Monatsdigest

[Regionalforum-Saar] Festkultur und Gedächtnis. Die Konstruktion einer deutschamerikanischen Ethnizität 18 48–1914

Date: 2018/02/02 23:49:11
From: Roland Geiger via Regionalforum-Saar <regionalforum-saar(a)genealogy.net>

Festkultur und Gedächtnis. Die Konstruktion einer deutschamerikanischen Ethnizität 1848–1914


Autor(en)         Bungert, Heike

Erschienen       Paderborn 2016: Verlag Ferdinand Schöningh

Umfang            637 S.

Preis    € 69,00

ISBN   978-3-506-78185-7

 

Rezensiert für H-Soz-Kult vonJan Logemann, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Georg-August-Universität Göttingen


In den USA des 19. Jahrhunderts waren „die Deutschen“ weithin bekannt für ihre Feste. Noch um 1900 veranstalten deutschamerikanische Organisationen in vielen amerikanischen Städten öffentliche Feste für (Zehn-)Tausende von Besuchern mit Turn- und Sängerwettbewerben oder volksfesthaften Vergnügungen. Das selbstbewusste Auftreten dieser Einwanderergruppen stieß dabei nicht auf ungeteilte Begeisterung in der amerikanischen Bevölkerung. Immer wieder protestierten Sabbatisten gegen Störungen der Sonntagsruhe, Temperenzler monierten den Alkoholkonsum der Deutschen, und Nativisten fürchteten die Bedrohung einer protestantisch-angelsächsischen Leitkultur. In der jüngst erschienenen und schon 2004 als Habilitationsschrift eingereichten Studie von Heike Bungert geht es somit um auch heute aktuelle Fragen von Migration und Integration, wenn sie sich der Festkultur der Deutschamerikaner vor dem Ersten Weltkrieg widmet. Ausgelassene Feste und symbolische Feiern, so die These der Arbeit, dienten dieser Gruppe zur Konstruktion einer gemeinsamen ethnischen Identität und beförderten – allen Anfeindungen zum Trotz – auch ihre gesellschaftliche Akzeptanz in den USA.


„Festkultur und Gedächtnis“ bietet eine umfassende Untersuchung hunderter Feste und Feiern mit geographischen Schwerpunkten auf den Städten New York, Milwaukee, San Antonio und San Francisco. Dabei beschränkt sich die Studie auf öffentliche Veranstaltungen und blendet Feste im privaten Rahmen ebenso aus wie religiöse Feierlichkeiten. Sie erweitert die umfangreiche Forschung zu deutschamerikanischen Communities und deren kollektiver Identitätsbildung indem sie die Rolle von Festveranstaltungen vom Rande ins Zentrum einer systematischen Analyse rückt. Dabei knüpft die Arbeit an ein seit den 1990er-Jahren erstarktes Interesse an Festkultur in der Nationalismusforschung ebenso an wie an einen breiteren „performative turn“ in der Geschichtswissenschaft. Die Bedeutung von Feiern für die performative Konstruktion nationaler Identität wurde jüngst schon am Beispiel von Schillerfeiern in deutschen und nordamerikanischen Städten herausgearbeitet.[1] Auch in den USA werden öffentlichen Feierlichkeiten seit geraumer Zeit im Sinne einer Kulturgeschichte des Politischen untersucht. Sie werden dabei als Arenen eines gesellschaftlichen Wettbewerbs um soziale Anerkennung verstanden und als Teil einer konflikthaften Aushandlung nationaler Identität.[2] Heike Bungert zeigt nun, dass Deutschamerikaner prominenter und deutlich länger als häufig angenommen an diesem Prozess in den Vereinigten Staaten teilhatten.

Die zentralen Akteure ihrer Studie sind die zahlreichen Vereine, die das deutschamerikanische Gesellschaftsleben im neunzehnten Jahrhundert prägten. Turnvereine und Sängerbünde sowie etwas später auch Schützen- und Kriegervereine veranstalteten unzählige Feiern auf lokaler und auf überregionaler Ebene. Hinzu kamen Feiern zu Ehren prominenter Persönlichkeiten oder zu Jahrestagen ebenso wie Karnevalsfeiern und populäre, zunächst stark regional geprägte, Volksfeste. Bungert kontextualisiert diese Veranstaltungen kenntnisreich in der deutschen wie auch in der amerikanischen Geschichte. Die chronologisch aufgebauten Großkapitel skizzieren eine Periodisierung, die mit dem Entstehen der Vereine und mit bürgerlichen Feiern zu Ehren deutscher Dichter und Komponisten in den 1840er-Jahren einsetzte. Die 1870er- und 1880er-Jahre stellten in vieler Hinsicht den Höhepunkt deutschamerikanischer Festkultur dar, als steigende Einwandererzahlen aus Deutschland zu einem Anwachsen von Vereinen und Feierlichkeiten führten. Die Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg waren hingegen durch zunehmende Nationalismen und soziale Differenzen innerhalb der deutschamerikanischen Community geprägt. Über mehr als 500 Seiten zeichnet das Buch ein facettenreiches Bild, das die Lebenswelt (besonders bürgerlicher) Deutschamerikaner sehr lebhaft rekonstruiert.

Als analytischer Rahmen dient der Studie das Konzept des kulturellen Gedächtnisses. Feste und Feiern werden dabei als zentrale Orte der Sinnstiftung von Gemeinschaftlichkeit in Form von Legitimations- und Alltagsgedächtnissen interpretiert. Jenseits dieser allgemeinen Einsicht bleibt der Erkenntniswert wiederholter Verweise auf den Gedächtnisbegriff in unterschiedlichen Festzusammenhängen jedoch oft unklar und das Konzept überzeugt vor allem dann wenig, wenn ein bewusstes Arbeiten am kulturellen Gedächtnis der Zeitgenossen suggeriert wird. Sicherlich war das gemeinsame Erinnern ein wichtiger und gewollter Teil von Feiern, doch wird die Betonung dieses Aspekts der oft spontanen Form performativer Identitätskonstruktion nicht ganz gerecht. Mehr als durch ihren gedächtnistheoretischen Zugriff besticht die Arbeit daher durch ihren minutiösen Blick auf historische Praktiken und deren reichhaltige Medialisierung in zeitgenössischen Berichten und Illustrationen.

Die Konflikthaftigkeit ethnischer Identitätskonstruktionen wird in der Studie immer wieder angesprochen, auch wenn sie die Darstellung nicht systematisch strukturiert. So beschreibt Heike Bungert politische Differenzen zwischen progressiven Turnern und konservativen Eliten über eine zunehmend aggressive Nationalisierung öffentlicher Veranstaltungen und verweist auf die Feste von Arbeitervereinen als eine Art „Gegengedächtnis“. Religiöse Spannungen finden hingegen nur am Rande Beachtung obgleich katholische Einwanderer, die mehr als ein Drittel der Deutschamerikaner ausmachten, sowohl in Deutschland als auch in den USA aus hegemonialen Nationalitätskonstruktionen ausgegrenzt blieben. Auf die Beteiligung der mittlerweile gut erforschten deutsch-jüdischen Gemeinden in amerikanischen Städten wird ebenfalls nur sehr punktuell verwiesen.[3] Auch hier wäre eine systematische Thematisierung wünschenswert gewesen, bei der ein wenigstens kursorischer Blick auf die Rolle religiöser Feste geholfen hätte. Ähnliches gilt für die Beteiligung von Frauen und Frauenvereinen bei deutschamerikanischen Festen. Diese wird zwar explizit angesprochen, aber die von der Forschung geforderten Differenzierung von Ethnizitätskonstruktionen nach Geschlecht kann die Arbeit allein deshalb nicht ganz einlösen, da private Feiern im häuslichen Rahmen eben nicht berücksichtigt werden konnten.[4] Dafür räumt die Studie explizit mit dem Mythos der Deutschamerikaner als „gute Republikaner“ auf. Bei allem Respekt für die Bemühungen gerade der sogenannten Forty-Eighters im Kampf gegen die Sklaverei wird auch auf Rassismen in der deutschamerikanischen Festkultur hingewiesen und auf das allgegenwärtige Bemühen, sich in das „weiße“ Amerika einzuschreiben.

Wiederholt verweist „Festkultur und Gedächtnis“ auf die Bedeutung von Konsumpraktiken in der Konstruktion deutschamerikanischer Identität und verdeutlicht dabei, dass Freizeitgestaltung jenseits der Arbeit auch im 19. Jahrhundert schon identitätsstiftend wirkte. Neben Tanzvergnügungen oder dem Verzehr regionaler Spezialitäten war besonders der Alkoholkonsum konstitutiv für ein deutschamerikanisches Selbstverständnis. Von Brauern und Gastwirten bis hin zu werbenden Kaufleuten und Fabrikanten spielten Feste zudem für die große Zahl deutschamerikanischer Immigrant Entrepreneurs eine herausragende Rolle.[5] Um 1900 wurden neue kommerzielle Elemente wie Vaudeville und Nickelodeons immer wichtiger für die Festkultur, oft auf Kosten der traditionellen Rolle der Vereine. Da zugleich die englische Sprache an Dominanz gewann, schwächte dies die gemeinschaftliche Bindekraft der Festveranstaltungen, machte sie aber für nachwachsende Generationen von Deutschamerikanern und eine breitere US-amerikanische Öffentlichkeit zugänglicher.

In dieser genauen Vermessung des komplexen Wechselspiels von Adaption und konstruierter Differenz liegt die große Stärke von Heike Bungerts Arbeit. Die Feste der Migranten dienten einerseits der Rückbindung an die deutsche Heimat und der Identifikation mit einem wachsenden deutschen Nationalbewusstsein. Zugleich standen sie jedoch auch im Zeichen einer Verortung innerhalb der amerikanischen Gesellschaft und drückten dabei republikanischen Stolz und Anspruch auf politische Teilhabe in den USA aus. Schließlich feierten sich die Deutschamerikaner auch selbst, als Gemeinschaft mit eigener Geschichte und Tradition. Wie bei anderen Einwanderergruppen auch war dieses Neben- und Miteinander verschiedener Zuschreibungen (wenigstens bis zum Ersten Weltkrieg) charakteristisch für deutschamerikanische Identität. Viele Deutschamerikaner gefielen sich in der Rolle der Kulturvermittler und betonten ihre Funktion bei wechselseitigen transatlantischen Transfers. Bungert unterstreicht die transnationale Dimension der Feiern, ihren Einfluss auf die U.S.-Kultur genauso wie ihre Rückwirkung auf Deutschland. So zeigt diese Geschichte deutschamerikanischer Festkultur weniger einen Gegensatz von Assimilation und ethnischem Separatismus, sondern schärft unseren Blick für die Bedeutung kultureller Dynamiken und – ähnlich Studien zu ethnischer Küche – für hybride Neuschöpfungen. Vergnügungen wie die „Katzenjammer Castles“ der Jahrhundertwende oder kulinarische Genüsse wie „bayerisches Clam Chowder“ waren kreative Ausprägungen einer deutschamerikanischen Ethnizität, die in dieser Studie Eingang in unser historisches Speichergedächtnis finden.

Anmerkungen:
[1] Thorsten Logge, Zur medialen Konstruktion des Nationalen. Die Schillerfeiern 1859 in Europa und Nordamerika, Göttingen 2014.
[2] David Waldstreicher, In the Midst of Perpetual Fetes: The Making of American Nationalism, 1776–1820, Chapel Hill (NC) 1997.
[3] Tobias Brinkmann, Von der Gemeinde zur "Community". Jüdische Einwanderer in Chicago, 1840–1900, Osnabrück 2002.
[4] Anke Ortlepp, "Auf denn, ihr Schwestern!" Deutschamerikanische Frauenvereine in Milwaukee, Wisconsin, 1844–1914, Stuttgart 2004.
[5] Siehe Hartmut Berghoff / Uwe Spiekermann (Hrsg.), Immigrant Entrepreneurship. The German-American Experience Since 1700, Washington, DC 2016, sowie: http://www.immigrantentrepreneurship.org (22.01.2018).

Zitation

Jan Logemann: Rezension zu: Bungert, Heike: Festkultur und Gedächtnis. Die Konstruktion einer deutschamerikanischen Ethnizität 1848–1914. Paderborn 2016 , in: H-Soz-Kult, 01.02.2018, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-27024>.

 

[Regionalforum-Saar] Festkultur und Gedächtnis. Die Konstruktion einer deutschamerikanischen Ethnizität 18 48–1914

Date: 2018/02/02 23:49:25
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Festkultur und Gedächtnis. Die Konstruktion einer deutschamerikanischen Ethnizität 1848–1914


Autor(en)         Bungert, Heike

Erschienen       Paderborn 2016: Verlag Ferdinand Schöningh

Umfang            637 S.

Preis    € 69,00

ISBN   978-3-506-78185-7

 

Rezensiert für H-Soz-Kult vonJan Logemann, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Georg-August-Universität Göttingen


In den USA des 19. Jahrhunderts waren „die Deutschen“ weithin bekannt für ihre Feste. Noch um 1900 veranstalten deutschamerikanische Organisationen in vielen amerikanischen Städten öffentliche Feste für (Zehn-)Tausende von Besuchern mit Turn- und Sängerwettbewerben oder volksfesthaften Vergnügungen. Das selbstbewusste Auftreten dieser Einwanderergruppen stieß dabei nicht auf ungeteilte Begeisterung in der amerikanischen Bevölkerung. Immer wieder protestierten Sabbatisten gegen Störungen der Sonntagsruhe, Temperenzler monierten den Alkoholkonsum der Deutschen, und Nativisten fürchteten die Bedrohung einer protestantisch-angelsächsischen Leitkultur. In der jüngst erschienenen und schon 2004 als Habilitationsschrift eingereichten Studie von Heike Bungert geht es somit um auch heute aktuelle Fragen von Migration und Integration, wenn sie sich der Festkultur der Deutschamerikaner vor dem Ersten Weltkrieg widmet. Ausgelassene Feste und symbolische Feiern, so die These der Arbeit, dienten dieser Gruppe zur Konstruktion einer gemeinsamen ethnischen Identität und beförderten – allen Anfeindungen zum Trotz – auch ihre gesellschaftliche Akzeptanz in den USA.


„Festkultur und Gedächtnis“ bietet eine umfassende Untersuchung hunderter Feste und Feiern mit geographischen Schwerpunkten auf den Städten New York, Milwaukee, San Antonio und San Francisco. Dabei beschränkt sich die Studie auf öffentliche Veranstaltungen und blendet Feste im privaten Rahmen ebenso aus wie religiöse Feierlichkeiten. Sie erweitert die umfangreiche Forschung zu deutschamerikanischen Communities und deren kollektiver Identitätsbildung indem sie die Rolle von Festveranstaltungen vom Rande ins Zentrum einer systematischen Analyse rückt. Dabei knüpft die Arbeit an ein seit den 1990er-Jahren erstarktes Interesse an Festkultur in der Nationalismusforschung ebenso an wie an einen breiteren „performative turn“ in der Geschichtswissenschaft. Die Bedeutung von Feiern für die performative Konstruktion nationaler Identität wurde jüngst schon am Beispiel von Schillerfeiern in deutschen und nordamerikanischen Städten herausgearbeitet.[1] Auch in den USA werden öffentlichen Feierlichkeiten seit geraumer Zeit im Sinne einer Kulturgeschichte des Politischen untersucht. Sie werden dabei als Arenen eines gesellschaftlichen Wettbewerbs um soziale Anerkennung verstanden und als Teil einer konflikthaften Aushandlung nationaler Identität.[2] Heike Bungert zeigt nun, dass Deutschamerikaner prominenter und deutlich länger als häufig angenommen an diesem Prozess in den Vereinigten Staaten teilhatten.

Die zentralen Akteure ihrer Studie sind die zahlreichen Vereine, die das deutschamerikanische Gesellschaftsleben im neunzehnten Jahrhundert prägten. Turnvereine und Sängerbünde sowie etwas später auch Schützen- und Kriegervereine veranstalteten unzählige Feiern auf lokaler und auf überregionaler Ebene. Hinzu kamen Feiern zu Ehren prominenter Persönlichkeiten oder zu Jahrestagen ebenso wie Karnevalsfeiern und populäre, zunächst stark regional geprägte, Volksfeste. Bungert kontextualisiert diese Veranstaltungen kenntnisreich in der deutschen wie auch in der amerikanischen Geschichte. Die chronologisch aufgebauten Großkapitel skizzieren eine Periodisierung, die mit dem Entstehen der Vereine und mit bürgerlichen Feiern zu Ehren deutscher Dichter und Komponisten in den 1840er-Jahren einsetzte. Die 1870er- und 1880er-Jahre stellten in vieler Hinsicht den Höhepunkt deutschamerikanischer Festkultur dar, als steigende Einwandererzahlen aus Deutschland zu einem Anwachsen von Vereinen und Feierlichkeiten führten. Die Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg waren hingegen durch zunehmende Nationalismen und soziale Differenzen innerhalb der deutschamerikanischen Community geprägt. Über mehr als 500 Seiten zeichnet das Buch ein facettenreiches Bild, das die Lebenswelt (besonders bürgerlicher) Deutschamerikaner sehr lebhaft rekonstruiert.

Als analytischer Rahmen dient der Studie das Konzept des kulturellen Gedächtnisses. Feste und Feiern werden dabei als zentrale Orte der Sinnstiftung von Gemeinschaftlichkeit in Form von Legitimations- und Alltagsgedächtnissen interpretiert. Jenseits dieser allgemeinen Einsicht bleibt der Erkenntniswert wiederholter Verweise auf den Gedächtnisbegriff in unterschiedlichen Festzusammenhängen jedoch oft unklar und das Konzept überzeugt vor allem dann wenig, wenn ein bewusstes Arbeiten am kulturellen Gedächtnis der Zeitgenossen suggeriert wird. Sicherlich war das gemeinsame Erinnern ein wichtiger und gewollter Teil von Feiern, doch wird die Betonung dieses Aspekts der oft spontanen Form performativer Identitätskonstruktion nicht ganz gerecht. Mehr als durch ihren gedächtnistheoretischen Zugriff besticht die Arbeit daher durch ihren minutiösen Blick auf historische Praktiken und deren reichhaltige Medialisierung in zeitgenössischen Berichten und Illustrationen.

Die Konflikthaftigkeit ethnischer Identitätskonstruktionen wird in der Studie immer wieder angesprochen, auch wenn sie die Darstellung nicht systematisch strukturiert. So beschreibt Heike Bungert politische Differenzen zwischen progressiven Turnern und konservativen Eliten über eine zunehmend aggressive Nationalisierung öffentlicher Veranstaltungen und verweist auf die Feste von Arbeitervereinen als eine Art „Gegengedächtnis“. Religiöse Spannungen finden hingegen nur am Rande Beachtung obgleich katholische Einwanderer, die mehr als ein Drittel der Deutschamerikaner ausmachten, sowohl in Deutschland als auch in den USA aus hegemonialen Nationalitätskonstruktionen ausgegrenzt blieben. Auf die Beteiligung der mittlerweile gut erforschten deutsch-jüdischen Gemeinden in amerikanischen Städten wird ebenfalls nur sehr punktuell verwiesen.[3] Auch hier wäre eine systematische Thematisierung wünschenswert gewesen, bei der ein wenigstens kursorischer Blick auf die Rolle religiöser Feste geholfen hätte. Ähnliches gilt für die Beteiligung von Frauen und Frauenvereinen bei deutschamerikanischen Festen. Diese wird zwar explizit angesprochen, aber die von der Forschung geforderten Differenzierung von Ethnizitätskonstruktionen nach Geschlecht kann die Arbeit allein deshalb nicht ganz einlösen, da private Feiern im häuslichen Rahmen eben nicht berücksichtigt werden konnten.[4] Dafür räumt die Studie explizit mit dem Mythos der Deutschamerikaner als „gute Republikaner“ auf. Bei allem Respekt für die Bemühungen gerade der sogenannten Forty-Eighters im Kampf gegen die Sklaverei wird auch auf Rassismen in der deutschamerikanischen Festkultur hingewiesen und auf das allgegenwärtige Bemühen, sich in das „weiße“ Amerika einzuschreiben.

Wiederholt verweist „Festkultur und Gedächtnis“ auf die Bedeutung von Konsumpraktiken in der Konstruktion deutschamerikanischer Identität und verdeutlicht dabei, dass Freizeitgestaltung jenseits der Arbeit auch im 19. Jahrhundert schon identitätsstiftend wirkte. Neben Tanzvergnügungen oder dem Verzehr regionaler Spezialitäten war besonders der Alkoholkonsum konstitutiv für ein deutschamerikanisches Selbstverständnis. Von Brauern und Gastwirten bis hin zu werbenden Kaufleuten und Fabrikanten spielten Feste zudem für die große Zahl deutschamerikanischer Immigrant Entrepreneurs eine herausragende Rolle.[5] Um 1900 wurden neue kommerzielle Elemente wie Vaudeville und Nickelodeons immer wichtiger für die Festkultur, oft auf Kosten der traditionellen Rolle der Vereine. Da zugleich die englische Sprache an Dominanz gewann, schwächte dies die gemeinschaftliche Bindekraft der Festveranstaltungen, machte sie aber für nachwachsende Generationen von Deutschamerikanern und eine breitere US-amerikanische Öffentlichkeit zugänglicher.

In dieser genauen Vermessung des komplexen Wechselspiels von Adaption und konstruierter Differenz liegt die große Stärke von Heike Bungerts Arbeit. Die Feste der Migranten dienten einerseits der Rückbindung an die deutsche Heimat und der Identifikation mit einem wachsenden deutschen Nationalbewusstsein. Zugleich standen sie jedoch auch im Zeichen einer Verortung innerhalb der amerikanischen Gesellschaft und drückten dabei republikanischen Stolz und Anspruch auf politische Teilhabe in den USA aus. Schließlich feierten sich die Deutschamerikaner auch selbst, als Gemeinschaft mit eigener Geschichte und Tradition. Wie bei anderen Einwanderergruppen auch war dieses Neben- und Miteinander verschiedener Zuschreibungen (wenigstens bis zum Ersten Weltkrieg) charakteristisch für deutschamerikanische Identität. Viele Deutschamerikaner gefielen sich in der Rolle der Kulturvermittler und betonten ihre Funktion bei wechselseitigen transatlantischen Transfers. Bungert unterstreicht die transnationale Dimension der Feiern, ihren Einfluss auf die U.S.-Kultur genauso wie ihre Rückwirkung auf Deutschland. So zeigt diese Geschichte deutschamerikanischer Festkultur weniger einen Gegensatz von Assimilation und ethnischem Separatismus, sondern schärft unseren Blick für die Bedeutung kultureller Dynamiken und – ähnlich Studien zu ethnischer Küche – für hybride Neuschöpfungen. Vergnügungen wie die „Katzenjammer Castles“ der Jahrhundertwende oder kulinarische Genüsse wie „bayerisches Clam Chowder“ waren kreative Ausprägungen einer deutschamerikanischen Ethnizität, die in dieser Studie Eingang in unser historisches Speichergedächtnis finden.

Anmerkungen:
[1] Thorsten Logge, Zur medialen Konstruktion des Nationalen. Die Schillerfeiern 1859 in Europa und Nordamerika, Göttingen 2014.
[2] David Waldstreicher, In the Midst of Perpetual Fetes: The Making of American Nationalism, 1776–1820, Chapel Hill (NC) 1997.
[3] Tobias Brinkmann, Von der Gemeinde zur "Community". Jüdische Einwanderer in Chicago, 1840–1900, Osnabrück 2002.
[4] Anke Ortlepp, "Auf denn, ihr Schwestern!" Deutschamerikanische Frauenvereine in Milwaukee, Wisconsin, 1844–1914, Stuttgart 2004.
[5] Siehe Hartmut Berghoff / Uwe Spiekermann (Hrsg.), Immigrant Entrepreneurship. The German-American Experience Since 1700, Washington, DC 2016, sowie: http://www.immigrantentrepreneurship.org (22.01.2018).

Zitation

Jan Logemann: Rezension zu: Bungert, Heike: Festkultur und Gedächtnis. Die Konstruktion einer deutschamerikanischen Ethnizität 1848–1914. Paderborn 2016 , in: H-Soz-Kult, 01.02.2018, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-27024>.

 

[Regionalforum-Saar] hausflohmarkt in st. wendel

Date: 2018/02/12 21:38:51
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Guten Abend,

 

im vergangenen Jahr ist in St. Wendel die alte Frau Stier gestorben, eine geborene Scheffler, deren Vorfahren vom Winkenbacher Hof stammen.

 

In ihrem Haus im Wingert (Nr. 22) gibt es am Samstag einen Hausflohmarkt, in dem möglichst viel des Hausrats Liebhaber finden soll.

 

Da gibt’s jede Menge Bücher, auch welche von St. Wendel. Etliche alte und ältere Bilder und Fotos, McNelli, Mia Münster, Leismann. Zwei Pastellbilder:

 

Der Herr ist Philipp Heinrich Leydorff, + 17.12.1860 in Ottweiler.

Sie ist Catharina Elisabetha Leydorf geb. Altpeter, verwitwete Frantz und Simon, geb. 1768, gest. 1. Mai 1847.

 

Geöffnet ist von 11 bis 17 Uhr.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] "Und wenn wir einfach aufhö rten?"

Date: 2018/02/21 22:45:45
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

"Und wenn wir einfach aufhörten?" Kulturen des Krieges und des Friedens im Jahr 1917 – Vorläufer, Folgen und Echos


Veranstalter
Institut Franco-Allemand de Sciences Historiques et Sociales de Francfort/Main; Forschungszentrum Historische Geisteswissenschaften, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main; Institut für Romanische Sprachen und Literaturen, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Datum
27.09.2017 - 29.09.2017

Von
Paul Alke / Carla Reitter, Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Am 11. November 1918, Schlag 11 Uhr, beendeten die Armeen auf den Schlachtfeldern der Westfront ihre Kriegshandlungen. Qua Unterzeichnung des Waffenstillstands waren die zuvor noch verfeindeten Soldaten nun zu friedlichen Soldaten zweier Nationen geworden. Sie begegneten sich auf den Landstreifen zwischen den Gräben und tauschten Zigaretten. Es sind solche Szenen, die den Ersten Weltkrieg besonders töricht erscheinen lassen. Das Frankfurter Forschungszentrum Historische Geisteswissenschaften stellte sich aus diesem Grund auf seiner alljährlichen Tagung die retrospektive Frage „Und wenn wir einfach aufhörten?“. Im sich ebenfalls langsam zu seinem Ende neigenden Jubiläumsmarathon 2014 bis 2018 warfen die OrganisatorInnen der Tagung einen umfassenden Blick auf das Ende des Kriegs, oder besser gesagt die Enden des Krieges: In drei Sektionen ging es um kulturelle Vorstellungen vom Kriegsende, Friedensinitiativen und um Schauplätze, auf denen der Krieg nie zu einem Ende kam. Das Forschungszentrum Historische Geisteswissenschaften vereinte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Geschichts-, Literatur-, Kultur- und Sozialwissenschaften, und vor allem – in Abwendung von nationalen Geschichtsschreibungen – die deutsche und die französische Perspektive. Letztere wurde bereits in der Konzeption der Tagung deutlich, sind die „sorties de guerre“, also die im Plural gehaltenen „Kriegsausgänge“ ebenso wie die „entrée en paix“, der „Friedenseintritt“, im Gegensatz zum deutschen „Kriegsende“ doch eine in den französischen Geschichtswissenschaften beheimatete Begrifflichkeit. [1] Die Organisatoren Steffen Bruendel, Frank Estelmann und Pierre Monnet eröffneten die Tagung und skizzierten das Jahr 1917 angesichts der verschiedenen Initiativen und Kriegsereignisse als Binnenschwelle, an der die Durchhaltegesellschaften der kriegführenden Staaten an den Rand der Erosion gebracht wurden, an der aber auch Perspektiven für die Nachkriegs- und Friedenszeit sichtbar wurden.

In der ersten Sektion erörterten die ReferentInnen die Frage, wann und für wen der Erste Weltkrieg endete, wobei allen Beiträgen die Ansicht gemeinsam war, dass der Krieg über das Jahr 1918 hinauswirkte. CHRISTOPH CORNELIßEN (Frankfurt am Main) nahm dafür die Friedensnote von Papst Benedikt XV. in den Blick und erläuterte, dass sie paradigmatisch sei für die realpolitischen Unwägbarkeiten, die dem „Aufhören“ entgegenstanden. Das Oberhaupt der katholischen Kirche habe mit seinen Bemühungen, das „unnütze Gemetzel“ zu beenden, verkannt, wie vielfältig die Gruppe der Entscheidungsträger und wie tief und komplex sich die Strukturen der Entscheidungsfindung während der Kriegsjahre verzweigt hatten. Die „Penetranz des Misstrauens“ hatte sich nicht nur zwischen Feinden, sondern auch zwischen verschiedenen Lagern innerhalb der kriegführenden Gesellschaften breitgemacht und erschwerte eine mögliche Einigung, weil unterschiedliche Akteure und Institutionen an unterschiedlichen Zielen arbeiteten. Obwohl mit konkreten Vorschlägen ausgestattet, war die Initiative des Papstes letztlich im Gemengelage von Befehlsstrukturen, diplomatischen Interdependenzen und Erwartungslagen in den Bevölkerungen zum Scheitern verurteilt. Dieser Zustand hörte mit Kriegsende nicht einfach auf, wie CORINE DEFRANCE (Paris) und ULRICH PFEIL (Metz) in ihrem Vortrag darlegten. Dafür griffen sie die schon unter Zeitgenossen virulente Formel vom „Neuen Dreißigjährigen Krieg“ auf und wiesen damit auf eine anhaltende Kultur des Krieges hin, welche die Epoche – über Waffenstillstand und Friedensvertrag hinaus – prägte. In verschiedenen Bereichen dauerte der Krieg nach Kriegsende auf symbolischer und rhetorischer Ebene weiter an – bei staatlichen Trauerritualen, aber auch im Alltag internationaler Politik. So wurde Frankreich in Telegrammen des Deutschen Reichs noch bis zum Jahr 1924 als Feind bezeichnet. Trotz vieler ähnlicher Herausforderungen, mit denen die deutsche und die französische Gesellschaft in der Nachkriegszeit konfrontiert waren, gab es laut Defrance und Pfeil gravierende Unterschiede in der Selbst- und Fremdwahrnehmung zwischen den beiden Nachbarländern. Diese Einschätzung unterstützend zeigte VINCENT LANIOL (Paris), inwiefern weder der Vertrag von Rotonde noch der Vertrag von Versailles einen Beitrag zu einem echten Frieden leisten konnten. Eindrücklich rekonstruierte er die emotional und innenpolitisch verengten Handlungsspielräume der an den Verträgen beteiligten Akteure.

Während die erste Sektion zwar deutlich gemacht hatte, dass der Erste Weltkrieg weder nach Waffenstillstand noch nach Friedensvertrag endgültig überstanden war, widmete sich die zweite Sektion, den Anfängen des Kriegsendes im Jahr 1917. Das Kriegsende im Osten betrachtete SOPHIE CŒURÉ (Paris). Auf diskursiver Ebene stellte sie eine paradoxe Wahrnehmung Russlands in Frankreich fest: War Russland im Jahr 1914 noch als „rouleau compresseur russe“, als russische Dampfwalze, in Frankreich bekannt, wurde das Land nach den Revolutionen mit Frieden, aber auch mit Verrat assoziiert. Ebenso befasste sich NINA RÉGIS (Toulouse / Berlin) mit der Bedeutung öffentlicher Diskussionen für Krieg und Frieden, indem sie die Auseinandersetzungen über Brot in der deutschen Presse im Jahr 1917 vorstellte. Die wechselseitigen Einflüsse zwischen der Nahrungsmittellage und der Kriegsmüdigkeit führten laut Régis dazu, dass das Jahr 1917 zum Wendepunkt auf dem Weg zum Frieden wurde und stimmte so mit dem anfangs gezeichneten Bild der Binnenschwelle überein. MATTHIAS WAECHTER (Nizza / Freiburg) lenkte den Blick auf den US-amerikanischen Kriegseintritt und Woodrow Wilsons Rechtfertigung desselben. Im Zentrum der Argumentation stand laut Waechter die Vorstellung, dass der Kriegseintritt eine Chance darstellte, eine eigene globale Friedensordnung zu etablieren. Auf diese Weise deutete Wilson den amerikanischen Exzeptionalismus um und begründete eine Tradition der amerikanischen Weltpolitik, den Wilsonianismus, der über das gesamte 20. Jahrhundert und bis heute nachwirkt.

Die dritte Sektion verhandelte das Ende des Ersten Weltkriegs in den literarischen und visuellen Kulturen. Das Beispiel der zwei „Lauenburger Tagungen“ im Frühjahr und Herbst des Jahres 1917 nahm STEFFEN BRUENDEL (Frankfurt am Main) zum Anlass, um die zunehmende Polarisierung der deutschen Intellektuellen über die Frage der Zukunft ihres Landes zu illustrieren. In seinem Vortrag beschrieb Bruendel, dass die Faszination für korporative Gesellschaftsmodelle sowie die Suche nach politischer Führung in den Diskussionen immer wieder virulent wurden. Die Parlamentarisierungsdebatte, die auch auf Burg Lauenstein geführt wurde, war von der Ablehnung einer westlich-liberalen Ordnung und dem Wunsch nach einer „Revolution von oben“ geprägt. Das Schwellenjahr 1917 steht laut Bruendel aus diesem Grund auch für die zunehmende politische Radikalisierung der Intellektuellen. BRIGITTE BRAUN (Trier) analysierte Filme der UFA hinsichtlich ihrer territorialen Darstellungen. Sie zeigte, in welchem Maße Landkarten im neuen Massenmedium zu Propagandazwecken genutzt wurden – als „Aufklärung“ für die Alliierten und „Information“ für die Bürger. Wenn die „Zerstümmelung des Volkskörpers“ anhand der Frage der östlichen Grenzen gezeichnet wurde oder die französische Besetzung des Rheinlandes als „Durchdringung“ und „Verseuchung“, diente der Film laut Braun als Mittel der kontinuierlichen Mobilmachung gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrages und perpetuierte damit eine grundsätzlich feindliche Haltung im Gewand von Unterhaltung und Nachrichten. Eine literaturwissenschaftliche Herangehensweise wählte NICOLAS BIANCHI (Montpellier), der sich mit der Repräsentation von Frauen in der Kriegsliteratur zwischen 1918 und 1939 in Frankreich und Deutschland beschäftigte. Die Konstruktion der abwesenden Weiblichkeit an der männlichen Front in den Werken von Barbusse, Chevallier, Renn, Remarques und anderen, weise, so Bianchi, auf die Vorstellungen vom Ende des Krieges hin. Die Frauenfiguren in der Heimat dienten in den literarischen Bearbeitungen als Projektionsfläche für das Ende des Krieges, für die Rückkehr von der Front und die Verarbeitung des Erlebten. Als „marraine de guerre“ verkörperten sie nostalgische Erinnerungen an eine heile Welt, evozierten aber auch die Furcht vor Untreue und männlicher Ohnmacht angesichts schleichender Emanzipation. Die Frauenfiguren an der Front wiederum wurden mit Argwohn betrachtet und als hypersexualisierte Verführerinnen konstruiert. Das „Reich der Abwesenden“ sei so gekennzeichnet von zwei Topoi: dem des „Krankenschwester-Engels“ – fürsorglich, mütterlich – und der feindlichen und gefährlichen „Spionin-Dämonin“.

Nach drei Tagungssektionen über die Ausgänge des Ersten Weltkriegs, ging es in der vierten Sektion zu guter Letzt um die psychisch und physisch versehrten Überlebenden, mit denen der Krieg – seine Folgen und die Erinnerung an ihn – langfristig in den Gesellschaften sichtbar war, also genau genommen niemals zu Ende ging. Hier konnte die Tagung ihrem transnationalen Anspruch wirklich gerecht werden: STÉPHANE TISON (Le Mans) stellte seine Forschungen zur Versorgung psychisch kranker Soldaten in Frankreich vor, die nach drei Jahren Krieg im Jahr 1917 anlief. Obwohl sich die zuständigen Ärzte und Behörden umfangreich mit der Thematik auseinandersetzen, führten sie die psychischen Symptome nicht auf die im Krieg erlittenen Traumata der Soldaten zurück. Dass dieser Zusammenhang bei physischen Kriegsleiden nicht geleugnet werden konnte, demonstrierte PAVAN DALLA TORRE (Padua) mit der Geschichte des italienischen Verbands körperlich behinderter Kriegsveteranen ANMIG. Die behinderten Veteranen hätten sich zu einer wichtigen sozialen Gruppe im Nachkriegsitalien entwickelt, die für angemessene Arbeitsbedingungen und Sozialhilfe kämpften. Auch in Deutschland setzten sich versehrte Veteranen für ihre soziale Versorgung und gesellschaftliche Anerkennung ein, wie NILS LÖFFELBEIN (Frankfurt am Main) in seinem Vortrag darlegte. Der staatliche Umgang mit den 2,7 Millionen Veteranen in der Verlierernation erschwerte die Stabilisierung der Weimarer Republik. Obwohl es ein laut Löffelbein vergleichsweise leistungsstarkes Versorgungssystem gab, erfuhren die Kriegsbeschädigten gesellschaftliche Ausgrenzung, was die Nationalsozialisten schließlich massiv für ihre Ziele zu instrumentalisieren wussten.

Dank der vielfältigen Perspektiven, die in den Vorträgen eingenommen wurden, konnten „die Enden“ des Ersten Weltkriegs auf der Tagung phänomenologisch in den Blick genommen werden. Dabei wurde in den meisten Fällen deutlich, dass zwar die Kriegshandlungen im Jahr 1918 zu einem Ende kamen, dies aber mitnichten ein Ende des Krieges oder einen Anfang des Friedens bedeutete. Die Vorträge demonstrierten, wie der Ersten Weltkrieg langfristig in die an ihm beteiligten Gesellschaften hineinwirkte. Den Gesamteindruck der Tagung trübt ein wenig, dass einige Referentinnen und Referenten die dreitägige Veranstaltung nur für ihre Sektion oder den Nachmittag, an dem sie vortrugen, besuchten, weswegen keine kontinuierliche Diskussion des Gegenstands zustande kam. Insgesamt regte die Tagung zum Nachdenken über das Tagungsformat an sich an, denn trotz der spannenden Sektionen verfolgten abgesehen von den ReferentInnen in der Regel nur fünf bis zehn weitere Gäste das Geschehen.

Konferenzübersicht:

I. Einfach aufhören – wann und für wen endete der Erste Weltkrieg?

Christoph Cornelißen (Frankfurt am Main): „Die Friedensnote Benedikts XV. vom 1. August 1917 – Probleme des Friedensschließens im Weltkrieg“

Corine Defrance (Paris) / Ullrich Pfeil (Metz) : „Quand s’arrête la Première Guerre mondiale en France et en Allemagne?“

Axel Dröber (Paris): „Wann endete der Krieg? Phänomene transnationaler Mobilität in Deutschland und Frankreich während der Zwischenkriegszeit“

Vincent Laniol (Paris): „L’armistice de Rethondes et le traité de Versailles : une entrée en paix?“

Anne Duménil (Amiens): „Les initiatives de paix des institutions et organisations supranationales“

Guillaume Lancereau (Paris): „Les usages politiques de l’histoire en lendemain de guerre: la démobilisation intellectuelle des historiens de la Révolution française“

II. 1917 – Der Anfang vom Ende des Krieges?

Sophie Cœré (Paris): „1917, les révolutions russes et la paix. Les paradoxes de la géopolitique et de l’idéologie“

Matthias Waechter (Nizza / Freiburg): „Die Rolle der USA und Präsident Wilsons 1917“

Nina Régis (Toulouse / Berlin): „‘Der Schrei nach besserem Brot‘: Eine unmögliche Zensur? Eine Analyse zum Kriegsbrot in der deutschen Presse des Jahres 1917. Hintergründe und Auswirkungen“

III. Aufhören – Das Ende des Ersten Weltkriegs in den literarischen und visuellen Kulturen (1917-2017)

Steffen Bruendel (Frankfurt am Main): „Vorstellungen vom Kriegsende. Kunst und Literatur 1917/18“

Milan Horňáček (Olmütz): „‘Abschied von Habsburg‘. Inszenierungen des Kriegsendes in deutschsprachigen Kriegsromanen aus Böhmen und Mähren“

Brigitte Braun (Trier): „Krieg? Frieden? Grenzen? – Film und kulturelle Mobilmachung“

Nicholas Bianchi (Montpellier): „L’empire des absentes. Présences féminines et retours à la vie civile dans le roman de 14, France-Allemagne“

Maria Erben (Bonn): „Menschengemachte Apokalypse: Romain Rollands und Karl Kraus‘ Visionen des endlosen Kriegs“

Olag Müller (Marburg): „Frieden am Horizont: 1917 in Autobiographie und Fiktion nichtmobilisierter Autoren“

IV. Trauma und Verstümmelung – Der endlose Krieg

Stéphane Tison (Le Mans): „Les soldats blessé psychiques. Une sortie de guerre interminable?“

Ugo Pavan Dalla Torre (Padua): „Living Memory of the War: Mutilated Soldiers in Italy”

Nils Löffelbein (Frankfurt am Main): „Der staatliche Umgang mit den Kriegsbeschädigten des Ersten Weltkrieges in der Weimarer Republik und im Dritten Reich“

Bérénice Zunino (Besançon): „‘Hier aber ist das nüchtern-wahre, das gemein-naturgetreue Bild des Krieges photographisch festgehalten‘ – Körperversehrte als visuelle Erinnerungsorte des Krieges in Ernst Friedrichs Friedenspädagogik“

Anmerkung:
[1] Stéphane Audoin-Rouzeau / Christophe Prochasson, Sortir de la Grande Guerre. Le monde et l’après 1918, Paris, Tallandier, 2008. Verwiesen sei an dieser Stelle noch auf die Veranstaltungsreihe des DHI Paris „Les sorties de guerre. France, Allemagne, Europe 1917-1923“, die noch bis zum Mai dieses Jahres stattfindet.

Zitation
Tagungsbericht: "Und wenn wir einfach aufhörten?" Kulturen des Krieges und des Friedens im Jahr 1917 – Vorläufer, Folgen und Echos, 27.09.2017 – 29.09.2017 Frankfurt am Main, in: H-Soz-Kult, 22.02.2018, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-7566>.

[Regionalforum-Saar] Gastwirthekalender 1895

Date: 2018/02/21 22:55:27
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Guten Abend,

letzte Woche war hier in St. Wendel ein Hausflohmarkt, und dort habe ich neben etlichen alten Fotos auch das o.a. Buch in die Hand gefallen. Was da drin steht, will ich Ihnen am Beispiel St. Wendels zeigen.

Roland Geiger

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Gastwirthe=Kalender.

Adreß= und Nachschlagebuch.

Herausgegeben im Auftrage des Bundes Deutscher Gastwirthe.

Von Carl Reinemer, Darmstadt,

1. Vorsitzender des Rhein=Main=Verbandes und Director der Sterbecasse des Süddeutschen Gastwirthe=Verbandes.

Sechster Jahrgang.

1895

Darmstadt.

Buchdruckerei von R.F. Bender.

 

 

(Seiten 232-233)

 

St. Wendel.

Einwohnerzahl 5000. Kreisstadt im preuß. Regierungsbezirk Trier, an der Blies und Rhein=Nahe=Bahn, mit evang. und kathol. Kirche, Progymnasium, hat Gerbereien und besuchte Märkte. Bedeutender Wallfahrtsort.

 

Wirtheverein St. Wendel und Umgegend.

Gegründet am 12. März 1894. Mitgliederzahl 52.

 

Vorstand:

J.P. Krackenberger, Bahnhofsrestaurateur, 1. Vorsitzender.

Michael Tholey, zum Trierischen Hof, 2. Vorsitzender.

P.J. Monz, Hotel zur Post, 1. Schriftführer.

J.C. Kockler, Schankwirth, 2. Schriftführer.

J.P. Krackenberger, Rechner.

Peter Noß, Gastwirt zum Schwan, und August Knoll, Beisitzende.

 

Ortsr. d. Verb.=Sterbecasse: J.P. Krackenberger.

 

Mitglieder.

St. Wendel.

Auer, Joseph, Gastwirth.

Deutscher, Joh., Gastwirth.

Enkrich, P. Jos., Gastwirth.

Kirsch Ww., Schankwirth.

Monz, Peter Jos., Hotel zur Post.

Hallauer, Wendel, Gastwirth.

Homberg, Ph., Schankwirth.

Krackenberger, Joh. Peter, Bahnhofsrestaurateur.

Knoll, Pet. Jos., Gastwirth.

Neu, Dr. Joh., Schankwirth.

Noß, Heinrich, Gastwirth.

Paqué, Jakob, Schankwirth.

Knoll, August, Gastwirth.

Kockler, Joh. Carl, Schankwirth.

Paqué Ww., Gastwirth.

Riotte, Johann.

Riotte, Carl, Schankwirth.

Scheffler, Michael, Gastwirth.

Schmitt, Nicolaus, Gastwirth.

Thomé, Anton, Gastwirth.

Tholay, Michel, z. Trierischen Hof.

Wenneis, Mich., Gastwirth.

Weynand, Carl, Gastwirth.

 

Auswärtige Mitglieder.

 

Alsweiler.

Morsch, Michel, Gastwirth.

 

Baumholder

Hermann, Gg., Gastwirth.

 

Baltersweiler.

Funk, Joh.

 

Berglangenbach.

Welsch, Friedrich II.

Welsch, Jakob III.

 

Bliesen.

Biegel, Jakob.

Eckert, Joh.

Eckert, ,Carl.

 

Dörrenbach.

Stoll, Carl.

Heimbach

Schmitt, Adam.

Schmitt, Adam jr.

 

Fohren=Linden.

Henn, Louis.

 

Heimbach.

Schmitt, Adam.

Schmitt, Adam jr.

 

Hofeld.

Rammacher, Alois.

 

Leitersweiler.

Theis, Adam.

 

Mittelbollenbach.

Bender, Philipp.

 

Nahbollenbach.

Sender, Simon.

 

Namborn.

Sesterheim, Peter.

 

Reitscheid.

Eisenhut, Heinr. Joh.

 

Reichenbach.

Auner, Heinr. Pet.

 

Sien.

Nick, Joh.

 

Sötern.

Meisel, Joh.

 

Sotzweiler.

Müller, Peter.

 

Tholay.

Bourgignon, Peter.

Bourger, Franz.

 

Türkismühle.

Schulze, Fried.

 

Urweiler.

Vollmann, Nicolas.

 

Walhausen.

Pfeiffer, Peter.

 

Vereinsdiener.

Neuberger.

 

[Regionalforum-Saar] Bewahren – aneignen – zerstören.

Date: 2018/02/21 22:59:49
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Bewahren – aneignen – zerstören. Formen des Umgangs mit dem Alten und Fremden in der Vormoderne. 24. Jahrestagung des Brackweder Arbeitskreises für Mittelalterforschung


Ort
Rom
Veranstalter
Brackweder Arbeitskreis für Mittelalterforschung
Datum
23.11.2017 - 24.11.2017
Von
Judith Utz, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin / Bibliotheca Hertziana, Rom

Im Mittelpunkt der 24. Jahrestagung des Brackweder Arbeitskreises für Mittelalterforschung standen unter dem Titel „Bewahren – aneignen – zerstören. Formen des Umgangs mit dem Alten und Fremden in der Vormoderne“ Zuschreibungen und Praktiken, denen Objekte und Ideen in der Vergangenheit unterlagen. Die Organisatoren Christiane Elster (Rom) und Christoph Mauntel (Tübingen) luden für zwei Tage in die Bibliotheca Hertziana nach Rom und wählten damit nicht zufällig eine Stadt, die selbst in besonderem Maße vom Bewahren, Aneignen und Zerstören geprägt ist. Für die Nachwuchswissenschaftler des Arbeitskreises stellen die jährlichen Treffen an wechselnden Orten ein wichtiges Moment des interdisziplinären, mediävistischen und frühneuzeitlichen Austausches dar.

Als bewahrenswert galten besonders seltene Objekte oder solche, die hohen materiellen Wert aufwiesen. Objekte und Ideen, die zum sozialen Prestige beitrugen oder in spezifischer Weise Identität zu konstituieren vermochten, überdauerten ebenfalls mit größerer Wahrscheinlichkeit. Ein Erhalt konnte zufällig geschehen – etwa durch das Vergessen – oder intendiert gewesen sein. Die Tagung fragte vor allem nach letzterem und nach damit verbundenen Praktiken der Wertzuschreibung. Unter dem Begriff der Aneignung fassten die Organisatoren all jene Praktiken zusammen, mit denen Neu- bzw. Umprägungen von Ideen und Objekten einhergingen. Das Vorgefundene wurde dabei nicht nur erhalten, sondern transformiert und sich aktiv damit auseinandergesetzt. Oft spiegelte sich hierin Anerkennung, jedoch konnte das Aneignen auch pragmatischen Gründen entsprungen sein. Das Zerstören von Objekten oder Ideen hingegen intendiert ein mutwilliges Vernichten des Vorgefundenen. Im seltensten Falle geschah dies zum Zwecke völliger Auslöschung, als vielmehr oft partiell und in Form symbolischer Akte. Da all diese Arten des Umganges mit dem Alten und Fremden kulturell bedingt und stark kontextabhängig waren, untersuchten die Beiträge der Tagung diese Aspekte in räumlicher und zeitlicher Breite.

Die Tagung eröffnete ROLAND SCHEEL (Göttingen), der anhand skandinavischer Pilger- und Kreuzfahrerquellen des 12. und 13. Jahrhunderts Transferprozesse zwischen Skandinavien und dem byzantinischen Kaiserreich verfolgte. Die schriftlich festgehaltenen Berichte zirkulierten an den nordischen Königshöfen und wurden dort Teil der Erinnerungskultur. Berichtet wird in ihnen von mehreren Geschenken der byzantinischen Kaiser – darunter Reliquien, kostbare Stoffe und Urkunden –, denen wiederum eine wichtige Rolle in der Konstruktion nordischer Identität zukam. Neben schriftlichen Überlieferungen von Objekttransfers lassen sich diese auch materiell nachweisen: ein mit Adlern verzierter Stoff aus dem Grab des Heiligen Knut etwa lässt sich durch seine griechische Inschrift in die Zeit Alexios I. (reg. 1081–1118) datieren. Byzantinische Münzen erfuhren Wertschätzung, indem sie vermutlich als Anhänger genutzt als auch kopiert wurden. Obwohl mit der personellen Mobilität der skandinavischen Pilger und Krieger ebenfalls Objekte aus dem fernöstlichen und arabischen Raum in den Norden gelangten, lassen sich hiervon keine Nachweise über Kopien finden; allein die byzantinische Herkunft schien Scheel zufolge ausschlaggebend für eine Aneignung gewesen zu sein.

MATTHIAS HARDT (Leipzig) ging Identitätskonstruktionen in (narrativen) Objektbiographien mehrerer Silberschätze aus der Spätantike bis ins hohe Mittelalter anhand von Objekten und schriftlichen Überlieferungen nach. Besondere Aufmerksamkeit erfuhren kostbare Tafelgeschirre, denen in vielerlei kulturellen Kontexten besondere Bedeutung zugekommen zu sein scheint. Mit Tisch- und Tafelgeschirr verbanden sich in all diesen Quellen Geschichten und Erinnerungen, die zum Erhalt der Objekte beitrugen. Im Umfeld von Festmählern, die an sich schon Orte der oralen Evokation der jeweiligen dynastischen Vergangenheit waren, konnten die „historisierten Artefakte“ Hardt zufolge als Erzähler heroischer Taten auftreten. Das Tafelgeschirr wurde zum Traditions- und Erinnerungsträger; ihr materieller Wert um den immateriellen Wert genealogischer Repräsentation erweitert. Hardt verfolgte darüber hinaus einen weiteren Weg, den Objekte nehmen konnten: den der Zerstörung. Es bestand das Risiko, dass Silberschätze als Beute der Teilung zum Opfer fielen. Das so entstandene „Hacksilber“ wurde allein auf den Wert des Materials Silber reduziert. Der immaterielle Wert, den Geschichten Objekten geben konnten, ging dabei verloren.

Mit dem Fortleben bzw. dem Wiederbeleben von Geschichte(n) befasste sich auch CHRISTIANE ELSTER (Rom), indem sie den post-tridentinischen Umgang mit mittelalterlichen, päpstlichen Textilgeschenken untersuchte. Von den Gaben Papst Bonifaz’ VIII. (1294–1303) haben sich neun Gewänder und Altarparamente im Schatz der Kathedrale von Anagni erhalten, deren heutiger Zustand maßgeblich von einer Umarbeitung der Zeit um 1570 geprägt ist. Elster ging der Frage nach, warum in post-tridentinischer Zeit ein Interesse an den mittelalterlichen Textilien bestand und legte dar, wie ihre Wiederverwendung in der tridentinischen Liturgie ideologisch zu verorten ist. Das im 13. Jahrhundert nach dem Vorbild von Alt-St. Peter in Rom ausgestattete Presbyterium der Kathedrale von Anagni blieb in post-tridentinischer Zeit zunächst unverändert, wobei die einst für die päpstliche Liturgie reservierten Bereiche durch das Domkapitel und den Bischof in Besitz genommen wurden. Die Wiederverwendung der alten Paramente ist in diesem Kontext als Teil einer bewussten Traditionsbildung zu verstehen, in der es um die Bewahrung des päpstlichen Erbes Anagnis und seine sichtbare Einpassung in die post-tridentinische Zeit und Liturgie ging.

Auf die Aneignung neuer Ideen konzentrierte sich MICHAEL SCHONHARDT (Freiburg). Er stellte in seinem Beitrag die bedeutende Rolle Regensburgs in der Rezeption und Weiterentwicklung arabischen astronomischen Wissens im 12. Jahrhundert heraus. Die Mönche in St. Emmeram und im Kloster Prüfening gehörten zu den frühen Rezipienten dieses fremden Wissens. Eine zentrale Rolle kam Wilhelm von Hirsau (gest. 1091) zu, der sich als einer der ersten benediktinischen Mönche in Regensburg mit Astronomie beschäftigte und mithilfe von Astrolabien die Wendepunkte im Jahr neu berechnete. Schonhardt kam es darauf an zu zeigen, dass in Regensburg nicht nur eine Übernahme des arabischen Wissens, sondern auch dessen Weiterentwicklung und Aktualisierung stattfand. Ein Objekt, das diese Aneignung beispielhaft illustriert, ist die sog. Sphaera, eine Art steinernes Observatorium, mit dem sich der Stand der Sonne messen ließ. Die Sphaera verdeutlicht auch, dass zunächst nur ein Teil des arabischen Wissen über Astronomie und Astrologie im mittelalterlichen Europa aufgegriffen wurde: das Messen der Tages- und Jahreszeiten war eine wichtige Voraussetzung für die Berechnung des christlichen liturgischen Kalenders.

Mit dem Weiterleben von Astronomie und vor allem der Astrologie setzte sich SIMONA SLANICKA (Bern) am Beispiel des frühneuzeitlichen Ferraras auseinander. Sie stellte in ihrem Beitrag die besondere Affinität des Hofes der d’Este zur Astrologie heraus, die mit Leonello d’Este (1407–1450) begann: Leonello machte gar seine politische Entscheidungen von seinem Horoskop abhängig. Auch unter seinem Bruder Borso d’Este (1413–1471) scheinen astrologische und astronomische Studien am Hofe Ferraras weiter eine wichtige Rolle gespielt zu haben, wie Slanicka anhand der Fresken der Monatsbilder im Palazzo Schifanoia darlegte. Die Astrologie tritt nicht nur im Bild als Herrschaftsinstrument auf, sie diente womöglich auch der politischen Herrschaftslegitimation der Brüder d’Este. Sie muss in Ferrara derart übersteigert betrieben worden sein, dass es nach Slanicka möglich ist, dass sich auch Nikolaus Kopernikus während seines Aufenthalts in Ferrara einen Teil dieses Wissens aneignete und in sein Werk „De Revolutionibus Orbium Coelestium“ (1543) einfließen ließ.

Die Konzepte des Aneignens, Bewahrens und Zerstörens übertrug LUKAS-DANIEL BARWITZKI (Zürich) auf das Doppelkloster in Königsfelden, das 1309 von der Witwe König Albrechts I. (reg. 1298–1308), Elisabeth, gestiftet worden war. In zwei Konventen wurden Franziskaner und Klarissen angesiedelt, daneben ließ sich die Tochter Albrechts, Agnes von Ungarn, dort eine Art Palast errichten. Auf ihre Person und ihre bedeutende Rolle in der Organisation des Klosterlebens konzentrierte sich Barwitziki. Er verfolgte die These, dass Agnes im Kloster ihren hohen, königlichen Status bewahren wollte, auch, indem sie Eingriffe in die Klosterordnung vornahm. Im Hinblick auf das Armutsgebot der Franziskaner und Klarissen verwundert es zunächst, dass dort gehobene Kleidung und reichhaltige Mahlzeiten für die Klarissen festgehalten waren. Zerstörte Agnes hiermit gar das Armutsgebot des Ordens? Obwohl Norm und Praxis der Ordensregeln oft auseinanderfallen konnten, sieht Barwitzki die Besonderheit in Königsfelden darin, dass der ungewöhnliche Reichtum der Nonnen durch Agnes geradezu vorgeschrieben wurde.

MAREE SHIROTA (Heidelberg) konzentriert sich in ihrer Forschung auf genealogische Rollen aus dem England des 15. Jahrhunderts und stellte in ihrem Vortrag den Aspekt der englischen Selbst- und Fremdwahrnehmung in den Fokus. Shirota teilte die erhaltenen Rollen chronologisch in Gruppen, aus deren Vergleich sich das gewandelte Verständnis Englands zu seinen Nachbarn Schottland und Wales ablesen lässt. Rückschlüsse auf die genealogischen Beziehungen geben Diagramme und Linien, deren unterschiedliche Farben verschiedenen Akteuren zugeteilt sind; so konnten die Rollen auch die politische Situation in den entsprechenden Regionen wiederspiegeln. In welchem genauen Kontext die Rollen genutzt und zu welchem Zwecke die Pergamente entrollt wurden, ist ungewiss. Das unendlich erweiterbare Medium selbst eignete sich jedoch hervorragend, Kontinuität und Tradition physisch erfahrbar werden zu lassen, und war durch seine Form zudem in besonderem Maße symbolisch aufgeladen. [1]

Ebenfalls mit Fragen der Kontinuität und der partiellen Aneignung bestehender Stadtstrukturen setzte sich THERESA JÄCKH (Heidelberg) anhand des Beispiels Palermo auseinander. Wenige archäologische Evidenzen können dort Hinweise geben, inwiefern die ältere urbane Situation in die normannische Domination überführt wurde. Jäckh rekonstruierte deshalb aus arabischen und normannischen Schriftquellen eine punktuelle Topographie der Stadt. Eine Karte Palermos aus der Mitte des 11. Jahrhunderts visualisiert etwa den Regierungsbezirk al-Khalisa vor dem Bab al-Futuh (Tor des Sieges), außerhalb der Stadtmauern. [2] Unter Robert Guiscard soll das Tor, dem Arabischen folgend, den Namen Porta della Vittoria erhalten haben; der Ort lässt sich heute im Oratorio dei Bianchi identifizieren. Ähnliche Überlegungen stellte Jäckh für die Torre Pisana und den Ort der heutigen Kathedrale an. Auffällig ist die nur partielle Übernahme der vorherigen Urbanistik und ihrer Funktionen, wurde der Verwaltungsapparat unter den Normannen doch in die Torre Pisana verlagert, während hingegen die Kathedrale den Ort der Freitagsmoschee ersetzte.

Möglichkeiten der Aneignung eines literarischen Textes vertiefte JAN STELLMANN (Tübingen) abschließend am Beispiel des Jüngeren Titurel. Der Text gilt als Fortsetzung des Titurel von Wolfram von Eschenbach, seine Autorschaft war jedoch lange Zeit ungewiss. Erst das sog. „Verfasserfragment“, eine erläuternde Niederschrift zum Hauptwerk, gibt nähere Hinweise über den Autor des Jüngeren Titurel und seine Intentionen. Bezeichnet sich der Verfasser dort zunächst als „ich, Wolfram“, findet sich schließlich auch eine Identifizierung in „ich, Albrecht“. Der Autor – Albrecht – begründet seine Maskerade darin, dass er die Aneignung der Identität Wolframs in der Erhaltung des Textes gerechtfertigt sehe. Sein literarisches Werk und das Wolframs setzt Albrecht dem Bau des Markus-Domes metaphorisch gegenüber: nur die Vollendung des (Bau-)Werkes durch andere Meister im Sinne der früheren habe zu seinem Erhalt geführt. [3] Aber zerstörte Albrecht durch die Aneignung nicht auch den Status des zuvor (bewusst?) unvollendeten Textfragmentes? Stellmanns Vortrag verdeutlichte unterschiedliche Arten des Umganges mit mittelalterlichen Texten und Weisen zu Erzählen; zugleich hinterfragte er auch Konzepte der ‚Vollständigkeit‘ und ‚Fragmentierung‘ in dieser Zeit.

Es war der Begriff des ‚Aneignens‘, der im Falle der meisten Beiträge am treffendsten den Umgang mit den jeweiligen Ideen oder Objekten charakterisierte. Die Aneignung stand dabei oft in positivem Kontext und äußerte sich demnach nicht nur im Erhalt, sondern auch in der Anerkennung des Alten und Fremden. Das reine ‚Bewahren‘ von Objekten war nur schwer vom ‚Aneignen‘ zu trennen; meist waren es Aktualisierungen kultureller Praktiken, die einen Erhalt gewährleisteten. Versteht man das ‚Bewahren‘ als ‚nicht mehr nutzen‘, so könnte allein eine moderne Musealisierung, verbunden mit der Isolierung der Objekte von ihren kulturellen Praktiken, diesem Konzept gerecht werden; doch bleibt auch dies angesichts von Neu-Kontextualisierungen im musealen Umfeld fraglich. Das ‚Zerstören‘ von Ideen und Objekten kam in den Beiträgen immer wieder am Rande zur Sprache, wobei auch hier deutlich wurde, dass trotz Zerstörung Geschichten und Erinnerungen blieben. Wäre anders ein heutiges Sprechen über diese Ideen und Objekte überhaupt möglich?

Der analytische Ansatz der Tagung sowie die Auswahl der Beiträge öffneten vielfältige Bezüge über disziplinäre Grenzen hinweg. Die Interdisziplinarität, die auch den Brackweder Arbeitskreis charakterisiert, war äußerst fruchtbar für die Diskussion, das Zusammenspiel der Diskurse über Objekte, Schriftquellen und Ideen erwies sich als sehr gut geeignet für das Nachdenken über den (nach-)mittelalterlichen Umgang mit dem Alten und Fremden. Offensichtlich wurde, wie sehr die Vergangenheit und das (vermeintlich?) Fremde durch Narration und – meist positive – Bedeutungszuschreibungen über kulturelle Grenzen hinweg Teil des kulturellen Gedächtnis und damit der eigenen Identität in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden konnten.

Konferenzübersicht:

Tanja Michalsky (Rom): Begrüßung
Christoph Mauntel (Tübingen): Einführung

Moderation: Christoph Mauntel (Tübingen)
Roland Scheel (Göttingen): Chrysobulls, Relics, Garments: Biographies of Foreign Objects in Medieval Scandinavian Literature
Matthias Hardt (Leipzig): Vom Reichtumsanzeiger über die Visualisierung gentiler Überlieferung zum Hacksilber. Über den Umgang mit spätantiken Edelmetallobjekten im frühen Mittelalter
Christiane Elster (Rom): Zum Umgang mit päpstlichen Textilgaben – die Paramente aus Schenkungen Papst Bonifaz‘ VIII. an die Kathedrale von Anagni nach dem Tridentinum

Moderation: Tanja Michalsky (Rom)
Michael Schonhardt (Freiburg): Von Toledo nach Regensburg – zur Rezeption arabischen Wissens über den Kosmos im 11. und 12. Jahrhundert
Simona Slanicka (Bern): Kopernikus’ Revolutionen im Kirchenstaat: Padua und Ferrara als Geburtsorte der heliozentrischen Astrologie Lukas-Daniel Barwitzki (Zürich): Status bewahren – Ordensregel aneignen – Idee zerstören? Agnes von Ungarn und das Doppelkloster Königsfelden

Moderation: Sophie Marshall (Stuttgart)
Maree Shirota (Heidelberg): Old and Foreign Relations: England’s Neighbours in Late Medieval Genealogies Theresa Jäckh (Heidelberg): The old and the new capital: Conquering and incorporating Islamic Palermo
Jan Stellmann (Tübingen): Sol kvnst sin verdorben? Das Verhältnis zwischen Albrechts ‚Jüngerem Titurel‘ und Wolfram von Eschenbach

Anmerkungen:
[1] Hierauf weist nicht nur die (früh)christliche Ikonographie; mittelalterliche Rollen standen oft in zeremoniellem Kontext, vgl. dazu u.a. Thomas Forrest Kelly, The Exultet in Southern Italy, New York 1996, S. 15ff.
[2] Kitab ghara'ib al-funun wa-mulah al-'uyun, („Book of Curiosities“), Bodleian Library, MS. Arab. c. 90, fols. 32b–33a.
[3] Textstelle im Verfasserfragment, nach: Erich Petzet, Heidelberger Bruchstück des Jüngeren Titurel, München 1904, Str. 2–4, S. 292–297.

[Regionalforum-Saar] Sammelrezension: Antike Milit ärschriftsteller

Date: 2018/02/21 23:02:42
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Sammelrezension: Antike Militärschriftsteller


Brodersen, Kai (Hrsg.): Ailianos, Antike Taktiken. Taktika. Zweisprachige Ausgabe. Wiesbaden : Marix Verlag 2017 ISBN 978-3-7374-1071-7, 160 S. € 15,00.

Brodersen, Kai (Hrsg.): Polyainos. Strategika. Griechisch-deutsch. Berlin : De Gruyter 2017 ISBN 978-3-11-053664-5, 720 S. € 69,95.

Brodersen, Kai (Hrsg.): Arrianos / Asklepiodotos. Die Kunst der Taktik. Griechisch-deutsch. Berlin : De Gruyter 2017 ISBN 978-3-11-056216-3, 192 S. € 29,95.

Brodersen, Kai (Hrsg.): Aineias / Aeneas Tactikus. Stadtverteidigung. Poliorketika. Griechisch-deutsch. Berlin : De Gruyter 2017 ISBN 978-3-11-054423-7, 200 S. € 39,95.


Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Günther, Institute for the History of Ancient Civilizations (IHAC), Northeast Normal University, Changchun, China

Militärgeschichte als Forschungsfeld hatte lange Zeit einen schweren Stand in Deutschland – im Gegensatz zum angelsächsischen Raum, wo diese an Universitäten fest etabliert ist. Verständlich ob der folgenschweren Geschichte des deutschen Militarismus, hat dies in Bezug zur Antike dazu geführt, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit Militär und Krieg in Deutschland – allgegenwärtig in antiken Gesellschaften – nur langsam und mit Verzögerung die Entwicklungen und Forschungstrends durchgemacht hat, die andernorts bereits Standard sind. Hierzu gehört – neben einem einführenden Forschungsüberblick[1] – auch die intensivere Beschäftigung mit Militärschriftstellern, ihren jeweiligen Perspektiven, Methoden, Vorschlägen, literarischen Mustern und historischen Kontexten.

Kai Brodersen, Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt, hat hierzu jetzt mit den in kurzer Folge erschienenen Übersetzungen von gleich fünf wichtigen antiken Schriftstellern zur Thematik einen kleinen Meilenstein gesetzt, und zwar nicht nur hinsichtlich der Breitenwirkung, welche eine Übersetzung über die Spezialisten und Fachwissenschaft hinaus zu entfalten vermag. Seine Leistung ist besonders hervorzuheben, da alle Übersetzungen auf neuesten textkritischen Erkenntnissen basieren, in zweisprachiger Form gestaltet sind und (sehr) alte Übertragungen ersetzen.

Der erste in der Reihe, nach dem Polyhistor und Militärexperten Xenophon das Feld beackernd, stellt dabei Aeneas Tacticus dar, von dessen Werk neben einigen Fragmenten nur das Buch zu den „Poliorketika“ („Belagerungstaktik“) erhalten ist. Der um die Mitte des 4. Jahrhunderts v.Chr. schreibende Autor ist dabei, wie auch Brodersen betont, nicht nur auf rein taktische Anweisungen aus, sondern bettet seine Empfehlungen in den größeren politischen und sozioökonomischen Kontext der Poliswelt seiner Zeit ein, verbindet also Taktik mit Strategie. Hierbei ist besonders die Aufrechterhaltung der Ordnung und Harmonie, Garant der Stabilität und Verteidigungsfähigkeit, hervorzuheben, wofür Aeneas die politischen, sozialen, ökonomischen, aber auch religiösen Strukturen und Abläufe[2] genauestens in den Blick nimmt. Die kurzen Erläuterungen Brodersens im Einführungsteil (S. 7–29) sowie die umfangreiche Bibliographie (S. 193–199)[3] machen den flüssig übersetzten Text leicht zugänglich.

Hingegen ist das Werk des unter Kaiser Trajan zu Beginn des 2. Jahrhunderts n.Chr. schreibenden Aelian insgesamt mehr taktisch ausgerichtet. Seine Vorschriften zur Ordnung, Aufstellung und Bewegung des Heeres samt Untereinheiten sind jedoch ebenfalls Ausdruck des in der Antike stets präsenten Zusammenhangs von Wohlordnung und militärischem Erfolg. Der Zeitgenosse des militärische Strategeme sammelnden Frontin setzt dabei auf eine theoretische, allgemein verständliche Durchdringung des Stoffes, auch komplexerer Abläufe. Die unter Heranziehung der maßgeblichen Handschrift, des Codex Laurentianus LV 4, erfolgte Übersetzung ist ebenso leicht zu lesen. Interessant in der Einleitung ist – neben den aufgrund der spärlichen Quellenlage nur wenigen möglichen Angaben zu Autor und Werk – die Darstellung der Wirkungsgeschichte durch Brodersen (S. 17–22), die tiefe Einblicke in die Kulturgeschichte des Militärischen wie auch der Abwege der Rezeption gewährt, so vor allem im kaiserzeitlichen Deutschland, wo Aelians Werk als Erziehungsratgeber im schulischen Sportunterricht empfohlen wurde.

Ähnlich, jedoch mit Unterschieden im Detail, sind die beiden anderen taktischen Werke, diejenigen des Arrian und des Asklepiodotos, gelagert, die Brodersen in einem weiteren Band versammelt hat. Während Arrian kurze Zeit nach Aelian schrieb, ist die Lebenszeit des Autors Asklepiodotos in der Forschung umstritten (zwischen dem 2. Jahrhundert v.Chr. und dem 3. Jahrhundert n.Chr.). Gut arbeitet Brodersen in seiner Einleitung jedoch die Parallelen zwischen den drei „Taktiken“ heraus, die auf eine gemeinsame Vorlage (Poseidonios?) zurückgehen dürften (S. 12–14). Diese wurde jeweils mit unterschiedlichen Schwerpunkten exzerpiert und eigenem Material angereichert. Auch diese beiden Autoren präsentieren die taktischen Einheiten, Aufstellungen und Manöver in einfacher Sprache, teils mit Zeichnungen. Hinsichtlich der Übernahme griechischer Taktiken durch die Römer sind insbesondere die Passagen in Arrians Werk interessant und lesenswert (vor allem Arr. Takt. 33,1–6).

Viel umfangreicher ist die zu Beginn der Regierungszeit Mark Aurels und des Lucius Verus entstandene strategische Beispielsammlung des Polyainos. Ähnlich derjenigen Frontins werden in den acht fast vollständig erhaltenen Büchern nach Zeiten und Ethnien gegliedert Strategemata unterschiedlichster Art dargebracht. Diese beschränken sich nicht allein auf Kampftaktiken, sondern umfassen auch andere Tricks, die zumeist berühmten Feldherren zugeschrieben werden; etwaige Parallelüberlieferung ist leicht durch den sehr nützlichen Index im Anhang (S. 697–710) zu fassen. Zumeist als „Fundgrube“ für historische Forschungen zu den jeweiligen Feldherren genutzt, hat das Werk erst in jüngerer Zeit durch die Initiative Brodersens vermehrt Aufmerksamkeit als Vertreter einer eigenständigen literarischen Gattung erlangt.[4] Eine tiefergehende Beschäftigung kann nun auf einer soliden Text- und Übersetzungsgrundlage erfolgen.

Alles in allem bereiten die genannten Textausgaben, denen in Kürze noch weitere zu Xenophons kleinen Schriften mit militärischem Charakter und Onasander aus der Feder Brodersens folgen werden[5], einen leichten und guten Zugang zu diesen Basistexten antiken Militärwissens.

Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu jetzt Christian Mann, Militär und Kriegführung in der Antike, München 2013.
[2] Zum Zusammenhang zwischen religiösen Festen und potentiellen Gefährdungen vgl. jetzt Tong Wu, Public Festivals, Political Manipulations and Civil Strife: Aeneas Tacticus on Rituals and City Defenses, in: Marburger Beiträge zur antiken Handels-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte 34 (2016), S. 41–51.
[3] Vgl. auch die aktuelle Bibliographie auf: Aeneastactitus.net / Aeneas Tacticus: Bibliography / <http://www.aeneastacticus.net> (07.01.2018).
[4] Kai Brodersen (Hrsg.), Polyainos. Neue Studien / Polyaenus. New Studies, Berlin 2010. Siehe auch die umfangreiche Bibliographie in der besprochenen Ausgabe, S. 711–716.
[5] Vgl. die Ankündigungen auf der Homepage zu Xenophons „Peri Hippikes“, „Hipparchikos“ und „Kynegetikos“ sowie Onasanders „Taktikos“: Universität Erfurt. Geschichtswissenschaft / Kai Brodersen: Neuerscheinungen und "preprints" /<https://www.uni-erfurt.de/geschichte/antike/forschung/neuerscheinungen> (07.01.2018).

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Mit freundlichen Grüßen
 
Roland Geiger
 
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Roland Geiger
Historische Forschung
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Tel. 06851-3166
email rolgeiger(a)aol.com oder alsfassen(a)web.de
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[Regionalforum-Saar] Lehnchen mit "h" - warum, da s weiß der Himmel.

Date: 2018/02/21 23:09:54
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

letzten Montag im St. Wendeler Teil der SZ:


Als Lehnchen Karl Marx den Haushalt schmiss

Von Hans Jürgen Loch


St. Wendel. Ein Theaterstück setzt der St. Wendelerin Lehnchen Demuth ein Denkmal und zeigt den Umgang des Philosophen mit Frauen.

Zum 200. Geburtstag des Philosophen Karl Marx hat die Stadt Trier eine Reihe von Festlichkeiten für ihren berühmten Sohn geplant. Dies nahm die Frauenbeauftragte der Stadt Trier, Angelika Winter, zum Anlass am internationalen Frauentag einen Zweiakter über den privaten Karl Marx im Umgang mit Frauen aufführen zu lassen. Und da kommt nun die Fraueninitiative St. Wendeler Stadtgeschichte ins Spiel. Sie wird das Theaterstück „Lehnchen Demuth“ am Donnerstag, 8. März, 19 Uhr, aufführen. Ort der Veranstaltung ist das Filmtheater Broadway in Trier.


Zur Geschichte: Lehnchen wurde als fünftes von sieben Kindern des Bäckers Michel Demuth und seiner Frau Catharina Creutz am 31. Dezember 1820 in St. Wendel geboren. Sie arbeitete als Haushaltsgehilfin in verschiedenen Familien. 1837 kam sie zunächst in den Haushalt der Familie des Regierungsrates Johann Ludwig von Westphalen nach Trier. Jenny, die Tochter des Hauses, und ihre Geschwister liebten dieses Mädchen aus St. Wendel sehr. Für die Mutter Caroline von Westfalen wurde sie eine nahezu unentbehrliche Hilfe.

Als Jenny 1843 Karl Marx heiratete und dieser durch seine Unruhe stiftenden Veröffentlichungen in verschiedenen Zeitschriften zunächst aus Deutschland, dann aus Frankreich ausgewiesen wurde, lebte die Familie in Belgien. Da Jenny mit der Haushaltsführung und der Erziehung der Kinder völlig überfordert war, schickte ihr die Mutter Lehnchen, die fortan für die Familie, die immer größer wurde, sorgte. Auch als die Odyssee durch Europa sie schließlich nach England brachte, war die Haushälterin stets bereit, Freud und Leid mit der Familie Marx zu teilen.


Es gab nur eine schwache Stelle im Verhältnis von Lehnchen zu Jenny, nämlich als Lehnchen 1851 einen Jungen zur Welt brachte, den sie Frederik nannte, nach Friedrich Engels, der die Vaterschaft übernahm – um den Ruf seines Freundes Karl Marx nicht zu schädigen.


Nach dem Tod von Karl und Jenny Marx lebte Lehnchen Demuth noch ein paar Jahre als Haushälterin bei Friedrich Engels, bis sie am 4. November 1890 starb. Auf ausdrücklichen Wunsch der beiden überlebenden Töchter von Karl und Jenny Marx wurde sie im Grab der Familie Marx auf dem Friedhof Highgate in London beigesetzt.


  

[Regionalforum-Saar] Populäre Genealogie, Geschi chtswissenschaft und Historische Demographie

Date: 2018/02/22 23:33:09
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Populäre Genealogie, Geschichtswissenschaft und Historische Demographie

 

48151 Münster, Seminar für Volkskunde/Europäische Ethnologie, Scharnhorststr. 100, 4. Etage

 

Arbeitskreis Historische Demographie, in Zusammenarbeit mit dem Seminar für Volkskunde/Europäische Ethnologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und dem Centre for Digital Humanities der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

 

16.03.2018 - 17.03.2018

Von Georg Fertig

 

Der Arbeitskreis Historische Demographie ist ein 1994 gegründeter informeller Zusammenschluss von Historiker(inne)n, die in wechselnder Zusammensetzung Themen der Geschichte von Familie, Gesundheit, Lebenslauf, Sozialstruktur und Bevölkerung bearbeiten. Er tagt in der Regel mindestens jährlich an wech-selnden Orten.

 

Für die Historische Demographie ist die populäre Genealogie ein unverzichtbarer Partner; für die akademische Geschichtswissenschaft insgesamt ist sie ein eher schwieriges und irritierendes Gegenüber. Die Tagung soll dazu dienen, drei Ziele zu erreichen. Erstens geht es darum, die Motive zu verstehen, aufgrund derer Genealog(inn)en Zeit und Geld, technisches und historisches Gespür für Erkenntnisse einsetzen, deren Nutzen in der akademischen Forschung nur selten Anerkennung findet. Genealogie ist heute längst nicht nur „Ahnenforschung“, die sozusagen den „Stamm“ eines Stammbaums nach oben verfolgt; sie erkundet auch die Seitenzweige der „Baumkrone“. Welche Vorstellungen hinter diesem Interesse lie-gen, ist mittlerweile Gegenstand sozialanthropologischer Forschung geworden – zwischen der Phantasie, dass jeder mit jedem verwandt ist, dem Traum, eigentlich von Adel zu sein und dem Bedürfnis, in eine lebendige Beziehung mit den Toten zu treten, indem man sie kennenlernt, liegen Welten.

 

Zweitens geht es um die Praktiken der Genealogie, um Erfassen, Verknüpfen und Mitteilen. Bei der Erfassung von Daten scheint die genealogische Forschung mehr und mehr in einem arbeitsteiligen Verhältnis zu den digitalen Humanwissenschaften zu stehen: Texterfassung bei den einen, Personenerfassung bei den anderen. Das passt zu einer derzeitigen Tendenz der Geschichtswissenschaft, mehr eine Ge-schichte der vielen Texte (historische Kulturwissenschaft) als eine Geschichte der vielen Menschen (his-torische Sozialwissenschaft) sein zu wollen. – Die zweite grundlegende genealogische Praktik ist das Verknüpfen, also das Aufstellen von Vermutungen darüber, ob es sich bei zwei oder mehreren Vorkommen einer Person um dieselbe oder um andere Personen handelt. Lassen sich hierfür formale Regeln (Algorithmen) formulieren, transparent machen, revidierbar gestalten? Auf Verknüpfungen beruht auch das Herstellen von Beziehungen. Genealogie schließt manche historische Personen in diese Beziehungen ein und andere aus. Wir suchen nach den Großeltern unserer Großeltern, aber nicht nach den Patinnen unserer Paten oder den Lehrern unserer Lehrerinnen. In welchem Maße hat die Genealogie ein offenes Auge für Nachbarschaftsbeziehungen, für gemeinsame Lebenswege von Schulkameraden oder im Militär? – Die dritte wichtige Praktik ist das Kommunizieren, das Weitergeben von Ergebnissen. In der akademischen Wissenschaft gibt es klar definierte Formen des Publizierens und Zitierens; die Weitergabe genealogischer Forschungsergebnisse erfolgt aber oft informell. Wie kann populäre Forschung ihre Zitierfähigkeit sichern? Und wo sind die Wissenschaftler(innen), die das nicht-wissenschaftliche Wissen der populären Forschung als Wissen ernstnehmen und nutzen?

Drittens ist genealogische Forschung eine wichtige Ressource für die Historische Demographie und eine mögliche Ressource für die Geschichtswissenschaft insgesamt. Sie hat zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlichen Verhältnissen zur Wissenschaft gestanden, und sie als von Nichtwissenschaftlern für die Wissenschaft hergestellte „Ressource“ zu bezeichnen, und nicht selbst als Wissenschaft (oder „Hilfswissenschaft“), ist nicht ganz selbstverständlich. Innerhalb des Spektrums akademischer, besoldeter, regulärer wissenschaftlicher Tätigkeiten haben genealogische Forschungen (das Zusammenstellen von Familien, das Konstruieren von Stammbäumen) mehrfach einen Platz gefunden: als „Historische Hilfswissenschaft“, im Dritten Reich, in der älteren ethnologischen Feldforschung und in der klassischen Phase der Historischen Demographie und Mikrogeschichte – vier Felder des „Selbermachens“ von Genealogie durch Wissenschaftler, zu denen die moderne populäre Freizeitgenealogie in Konkurrenz steht und denen sie technisch, in Quantität und Qualität der erfassten Daten oft weit überlegen ist. Da vor allem die Computergenealogie nicht nur Daten verknüpft, sondern sie auch in großen Massen erfasst, erweitert sich das Spektrum möglicher Nutzungen dieser Daten. Die Zusammenarbeit von Genealogie und Geschichte ist nicht auf wenige wissenschaftliche Fragestellungen mit ihren teils auch vergänglichen Konjunkturen beschränkt; sie hat Zukunft.

 

Programm

 

Freitag 16.3.2018

12:00 Begrüßung und Einführung (Georg FERTIG für den Arbeitskreis Historische Demographie, Elisabeth TIMM für das Seminar für Volkskunde/Europäische Ethnologie)

 

12:30 – 14:00 Geschichte der Genealogie

Jürgen SCHLUMBOHM (ehemals MPI für Geschichte, Göttingen): Volksgenealogie, Dorfsippenbuch, bevölkerungsbiologisches Gesamtkataster, 1920-1950

Katharina HERING (Georgetown): Populäre Genealogie als Migrationsgeschichte: Praktiken der Familiengeschichtsforschung über die Pennsylvania Germans (Pennsylvania Dutch), 1891–1966

 

14:00 – 14:30 Kaffeepause

14:30 – 16:30 Varianten der Zusammenarbeit

Roland LINDE (Detmold/Westfälische Gesellschaft für Genealogie und Familienforschung): Zur Methodik genealogischer Forschung in frühneuzeitlichen Quellen und ihrer transparenten Darstellung. Erfahrungen einer Arbeitsgruppe von Laienforschern und Wissenschaftlern

Harald LÖNNECKER (TU Chemnitz/Bundesarchiv Koblenz): Zwischen allen Stühlen. Genealogie als Wissenschaft und Praxis

Iris GEDIG (Erftstadt): Aspekte populärer Genealogie: Bericht aus der Praxis der Genealogie-Website “Familienbuch-Euregio“ (Würselen und umgebende Regionen)

 

16:30 – 16:45 Pause

16:45 – 18:15 Aktuelle demographische Forschungen I: Krisen in der Familie

Benjamin MATUZAK (MPI Halle): Coping and Caring: Institutionalised Vulnerability and Resilience of Families under Economic Pressure during Modernisation (Würselen, Meerssen, and Sart, 1850-1920)

Matthias ROSENBAUM-FELDBRÜGGE (Radboud University Nijmegen): Coping Strategies in Response to Crises: Family Split and Migration Following Parental Death in the Netherlands, 1863-1910

Ab 18:30 Abendessen im L’Incontro, Scharnhorststr. 61 (auf eigene Rechnung, für die Platzreservierung wird um Anmeldung bis zum 10.3. bei volkskunde.institut(a)uni-muenster.de gebeten)

 

Samstag 17.3.2018

9:00 - 10:30 Ortsfamilienbücher

Volker WILMSEN (Münster/Westfälische Gesellschaft für Genealogie und Familienforschung): Mehr als nur Kirchenbücher - die Quellen für das Häuser- und Ortsfamilienbuch Albachten

Georg FERTIG: Ortsfamilienbücher als Quelle für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte

 

10:30 – 10:45 Pause

10:45 - 13:15 Round Table: Was brauchen Wissenschaftler von Genealogen, was brauchen Genealogen von Wissenschaftlern? (Moderation: Michael Hecht, Konzeption: Katrin Moeller)

Sandro GUZZI-HEEB (Univ. Lausanne/Centre Régional d'Etudes des Populations Alpines)
Jan KEUPP (CDH Münster)
Katrin MOELLER (Univ. Halle, Historisches Datenzentrum Sachsen-Anhalt)
Stephanie THIEHOFF (Univ. Southampton, Social Statistics & Demography)
Elisabeth TIMM (Univ. Münster)
Jesper ZEDLITZ (Univ. Kiel / Compgen e.V.)
sowie alle Referentinnen und Referenten

13:15 - 14:15 Mittagspause

 

14:15 - 15:45 Aktuelle demographische Forschungen II: Demographie Ungarns

Karl-Peter KRAUSS (Fachbereich Demographie / Sozialgeographie, Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde): Historische Anthropologie und Genealogie. Komplementarität in der Annäherung an eine Einwanderungsgesellschaft: Deutsche „Kolonisten“ im Königreich Ungarn (18. und frühes 19. Jahrhundert)

Gábor KOLOH (ELTE-Univ. Budapest): Birth control in Kleinmanok. Case study of a Lutheran German Village in Hungary

 

Kontakt

Prof. Dr. Georg Fertig, Universität Halle, Institut für Geschichte,
Steintorcampus, 06099 Halle (Saale)

 

[Regionalforum-Saar] präparatorische versteigerung und definitive versteigerung

Date: 2018/02/26 16:06:44
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Hallo,

kennt jemand den Unterschied zwischen einer präparatorischen versteigerung und einer definitiven versteigerung?

Klar, die Wörter sagen es an sich schon aus; aber warum hat man das gemacht?

Im konkreten Fall wurde ein Haus am 24.12.1818 präparatorisch und am 31.12.1818 definitiv versteigert. Aber warum? Leider liegt die Notariatsakte nicht vor. Aber auch in anderen fand ich die Wörter, aber nicht den Hintergrund.

Kann jemand helfen?

Vielen Dank.

Mit freundlichem Grund

Roland Geiger

[Regionalforum-Saar] Tag der Archive am 3. März 2018, 10-16 Uhr

Date: 2018/02/26 19:00:51
From: Roland Geiger <alsfassen(a)web.de>

Tag der Archive am 3. März 2018, 10-16 Uhr

 

Landesarchiv Saarbrücken

 

Archivführungen um 11, 13 und 15 Uhr 

 

Sie bekommen einen Einblick in die für die Öffentlichkeit sonst geschlossenen Bereiche des Landesarchivs und erfahren Näheres über seine Arbeit und seine vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten. Ausgewählte Archivalien zeigen Ihnen die Vielfalt der in einem Archiv aufbewahrten Unterlagen. So können Sie hautnah erleben, welche Schätze in einem Archiv schlummern und darauf warten, von Ihnen entdeckt und ausgewertet zu werden.

 

Fotoausstellung

 

NEUNZEHN68

Das Epochenjahr an der Saar

 

Präsentation von Archivgut

Ausgewählte Dokumente u.a. zur Studentenbewegung im Saarland

 

 

Hilfestellung beim Lesen alter Schriften

Von 12-13 Uhr und von 14-15 Uhr können Sie sich beim Entziffern mitgebrachter Dokumente helfen lassen.

 

 

Das Landesarchiv lädt Sie zu diesem Tag der offenen Tür herzlich ein und freut sich auf Ihr Kommen!

 

Ihr Weg zu uns:

 

Landesarchiv Saarbrücken

Dudweilerstraße 1, 66133 Saarbrücken-Scheidt

 

Bushaltestelle: Im Flürchen

mit dem Zug: Bahnhof Scheidt (direkt gegenüber)

mit dem Auto: Parkplätze vor dem Haus