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2011/06/03 07:47:09
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Rezi: Erd-, Menschheits- und Kulturgeschichte in einem Buch
Datum 2011/06/04 08:03:24
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] SZ: Führung durch Dudweil er heute Mittag um 14.30 Uhr
2011/06/04 08:06:10
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Montag, 6. Juni, Saarbr ücken
Betreff 2011/06/03 07:47:09
Rolgeiger
[Regionalforum-Saar] Rezi: Erd-, Menschheits- und Kulturgeschichte in einem Buch
2011/06/03 07:47:09
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[Regionalforum-Saar] Rezi: Erd-, Menschheits- und Kulturgeschichte in einem Buch
Autor 2011/06/04 08:03:24
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[Regionalforum-Saar] SZ: Führung durch Dudweil er heute Mittag um 14.30 Uhr

[Regionalforum-Saar] Rezi in der SZ: Smalltalk über das Töten

Date: 2011/06/03 07:47:16
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 heute in der SZ, Kulturteil:

Smalltalk über das Töten

„Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben“: Sönke Neitzels und Harald Welzers Innenansicht des Krieges

Von SZ-Redaktionsmitglied Ute Klockner

Wie erlebten Soldaten den Krieg und wie wurden aus ganz normalen Männern skrupellose Tötungsmaschinen? Wie sehr waren die Wehrmachtssoldaten von der nationalsozialistischen Ideologie beeinflusst und wie prägend waren die militärischen Traditionen? Die Debatte um die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“ hat diesen Fragen neue Aktualität verliehen. Doch die bisher vorhandenen Quellen – Zeitzeugenberichte, Memoiren, Feldpostbriefe – gaben nur einen unvollständigen und geschönten Ausschnitt des Erlebten wieder.

Von daher ist der Zufallsfund, den der Historiker Sönke Neitzel im Jahr 2001 machte, so bedeutend. Bei einer Recherche im britischen Nationalarchiv in London stieß Neitzel auf Abhörprotokolle deutscher Offiziere in britischer Kriegsgefangenschaft. Weitere Recherchen in den National Archives in der US-Hauptstadt Washington förderten 150 000 Seiten an Originalquellen zutage, die Neitzel zusammen mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer ausgewertet hat. Im Glauben ungestört zu sein, sprachen die Soldaten in den eigens eingerichteten Abhörlagern der Briten und Amerikaner in einer bislang nicht gekannten Offenheit über ihre Kriegserlebnisse. „Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben“ heißt das Buch, das die beiden Autoren jetzt herausgegeben haben. Die Mitschnitte aus den Abhörlagern eröffnen eine Innensicht des Zweiten Weltkriegs und kratzen weiter am Mythos der „sauber“ gebliebenen Wehrmacht, die an den Kriegsverbrechen unbeteiligt gewesen sein will.

Während die Briten vor allem höhere Offiziere und Angehörige der Marine und Luftwaffe belauschten, konzentrierten sich die Amerikaner auf die gewöhnlichen Soldaten aus den Kampfeinheiten. Auf diese Weise ermöglichen die Protokolle einen Einblick in die verschiedenen Einsatzorte und fast jeden militärischen Lebenslauf. Gegenüber ihren Kameraden, die Ähnliches erlebt haben, tauschen sie sich im prahlerischen Plauderton auch über Details der Kämpfe aus und berichten über Gräueltaten, die sie erlebt haben. Eigene Taten werden nicht geleugnet, sondern ohne Zurückhaltung – nicht selten mit Genugtuung – in Form von Smalltalk erzählt, wie etwa die Unterredung zwischen den Infantristen Zotlöterer und Weber: Zotlöterer: „Ich habe einen Franzosen von hinten erschossen. Der fuhr mit dem Fahrrad.“

Weber: „Von ganz nahe?“

Zotlöterer:„Ja.“

Weber: „Wollte der dich gefangen nehmen?“

Zotlöterer:„Quatsch. Ich wollte das Fahrrad haben.“

Von Unrechtsbewusstsein keine Spur. „Das Opfer im empathischen Sinne kommt in den Erzählungen nicht vor“, stellen die Autoren fest.

Es ist deprimierend zu lesen, wie schnell Menschen im Krieg verrohen. Oftmals dauerte die Eingewöhnungsphase nur wenige Tage: „Am ersten Tag ist es mir furchtbar vorgekommen. Da habe ich gesagt: Scheiße, Befehl ist Befehl. Am zweiten und dritten Tag habe ich gesagt: Das ist ja scheißegal, am vierten Tag, da habe ich meine Freude daran gehabt“, heißt es in einem Gesprächsprotokoll vom 30. April 1940. Dem Piloten wurde es „zum Vorfrühstücksvergnügen“, „einzelne Soldaten mit Maschinengewehren durch Felder zu jagen und sie dort mit ein paar Kugeln im Kreuz liegen zu lassen“.

Die Abhörprotokolle gewähren Einblicke in unbekannte Innenwelten, doch zeichneten die Alliierten nur die Gespräche auf, an denen sie gezielt Interesse hatten. Eine repräsentative Antwort darauf, was für einen Stellenwert die aufgenommenen Themen für die Soldaten hatten, gibt es nicht.In den Gesprächen der Wehrmachtssoldaten kommt der Holocaust nur begrenzt vor. Sie beschäftigten eher die praktische Ausführung des Vernichtungsprozesses. Nur in Ausnahmen war einer überrascht über das Gehörte. „Die Judenvernichtung, so lässt sich bündig zusammenfassen, ist Bestandteil der Wissenswelt der Soldaten, und zwar in weit höherem Maße, als es die jüngeren Untersuchungen zum Thema erwarten lassen“, resümieren daher die Autoren. Sind Aussagen über den Holocaust nur spärlich gesät, enthalten die Protokolle eine Fülle von Berichten über sexuelle Gewalt, die für den Leser nur schwer erträglich sind.

Beklemmend das Fazit der beiden Autoren: „Krieg formiert einen Geschehens- und Handlungszusammenhang, in dem Menschen tun, was sie unter anderen Bedingungen niemals tun würden. In diesem Zusammenhang töten Soldaten Juden, ohne Antisemiten zu sein, und verteidigen ihr Land ‚fanatisch‘, ohne nationalsozialistisch zu sein“, resümieren Neitzel und Welzer. „Es wird Zeit, mit der Überbewertung des Ideologischen aufzuhören. Ideologie mag Anlässe für einen Krieg liefern, erklärt aber nicht, warum Soldaten töten oder Kriegsverbrechen begehen.“

Sönke Neitzel, Harald Welzer: Soldaten. Protokolle vom Töten und Sterben. Fischer. 521 Seiten, 22,95 €