgebrauchs in spezifischen Sprechsituationen. Begriffsbedeutungen sind keine Substanz, sondern etwas Performatives. Sie hängen vom Gebrauchskontext ab und wandeln sich. In den Wissenschaften erfüllen Begriffe fundamentale Funktionen: Sie sind Werkzeuge des wissenschaftlichen Denkens und konstituieren wissenschaftliche Aussagen. Dies gilt besonders für die Grundbegriffe einer Disziplin, die höchsten Ansprüchen in Bezug auf Logik, Präzision und Klarheit genügen sollen. Merkwürdigerweise erfreuten Georg Wilhelm Friedrich Hegel jedoch gerade solche Begriffe, „welche eine spekulative Bedeutung an ihnen selbst haben“.[1] Ähnlich dachte auch Wilhelm von Humboldt, den vor allem die in der Idealität eines Begriffs liegende „Unbestimmtheit des Gegenstandes“ interessierte.[2] Das Ausgesprochene könne – so Humboldt – das Gemeinte niemals auf einen endgültigen Begriff bringen, dafür aber das in ihm noch Unausgesprochene formgebend vorbereiten. Das Denken in Begriffen steigert das Denkvermögen paradoxerweise nicht aufgrund der semantischen Exaktheit der Begriffe, sondern wegen der großen Bandbreite des sprachlichen Ausdrucksvermögens.

Dass disziplinäre Begriffsarbeit etwas Schöpferisches und Aktives ist, wissen die Herausgeber:innen der „Geschichtsdidaktische[n] Grundbegriffe“. Nachhaltige Wissensproduktion und konzeptuelles Fachlernen erfordern die Vernetzung von Fachbegriffen in verschiedenen Kontexten. Für das Verständnis disziplinärer „Gegenstände“ erfüllen Fachtermini nicht nur orientierende, sondern auch konstituierende bzw. determinierende Funktionen. Deshalb sind sie nicht selten auch strittig und umkämpft. Im „Vorweg“ (S. 6) des als „Bilderbuch für Studium, Lehre und Beruf“ untertitelten Kompendiums heißt es dazu dann auch, dass Expert:innen oft „über die genaue Bedeutung“ der Begriffe streiten, was Studierenden und Lehrkräften häufig fremd bliebe. Ziel des Wörter- und Bilderbuchs „in einem“ ist daher, die Leser:innen zum Nachdenken anzuregen, wobei die Bilder nicht bloß illustrieren, sondern einen visuell-ästhetischen Zugang zu den assoziierten Bedeutungen bieten sollen, indem Text und Bild miteinander und mit den Leser:innen in Dialog treten. Dabei auftretende „Unschärfen“ seien „kalkuliert und sollen zur Einmischung ermutigen“ (ebd.).

Das multimodale Text-Bild-Format ist für die geschichtsdidaktische Begriffsarbeit innovativ. Es fußt auf der begründeten Einsicht, dass Bedeutung etwas Relationales ist, das Kontext benötigt. Zu fragen bleibt jedoch, ob Bilder im Allgemeinen und die ausgewählten Bilder im Speziellen den zur Klärung der Grundbegriffe angemessenen Kontext bieten. Die Herausgeber:innen selbst trauen ihren Bildern offenbar keine ausreichenden Fähigkeiten zur Kontextualisierung zu. Andernfalls hätten sie diese nicht mit Kurztexten („Ansichtssachen“) ergänzt, um „die Aufmerksamkeit für die Details der Bilder zu schärfen“ (ebd.). Auffällig ist jedenfalls, dass die erläuternden Kurztexte zu den textbegleitenden Bildern häufig in Frageform und unter Verwendung graduierender Modalpartikel im Modus des Konjunktivischen gehalten sind. So heißt es etwa bei der Analyse einer Fotoquelle, die eine zerstörte Industrieanlage zeigt: „Warum? War es Krieg, ein Anschlag? Oder lediglich eine Armee von Abrissbaggern? […] Ergibt das alles einen Sinn? Wer soll hier aufräumen? Wie soll man das sortieren?“ (S. 10) Quellen- und Begriffsarbeit wird hier als diskursiv-hermeneutischer Aushandlungsprozess greifbar. Im Band finden sich aber auch „Ansichtssachen“, die genau bestimmen wollen, was ein Bild verdeutlichen soll (zum Beispiel woher Fremdheitserfahrungen herrühren, S. 8) oder welche Deutungen ein Bild nicht zulässt (Beispielsweise zeigt ein Stalinplakat nicht, dass das sowjetische Staatsoberhaupt „für ein repressives, grausames Regime stand“, S. 104). Die erhoffte epistemische Funktion der Bilder stößt anscheinend an Grenzen. Nicht nur stehen sie in einem vieldeutigen Bedeutungsverhältnis zum Begriff, darüber hinaus enthalten sie auch noch vielfache und überaus komplexe Referenzen, deren angemessene Deutung wiederum erhebliches Kontextwissen voraussetzt.

Wichtigstes Element des Kompendiums sind jedoch nicht die Bilder und „Ansichtssachen“, sondern die jeweils eine Seite umfassenden Erklärtexte zu den „Grundbegriffen“. Deren Funktion ist die problemorientierte Erörterung der jeweiligen Begriffsbedeutungen. Als disziplinäre Kondensation sprachlicher Konventionalisierungen hat eine solche Zusammenstellung aber auch eine kanonisierende Wirkung, wenngleich die Herausgeber:innen betonen, keinen „neuen Kanon von Grundbegriffen festlegen“ zu wollen (S. 6). Das mit Hardcover, Hochglanzbildern und alphabetischem Karteiregister ausgestattete Buch vermittelt dennoch den Eindruck, dass die ausgewählten Begriffe für den geschichtsdidaktischen Diskurs besonders wichtig seien. Vergleicht man die getroffene Auswahl mit dem 2006 erschienenen „Wörterbuch Geschichtsdidaktik“[3], fällt auf, dass der Umfang mit 65 gegenüber 157 Einträgen deutlich geringer ausfällt. Dies ist nicht zuletzt der Ausstattung des Buches mit Farbbildern geschuldet, die immerhin 65 Seiten Buchumfang ausmachen. Gleichwohl enthalten die „Grundbegriffe“ auch Einträge, die das „Wörterbuch“ nicht als eigene Lemmata erläutert. Hierzu zählen unter anderem die Begriffe „Alterität“, „Class“, „Emanzipation“, „Holocaust-Education“, „Inklusion“, „Kontrafaktische Geschichte“, „Leib/Leiblichkeit“ und „Race“. Begriffe, auf deren Erläuterung die „Grundbegriffe“ gegenüber dem Wörterbuch verzichten, sind demgegenüber unter anderem „Bildquelle“, „Curriculum“, „Dekonstruktion“, „Ereignis“, „Heuristik“, „Kontinuität“, „Living History“, „Oral History“ und „Projektarbeit“. Der gesamtgesellschaftliche Trend der sogenannten identitätspolitischen Diskurse scheint auch an der Geschichtsdidaktik nicht spurlos vorüberzugehen.

Der diskursive Ansatz der „Grundbegriffe“ erscheint vielversprechend. Kann doch die Beschäftigung mit Kontroversen die Leser:innen zu eigenen Reflexionen ermuntern. Leider – und das ist hier der Hauptkritikpunkt – vermeiden manche Einträge, diesen selbstgesetzten Anspruch zu erfüllen. Den Rezensenten wundert jedenfalls, dass einige Begriffserläuterungen die sie betreffenden Streitfragen außeracht lassen. So bleibt den Leser:innen des Lemmas „Geschichtskultur“ (S. 50) verborgen, dass Geschichtsdidaktiker:innen darüber streiten, ob der Leitbegriff nur aktuelle Phänomene umfasst oder geschichtskulturelle Praktiken und Manifestationen auch historisiert werden sollten. Die Ausführungen zum Begriff „Narration“ (S. 100) erklären zwar, dass in Erzählungen zeitdifferente Ereignisse miteinander verbunden werden, lassen jedoch den Einwand beiseite, dass es nicht die Ereignisse selbst sind, die beim Erzählen miteinander verbunden werden, sondern Aussagen, die auf Ereignisse verweisen. Ein sprachbewusstes Geschichtsverständnis sollte diesen Einwand zumindest zur Diskussion stellen. Diskussionswürdig dürfte auch die Frage sein, inwieweit sich das Verb „erzählen“ als Aufgabenoperator eignet, um Schüler:innen zum historischen Erzählen zu ermuntern. Die strittige Frage findet jedoch weder im Eintrag zur „Narration“ noch in den Erläuterungen zu den „Operatoren“ (S. 102) Erwähnung. Erhöhtes Konfliktpotenzial bergen auch die Begriffe „Identität“ (S. 72) und „Race“ (S. 112). Hier ist den Autoren zugute zu halten, dass sie die Diskurskontexte in aller gebotenen Kürze kenntnisreich besprechen und sensibel problematisieren. Wünschenswert wären aber auch hier Hinweise auf strittige Fragen, wie etwa nach dem diskriminierenden Konstruktcharakter der Begriffe. Der Hinweis, dass „Critical Whiteness“ nicht nur Schwarzes „Empowerment“ fordere, sondern „zur (Selbst-)Reflexion privilegierter weißer Positionen im sozialen Gefüge“ anrege (ebd.), ist sicherlich berechtigt. Dennoch ließe sich diskutieren, inwieweit People of Colour einen weißen Zuspruch überhaupt benötigen, um sich emanzipieren zu können. Diskussionen hervorrufen könnte auch das dem Begriff „Race“ beigefügte „Nachdenk“-Bild, dass zwei mit bunten Hemden und roter Gesichtsfarbe verkleidete Kinder zeigt. Die Absicht, damit auf die Gefahr geschichtskultureller Stereotypisierungen aufmerksam zu machen, ist begrüßenswert. Allerdings wäre hier auch ein Hinweis auf die vor allem in den Vereinigten Staaten geführten Diskurse angebracht, die das sogenannte Blackfacing als gängige rassistische Handlung kritisieren.

Zusammenfassend sind neben der hochwertigen Ausstattung des Buches vor allem die allenthalben spürbare diskursive Grundhaltung sowie der leserfreundliche Duktus der Erklärtexte zu loben. Angenehm ist auch, dass die Autor:innen darauf verzichten, ihnen nicht ins Konzept passende Begriffe pauschal abzuqualifizieren. Schade ist hingegen, dass mancher interessante Streitpunkt der Geschichtsdidaktik nicht expliziert wird. Vielleicht hätten die sechs Herausgeber:innen und Verfasser:innen noch weitere Autor:innen zur Mitarbeit einladen können, die aufgrund ihrer einschlägigen Forschungen über besondere Kenntnisse zu einzelnen Begriffsdiskursen verfügen. Die konzeptionelle Grundidee, die Lemmata mit „Nachdenk“-Bildern anzureichern, bleibt in funktionaler Hinsicht diskussionswürdig. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Wunsch der Herausgeber:innen erfüllt und ihre Text-Bild-Kombinationen viele Leser:innen zum kritischen Nachdenken anregen.

Anmerkungen:
[1] Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke in 20 Bänden. Band 5: Wissenschaft der Logik. Erster Band: Die objektive Logik (1812/13), Frankfurt am Main 1986, S. 113.
[2] Wilhelm von Humboldt, Latium und Hellas, in: Andreas Flitner / Klaus Giel (Hrsg.), Werke in fünf Bänden. Band 2: Schriften zur Altertumskunde und Ästhetik – Die Vasken, 3. Aufl., Darmstadt 1979, S. 62f.
[3] Ulrich Mayer u. a. (Hrsg.), Wörterbuch Geschichtsdidaktik, Schwalbach/Taunus 2006.

Zitation

Olaf Hartung: Rezension zu: van Norden, Jörg; Must, Thomas; Deile, Lars; Riedel, Peter; Krause, Susan; Schürenberg, Wanda (Hrsg.): Geschichtsdidaktische Grundbegriffe. Ein Bilderbuch für Studium, Lehre und Beruf. Hannover  2020. ISBN 978-3-7727-1432-0, In: H-Soz-Kult, 23.04.2021, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-94711>.




[Regionalforum-Saar] Ein Moment, um innezuhalten …

Date: 2021/04/29 12:28:00
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Ein Moment, um innezuhalten …

Vor 12 Jahren schrieb mich Theo Becker aus Köln an. Er hatte im kath. Kirchenbuch von St. Wendelin, St. Wendel, geforscht und ihm war aufgefallen, daß es in der Mitte des 18. Jahrhunderts so chaotisch zuging - da gibt es zuerst Einträge in Fließtext von einer Handschrift, ziemlich hingeschludert - in allen drei Büchern Taufen, Heiraten und Sterbefällen - und kurz darauf das ganze nochmal in Tabellenform, klare Handschrift, aber nur minimale Daten, Name, Vorname, Begräbnisdatum oder er mit Vor- und Nachnamen und sie mit demselben und das Heiratsdatum. Punkt. Oh, sortiert nach den Wohnorten innerhalb der Pfarrei. Wir diskutierten damals hin und her und kamen auf keinen grünen Zweig mit unseren Vermutungen, weil keine halbwegs plausibel schien.

Letztens habe ich es rausbekommen.

Es lag am katholischen Pfarrer Braun von St. Wendel; der hatte mit Seelsorge nicht viel am Hut - das haben wir schriftlich als Aussage von Hiesigen an den Trierer Bischof. Deshalb hat damals der Pastor Nicolaus Lochen aus Hermeskeil, Dechant des Landkapitels Wadrill, zu dem St. Wendel gehörte, die schludrigen Einträge nacherfaßt (die Tabellen) und sogar Messen gelesen, um die sich Pastor Braun einfach nicht gekümmert hat. Lochen hat danach jahrelang mit den Braunschen Erben prozessiert, um seine Stolgebühren dafür zu erhalten. Schließlich erhielt er einen Titel, aber von den Braunschen Erben war wohl nichts zu holen. Erst um 1790 wurde er dann nach und nach von Pfarrer Bender, Pastor in St. Wendel, bezahlt.

Heute fiel mir das nochmal in die Hände und auch der Emailschriftverkehr mit Theo Becker. Über google fand ich eine Telefonnummer und rief an, um mit ihm drüber zu sprechen. Eine Frau meldete sich. Als ich nach Theo Becker fragte, sagte sie mir, der ist tot. Starb vor einem Jahr.

Das traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich hatte ja nie mit ihm zu tun - außer das eine Mal. Hab ihn nie getroffen, vorher nicht und nachher nicht. Aber eine Verbindung war da schon - eine ganz kurze, die ich über die Jahre immer gemerkt habe, wenn ich den Schriftverkehr las. Wir beide auf der Suche nach einem Geheimnis, das sonst kaum jemand interessiert, aber das uns beiden bewußt wurde.

Schade.

St. Wendel am 29. April 2021

Roland Geiger

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Mit freundlichen Grüßen

Roland Geiger

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Roland Geiger
Historische Forschung
Alsfassener Straße 17, 66606 St. Wendel
Tel. 06851-3166
email alsfassen(a)web.de
www.hfrg.de

[Regionalforum-Saar] Ringvorlesung "Der Deutsch-Franz ösische Krieg 1870/71 in interdisziplinärer Perspekti ve "

Date: 2021/04/30 21:57:02
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 in interdisziplinärer Perspektive

Veranstalter Alma Hannig und Sandra Müller (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn)

Ausrichter Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Veranstaltungsort Digital

04.05.2021 - 20.07.2021

Von Alma Hannig, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Anlässlich des Erinnerungsjahres setzt sich die Ringvorlesung in interdisziplinärer Perspektive mit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 auseinander. Politische Fragen und regionale Besonderheiten werden ebenso berücksichtigt wie auch literaturwissenschaftliche, mentalitäts- und mediengeschichtliche Aspekte. Aktuelle Ausstellungs- und Public-History-Projekte werden vorgestellt und diskutiert. Ein literarischer Abend und eine Buchpräsentation rahmen die Veranstaltungsreihe ein.

Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 in interdisziplinärer Perspektive

Anlässlich des Erinnerungsjahres setzt sich die Ringvorlesung in interdisziplinärer Perspektive mit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 auseinander. Ziel ist es, den Deutsch-Französischen Krieg aus dem Blickwinkel verschiedener Geisteswissenschaften zu beleuchten und Themen vorzustellen, die in der Forschung teilweise unterrepräsentiert sind.

Expertinnen und Experten sowie Nachwuchswissenschaftler und Nachwuchswissenschaftlerinnen verschiedener europäischer Universitäten und anderer Forschungseinrichtungen bieten zudem Einblick in unterschiedliche Arbeitsweisen und Darstellungsformen der Geschichte: Aktuelle Ausstellungs- und Public-History-Projekte spielen gleichermaßen eine Rolle wie auch Archivkunde, Quellenkritik und Filmdokumentationen. Den Einstieg bietet ein Leseabend mit einer Auswahl an literarischen und philosophischen Schriften zum Deutsch-Französischen Krieg.
Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Institut français in Bonn statt. Die Vorträge finden dienstags um 18 Uhr c.t. statt.

Aufgrund der derzeitigen Situation finden die Vorträge zunächst online via Zoom statt. Im Falle der Fortsetzung der Veranstaltung in Präsenz findet diese im Institut français Bonn, Adenauerallee 35, 53113 Bonn statt.

Den Link zur Teilnahme erhalten Sie nach vorheriger Anmeldung unter: sandra.mueller(a)uni-bonn.de oder hannig(a)uni-bonn.de.

Programm

04.05.2021 Michael Schikowski (Köln): Leseabend

11.05.2021 Thomas Becker (Bonn): Universität Bonn 1870/71

18.05.2021 Maik Ohnezeit (Friedrichsruh): „1870/71. Reichsgründung in Versailles“ - Eine Sonderausstellung der Otto-von-Bismarck-Stiftung zum 150. Jahrestag der Errichtung des deutschen Nationalstaats

01.06.2021 Benoit Vaillot (Florenz/Strasbourg): L'invention de l'Alsace-Lorraine par la guerre franco-allemande de 1870

08.06.2021 Christian Bunnenberg (Bochum): Twitter-Projekt @Krieg70/71

15.06.2021 Heidi Mehrkens (Aberdeen): Anfänge des humanitären Völkerrechts

22.06.2021 Nina Kreibig (Berlin): „Befreien Sie uns von den Kreuzrittern.“ Kritik an der Schlachtenbummelei während des Deutsch-Französischen Krieges (1870/71)

29.06.2021 Christopher Brennan (London): Guy de Maupassant et la guerre

06.07.2021 Arne Karsten (Wuppertal): Der Deutsch-Französische Krieg und seine Auswirkungen auf das italienische Deutschlandbild

13.07.2021 Paul Mellenthin (Basel/Essen): Gegenwartsformen der Vergangenheit. Fotografien und Ruinen 1870/71

20.07.2021 Mario Kramp (Köln): Französische Kriegsgefangene in Köln (Buchpräsentation)


Kontakt
Sandra Müller: sandra.mueller(a)uni-bonn.de
Alma Hannig: hannig(a)uni-bonn.de

Zitation
Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 in interdisziplinärer Perspektive. In: H-Soz-Kult, 30.04.2021, <www.hsozkult.de/event/id/event-97340>.